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Wechselwirkungsfreie Quantenmessung
Gewöhnlich geht in der Mikrowelt jede Messung unweigerlich
mit einem störenden Eingriff in den beobachteten Zustand
einher. Doch aufgrund subtiler Quanteneffekte vermag man im
Prinzip ein Objekt in absoluter Dunkelheit zu entdecken, ohne
es auch nur einem einzigen Lichtquant auszusetzen.
Von Paul Kwiat, Harald Weinfurter und Anton Zeilinger
Aus Spektrum der Wissenschaft Januar 1997, Seite 42, Beitragstyp
Artikel
Der griechischen Sage nach wurde Perseus in einen aussichtslos
scheinenden Kampf gegen die Medusa geschickt: Schon der
Anblick ihres gräßlichen, von Schlangenhaaren wimmelnden
Hauptes verwandelte jeden Gegner sofort zu Stein. Mit
geschlossenen Augen läßt sich schlecht kämpfen; doch der schlaue
Perseus hielt der Medusa seinen glänzenden Schild vor, so daß sie
ihr eigenes Spiegelbild sah und dadurch selbst erstarrte.
Die Physiker stehen vor einem ähnlichen Dilemma wie der Sohn
von Zeus und Danae. Als scheinbar selbstverständliche Behauptung
hat es der Engländer Dennis Gabor (1900 bis 1979; für die
Erfindung der Holographie erhielt er 1971 den Nobelpreis) im Jahre
1962 formuliert: Ein Gegenstand läßt sich nur beobachten, wenn er
zumindest von einem Photon - einem Lichtquant - getroffen wird.
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Doch in den letzten Jahren hat sich auf dem an bizarren
Phänomenen rei-chen Forschungsfeld der Quantenoptik gezeigt, daß
dies keineswegs selbstverständlich ist. Wir wissen nun, wie man im
Prinzip das Vorhandensein eines Gegenstands nachzuweisen
vermag, ohne daß ihn auch nur ein einziges Photon tangiert hätte.
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Das scheint ein Widerspruch in sich zu sein: Wie kann es eine
Messung geben, wenn keine Wechselwirkung stattfindet? Gewiß
eine berechtigte Frage - jedenfalls solange man sich auf dem Gebiet
der klassischen Physik bewegt und das Verhalten von Fußbällen,
Planeten oder anderen nicht zu kleinen Objekten untersucht. Doch
die Quantenmechanik, die für Elektronen, Photonen und an-dere
Teilchen subatomarer Größenordnung zuständig ist, läßt
ausgeklügelte Experimente dieser Art zu. Wäre Perseus seinerzeit
mit solchem Wissen gewappnet gewesen, hätte er die Medusa zu
orten vermocht, ohne daß von ihr reflektiertes Licht in seine Augen
gefallen wäre - er hätte sie gleichsam sehen können, ohne sie
anzuschauen.
Solche Quantengaukeleien eröffnen durchaus
Anwendungsmöglichkeiten, die nicht nur mythischen Helden im
Kampf mit Ungeheuern nützen würden. Die neuen Ideen mit ihren
verblüffenden philosophischen Folgen versteht man am besten
anhand von Gedankenexperimenten, wobei jeder technische Ballast
über Bord geworfen und nur der prinzipielle Versuchsaufbau
analysiert wird.
Betrachten wir als erstes eine Variante des bekannten
Hütchenspiels, bei dem eine Murmel unter einem von zwei Hütchen
versteckt ist. Allerdings verwenden wir keine gewöhnliche Murmel:
Unsere zerfällt augenblicklich zu Staub, sobald sie mit Licht in
Berührung kommt (Bild 1). Wie kann man sie finden, ohne sie zu
zerstören?
Wenn der Spieler sich damit zufriedengibt, lediglich in der Hälfte
aller Fälle zu gewinnen, braucht er einfach nur das Hütchen zu
heben, unter dem er die Murmel nicht vermutet. Hat er recht, dann
weiß er, daß sie sich unter dem anderen befindet, obwohl er sie
nicht gesehen hat. Freilich läuft diese Strategie auf bloßes Raten
hinaus.
Was aber ist, wenn wir nur noch ein Hütchen verwenden, unter dem
mit einer bestimmten - aber unbekannten - Wahrscheinlichkeit eine
Murmel liegt? Sieht der Spieler nicht nach, vermag er gar keine
Information zu gewinnen. Hebt er das Hütchen, kann er sich noch so
sehr bemühen, möglichst schwaches Licht einfallen zu lassen - falls
eine Murmel vorhanden ist, hat er verloren. Der klassische Physiker
hat damit keine Möglichkeit mehr, seine Gewinnchance
abzuschätzen.
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Die Superbombe von Elitzur und Vaidman
Um das Gedankenexperiment dramatischer zu gestalten, haben
Avshalom C. Elitzur und Lev Vaidman von der Universität Tel
Aviv (Israel) sich anstelle der Murmel eine Superbombe vorgestellt,
die schon durch ein einzelnes Photon zur Detonation gebracht wird.
Zu prüfen ist nun, ob die Bombe vorhanden ist oder nicht.
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Elitzur und Vaidman fanden als erste eine Lösung die allerdings
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Elitzur und Vaidman fanden als erste eine Lösung, die allerdings
wiederum nur in der Hälfte der Fälle erfolgreich ist. Doch zeigten
sie damit immerhin, daß die Quantenmechanik gewisse
Gewinnchancen eröffnet.
Ihre Methode beruht darauf, daß Licht aus Photonen besteht und
somit Teilcheneigenschaften hat, aber auch charakteristisches
Wellenverhalten aufweist, insbesondere durch Interferenz. Dieses
für Wellen typische Überlagerungsphänomen läßt sich zum Beispiel
im Doppelspalt-Experiment beobachten, indem man Licht durch
zwei eng benachbarte Schlitze in einer Abblendmaske auf einen
weit entfernten Schirm fallen läßt (Bild 3): Dabei entstehen helle
Streifen dort, wo die Wellenberge und -täler der von den beiden
Spalten kommenden Lichtwellen einander verstärken (konstruktive
Interferenz), dunkle hingegen, wo die Täler der einen Welle die
Berge der anderen auslöschen (destruktive Interferenz). Im
Teilchenbild bedeutet dies, daß die hellen (beziehungsweise
dunklen) Streifen den Gebieten auf dem Schirm entsprechen, die
mit hoher (beziehungsweise geringer) Wahrscheinlichkeit von
Photonen getroffen werden.
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Nach den Regeln der Quantenmechanik treten Interferenzen nur
dann auf, wenn es mehr als einen möglichen Weg gibt, auf dem das
betreffende Ereignis zustande kommen kann, und wenn diese beiden
Wege sich auf keinerlei Weise unterscheiden lassen. Im
Doppelspalt-Experiment können die Lichtquanten den rechten oder
den linken Schlitz passieren. Ließe sich irgendwie feststellen, durch
welchen ein Photon den Schirm erreicht hat, würde kein
Streifenmuster entstehen, sondern lediglich ein Bild wie das, wenn
man abwechselnd je einen der beiden Spalte öffnet (Spektrum der
Wissenschaft, Februar 1995, Seite 50).
Im Gedankenexperiment von Elitzur und Vaidman durchlaufen
einzelne Photonen ein Mach-Zehnder-Interferometer. Diese von
dem österreichischen Physiker Ludwig Mach und seinem Schweizer
Kollegen Ludwig Albert Zehnder entwickelte und im Jahre 1891
beschriebene Vorrichtung besteht aus zwei Strahlteilern und zwei
Spiegeln, die das einfallende Licht zunächst in zwei Wellenzüge
aufspalten, diese dann wieder überlagern und zu zwei Detektoren
weiterleiten. Demnach kann jedes Photon auf zwei möglichen
Wegen von der Quelle zu einem der beiden Detektoren gelangen
(Bild 4).
Sind die Wege exakt gleich lang, entspricht dieser Aufbau praktisch
dem Doppelspalt-Experiment, außer daß jetzt die beiden Detektoren
die Funktion des Schirms übernehmen. Entscheidend ist, daß bei
dieser Konfiguration das gesamte Licht nur auf einen Detektor fällt
- entsprechend den hellen Streifen im Doppelspalt-Experiment (wir
nennen diesen Detektor D-hell). In der Richtung zum anderen
Detektor (D-dunkel) tritt destruktive Interferenz auf, und folglich
registriert er kein Photon.
Was geschieht nun, wenn wir in einen der beiden Wege unsere
lichtempfindliche Murmel legen? Sofern der erste Strahlteiler wie
ein exakt halbdurchlässiger Spiegel wirkt wird das Photon mit 50
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ein exakt halbdurchlässiger Spiegel wirkt, wird das Photon mit 50
Prozent Wahrscheinlichkeit diesen Weg nehmen und die Murmel zu
Staub zerfallen lassen (beziehungsweise die Superbombe zünden).
Nimmt es den anderen, so trifft es zwar nicht auf die Murmel; aber
nun kann keine Interferenz mehr auftreten, denn zwischen Quelle
und zweitem Strahlteiler existiert nur noch ein möglicher Weg.
Deshalb wird an dieser Stelle das Photon wiederum zufällig zu
einem der beiden Detektoren gelenkt.
Strahlengang mit Hindernissen
Wird das Photon vom Strahlteiler reflektiert und trifft es auf D-hell,
liefert der Versuch keine Information, da dieses Resultat auch ohne
Murmel einträte. Aber genausogut kann das Photon jetzt den
Strahlteiler auch geradeaus durchlaufen und auf D-dunkel treffen.
Dann wissen wir mit Sicherheit, daß eine Murmel im Interferometer
liegt - sonst hätte D-dunkel nicht ansprechen dürfen. Und da wir nur
ein einziges Photon verwendet haben, das in D-dunkel angelangt ist,
kann es nicht auf die Murmel getroffen sein. Somit haben wir eine
wechselwirkungsfreie Messung durchgeführt: Die Murmel wurde
mit Gewißheit nachgewiesen, ohne daß ein Photon mit ihr in
Wechselwirkung getreten wäre.
Auch wenn in der Hälfte der Versuche die Murmel zerstört wird, so
gilt doch: Wenn das Schema funktioniert, dann mit eindeutigem
Resultat.
Das zugrundeliegende Prinzip ist ein Eckpfeiler der
Quantenmechanik, nämlich des Welle-Teilchen-Dualismus. Alles
hat, wie das Licht, sowohl Teilchen- als auch Wellencharakter und
manifestiert sich je nach Versuchsaufbau als das eine oder das
andere. Sind beide Wege des Interferometers frei, verhält das Licht
sich als Welle: Es kann den zweiten Strahlteiler entlang beider
Wege erreichen und zeigt Interferenz. Doch wenn die Murmel einen
der beiden Wege blockiert, verhält sich das Photon als unteilbares
Partikel und folgt nur einem bestimmten Weg; die bloße
Anwesenheit der Murmel reicht somit aus, Interferenz zu
verhindern, selbst wenn das Photon nicht mit der Murmel
wechselwirkt.
Vor zwei Jahren haben wir zusammen mit Thomas Herzog, der jetzt
an der Universität Genf tätig ist, das Gedankenexperiment von
Elitzur und Vaidman in die Tat umgesetzt und gezeigt, daß man
tatsächlich wechselwirkungsfreie Meßgeräte zu bauen vermag. Als
Quelle für einzelne Photonen verwendeten wir einen speziellen
optisch nichtlinearen Kristall: Fällt ein ultraviolettes Photon darauf,
so wird es mitunter in zwei Tochterphotonen umgewandelt, die zwei
separate und wohldefinierte Richtungen einschlagen. Indem wir
eines der beiden Photonen nachwiesen, wußten wir ganz gewiß, daß
das andere gerade in unseren Versuchsaufbau eintrat.
Für unser Experiment wählten wir ein Michelson-Interferometer,
benannt nach dem amerikanischen Physiker Albert A. Michelson
(1852 bis 1931) Es enthält nur einen Strahlteiler und ist einfacher
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(1852 bis 1931). Es enthält nur einen Strahlteiler und ist einfacher
zu justieren als ein Mach-Zehnder-Interferometer (Bild 5 oben). Die
Spiegel und der Strahlteiler waren so angeordnet, daß die Photonen
wieder zurück zum Herkunftsort gelenkt wurden; das entspricht
dem Weg zum Detektor D-hell beim Gedankenexperiment von
Elitzur und Vaidman. War keine Murmel im Interferometer,
registriert D-dunkel praktisch keine Photonen (wegen kleiner Fehler
der Justierung und der Komponenten jedoch ab und zu eines).
Das änderte sich gründlich, wenn wir in einen der beiden
Strahlenwege das Pendant einer Murmel plazierten - einen kleinen
Spiegel, der das Photon zu einem weiteren Detektor (D-Murmel
genannt) umlenkte. Wie im Gedankenexperiment sprach dieser
Detektor tatsächlich in etwa der Hälfte der Versuche an. In einem
Viertel der Fälle erhielten wir keine Information, da das Photon
wieder den Rückweg zu seinem Herkunftsort einschlug. Doch im
restlichen Viertel der Versuche signalisierte ein Klick von D-dunkel
wie erwartet eine wechselwirkungsfreie Messung (Bild 5 unten).
Durch eine einfache Änderung dieses Aufbaus ließ sich seine
Wirksamkeit steigern: Wir verringerten die Reflektivität des
Strahlteilers, damit das Photon weniger oft in Richtung D-Murmel
abgelenkt wurde. Dadurch kehrt das Photon freilich auch häufiger
zu seinem Ausgangspunkt zurück, und das Experiment muß
entsprechend öfter wiederholt werden, um eine statistisch eindeutige
Aussage zu ergeben. Zugleich näherte sich die Anzahl von
erfolgreichen Versuchen (indirekter Nachweis der Murmel in Ddunkel) immer mehr der Anzahl der Fehlversuche (Zerstörung der
Murmel durch Nachweis in D-Murmel) an. Das heißt: Nach dem
Elitzur-Vaidman-Schema können wir tendenziell in der Hälfte der
Fälle eine Messung ohne Wechselwirkung durchführen.
Der quantenphysikalische Zenon-Effekt
Ist diese fünfzigprozentige Wirksamkeit schon die oberste Grenze oder gibt es einen weiteren quantenmechanischen Trick, mit dem
sich auch diese Hürde überwinden ließe? Schließlich brachte uns
Mark A. Kasevich von der Universität Stanford (Kalifornien) im
Januar 1994 während seines Aufenthalts in Innsbruck auf die
richtige Spur. Demnach läßt sich im Prinzip in allen Fällen die
Anwesenheit der Murmel wechselwirkungsfrei feststellen
(wiederum abgesehen von experimentellen Ungenauigkeiten).
Die neue Technik nutzt ein weiteres seltsames Quantenphänomen,
das Baidyanath Misra, der jetzt an der Universität Brüssel tätig ist,
und E.C. George Sudarshan von der Universität von Texas in Austin
schon im Jahre 1977 beschrieben hatten. Sie entdeckten, daß ein
Quantensystem sich in seinem Anfangszustand gleichsam einfrieren
läßt, obwohl es, wenn man es sich selbst überließe, in einen anderen
Zustand übergehen würde. Verursacht wird dieser sogenannte
Quanten-Zenon-Effekt durch die Auswirkungen einer Messung auf
das Quantensystem. Ähnliche Paradoxien formulierte der
griechische Philosoph Zenon (um 490 bis 430 vor unserer
Zeitrechnung) indem er unter anderem folgerte ein fliegender Pfeil
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Zeitrechnung), indem er unter anderem folgerte, ein fliegender Pfeil
könne nie an sein Ziel gelangen, weil er sich in jedem Augenblick
nur an einem Punkt aufhalte (siehe Spektrum der Wissenschaft,
Januar 1995, Seite 66). Während aber Zenons klassisches
Paradoxon sich durch die infinitesimale Mathematik auflösen läßt,
hat der Meßprozeß in der Quantenmechanik tatsächlich einen
bestimmenden Einfluß auf das Resultat und ermöglicht damit das
Einfrieren des Zustands; das entsprechende Prinzip heißt
Projektionspostulat (Bild 10).
Die neue Methode der wechselwirkungsfreien Messung greift im
wesentlichen das wohl einfachste Beispiel des Quanten-ZenonEffekts auf, das Asher Peres vom Technion in Haifa, dem
Israelischen Institut für Technologie, 1980 vorgeschlagen hat. Dabei
kommt eine weitere Welleneigenschaft des Lichts ins Spiel, nämlich
seine Polarisation; sie bezeichnet die Schwingungsebene, in der es
als transversale Welle oszilliert - auf und ab oder vertikal, von links
nach rechts oder horizontal und so weiter (Bild 6). Von der Sonne
oder fast allen anderen Quellen ausgehendes Licht ist unpolarisiert,
das heißt, es schwingt in allen möglichen Richtungen; doch durch
ein Polarisationsfilter läßt sich eine bestimmte Schwingungsebene
auswählen.
Zudem kann man diese durch polarisationsdrehende Substanzen etwa eine Zuckerlösung - verändern. Passiert ein ursprünglich
horizontal polarisiertes Photon zum Beispiel sechs
Polarisationsrotatoren mit je 15 Grad Drehwirkung, so ist es
schließlich vertikal polarisiert. Schickt man solche Photonen dann
durch einen Polarisator, der nur waagrecht polarisiertes Licht
durchläßt, so erreicht keines den Detektor, weil sie zuvor vom
Polarisator absorbiert werden (Bild 7 oben).
Doch nun suchen wir die stufenweise Drehung der
Schwingungsebene mit Hilfe des Quanten-Zenon-Effekts zu
unterbinden. Dazu genügt es, hinter jeden Polarisationsrotator einen
horizontalen Polarisator zu plazieren (Bild 7 unten). Der erste
Rotator verdreht die Polarisationsrichtung nur um 15 Grad, und
darum beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß das erste
Polarisationsfilter das Photon absorbiert, lediglich 6,7 Prozent (die
Absorptionswahrscheinlichkeit entspricht dem zum Quadrat
erhobenen Sinus des Drehwinkels).
Wird das Photon im ersten Filter nicht absorbiert, bleibt es exakt
horizontal polarisiert, denn nur solche Photonen können den
Waagrecht-Polarisator passieren. Vom zweiten Rotator wird die
Schwingungsebene erneut um 15 Grad gedreht und das Photon
wiederum vom zweiten Polarisator mit derselben geringen
Wahrscheinlichkeit absorbiert. Dieser Prozeß wiederholt sich, so
daß das Photon schließlich am letzten Polarisator ankommen kann.
Alles in allem hat ein in das System eintretendes Photon eine gute
Chance von rund zwei Dritteln, nicht absorbiert zu werden und
durch den gesamten Versuchsaufbau zum Detektor zu gelangen; die
exakte Wahrscheinlichkeit dafür ist (cos2(15 Grad))6. Wenn wir die
Zahl der Zwischenschritte erhöhen und die einzelnen Drehwinkel
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Zahl der Zwischenschritte erhöhen und die einzelnen Drehwinkel
entsprechend anpassen (nach der Formel 90 Grad geteilt durch
Anzahl der Schritte), so erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit,
daß das Photon den Detektor erreicht - bei 20 Schritten auf fast 90
Prozent. Mit 2500 Zwischenschritten würde das Photon nur noch
mit der Wahrscheinlichkeit eins zu tausend absorbiert, und im
theoretischen Grenzfall unendlich vieler Schritte könnte es sogar
ungehindert passieren. Auf diese Weise läßt sich die Entwicklung
des gedrehten Zustands im Prinzip gänzlich unterdrücken.
Um den Quanten-Zenon-Effekt in der Praxis zu studieren, erzeugten
wir wiederum mittels eines nichtlinearen Kristalls einzelne
Photonen. Anstelle von sechs Rotatoren und sechs Polarisatoren
verwendeten wir nur je einen, schickten aber den Lichtstrahl
sechsmal durch diese Konfiguration, indem er eine geknickte
Spirale durchlief (Bilder 2 und 8). Ohne Polarisator war das Photon
am Ende stets vertikal polarisiert, mit Polarisator ungefähr in zwei
Dritteln aller Fälle horizontal - wie nach dem Gedankenexperiment
zu erwarten war.
Erhöhter Wirkungsgrad
Mit Hilfe dieses Tricks suchten wir nun die Effizienz unserer
wechselwirkungsfreien Messung zu steigern, das heißt, mit
möglichst hoher Wahrscheinlichkeit ein opakes Objekt
nachzuweisen, ohne es mit Photonen zu treffen. Im Gegensatz zum
eben beschriebenen Quanten-Zenon-Experiment sollte das
horizontal polarisierte Test-Photon statt der geknickten Spiralbahn
immer denselben Hin- und Rückweg beschreiben, also mehrmals sagen wir sechsmal - zwischen Spiegeln reflektiert werden (um es in
eine solche Anordnung bringen zu können, muß sich der eine
Spiegel sehr schnell zwischen transparent und hochreflektierend
umschalten können lassen; wir konnten dafür schaltbare
Interferenzsysteme aus der Lasertechnik adaptieren). An einem
Ende des Spiegelsystems dreht wiederum ein Rotator die
Polarisationsebene in 15-Grad-Schritten, am anderen liegt ein
Polarisationsinterferometer, das zum Nachweis des Objekts dient.
Es ist sehr ähnlich aufgebaut wie das Interferometer unseres ersten
Experiments, doch nun teilt ein polarisierender Strahlteiler das Licht
auf zwei gleich lange Arme auf (Bild 9).
Dieser Strahlteiler läßt alles horizontal polarisierte Licht durch,
während er vertikal polarisiertes vollständig reflektiert; die
Alternative zwischen Transmission und Reflexion entspricht im
wesentlichen den zwei Pfaden im Doppelspalt-Experiment. Befindet
sich kein Gegenstand in diesem Interferometer, so wird das je nach
Polarisation aufgespaltene Licht von Spiegeln reflektiert und am
Strahlteiler überlagert. Bei exakter Einstellung des Experiments
kommt das Photon wieder in genau dem Zustand aus dem
Interferometer heraus, in dem es in das Gerät eintrat (also zum
Beispiel nach dem ersten Mal wieder genau um 15 Grad gedreht).
Nach sechs solcher Zyklen hat somit die Polarisationsrichtung
wiederum von horizontal nach vertikal gewechselt.
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Dies ändert sich, sobald wir ein opakes Objekt in den reflektierten
Arm des Interferometers setzen. Da der vertikal polarisierte Anteil
nun absorbiert wird, ist das Photon, sofern es wieder aus dem
Interferometer kommt, immer horizontal polarisiert. Dies entspricht
genau dem Einbringen der Polarisatoren im Quanten-ZenonExperiment. Im ersten Durchlauf ist demnach die
Wahrscheinlichkeit, daß das Photon mit seiner um 15 Grad aus der
Horizontalen gedrehten Polarisation am Strahlteiler reflektiert - und
vom Objekt absorbiert - wird, relativ klein (wie zuvor nur 6,7
Prozent). Wird das Photon nicht absorbiert, so muß es durch den
horizontal polarisierten Arm gegangen sein und wird darum das
Interferometer horizontal polarisiert verlassen.
Wie im Quanten-Zenon-Experiment wiederholt sich dieser
Vorgang, bis wir nach sechs Zyklen den unteren Spiegel sehr
schnell auf transparent schalten, um das Photon aus der Testanlage
zu entlassen. Wenn wir nun seine Polarisation messen, so wird sie
im erstgenannten Fall - ohne Murmel - auf vertikal gewechselt
haben.
Doch sofern im anderen Fall die Murmel den Interferometerarm
blockiert, hat der Quanten-Zenon-Effekt die Polarisationsänderung
verhindert, und wir messen horizontale Polarisation; daraus können
wir auf das Vorhandensein der Murmel schließen. Indem wir die
Zahl der Zyklen erhöhen, lassen sich der Drehwinkel pro Zyklus
und damit die Wahrscheinlichkeit einer Absorption des Photons im
Prinzip beliebig verringern. In ersten Versuchen am Los-AlamosNationallaboratorium der USA in New Mexico haben wir einen
Wirkungsgrad von 70 Prozent erreicht, hoffen aber bald bis auf etwa
85 Prozent zu kommen.
Anwendungsmöglichkeiten
Wozu mag all diese Quantenzauberei in der Praxis dienen? Es
scheint sich damit zu verhalten wie mit dem Laser, anfangs einer
faszinierenden Laborkuriosität, für die erst Einsatzmöglichkeiten zu
finden waren.
Vom Prinzip der wechselwirkungsfreien Messung könnten wir
immer dann profitieren, wenn ein Objekt abgebildet werden sollte,
ohne es Licht oder einer anderen Strahlung auszusetzen. Diese
seltsame Photographie könnte folgendermaßen funktionieren: Statt
eines einzigen Photons würde man viele - für jedes Bildpixel eines in Richtung des Objekts schicken und damit parallel
wechselwirkungsfreie Messungen durchführen. Überall dort, wo das
Objekt nicht den Weg der Photonen blockiert, würde sich ihre
Polarisation stufenweise von horizontal zu vertikal ändern. An den
übrigen Stellen würde (mit geringer Wahrscheinlichkeit) das
jeweilige Photon verlorengehen, sonst aber die Polarisation
unverändert bleiben. Nach der erforderlichen Zahl von Umläufen
ließe sich durch ein Polarisationsfilter eine Abbildung des Objekts
herstellen - mit Photonen, die es nie getroffen hätten: Mit einem
horizontal orientierten Filter ergäbe sich eine Art Schattenriß mit
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horizontal orientierten Filter ergäbe sich eine Art Schattenriß, mit
einem vertikal orientierten Negativ. In bestimmten Fällen ließe sich
auch ein Bild von teilweise transparenten Objekten und vielleicht
sogar für unterschiedliche Farben produzieren (Bild 11).
Diese Methode ist keineswegs auf sichtbares Licht beschränkt.
Röntgenstrahlen etwa - und aufgrund des Welle-TeilchenDualismus auch alle Arten von Materiestrahlung - lassen sich
ebenfalls für wechselwirkungsfreie Messungen verwenden. Wichtig
ist, daß die benutzten Quantenteilchen für interferometrische
Zwecke geeignet präpariert werden können. Zum Beispiel würden
sich auf diese Weise im Prinzip lebende Zellen mit Röntgenstrahlen
photographieren lassen; Geräte dieses Typs könnten das
Strahlungsrisiko für den Patienten deutlich senken. Wie das
praktisch funktionieren soll ist allerdings noch nicht abzusehen,
weil optische Systeme für entsprechende Wellenlängen äußerst
schwierig herzustellen sind.
Vorderhand bietet sich vor allem die Vermessung von
Quantensystemen an, zum Beispiel von ultrakalten Atomwolken.
Kürzlich hat man nach Erreichen sehr niederer Temperaturen und
hoher Dichten erstmals die sogenannte Bose-Einstein-Kondensation
experimentell beobachtet. Dabei gehen alle Atome in den gleichen
Quantenzustand über; sie verhalten sich nicht mehr unabhängig
voneinander, sondern kollektiv als Einheit (Spektrum der
Wissenschaft, September 1995, Seite 32). Normalerweise würde
bereits die Streuung eines einzigen Photons ein Atom solch einer
Wolke stark aufheizen und es sofort aus dem Verband stoßen.
Wechselwirkungsfreie Meßtechniken böten die Möglichkeit, diesen
Quantenzustand direkt darzustellen.
Außerdem könnte die wechselwirkungsfreie Messung auch zur
Manipulation von Quantensystemen dienen. Da eine Messung den
Zustand des Meßapparats direkt mit dem des beobachteten Systems
koppelt, kann man auf diese Weise die Eigenschaften mehrerer
Quantensysteme verknüpfen.
In den letzten Jahren wurden große experimentelle Fortschritte in
der Interferometrie mit Materiewellen erzielt. Dabei beobachtet man
das Interferenzverhalten von massiven Teilchen - von Elektronen,
Neutronen, Atomen und kürzlich sogar von Molekülen. Nehmen wir
nun an, der zu beobachtende Gegenstand sei ein Atom, das sich
gerade auf einem von zwei möglichen Wegen eines Interferometers
bewegt. Unsere wechselwirkungsfreie Messung sei entlang des
ersten Wegs so justiert, daß das Photon horizontal polarisiert wird,
wenn das Atom hier vorbeikommt, und vertikal, wenn das Atom den
anderen Weg nimmt. Damit haben wir aber eine Eigenschaft des
Atoms (zum Beispiel: "befindet sich auf dem ersten Weg") direkt
mit einer Eigenschaft des Photons ("horizontal polarisiert")
verknüpft.
Ein solcher Zustand wird - nach dem österreichischen Physiker
Erwin Schrödinger (1887 bis 1961; Nobelpreis 1933) - als
verschränkt bezeichnet. Schickt man anstelle eines einzigen Photons
mehrere durch die Meßvorrichtung so wird eine Eigenschaft aller
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mehrere durch die Meßvorrichtung, so wird eine Eigenschaft aller
Photonen mit einer des Atoms verknüpft. Diese verschränkten
Vielteilchenzustände würden, wenn es gelänge, sie im Labor zu
erzeugen, tiefere Einblicke in das Gefüge der Quantenmechanik
eröffnen.
Analogien für Schrödingers Katze
Benutzen wir nicht nur einzelne abgezählte Photonen für die
wechselwirkungsfreie Messung, sondern ganze Lichtpulse aus dem
Laser, so koppeln wir die Eigenschaften eines Quantensystems mit
denen eines klassisch beschreibbaren Systems und realisieren damit
ein berühmtes quantenphysikalisches Gedankenspiel, nämlich
Schrödingers Katze. Schrödinger warf seinerzeit die Frage auf, ob
eine unbeobachtete Katze noch lebe oder schon tot sei (oder beides
zugleich), wenn sie in einen Kasten mit einem Mechanismus
gesperrt ist, der mit gewisser Wahrscheinlichkeit ein Giftgas
freisetzt. Ähnlich unserem Quantenteilchen, von dem wir nicht
mehr sagen konnten, entlang welchen Weges es das Interferometer
durchquert hat, existiert das Tier in einer Überlagerung zweier
möglicher Zustände.
Vor etwa einem Jahr ist es Wissenschaftlern des National Institute
of Standards and Technology in Boulder (Colorado), erstmals
gelungen, ein einzelnes Beryllium-Ion in solch einen verschränkten
Zustand zu versetzen. Dabei manipulierten sie mit Laserpulsen das
in einer Falle gefangene Teilchen derart, daß es als makroskopische
Überlagerung mehrerer Schwingungszustände präpariert wurde
(Spektrum der Wissenschaft, August 1996, Seite 24). Mit einer
perfekten Messung könnte man ebenso einen ganzen Lichtpuls mit
einer Überlagerung von makroskopisch unterscheidbaren
Eigenschaften verschränken und so den Grenzbereich zwischen
Quantenwelt und klassischer Physik genauer untersuchen.
Die intuitiver Einsicht widerstrebenden Phänomene der
Quantenwelt strapazieren auch das Vorstellungsvermögen von uns
Physikern. Unterdessen haben mehrere Forscher die Idee der
wechselwirkungsfreien Messung aufgenommen und für andere
optische und interferometrische Systeme verallgemeinert. Gewiß
wird man künftig zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten entwickeln.
Die theoretischen Grundlagen dafür - das
Komplementaritätsprinzip, der Welle-Teilchen-Dualismus und die
seltsame Wirkung einer Quantenmessung - sind bereits seit den
dreißiger Jahren bekannt; doch erst seit kurzem vermag man auf
diesem faszinierenden Gebiet vom Gedankenexperiment zum
praktischen Laborversuch überzugehen.
Literaturhinweise
- QED: The Strange Theory of Light and Matter. Von Richard P.
Feynman. Princeton University Press, 1985.
- Quantum Mechanical Interaction-Free Measurements Von
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- Quantum Mechanical Interaction-Free Measurements. Von
Avshalom C. Elitzur und Lev Vaidman in: Foundations of Physics,
Band 23, Heft 7, Seiten 987 bis 997, Juli 1993.
- Interaction-Free Measurement. Von P. G. Kwiat, H. Weinfurter, T.
Herzog, A. Zeilinger und M.A. Kasevich in: Physical Review
Letters, Band 74, Heft 24, Seiten 4763 bis 4766, 12. Juni 1995.
- Zu wechselwirkungsfreien Messungen siehe im World Wide Web
unter http://info.uibk.ac.at/c/c7/c704/qo/photon/#Inter und unter
http://p23.lanl.gov/Quantum/kwiat/ifm-folder/ifmtext.htm
Autoren: Paul Kwiat, Harald Weinfurter und Anton Zeilinger
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