Westfälische Wilhelms-Universität Münster Institut für Politikwissenschaft Wintersemester 2004/2005 Hauptseminar: Multimedia – Märkte und Regelungsbedarf Dozent: Dr. Matthias Kurp Verfasser: Aiko Recke, Gertrudenstr. 38, 48149 Münster, Tel.: (0251) 1627969, E-Mail: [email protected] Studienfächer: Politikwissenschaft (HF), Philosophie (1. NF) und Neuere/Neueste Geschichte (2. NF) Fachsemester: 7. Matrikelnummer: 293266 Thema der Hausarbeit: E-Democracy - Bürgerpartizipation im Internet unter besonderer Berücksichtigung eines Beispiels aus der kommunalen Praxis Inhaltsverzeichnis 0. Inhaltsverzeichnis.............................................................................................................. 1 1. Einleitung........................................................................................................................... 2 2. Politische Partizipation im Internet: zur Theorie 2.1 Zwei Modelle von Öffentlichkeit: Forum und Arena………………..……………………… 3 2.2 Verschiedene Formen der Kommunikation im Internet…………………………………… 5 2.3 Zur Geschichte des Internets als Medium zur Partizipation……………………………… 7 3. Bürgerpartizipation zwischen Theorie und Praxis: das „Emder Bürgerforum“ 3.1 Idee und Vorgeschichte………………………………………………………..……….………. 8 3.2 Technische Voraussetzungen………………………………………………………………….. 10 3.3 Funktionen im politischen Prozess………………………………………………………….... 11 3.4 Probleme und Hindernisse in der Praxis………………………………………………….…. 13 4. Schlußbemerkungen, Fazit und Ausblick……….............................................................. 19 5. Literaturverzeichnis........................................................................................................... 20 6. Anlagen……………………………………………………………………………..…… 20 1 1. Einleitung Das Internet ist inzwischen als modernes Massenmedium etabliert. Die Nutzung des Netzes als Mittel zur Verbesserung der politischen Kommunikation vor dem Hintergrund der in der Politikwissenschaft so vielbeschworenen „Civil Society“ blieb in der wissenschaftlichen, aber auch in der öffentlichen Debatte jedoch stets ein Randthema. Vielfach kreisen die Diskussionen, besonders in der deutschen Forschung, um das sog. „EGovernment“, d.h. um die Einsatzmöglichkeiten der neuen Technologien in der Verwaltung, beim Abbau von Bürokratie, online durchführbare Behördengänge, effektivierte staatliche Dienstleistungen etc.1 Einen anderen Ansatz hingegen verfolgt das Konzept der „digitalen Demokratie“: hierbei geht es z.B. um die bessere Vernetzung und vergemeinschaftete Willensbildung der Bürger untereinander (Citizen-to-Citizen-Kommunikation). Daraus ergeben sich neue Formen der Bürgerbeteiligung, deren Ausmaß nicht verfassungsmäßig vorgezeichnet ist und die keine breit angelegte und kontinuierliche Teilnahme verlangen. Partizipation wird sozial kostengünstig, von zuhause aus und nach Feierabend realisierbar.2 Viel deutet darauf hin, daß dies eine (weitere) Stärkung der Zivilgesellschaft in ihrer Funktion als Schnittstelle zwischen den demokratischen Institutionen und der breiten Bevölkerung zur Folge haben wird. Politische Entscheidungen gehen danach nicht mehr aus interner Kommunikation der Spitzenakteure hervor, sondern entstehen aus einer breiten sachorientierten Diskussion. Diesem Ansatz liegt das Politikmodell von Jürgen Habermas zugrunde: in seiner Vorstellung einer „deliberativen Demokratie“ gewinnt die Politik ihre Legitimität eben gerade durch den diskursiven Charakter der Meinungs- und Willensbildung.3 In den letzten Jahren haben die neuen Technologien z.B. in Form von leistungsfähiger Software dazu geführt, daß die Möglichkeiten der Interaktion und damit auch der Partizipation im virtuellen Raum erheblich verbessert wurden. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß das Internet ein noch sehr junges, dynamisches und sich sehr rasant veränderndes Medium ist, hinkt die empirische Forschung in großen Teilen der Entwicklung hinterher.4 1 Rogg, A., Siedschlag, A. u. C. Welzel (Hg.): Digitale Demokratie. Willensbildung und Partizipation per Internet, S. 11. 2 ebenda, S. 12. 3 ebenda. 4 Donges, P. u. O. Jarren: Politische Öffentlichkeit durch Netzkommunikation?, in: Kamps, K. (Hg.): Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation, S. 85. 2 In dieser Arbeit soll deshalb anhand eines eigenen aktuellen Projektes des Autors der Zusammenhang zwischen der Theorie der Politik- und Kommunikationswissenschaften und der bürgernahen Praxis im Internet aufgezeigt werden. Dabei sollen sich die konkreten Betrachtungen aus der Praxis in erster Linie auf den kommunalen Raum beschränken. Diese auch in der Literatur oftmals vorgenommene Eingrenzung erscheint deshalb angemessen, weil in der lokalen Demokratie die Betroffenheit und die Interessiertheit der Bürger vergleichsweise günstig erscheint. Die Bürger fühlen sich dem politischen Geschehen auf dieser Ebene am ehesten verbunden und kompetenter als auf höheren Ebenen (Land, Bund, Europa). Somit gibt es eine höhere Bereitschaft zur Nutzung moderner Kommunikationstechnologien auf dieser Ebene.5 Nicht grundlos ist in der Forschung oftmals von der Kommune als „Schule“ oder „Experimentierbaustelle“ der Demokratie die Rede.6 2. Politische Partizipation im Internet: zur Theorie 2.1. Zwei Modelle von Öffentlichkeit: Forum und Arena Entsprechend dem antiken Kommunikationsraum des Marktplatzes findet in der Öffentlichkeit nicht nur der Austausch von Waren, sondern auch der von Informationen und Meinungen statt. Dies ist die Grundvoraussetzung eines Forums. Foren werden in der Literatur als „schwach institutionalisierte soziale Netzwerke und soziale Einrichtungen“ bezeichnet, „deren Funktion darin besteht, Möglichkeiten zur Aussprache zu bieten und Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zusammenzuführen“. 7 Als Vorbilder dienen dabei die antike Athener Agora oder das römische Forum Romanum als Mittelpunkte urbanen Lebens. Heutzutage bezieht sich der Forenbegriff auf kommunikative Strukturen, innerhalb derer sich Interessierte als gleichberechtigte Bürger ohne zuvor fixierte Reihenfolge der Gesprächsbeiträge oder festgelegte Inhalte austauschen, somit also ohne die damit verbundenen Differenzierungen des Ranges und der Macht.8 Als spezifische Kennzeichen eines Forums treten daher Spontaneität, Sachlichkeit, Heterogenität des Publikums, Kontinuität, ein Mindestmaß an 5 von Korff, F.: Kommunale Bürgernetze im Internet, in: Gellner, W. u. F. von Korff (Hg.): Demokratie und Internet, S. 95. 6 von Korff, F.: Kommunale Demokratie und das Internet, in: Kamps, K. (Hg.): Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation, S. 191f. 7 Jansen, D., Plake K. u. B. Schuhmacher: Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet. Politische Potenziale der Medienentwicklung, S. 28. 8 ebenda, S. 28ff. 3 Organisation, Offenheit für den Diskurs sowie eine mögliche Neuverteilung kommunikativer Rollen hervor. Die Spontaneität ist dadurch gewährleistet, daß die Akteure ohne Rücksichtnahme auf außerhalb des Forums geltende gesellschaftliche Ordnungen und damit verbundene hierarchische Warteschleifen zu Wort kommen können. Inhaltliche Sachlichkeit wird dadurch erzeugt, daß das Publikum im Forum nicht passiv ist und einem Beitrag jederzeit widersprechen kann: der immer mögliche Rollenwechsel zwischen Kommunikator und Kommunikant verhindert, daß Demagogie und Suggestion im Vordergrund stehen.9 Die Heterogenität des Publikums bedeutet, daß im System des Forums kein Platz ist für „InsiderInformationen“ oder die Relevanz von persönlichen Beziehungen zwischen den Diskutanten. Die Kommunikation selektiert nach Interesse und richtet sich nicht an einen bestimmten Personenkreis wie beispielsweise in der nachbarschaftlichen Lebenswelt. Das Strukturmerkmal der Kontinuität sorgt dafür, daß die Kommunikation sich beständig fortsetzt. Zu lange Pausen zwischen den Beiträgen der Diskutanten würden den Diskurs zerstören. Ein Mindestmaß an Organisation ist kein spezifisches Merkmal des Forums, aber es ist dennoch unabdinglich: es muß ein festgelegter Ort sein, sei er real oder virtuell, an dem man sich trifft, um zu kommunizieren, und es muß einen Minimalkonsens über die Regeln geben, nach denen man seine Beiträge gestaltet. Besonders wichtig und typisch für das Forum aber ist die Offenheit des Diskurses: die teilnehmenden Individuen oder Gruppen tauschen sich zu einem bestimmten Thema aus, doch das, was die Beteiligten letztendlich als Antwort und Reaktion auf ihre Beiträge zu hören oder lesen bekommen, ist inhaltlich nicht determiniert. Jeder Teilnehmer signalisiert prinzipiell durch seine Teilnahme, daß er „offen“ und ggf. zu einer Veränderung seiner eigenen Einstellung bereit ist. Darüberhinaus ist die Neuverteilung der kommunikativen Rollen der Akteure im Forum ein entscheidendes Strukturmerkmal: ein großes Publikum kann rasch in kleinere Aggregate zerfallen und ebenso rasch sich rekonstituieren, es definiert sich ständig neu. Nebenkommunikation (z.B. einzelner Teilnehmer eines Forums untereinander) ist nicht nur zulässig, sondern kann in schnellem Wechsel wiederum zur Hauptkommunikation werden. Meinungsführern innerhalb von Minderheiten ist es möglich, aus der Rolle des Zwischenrufers herauszutreten und selbst das Wort zu ergreifen. 9 ebenda, S. 29. 4 Das hier in der Theorie beschriebene Modell des Forums wird von der Forschung als das angemessenere System angesehen, um Partizipation via Internet zu ermöglichen. Auf die genannten Strukturmerkmale wird daher bei der Beschreibung des Beispiels aus der Praxis zurückzukommen sein. Dann wird deutlich, wie sich Theorie und Praxis zueinander verhalten. Als Gegenüberstellung und zur Verdeutlichung soll hier auch noch kurz das Modell der Arena vorgestellt werden: damit ist eine veranstaltete, auch inhaltlich vorgegebene Öffentlichkeit gemeint. Die Arena führt Menschen zu örtlich und zeitlich fixierten kommunikativen Ereignissen zusammen. Dabei ist die Rollenverteilung der Teilnehmer klar vorgegeben zwischen Akteuren und Publikum, was entsprechend klar definierte Erwartungsstrukturen zur Folge hat: aktive und passive Teilnehmer haben eine dezidierte Vorstellung von dem, was passieren wird. Nur in Ausnahmefällen ist es dem Publikum möglich, in den Ablauf des Geschehens einzugreifen. Als antike Vorbilder können hier Stadion oder Theater dienen.10 In den gegenwärtigen Debatten über die „E-Democracy“ wurde die attische Agora in mythologisierender Weise wiederentdeckt.11 Einige Forscher stellen das Konzept der neuen „EGora“ aber auch in Frage und sehen in ihr nur einen „Marktplatz der Eitelkeiten“: „Ist das Internet in der bestehenden Form nicht viel eher eine Schwatzbude, ein Forum für schwadronierende Selbstdarsteller, die – oft auch noch hinter einem Pseudonym versteckt - in grotesk retardierter Sprache ihre individuellen, zumeist belanglosen Eitelkeiten präsentieren?“.12 2.2. Verschiedene Formen der Kommunikation im Internet Das Internet als heterogenes System der Kommunikation erlaubt verschiedene grundsätzlich voneinander zu unterscheidende Formen der Kommunikation. Neben den unten zu erläuternden Formen der asynchronen Kommunikation existieren im Netz synchrone Formen des Austausches von Informationen. Darauf basieren z.B. das Internet Relay Chat-Netzwerk (IRC), Spielewelten wie die Multi-User-Dungeons (MUDs) oder das beliebte Chatprogramm ICQ. Hier haben die Benutzer die Möglichkeit ohne Zeitverzögerung auf Äußerungen zu antworten. Die synchronen Formen der Kommunikation sind aber aufgrund ihres improvisierten Charakters aller Erfahrung nach nicht besonders geeignet zur Generierung von tiefergehender politischer Partizipation (man denke an die Chatrunden mit Politikern im Anschluß an Polit-Talkshows). 10 ebenda, S. 30f. Marschall, S.: Netzöffentlichkeit – eine demokratische Alternative?, in: Gellner, W. u. F. von Korff (Hg.): Demokratie und Internet, S. 43. 12 Gellner, W.: Das Internet: Digitale agora oder Marktplatz der Eitelkeiten, in: Hunold G. W. u. K. Koziol (Hg.): EDemokratie = Ende der Demokratie?, S. 12. 11 5 Bei der asynchronen Kommunikation „one-to-one“ kommuniziert der eine Partner mit einem bestimmten anderen Partner zeitversetzt, bekanntestes Beispiel hierfür ist die E-Mail. Die asynchrone Kommunikation „one-to-many“ bzw. „many-to-one“ findet sich auf den Websites des WWW wieder: eine Einzelperson oder eine Institution oder Gruppe stellt eine Website ins Netz und eine andere Einzelperson bzw. der gesamte Kreis der WWW-Nutzer kann diese Website (zu einem späteren Zeitpunkt) an seinem PC daheim aufrufen. Auf diesem Kommunikationsmodell beruht beispielsweise auch der Internetdienst FTP (File Transfer Protocol), der zum Austausch von Dateien dient. Interessant für den Prozess der politischen Kommunikation und zur Herstellung von Öffentlichkeit im virtuellen Raum ist nun die asynchrone Kommunikation „many-to-many“, wie sie sich z.B. in Foren, Newsgroups oder Mailinglisten findet. Hier haben theoretisch alle Teilnehmer die Möglichkeit, Beiträge ins System einzustellen, und alle anderen Teilnehmer können diese Beiträge lesen bzw. beantworten. Anthony G. Wilhelm stellt in der Literatur fünf Kennzeichen von spezifisch politischen Diskussionsforen auf: „Topography“, „Topicality“, „Inclusiveness“, „Design“ und „Deliberation“. „Topography“ verweist ganz einfach auf die Existenz eines Forums bzw. die Frage nach geeigneten Anbietern. „Topicality“ behandelt die Frage nach dem Themenspektrum eines solchen Forums bzw. das Problem der Moderation, d.h. ob es einen Moderator gibt, der eventuell die Aufgabe des „agenda setting“ im Forum übernimmt. Beim Problem der „Inclusiveness“ wird danach gefragt, wer in welcher Weise am Forum teilnehmen kann. Erstens geht es bei diesem Problem um die Frage nach dem allgemeinen Zugang zum Netz als Grundvoraussetzung zur Teilnahme an politischer Partizipation im Internet, zweitens geht es um die Zugangsmöglichkeiten bzw. Beschränkungen zum Forum selbst. Der erste Punkt ist der Kernpunkt der Debatte um den „Digital Divide“, die Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die nicht am digitalen Zeitalter teilnehmen können und solchen, die über die finanziellen und intellektuellen Ressourcen verfügen, dies zu tun. Auf die zweite Frage nach dem Zugang zum Forum selbst gibt es verschiedene Zugangsmodelle als Antworten: die derzeit üblichste Form ist, daß jeder Benutzer im Forum lesen kann, jedoch nur in irgendeiner Form identifizierte bzw. registrierte Nutzer Beiträge verfassen können. Daran anschließend stellt sich die Frage, welche (persönlichen) Daten bei einer solchen Registrierung erhoben werden sollen.13 13 Kaletka, C.: Die Zukunft politischer Internetforen. Eine Delphi-Studie, S. 54. 6 Beim „Design“ geht es einerseits um das visuelle Erscheinungsbild und die graphische Gestaltung eines Forums im Netz, andererseits z.B. um eine schlüssige interne Verlinkung zwischen den Rubriken etc. Letztendlich und als eines der wichtigsten Kennzeichen politischer Diskussionsforen im Internet idenfizierbar ist die „Deliberation“. Sie bezeichnet eigentlich den zivilgesellschaftlichen Grundgedanken, die der Partizipation im Internet zugrunde liegt. Dabei gibt es intern einen Zwang zu Kontinuität, d.h. zu permanenter Kommunikation, extern existiert das strategische Problem der Anknüpfungsfähigkeit an den politischen Prozess. Organisationen und Institutionen die in erster Linie Kommunikation als Basis haben, sind sehr anfällig für Störungen oder gar die Zerstörung der Organisation/Institution. Um das Interesse der Teilnehmer stetig aufrechtzuerhalten, muß auf regelmäßiger Basis kommuniziert werden. Dabei muß man sicher differenzieren, welche Foren mit welcher Themen- und Organisationsstruktur entsprechend lange „Kommunikationspausen“ aushalten. Ist in einem Forum dann endlich im Diskussionsprozeß eine Meinung synthetisiert worden, so folgt das nächste Problem: einen realen politischen Einfluss auf Entscheidungen kann ein Forum nur dann haben, wenn es in irgendeiner Form an den politischen Prozess gekoppelt ist. Um elektronische Gemeinschaften tatsächlich zu Akteuren werden zu lassen, braucht es in der Regel soziale, nicht nur virtuelle Handlungs- und Kommunikationsnetzwerke, die in der realen Lebenswelt verankert sind. 2.3. Zur Geschichte des Internets als Medium zur Partizipation Unter Partizipation sind die freiwilligen Handlungen zu verstehen, die Bürger unternehmen, um gezielt politische Sach- und Personalentscheidungen zu beeinflussen oder unmittelbar an solchen Entscheidungen mitzuwirken.14 Bereits 1932 forderte Bertolt Brecht, damals bezogen auf den Rundfunk, man müsse dieses neue Medium von einem „Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat verwandeln“.15 Um diese Möglichkeiten auch im Internet zu verwirklichen, musste und muss das Medium sich zu einem Medium der Partizipation entwickeln. Denn grundsätzlich besteht eine Korrespondenzbeziehung zwischen technischer und sozialer Vernetzung in Computernetzen.16 Seit ungefähr 1995 hat sich das World Wide Web mit seiner benutzerfreundlichen graphischen Oberfläche als die „killer application“ herausgestellt, die das Internet erst zum Massenmedium 14 Rogg, A., Siedschlag, A. u. C. Welzel (Hg.): Digitale Demokratie. Willensbildung und Partizipation per Internet, S.10. 15 Tauss, J.: Politik und neue Medien, in: Grünwald, A., Hanßmann, A. u. B. Holznagel: Elektronische Demokratie. Bürgerbeteiligung per Internet zwischen Wissenschaft und Praxis, S. 115. 16 Leib, V.: Wissenschaftsnetze und Bürgernetze. Vom selbstgesteuerten Internet zur elektronischen Demokratie?, in: Gellner, W. u. F. von Korff (Hg.): Demokratie und Internet, S. 82f. 7 machte. Die Hypertext-Struktur des WWW, die die Millionen von Websites erst in einen Zusammenhang bringt und miteinander „verlinkt“ hat sich zum Paradigma der „network culture“ entwickelt.17 Dabei ist das World Wide Web ursprünglich nicht unbedingt der Teil des Internets, der politische Kommunikation am meisten begünstigt. Am ehesten einer demokratischen Diskussionskultur entsprechen das Usenet (sog. „Newsgroups“) und die sog. Mailinglisten. Während in den Newsgroups der Teilnehmerkreis theoretisch unbegrenzt ist, tauschen sich in den Mailinglisten meist Experten zu einem vorher genau eingegrenzten Thema aus. Erst gegen Ende der 1990er Jahre setzten sich Forensysteme im World Wide Web durch, die aufgrund ihrer benutzerfreundlichen Bedienung mit den Newsgroups konkurrieren konnten.18 Im Bundestagswahlkampf 1998 nutzten die Parteien erstmals intensiv das World Wide Web, um Wahlwerbung zu machen. Ein wichtiger Bestandteil der meisten Partei-Homepages waren dabei auch die entsprechenden Diskussionsforen.19 3. Bürgerpartizipation zwischen Theorie und Praxis: das „Emder Bürgerforum“ 3.1. Idee und Vorgeschichte Mehrere Jahre lang, beginnend bereits in der „Pionierzeit“ des World Wide Web Mitte der 1990er Jahre hat der Autor die Entwicklung der „Internetszene“ seiner Heimatstadt Emden (Mittelzentrum in Ostfriesland, kreisfreie Stadt, ca. 52.000 Einwohner, industriell geprägt durch Schiff- und Autobau) beobachtet. Dabei fiel auf, daß es zwar vereinzelte Initiativen für interaktive Kommunikationsplattformen gab, diese sich jedoch aufgrund ihrer mangelnden Professionalität nicht durchsetzen konnten. So existierte z.B. lange Zeit unter der einprägsamen Adresse www.emden-online.de eine Art Magazin mit Neuigkeiten aus dem kommunalen Umfeld, das von einer Gruppe von Mitarbeitern betreut wurde. Ähnliche Ambitionen hegten die Macher der Seite www.emden.net, die erstmalig zahlreiche interaktive Elemente zur Struktur der Website hinzufügten, u.a. auch ein Diskussionsforum. Aufgrund der mangelnden Qualität in Design und Inhalt konnte sich diese Plattform bei den Nutzern jedoch nicht durchsetzen und wurde sowohl von den Benutzern als auch den Machern selbst zunehmend vernachlässigt. Auch die offizielle Internet-Präsentation der Stadt Emden konnte wie die der meisten anderen Kommunen in Deutschland im Bereich der Interaktion und Partizipationsmöglichkeiten keine 17 Egloff, D.: Digitale Demokratie: Mythos oder Realität? Auf den Spuren der demokratischen Aspekte des Internets und der Computerkultur, S. 113ff. 18 Rogg, A.: Demokratie und Internet. Der Einfluss von computervermittelter Kommunikation auf Macht, Repräsentation, Legitimation und Öffentlichkeit, S. 45. 19 ebenda, S. 99ff. 8 Maßstäbe setzen: es handelt sich bei der Website www.emden.de im Prinzip nur um eine elektronische Ausgabe einer Informationsbroschüre mit Telephonnummern, Terminen und Eigenwerbung.20 Lediglich ein sog. „Gästebuch“ bietet den Besuchern der Seite die Möglichkeit, eine kurze Notiz zu hinterlassen. Weshalb diese thematisch ungeordnete Form der politischen Diskussion im Internet ungeeignet ist, darauf wird später noch ausführlich zurückzukommen sein. E-Mail-Anfragen des Autors an die zuständigen Stellen bei der Stadtverwaltung mit dem Vorschlag, von seiten der Stadt ein technisch ausgereiftes Diskussionsforum einzurichten, wurden mit dem Hinweis beantwortet, daß man die Idee zwar interessant fände, es aber an Personal zur Kontrolle der dortigen Diskussionen fehle. Trotz dieser anfänglichen negativen Erfahrungen war der Autor der Ansicht, daß eine professioneller geführte Plattform ein beträchtliches Potential zur Verbesserung der (politischen) Kommunikation in der Kommune besitzen würde. Die Größe der Seehafenstadt Emden erscheint dem Autor ideal zur Verwirklichung einer virtuellen lokalen „Community“. Großstädte, also Kommunen mit über 100.000 Einwohnern, bieten ein zu breites Spektrum an möglichen Themen und eine zu große Zahl potentieller Nutzer. Dann entfaltet das Prinzip der „rationalen Ignoranz“ seine Wirkung: wenn meine Stimme in Millionen anderer untergeht, so verliere ich möglicherweise die Einsicht in die Bedeutung einer jeden einzelnen Stimme.21 Dieses Phänomen stellt sich in der Praxis beispielsweise bei bundesweiten Plattformen wie www.politikforum.de dar, wo mehrere Tausend Mitglieder in den Foren registriert sind und der Überblick sehr schnell verloren geht. Darüberhinaus ist die Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer „Community“, in der die Mitglieder sich gegenseitig kennen(lernen) weitaus geringer. Anfangs durchweg positiv bewertete Ansätze von breiter angelegten „Bürgernetzen“ (z.B. dem „publikom“ in Münster) sind in die Jahre gekommen und verzeichnen nicht mehr den Zuspruch der Pionierzeit. Der Autor strebt mit seinem Emder Bürgerforum eine Benutzeranzahl von ca. 500 Teilnehmern innerhalb des ersten Jahres an. Eine optimistische Annahme, doch „mutige Experimente, die offen über die Grenzen von den Disziplinen Technik, Kommunikation und Politik hinweg konzipiert werden, sind zu empfehlen“.22 Am 11. Oktober 2004 ging das Emder Bürgerforum online. 20 vgl. von Korff, F.: Kommunale Demokratie und das Internet, in: Kamps, K. (Hg.): Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation, S. 197. 21 Wesselmann, C.: Internet und Partizipation in Kommunen. Strategien des optimalen Kommunikations-Mix, S. 226. 22 ebenda, S. 235. 9 3.2. Technische Voraussetzungen Die Technik von für komplexe Diskussionen geeignete Internetforen hat sich in den letzten Jahren verhältnismäßig langsam, aber dennoch kontinuierlich fortentwickelt. Dominierten zu Beginn des Internetzeitalters die sog. „Gästebücher“, in denen gänzlich anonym kurze Nachrichten gepostet werden können, die aber untereinander nicht in Bezug gesetzt werden, so setzte sich nach und nach ab ungefähr Ende der 1990er Jahre zunehmend leistungsfähigere Forensoftware durch. Kostenpflichtige Angebote wie vBulletin, vor allem aber kostenfreie Systeme wie (zu Beginn) Parsimony, YaBB („Yet another Bulletin Board“) oder phpBB erreichten schnell eine hohe Verbreitung im World Wide Web. Haben Expertendiskussionen früher fast ausschließlich im Usenet und seinen Newsgroups stattgefunden, so hat sich ein großer Teil der Foren- und Diskussionskultur im Netz in das weitaus populärere WWW verlagert und sich somit einer breiteren potentiellen Nutzergruppe geöffnet. Der Autor wählte für sein Projekt die Software phpBB, da sie am weitesten verbreitet und verhältnismäßig einfach zu administrieren ist. Die Software bietet zahlreiche Möglichkeiten, was die individuelle Einstellung des Forums angeht. So kann das Design (Farben, Aufmachung, Logos) mit entsprechendem graphischen Talent selbst gestaltet werden und können die einzelnen Rubriken und die dazugehörigen Beschreibungen des Forums in Sekundenschnelle geändert werden. Unerwünschte Themen und Beiträge können vom dazu berechtigten Moderator beliebig editiert oder gelöscht werden. In dreizehn thematischen Rubriken sowie einer „Meta-Rubrik“ (dort kann über das Forum selbst diskutiert werden, z.B. können technische Fragen gestellt werden) kann diskutiert werden. Innerhalb einer jeden Rubrik gibt es dann einzelne Themen, die von den Mitgliedern selbst bestimmt werden. Eröffnet ein Mitglied ein Thema (sog. „Thread“), so werden alle Antworten auf dieses Thema im selben Fenster angezeigt. Die einzelnen Beiträge können über den reinen Text hinaus gestaltet werden: Bilder und Photos zur Illustration können in den Text eingeschoben werden und Links auf andere Webseiten lassen sich problemlos anbringen. Darüberhinaus werden seit langer Zeit in der Netzkommunikation z.B. sog. „Emoticons“ benutzt, denen hier graphische Smiley etc. entsprechen. Über diese „serienmäßig“ in der Forensoftware vorgesehenen Funktionen hinaus werden für die politische Kommunikation im eigentlichen Sinne jedoch keine Elemente gebraucht, die nur der Effekthascherei dienten. Wichtig für die politische Kommunikation ist, daß das oben beschriebene Prinzip der Themenstränge eine große Übersichtlichkeit und eine klare Abgrenzung der Themen untereinander gewährt. 10 Eine weitere für die politische Kommunikation hochinteressante Funktion ist die in den meisten modernen Forensystemen eingebaute Möglicheit, sog. „Polls“ zu starten. Es handelt sich dabei um Abstimmungen, an denen alle registrierten Mitglieder teilnehmen können. So könnte man z.B. auf kommunaler Ebene fragen, wen die Mitglieder des Forums aus einer Reihe von möglichen Kandidaten als kommenden Bürgermeister bevorzugen. Die Ergebnisse der Abstimmung werden dann für alle sichtbar in einer graphischen Statistik angezeigt. Manipuliert werden kann bei einer solchen Abstimmung kaum, denn jedes registrierte Mitglied darf nur einmal abstimmen. Das Recht zum Starten einer Abstimmung besitzen je nach gewählter Einstellung alle registrierten Mitglieder oder nur die Moderatoren. Ebenfalls lassen sich die grundsätzlichen Zugriffsmöglichkeiten auf das Forum in vielfacher Weise beschränken: so hielt es der Autor für angebracht, grundsätzlich allen Nutzern des World Wide Web die Möglichkeit zum Lesen im Forum zu erlauben. Schreibrechte dagegen haben nur solche „User“, die sich einer kurzen Anmeldeprozedur unterziehen und sich so mit einem eindeutigen Pseudonym identifizieren. So lässt sich jeder einzelne Beitrag im Forum einem bestimmten Benutzer zuordnen. Dadurch wird gewährleistet, daß der Schreiber für seinen Beitrag in dem Sinne die Verantwortung übernimmt, als daß er ihn unter seinem eindeutig festgelegten Namen eingetragen hat. Diese vermeintliche Hürde hat andererseits den Nachteil, daß einige potentielle Benutzer nicht die Zeit investieren wollen oder nicht das (relativ geringe) technische Know-How besitzen, die einmalige Anmeldeprozedur zu bewältigen. Die hardware-technische Plattform wird indes nicht vom Autor selbst bereitgestellt, sondern von einer ansässigen EDV-Hardware- und Service-Firma, die nach einer kurzen Sondierungsphase Interesse am vom Autor vorgestellten Konzept eines Bürgerforums zeigte und ihre Technik sodann kostenfrei und ohne Zwang zur Platzierung eines Werbebanners o.ä. zur Verfügung stellte.23 3.3. Funktionen im politischen Prozeß Der Cyberspace soll zu einem demokratischen Marktplatz werden. Dies eröffnet die Möglichkeiten zu einer verbesserten Entscheidungsvorbereitung und –legitimation durch direkte digitale Kommunikation nicht nur zwischen Regierung bzw. Amtsträgern und dem Volk, sondern auch zwischen den Bürgern. Virtuelle Communities wie das Emder Bürgerforum können eine Machtverschiebung von den professionell organisierten Akteuren hin zu den bislang 23 dies ist bemerkenswert, da die Anmietung eines php- und datenbankfähigen Servers, der die Voraussetzungen für die Bereitstellung eines solchen Forums bietet, sonst monatliche Kosten von ca. 15-20 EUR verursachen würde. Weitere technische Details sind aber für diese politikwissenschaftliche Untersuchung nicht relevant. 11 lose organisierten ehrenamtlichen Akteuren der Zivilgesellschaft bewirken.24 Das Internet fördert demzufolge die Entstehung von engagierten Bürgergemeinschaften und trägt dazu bei, daß politische und gesellschaftliche Probleme näher an ihrem Entstehungsort bearbeitet und gelöst werden können. Im Idealfall gelänge mit einer massiven politischen Partizipation auf kommunaler Ebene, einer Cyberdemokratie im lokalen Maßstab, die Transformation von einer repräsentativen zu einer direkten Basisdemokratie, also der Regierung der Bürger durch die Bürger.25 Befürworter solcher „Community Networks“, über die in den USA und Großbritannien schon seit viel längerer Zeit gesprochen wird, weisen darauf hin, daß durch politische Internetnutzung auf der kommunalen Ebene ganz neue, zukunftsweisende Formen demokratischer Aktivität erfunden werden.26 Aber auch abgesehen von diesen teilweise idealisierten Vorstellungen bietet die neue Technologie erstmals die Möglichkeit, daß jeder Nutzer an der Erzeugung von politischer Information und Kommunikation teilnehmen kann. Dem zugrunde liegt die Annahme, daß via Internet eine quantitativ höhere und qualitativ bessere Teilnahme einzelner Individuen an politischen Willens- und Entscheidungsfindungsprozessen möglich ist. Eigene Informationsproduktion bedeutet die Pluralisierung des Angebots und erfüllt damit auch eine Artikulationsfunktion. Ebenso können Partizipationsplattformen im Internet eine Kontroll- und Kritikfunktion wahrnehmen: aufgrund ihrer nichthierarchischen, dezentralen Organisation können sie so z.B. den ausführlich im Seminar thematisierten Medienkonzentrationsprozessen entgegenwirken. Damit einher geht das Potential einer Netzöffentlichkeit, punktuell kommunikative Prozesse zu verdichten und Thematisierungsprozesse jenseits des massenmedialen Agenda-Setting zu fördern. Dies eröffnet auch die Möglichkeit zur Entstehung einer „Gegenöffentlichkeit“. Diese theoretischen Voraussagen lassen sich ganz beispielhaft auch in der Praxis bestätigen: so wurde z.B. von einem Nutzer des Emder Bürgerforums ein Thema „Emden fördert Waffenhandel“ eröffnet, da im Emder Außenhafen verstärkt Militärgut umgeschlagen werden sollte. Solche oder ähnliche Themen wären in der etablierten Lokalpresse ein Tabu, weil in einer Industrie- und Arbeiterstadt wie Emden zahlreiche Arbeitsplätze von der Hafenwirtschaft 24 Wesselmann, C.: Internet und Partizipation in Kommunen. Strategien des optimalen Kommunikations-Mix, S. 226. 25 Rogg, A., Siedschlag, A. u. C. Welzel (Hg.): Digitale Demokratie. Willensbildung und Partizipation per Internet, S. 13. 26 ebenda, S. 23. 12 abhängen. Unabhängig von der inhaltlichen Richtigkeit oder Qualität des Einzelbeitrages, zeigt dieses Beispiel deutlich die Möglichkeiten eines alternativen Agenda-Settings auf.27 Christoph Kaletka ist in seiner breit angelegten Studie zur Zukunft politischer Internetforen außerdem zu der Ansicht gelangt, daß sich mittelfristig politische Akteure der Diskussionsforen bewusst bedienen, weil sie nicht den einzelnen Teilnehmern, wohl aber dem Forum als Ganzem eine gewisse Expertise beimessen. In den tatsächlichen politischen Entscheidungen könnten Themenvorschläge und Handlungsempfehlungen eines solchen „virtuellen Experten“ dann Berücksichtigung finden.28 3.4. Probleme und Hindernisse in der Praxis Vielfach werden in der Theorie die Probleme von Partizipation im Internet, besonders auf kommunaler Ebene, beschrieben. Denn bei der Kommune handelt es sich eben nicht etwa um ein Partizipations- und Kommunikationsidyll, für das sie oft gehalten wird. Die etablierten Akteure der lokalen Öffentlichkeit können die Partizipationspotentiale auch hemmen. Oftmals existieren Verkrustungen der inneren Machtgefüge, Undurchlässigkeit für und Desinteresse gegenüber neuen oder unangenehmen Themen. Die Verquickungen des Führungspersonals der kommunalen Eliten mit den Entscheidungsträgern können ebenfalls zu Barrieren gegen Partizipation werden. In der lokalen politischen Praxis gibt es daher oftmals einen zumeist informellen regelmäßigen Kontakt und Meinungsaustausch der Eliten, in dem wichtige Entscheidungen schon vor der Phase des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses herausgebildet werden. Solche „Vorentscheiderkreise“ finden nicht in der Öffentlichkeit, sondern unter Ausschluß eines Großteils der Bürger der Kommune statt.29 Eine wichtige Rolle kommt in den Kommunen auch den örtlichen Medien zu. Die Akteure in der lokalen Öffentlichkeit sind, direkte Kommunikation zwischen den Bürgern einmal beiseite gelassen, in der Mehrzahl der Fälle auf die lokalen Medien als Publizisten ihrer Vorstellungen und Interessen angewiesen. Die Qualität der medialen Infrastruktur und die Qualität von Partizipationsmöglichkeiten, Interessenorganisation usw. hängen also eng zusammen. Das Problem ist, daß in den lokalen Medien in vielen Fällen Strukturen vorherrschen, die große Bevölkerungsteile kommunikativ benachteiligen. Oftmals erscheinen bestimmte Artikel in der lokalen Presse wie offizielle Verlautbarungen der etablierten und organisierten Akteure der 27 siehe: http://www.emderforum.de/phpBB2/viewtopic.php?t=101 Kaletka, C.: Die Zukunft politischer Internetforen. Eine Delphi-Studie, S. 218f. 29 von Korff, F.: Kommunale Demokratie und das Internet, in: Kamps, K. (Hg.): Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation, S. 193. 28 13 Kommune. Bei der Inhaltsanalyse fällt dann oft auf, daß die Berichterstattung in viele Fällen oberflächlich und konfliktscheu stattfindet. Die gesellschaftliche Verknüpfung lokaler Entscheidungsträger und Journalisten bzw. Verleger kann sich ebenfalls negativ auf die Themenauswahl und Berichterstattung der lokalen Presse auswirken. Die Eliten stellen die leitenden Persönlichkeiten in den örtlichen Organisationen und Institutionen und verfügen über die Kenntnisse, die sie bei den Medien zu bevorzugten Informationslieferanten machen. Das „Jedermannsrecht“ des freien Zutritts zur Öffentlichkeit wird so an die publizistischen Sachwalter öffentlichen Interesses abgegeben.30 Die so in der Theorie gemachten Vorhersagen über das Verhalten der etablierten lokalen Eliten finden nun in der Realität der Praxis ihre Entsprechung: auf eine E-Mail des Autors an die Stadtverwaltung bzw. die Administratoren der offiziellen Homepage der Stadt, in der der Vorschlag einer Kooperation bzw. einer „Verlinkung“ gemacht wurde, antwortete der Pressesprecher der Stadt stark ablehnend. Man wolle sich von seiten der Stadt vorbehalten, ein eigenes Internetforum anzubieten, deshalb dürfe es keinen Hinweis auf eine Zusammenarbeit o.ä. geben, im übrigen sei die Verwendung des Logos der Stadtverwaltung und des Emder Stadtwappens dem Autor aus copyright-rechtlichen Gründen verboten. Man könne jedoch einen Link zum Emder Bürgerforum in einer auf der Website der Stadt existierenden Rubrik namens „Interessante Seiten“ setzen. Dies geschah dann auch, allerdings nur nach erneuter Erinnerung des Autors. Anhand der nur für den Autor einsehbaren Zugriffsstatistiken des Forums hat sich herausgestellt, daß nur wenige den Weg ins Forum über diesen schwer zugänglichen Verweis finden. Schwieriger gestaltete sich die Kontaktaufnahme mit den lokalen Medien. Dabei läßt sich zunächst einmal feststellen, wie wenig sich die E-Mail offenbar als Medium tatsächlich durchgesetzt hat. Auf mehrfache E-Mails des Autors an beide großen Lokalzeitungen („Emder Zeitung“ und „Ostfriesen Zeitung“) sowie an das Bürgerradio („Radio Ostfriesland“) wurde schlichtweg gar nicht reagiert. Bei den Zeitungen klappt es schließlich mit einem altmodischen, förmlichen Papierbrief. Dabei gab es besonders mit der kleineren, auf die Stadt Emden beschränkten „Emder Zeitung“ (Auflage ca. 12.000 Exemplare, Marktanteil in Emden 70%31) große Probleme. Der Versuch eine private Kleinanzeige zu schalten, um für das Projekt zu werben, scheiterte: den AGB zufolge dürften Webadressen nicht in privaten, sondern nur in geschäftlichen Kleinanzeigen Erwähnung finden. Dazu, eine teure gewerbliche Anzeige zu schalten, war der Autor jedoch nicht bereit, so daß er sich nochmals mit Nachdruck schriftlich an 30 Jansen, D., Plake K. u. B. Schuhmacher: Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet. Politische Potenziale der Medienentwicklung, S. 23. 31 Zahlenangaben siehe: http://www.emderzeitung.de/markt/download/preisliste_2005.pdf 14 den Chefredakteur der Zeitung wandte und schließlich einen persönlichen Gesprächstermin erwirkte, bei dem sogar der Herausgeber der Zeitung zugegen war. In diesem Gespräch zeigte sich exemplarisch die große Unsicherheit der etablierten Medien gegenüber neuen Ideen. Unwissenheit, Angst vor der Technik und neuer Konkurrenz im lokalen Raum traten deutlich hervor. Interessanterweise veränderte sich jedoch im Laufe des Gespräches die ablehnende Haltung des Herausgebers der Zeitung, so daß dieser letztendlich sogar den Vorschlag einer Kooperation seiner Zeitung mit dem Autor machte. Um darüber eine Entscheidung zu treffen, erbat sich der Autor Bedenkzeit, denn dies wiederum stellt das Konzept des Emder Bürgerforums in Frage, schließlich sollte es eine von den etablierten politischen und publizistischen Akteuren unabhängige und darüberhinaus nicht mit kommerziellen Interessen verbundene Plattform darstellen. Bis zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Arbeit gab es jedoch keinen weiteren Kontakt mit der besagten Zeitung. Bei der anderen großen Lokalzeitung in Emden, der „Ostfriesen Zeitung“ (Auflage der Emder Ausgabe: ca. 10.000 Exemplare, Auflage der Gesamtausgabe für Ostfriesland: 40.000)32, fand der Autor auf unproblematische Weise Aufmerksamkeit. Hier ergab sich schnell ein Termin mit einem Mitarbeiter der Zeitung, und wenige Tage darauf erschien ein etwa viertelseitiger Bericht über das neue Bürgerforum in der Gesamtausgabe, wobei sich sogar in der Titelleiste auf der Titelseite der Zeitung ein Hinweis fand: „Student stellt Bürgerforum ins Netz“.33 Weitere Werbemaßnahmen werden vom Autor angestrebt: so hat er über das Forum selbst dazu aufgerufen, einen repräsentativen, graphisch anspruchsvollen Flyer zu entwerfen, der dann 5000fach in Druck gehen wird und in Geschäften, Cafés und Imbißbuden verteilt werden soll. Bisher sind sieben verschiedene Entwürfe eingegangen, über die noch entschieden wird. Ein anderes, für das Medium typisches Mittel der Werbung ist das sog. „Guestbook-Hopping“: man trägt sich mit einem kurzen Werbehinweis in die Gästebücher anderer möglichst gut frequentierter Websites ein und hofft, daß zahlreiche Nutzer diese Querverweise wahrnehmen. In den technisch ausgereiften Statistiken des Forums läßt sich dann auch exakt zurückverfolgen, von welcher anderen Website die Besucher ins Forum gelangt sind. Aktive Mitgliederakquisition muß als wichtige Bedingung für den Erfolg einer virtuellen Community angesehen werden: einen großen Teil seiner Ressourcen wird der Betreiber daher darauf konzentrieren, neue Mitglieder zu gewinnen und zur Teilnahme zu motivieren.34 Zum Abgabetermin dieser Arbeit waren im Emder Bürgerforum 90 Mitglieder registriert, die knapp 32 Zahlenangaben siehe: http://www.ostfriesen-zeitung.de/send.php?filename=preisliste05.pdf siehe dazu Anlage 1: „Ostfriesen Zeitung“, 60. Jahrgang, Nr. 70, vom 24.03.2005, S. 1 u. S. 15 vom 24.03.2005 34 Wesselmann, C.: Internet und Partizipation in Kommunen. Strategien des optimalen Kommunikations-Mix, S. 229. 33 15 über 930 Beiträge in ca. 250 Themen verfasst haben (d.h. auf jedes Thema wurde im Schnitt fast vier Mal geantwortet). Mit fast sechs Beiträgen pro Tag ist das oben angedeutete KritischeMasse-Problem im Emder Bürgerforum noch nicht überwunden. Zusätzlich versucht der Autor selbst als Politik-„Experte“ mit eigenen Anstößen sowie forcierter Themengenerierung für die nötige Anschubwirkung zu sorgen, so stammen fast 20% der Beiträge im Forum bislang vom Erfinder des Forums selbst. Allerdings kann positiv vermerkt werden, daß von den 90 registrierten Mitgliedern 67 auch tatsächlich einen Beitrag verfasst haben. Von diesen 67 aktiven „Postern“ haben jedoch nur ca. 20 mehr als zehn Beiträge verfasst. Im auch heute noch aktiven Usenet heißen solche Benutzer „Regular“, die sich nicht nur punktuell und temporär, sondern regelmäßig und kontinuierlich an den Diskussionen beteiligen.35 Im Hinblick auf das Problem der Anonymität ist interessant, daß knapp über 20 Mitglieder ihren realen Vornamen oder Teile und/oder Variationen ihres realen Vornamens benutzt haben. Davon haben vier Mitglieder auch ihren realen Nachnamen angegeben.36 Die Hemmschwelle, mit seinem eigenen realen Vorund/oder Familiennamen die Verantwortung für seine Beiträge zu übernehmen, scheint also nach wie vor hoch zu sein. Um das Forum überhaupt für eine breite Masse der Stadtbevölkerung attraktiv zu machen, hat sich der Autor entschieden, ein sehr breites Themenspektrum zu eröffnen.37 Die Strategie dabei ist, daß über Rubriken wie „Kunst, Kultur, Film & Musik“ oder „Feiern & Nachtleben“ auch diejenigen angesprochen werden, die sonst kein Interesse an der Diskussion über Lokalpolitik zeigen. Es besteht hier zumindest die Möglichkeit, daß auch sie, sei es aus Neugier, in die „Königsrubrik“ „Politik, Gesellschaft & Stadtentwicklung“ hineinfinden.38 Aufgrund einer für alle (auch für nicht-registrierte „Lurker“, also passive Nutzer, die lediglich mitlesen) einsehbaren Statistik zeigt sich, welche Rubriken die beliebtesten sind: mit über 265 Beiträgen liegt die Rubrik „Politik, Gesellschaft und Stadtentwicklung“ deutlich vorne, gefolgt von der Rubrik „Feiern & Nachtleben“ mit knapp über 190 Beiträgen sowie „Kunst, Kultur, Film & Musik“ mit ca. 130 Beiträgen. In allen anderen Rubriken herrscht eine eher geringe „Postingfrequenz“. Ebenfalls von Interesse wäre die Frage, wer und wieviele Bürger denn im Forum mitlesen, ohne sich als Mitglieder zu registrieren. So ist es durchaus vorstellbar, daß zahlreiche Akteure der etablierten Eliten regelmäßig im Forum mitlesen, sich aber nicht zu erkennen geben bzw. aktiv 35 siehe z.B. http://www.usenet-abc.de/p-t.htm natürlich kann nicht zweifelsfrei überprüft werden, ob es sich tatsächlich um die realen (Vor-)Namen der betreffenden Nutzer handelt, jedoch ist dies in den meisten Fällen relativ wahrscheinlich 37 vgl. Westholm, H.: Praxis von e-Democracy auf kommunaler Ebene – zur Anschlussfähigkeit eines neuen Mediums, in: Rogg, A.: (Hg.): Wie das Internet die Politik verändert. Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen, S. 23. 38 zur Foren- und Themenstruktur siehe Anlage 2: Ausdruck der Startseite von www.emderforum.de 36 16 teilnehmen wollen. Die Frage nach dem „Wer“ wird also leider unbeantwortet bleiben. Über die Quantität der Abrufe kann die Statistik jedoch in Maßen verlässliche Auskunft geben: einige Hundert mal pro Tag wird das Emder Bürgerforum aufgerufen. Abgesehen von den Restriktionen im kommunalen Kommunikationsprozeß bzw. bei den Werbemaßnahmen für das Forum gibt es weitere Probleme im Umgang mit einer derartigen neuen Form von politischer Kommunikation. Einer der Hauptdiskussionspunkte ist wie oben schon angedeutet immer wieder die Frage der Anonymität. Einerseits animiert die Anonymität den einzelnen Nutzer zu einem freieren Schreiben, bestenfalls zu direkter und unverklausulierter konstruktiver Meinungsäußerung. Andererseits können große Probleme entstehen, denn gerade im Zusammenhang mit einer veröffentlichten Meinung gibt es beispielsweise das Recht auf Unterlassung und Gegendarstellung und Menschen können für ihre Äußerungen belangt werden, wie im Fall der Verleumdung oder der massiven Verbreitung von unüberprüfbaren Gerüchten.39 Auch solche Fälle konnte der Autor in anderen Foren in der Vergangenheit schon beobachten. Müssten die Mitglieder hingegen ihren vollen realen Namen mit Adresse etc. angeben, bliebe die Mitgliederanzahl wohl so gering, daß das ganze Projekt als gescheitert angesehen werden müsste. Dies hat sich in zahlreichen Projekten in der Vergangenheit gezeigt. Ein weiteres Problem ist das der Moderation (z.B. das Löschen von Beiträgen, die gegen die Regeln verstoßen, dazu können beispielsweise rassistische oder pornographische Einträge gehören): sie ist zeitintensiv und setzt ein großes Fachwissen, Seriösität und weitgehende Neutralität voraus. Diese Aufgaben können bei einem entsprechend stark frequentierten Forum nicht mehr von einer einzigen Person wahrgenommen werden. Einen Ausweg bietet das Konzept der sog. „Bürgermoderation“, indem sich idealerweise besonders engagierte, kompetente und vertrauenswürdige Mitglieder hervortun, die dann diese Aufgaben mit übernehmen können.40 Technisch ist dies in der beim Emder Bürgerforum benutzten Software kein Problem, sondern sogar quasi „serienmäßig“ vorgesehen, so daß es auch für technisch wenig versierte Nutzer möglich ist, Moderationsaufgaben zu übernehmen. Teilweise muß sicher zugestanden werden, daß die Vertraulichkeit, Authentizität und Manipulationssicherheit der Online-Kommunikation noch nicht in allen Fällen in dem Maße gegeben ist, wie es für die digitale Deliberation im Sinne von Habermas, die eine Verantwortungsübernahme für den eigenen Standpunkt erfordert, notwendig ist. 39 Rogg, A., Siedschlag, A. u. C. Welzel (Hg.): Digitale Demokratie. Willensbildung und Partizipation per Internet, S. 65. 40 vgl. Westholm, H.: Praxis von e-Democracy auf kommunaler Ebene – zur Anschlussfähigkeit eines neuen Mediums, in: Rogg, A.: (Hg.): Wie das Internet die Politik verändert. Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen, S. 23f. 17 Auf einer allgemeineren Ebene muß außerdem kritisch angemerkt werden, daß auch das Internet mit all seinem partizipatorischen Potential als einseitiges „pull-Medium“ (dies bedeutet ein passives Versorgt-werden mit Informationen im Gegensatz zum „push“-Prinzip, bei dem sich aktiv Informationen besorgt werden41) genutzt werden kann, als elektronische Quasi-Zeitung, in der man Informationen abruft, die andernorts erzeugt werden (z.B. in den publizistischen Unternehmen, die auch bisher die Öffentlichkeit dominieren). Es läßt sich zunehmend eine Dominanz der one-to-many-Anwendungen feststellen: mehr und mehr Angebote im Web folgen den aus Presse und Fernsehen altbekannten Prinzipien der Massenkommunikation. Vielleicht, so meinen einige, ist das Bild des politisch aktiven Bürgers, das den hohen Erwartungen zugrunde liegt, zu optimistisch gedacht. Dabei wird in den entsprechenden inputorientierten Demokratietheorien davon ausgegangen, daß die Bürger bislang ihre Diskurs- und Partizipationswünsche nicht ausreichend verwirklichen konnten. Dagegen besagen andere Theorien, daß sich aller Erfahrung nach die meisten Bürger am Output der Demokratie orientieren. Die sog. „Mobilisierungsthese“, die besagt, daß das Netz zu neuen Formen basisdemokratischen politischen Aktivismus motiviert und das soziale Kapital eines jeden einzelnen vermehrt, ist umstritten. Ihre Kritiker behaupten, daß sie auf der falschen Annahme basiere, die bislang ausbleibende massenhafte Teilnahme sei lediglich ein technisches Problem und nicht etwa von Faktoren wie fehlendem politischen Interesse oder fehlenden strukturellen Beteiligungschancen bestimmt. Die emprischen Daten sprechen ebenfalls eher für die Gegenthese, die sog. Verstärkungs- oder „Reinforcement“-These: danach verstärkt das Internet lediglich bereits vorhandene politische Strukturen und Motivationen. Nur diejenigen, die bereits überdurchschnittlich gut sozial vernetzt und politisch aktiv sind, schöpfen auch die neuen Möglichkeiten des Internets aus.42 Daran anschließend muß das möglicherweise zentrale Zukunftsproblem des sog. „digital divide“ angesprochen werden: die Sozialstruktur der Forennutzer stellt genauso wie die Sozialstruktur der Internetnutzer insgesamt kein repräsentatives Abbild der Gesamtbevölkerung dar, sondern ein Übergewicht der besser ausgebildeten und ökonomisch besser gestellten Bevölkerungsteile aufweist.43 Die Barrieren sind also sozialer, nicht etwa technischer Natur. 41 Rogg, A.: Demokratie und Internet. Der Einfluss von computervermittelter Kommunikation auf Macht, Repräsentation, Legitimation und Öffentlichkeit, S. 43. 42 Rogg, A., Siedschlag, A. u. C. Welzel (Hg.): Digitale Demokratie. Willensbildung und Partizipation per Internet, S. 37f. 43 ebenda, S. 69. 18 Außerdem stellt sich ein bereits oben angedeutetes Problem, das vielfach mit dem Schlagwort vom „Flickenteppich“ umschrieben wird: es existiert eine Vielzahl kleiner und großer Foren, die nur teilweise miteinander vernetzt sind. Es fehlt an professionell gestalteten Angeboten. Weitere noch grundsätzlichere Bedenken werden angemeldet bezüglich der Frage, ob das Internet nicht zur Verstärkung der sog. „Megatrends“ Individualisierung, Fragmentierung und Segmentierung beiträgt. Eine fortschreitende Fragmentierung des Publikums würde es umso schwieriger machen, Bürger zur Partizipation in einem Forum „für alle“ zu motivieren. Vielfach wird außerdem geäußert, daß das stetig wachsende Informationsaufkommen im Internet zu einer Überbelastung der Bürger führen kann und die zunehmende Beschleunigung der Kommunikation beispielsweise zu Falschmeldungen und unzulänglicher Recherche führen kann. Letztendlich führen manche Kritiker ins Feld, daß eine Internationalisierung oder Globalisierung der Kommunikation als Gefahr angesehen werden kann: diese Trends führten zu einem Verlust an lokalen, regionalen und kulturellen Bezügen. 4. Schlußbemerkungen, Fazit und Ausblick Weder die Hoffnungen noch die Befürchtungen einer internetgestützten basisdemokratischen Revolution sind realistisch: daß man den modernen Staat durch digitale Demokratie in das funktionale Äquivalent eines antiken Stadtstaates verwandeln und den Einwohnern durch die neuen Technologien eine neue Bürgertugend anerziehen kann, bleibt eine Utopie. Auch wird das Internet den modernen Menschen nicht wieder zum „zoon politikon“ machen, zum ganz auf die Gemeinschaft ausgerichteten Wesen. Dennoch steht fest, daß das Internet ein geeignetes Mittel ist, um aufgeschlossene Menschen auf eine attraktive Weise näher an die Politik heranzuführen. Die Politik wird im Internet nicht neu erfunden, doch sie wird zunehmend im Internet und über das Internet gemacht werden. Zwar sind die Chancen und Gefahren internetgestützter Politik deshalb grundsätzlich ersteinmal die gleichen wie bei der traditionell vermittelten Politik, doch bietet das Internet nichtsdestotrotz die Möglichkeit den Abstand zwischen Politik und Bürgern zu verkleinern und die Art, wie Politik im Prozeß entsteht, zu verändern.44 Gerade in Zeiten eines wachsenden Vertrauensverlustes der Bürger in die Politik sowie abnehmender Bereitschaft zur Teilnahme an konventionellen Partizipationsformen („Politikverdrossenheit“) ist die Frage der Legitimität des politischen Prozesses von zentraler 44 ebenda, S. 9. 19 Bedeutung.45 Das Internet kann vor allem auf den unteren Ebenen dazu beitragen, diesen Vertrauensverlust zu verringern, der Politik neue Impulse zu geben und so vielleicht einen kleinen Teil zu einer Revitalisierung der Demokratie beitragen.46 Politische Internetforen werden in der Zukunft besonders auf der kommunalen Ebene eine immer stärkere Rolle im Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess spielen. 5. Literaturverzeichnis 1. Baumberger, P.: eDemocracy. Voraussetzungen politischer Partizipation über Internet, Bern 2002. 2. Egloff, D.: Digitale Demokratie: Mythos oder Realität? Auf den Spuren der demokratischen Aspekte des Internets und der Computerkultur, Wiesbaden 2002. 3. Gellner, W. u. F. von Korff (Hg.): Demokratie und Internet, Baden-Baden 1998. 4. Grünwald, A., Hanßmann, A. u. B. Holznagel: Elektronische Demokratie. Bürgerbeteiligung per Internet zwischen Wissenschaft und Praxis (=Schriftenreihe Information und Recht, Band 24), München 2001. 5. Harth, T. u. R. C. Meier-Walser (Hg.): Politikwelt Internet. Neue demokratische Beteiligungschancen mit dem Internet?, München 2001. 6. Hunold G. W. u. K. Koziol (Hg.): E-Demokratie = Ende der Demokratie?, München 2001. 7. Jansen, D., Plake K. u. B. Schuhmacher: Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit im Internet. Politische Potenziale der Medienentwicklung, Wiesbaden 2001. 8. Kaletka, C.: Die Zukunft politischer Internetforen. 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Ausdruck der Startseite von www.emderforum.de 45 Meier-Walser, R.C.: Neue demokratische Beteiligungschancen mit dem Internet? Erfahrungsgestützte Antworten und Perspektiven aus Wissenschaft und Politik, in: Harth, T. u. R. C. Meier-Walser (Hg.): Politikwelt Internet. Neue demokratische Beteiligungschancen mit dem Internet?, S. 11. 46 Kaletka, C.: Die Zukunft politischer Internetforen. Eine Delphi-Studie, S. 220. 20