Allerts Brief 02|2009 03 Fachbeitr ag Bewertung von Unternehmen in Krisensituationen Spezifische Denk- und Bewertungsweisen für den erfolgreichen Verkaufsprozess vor und während des Insolvenzverfahrens. Von Arnd Allert, geschäftsführender Gesellschafter von Allert & Co., Mannheim Jeder Wert ist eine abstrakte Größe. Er entsteht, wenn ein zu bewertendes Objekt „getauscht“ werden soll: Man gibt etwas und bekommt etwas anderes dafür. Bei der Bewertung von Unternehmen in der Krise tauschen quasi Verkäufer und Käufer bewertete Risiken gegen die Aussicht auf eine bessere Zukunft. Vor Antragstellung: Dieses Prinzip des DCF-Ansatzes hat bei negativen Cashflows den umgekehrten Effekt: Je höher der Diskontierungszinssatz, desto geringer die (negativen) Auswirkungen eines negativen Cashflows auf den Barwert und damit den Unternehmenswert. Werden negative Cashflows ausgewiesen und es erfolgt trotzdem eine Diskontierung mit einem einheitlichen Zinssatz, so ist davon auszugehen, dass der berechnete Unternehmenswert zu hoch ist. Insbesondere bei länger andauernden Verlustphasen ist dies ein Problem, mit dem umgegangen werden muss. Going-Concern-Prämisse nicht gegeben Planungs- und Prognoserechnungen Bei Unternehmensbewertungen nach Ertragswert- oder DCF-Verfahren geht man von der sogenannten „Going-ConcernPrämisse“ aus, d. h. dem unveränderten Bestehen des Unternehmens. Bei Unternehmenskrisen ist das nicht möglich. Ein unverändertes Fortführen des Unternehmens würde zum Existenzwegfall führen. Die Feststellung und Anerkennung dieser Tatsache ist die Grundlage des Erfolgs, erschwert aber systematisch die Anwendung dieser Verfahren. Beim Verkauf von Unternehmen spielt die Qualität des Controllings für die zukünftige operative Steuerung durch einen neuen Gesellschafter eine wesentliche Rolle. Planungen brauchen aussagefähige betriebs- und finanzwirtschaftliche Informationen. Die Schaffung belastbarer Kennzahlen für die Bewertung ist deshalb von elementarer Bedeutung. Spätestens seit „Basel II“ fordern Fremdkapitalgeber Szenariorechnungen zur zukünftigen Entwicklung. Diese Szenariorechnungen („Base-Case“/„Best-Case“/ „Worst-Case“) sind für den Investor aber nur dann belastbar, wenn sie notwendige Restrukturierungsaufwendungen wirklich exakt aufzeigen. Risiken, die zur Wertminderung beitragen, müssen gezeigt und wenn möglich monetär bewertet werden. Damit wird die Basis für ein kreatives Risikomanagement mit internen Hier wird nicht nur möglicher Gewinn, sondern auch Verlust und Risiko getauscht. Das hat auch für die Bewertung Konsequenzen. Je nach Status des Unternehmens – vor und nach Insolvenzantragstellung – ergeben sich spezifische Sichtweisen. (Gewährleistungen im Kaufvertrag) und externen Instrumenten (Übernahme von Einzelrisiken durch Versicherer oder andere komplementäre Interessensgruppen wie z. B. Hauptkunden bzw. Übernahme von Risiken durch öffentliche Stellen im Rahmen von u. a. Landesbürgschaften) geschaffen. Eine wertorientierte Vorgehensweise bringt alle Risikoansichten zusammen und schafft im Laufe der Verhandlungen einen Einigungsraum, der eine preisadäquate Risikoverteilung sichert. Wertbeitrag steuerlicher Verlustvorträge Diskontierung negativer Cashflows im Rahmen der DCF-Bewertung Werden positive Cashflows mit einem Zinssatz diskontiert, in dem eine (positive) Risikoprämie enthalten ist, führt ein höheres Risiko zu einem niedrigeren Unternehmenswert. Können gewerbe- und körperschaftssteuerliche Verlustvorträge steuerlich genutzt werden, führen sie zu einer Erhöhung des Unternehmenswertes. Über eine Verrechnung mit künftigen Gewinnen reduzieren sie Steuerzahlungen in künftigen Perioden. Der Wert der Verlustvorträge kann dann als Barwert der erzielten Steuerersparnis berechnet werden. So kann ein aktueller Verlustvortrag wegen verminderter Steuerzahlungen bei Wiedererlangen der Ertragskraft einen Wert darstellen. Allerdings hat dies klare Grenzen (siehe § 8c KStG). Bei einer Veräußerung des Geschäftsbetriebes geht die steuerliche Nutzbarkeit i.d.R. verloren. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise wurde im Rahmen des Bürgerentlastungsgesetzes in § 8c KStG eine neue, zeitlich befristete > > > 04 Allerts Brief 02|2009 > > > Sanierungsklausel eingefügt, die für Er- werbe von krisenbehafteten Unternehmen in den Jahren 2008 und 2009 gilt. Ziel der Neuregelung in § 8c Abs. 1 KStG ist, die Krisen verschärfende Wirkung der Verlustvernichtungsregelung für Sanierungsfälle zu vermeiden, da der anteilige oder gesamte Untergang der bisherigen Verlustvorträge die Suche nach sanierungswilligen Investoren erschwert. Die Kriterien zur Nutzung vorhandener Verlustvorträge sind sanierungsfördernde Maßnahmen, die die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vermeiden und zugleich die wesentlichen Betriebsstrukturen erhalten. § 8c Abs. 1a KStG beschreibt u. a. die Zuführung von Ein lagen wesentlichen Betriebsvermögens und bestimmte Lohnsummenrelationen. Nach der Antragstellung: Was bereits vor Antragstellung spezifische Denkweisen erfordert, wird nach Antragstellung noch komplexer. Meist muss innerhalb extrem kurzer Zeiträume agiert werden. Bewertung zwischen Insolvenzverwalter, Kaufinteressenten und anderen Interessengruppen Das Insolvenzrecht sieht Sanierung, Liquidation, übertragende Sanierung und Insolvenzplanverfahren als gleichberechtigte Alternativen. Insolvenzverwalter lassen deshalb bei Verfahrensbeginn als Untergrenze für weitere Verwertungsüberlegungen eine Schätzung des Substanzwertes u. a unter Liquidationsgesichtspunkten anfertigen. Die unterschiedliche Betrachtungsweise der Verfahren „aktuell positiver Substanz-(Liquidations-) wert vs. aktuell negativer Ertragswert“ birgt Konfliktpotenzial bei Preisverhandlungen im Insolvenzverfahren. Aus Sicht des Insolvenzverwalters sieht eine Mindestkaufpreisermittlung wie folgt aus: Häufig erschließt sich dem Kaufinteressenten nicht, warum der höhere Wert an- zusetzen ist: Grundsätzlich verkauft auch der Verwalter immer zum Ertragswert. Da jedoch unter Umständen der Ertragswert niedriger ist als der Liquidationswert und das Insolvenzrecht die genannten Verwertungsalternativen als gleichwertig ansieht, ist der Verwalter in einer solchen Situation zur Wahrung der Interessen der Insolvenzgläubiger regelmäßig gehalten, das Schuldnerunternehmen zu liquidieren. Möchte ein Käufer das operative Geschäft aufgrund erwarteter Synergien/Potenziale dennoch erwerben, muss die erwartete Wertsteigerung in die Insolvenzmasse gezahlt werden. Nur so kann dem Insolvenzverwalter der grundsätzlich gesetzliche Zwang der Liquidation genommen werden. Marktwert der Verbindlichkeiten Entsprechen die für das Fremdkapital vereinbarten Zinssätze den am Markt geltenden Konditionen, ist der Marktwert des Fremdkapitals gleich dem Buchwert. Weichen die Zinssätze von den Marktkonditionen stark ab, ist eine separate Berechnung erforderlich. Dabei wird der Marktwert durch Abzinsung der Zahlungsströme an Fremdkapitalgeber berechnet. Der Diskontierungszinssatz sollte das Mindestkaufpreisermittlung Fortführungswert (mind. Liquidationswert) > Ertragswert Kaufpreis = Fortführungswert (mind. Liquidationswert) Fortführungswert (mind. Liquidationswert) < Ertragswert Kaufpreis = Ertragswert Risikopotential der Zahlungsströme widerspiegeln. Für Unternehmen in der Krise ist jeweils ein höherer Zinssatz für die Diskontierung anzusetzen. Ergo fällt der Wert der Verbindlichkeiten meist drastisch. Die unterschiedliche Sichtweise zwischen dem Wert des Fremdkapitals als – eventuell noch nicht adäquat wertberichtigte – Forderung in den Bilanzen der Banken und dem vom Investor beizulegenden Marktwert muss also geglättet werden. Fazit: Gerade bei M&A-Transaktionen in der Krise engagieren sich Käufer und Verkäufer für ein Objekt, das keinen ausreichenden Ertrag erwirtschaftete. Dennoch nehmen beide Kontrahenten an, dass die Erwirtschaftung positiver Erträge durch entsprechende Maßnahmen möglich ist. Ihr gemeinsames Interesse muss die Fortführung des Unternehmens sein. Regelmäßig wird der Verkäufer die Chancen des restrukturierten Unternehmens in seine Bewertung einfließen lassen, während der Käufer die Kosten und Risiken der Sanierung berücksichtigen muss. Auch bei Unternehmenstransaktionen gilt also, dass der Wert des betrachteten Unternehmens u. a. von subjektiven Komponenten der Bewertenden bestimmt ist und der Preis sich letztlich als das Ergebnis der Verhandlungen im Rahmen eines bestimmten Wertkorridors ergibt. Dieser ist oftmals enger als bei Unternehmenstransaktionen „gesunder“ Unternehmen, kann aber im Rahmen von Verhandlungen durch geschicktes Risikomanagement und -bepreisung für werterhaltende Transaktionen genutzt werden. ]