PD Dr. Daniel Effer-Uhe Psychologie für Juristen 25. Oktober 2016 Psychologie für Juristen Gliederung I. Einführung II. Psychologie und psychologische Forschung 1) Was ist Psychologie? 2) Psychologische Forschung III. Kognitive Dissonanz IV. Aggression V. Devianz VI. Motivation 1) Soziale Skripte 2) Altruismus VII. Attribution VIII. Soziale Normen, soziale Rollen, sozialer Einfluss 25. Oktober 2016 IX. Urteilsheuristiken, Urteilsverzerrungen, Urteilsfehler, statistische Fehlschlüsse X. Resilienz und posttraumatische Belastungsstörung XI. Wahrnehmen und Erinnern 1) Informationsaufnahme 2) Speicherung von Informationen 3) Abruf von Informationen XII. Zeugenvernehmung und Aussagewürdigung XIII. Persuasion und Einstellungsänderungen XIV. Verhandeln XV. Freier Wille XVI. Moralische Urteile 2 Psychologie für Juristen Vorlesungsunterlagen (Gliederung, Präsentationen) finden Sie auf der Homepage der Entlastungsprofessur für Zivilrecht: http://www.jura.uni-frankfurt.de/60680545/Effer-Uhe Termine 21. Okt.: Vorlesungsstunde 1 28. Okt.: Vorlesungsstunde 2 4. Nov.: Vorlesungsstunde 3 11. Nov.: Vorlesungsstunde 4 18. Nov.: Vorlesungsstunde 5 25. Nov.: Vorlesungsstunde 6 02. Dez.: Vorlesungsstunde 7 09. Dez.: Vorlesungsstunde 8 16. Dez.: Vorlesungsstunde 9 23. Jan.: Vorlesungsstunde 10 13. Jan.: Vorlesungsstunde 11 20. Jan.: Vorlesungsstunde 12 27. Jan.: Vorlesungsstunde 13 voraussichtlich 10. Febr., 12-14h: Abschlussklausur Lektüreempfehlung zur ersten Vorlesungsstunde: Gerrig, Psychologie, 20. Aufl. 2015, S. 2-7, 28-49. 25. Oktober 2016 3 Psychologie für Juristen Was ist Psychologie? • Psychologie: wissenschaftliche Untersuchung des Verhaltens von Individuen und ihren mentalen Prozessen • Betrachtet werden sowohl Prozesse innerhalb des Individuums als auch Kräfte in seinem physischen und sozialen Umfeld • Verhalten: das Mittel, durch das sich ein Organismus an die Umwelt anpasst • Also: Psychologen untersuchen, was das Individuum tut und wie es dieses Tun in einer vorgegebenen Verhaltensumgebung und in einem größeren sozialen und kulturellen Kontext umsetzt. 25. Oktober 2016 4 Psychologie für Juristen Was ist Psychologie? (2) • Sozialpsychologie: wissenschaftliche Untersuchung der Art und Weise, wie Denken, Fühlen und Verhalten durch die reale oder vorgestellte Anwesenheit anderer Personen beeinflusst werden • Die Sozialpsychologie geht davon aus, dass man etwas Wesentliches – die wichtige Rolle des sozialen Einflusses – außer Acht lässt, wenn man das Verhalten einer Person vorwiegend mit Persönlichkeitsmerkmalen erklärt. • Sozialer Einfluss umfasst – über das beobachtbare Verhalten hinausgehend – auch das Denken und Fühlen; schon die bloße Anwesenheit anderer kann zu einer Beeinflussung führen. 25. Oktober 2016 5 Psychologie für Juristen Was ist Psychologie? (3) • Abgrenzung zu angrenzenden Wissenschaftsdisziplinen: • Psychologie konzentriert sich auf das Verhalten von Individuen. • Soziologie untersucht das Verhalten von Menschen in Gruppen. • Anthropologie untersucht den breiteren Kontext von Verhalten in verschiedenen Kulturen. • Die Psychologie hat das Ziel, Verhalten zu beschreiben, zu erklären, vorherzusagen und zu kontrollieren. • Vorhersagen sind in der Psychologie praktisch immer Wahrscheinlichkeitsaussagen – Aussagen darüber also, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Verhalten auftreten wird oder ein bestimmter Zusammenhang nachgewiesen werden kann. 25. Oktober 2016 6 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung • Der psychologische Forschungsprozess besteht meist aus 7 Schritten: 1. Beobachtung eines Phänomens 2. Bildung von Hypothesen 3. Konzeption einer Untersuchung 4. (ggf. Datenerhebung und) Datenauswertung 5. Veröffentlichung der Ergebnisse 6. Diskussion offener Fragen in der wissenschaftlichen Community 7. ggf. Lösung offener Fragen 25. Oktober 2016 7 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung (2) • Grundannahme psychologischer Forschung: Determinismus – alle Ereignisse (einschließlich des Verhaltens und mentaler Prozesse) werden als Ergebnis spezifischer Kausalfaktoren gesehen und von diesen bestimmt; die von der Wissenschaft entdeckt werden können. • Ziel: Schlussfolgerungen sollen mit größtmöglicher Objektivität gezogen werden, beobachterabhängige Urteilsverzerrungen (Observation Bias) sollen vermieden werden. 25. Oktober 2016 8 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung (3) • Mechanismus beim Observation Bias: Erwartungen und Motive des Beobachters wirken als Filter, durch den bestimmte Sachverhalte als relevant und bemerkenswert wahrgenommen werden, andere als irrelevant ignoriert werden. • Affirmation Bias: Bestätigungen einer bestehenden Überzeugungen werden meist stärker wahrgenommen als widersprechende Informationen oder auch das bloße Ausbleiben von Bestätigung. • Beispiel für Affirmation Bias in der Rechtswissenschaft: Der Strafrichter liest vor der Hauptverhandlung die Akte und bildet sich auf dieser Grundlage eine vorläufige Meinung, was tatsächlich passiert sein könnte. Informationen, die diese Meinung bestätigen, werden eher wahrgenommen als widersprechende Informationen. 25. Oktober 2016 9 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung (4) • Verfahren zur Sicherung größtmöglicher Objektivität: • Standardisierung (Nutzung einheitlicher und konsistenter Verfahren auf allen Ebenen der Datengewinnung) • Beispiel für fehlende Standardisierung: Zeugenvernehmung im Strafverfahren => Interviewer Bias (Vernehmer neigen dazu, ihre Fragen so zu formulieren, dass Antworten darauf den Verdacht zu bestätigen scheinen; Aussagen, die die eigene Hypothese bestätigen, werden besser erinnert als hypotheseninkonsistente Informationen) 25. Oktober 2016 10 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung (5) • Grundsätzlich drei Methoden in der sozialwissenschaftlichen Forschung: • 1. Beobachtungsmethode (hilfreich zur Beschreibung von Verhalten, solange die sog. Interrater-Reliabilität gesichert ist; nicht zur Vorhersage von Verhalten) • 2. Korrelative Methode (ermöglicht die Vorhersage von Verhalten durch systematische Prüfung von Zusammenhängen zwischen zwei Variablen; Problem: untersuchte Stichproben müssen typisch für die Gesamtheit sein.) • Problem: Korrelation ist kein Beweis für Kausalität! • 3. Experimentelle Methode (ermöglicht die Untersuchung von Kausalzusammenhängen indem ein Aspekt der Situation gezielt verändert wird: der Forscher verändert die unabhängige Variable und beobachtet den Effekt dieses Eingriffs auf die abhängige Variable) 25. Oktober 2016 11 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung (6) • Problem insbesondere bei der experimentellen Methode: Erwartungseffekte: • Wenn der Forscher dem Probanden – absichtlich oder unabsichtlich durch subtile Effekte – mitteilt, welches Ergebnis er erwartet, kann das (als sog. „konfundierende Variable“ – etwas, was die Reaktion des Probanden verändert, obwohl es nicht vom Versuchsleiter absichtlich in die Forschungssituation eingebracht wurde) gerade die erwartete Reaktion hervorrufen. • Lösung: Doppel-blind-Verfahren: Weder der Proband noch der Versuchsleiter weiß, welcher Versuchsbedingung der Proband zugeordnet ist. • Placeboeffekt: Der Proband ändert sein Verhalten schon allein aufgrund seiner Annahme, dass ein bestimmtes Verhalten von ihm erwartet wird. • Lösung: Verwendung sog. Kontrollbedingungen: Es wird versucht, möglichst alle Bedingungen und Variablen konstant zu halten, mit Ausnahme der unabhängigen Variablen. 25. Oktober 2016 12 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung (7) • Die Zuordnung von Probanden zu einer Experimental- oder Kontrollbedingung sollte zufällig erfolgen, um eine Vergleichbarkeit der beiden Gruppen in den wesentlichen Punkten möglichst wahrscheinlich zu machen. • Repräsentativ ist eine Stichprobe, wenn sie die Eigenschaften der Gesamtpopulation möglichst genau widerspiegelt. • Psychologische Untersuchungen zielen auf Erkenntnisse, die sowohl zuverlässig (reliabel) als auch gültig (valide) sind. • Reliabilität: Das Ergebnis ist bei erneuter Testung unter vergleichbaren Umständen reproduzierbar. • Validität: Die durch die Testung erlangte Information gibt tatsächlich diejenige Qualität oder Variable wieder, die sie wiedergeben soll. 25. Oktober 2016 13 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung (8) • Die zufällige Verteilung von Messergebnissen folgt üblicherweise einer Normalverteilung in Form einer Gaußschen Kurve. • Ob ein Unterschied statistisch signifikant ist, ergibt sich aus dem Grad der Abweichung von der Normalverteilung. Als statistisch signifikant betrachtet man einen Unterschied, der so groß ist, dass die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Zustandekommens kleiner als 5 % ist. 25. Oktober 2016 14 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung (9) • Anforderungen an eine aussagekräftige Statistik: • Die Statistik sollte auf einer ausreichend großen Stichprobe beruhen und die Stichprobengröße angeben. • Das Maß der Variabilität und das Signifikanzniveau sollte angegeben werden. • Vorschläge an den Richter bei der Würdigung sozialwissenschaftlicher Sachverständigengutachten: • Der Richter sollte sich, wenn in einem Gutachten von statistischer Signifikanz die Rede ist, erkundigen, welches Signifikanzniveau erreicht wird. • Der Richter sollte sich versichern, dass der Test reliabel ist, also konsistente Ergebnisse liefert. • Der Richter sollte sich versichern, dass der Test valide ist, also das misst, was er zu messen vorgibt. • Der Richter sollte sich vergewissern, dass der Test standardisiert ist. 25. Oktober 2016 15 Psychologie für Juristen Psychologische Forschung (10) • Reliabilität wird anhand der Korrelation mit sich selbst gemessen: Liefert der Test zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder mit unterschiedlichen Items durchgeführt vergleichbare Ergebnisse? • Validität kann nur anhand der Korrelation mit einem externen Vergleichsmaßstab gemessen werden: • Interne Validität ist gegeben, wenn bei einem Experiment alles außer der unabhängigen Variablen gleich bleibt. Meist ändern sich aber auch zumindest die Teilnehmer – um darauf beruhende Unterschiede zu minimieren, sollte die Zuweisung zu Experimental- oder Kontrollbedingung zufällig erfolgen. • Die externe Validität gibt an, wie gut sich die Ergebnisse einer Untersuchung verallgemeinern lassen, einerseits auf andere reale Situationen, andererseits auf Menschen im Allgemeinen. Die externe Validität kann durch Replikation überprüft werden. 25. Oktober 2016 16