Montag, 16. Juni 2008 PRESSE MACHT SCHULE 7 Wer braucht schon Religion? Front gegen Unterricht UMFRAGE. Schüler, Eltern und Lehrer sind gegen Religionsunterricht. Fixe Gebetszeiten bisher nur hypothetisches Problem in Schule. VON THOMAS PETSCHINA, ALEXANDRA STAUFFER UND ANJA ZALEWSKI R eligionsunterricht ist unwichtig. Klingt provokant, ist aber empirisch belegt – zumindest im kleinen Rahmen. Eine Umfrage am BG11 Geringergasse hat ergeben, dass an Religionsunterricht gar kein Interesse besteht. Das Überraschende daran: Nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer und Eltern sind dieser Meinung. Mehr als drei Viertel aller Befragten äußerten sich negativ gegenüber dem Religionsunterricht (s. Grafik). Sie sind der Meinung, dass Religion nur auf freiwilliger Basis als Unterrichtsfach gewählt werden sollte. Auch 70 Prozent aller befragten Lehrer waren der Meinung, dass Religion freiwillig angeboten werden sollte. Wo liegen nun die Gründe für derartige Ergebnisse? Sind uns heutzutage religiöse Inhalte und Wertevermittlung im Religionsunterricht wirklich egal? Das dann auch wieder nicht – zumindest gibt es auf letzteren Punkt eine deutliche Antwort seitens der Lehrer: Denn obwohl ein Großteil der Lehrer sich gegen den Religionsunterricht ausspricht, vertreten sie trotz allem die Meinung, dass unterschiedlichste Werte mit Schülern besprochen werden sollten – 57 Prozent sprachen sich für die Einführung von Ethikunterricht als Alternative zum Religionsunterricht aus. Wichtig für die Umsetzung dieses Vorhabens wäre allerdings eine professionelle Ausbildung der Lehrer. Da ein Ethikunterricht zur Zeit nur im Rahmen eines Schulprojekts umgesetzt werden kann, müssten Lehrer ihre Ausbildung zusätzlich zum normalen Unterricht absolvieren. Dabei ergibt sich eine vielfältige Problematik, vor allem um die Themen Geld und Personal wird gestritten. Klares Votum für Ethikunterricht In diesem Punkt sind sich die Lehrer auf jeden Fall einig: Ethikunterricht sollte eingeführt werden. Unsicherer diesbezüglich sind sich die Eltern. Knapp mehr als die Hälfte hat sich in der Umfrage für einen Ethikunterricht ausgesprochen; 46 Prozent waren trotz der Entscheidung gegen verpflichtenden Religionsunterricht auch der Meinung, dass kein Ethikunterricht angeboten werden sollte. Auch die Mehrheit der Schüler hat sich dieser Meinung angeschlossen – sie wollen weder einen Religions- noch einen Ethikunterricht. Die totale Ablehnung der Schüler scheint – zumindest aus Schülersicht – nachvollziehbar, denn wer will schon ein zusätzliches Unterrichtsfach haben? Muslime: Beten in der Klasse? Der Religionsunterricht – oder Ethikunterricht als Ersatz – ist allerdings nur ein Aspekt der Problematik rund um Religion und Schule. Im Rahmen der Umfrage wurden Schüler auch befragt, ob sie sich in ihrer Religionsausübung durch die Schule eingeschränkt fühlen. Das Ergebnis: Schüler mit römisch-katholischem Glauben sehen diesbezüglich keine Probleme, allerdings stellen einige Glaubensgemeinschaften strenge Regeln an ihre Angehörigen. Der Islam, beispielsweise, besitzt vorgeschriebene Gebetszeiten (fünf Mal Beten am Tag). Dies könnte unter Umständen zu Konflikten bei der Gebetsausübung führen – es könnte zu Kollisionen mit der Unterrichtszeit kommen. Wäre es tatsächlich möglich, dass Muslime im Unterricht ihren Gebetsteppich ausbreiten, hätte das möglicherweise Folgen für den Unterricht – und könnte für manche Schüler und Lehrer eine Überschreitung der Toleranzgrenze bedeuten. Aus diesem Grund wäre ein „Gebetsraum“ eine mögliche Lösung, um einerseits mehr Privatsphäre bei der Ausübung religiöser Praktiken, als auch einen Ort zum Zurückziehen zu haben. Jedoch ist die Umsetzung fraglich, da den meisten Schulen die Mittel fehlen. Claudia Valsky, Direktorin des BG11, ist der Meinung, dass ein „Meditationsraum“ oder „Ruheraum“ eine passendere Bezeichnung für solch einen Raum wäre, da es auch Schüler ohne Religionsbekenntnis gibt. Eine Frage bleibt offen: Würden Schüler eine solchen Raum nutzen und zu schätzen wissen? Eine Lösung dazu muss jedenfalls gefunden werden – von den Schulen, vom Gesetzgeber oder von Gerichten: In Deutschland hat ein Gericht einem Schüler Recht gegeben, der sein Recht auf Religionsausübung in der Schule vor dem Gesetz eingefordert hat. Die strengen Gebetsregeln für Muslime sind mit den Unterrichtszeiten an Öster[ Teresa Zötl ] reichs Schulen oft unvereinbar. ······························································································································································································································································································································ Einfalt statt Vielfalt: Die ersten Ansätze Ethik in der Schule: 2010 als neues Fach Für friedliches Zusammenleben der Religionen gab es schon früh Stimmen aus klerikalen Kreisen. Mehr Moralerziehung soll für die Jugend angeboten werden. Schule in Simmering plant Projekt. N ikolaus von Kues, ein christlicher Philosoph und Theologe des 15. Jahrhunderts schreibt visionär über die Unterscheidung der wahren und der falschen Religionen: „ . . . denn nicht bist Du, der Du die unbegrenzte Stärke bist, irgendetwas von dem, was Du geschaffen hast noch kann ein Geschöpf einen Gedanken Deiner Unendlichkeit erfassen, da kein Verhältnis zwischen dem Begrenzten und dem Unbegrenzten existiert. Du aber, Allmächtiger Gott, Du kannst Dich, der Du jeglichem Denken unsichtbar bist, nur auf diese Weise, in der Du begriffen werden kannst, und dem Du Dich zeigen willst, offenbaren. Verbirg’ Dich nicht länger, Herr! Wenn Du dich dazu herablässt, werden Schwert, Neid, Hass und alle weiteren Übel weichen; und alle werden erkennen, dass es nur eine Religion geben kann, eine – in all ihren verschiedenen Formen.“ Nikolaus von Kues schrieb sein Werk „De pace fidei“ kurz nach dem Fall von Konstantinopel (1453). Diese Ansichten bedeuteten eine radikale Umkehr vom damals gängigen Bild von Muslimen als Kinder des Teufels – „des tuvelis kint“ (Rolandslied, 12. Jh.). Diese Stelle bildete auch die Grundlage für Entstehung und Durchführung dieses Schulprojekts. I ch finde es gut und wichtig, dass dieses Thema diskutiert wird“, meint Claudia Valsky, Direktorin des BG11. Religionsfreiheit ist für sie sehr wichtig: „Wenn Kopftücher aus religiösen Gründen getragen werden, ist das völlig in Ordnung. Wird das Mädchen allerdings dazu gezwungen empfinde ich es als Einschränkung der persönlichen Freiheit.“ Nicht nur die Problematik zwischen den verschiedenen Glaubensbekenntnissen spiele eine Rolle, zur Religionsfreiheit zählt für sie auch die Entscheidung zum Atheismus. Einen Gebetsraum wolle sie als solchen an ihrer Schule nicht realisieren, da es auch Menschen gibt, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Als Meditations- oder Ruheraum fände sie solch einen Ort allerdings wertvoll. Wegen dringendem Platzmangel am BG11 sei er allerdings vorerst nicht realisierbar. Direktorin Valsky: „Lieber Ruhe- und [ Privat ] Meditations- als Gebetsraum.“ mittelt werden. Es gibt auch Werte außerhalb von Religionen“, so die Direktorin. Sie plant bereits, Ethikunterricht als Schulversuch einzuführen. Momentan sei sie damit beschäftigt, Ausbildungsmöglichkeiten für Lehrer zu finden. Sie ist optimistisch, den Schulversuch mit Zustimmung der Schulpartner im Schuljahr 2010/11 einzuführen. “Werte außerhalb von Religionen“ Am BG11 wird neben römisch-katholischem und evangelischem auch islamischer Religionsunterricht angeboten. „Ob ein Religionsunterricht angeboten wird, ist von der Anzahl an Schülern, die ihn besuchen wollen, abhängig“, sagt Valsky. Der Religionsunterricht wird auf jeden Fall beibehalten, einen Ethikunterricht hält sie allerdings für notwendig. „Es ist wichtig, dass Schülern Werte ver- Diese Seite wurde von der 8a-d (Gruppe Latein) des BG 11 Geringergasse gestaltet. 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