Definition Antisemitismus

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Definitionen: Zum Begriff des
Antisemitismus
Der Begriff "Antisemitismus" wurde Ende des 19. Jhs. in Deutschland
geprägt. Er wird dem Journalisten Wilhelm Marr zugeschrieben, der mit
dem Begriff seine offen erklärte Judenfeindschaft nicht religiös, sondern
pseudowissenschaftlich und rassistisch zu legitimieren versuchte. Nach
Marrs Gründung der "Antisemitenliga" traten Demagogen auf die
politische Bühne, die Juden als ein die "nationale Einheit" bedrohendes
"Volk" oder als "Rasse" konstruierten. Diese Veränderungen gegenüber
früheren, religiös und sozial motivierten Formen der Judenfeindschaft
betont der Antisemitismusforscher Werner Bergmann:
"Juden wurden als ein die Nationen ökonomisch, geistig und rassisch
zersetzendes Element angesehen, gegen das sich der Antisemitismus als
eine politische Ideologie und Protestbewegung formierte, welche die
staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden zu verhindern und später zu
widerrufen suchte. Es handelte sich beim Antisemitismus nicht bloß um
Xenophobie oder religiöse und soziale Vorurteile, die es gegenüber Juden
weiterhin gab, sondern um ein neues Phänomen: eine antiliberale und
antimoderne Weltanschauung, die in der ‚Judenfrage' die Ursache aller
sozialen, politischen, religiösen und kulturellen Probleme sah." (Bergmann
2002, S. 6)
Zum Begriff "Antisemitismus" liegen viele unterschiedliche Definitionen
vor. Auf unterschiedliche Weise - so illustrieren die nachfolgenden
Beispiele - wird dabei versucht, das Phänomen in seinen verschiedenen
Erscheinungsformen zu beschreiben bzw. einzugrenzen:
"Antisemitismus" - so Wolfgang Benz vom Zentrum für
Antisemitismusforschung an der TU Berlin - "meint im modernen
Sprachgebrauch die Gesamtheit judenfeindlicher Äußerungen,
Tendenzen, Ressentiments, Haltungen und Handlungen unabhängig
von ihren religiösen, rassistischen, sozialen oder sonstigen Motiven.
Nach der Erfahrung nationalsozialistischer Ideologie und Herrschaft
wird Antisemitismus als ein gesellschaftliches Phänomen verstanden,
das als Paradigma für die Bildung von Vorurteilen und die politische
Instrumentalisierung daraus konstruierter Feindbilder dient." (Benz
2001, S. 129)
In einer Studie zum Antisemitismus in der politischen Kultur der
Bundesrepublik definiert der Politikwissenschaftler Lars Rensmann
Antisemitismus "als besondere, moderne und politisch-kulturell
situierte Form der Stereotypenbildung, sowie - analog zur Theorie
des Neo-Rassismus oder ‚kulturellen Rassismus' - als Ensemble von
Vorurteilen, Klischees, fixierten kollektiven Bildern, binären Codes
und kategorialen Attribuierungen sowie diskriminierenden Praktiken
gegenüber Juden, die sich zur politischen Ideologie und zum Weltbild
verdichten können." (Rensmann 2004, S. 20)
Eine von dem britischen Wissenschaftler Brian Klug zur Abgrenzung
von Antisemitismus und Antizionismus vorgeschlagene Definition
betont Antisemitismus als "Hostility towards Jews as Jews". Diese
Kernaussage liegt auch einer oft zitierten Definition von Helen Fein
zugrunde: "Antisemitismus ist eine anhaltende latente Struktur
feindseliger Überzeugungen gegenüber Juden als Kollektiv, die sich
bei Individuen als Haltung, in der Kultur als Mythos, Ideologie,
Folklore sowie Einbildung und in Handlungen manifestieren (...), die
dazu führen und/oder darauf abzielen, Juden als Juden zu entfernen,
zu verdrängen oder zu zerstören". (Fein 1987, S. 67)
Antisemitische Einstellungen definiert der Antisemitismusforscher
Werner Bergmann "als feindselige Urteile über die Juden als Kollektiv,
in denen ihnen unveränderliche schlechte Eigenschaften sowie die
Absicht zugeschrieben wird, anderen Völkern Schaden zuzufügen.
(...) Diese ‚Schädigung' erfolgt oft verdeckt und kann sich nach
Meinung der Antisemiten in allen möglichen Formen äußern: religiös
als Christenfeindschaft, wirtschaftlich als unlautere Konkurrenz und
Geldgier, politisch als Weltmachstreben, als politische Radikalität
oder nationale Illoyalität, kulturell als ‚Zersetzung' usw." (Bergmann
2004, S. 26)
Aus der Trickkiste von Antisemiten und Antisemitinnen
Zum antisemitischen Standard-Repertoire in rechtsextremistischen und
islamistischen Kreisen gehört die Behauptung, man könne doch gar nicht
antisemitisch sein, da Araber doch auch Semiten seien und man nichts
gegen Araber habe. Dieser Einwand wird immer wieder auch in
Bildungsveranstaltungen von Teilnehmenden artikuliert, die keinem
extremistischen Umfeld angehören. Deshalb ist an dieser Stelle
hervorzuheben, dass das "Argument", der Begriff beziehe sich auch auf
Araber, irreführend und falsch ist:
1. Die Bezeichnung "Semit" geht auf eine sprachwissenschaftliche
Einteilung verschiedener Sprachfamilien zurück und bezieht sich nicht auf
die Abstammung einer Gemeinschaft oder auf ihre Nation. Zu den
semitischen Sprachen werden das Hebräische, Arabische und
Aramäische gezählt.
2. Entscheidender ist, dass der Begriff "Antisemitismus", der in
Deutschland Ende des 19. Jhs. von sich offen zur Judenfeindschaft
bekennenden Demagogen geprägt wurde, nie auf Araber und Araberinnen
bezogen wurde. Der Begriff richtete sich klar und ausschließlich gegen
Juden und Jüdinnen und sollte als Waffe dienen, um sie zu diskriminieren.
Juden wurden damit als ein die "nationale Einheit" bedrohendes "Volk"
oder als "Rasse" konstruiert. Grundlage war eine völkische bzw.
rassistische Konstruktion "des Juden".
Zur Beschreibung verschiedener Erscheinungsformen der
Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart werden häufig
differenziertere Terminologien verwendet. Als Grundphänomene sind vor
allem vier hervorzuheben: Christlicher Antijudaismus, rassistischer
Antisemitismus, sekundärer Antisemitismus und israelbezogener
Antisemitismus.
Christlicher Antijudaismus: Das Judentum als Gegenbild zum
Christentum
Der christliche Antijudaismus entwickelte sich in den ersten
Jahrhunderten nach Christus. Im Kern bestand der Konflikt darin, dass
das Judentum Jesus Christus nicht als Messias anerkennt. Die
Dämonisierung des Judentums durch die christliche Kirche gipfelte in
dem unhaltbaren Vorwurf, "Juden" seien kollektiv schuld an der
Kreuzigung Jesu. Gewaltsame Übergriffe und eine Vielzahl von
antijüdischen Maßnahmen der christlichen Kirche (z.B. Verbot der Ehe
und der gemeinsamen Speiseeinnahme von Juden und Christen; Verbote
für Juden, öffentliche Ämter zu bekleiden, christliche Knechte und Mägde
zu haben, etc.) kennzeichneten das Leben von Juden und Jüdinnen,
nachdem das Christentum im 4. bis 5. Jh. n. Chr. zur Staatsreligion wurde.
Mit den Kreuzzügen gegen Ende des 11. Jh. spitzte sich die Lage für die
jüdische Bevölkerung in den christlichen Mehrheitsgesellschaften zu:
Tausende wurden in antijüdischen Pogromen ermordet. Mit zahlreichen
und weit gehenden Bestimmungen wies die Kirche der jüdischen
Bevölkerung einen Status minderen Rechts (z.B. Verbot des
Synagogenbaus, Verbannung in Ghettos, Ausschluss von den meisten
Berufen) zu. In dieser dunklen Zeit des europäischen Mittelalters
entstanden antijüdische Mythen wie die des "Ritualmordes", des
"Brunnenvergiftens" oder des "Wucherers", die als antijüdische
Stereotype überliefert und mehr oder weniger in der kulturellen Tradition
verankert sind.
Rassistischer Antisemitismus: Entrechtung und Völkermord
Der rassistische Antisemitismus konstruiert Juden als minderwertige
"Rasse", dem kontrastierend der Mythos vom "reinrassigen" und
überlegenen "Arier" gegenübergestellt wird. Er geht auf die im 19. Jh. von
Rassetheoretikern behauptete Ungleichheit und Ungleichwertigkeit von
"Menschenrassen" zurück:
"Houston Stewart Chamberlain verband in seinem weit verbreiteten Buch
‚Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts' (1899) den Mythos vom
reinrassigen ‚Arier' als Kulturträger mit dem Gedanken des
Rassenkampfes, wonach die ‚Arier' der minderwertigen ‚Mischlingsrasse'
der Juden in einem historischen Endkampf gegenüberstünden, in dem es
nur Sieg oder Vernichtung geben könnte. Seit den achtziger Jahren des
19. Jahrhunderts wurde so der vorher religiös oder ökonomisch
begründete Antisemitismus zur ‚Rassenfrage' erklärt, wobei der vage
Rassenbegriff eine Reihe anderer Begriffe wie Volk, Nation, Arier,
Deutsch- und Germanentum umschloss." (Bergmann 2001, S. 40)
Auf Grundlage der scheinbar wissenschaftlich, anthropologisch und
biologistisch argumentierenden Rassetheorien wurden Juden" als "AntiVolk" und als "volkszersetzend" ausgegrenzt und aufgrund ihrer
vermeintlichen "Natur" für alle Übel verantwortlich gemacht. Die
nationalsozialistische Rassentheorie knüpfte an diesen Wahn von der
"Reinheit der Rasse" an und erklärte Juden zu den gefährlichsten
Gegnern im "weltgeschichtlichen Endkampf". Dies mündete schließlich in
der Shoah, dem Massenmord an Jüdinnen und Juden. Im Gegensatz zum
Antijudaismus, dem sich Jüdinnen und Juden in der Regel durch die
christliche Taufe entziehen konnten, ließ der rassistische Antisemitismus
keinen Ausweg mehr. Zur Bezeichnung des NS-Völkermordes wird auch
vom "eliminatorischen Antisemitismus" gesprochen.
Sekundärer Antisemitismus: Erinnerungs- und
Verantwortungsabwehr
Nach 1945 ist eine neue Form des Antisemitismus entstanden, die als
"sekundärer" Antisemitismus oder als "Erinnerungs-" und
"Verantwortungsabwehr" bezeichnet wird. Während "klassischer" oder
"primärer" Antisemitismus alle traditionell auf Jüdinnen und Juden
bezogenen Stereotype und Vorurteile umfasst, gründet sekundärer
Antisemitismus - angesichts des Massenmordes an den europäischen
Jüdinnen und Juden - auf Gefühlen der Scham und Schuld. Es ist ein
Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz. Er zeigt sich, wenn
der nationalsozialistische Massenmord geleugnet, relativiert oder
bagatellisiert wird, wenn Entschädigungs- und
Wiedergutmachungsleistungen abgelehnt werden oder wenn gefordert
wird, dass endlich ein Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit zu
ziehen sei.
"Wie lange man noch büßen müsse, ob die unschuldigen Enkel noch für
den Holocaust zahlen sollten, lauten die Schlachtrufe, und die Vermutung,
‚die Juden' würden sich am Völkermord bereichern, weil sie eben mit
allem Geschäfte machen würden, gehört ins Arsenal der Abwehr und der
Selbstbeschwichtigung." (Benz 2002, S. 5)
Die Abwehr von Erinnerung und Verantwortung geht häufig mit einer
Umkehr von Tätern und Opfern einher. Umfragen zeigen, dass viele
Menschen in Deutschland Juden und Jüdinnen eine Mitschuld an ihrer
Verfolgung zuschreiben. Unterstellt wird, dass Juden ihre Leiden
benutzen, um hohe Entschädigungsgelder zu erhalten. Und viele lasten
Juden an, dass sie mit der Erinnerung an den Holocaust an den Teil
deutscher Geschichte gemahnen, den viele gerne vergessen würden. Die
Paradoxie dieses Verleugnungsprozesses hat der israelische
Psychoanalytiker Zvi Rex folgendermaßen auf den Punkt gebracht: "Die
Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen."
Israelbezogener Antisemitismus: Projektionsfläche Nahostkonflikt
Seit der Gründung des Staates Israel entwickelte sich eine weitere Facette
des Antisemitismus. Diese zeigt sich deutlich, wenn Abneigungen
gegenüber "den Juden" mit der israelischen Politik im palästinensischisraelischen Konflikt gerechtfertigt werden und Stellungnahmen zu Israel
mit klassischen antisemitischen Vorurteilen über "die Juden" als Kollektiv
einhergehen oder von pauschalen Angriffen gegen "die Juden" als
Verkörperung allen Übels begleitet werden.
Zumindest teilweise ist der auf Israel bezogene Antisemitismus dem
sekundären Antisemitismus zuzuordnen. So spiegelt sich das Motiv der
Verantwortungs- und Erinnerungsabwehr in den zahlreichen Vergleichen
von israelischer Politik und NS-Diktatur wider: "Die Palästinenser" werden
als die "Juden des Nahen Ostens" bezeichnet, Maßnahmen der
israelischen Armee werden mit der SS gleichgesetzt und jeder Zweite in
Deutschland meint, dass die israelische Politik gegenüber Palästinensern
und Palästinenserinnen "im Prinzip auch nichts anderes" ist als der NSVölkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Mit solchen
Vergleichen werden die NS-Verbrechen verharmlost und findet
gleichzeitig eine Täter-Opfer-Umkehr statt.
Antisemiten reagieren häufig mit der Behauptung, man dürfe in
Deutschland ja Israel nicht kritisieren. Da schwingt die Behauptung mit, es
gäbe eine "von Juden" ausgeübte Zensur der öffentlichen Meinung.
Dieser Vorwurf ist absurd und hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun, aber
viel mit dem klassischen antisemitischen Vorurteil von der "Macht der
Juden": Die Medien in Deutschland - so zeigen verschiedene Studien berichten vor allem kritisch über Israel und den Nahost-Konflikt und
zeichnen eher ein negatives Bild von Israel und dem Konflikt.
Demgegenüber wird vergleichsweise wenig über
Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern berichtet und viele
Menschen, die sich über Menschenrechtsverletzungen in den besetzten
Gebieten entsetzt zeigen, sind gleichgültig gegenüber solchen
Entwicklungen in anderen Gegenden der Welt.
Quelle: Informations und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen
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