Bemerkungen zum Positionspapier

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Neues ökonomisches Denken der LINKEN gefragt
Bemerkungen zum Positionspapier der „Kommunistischen Plattform“
betreffend den Sozialismus im 21. Jahrhundert
(Material des Landeskoordinierungsrates der KPF in der Partei DIE LINKE des Landes
Brandenburg für die 3.Tagung der 13.Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform
am 10. November 2007)
Von Heerke Hummel
Die Bundeskonferenz der KPF beschloss am 10. November 2007, das Positionspapier
allen Landeskoordinierungsräten der KPF zur Diskussion und Präzisierung zu übergeben
und im I. Quartal 2008 sich auf Bundesebene darüber zu verständigen, wie mit den dann
vorliegenden Ergebnissen der Sozialismusdebatte im Rahmen der Programmdiskussion
der Partei DIE LINKE umgegangen wird. Im Folgenden soll zu einigen insbesondere die
Ökonomie betreffenden Aussagen des Papiers Stellung genommen werden:
„Wir vertreten die Auffassung, dass der globalisierte Kapitalismus nicht im Interesse
der Mehrheit der Menschen reformierbar ist. Er muss überwunden werden. Dazu ist die
Veränderung des Bewusstseins der Menschen eine unabdingbare Voraussetzung.
Unsere Forderungen sollen diese Bewusstseinsbildung bestärken.“
Wie anders soll er überwunden werden als durch Reformen? (Immerhin ging er ja selbst
aus einer Reform der „sozialen Marktwirtschaft“ hervor, nachdem der Sozialismus als
Weltsystem in einem 40jährigen Wirtschaftskrieg niedergerungen worden war. Dieser
hatte den Kapitalismus gezwungen, nicht nur eine soziale Maske zu tragen, sondern sich
auch in mancher Hinsicht tatsächlich sozial zu verhalten.) Soll noch einmal eine Große
Sozialistische … Revolution, nicht nur in Russland, sondern auf dem ganzen Globus
stattfinden? Auch der Weg von Reformen erfordert Veränderungen im Bewusstsein der
Menschen, die aber wohl kaum aus politisch-ökonomischen Forderungen einer Partei
resultieren, sondern aus der durch die Partei vermittelten Einsicht in die Erfordernisse der
veränderten Realität und deren verschärfte Widersprüche. Die Veränderungen in der
politisch-ökonomischen Realität am Beginn des 21. gegenüber dem vorigen Jahrhundert
betreffen nicht nur die Globalisierung der ökonomischen Beziehungen der Gesellschaft,
also den quantitativen Rahmen ihres Produzierens und Austauschs sowie deren
Dimensionen. Noch wichtiger ist der qualitative Wandel, der sich im Verlaufe des ganzen
vorigen Jahrhunderts vollzog und seinen krönenden Abschluss bereits 1971 mit der
Kündigung des Abkommens von Bretton Woods durch die USA fand. Die damit
verbundene Verwandlung der (auch kapitalistischen) Währung, also des Geldes, aus einer
(allgemeinen und zugleich besonderen) Ware in ein Arbeitszertifikat schuf im Schoße des
alten Systems und der alten Machtverhältnisse (und auch des überkommenen
gesellschaftlichen Bewusstseins von den eigenen Existenzbedingungen) qualitativ neue
ökonomische Beziehungen der Menschen.
Vgl. Amerikas Geniestreich, unter:
http://heerkehummel.googlepages.com/amerikasgeniestreich
„Dreh- und Angelpunkt für die Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung
ist eine breite Basis vergesellschafteten Eigentums. Nur auf dieser Grundlage kann der
sozialistische Staat Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen, kulturellen und
rechtlichen Situation im Interesse der gesamten Bevölkerung durchsetzen.“
Was soll das sein und wie soll es entstehen, das vergesellschaftete Eigentum? Soll das
ehemalige Sozialismusexperiment noch einmal von vorn beginnen, oder soll ein ganz
neues Experiment einsetzen? In dieser Aussage des Positionspapiers äußert sich ein
zentrales Missverständnis der ganzen realsozialistischen wie auch der neosozialistischen
Bewegung von den inneren ökonomischen Beziehungen sowohl des dahingegangenen
Realsozialismus als auch des realen Kasinokapitalismus der Gegenwart.
Das ganze weltweit agierende „Kapital“ ist seinem Wesen nach bereits vergesellschaftet.
Diese Vergesellschaftung vollzog sich im Verlaufe des 20. Jahrhunderts mit der
Entwicklung des Geldes aus einer („allgemeinen“) Ware zu einem Arbeitszertifikat und
damit gleichzeitig zu einem Anteilschein am gesellschaftlichen Produktivvermögen. Und
der Staat als Herausgeber und Hüter des Geldes (in Gestalt der Währung) trägt die
Verantwortung dafür, dass mit diesem seinem Geld tatsächlich Erzeugnisse des
gesellschaftlichen Produktionsprozesses gekauft werden können. (Früher, bis 1971, war er
nur dafür verantwortlich, dass dieses Geld gegen seinen nominellen Goldgehalt
eintauschbar ist.) Die (bürgerlichen) Regierungen der Welt scheinen diese ihre eigene
Verantwortung mehr zu spüren als aus den tieferen (theoretischen) ökonomischen
Zusammenhängen heraus zu verstehen und bemühen sich daher verzweifelt – vor jeder
neuen Krise des internationalen Währungssystems zitternd -, in koordinierter Aktion das
Finanzsystem der Welt zu „managen“, einigermaßen unter Kontrolle zu halten und seinen
Kollaps zu verhindern. In diesem Bemühen sind sie gebremst und gefangen durch ihre
illusionistischen Vorstellungen von privater Wirtschaft, privaten Interessen, privatem
Reichtum usw.
Zu den wichtigsten Aufgaben sozialistischer Regierungen, sozialistischer oder Linker
Regierungsmacht (beispielsweise im Rahmen der EU) auf ökonomischem Gebiet wird es
daher gehören, das ganze Währungs- und Finanzsystem einer strengen gesellschaftlichen
(staatlichen) Kontrolle zu unterwerfen und so zu gestalten, dass einerseits ein hohes Maß
an Eigenverantwortung in der Wirtschaft möglich und erhalten bleibt, gleichzeitig aber
der widersinnige und in vieler Hinsicht zerstörerische Wachstumsdrang aus der Wirtschaft
genommen wird. Dazu bedarf es sowohl einer direkten Verbindung von staatlicher
Finanz-, Geld- und Wirtschaftspolitik (denn das Geld „entsteht“ direkt in der Wirtschaft
als deren ökonomisches Maß und Instrument) als auch eines neuen ökonomischen
Denkansatzes, der sich der veränderten Bedingungen in der ökonomischen Basis der
Gesellschaft, der bereits gegebenen allgemeinen Gesellschaftlichkeit ihrer inneren
ökonomischen Beziehungen und Erscheinungen bewusst ist. Gesetzliche Regelungen der
Staatsgewalt für bedeutende ökonomische Zusammenhänge sind unter den neuen
Bedingungen seit 1971 nicht nur möglich, sondern dringend erforderlich, weil eine
Regulation über den Warenaustausch auf dem Markt nicht mehr möglich ist, seitdem das
Geld keine Ware mehr ist.
Die in dem Positionspapier erwähnte „breite Basis gesellschaftlichen Eigentums“ als
„Dreh- und Angelpunkt für die Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung“ ist
also dem Wesen nach seit geraumer Zeit gegeben. Und es kommt „nur noch“ darauf an,
die Machtverhältnisse zu verändern und den ganzen gesellschaftlichen Überbau der
bereits vergesellschafteten Basis anzupassen.
Siehe auch: H. Hummel, Warenwert, wo bist du geblieben?, unter:
http://heerkehummel.googlepages.com/warenwert%2Cwobistdugeblieben%3F
H. Hummel, Bürger aller Länder vereinigt euch!, unter:
http://heerkehummel.googlepages.com/b%C3%BCrgerallerl%C3%A4ndervereinigteuch
H. Hummel, Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum, Projekte-Verlag,
Halle (Saale) 2005, www.projekte-verlag.de oder unter:
http://heerkehummel.googlepages.com/finanzgesellschaft
„Auch im Sozialismus des 21. Jahrhunderts werden Geld und Preis als Instrument zur
Wirtschaftsführung weiter bestehen. Die Preisbildung kann jedoch nicht dem blinden
Wirken des Marktes überlassen bleiben. Der Preis muss alle volkswirtschaftlichen
Aufwendungen, insbesondere die Folgen für die Umwelt, einschließen. Die
Preisbildung hat einer staatlichen Kontrolle und Aufsicht zu unterliegen.“
Will man wirklich wieder zu den Verhältnissen des Realsozialismus zurück? Das Geld
war auch damals kein Geld im Marxschen Verständnis. Der damalige Widersinn bestand
gerade darin, dass der sozialistische Staat mit einem ungeheuren Aufwand berechnen und
in planmäßigen Preisen festlegen wollte, was sich auf einem Markt von selbst als
notwendig erwiesen und durchgesetzt hätte. Das ökonomisch Problematische im
Realsozialismus bestand darin, dass
1. das Preissystem nicht flexibel war und deshalb die Preise nicht den Erfordernissen der
Reproduktion entsprechen konnten. Sie entsprachen weder dem realen
gesellschaftlichen Aufwand noch vermochten sie volkswirtschaftlich richtig zu
stimulieren, ja, oftmals „verboten“ sie im Zusammenwirken mit anderen
Plankennziffern direkt ein volkswirtschaftlich vernünftiges Handeln;
2. die Wirtschaftseinheiten (Betriebs- und Kombinatsleitungen) viel zu wenig
Eigenverantwortung für die Gestaltung ihres und des gesellschaftlichen
Reproduktionsprozesses besaßen.
Das alles hatte seine historischen Ursachen. Siehe auch: H. Hummel, Wesen und
Erscheinung sozialistischer Produktionsverhältnisse, unter:
http://heerkehummel.googlepages.com/wesenunderscheinungsozialistischerproduk
Künftig aber ist von den aktuellen Gegebenheiten auszugehen. Auf der Basis der heute
bereits bestehenden neuen ökonomischen Verhältnisse kann eine sozialistisch orientierte
Staatsmacht durch ihre Geld-, Steuer-, Haushalts- und Finanzpolitik mittels ihrer
Gesetzgebung – und nicht zuletzt mit Kalkulationsrichtlinien – bei hoher
Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen (insbesondere für die sachlichen Beziehungen)
Einfluss auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses entsprechend
gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen nehmen. Infrage kommen beispielsweise solche
Maßnahmen wie Umverteilung von Finanzmitteln über den Staatshaushalt durch Steuern
und Zuschüsse, Festlegung von Unter- und Obergrenzen für Verfügungsrechte über Fonds
(einschließlich privater Einkommen), Löhne und Gehälter, Finanzvermögen usw.
Siehe auch: H. Hummel, Reale Utopie und utopische Realität, unter:
http://heerkehummel.googlepages.com/realeutopieundutopischerealit%C3%A4t
„Wir akzeptieren den Gewinn als Maßstab ökonomischer Leistungsfähigkeit, nicht
jedoch Profit und Aktienkurs als Kriterium zur Entwicklung der Weltwirtschaft. Der
gegenwärtig zerstörerische globalisierte Wettbewerb um die international niedrigsten
Kosten und höchsten Profite muss unterbunden werden, um die Verarmung der
Menschen in den Industrie- und vor allem in den Entwicklungsländern zu stoppen.
Börsen und Spekulationsfonds sind mit einer sozialistischen Gesellschaft nicht
vereinbar. Gelderträgen ohne Arbeit ist der Boden zu entziehen. Wir unterstützen
Maßnahmen, die die Macht des internationalen Finanzkapitals beschneiden, die
Unabhängigkeit der Volkswirtschaften von der Erpressung globaler Finanzfonds
herstellen und Spekulationen hoch besteuern.“
Diese völlig richtige Orientierung bedarf einer noch stärkeren politökonomischen,
reproduktionstheoretischen Untermauerung. Denn es geht bei alledem nicht um
sozialistisch-humanistische Moral und Ethik, sondern um ökonomische und heute
zunehmend ökologische Erfordernisse einer objektiven Notwendigkeit, damit die
gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Entwicklung dieser Welt störungsfrei, im
Interesse der ganzen Menschheit und ihres Fortbestandes sich vollziehen kann.
Abzuleiten also wäre diese Orientierung aus den veränderten inneren ökonomischen
Beziehungen dieser Gesellschaft, deren Geld bereits ein Arbeitszertifikat, eine
Bescheinigung für geleistete Arbeit ist und als solche in der Produktion „entsteht“. Die
Selbstvermehrung des Geldes durch Zinsnahme und Spekulation jeglicher Art ist ein
Anachronismus der heutigen Gesellschaft, zumal dieses Geld eben kein Reichtum mehr
ist, sondern nur einen Anspruch auf solchen postuliert. Den ungeheuren Finanzvermögen
in der heutigen Welt stehen aber nur zu einem Bruchteil Realvermögen gegenüber und
zum großen Teil riesige Berge öffentlicher und privater Schulden, die schon nicht mehr
abzutragen sind. Siehe auch: H. Hummel, „Zins als Anachronismus“, unter:
http://heerkehummel.googlepages.com/zinsalsanachronismus
„Wir schätzen ein, dass Systemveränderungen offenkundig im Gefolge objektiver
weltpolitischer Entwicklungen eintreten werden. Bereits gegenwärtig sind der
Zusammenbruch der Weltfinanzmärkte vorrangig durch den Verfall der Leitwährung
Dollar, das Zuschnappen der grandiosen Schuldenfalle des „tönernen Riesen“ USA,
eine weltweite Ölkrise, das weitere Erstarken Chinas und anderer Entwicklungsländer
sichtbare Kennzeichen derartiger Veränderungen. Diese werden nicht nur die
Weltwirtschaft, sondern das weltweite kapitalistische System als Ganzes erschüttern.“
Richtig! Das bedeutet aber auch, dass sich der weitere Wandel der heutigen Gesellschaft
voraussichtlich eben doch als ein schrittweiser Prozess der Reformierung durch
zunehmende gesellschaftliche Beherrschung und Kontrolle der ökonomischen
Entwicklung, insbesondere des Finanzsystems, vollziehen wird. In diese Richtung gehen
ja bereits viele Bemühungen auf internationaler Ebene. Aber sie sind bisher immer noch
geprägt von der alten bürgerlichen Vorstellungswelt, die das Geld als tatsächlichen
Reichtum begreift, in erster Linie von privaten Personen und Gesellschaften in einer
Waren produzierenden Gesellschaft – wie vor 150 Jahren! Wen wundert da die
Erfolglosigkeit?
Und auch die ganze linke, sozialistische Bewegung hat sich mit ihrem theoretischen
Verständnis von der „bürgerlichen“ Ökonomie in all den langen Jahren kaum über die
seinerzeit zutreffende Kapital-Analyse von Karl Marx hinausbewegt. Daher warten viele
immer noch oder nun wieder auf eine große Aktion des Proletariats, mit der das
vermeintliche Privateigentum vergesellschaftet werden soll – nicht begreifend, dass sich
all das längst hinter dem Rücken der Gesellschaft vollzogen hat, wenn auch – im Westen nicht als proletarische Revolution, sondern im Selbstlauf als Reaktion des Bürgertums auf
den Druck der ökonomischen Verhältnisse.
Unter diesem Druck wird das konservative Bürgertum auch weiterhin in sehr kleinen
Schritten auf die objektiven Erfordernisse reagieren und seine Reproduktionsbeziehungen
reformieren. Sein Traum vom Privateigentum wird es weiterhin blind machen für die
Vergesellschaftung, die sich längst vollzogen hat - auch in den Eigentumsverhältnissen.
Um so mehr ist es die Aufgabe der LINKEN, ein neues ökonomisches Denken auf einer
neuen theoretischen Basis zu entwickeln und zum Durchbruch zu verhelfen. Dieses
Denken muss den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess als Aneignungsprozess der
Natur durch die Gesellschaft verstehen, gestalten und führen – frei aller
Wahnvorstellungen von ökonomischem Wachstum durch Kapitalverwertung. Es wäre der
entscheidende Schritt zum Sozialismus im 21. Jahrhundert.
Siehe auch: H. Hummel, Abschied vom „Marxismus“, unter:
http://heerkehummel.googlepages.com/abschiedvommarxismus;
H. Hummel, Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum, Projekte-Verlag,
Halle 2005, oder unter: http://heerkehummel.googlepages.com/finanzgesellschaft
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