Infektionsrisiken durch die Transfusion in der Schweiz PD Dr. phil. nat. Christoph Niederhauser Interregionale Blutspende SRK | page 1 Inhalt • Risiken im Bereich Medizin • Vorschriften Behörden / Blutspende SRK Schweiz (B-CH) • Sicherheitsbarrieren (Massnahmen und Interventionen) • Aktuelle epidemiologische Lage der Blutspender in der Schweiz • Neue «Risiken» • Konklusion Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 2 «Restrisiken» im medizinischen Sektor • «In der Schweiz gibt es pro Jahr 1200 bis 2000 Todesfälle, die auf Fehler in Spitälern zurückzuführen sind», sagt Margrit Kessler, Präsidentin der Stiftung SPO Patientenschutz. − − − − − Falsche Medikation Operationen Nosokomiale Infektionen Patientenverwechslungen Etc. Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 3 Vergleich von Risiken in der Transfusionsmedizin 108 107 106 105 104 103 102 101 100 Spenden HCV HIV HBV Bakterien TRALI Haemolytische TR TACO Anästhesie falsch transfundiert Medikamente/Operationen/Verwechslungen Emerging infectious diseases Erreger Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 4 Theoretisch kalkulierte Restrisiken HIV, HCV, HBV 2013 – 2015: HIV: 1: 7’200’000 HCV: 1: 13’500’000 HBV: 1: 640’000 Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 5 Vorgaben Swissmedic / Blutspende SRK Schweiz Obligatorisch zu testende Infektionsmarker • Infektionsserologie − HBsAg (Swissmedic) − Anti-HCV (Swissmedic) − Anti-HIV 1/2 (Swissmedic) − Syphilis (Treponema pallidum) − Serothek (Swissmedic) T. pallidum (Swissmedic) − Plasmodium spp. (Malaria) seit 2007 (B-CH) − Trypanosoma cruzi (Chagas) seit 2013 (B-CH) − CMV (je nach Situation) • Nucleic Acid Testing (NAT) − HBV (B-CH) − HCV (Swissmedic) − HIV 1/2 (Swissmedic) HI-Virus − HAV (B-CH) − Parvovirus B19 (B-CH) • Verordnung über die Bewilligungen im Arzneimittelbereich (ArzneimittelBewilligungsverordnung, AMBV) 812.212.1; Vorschriften Blutspende SRK Schweiz Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 6 Sicherheitsbarrieren Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 7 Sicherheit beginnt beim Spender Information/Fragebogen/Anamnese/medizinische Untersuchung falls notwendig • Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit • 19 Fragen & Antworten zur Sicherheit des Spenders und der des Empfängers • Reisen • Medikamente • Operationen • Krankheiten • Impfungen Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 8 Anforderungen an den Spender steigen kontinuierlich Reguläre SpenderInnen Notfallsituation Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 9 Sicherheitsgewinn bei der Entnahme • Gute Reinigung und Desinfektion der Einstichstelle • Predonation Beutel: Die Kontamination von Blutkomponenten wird mit dieser Massnahme um gut 50% reduziert (bakterielle Hautflora des Spenders) • Leukozytendepletion (Filtration): Intrazelluläre Infektionserreger wie CMV, Borrelien, etc. wurden zum allergrösstenteils zusammen mit den Leukozyten aus den Blutkomponenten entfernt Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 10 Sicherheitsgewinn bei der Verarbeitung • Pathogenreduktion (Intercept) bei Thrombozytenkonzentraten Intercept Blood System - Cerus • 100% der Thrombozytenkonzentrate in der Schweiz sind mit Intercept behandelt • Verarbeitung sowie die Lagerung im Besondern beim Plasma (-30°C) und bei den Erythrozytenkonzentraten (4°C) führen zu einer «Abreicherung» von Infektionserregern Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 11 Testung weltweit Parvovirus B19 NAT Was steht vor der Türe: HAV NAT HBV NAT • HEV • WNV • Chikungunya Virus • Zika Virus • Dengue Virus • CMV • Coxiella burnetti • ……… HIV NAT Anti-T. cruzi HCV & HIV NAT HCV Ag Anti-HCV Anti-HTLV ALAT Syphilis 1938 HBsAg ALAT Malaria (2007) Leishmania Dengue Chagas (2013) Babesia Etc…… Anti-HBc Anti-CMV Anti-HIV 1970 1975 1980 1985 & weitere Marker, Landes- oder Regionenspezifisch: 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 12 Was haben die diversen Massnahmen gebracht ? Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 13 Kontaminierte Thrombozytenkonzentrate Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 14 Bakterielle Kontamination von Blutkomponenten Morbidität und Mortalität auf Grund von bakteriell kontaminierten TKs 2005 2009) • Vor der Einführung der Pathogenreduktion (PR) mit Intercept − 15 febrile / septische Reaktionen ( 3 davon tödlich verlaufen) − ~130’000 transfundierte TKs − Morbidität: 1 : 8’700 − Mortalität: 1 : 43’000 (1 Fall auf 1.7 Jahre) − Ab 2009 kein tödlicher Fall mehr (ca. ab Mitte 2011 alle TKs in der Schweiz mit Intercept behandelt) − Seither keine Übertragungen mehr gemeldet und bestätigt (gegen 200’000 Thrombozytenkonzentrate transfundiert) Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 15 Diagnostische Lücken Busch et al. 2005; Assal et al. 2009; Weusten et al. 2011 Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 16 Was hat die NAT Testung gebracht NAT yield cases in der Schweiz • HIV 1 Fall auf ca. 5 Millionen Spenden 1 : 5’000’000 • HCV 2 Fälle auf ca. 7 Millionen Spenden 1 : 3’500’000 • HBV ca. 30 Fälle auf ca. 2 Millionen Spenden 1 : 67’000 (3 WP, 27 OBIs) • Übertragungen von HIV, HCV und HBV durch Blutkomponenten − Kein HCV Fall seit Einführung NAT (1999) − Kein HIV Fall seit Einführung NAT (2002; letzter dokumentierter Fall 2001) − Kein HBV Fall seit Einführung NAT (2009) Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 17 Neue Risiken auf Grund von sogenannten (re)emerging disease Erregern Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 18 Globalisierung / Mobilität / Klima…. • Globalisierung von tropischen Krankheiten. Es handelt sich um ein kombiniertes Ereignis der hohen Mobilität von Vektoren, Menschen, Tieren und Krankheitserregern • Etablierung einer Mückenpopulation Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 19 Vorbereitung auf mögliche weitere Gefahren • Strukturierter Entscheidungsprozess sollte bestehen aus einer − Risikoabschätzung − Risikomanagement − Risikokommunikation • Epidemiologische Daten sammeln (Grundlagen für alle Berechnungen) • Neuer wissenschaftlicher Input muss laufend mit berücksichtigt werden • Betrachtung und Miteinbezug von Risiken, Nutzen und Kosten • Transparenz der Entscheidungsprozesses muss hoch sein − Akzeptanz eines gewissen Rest-Risikos ist ein gesellschaftlicher Entscheid − Akzeptanz von gewissen Kosten zur Verminderung eines entsprechenden Risikos ist ebenfalls ein gesellschaftlicher Entscheid − Risikobetrachtungen im Bezug auf die Sicherheit von Blutprodukten hat je länger je mehr auch einen internationalen Kontext Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 20 Fragestellungen um Vorgehen / Massnahmen zu definieren • Handelt es sich um eine „Blood borne Infektion • Überlebt der Erreger die Verarbeitung und die Lagerung in Blutkomponenten • Ist die Prävalenz in Blutspendern genügend hoch • Können Spender auf die entsprechenden Risikofaktoren abgefragt werden • Können Spender auf Vorhandensein der Infektion getestet werden • Sind die vorhanden Test genügend sensitiv um einen genügenden Sicherheitsgewinn zu bringen • Sind die vorhanden Tests genügend spezifisch damit nicht fälschlicherweise zu viele Spender ausgeschlossen werden Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 21 Fragestellungen um Vorgehen / Massnahmen zu definieren (Forts.) • Sind die «richtigen» Testsysteme vorhanden (direkter / indirekter Nachweis notwendig) • Gibt es asymptomatische Phasen während der Infektion • Wie hoch ist die klinische Relevanz für den Empfänger • Wie gross ist der Anteil an immunsupprimierten oder allgemein „Abwehrgeschwächten“ Empfängern • Können infizierte Empfänger behandelt werden • Sind die entstehenden Kosten vertretbar (cost/efficiency) • Gibt es allenfalls valable Alternativen Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 22 Was wurde schon gemacht ? Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 23 Malaria: gezielte Testung von Risiko-SpenderInnen • Malaria Testung seit April 2007 (Daten April 2017 bis Ende 2015) 3’150’000 Spenden 12’887 Spender at-risk 178 bestätigt Malaria positiv 174 geboren oder aufgewachsen in deklarierten Malariagebieten 4 Reiser-Rückkehrer • Spezifität von 92.8% (gesamte Schweiz) • Letzte transfusionsbedingte Übertragung in der Schweiz 1999 Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 24 Chagas: gezielte Testung von Risiko-SpenderInnen • Chagas Testung seit Januar 2013 (Daten Januar 2013 bis Dezember 2015 ) 1’150’000 Spenden 6’978 Spender at-risk 3 bestätigt T.cruzi positiv 2 Mehrfachspender 1 Erstspender 1 Übertragung • Spender mit den 54 Spenden; bei einem Empfänger eines TKs (nicht PR), wurde post mortem ein T. cruzi Infiltrate im Herz nachgewiesen Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 25 Weiter Infektionserreger die bei uns auf dem Radar sind • West Nile Virus (WNV) • Zika Virus (ZIKV) • Hepatitis E Virus (HEV) • Chikungunya Virus (CHIKV) • Dengue Virus (DENV) • Usutu Virus • Coronavirus (SARS) • HTLV • GBV • TTV • Coxiellen • Babesien • VJCD • Protheopathien Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 26 WNV Prepardness Plan • Spender, die sich in WNV Risikogebieten aufgehalten haben, werden für 28 Tage zurückgestellt • Prepardness Plan seit 2015 in Kraft. Wurden von Swissmedic und dem BAG akzeptiert und mitgetragen Szenarien Pflichten BAG Pflichten B-CH Massnahmen RBSD WNV-Fälle bei Mücken Informiert B-CH Informiert RBSD keine Verdachtsfälle bei Mensch / Pferd Informiert B-CH Informiert RBSD keine Erster bestätigter WNV-Fall bei Mensch/Pferd Informiert B-CH Informiert RBSD; Auslösen Massnahmen der Stufe 1 CH weit aktive Erhöhung der Awareness der Spender für NSI durch Plakate, Flyer, etc. Fünfter autochtoner Fall bei Mensch und/oder Pferd innerhalb von 4 Wochen in der Region Tessin Informiert B-CH Informiert RBSD; Auslösen Massnahmen der Stufe 2a WNV-NAT Testung in der Region Tessin Übrige Schweiz Rückweisung für 28 Tage nach ≥ 24 Std. in der Region Tessin Fünfter autochtoner Fall bei Mensch und/oder Pferd innerhalb von 4 Wochen in der übrigen Schweiz Informiert B-CH Informiert RBSD; Auslösen Massnahmen der Stufe 2b WNV-NAT Testung CH-weit Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 27 Berechnung theoretisches Risiko (Forts.) Inzidenz Übertragung / Jahr Kosten um einen Fall zu verhindern Anzahl zu testender Spenden 1/8 Millionen 1/11 Jahren 30 Millionen CHF ~ 3’740’000 Inzidenz Übertragung / Jahr Kosten um einen Fall zu Anzahl zu ~ 1’700’000 verhindern testender Spenden 2/8 Millionen 1/5 Jahren 14 Millionen CHF 3/8 Millionen 1/3.7 Jahren 10.4 Millionen CHF 5/8 Millionen 5/8 Millionen 1/2 Jahren 7.6 Millionen CHF 10/8 Millionen 1/1.25 Jahren 3.5 Millionen CHF ~ 425’000 100/8 Millionen 1/0.11 Jahren 0.31 Millionen CHF ~ 40’000 1/2 Jahren ~ 1’258’000 7.6 Millionen CHF~ 680’000 ~ 680’000 entspricht ungefähr dem Restrisiko einer möglichen HBV-Übertragung durch Blutkomponenten • WNV NAT Tests sind validiert und innerhalb von 2 – 3 Wochen könnte in der Schweiz ein generelles Screening eingeführt werden Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 28 Zika Virus / Chikungunya Virus / Dengue Virus • Zika Virus − Spender, die sich in WNV Risikogebieten aufgehalten haben, werden für 28 Tage zurückgestellt − Prepardness Plan seit 2016 in Kraft. Wurden von Swissmedic und dem BAG akzeptiert und mitgetragen − Tests aktuell noch nicht validiert, da noch keine routinetauglichen, CE markierten Tests auf dem Markt sind • Chikungunya und Dengue Virus − Spender, die sich in WNV Risikogebieten aufgehalten haben, werden für 28 Tage zurückgestellt − Prepardness Pläne noch nicht erstellt, könnten aber nach dem Muster des WNV und Zika Prepardnessplanes schnell erstellt werden − CHIKV: IRB hat eine in-house PCR entwickelt / kommerzielle Tests für beide Viren sind in der Entwicklung Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 29 Hepatitis E Virus • Nicht beachtete „Endemie“ in Europa • Bildung einer nationalen Arbeitsgruppe (Fachexperten der SVTM, des Blutspendewesens, med. Leitung B-CH, Hepatologen, Infektiologen, Swisstransplant und Swissmedic) • Initiative Ausgehend von Blutspende SRK Schweiz und Swissmedic • Ziel ist es eine Roadmap in Bezug auf das Hepatitis E Virus zu erarbeiten • Definierte Ziele: Eine mögliche HEV-RNA-Testung von Blutprodukten und deren klinischer Relevanz beleuchten und eine entsprechende Strategie ausarbeiten • Monitoring von immunsupprimierten Patienten • Mögliche Optionen für das Blutspendewesen: − Keine Testung − Spezifische Testung für Risikopatienten − Generelles Screening Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 30 Konklusionen: potentielle Interventionsmöglichkeiten • Mögliche Intervention je nach epidemiologischer Situation - Ausschlüsse (definitiv) - Rückweisungen für einen bestimmten Zeitraum - Predonation Beutel - Generelles Screening aller Spender - Gezieltes testen von bestimmten „Risikogruppen“ an Spendern - Gezieltes testen für bestimmte vulnerable Patienten (Immunsupprimierte) - Indirekter Nachweis (Ab) (chronische Infektionen) - Direkter Nachweis (Antigen oder Nukleinsäure) (akute Infektionen) - Leukozytendepletion / Pathogenreduktion - Nachspendeinformation (NSI) - Risikoabschätzungen / Prepardnesspläne / Monitoring Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 31 Konklusion Ein kleines infektiologisches Restrisiko wird immer bleiben Da unsere Spender nicht so behandelt werden können Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 32 Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit Grossen Dank dem ganzen IRB Team um Caroline Tinguely, Martin Stolz und Peter Gowland Fortbildungsveranstaltung Stade de Suisse | CNI | November I 2016 | page 33