Word-Document - Nachwuchsnetzwerk Stadt – Raum – Architektur

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Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit
in
der
Stadt.
Aushandlungspraktiken
urbaner
Raumwahrnehmung und -besetzung
Tagungsbericht von Stefan Brandt und Kirsten Brodersen-Rauhut
Unter dem Titel „Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit in der Stadt. Aushandlungspraktiken urbaner
Raumwahrnehmung und -besetzung“ fand das 13. Treffen des Nachwuchsnetzwerks
Stadtforschung (NWNW) am 29. und 30. Mai 2015 am Institut für Europäische Urbanistik in
Weimar statt, das Sara Alfia Greco, Ute Neumann, René Seyfarth, Ivana Sidzimovska,
Franzika Werner und Marion Wüchner-Fuchs organisierten. Bedingt durch Lokführerstreiks
musste das Treffen auf diesen Termin verlegt werden, weswegen einige ursprünglich
vorgesehene Vorträge leider entfielen. Für die Anwesenden ermöglichte die überschaubare
Runde eine intensive Diskussion der präsentierten interdisziplinären Zugänge zum Verhältnis
von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.
Die Einbindung von Förderschulen in die Stadt(gesellschaft) nahm Ulrich Hamenstädt
(Politikwissenschaft, Universität Münster) zum Auftakt in den Blick. Zur Untersuchung dieser
(potentiellen) Räume der ‚Anderen‘, stellte er mit Heterotopien, Sicherheitsdispositiven sowie
Praktiken der inklusiven Exklusion drei Michel Foucault entlehnte Konzepte als Ansätze der
Analyse des städtischen Raums zur Diskussion. Die an seinen Gedanken anschließende
Frage nach exkludierender Inklusion oder inkludierender Exklusion durchzog das Treffen als
eines der Leitmotive.
Ebenfalls an Foucault knüpfte Fabian Ziemer (Volkskunde/Kulturanthropologie, Universität
Hamburg) in seinem Beitrag zu Shopping Malls als heterotopen „Bild-Räumen“ an. Mit Blick
auf luxuriöse Shopping Malls, ging es dem Referenten um Sichtbarmachungen der
Grenzschichten des Virtuellen in fotografischen Montagen. Sein Erkenntnisinteresse richtete
sich auf die utopischen Gedanken, die durch die Raum-Atmosphären im Sinne Gernot
Böhmes realisiert werden. Ziemers methodisches Vorgehen im Zuge des Vergleichs und der
visuellen Darstellung von Raum-Ästhetiken gab Anlass zu angeregten Diskussionen.
In der folgenden Sektion fragte Kirsten Brodersen-Rauhut (Volkskunde/Kulturanthropologie,
Universität Hamburg) mit „Offenen Auges?“ nach Perspektiven auf den Hamburger Stadtteil
Lohbrügge mit Bezug zum Unsichtbaren als Phänomen bei Maurice Merleau-Ponty und dem
Übersehen nach Jürgen Hasse für die Praktiken, in denen sich das Phänomen äußert. Über
den Abgleich unterschiedlicher Perspektiven auf Lohbrügge, konnte sie in Anlehnung an Ulf
Hannerz‘ Forderung, nicht mehr nur in den Städten, sondern über diese zu forschen, zeigen,
wie Unsichtbarkeit in der Stadt eine spezifische Form von Unsichtbarkeit der Stadt darstellt.
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Die übersehenen Orte bildeten die Überleitung zu Nils Grubes (Geographie, HU Berlin)
Betrachtung der Sichtbarmachung „unattraktiver“ Orte. Mit „Schauen Sie gern mal wieder
vorbei!“
ging
es
ihm
um
touristische
Praxen
als
strategisches
Instrument
der
Raumentwicklung im Frankfurter Bahnhofsviertel und Nord-Neukölln. Auf Grundlage der
Raumtheorie Martina Löws und der Performanztheorie beschrieb er, wie die von ihm
betrachteten Quartiere durch Feste wie die Bahnhofsviertelnacht oder Stadtteilführungen zu
Alltagsorten in Szene gesetzt und aufgewertet werden und wie diese Prozesse mit der
Verdrängung von Menschen wie auch Lokalen einhergehen.
Die im Verlauf des ersten Tages aufgekommenen Diskussionen, wurden beim Gang durch
Weimar und beim gemeinsamen Abendessen im Residenzcafé und zum Teil auch noch in
der Planbar fortgeführt und vertieft.
Den zweiten Tag des Netzwerktreffens eröffnete Sebastian Kleele (Soziologie, sine-Institut
München) mit der Präsentation erster Ergebnisse des Forschungsprojekts „Graffolution Awareness and prevention solutions against graffiti vandalism in public areas and transport“.
Neben der Beschreibung der Komplexität und Heterogenität des Phänomens Graffiti
beschäftigten Kleele die Wirkung von Graffiti auf den öffentlichen Raum und die
Wahrnehmung unterschiedlicher Formen von Graffiti im Spannungsfeld von Kunst und
Vandalismus.
Anschließend thematisierte Stefan Brandt (Soziologie, Universität Rostock) das Verhältnis
von Wissen und Platzierung im Kontext von Räumen des Verborgenen in seinem Vortrag
„Ich sehe was, was du nicht siehst und das … hat einen Grund.“ Am Beispiel von TechnoPartys in der Eckkneipe, widmete er sich vor dem Hintergrund der relationalen Raumtheorie
nach Martina Löw der (Re)Produktion ungleich verteilter Wissensbestände und deren
zentraler Bedeutung für den Zugang zu den von ihm betrachteten Feiern.
Im letzten Beitrag der Sektion skizzierte Franziska Werner (Europäische Urbanistik, Bauhaus
Universität Weimar) Ausgangspunkte ihres geplanten Projekts zur Unsichtbarkeit von
Flüchtlingen in Städten. Die Basis ihrer Annäherung an das Verhältnis von Flüchtlingen,
Stadt und Gesellschaft, bildeten zwei Leerstellen, das Ausblenden von Flüchtlingen in der
affirmativen Betrachtung und die Erforschung von Migration, die gleichzeitig als konstitutiv für
Städte gesehen
wird.
Di
vielschichtigen Wechselverhältnisse von
migrantischer
Lebenswirklichkeit und städtischem Raum finden bis in die Gegenwart kaum Beachtung.
Mit Ghostscrapern – leerstehenden Wolkenkratzern – skizzierte Lucas Pohl (HumanGeographie, Goethe Universität Frankfurt) Aspekte und Hypothesen zu einem uneinsichtigen
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Forschungsgegenstand anhand von Beispielen aus Caracas und Detroit. Ihn interessierte die
spezifischen Art und Weise, wie Ghostscraper Fragen zur Möglichkeit von An- und
Abwesenheit gebauter Umwelten in Städten aufwerfen. Hierfür nahm er eine Perspektive ein,
die es ermöglicht, die Abwesenheit von etwas nicht immateriell und außerhalb des Raums,
sondern als Bedingung und somit als Teil der Raumproduktion zu denken.
Zum Abschluss des Treffens präsentierte Johanna Steindorf (Medienkunst, Bauhaus
Universität
Weimar)
angesiedelten
Zwischenergebnisse
ihres
künstlerisch-wissenschaftlichen
stärker
Projekts
auf
zu
der
sinnlichen
mobilen
Ebene
Strategien
der
Erfahrbarmachung verborgener Ereignisse. Neben der Vorstellung zentraler Merkmale, die
die künstlerische Strategie des Audio-Walks im Spannungsfeld von Soundwalks in der
Sound Ecology und Audiowalks in der Performance-Kunst auszeichnen, ließ Steindorf
nachempfinden, wie sie Audio-Walks als Methode zur künstlerischen Erkenntnisgewinnung,
etwa bei der nächtlichen Begehung eines Kölner Stadtparks, mit kürzlich nach Deutschland
immigrierten Frauen einsetzt.
Dass Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit in der Stadt auf verschiedenen Ebenen zu verstehen
ist, verdeutlichten die vielschichtigen Perspektiven der Beiträge des Treffen ebenso wie der
kürzlich von einigen der Veranstalter herausgegebene Band „Leipzig – Die neue urbane
Ordnung der unsichtbaren Stadt“1. Während es etwa Fabian Ziemer, Nils Grube und Stefan
Brandt um die Sichtbarmachung von Aushandlungspraktiken und -strategien in Bezug auf
die von ihnen jeweils thematisierten Räume ging, widmeten sich Ulrich Hamenstädt und
Franziska Werner Fragen von In- und Exklusion am Beispiel städtischer Einrichtungen, bei
denen auch diskutiert wurde, wieviel beziehungsweise welche Art von Sichtbarkeit im
Interesse der betroffenen Akteure ist. Mit sichtbaren Phänomenen im gebauten Raum und
deren Einordnung und wissenschaftlicher Bewertung beschäftigten sich Sebastian Kleele
und Lucas Pohl, während Kirsten Brodersen-Rauhut Praktiken des Übersehens und
Unsichtbarkeit von und in Stadt-Räumen untersuchte und Johanna Steindorf anhand
akustischer Experimente die Veränderung von Sehen und Wahrnehmung städtischer Räume
erforschte.
1
Eckardt, Frank / Seyfarth, René / Werner, Franziska: Leipzig. Die neue urbane Ordnung der unsichtbaren
Stadt. Münster 2015.
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