Astro- und Teilchenphysikseminar WS 2008/09 Blazare Alexander Tobisch 10.11.2008 Inhalt 1. Überblick Aktive Galaxien • Geschichte der AGN • AGN-Typen 2. Standardmodell von AGN • Basis der Standardmodells - Anisotrope Strahlung durch Verdunkelung - Anisotrope Strahlung durch Beaming - Populationsstatistik 3. Spektrale Energieverteilung • Nicht-Blazar AGN Spektrum • Blazar Spektrum • Variabilität 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Geschichte der Aktiven Galaxiekerne ● Beginn des 20. Jhd: erste Entdeckungen Aktiver Galaxiekerne, die aber nicht als solche erkannt werden ● 1908: Edward Fath findet starke Emissionslinien (mit Breiten von mehreren 100km/s) in NGC 1068, die ähnlich zu denen in Planetarischen Nebeln sind ● 1926: Edwin Hubble entdeckt starke Emissionslinien in mehreren Objekten und findet, dass diese rotverschoben sind → interpretiert sie als extragalaktische Nebel ● 1943: Carl Seyfert entdeckt Spiralgalaxien mit derartigen Emissionslinien (Seyfert-Galaxien) – gilt als Entdeckung der AGN ● 1950s/60s: Radio Surveys (z.B. Third Cambridge Catalog) große Liste unbekannter Radioquellen außerhalb des Sonnensystems wird detektiert optisches Aussehen wie Sterne, aber mit starken Emissionslinien → Quasare (quasi-stellar radio sources) 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Geschichte der Aktiven Galaxiekerne ● 1963: Marteen Schmidt kosmologische Rotverschiebung → Quasare sind extragalaktisch und sehr weit entfernt Entdeckung vieler Objekte mit sehr schwacher Radioleuchtkraft → QSO (quasi-stellare Objekte) ● Prototyp: BL Lacertae Entdeckt 1929 an der Sternwarte in Sonneberg; wurde für veränderlichen Stern gehalten 1968 als Radioquelle identifiziert hat flaches Spektrum auf breitem Energiebereich, aber keine Emissions- oder Absorptionslinien erkennbar später: Entdeckung von Absorptionslinien in der nebelartigen Umgebung von BL Lacertae → Identifikation als Elliptische Galaxie mit Aktivem Galaxiekern 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch AGN-Typen ● Seyfert-Galaxien Spiralgalaxien mit Aktiven Galaxiekernen haben breite und schmale Emissionslinien (Seyfert 1) oder nur schmale (Seyfert 2) ● QSOs (Quasi-Stellare Objekte) radioleise QSOs Quasare (Quasi-Stellare Radio Objekte) starke, breite Emissionslinien; hohe Rotverschiebungen; hellste Objekte im Universum ● Radiogalaxien Elliptische Galaxien mit aktivem Kern; Radiostrahler Unterteilung in BLRG (breite & schmale Emissionslinien) und NLRG (schmale Linien) Hinsichtlich Radiomorphologie unterteilt in FRI (Fanaroff-Riley Typ 1) und FRII (Fanaroff-Riley Typ 2) 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch FRI und FRII Galaxien FRII FRI 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch AGN-Typen: Blazare ● OVVs (optically violent variables) hell im Radio-, Röntgen- und γ-Bereich relativ hohe Polarisation des optischen Lichts starke Variabilität (große Flussvariationen auf kurzen Zeitskalen) ● BL Lac ebenfalls Radio-, Röntgen-, γ-Strahler im Gegensatz zu OVVs meist keine Emissionslinien im Spektrum → Bestimmung der Rotverschiebung schwierig 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch AGN-Typen: Übersicht 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Was sind AGN? ● Galaxien mit aktiven Kernen ● Hohe Leuchtkraft von Quasaren und Blazaren (1011-1014L☉) aus kompaktem zentralen Gebiet → Effiziente Energiegewinnung erforderlich ● Effizienz von thermonuklearen Prozessen (wie auf Sternen) ist zu klein (≤ 0,8%) bzw. zu viel „nukleare Asche“ müsste sich im Laufe der Zeit angesammelt haben Gravitative Energiegewinnung 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Gravitative Energiegewinnung in AGN ● Galaxiekerne sind Supermassive Schwarze Löcher (SMBH) mit bis zu 109 M☉ ● SMBH akkretiert Masse (Gas, Sterne aus der Host-Galaxie) Potentielle Energie → kinetische Energie → Akkretionsscheibe um Schwarzes Loch → Aufheizen des Gases durch Reibung kinetische Energie → Wärme → Emission ● Maximale Effizienz des Akkretionsprozesses: ~6% für nicht rotierendes SMBH ~29% für SMBH mit maximalem Drehimpuls 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Eddington Leuchtkraft Strahlungskraft Frad nach außen → WW mit einfallender Materie (Thomsonstreuung von Photonen mit freien Elektronen) Damit Materie einfallen kann: Frad < Fgrav Frad = σ T L 4πr 2c Fgrav = G Eddington Leuchtkraft L edd := 4πGcmp σT M•mp r2 M• . Für bekanntes M Ist Ledd also eine obere Schranke für die Leuchtkraft (L < Ledd) 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Standardmodell von AGN Anisotrope Abstrahlung eines AGN ● Isotrope Komponente: BH mit Akkretionsscheibe ● Anisotrope Komponenten: Jet, Torus ^ → AGN Typen klassifiziert nach Richtung des Sehstrahls 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Basis des Standardmodells Anisotrope Abstrahlung durch Verdunkelung Hinweis auf verdunkelte Kernregionen mit Polarimetrie z.B. NGB 1068: Seyfert 2 Galaxie (hat also nur schmale Emissionslinien im Spektrum) Im polarisierten Spektrum (nicht-polarisiertes Licht weggefiltert) erkennt man aber auch breite Emissionslinien (also wie bei Seyfert 1) 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Basis des Standardmodells Anisotrope Abstrahlung durch Verdunkelung Interpretation: ● NGC 1068 hat eine BLR (Broad Line Region), aber der direkte Blick darauf ist von absorbierendem Material verdeckt ● Im polarisierten Spektrum sieht man das Licht der BLR, das an Staub oder Elektronen gestreut wurde (wird durch die Streuung polarisiert) → Direkt vor dem AGN ist ein Absorber (Torus) ● Anzahl (Sey1) / Anzahl (Sey2) = 1/3 → 2/3 des Raumwinkels sind „versperrt“ 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Weitere Hinweise auf verdunkelte Kerne ● Infrarot Observationen von NLRG zeigen in vielen Fällen kompakten, hellen Infrarotkern und BLR-Gas. Im Optischen abgedunkelt. Infrarotband bietet tiefere Aufnahmen der Kernregionen (kleinere optische Tiefe) ● Bei Typ 2 Galaxien z.B. Seyfert-Galaxie NGC 5728 Aufnahmen in dem Filter einer narrow line (rechts) zeigen: - NLR wird kegelförmig von der ionisierenden Strahlung beleuchtet - Der Apex der Kegel ist BH 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Evidenz für Anisotrope Strahlung durch Beaming ● Relativistische Bewegung von emittierendem Plasma → Beaming ● Effekt der SRT ● Der Fluss einer bewegten Quelle ändert sich → anisotrope Abstrahlung, bevorzugt in Bewegungsrichtung → Strahlungsquelle, die sich auf den Beobachter zubewegt erscheint heller, bei Wegbewegung abgeschwächter Fluss ● Beaming-Faktor: ⎛ ⎞ 1 δ± = ⎜ ⎟ ⎝ γ (1 m β cos φ ) ⎠ 2 +α Φ: Winkel der Sichtlinie zur Bewegungsrichtung der Strahlungsquelle α: Spektralindex ● Außerdem: bekannte Dopperverschiebung im Frequenzraum 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Evidenz für Anisotrope Strahlung durch Beaming Beaming bei AGN Welche Strahlung wird gebeamt? Strahlung des Jets → Synchrotronstrahlung → Beaming also hauptsächlich bei Blazaren (Φ klein) ● Das Verhältnis δ+/δ- kann leicht mehrere hundert betragen → Counter-Jets sind durch Beaming abgeschwächt oder gar nicht zu sehen („Doppler Favouritism“) 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Evidenz für Anisotrope Strahlung durch Beaming Beaming bei Blazaren Bei Blazaren: Blick in den Jet → Blazare sind gebeamte Population Viele Besonderheiten von Blazaren sind mit Beaming erklärbar: ● Die gebeamte Synchrotronstrahlung des Jets kann sich bis ins Optische/UV erstrecken und sämtliche andere Strahlung, insbesondere Linienemission überstrahlen (siehe BL Lac) ● Die optische Polarisation ist ebenfalls durch gebeamte Synchrotronstrahlung erklärbar ● Kleine Änderungen der Jet Geschwindigkeit oder Richtung führen durch Beaming zu großen Flussänderungen im beobachteten Spektrum → Variabilität 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Superluminal Motion (scheinbare Überlichtgeschwindigkeit) Mit Very Long Baseline Interferometrie (VLBI): Überlichtgeschwindigkeit (vapp>c) von Radioquellkomponenten in Jets („Blobs“) gemessen Erklärung: Nur projizierte Überlichtgeschwindigkeit Vgl. Gedankenexperiment: rotierende Taschenlampe mit projizierter Überlichtgeschwindigkeit an der Wand 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Superluminal Motion (scheinbare Überlichtgeschwindigkeit) vapp: scheinbare Geschwindigkeit v: tatsächliche Geschwindigkeit Φ: Winkel zur Sichtlinie Δt = t e − t e v cos φ = t e (1 − β cos φ ) c v app = Δr v sin φ = Δt 1 − β cos φ ⇒ β app = 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare β sin φ 1 − β cos φ Alexander Tobisch Superluminal Motion (scheinbare Überlichtgeschwindigkeit) ● Bei Blazaren beobachtet man die größten vapp Im Einklang mit der Theorie, dass die Jets bei Blazaren entlang der Sichtlinie ausgerichtet sind ● Das Auftreten von Superluminal Motion impliziert, dass Quellkomponenten in Radiojets auf nahe der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Populationsstatistik Wenn das Standardmodell stimmt, sind Blazare kein besonderen Typen, sondern nur so ausgerichtet, dass man in den Jet blickt. BL Lacs sind also eine gebeamte Population. Als ungebeamte parent population der BL Lacs vermutet man FRI Galaxien. → Die Anzahl an Blazaren muss klein gegenüber der Anzahl der parent population sein Übereinstimmung mit den Beobachtungen 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Populationsstatistik Beaming Modell (Urry & Padovani 1995) 1Jy Sample von Radioquellen RBL: radioselektierte BL Lac Objekte ● Ausgangspunkt: Leuchtkraftfunktion der FRI Galaxien ● Einberechnung des Beaming Effekts ● Fit dieser berechneten Funktion (RBL LF (beamed)) an die observierte Leuchtkraftfunktion der BL Lacs (RBL LF (observed)) → gute Übereinstimmung, Beaming Modell passt gut zu den Daten 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Populationsstatistik Beaming Modell (Urry & Padovani 1995) aus dem Fit erhält man folgende Parameter: ● <γ> ~ 7 ● Anzahl RBL / Anzahl FRI = 1/50 ● RBL sind innerhalb eines Winkels von θC ~ 12° zur Sichtlinie ausgerichtet → Bestätigung der Beaming Hypothese → Verhältnis von RBLs zu seiner parent population FRI ist im Einklang mit dem Standardmodell 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Spektrale Energieverteilung (SED) – Nicht-Blazar Spektrum log(νFν) 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Spektrale Energieverteilung (SED) – Nicht-Blazar Spektrum ● Thermische Emission der Akkretionsscheibe sehr breiten Spektrum (Radio bis Röntgen) mit Maximum im UV (Big Blue Bump) ● IR-Bump von thermischer Emission von warmem Staub ● Röntgenstrahlung (Compton Reflexion Bump) inverse Comptonstreuung von optischen/UV Photonen der Akkretionsscheibe mit Elektronen in heißer Corona über der Scheibe ● Synchrotron Strahlung aus relativistischem Jet Radiobereich bis optisch polarisiert und stark variabel 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Spektrale Energieverteilung (SED) – Nicht-Blazar Spektrum Erzeugung von Synchrotronstrahlung Im Jet: beschleunigte Elektronen im Magnetfeld emittieren Synchrotronstrahlung Magnetfeld hat Ursprung in Akkretionsscheibe → schnelle Rotation → schraubenförmige Magnetfeldlinien → Erzeugung von kollimierten Jets, die Plasma senkrecht zur Scheibe wegbeschleunigen ● Synchrotronstrahlung eines einzelnen e- folgt stückweise einem Potenzgesetz ● Superposition von Einzelspektren gibt wieder Potenzgesetz (N(E) ~ E-p) ● Synchrotron-Emission ist polarisiert 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Spektrale Energieverteilung (SED) – Blazar Spektrum ● „camel's back“: zwei breite Maxima ● Blazar Spektrum dominiert von nicht-thermischer Jetstrahlung 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Spektrale Energieverteilung (SED) – Blazar Spektrum ● Synchrotron Peak überstrahlt thermische Akkretionsstrahlung; bis ins optische/UV gebeamet ● Inverser Compton Peak Streuung niederenergetischer Photonen (seed photons) an (hoch)relativistischen Elektronen - SSC (Synchrotron-Selbst Compton) Inverser Compton von Elektronen des Jets mit eigenen Synchrotron Photonen - EC (External Compton) externe AGN-Photonen streuen an relativist. Jet Elektronen - CMB Photonen des kosmischen Mikrowellen Hintergrunds streuen mit Jet Elektronen 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Blazar Sequenz – Blazar unification ● Klasse von Blazaren bei denen die beiden Peaks systematisch zu kleineren Frequenzen verschoben sind ● Unterteilung in LBL (low-frequency peaked BL Lacs), HBL (high-frequency peaked BL Lacs) und FSRQ (flat-spectrum radio-quasar) HBL LBL FSRQ Synchrotron-Peak 1017Hz (UV/x-ray) ... 1013Hz (IR) inv. Compton-Peak 1025 HZ ... 1022Hz Leuchtkraft ansteigend → Lcomp / Lsync ansteigend → Jet Power (γ) ansteigend → 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch Variabilität von Blazaren ● Kurzzeitvariabilität Flares (Ausbrüche) auf Zeitskalen von Stunden bis Tagen Blobs, die vom Jet ausgestoßen werden, SSC-Modell ● Langzeitvariabilität hohe Flussänderungen auf Zeitskalen von Jahren Schwankungen in der Massenakkretion des SMBH Sonstige Ursachen: - Interstellare Szintillation (Fluktuationen im ISM) - evtl. Mikrolinseneffekte 10.11.2008 Astro- und Teilchenphysikseminar: Blazare Alexander Tobisch