FOKUS HERAUSFORDERUNG DIABETES MELLITUS Die unterschätzte Bedrohung Diabetes mellitus gehört inzwischen zu den großen Volkskrankheiten in Deutschland – und ist damit zu einer Herausforderung für das gesamte Gesundheitswesen geworden. Der „Deutsche Gesundheitsbericht Diabetes 2014“ stellt fest: „Schlaganfall, Nierenversagen oder Amputation sind schwerwiegend – und doch wird Diabetes in der Gesellschaft nach wie vor als bedrohliche Krankheit kaum wahrgenommen. Warum ist das so?“ Zu den wesentlichen Gründen dürfte gehören, dass die Krankheit schleichend entsteht, zunächst meist schmerzfrei ist und nur sehr langsam protrahiert. Zudem wird das Ausmaß der Gefäßveränderungen oft erst sehr spät bemerkt. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes ist die Diabetesprävalenz in Deutschland in den vergangenen 14 Jahren von 5,2 % auf 7,2 % gestiegen, nicht eingerechnet die unbekannte Dunkelziffer. Damit befindet sich Deutschland im Weltvergleich unter den Top Ten! Weltweit leben 80 % der Menschen mit Diabetes in Ländern mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen. Ein prognostizierter Anstieg von heute 382 auf 592 Millionen Betroffene im Jahr 2035 lässt ahnen, mit welchem Tempo die „Diabetes-Welle“ mittlerweile wächst. Bereits 2006 haben die Vereinten Nationen die chronische Erkrankung Diabetes mellitus im Rahmen der UN-Resolution 61/225 als „weltweite gesundheitliche Bedrohung“ anerkannt. Das veranlasste den damaligen Generalsekretär der UN, Kofi Annan, zu der Feststellung: „To do nothing is no longer an option!“ Politiker der Mitgliedstaaten sind seither aufgefordert, nationale Diabetespläne zur Prävention und Behandlung des Diabetes mellitus auszuarbeiten, und der „Welt-DiabetesTag“ am 14. November 2013 wurde zu einem offiziellen Tag der Vereinten Nationen erklärt. DIE LAGE IN DEUTSCHLAND Eine flächendeckende Diabetesberatung für acht Millionen Menschen anzubieten, ist eine Herausforderung für das deutsche Gesundheitswesen: Die medizinische Behandlung des Diabetes verursacht bereits heute jährliche Kosten von 21 Milliarden Euro. Dies entspricht ca. 11 % der gesamten Ausgaben der Krankenversicherungen. Etwa zwei Drittel davon werden für die Behandlung von Folgeerkrankungen des Diabetes ausgegeben. Von den Kosten abgesehen, sind gerade Menschen mit Diabetes Hochrisikopatienten für kar- 4 diovaskuläre Folgeerkrankungen und brauchen eine wohnortnahe, ambulante Langzeitbetreuung. Obwohl die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) mittlerweile fast 3.500 Diabetesberater und mehr als 7.000 Diabetesassistenten ausgebildet hat, sind Schulung und Beratung bis heute nicht für jeden Betroffenen gesichert. Zwar haben die seit zehn Jahren implementierten Disease-Management-Programme für Typ-1und Typ-2-Diabetes zu verbesserten Versorgungsstrukturen geführt und gleichzeitig geben die Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft klare und strukturierte Vorgaben für die Diabetestherapie. Dennoch bleibt die Qualität von Schulung und Beratung verbesserungsbedürftig. zwingend die fachübergreifende Zusammenarbeit von (Fach-)Ärzten, Ernährungsund Diabetesberatern, dem Pflegepersonal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, aber auch von Krankenkassen, Apothekern und pflegenden Angehörigen. Der Fokus der Programme, die heute in strukturierten Schulungen eingesetzt werden, liegt daher auf einer verständlichen Darstellung von Krankheitsbild und Therapieoptionen, aber vor allem auch auf dem Erhalt der Lebensqualität und Funktionalität im Alltag der Betroffenen. Dabei werden inhaltliche Themen wie orale Antidiabetika, Insulin und nicht zuletzt Ernährung in ein für den Betroffenen alltagstaugliches Gesamtkonzept integriert. Der Diabetesberater – mit Grundberuf Gesundheits- und Krankenpfleger, Oecotrophologe/Ernährungswissenschaftler oder Diätassistent (u. a.) – ist in vielen Belangen wie z. B. Dosisanpassungen die erste und wichtigste Kontakt- Erwartete Zunahme an Diabetes mellitus Zwar gilt grundsätzlich: Die erfolgreiche Behandlung eines Diabetes hängt davon ab, dass die Betroffenen ihre Behandlung weitgehend selbst in die Hand nehmen. Trotzdem bleibt die Betreuung von Menschen mit Diabetes komplex und fordert (AFR: Africa; MENA: Middle East and North Africa; SEA: South East Asia; SACA: South and Central America; WP: Western Pacific; NAC: North American and Carribean; EUR: Europa) Quelle: IDF Diabetes Atlas 2013 VDOE POSITION 2/14 FOKUS person. Jeder Mensch mit Diabetes hat heute das gesetzlich verbriefte Recht auf Schulung – frühestmöglich, idealerweise mit dem Zeitpunkt der Diagnosestellung. VERSORGUNGSSTRUKTUREN UND WEITERBILDUNG Um jedem Betroffenen qualifizierte und wohnortnahe Betreuung zukommen zu lassen, sind verschiedene Versorgungsebenen geschaffen worden. Neben den Hausärzten verfügen heute in erster Linie Diabetes-Schwerpunkt-Praxen über die notwendigen Strukturen für eine leitliniengerechte Versorgung. Sie werden geleitet von Diabetologen, während die Schulung in der Regel von Diabetesberatern und/ oder Diabetesassistenten kompetent übernommen wird. Dritte Ebene sind die klinischen Einrichtungen, die sich als Diabeteszentren der DDG zertifizieren lassen können. Auch hier muss auf unterschiedlichen Ebenen und in nicht unerheblichem Maße Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität vorgehalten werden. Weiterbildungen zum Diabetesberater bzw. -assistenten werden von der DDG seit Mitte der 80er- bzw. 90er-Jahre durchgeführt. Sie werden für nicht ärztliche Grundberufe wie Gesundheits- und Krankenpfleger, Altenpfleger, Diätassistenten und Oecotrophologen angeboten (s. hierzu www.deutsche-diabetes-gesellschaft. de). Nach Analysen der letzten Jahre liegt der Anteil der Oecotrophologen bzw. Ernährungswissenschaftler in den Weiterbildungen der DDG bei ca. 5 %. Noch eine Weiterbildung also? Ja! Ein DDG-Zertifikat ist für Beratungsarbeit in einer diabetologischen Einrichtung sehr hilfreich bis unumgänglich. Denn die in den Kursen unterrichteten Inhalte werden in unseren Studiengängen nur zu einem kleinen Teil vermittelt. Verbände im Diabetesbereich Deutsche DiabetesGesellschaft Wissenschaftliche Fachgesellschaft Verband der Diabetes- Berufsverband Beratungs- und Schulungsberufe e. V. diabetesDE – Deutsche Diabeteshilfe www.vdbd.de Gemeinsame www.diabetesDe.org nationale DiabetesDachorganisation • Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft und vertritt die Interessen von Ärzten in Kliniken und Praxen, Wissenschaftlern, Psychologen und Diabetesberatern. Die DDG veranstaltet zwei Diabeteskongresse im Jahr. • Die Dachorganisation diabetesDE mit Sitz in Berlin engagiert sich seit ihrer Gründung u. a. für eine gesundheitspolitische Anerkennung der chronischen Erkrankung Diabetes mellitus. So auch in diesem Jahr mit der Kampagne „Diabetes stoppen jetzt!“ Alle mit Diabetes Befassten – Betroffene wie Therapeuten – sind dazu aufgerufen, sich zu beteiligen: Mit „Post an den (Gesundheits-)Minister“ und „Fotos für die Kanzlerin“ sollen Regierung und Parlament von der Notwendigkeit einer nationalen Strategie zur Diabetesprävention überzeugt werden. Ziel der Kampagne ist es zum einen das Indikationsfeld Diabetes in den Koalitionsvertrag einzubringen, zum anderen Diabetes im Präventionsgesetz zu verankern. • Der Verband der Diabetes-Beratungsund Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD) versteht sich als Solidarund Interessengemeinschaft von Diabetes-Beratern und Diabetes-Assistenten DDG sowie weiteren qualifizierten Die Autorin: Dr. Jutta Liersch Kontakt: [email protected] VDOE POSITION 2/14 Foto: © privat Die Diplom-Oecotrophologin Dr. Jutta Liersch (Promotion im Bereich Pathophysiologie) ist seit 1988 am Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH tätig. Sie leitet dort das Diabetes-Schulungszentrum. Sie ist aktiv im VDOE Arbeitskreis Diabetes und schult die Mitglieder zum Thema. www.deutschediabetes-gesellschaft.de Fachkräften, die sich gezielt für Menschen mit Diabetes mellitus und assoziierte Erkrankungen engagieren. Unter den ca. 4.000 Mitgliedern sind aktuell 146 Oecotrophologen. ROLLE DER OECOTROPHOLOGEN Die Arbeit in der Schulung und Beratung von Menschen mit Diabetes ist interessant, abwechslungsreich und vielfältig. Sie gibt Raum für gelebte Oecotrophologie/ Ernährungswissenschaft und geht dabei weit über diese hinaus, indem sie sie mit den vielen Facetten und Anforderungen einer Diabetestherapie und deren Umsetzung im Alltag verbindet. Der Arbeitskreis (AK) Diabetes im VDOE beschäftigt sich speziell mit diesem Thema und hat sich zum Ziel gesetzt, Kolleginnen und Kollegen in unserem Berufsverband für die Arbeit in der Diabetologie zu sensibilisieren. Mitglieder des AK bieten zur Stärkung der Diabeteskompetenz Seminare im Rahmen des VDOE-Zertifikats an und übernehmen redaktionelle Arbeit in diabetologisch orientierten Fachzeitschriften. Letztendlich hat sich der AK auch zum Ziel gesetzt, unsere Kompetenz darzustellen und unseren Berufsstand in die diabetologischen Versorgungsstrukturen einzubinden. Dazu gehören auch Kontakte zu anderen Berufsverbänden wie dem VDBD. Diabetesberatung/-schulung ist mitunter anstrengend, manchmal frustrierend. Aber das Engagement lohnt sich! Oecotrophologen sind wichtig, wenn es darum geht, bessere Strukturen aufzubauen, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv einzumischen. Viele Kolleginnen haben diesen Weg bereits beschritten. Menschen mit Diabetes wissen unser Engagement zu schätzen. Dr. Jutta Liersch 5