Die kosmische Strahlung und ihre Untersuchung im CosmoALEPH

Werbung
Die kosmische Strahlung
und ihre Untersuchung
im CosmoALEPH-Experiment
Staatsexamensarbeit
am Fachbereich Physik
der Johannes Gutenberg-Universitat Mainz
Heiko Besier
geboren in Wiesbaden
Mainz
Oktober 2000
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Entdeckung der kosmischen Strahlung
2.1 Die Entdeckung der Radioaktivitat . . . . . . . . . . . . .
2.2 Von der Hohenstrahlung zum Standardmodell . . . . . . .
2.2.1 Die Bausteine der Materie? . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Neue Teilchen aus der Hohenstrahlung . . . . . . .
2.2.3 Mit Teilchenbeschleunigern in kleinere Dimensionen
3 Physikalische Grundlagen
3.1 Die Elementarteilchen . . . . . . . . . . .
3.2 Einige fundamentale Teilcheneigenschaften
3.2.1 Masse . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.2 Mittlere Lebensdauer . . . . . . . .
3.2.3 Teilchenzerfall . . . . . . . . . . . .
3.2.4 Ladung . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.5 Spin . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Die fundamentalen Wechselwirkungen . . .
4 Kosmische Strahlung
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
4.1 Was ist kosmische Strahlung? . . . . . . . . . . . .
4.1.1 Zusammensetzung der Primarstrahlung . . .
4.1.2 Energiespektrum der Primarstrahlung . . . .
4.2 Quellen kosmischer Strahlung . . . . . . . . . . . .
4.2.1 Die Entstehung schwerer Elemente . . . . .
4.2.2 Zur Energiedichte der kosmischen Strahlung
4.2.3 Gegenuberstellung moglicher Quellen . . . .
4.3 Beschleunigungsmechanismen . . . . . . . . . . . .
4.3.1 Fermi-Beschleunigung 2. Ordnung . . . . . .
4.3.2 Fermi-Beschleunigung 1. Ordnung . . . . . .
4.3.3 Synchrotronbeschleunigung . . . . . . . . .
1
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
3
5
5
6
6
6
10
14
14
16
16
17
18
20
20
21
24
25
25
27
28
29
31
31
35
35
37
38
4.4 Odyssee im Weltraum . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4.1 Das galaktische Magnetfeld . . . . . . . . . .
4.4.2 Ursachen fur Energieverluste . . . . . . . . . .
4.4.3 Der Greisen-Zatsepin-Kuzmin-Cuto . . . . .
4.5 Teilchenschauer in der Erdatmosphare . . . . . . . .
4.5.1 Eigenschaften ausgedehnter Luftschauer . . .
4.5.2 Myonen in der kosmischen Strahlung . . . . .
4.6 Experimente zur Untersuchung kosmischer Strahlung
5 Das CosmoALEPH-Experiment
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
5.1 Ziel der Messungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Geographische Lage und geometrischer Aufbau . . . . . .
5.2.1 Geometrische Anordnung der Stationen . . . . . .
5.3 Das Hadronkalorimeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4 Aufbau der Szintillator-Stationen . . . . . . . . . . . . .
5.4.1 Die Komponenten eines Szintillationszahlers . . .
5.4.2 Aufbau der einzelnen Stationen . . . . . . . . . .
5.4.3 Die Auslese-Elektronik . . . . . . . . . . . . . . .
5.5 Arbeitspunkte und Nachweiswahrscheinlichkeiten . . . .
5.5.1 Einstellung der Arbeitspunkte eines neuen Stacks
5.5.2 Ezienzbestimmung der Stationen . . . . . . . .
5.6 Photonuntergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.7 Zeitsynchronisation und Datennahme . . . . . . . . . . .
5.8 Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 Schlubemerkung
Literaturverzeichnis
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
39
40
41
43
45
47
49
51
54
54
55
55
57
57
57
58
59
61
61
64
66
67
68
71
72
74
2
Kapitel 1
Einleitung
Die in der Teilchenphysik untersuchten Elementarteilchen und die Beschreibung der
fundamentalen Wechselwirkungen bilden die Grundlage der Physik. Es ist daher zu
begruen, da diese Disziplin mittlerweile unter der Rubrik Elementarteilchenphysik
in den Lehrplan von Rheinland-Pfalz aufgenommen wurde. Elementarteilchenphysik
umfat als sogenannter Wahlpichtbaustein die Punkte Fundamentalteilchen, fundamentale Wechselwirkungen und Austauschteilchen sowie experimentelle Befunde.
Als schwer kann es sich erweisen, Zugang zu einem Bereich zu nden, dessen Dimensionen so weit entfernt von den Alltagserfahrungen und Vorstellungen der Schuler
liegen. Daher bietet es sich an, die Modelle und Grundlagen der Teilchenphysik an
einem fur die Schuler interessanten Medium zu entwickeln. Ein solches Medium ist
die Physik der kosmischen Strahlung.
Wie sich in der vorliegenden Arbeit zeigen wird, bietet die Betrachtung der kosmischen Strahlung Gelegenheit, viele Bereiche der Physik (innerhalb und auerhalb des
Lehrplans) zu behandeln und leistet daruber hinaus Verknupfungen mit den Wahlpichtbausteinen Astrophysik, Astronomie und Kosmologie. Das Faszinierende an
diesem Bereich der Physik sind mit Sicherheit auch die Moglichkeiten und die vielen
Unbekannten, die die Aktualitat dieser Forschungsdisziplin ausmachen. Im Unterricht konnte sich so die Vermittlung von gefestigtem Wissen und bisher ungelosten
Problemen des Standardmodells verbinden lassen mit dem Forschungsgegenstand
der kosmischen Strahlung, der trotz fast hundertjahrigen Bemuhungen immer neue
Fragen aufwirft. Neben der Behandlung dieses Stoes sollte dem Schuler auch eine
Vorstellung zu vermitteln sein, welche Vorgehensweisen bei der Forschung gewahlt
werden und welche damit auftretenden Probleme man zu losen hat.
Die Idee, eine Abhandlung uber die kosmische Strahlung und deren Untersuchung als
Einfuhrung in die Teilchenphysik zu schreiben, entstand bei einem zweimonatigen
Aufenthalt am Forschungszentrum CERN in Genf und Arbeiten an dem dortigen
CosmoALPEH-Experiment.
3
Die vorliegende Arbeit gliedert sich folgendermaen: In Kapitel 2 ist die historische
Entwicklung der Untersuchung der kosmischen Strahlung und der Teilchenphysik
skizziert. Hier wird die enge Verknupfung und die U berschneidung beider Themengebiete bereits ersichtlich. Kapitel 3 beinhaltet die Grundlagen der Teilchenphysik und
des Standardmodells, die anhand des Beispiels der kosmischen Strahlung plastisch
dargestellt werden konnen und in Unterichtseinheiten uber kosmische Strahlung eingebettet werden sollten. Eine Einfuhrung in dieses Gebiet ist in Kapitel 4 gegeben.
Der Weg kosmischer Strahlung wird hier von den angenommenen Quellen durch
den interstellaren Raum bis zu Wechselwirkungen in der Erdatmosphare verfolgt

und schliet mit einem Uberblick
der Moglichkeiten zu ihrer Untersuchung. Kapitel 5 beschreibt Details des CosmoALPEH-Experimentes und dort durchgefuhrter
Arbeiten und soll als Beispiel fur die Untersuchung und Nachweismethoden kosmischer Strahlung und ihrer Sekundarprodukte dienen. Hier soll auch ein Einblick in
die Moglichkeiten und Probleme eines Experimentes vermittelt werden.
Diese Arbeit ist gedacht als Handreichung fur Lehrer und Schuler der Oberstufe und
will einen U berblick verschaen uber einen Bereich der Physik, der die meisten oenen Fragen in sich birgt. Wahrend in diesem Rahmen hauptsachlich der theoretische
Hintergrund auch anhand von Beispielen vermittelt wird, bietet sich die Moglichkeit,
die kosmische Strahlung auch mit den fur Schulen zur Verfugung stehenden Mittel
zu untersuchen1 und die Unterrichtseinheiten durch Exkursionen zu entsprechenden
Experimenten zu erganzen.
1
siehe auch [Kle00]
4
Kapitel 2
Die Entdeckung der kosmischen
Strahlung
2.1 Die Entdeckung der Radioaktivitat
Im Fruhjahr 1896 beschaftigte Antoine Henri Becquerel (1852-1908) die Frage, ob
Kristalle von Sonnenlicht zum Strahlen angeregt werden. Im Rahmen dieses Experimentes entdeckte er eher zufallig, da ein von ihm als Kristallprobe verwendetes
Uransalz selbst in einer lichtdichten Bleikassette Photoplatten belichtete. Diese neu
entdeckte Strahlung wurde zunachst als rayons uranique dem Element Uran zugeschrieben. Doch zwei Jahre spater beobachtete Marie Sklodowska Curie (1859-1934)
eine ahnliche Strahlung des Elements Thorium und entdeckte schlielich zusammen
mit ihrem Mann Pierre Curie (1859-1906) das Element Radium, dessen Aktivitat die
des Urans um ein millionenfaches ubertraf. Das neue Phanomen erhielt von ihnen
den Namen Radioaktivitat. Auch Ernest Rutherford (1871-1937) untersuchte diese
Naturerscheinung und konnte 1898 zeigen, da Rontgenstrahlung und Radioaktivitat im Grunde die gleichen Auswirkungen auf Gas haben. Ihm gelang es auch,
zwei Arten von Radioaktivitat zu unterscheiden, die er als Alpha- und Betastrahlen
bezeichnete.
Eine weitere fundamentale Entdeckung, die in diese Zeit el, gelang Sir William
Thomson (1824-1907) mit Hilfe seines Kathodenstrahlversuchs. Das von ihm 1897
nachgewiesene Kathodenstrahlteilchen sollte spater den Namen Elektron erhalten
und sich als Konstituent der Betastrahlen herausstellen.
Die Untersuchung radioaktiver Strahlen erfolgte zumeist mit Elektrometern, die sich
die ionisiernde Wirkung der Strahlen auf Luft zunutze machten. Dies fuhrte zur Beobachtung eines seltsamen Phanomens. Die Elektrometer wiesen auch dann Strahlung nach, wenn keine radioaktive Quelle in der Nahe war. Die Suche nach der
Quelle dieser Strahlung, die auch auf dem Meer, abseits von radioaktivem Gestein,
5
prasent war, veranlate den Jesuitenpater Theodor Wulf 1910, Strahlungsmessungen auf dem Eifelturm vorzunehmen, die ihm relativ zum Erdniveau hohere Werte
lieferten. Daher vermutete er, da die Strahlungsintensitat mit der Hohe in der Atmosphare zunehme und die Quelle gegebenfalls im Weltall zu suchen sei. Ein von
ihm angedachter Versuch wurde 1911 und 1912 von Viktor Hess durchgefuhrt, der
Heiluftballonfahrten bis in 5000 Meter Hohe unternahm. Er stellte eine starke Zunahme der Strahlungsintensitat ab 1000 Metern fest und auf 5000 Metern ein dreibis funfmal hoheres Strahlungsniveau als auf Meereshohe. Fur die Entdeckung der
kosmischen Strahlung erhielt Hess 1936 den Nobelpreis. Die Hohenabhangigkeit der
Intensitat der Hohenstrahlung bestatigte sich bei spateren Experimenten - unter anderem durch Robert Millikan (1868-1953) - mit unbemannten Ballons in groeren
Hohen.
2.2 Von der Hohenstrahlung zum Standardmodell
2.2.1 Die Bausteine der Materie?
Mittlerweile war erwiesen, da Betastrahlung unter anderem aus Elektronen und
Alphastrahlung, wie zwischen 1907 und 1908 von Rutherford und T.D. Royds gezeigt, aus ionisiertem Helium besteht. Diese Tatsache machte sich Rutherford bei seinem Streuexperiment zunutzte und entdeckte 1911 eine Substruktur des Atoms, den
Atomkern. An diese Entdeckung schlo sich eine neue Vorstellung uber den Aufbau
des Atoms an: das Bohrsche Atommodell, in dem die negativ geladenen Elektronen
den positiven Atomkern in einem Gleichgewicht aus Coulomb- und Zentripetalkraft
umkreisen1. Als James Chadwick (1891-1974) 1932 das Neutron entdeckte, vervollstandigte sich das Bild des Atomkerns. Man erkannte, da sich Kerne nicht nur
aus Protonen (die lange Zeit als Wasserstokerne bezeichnet wurden), sondern aus
Protonen und Neutronen zusammensetzen. Damit kannte man die drei vermeintlich
fundamentalen Bausteine der Materie.
2.2.2 Neue Teilchen aus der Hohenstrahlung
Ein groer Fortschritt fur die Untersuchung der Teilchenstrahlung war die Verbesserung des Geigerzahlers, die 1928 von Hans Geiger und Walther Muller abgeschlossen
wurde. Dieser Detektor war in der Lage, ein einzelnes geladenes Teilchen nachzuweisen und einen Ladungsimpuls auszugeben, mit dem ein Lautsprecher oder ein
Zunachst wurde allerdings angenommen, da sich neben den Protonen auch Elektronen im
Atomkern aufhalten.
1
6
Elektrometer betrieben werden konnte. Walter Bothe und Werner Kohlhorster benutzten 1929 eine Anordnung aus zwei ubereinanderliegenden Zahlrohren, um die
Flugrichtung der Teilchen der kosmischen Strahlen zu bestimmen, indem sie das
gleichzeitige Ansprechen beider angeschlossenen Elektrometer, also sogenannte Koinzidenzen, beobachteten (siehe Abb. 2.1). Zur damaligen Zeit war man gemeinhin
der Ansicht, da die kosmische Strahlung
Kosmisches Strahlungspartikel
aus besonders energiereichen Photonen bestehe, weshalb man sich die vielen Koinzidenzen der Meapparatur nur schwer erklaren konnte: Ein Photon ist mit einem
Goldblock (4cm)
Geigerzahler nur nachzuweisen, wenn es ein
Elektron aus einem Atom "herausschlagt\.
Dies mute ein Photon entweder in beiElektrometer
den Zahlrohren tun, um eine Koinzidenz zu
bewirken, oder ein herausgelostes Elektron Abbildung 2.1: Messung der Koinzimute auch den zweiten Detektor durch- denzrate
queren. Wahrscheinlicher war jedoch das
Auslosen beider Zahlrohre durch ein einzelnes Elektron. Um auszuschlieen, da die
Koinzidenz durch ein Photon ausgelost wird, wurde ein massiver Goldblock zwischen
beide Zahlrohre gebracht. Tatsachlich durchdrangen noch 75 Prozent der Teilchen
den Metallblock. Daraus schlossen Bothe und Kohlhorster, da die kosmische Strahlung nicht aus Photonen bestehe, sondern ein Strom elektrisch geladener Teilchen
mit hohem Durchdringungsvermogen sein musse.
Ein weiterer Aufschlu uber die Natur der Strahlung gelang Bruno Rossi um 1930,
als er statt der Geigerzahler Elektronenrohren in einem horizontalen Dreieck anordnete und trotz einer Bleiabschirmung zahlreiche Dreifachkoinzidenzen beobachten
konnte. Die Teilchen der kosmischen Strahlung schienen sich also in der Atmosphare
als eine Art Schauer auszubreiten. Nach wie vor war es jedoch nicht moglich, die
Partikel der Strahlung zu identizieren.
Als auerst hilfreicher Detektor hierfur erwies sich die von C.T.R. Wilson bereits
1911 entwickelte Nebelkammer. Durch diese Kammer ist es moglich, die Ionisationsspuren geladener Teilchen makroskopisch sichtbar zu machen. In Verbindung
mit einem Magnetfeld B , dessen Feldlinien senkrecht zur Flugrichtung eines Teilchens mit der Geschwindigkeit v, der Masse m und der Ladung q stehen, kann man
Aufschlu uber die Eigenschaften eines Teilchens erhalten. Hierbei macht man sich
zunutze, da ein Magnetfeld eine ablenkende Kraft, die Lorentz-Kraft, auf ein geladenes Teilchen ausubt, wobei die Kraftwirkung fur positive und negative Ladungen
genau entgegengesetzt ist (vgl. Abb. 2.2 - der B-Vektor des Magnetfeldes zeigt in
die Zeichenebene). Die Flugbahn erfahrt eine Krummung, die beschrieben werden
7
kann durch den Radius
(2.1)
r = mv
qB :
Bei einem unveranderten Magnetfeld B und unter der Annahme, da das
Teilchen einfach geladen ist (q = e), kann man den Impuls p = mv
ermitteln. Oder anders ausgedruckt: Langsamere und leichtere Teilchen werden durch ein Magnetfeld starker abgelenkt als schwerere und schnellere.
Die Nebelkammer, mit deren Hilfe bereits radioaktive Strahlung untersucht worden war, wollte Millikan
verwenden, um etwas uber das Energiespektrum der
kosmischen Strahlung zu erfahren. 1930 beauftragte
r
er daher seinen Studenten Carl Anderson mit dem
B
Bau einer solchen Kammer und eines leistungsfahigen Magneten. Schon die ersten Aufnahmen wiesen
darauf hin, da die Strahlung in etwa zu gleichen Teilen aus positiv und negativ geladenen Teilchen bestehen musse: Um 1932 gelang Anderson die Aufnahme
einer Teilchenspur, deren Krummung einer positiven Abbildung 2.2: Wirkung der
Ladung entsprach. Wahrend Millikan die Spur einem Lorentz-Kraft auf geladene
Proton zuordnete, vermutete Anderson ein die Kam- Teilchen
mer von unten nach oben durchquerendes Elektron.
Um die Flugrichtung der Teilchen eindeutig bestimmen zu konnen, teilte Anderson die Kammer mit einer Bleiplatte. Beim Durchgang durch diese Platte sollten
die Teilchen Energie und damit Geschwindigkeit verlieren, was sich in einer starkeren Bahnkrummung nach der Platte auern wurde. Tatsachlich wies Anderson ein
Teilchen nach, das den gleichen Krummungsradius und die gleiche Ionisationsdichte
wie ein Elektron zeigte, nur entsprach die Orientierung der Bahn einer positiven
Ladung. Er hatte das Positron entdeckt, das positiv geladene Antiteilchen des
Elektrons (Abbildung 2.3 zeigt Andersons Nebelkammer-Aufnahme).
Vollig unerwartet geschah dies nicht, da Paul A. M. Dirac (1902-1984) bereits einige
Jahre zuvor bei der quantenmechanischen Beschreibung des Elektrons im Rahmen
der speziellen Relativitatstheorie auf die notwendige Existenz eines positiv geladenen
Elektron-Partners mit gleicher Masse gestoen war.
Das erfolgreiche Konzept der Nebelkammer-Magnetfeld-Kombination erfuhr um
1932 noch eine entscheidende Verbesserung. Bislang wurde die Kammer willkurlich
expandiert und belichtet, was eine relativ geringe Treerquote zur Folge hatte.
Patrick Blackett und Giuseppe Occhialini automatisierten diesen Vorgang, indem
sie sowohl ober- als auch unterhalb der Kammer einen Geigerzahler plazierten.
Wiesen die beide Zahlrohre eine Koinzidenz, also einen Teilchendurchgang nach,
wurde uber ein Relais die Kammer expandiert und eine Photoplatte belichtet.
negativ geladenes
Teilchen
8
Dieses einfache Prinzip, einen Detektor durch
einen externen sogenannten Trigger "auszulosen\, ndet auch heute in vielen Experimenten seine Anwendung.
Auch Anderson und sein Kollege Seth Neddermeyer verwendeten das optimierte Verfahren und entdeckten Mitte der dreiiger Jahre
viele Spuren von Teilchen, die im Gegensatz
zu Elektronen und Positronen ein viel hoheres Durchdringungsvermogen besaen, eine geringere Ionisationsdichte aufwiesen und keine
Teilchenschauer erzeugten. Das neue Teilchen Abbildung 2.3: Nebelkammer-Aufbesa eine 200mal groere Masse als das Elek- nahme eines Positrons (das Magnettron. Wieder schien die Theorie dem Experi- feld B zeigt in die Zeichenebene) ment vorausgeeilt zu sein, denn Hideki Yuka- aus [And33].
wa (1907-1981) hatte 1935, zwei Jahre vor der
Veroentlichung der experimentellen Ergebnisse, eine Theorie uber die starke Kraft,
die den Atomkern zusammenhalt, aufgestellt. Mittler dieser Kraft sollte ein Austauschteilchen sein, dessen Masse einige hundertmal groer als die des Elektrons
sein und zwischen der des Elektrons und des Protons liegen mute2. Daher erhielt
es den Namen Meson (griech. mesos "mitten, in der Mitte\). Erst 1945 erwies sich
bei Versuchen von M. Conversi, E. Pancini und O. Piccioni, da das Teilchen eine
zu schwache Wechselwirkung mit Protonen und Neutronen zeigte, um die Starke der
Kernkraft erklaren zu konnen.
Das Ratsel loste sich erst, als C.F. Powell 1947 zusammen mit C.P.S. Occhialini und C.M.G. Lattes ein weiteres Teilchen entdeckte. Sie benutzten dunne Platten
von Photoemulsionen, die von durchgehenden Teilchen praktisch "belichtet" wurden
und somit die Teilchenspur sichtbar machten. Hiermit gelang ihnen die Entdeckung
des Pi-Mesons, oder kurz Pion, das tatsachlich stark mit Protonen und Neutronen
wechselwirkte - Yukawas Teilchen war in der kosmischen Strahlung entdeckt worden. Das zehn Jahre zuvor entdeckte My-Meson oder Myon, das zuerst fur Yukawas
Austauschteilchen gehalten wurde, hat zwar eine ahnlich groe Masse wie das Pion
und kommt ebenfalls sowohl mit positiver als auch mit negativer Ladung vor, es
unterscheidet sich jedoch, wie sich spater zeigen wird, grundlegend vom Pion. Ein
moglicher Hinweis hierauf war der Nachweis des elektrisch neutralen Pions (1947),
dessen Masse (ca. 264 Elektronenmassen) nur geringfugig kleiner als die seiner geladenen Verwandten ist.
In den darauolgenden Jahren wurden noch weitere Teilchen entdeckt, wie zum Bei2
Die Ruhemasse des Protons ist etwa um den Faktor 1836 groer als die des Elektrons.
9
spiel das Kaon (1947) und das Lambda (1951), die man als seltsame Teilchen bezeichnete, da sie eigenartige Eigenschaften besaen, die man damals nicht verstand.
Sie waren zudem von keiner Theorie vorausgesagt worden und kamen, ahnlich wie
das Myon, in der bekannten Materie nicht vor. Viele fundamentale Erkenntnisse
hatte man zu dieser Zeit schon gewonnen:
Die Materie baut sich auf aus Protonen und Neutronen, die den Atomkern
bilden, und den Elektronen, die den Kern im Atom umgeben.
Die Krafte zwischen zwei Objekten werden durch Austauschteilchen vermittelt
(der Trager der elektromagnetischen Kraft, die auch zwischen Elektron und
Atomkern wirkt, ist beispielsweise das Photon).
Zu einigen Teilchen existieren Antiteilchen, die sich durch das Ladungsvorzeichen von ihrem Verwandten unterscheiden.
Die meisten Teilchen sind instabil und besitzen eine begrenzte Lebensdauer.
Sie zerfallen in leichtere Teilchen.
Ungelost war allerdings noch der ordnende Zusammenhang zwischen den vielfaltigen
Teilchen und deren Wechselwirkungen, der nach einigen weiteren Entdeckungen im
Rahmen des Standardmodells der Teilchenphysik erreicht wurde.
2.2.3 Mit Teilchenbeschleunigern in kleinere Dimensionen
In den 30er und 40er Jahren war die kosmische Strahlung als "naturliche\ Teilchenstrahlung die Quelle fur Erkenntnisse. Um jedoch die Wechselwirkung zwischen
Teilchen und deren Struktur und Eigenschaften gezielter untersuchen zu konnen,
bediente man sich nun sogenannter Teilchenbeschleuniger.
Bereits 1929 hatte Ernest Orlando Lawrence mit der Entwicklung des Zyklotrons
begonnen. Die Idee des Beschleunigers war es, Protonen im Spalt zwischen zwei
D-formigen Polschuhen mittels einer hochfrequenten Wechselspannung zu beschleunigen und durch ein senkrecht zur Beschleunigungsebene stehendes Magnetfeld auf
eine Kreisbahn zu zwingen. Da der Impuls der Protonen durch jeden Beschleunigungsvorgang zunimmt, vergroert sich der Radius der Kreisbahn, bis die Protonen
das Zyklotron in einem denierten Strahl verlassen und fur Experimente genutzt
werden konnen.
Ab einer Protonenenergie3 von ungefahr 30 MeV kommt jedoch der relativistische
Massenzuwachs (siehe 3.2.1) zum Tragen, der die Umlaurequenz der Protonen verlangsamt. Um die Frequenz der beschleunigenden Wechselspannung an die verringerte Umlaurequenz anzupassen, wurde Mitte der vierziger Jahre nach einer Idee von
3
zu den Energieeinheiten siehe Kapitel 3.2.1, zur Notation Tabelle 2.1
10
Peta Tera Giga Mega Kilo
Milli Mikro Nano Pico Femto
P
T
G
M
k
m
n
p
f
15
12
9
6
3
0
,
3
,
6
,
9
,
12
,
10 10
10
10
10 10 10
10
10
10
10 15
Tabelle 2.1: Gebrauchliche Vielfache der physikalischen Einheiten
Ed McMillan das Synchrozyklotron entwickelt, mit dessen Hilfe 1949 das neutrale Pion entdeckt werden konnte. Da der Radius des Zyklotrons jedoch die Obergrenze der
erreichbaren Energie mitbestimmt, wurde auf der Suche nach Techniken fur hohere
Energien die Synchrotron-Idee geboren. Entsprechend Gleichung 2.1 lat sich der
Radius der zu beschleunigenden Teilchen konstant halten, wenn man die Starke des
Magnetfeldes an deren Impuls anpat. Zwei Jahre nach dem "Cosmotron\ in Brookhaven, einem 3-GeV -Protonsynchrotron, wurde 1954 in Berkeley das "Bevatron\ in
Betrieb genommen, das Protonen auf 6; 2 GeV beschleunigen konnte. Diese Energie
genugte fur die gezielte Suche nach einem bestimmten Teilchen. Nachdem Anderson 1932 das Positron als "Antielektron\ entdeckt hatte, war man nun bestrebt,
die Symmetrie der physikalischen Gesetze in bezug auf Materie und Antimaterie
bestatigt zu sehen, indem man das Antiproton nachwies. Der Theorie nach mute
man ein ruhendes Ziel (engl. target ) mit Protonenenergien von etwas uber 6 GeV
beschieen, um Antiprotonen zu erzeugen. Tatsachlich gelang es der Arbeitsgruppe
um Emilio Segre bis zum Herbst 1955, etwa 100 Antiprotonen nachzuweisen, wofur
Segre und Owen Chamberlain 1959 den Nobelpreis erhielten.
Die immer groer werdenden Teilchenenergien, die mit Beschleunigern erreicht werden konnten, ermoglichten die U berprufung einer weiteren Theorie. Die Vielzahl der
bis dahin bekannten seltsamen Teilchen, von denen Kaon und Lambda bereits genannt wurden, konnte durch eine prinzipiell gemeinsame Substruktur erklart werden.
Man konnte sie als Kombination neuer Teilchen darstellen, der Quarks4, von denen
zunachst das Up-Quark, das Down-Quark und das Strange-Quark der Theorie genugten. 1964 postulierte Murray Gell-Mann die Existenz dieser Quarks, mit
denen er alle seltsamen Teilchen erklaren konnte (im selben Jahr entwickelte Georg
Zweig die gleiche Idee). Bei den Untersuchungen verschiedener Anregungszustande
des Protons kam man zu dem Ergebnis, da das Proton kein Elementarteilchen ist.
Beispielsweise am SLAC (Stanford Linear Accelerator Center) wurden Protonen mit
hochenergetischen Elektronen beschossen.
Nun ist es eine Grundlage der Quantenphysik, da jedem Teilchen eine Wellenlange
zugeordnet werden kann (die De-Broglie-Wellenlange = h=p, wobei p der Impuls des Teilchens und h = 6; 6261 10,34 Js = 4; 1357 10,21 MeV s die Planck4
"{ Three quarks for Muster Mark.\, aus James Joyce: Finnegans Wake, 1939
11
Konstante ist). Diese Wellenlange wird kurzer, je groer der Impuls des Teilchens
ist. Um in das Proton "hineinsehen" zu konnen, dessen Durchmesser etwa 2 10,15 m
betragt, mu die Wellenlange der Elektronen kleiner als dieser Wert sein, um auch
etwaige kleinere Strukturen aufzulosen. Aus dieser Bedingung ergibt sich mit der
De-Broglie-Gleichung eine Mindestenergie der Elektronen von ca. 620 MeV . Der
Linearbeschleuniger am SLAC erreichte Ende der 60er Jahre Energien von 20 GeV ,
womit Auosungen von etwa 1/30 des Protondurchmessers erzielt werden konnten.
Die Ergebnisse dieses Experimentes sowie die ahnlicher Experimente am CERN
(Centre Europeenne pour la Recherche Nucleaire) in Genf erbrachten den Beweis,
da das Proton aus drei Quarks besteht. Genauer gesagt besteht es aus zwei Up- und
einem Down-Quark und das Neutron aus einem Up- und zwei Down-Quarks. Das
daraus resultierende Bild eines Atoms ist in Abbildung 2.4 schematisch dargestellt.
Aus den aufgefuhrten Groendimensionen
Elektron
der einzelnen Bestandteile lat sich er(< 10 m)
ekennen, da der Kern 10000 mal kleid
u
u
ner als die Atomhulle ist. Das entspricht Quark
u d
Kern
d
(< 10 m)
(~ 10 m)
etwa dem Groenverhaltnis eines Sesam- Proton
u
korns zu einem Heiluftballon. Nach Up, (~ 10 m) e- u d ud d
Neutron
(~ 10 m)
Down und Strange folgte der Nachweis
Atom
des Charm-Quarks Mitte der 70er Jahre,
(~ 10 m)
des Bottom-Quarks 1977 am Fermilab in
Chicago und des Top-Quarks 1994 eben- Abbildung 2.4: Schematischer Aufbau
falls am Fermilab.
eines Helium-Atoms mit GroendiDamit waren sechs Quarks - Up, Down, mensionen
Charm, Strange, Top und Bottom - experimentell nachgewiesen, zu denen sich das Elektron, das Myon und das 1975 entdeckte
Tauon, oder Tau gesellten. All diesen Teilchen ist gemeinsam, da sie keine uns
bekannte Substruktur besitzen, also Elementarteilchen sind.
Um den "Zoo" der fur diese Arbeit relevanten Teilchen zu vervollstandigen, soll
an dieser Stelle noch ein bis heute nicht vollstandig verstandenes Teilchen erwahnt
werden. Beim ,-Zerfall, der Quelle der anfangs angesprochenen Beta-Strahlung,
wandelt sich im Kern ein Neutron in ein Proton um, wobei es ein Elektron abstrahlt. Bei diesem Proze scheint Energie verloren zu gehen. 1930 stellte Wolfgang
Pauli die Hypothese auf, da die fehlende Energie von einem bis dahin unbeobachteten Teilchen mit sonderbaren Eigenschaften ,weggetragen' wurde. Dieses Teilchen
mute elektrisch neutral sein, und eine sehr kleine (oder gar keine) Masse besitzen.
Es erhielt von Enrico Fermi 1933 den Namen Neutrino (ital. "kleines Neutrales\)
und wurde erst 1956 von Clyde Cowan und Fred Reines nachgewiesen. Der Grund
dafur ist die extrem schwache Wechselwirkung des Neutrinos mit anderen Teilchen.
-18
-18
-15
-15
-15
-10
12
Heute kennt man drei Arten: das Elektron-Neutrino, das Myon-Neutrino und
das Tau-Neutrino.
Zusammen mit Elektron, Myon und Tau werden die Neutrinos zu den Leptonen
(griech. lepton - klein, kleine Munze), den ,leichten' Teilchen, gezahlt. In [Clo89],
[Wei84] und [Wal91] nden sich ausfuhrliche historische Darstellungen, denen auch
die meisten Daten dieses Kapitels entnommen wurden.
Die Strukturierung der Teilchenvielzahl und die Beschreibung ihrer Eigenschaften
und Wechselwirkungen soll im nachsten Kapitel vorgenommen werden.
13
Kapitel 3
Physikalische Grundlagen
Die groe Zahl verschiedener Teilchen, ihr Verhalten und ihre Wechselwirkungen
konnen mit Hilfe des Standardmodells der Teilchenphysik erklart werden. Da
die Teilchen der kosmischen Strahlung nicht mehr mit der klassischen Mechanik
beschrieben werden konnen, werden in diesem Kapitel auch einige Grundlagen der
Speziellen Relativitatstheorie eingefuhrt.
Den Rahmen des Standardmodells bilden drei Aussagen, die im folgenden erlautert
werden sollen [Wal91]:
1. Die Materie besteht aus einigen genau denierten Elementarteilchen, die man
in Quarks und Leptonen unterteilt.
2. Diese Teilchen sind Trager von Ladungen verschiedener Art.
3. Die bis heute beobachteten Vorgange konnen dargestellt werden durch den
Austausch geeigneter Teilchen, die an die verschiedenen Ladungen der Elementarteilchen koppeln.
3.1 Die Elementarteilchen
In Tabelle 3.1 sind die Elementarteilchen mit den in der Teilchenphysik verwendeten
Abkurzungen aufgefuhrt. Sie konnen als elementar angesehen werden, da sich alle
bekannten Teilchen aus ihnen zusammensetzen (sofern sie nicht mit ihnen identisch
sind). Desweiteren besitzen sie keine bekannte Substruktur und werden deshalb als
punktformig (oder zumindest < 10,18 m) angenommen. Zu jedem Lepton und jedem
Quark gibt es ein Antiteilchen, das die gleiche Masse, jedoch die entgegengesetzte
elektrische Ladung besitzt (die Antiteilchen sind nicht in Tab. 3.1 aufgefuhrt). Das
Positron als Antiteilchen des Elektrons und das positiv geladene Myon sind bereits
erwahnt worden. Die Antiteilchen der Neutrinos und der Quarks erhalten in der
Notation einen Querbalken uber der Abkurzung.
14
Leptonen
Masse
Familie
1
2
3
Ladung
[
]
[e]
0 511
,1
,
6
2 5 10
0
105 7
,1
0 27
0
1777 1
,1
18
0
2
M eV =c
e - Elektron
e - e-Neutrino
- Myon
- -Neutrino
- Tau
- -Neutrino
;
<
;
;
<
;
;
<
Quarks
Masse
Ladung
[
]
[e]
u - Up
1,5-5
+2 3
d - Down
3-9
,1 3
c - Charm
1100-1400
+2 3
s - Strange
60-170
,1 3
t - Top
173800 5200 +2 3
b - Bottom 4100-4400
,1 3
2
M eV =c
=
=
=
=
=
=
Tabelle 3.1: Die Elementarteilchen
Die Elementarteilchen werden in drei Familien unterteilt, die sich dadurch unterscheiden, da die Leptonen und Quarks der zweiten und dritten Familie eine jeweils
groere Masse als die der vorigen Familie besitzen. Auerdem zerfallen die Teilchen
der zweiten und dritten Familie in relativ kurzer Zeit in die der ersten (abgesehen
von Neutrinos). Aus dem Elektron, dem Up-Quark und dem Down-Quark bauen sich
die Atome der uns umgebenden Materie auf. Genauer gesagt, die Up-Quarks und
Down-Quarks bilden in einer Dreierverbindung Proton und Neutron (vgl. Tabelle
3.2). Diese Teilchen, die aus drei Quarks bestehen, nennt man Baryonen (griech.
barys "schwer\), solche, die aus drei Antiquarks bestehen, Antibaryonen. Zu den
Antibaryonen gehort auch beispielsweise das Antiproton. Neben Dreierverbindungen von Quarks oder Antiquarks gibt es auch die Verbindung eines Quarks mit einem
Antiquark. Die resultierende Teilchenart nennt man Meson. Ein bereits bekanntes
Meson ist das Pion, das in der kosmischen Strahlung entdeckt wurde.
Quarks treten also nur auf als qqq-, qqq- und qq-Systeme, alle anderen Kombinationen sind nicht moglich. Die Dreier- und Zweierverbindungen von Quarks werden
unter dem Begri Hadronen (griech. hadros "stark\) zusammengefat. In Tabelle
3.2 sind einige Beispiele fur solche Quarkverbindungen aufgefuhrt.
Hadronen
Baryonen qqq & Antibaryonen qqq
Mesonen qq
Quarks Masse Ladung
Quarks Masse Ladung
2
[MeV=c ] [e]
[MeV=c2 ] [e]
p-Proton
uud 938; 3
+1 +- Pion
ud
139; 6
+1
,
p-Antiproton uud 938; 3
,1 -Pion
ud
139; 6
,1
0
n-Neutron
udd 939; 6
0 -Pion uu und dd 135; 0
0
Tabelle 3.2: Beispiele fur Hadronen
15
3.2 Einige fundamentale Teilcheneigenschaften
In diesem Abschnitt sollen anhand der bisher bekannten Teilchen grundlegende Eigenschaften beleuchtet werden, wie beispielsweise Lebensdauer, Masse, Ladung und
Spin. Um das Verhalten von Teilchen zu verstehen, ist ein kurzer Einblick in Einsteins Spezielle Relativitatstheorie notig. Diese Theorie basiert auf der Konstanz
der Lichtgeschwindigkeit (c 3 108 m=s) in beliebig gleichformig bewegten Bezugssystemen. Jedes massive Objekt besitzt ein sogenanntes Ruhesystem, in dem
seine Geschwindigkeit, bzw. sein Impuls gleich null ist. Wird das Objekt aus einem
anderen Bezugssystem beobachtet, das sich relativ zu dessen Ruhesystem bewegt,
so kommt es zu Eekten wie Massenzuwachs, Zeitdilatation und Langenkontraktion
(s.u.). Der Beobachter nimmt Zeit, Raum und Masse anders wahr, als ein Beobachter
im Ruhesystem des Teilchens. Diese Abweichungen verstarken sich mit zunehmender
Geschwindigkeit des Objektes.
3.2.1 Masse
Wie oben erwahnt, hangt die Masse eines Teilchens von dem Bezugssystem ab, aus
dem man es beobachtet. Nur in seinem Ruhesystem tragt es auch seine Ruhemasse.
Fur einen Beobachter in einem anderen Bezugssystem, das sich relativ zu diesem
Ruhesystem bewegt, hat das Teilchen ein groere Masse:
(3.1)
m = q m0 v2 = m0 ;
1 , c2
wobei m0 die Ruhemasse, v die Teilchengeschwindigkeit und c die Lichtgeschwindigkeit ist (g
qangige2 Abkurzungen bei relativistischen Berechnungen sind = v=c
und = 1= 1 , vc2 ). Sagt man also beispielsweise, das Elektron besitzt die Masse
me = 9; 1095 10,31 kg, so meint man damit seine Ruhemasse. Die Geschwindigkeiten, die wir in unserer makroskopischen Alltagswelt erleben, sind jedoch verglichen
mit der Lichtgeschwindigkeit so gering, da der Massenzuwachs vernachlassigt werden kann. Ein Mensch mit einer Masse von 70 kg mute sich schon mit etwa 32000 km
h
uber die Erde bewegen, um in deren Ruhesystem 1 g Masse hinzuzugewinnen. In der
mikroskopischen Welt beobachtet man hingegen Teilchengeschwindigkeiten nahe c,
die eine relativistische Betrachtung erfordern.
Die relativistische Massenzunahme aus Gleichung 3.1 entspricht auch der Zunahme
der kinetischen Energie eines Teilchens, weshalb die Gesamtenergie auch dargestellt
werden kann als:
E = mc2 = m0c2
(3.2)
Die Masse eines Teilchens sowie seine Gesamtenergie erhohen sich also mit der
Teilchen-Geschwindigkeit, was in 3.2 in einem mit der Geschwindigkeit groer wer16
denden enthalten ist. Die Tatsache, da ein einfacher linearer Zusammenhang zwi
schen E und m besteht, bezeichnet man als Masse-Energie-Aquivalenz
. Dieses Prinzip bedeutet, da sich Masse vollstandig in Energie umwandeln kann und Energie
wiederum in Teilchen und damit in Masse umgewandelt werden kann. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfur ist die Paarbildung, ein Proze, in dem aus einem Photon, das
Energie, aber keine Ruhemasse besitzt, ein Elektron und ein Positron entstehen.
Aus der Masse-Energie-A quivalenz resultiert auch die Gepogenheit der Teilchenphysik, Massen nicht in Masseneinheiten, sondern in Energieeinheiten auszudrucken.
Die entsprechende Energieeinheit ist das Elektronenvolt (eV ). 1 eV entspricht der
kinetischen Energie, die ein Elektron gewinnt, wenn es eine Spannungsdierenz von
1 Volt durchlauft. Dementsprechend ist die Ruhemasse des Elektrons (gema Gleichung 3.2) me ' 511000 eV=c2 , oder 511 keV=c2 (da in den meisten Betrachtungen
c = 1 gesetzt ist, werden oft Energien, Impulse und Massen in eV angegeben, wobei
gilt 1 eV ' 1; 602 10,19 Joule). In Tabelle 3.1 ndet man bei den Neutrinos lediglich Obergrenzen fur die Ruhemassen. Das liegt daran, da Neutrinos nur schwach
wechselwirken und somit nur schwer nachzuweisen sind. Die Massenbestimmung ist
immer noch Gegenstand aktueller Experimente. Sollten die Neutrinos tatsachlich eine Masse besitzen, hatte dies weitreichende Folgen fur einige Theorien (sie konnten
sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, konnten zerfallen, wurden die Gesamtmasse des Universums eventuell erheblich vergroern etc.).
Die Masse der Quarks ist aus einem anderen Grund schwer zu bestimmen. Quarks
konnen nicht isoliert betrachtet werden, und im gebundenen Zustand sind Bindungsenergie und Ruhemasse der gebundenen Teilchen kaum zu trennen.
3.2.2 Mittlere Lebensdauer
In Kapitel 1 sind schon einige Teilchen angesprochen worden, die instabil sind und
damit eine begrenzte Lebensdauer besitzen. Als Beispiel ist die mittlere Lebensdauer
der geladenen Leptonen und des Pions in Tabelle 3.3 aufgefuhrt. Es lat sich leicht
errechnen, welchen Weg Myonen in 2; 2 10,6 s zurucklegen, wenn sie sich annahernd
mit Lichtgeschwindigkeit (0; 999c) bewegen, namlich s = 0:999c2; 210,6 s 660 m.
Das wurde bedeuten, da Myonen, die in der oberen Atmospharenschicht in etwa
10 km Hohe erzeugt worden waren, kaum den Erdboden erreichen konnten. Da
dies aber doch der Fall ist, liegt wiederum an der Speziellen Relativitatstheorie, oder
genauer, an der Relativitat der Zeit. Die Lebensdauer besitzt nur im Ruhesystem
Teilchen
e
0
Lebensd. [s] stabil 2; 2 10,6 2; 9 10,13 2; 6 10,8 8; 4 10,17
Tabelle 3.3: Die mittlere Lebensdauer einiger Teilchen
17
des Myons die entsprechende Groe. Im Bezugssystem des Experimentators auf der
Erde erfahrt das Teilchen eine Zeitdilatation der Form:
(3.3)
t = q t0 v2 = t0 :
1 , c2
(Die Zeit erfahrt also die gleiche relativistische Veranderung wie die Masse - Gleichung 3.1). Das heit in anderen Worten, fur das bewegte Teilchen vergeht die
Zeit langsamer. Errechnet man mit Gleichung 3.3 nun die in unserem Bezugssystem
langere Lebensdauer der obigen Myonen, zeigt sich, da die Myonen im Mittel 14 km
zurucklegen konnen und somit viele die Erde erreichen. Da dies der Fall ist, hat in
zahlreichen Experimenten seine Bestatigung gefunden.
3.2.3 Teilchenzerfall
An dieser Stelle soll kurz der Vorgang beschrieben werden, der nach Ablauf der Lebensdauer (die mittlere Lebensdauer ist nur ein statistischer Mittelwert) stattndet:
das Teilchen zerfallt.
Diesen Ausdruck sollte man aber nicht zu wortlich auassen, da das Teilchen nicht
in seine Bestandteile zerfallt, sondern seine Masse gema der Masse-Energie-A quivalenz in Energie umwandelt, die wiederum neue Teilchen erzeugen kann. Das geladene
Pion zerfallt z.B. in ein entsprechend geladenes Myon und ein Myon-Neutrino, bzw.
-Antineutrino:
+ ,! + + , ,! , + 0 ,! + (3.4)
(3.5)
(3.6)
An dieser Stelle sei betont, da das Pion nicht aus Myon und Neutrino besteht, sondern aus Quark und Antiquark (genauer: j+i = judi, j,i = judi und fj0i = juui
und jddig). Wahrend durch den Zerfall von + und ,, (3.4) und (3.5), wieder Materie in Form des Myons entsteht, zerstrahlt das 0, wie in (3.6) zu sehen, in zwei
Photonen ( ), also in Energie. Dies ist bereits ein Hinweis auf die unterschiedlichen
Wechselwirkungen, die in der Teilchenphysik eine Rolle spielen. Die geladenen Pionen zerfallen schwach, wohingegen das neutrale Pion elektromagnetisch zerfallt (auf
diese Arten der Wechselwirkung wird in Kapitel 3.3 naher eingangen). Die Zerfallsreihe der geladenen Teilchen setzt sich allerdings noch fort, da das Myon in Elektron
bzw. Positron und zwei Neutrinos zerfallt:
+ ,! e+ + e + , ,! e, + e + 18
(3.7)
(3.8)
Abbildung 3.1 zeigt die Spuren eines solchen Prozesses in Photoemulsionsplatten.
Ein positiv geladenes Pion zerfallt in ein ebenfalls positives Myon und ein Myonneutrino, dessen Spur als neutrales Teilchen allerdings nicht sichtbar ist, da es keine
ionisierende Wirkung auf die Emulsion hat. Das Myon legt aufgrund seines geringen Impulses (und der damit geringen Geschwindigkeit) nur noch einen kurzen Weg
zuruck, bevor es in ein Positron, ein Elektron-Neutrino und ein Myon-Antineutrino
zerfallt. Letztere bleiben wieder fur den Detektor unsichtbar. Der Spurverlauf der
Pion
Myon
Elektron
Abbildung 3.1: Spur eines Pion-Zerfalls in einer Photoemulsion (aus [Lon92])
Zerfallsprodukte Myon und Positron suggeriert schon die Notwendigkeit mindestens
eines dritten Teilchens, das einen Impuls vom Zerfallspunkt ,wegtragt'. Fur diesen Proze gibt es bestimmte Erhaltungsgroen: Energie, Impuls, Baryonen- und
Leptonenzahl und Ladung. Die Gesamtenergie des Systems mu bei diesem Proze
erhalten sein, das heit z.B. bei (3.7) die Gesamtenergie des Myons (seine Ruhemasse und seine Bewegungsenergie) mu gleich der Summe der Energien des Positrons
und der Neutrinos sein (Ruhemasse und Bewegungsenergie des Positrons und der
Neutrinos). Ebenso gilt die Impulserhaltung. Das bedeutet fur obiges Beispiel, da
die Vektorsumme der Impulse der Zerfallsprodukte gleich dem Impulsvektor des
zerfallenen Teilchens sein mu. Den Leptonen (z.B. Elektron) wird die Leptonzahl
L = 1 zugeordnet und den Antileptonen (z.B. Positron) die Leptonzahl L = ,1.
Die Summe dieser Zahlen mu vor und nach dem Zerfallsproze gleich sein. Fur den
Zerfall (3.7) folgt also:
L = Le + Le + L = (,1) + 1 + (,1) = ,1.
Fur die Baryonenzahl ist der Erhaltungssatz analog. Eine weitere Groe, die
grundsatzlich erhalten bleibt, ist die Ladung.
19
3.2.4 Ladung
Eingangs des Kapitels ist bereits erwahnt worden, da Teilchen verschiedene
Ladungen tragen. Seit 1897 ist bekannt, da die elektrische Ladung gequantelt
ist, das heit, sie tritt nur als ganzzahliges Vielfaches einer elementaren Ladungsmenge e = 1; 6022 10,19 Coulomb auf. Durch die Entdeckung der Quarks mute
man jedoch nicht nur das Bild von Proton und Neutron als Elementarteilchen
revidieren, sondern auch e als Elementarladung. Die Quarks tragen die in Tabelle
3.1 aufgefuhrten ,Drittelladungen'. Quarks existieren aber nicht isoliert und
man beobachtet nur Quarkverbindungen, die in der Summe wieder ein ganzzahliges Vielfaches von e ergeben. Ein einfaches Rechenbeispiel liefert fur die Nukleonen:
Die Ladung des Protons, das aus zwei Up- und einem Down-Quark besteht,
ist qp = qu + qu + qd = (+2=3)e + (+2=3)e + (,1=3)e = +1e.
Das Neutron (ein Up- und zwei Down-Quarks) hat eine Ladung von
qn = qu + qd + qd = (+2=3)e + (,1=3)e + (,1=3)e = 0.
Die elektrische Ladung ist also den Leptonen und den Quarks gemein. Es gibt aber
eine Eigenschaft, die nur die Quarks besitzen: die Farbladung. Genau wie die elektrische Ladung die Ursache der elektromagnetischen Krafte ist, ist die Farbladung
fur die um ein Vielfaches starkeren Farbkrafte zwischen den Quarks verantwortlich.
Wahrend es nur eine elektrische Ladung und ihren Gegenpol, Plus und Minus gibt,
kennt man drei Farbladungen, die fur gewohnlich mit Rot, Blau und Grun bezeichnet
werden, sowie deren Gegenpole, Antirot, Antiblau und Antigrun. Die Bezeichnung
dieser Ladungen durch Farben ist wie bei Plus und Minus reine Konvention. Die
Theorie dieser Krafte ist die Quantenchromodynamik.
3.2.5 Spin
Diese Teilcheneigenschaft wird im folgenden keine groe Rolle spielen, mu aber
der Vollstandigkeit halber erwahnt werden. Der Spin entspricht teilweise dem aus
der klassischen Mechanik bekannten Drehimpuls, weshalb er auch oft als Eigendrehimpuls eines Teilchens bezeichnet wird. Ein Teilchen mit Spin kann man sich
ansatzweise als kleinen Kreisel vorstellen, der sich um seine eigene Achse dreht. Dieses Bild dient der Anschauung, wird jedoch der Wirklichkeit nicht gerecht, da es sich
um keine normale Drehbewegung handelt. Wie der Drehimpuls kann der Spin nur
feste Werte annehmen, ist also gequantelt. Der kleinste Wert, den er annehmen kann
20
ist h=4, wobei h die bereits erwahnte Planck-Konstante ist. Dieser Wert entspricht
auch dem Spin des Elektrons: se = h=4.
In der Quantentheorie wird zumeist h=2 = 1 gesetzt, wodurch der Spin des Elektrons einfach als se = 1=2 bezeichnet werden kann.
Gundsatzlich unterscheidet man zwischen Teilchen mit halbzahligem und solchen mit
ganzzahligem Spin, wobei zum Beispiel das Photon mit Spin = 1 zu letzteren gehort.
Die Teilchen mit halbzahligem Spin werden Fermionen genannt und diejenigen mit
ganzzahligem Bosonen.
Alle Elementarteilchen haben Spin 1/2 und zahlen somit zu den Fermionen, wohingegen die im nachsten Abschnitt vorgestellten Austauschteilchen (unter anderem
das Photon) zu den Bosonen gehoren.
Auch die Nukleonen sind Fermionen und ihr Spin setzt sich zusammen aus zwei
Quarkspins und einem Quarkspin, der genau entgegengesetzt zu diesen orientiert
ist. Es existieren auch Anregungszustande oder Resonanzen von Nukleonen. Eine
Resonanz, die spater (Kapitel 4.4.3) behandelt werden wird, ist das Delta-Teilchen.
Es hat Spin 3/2, der zustandekommt durch drei gleichorientierte Quarkspins, kommt
in vier Ladungszustanden vor: ++; +; 0 und , und besitzt eine Masse von
1232 MeV .
3.3 Die fundamentalen Wechselwirkungen
Es sind vier fundamentale Krafte bekannt, die zwischen Teilchen oder Korpern wirksam werden. Die Kraft, die unserer Erfahrung im Alltag am leichtesten zuganglich ist, ist die Massenanziehungskraft, die Gravitation. Die elektromagnetische
Kraft wirkt zwischen elektrischen Ladungen. Sie ist starker als die Gravitation, wodurch zum Beispiel unser Korper, dessen Atome und Molekule von der elektromagnetischen Kraft zusammengehalten werden, die gewunschte Stabilitat erhalt, ohne
da seine Bausteine der Gravitation nachgeben wurden. Auf die Notwendigkeit der
nachsten Kraft stot man, wenn man sich uberlegt, warum sich die positiv geladenen
Protonen im Atomkern nicht gegenseitig abstoen und der Kern auseinanderiegt.
Der Grund hierfur ist eine Kraft, die wiederum starker als die elektromagnetische ist,
die sogenannte starke Kraft. Die Bindung von Protonen und Neutronen im Atomkern, also die ,Kernkraft', ist jedoch nur ein Nebeneekt der starken Farbkrafte,
die zwischen den Quarks wirksam sind. Die vierte Wechselwirkung, die schwache
Kraft, besteht zwischen sogenannten ,schwachen' Ladungen. Sie kommt bei vielen
Teilchenzerfallen zum Tragen. In Tabelle 3.4 sind die vier Krafte zusammengefat.
Alle Krafte sind Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Ladungen und werden
hervorgerufen durch den Austausch entsprechender Teilchen. Die Eigenschaften dieser Austauschteilchen sind in Tabelle 3.5 aufgefuhrt.
21
Wechselwirkung
stark
Austauschteilchen
g-Gluon
KrafteReichweite verhaltnis Beispiel
1fm
1 Kernkrafte, Krafte
zwischen Quarks
,
2
elektromagn. -Photon
1
10
Krafte zwischen
elektr. Ladungen
0
,
3
,
5
schwach
W ; Z -Boson 10 fm 10
-Zerfall
,
34
Gravitation
Graviton
1
10
Massenanziehung
Tabelle 3.4: Die elementaren Wechselwirkungen
Starke Kraft - Die Reichweite der starksten Kraft ist beispielsweise im Kern be-
schrankt auf den Durchmesser der Protonen bzw. Neutronen, der von der
Groenordnung 1fm ist. Zwischen den Quarks innerhalb der Nukleonen wird
standig eine Vielzahl von Gluonen (engl. glue - kleben) ausgetauscht, die keine Ruhemasse besitzen, aber ebenfalls Farbladungen tragen. Modellhaft kann
man sich diese Quarkbindung wie ein von den Gluonen gebildetes Gummiband
vorstellen, das die Bindungskraft verstarkt, je weiter die Quarks voneinander
entfernt werden. Die Grenze liegt, wie oben erwahnt, bei einem Femtometer.
Da die Nukleonen im Kern sehr dicht nebeneinander sitzen, kommt es zwischen
ihnen auch zum Austausch von Gluonen. Daraus resultiert die anziehend wirkende Kernkraft.
Elektromagnetische Kraft - Die Starke dieser Kraft nimmt mit dem Abstand
R zwischen zwei elektrischen Ladungen ab, Fem / 1=R2 , und hat eine unendliche Reichweite, so da prinzipiell alle elektrischen Ladungen miteinander
wechselwirken. Bei groen Abstanden tritt jedoch meist eine Abschirmung
durch andere Ladungen oder eine U berlagerung durch andere Krafte auf. Dies
AustauschMasse elektr. Farb- schwache
teilchen
[GeV] Ladung ladung Ladung Spin
g-Gluon
0
0
ja
nein
1
-Photon
0
0
nein
nein
1
0
W ; Z -Boson 80; 4; 91; 2 1; 0 nein
ja
1
Graviton?
0
0
nein
nein
2
Tabelle 3.5: Die Eigenschaften der Austauschteilchen
22
geschieht auch im Kern, wo die elektromagnetische Kraft aufgrund der rund
1000mal starkeren Kernkraft (vgl. Tab. 3.4) in der Bilanz vernachlassigbar ist.
Das Photon als Austauschteilchen tragt keinerlei Ladung und ist ebenso wie
das Gluon masselos.
Schwache Kraft - Die kurze Reichweite der schwachen Kraft erklart sich durch die
sehr kurze mittlere Lebensdauer der W- und Z-Bosonen, die nur etwa 10,23 s
betragt. Die groe Masse dieser Austauschteilchen ist fur die relative Schwache
oder Seltenheit der schwachen Wechselwirkung verantwortlich.
Gravitation - Das Potential der Gravitation fallt wie das der elektromagnetischen
Kraft mit 1=R ab. Die Gravitation ist die vergleichsweise schwachste Kraft und
kann in mikroskopischen Dimensionen vernachlassigt werden. Je groer jedoch
die Massen sind, zwischen denen diese Wechselwirkung auftritt, desto bedeutsamer wird sie fur die Kraftebilanz. Bei astronomischen Groenordnungen ist
sie praktisch die einzig zu berucksichtigende. Im Gegensatz zur elektromagnetischen Kraft gibt es keine Abschirmung dieser Kraft, da es nur einen "Pol"
gibt. Die Gravitationskrafte addieren sich prinzipiell.
Eine sehr anschauliche Einfuhrung in die Teilchenphysik bietet zum Beispiel [Wal91].
Eine Verbindung von Teilchenphysik mit kosmischer Strahlung, allerdings auf recht
hohem Niveau, ndet man in [Gai90] und [Kla97].
23
Kapitel 4
Kosmische Strahlung
Die in Kapitel 2 erwahnte Hohenstrahlung ist das Resultat von Wechselwirkungen
in den oberen Atmospharenschichten. Kosmische Teilchen treen in einer isotropen
Verteilung mit einer Rate von etwa 1000 pro Quadratmeter und Sekunde auf die
Erdatmosphare auf. Diese Teilchen bezeichnet man als Primarteilchen, da durch
ihre Wechselwirkung mit den Kernen der Atmosphare, vorwiegend Sauersto und
Sticksto, eine Vielzahl weiterer Teilchen entsteht, die entsprechend Sekundarteilchen genannt werden (analog hierzu sind die Bezeichnungen Primar- und Sekundarstrahlung). Das Energiespektrum der Primarstrahlung reicht von 106 eV bis
uber 1020 eV , was ungefahr 20 Joule entspricht.
Die Fragen, woher diese Teilchen kommen und wie sie auf derart hohe Energien
Abbildung 4.1: Schematische Darstellung
der Ausbreitung und
Modikation kosmischer Strahlung in der
Galaxis (aus [Rol88])
24
beschleunigt werden, sollen hier untersucht werden. Die Abhandlung folgt dem Weg
von den Entstehungsorten bis zum Nachweis auerhalb und innerhalb der Erdatmosphare, der in Abbildung 4.1 skizziert ist.
Nach einer Betrachtung der Art und Energieverteilung der Primarstrahlung werden mogliche Quellen und Beschleunigungsmechanismen verglichen. Der Weg durch
das interstellare Medium bringt eine Modikation der an der Quelle beschleunigten Strahlung mit sich, was den Inhalt eines weiteren Abschnittes bildet. Die Beschreibung schauerartiger Teilchenkaskaden, die in unserer Atmosphare durch die
Primarteilchen verursacht werden, beschliet die Abhandlung.
4.1 Was ist kosmische Strahlung?
4.1.1 Zusammensetzung der Primarstrahlung
Die primare kosmische Strahlung besteht grotenteils - zu etwa 98 Prozent - aus
vollstandig ionisierten Atomkernen, einem Bruchteil Elektronen und einigen Photonen. Wie aus der folgenden Tabelle [Kla97] ersichtlich ist, bilden Wasserstokerne,
also Protonen, die Hauptkomponente, gefolgt von Heliumkernen, wohingegen schwerere Kerne als Helium selten vertreten sind. Dies ndet seine Begrundung in den
Beschleunigungsmechanismen und Wechselwirkungen im interstellaren Raum, auf
die spater eingegangen wird.
Protonen
: 85%
Helium-Kerne : 12%
Kerne mit Z 3 : 1 , 2%
Elektronen
: 1 , 2%
Photonen
: 0; 1%
Die genaue Elementzusammensetzung der Kernkomponente der kosmischen Strahlung ist in einem Energiebereich von einigen MeV bis zu einigen TeV experimentell
bestimmt. Hingegen ist die chemische Zusammensetzung bei hoheren Energien weitgehend unbekannt und Gegenstand aktueller Experimente. Wie sich spater zeigen
wird, lassen sich hoherenergetische Kerne aufgrund ihres groen Impulses und ihrer
niedrigen Rate nur durch die Untersuchung der von ihnen in der Atmosphare produzierten Sekundarteilchen identizieren.
In Abbildung 4.2 sind die relativen Elementhaugkeiten im Sonnensystem und in
der kosmischen Strahlung gegenubergestellt. Unterschieden werden die Elemente anhand ihrer Protonenzahl. Die Daten der kosmischen Strahlung stammen aus zwei
Energiebereichen, wobei die geschlossenen Kreise fur den Bereich 70 bis 280 MeV=A
(also pro Nukleon) und die oenen fur 1000 bis 2000 MeV=A stehen. Die Rauten
reprasentieren die chemische Zusammensetzung des Sonnensystems.
25
Abbildung 4.2: Relative Haugkeit der Elemente von Helium bis
Nickel in kosmischer Strahlung
(Kreise mit durchgezogenen Linien) und Sonnensystem (Rauten
mit gestrichelten Linien), normiert auf Silizium (aus [Gai90])
Neben einer grundsatzlichen Vergleichbarkeit der Elementhaugkeiten sind zwei Elementgruppen in der kosmischen Strahlung um einige Groenordnungen hauger vertreten als in der Materie des Sonnensystems: zum einen Lithium (Li), Beryllium (Be)
und Bor (B) und zum anderen Scandium (Sc), Titan (Ti), Vanadium (V), Chrom
(Cr) und Mangan (Mn). Eine Erklarung hierfur liefert die Kollision von Kernen
der Primarstrahlung im interstellaren Medium. Dabei kann es zur Spallation kommen, d.h. Kerne werden in Fragmente zertrummert. Man kann also Li, Be, B als
Spallationsprodukte von Kohlensto (C) und Sauersto (O) und Sc, Ti, V, Cr, Mn
als Produkte von Eisenspallation (Fe) sehen. Durch das Verhaltnis der Haugkeit
dieser durch Spallation entstandenen Kerne zu deren Vorkommen im Sonnensystem
kann man auch etwas uber den in interstellarer Materie zuruckgelegten Weg erfahren, wenn man den Wirkungsquerschnitt1 fur Spallation berucksichtigt. Desweiteren
lat sich die ungefahre Verweildauer in der Galaxis bis zum Nachweis abschatzen
(siehe Kapitel 4.4.2).
Die wegen der Skalierung in Abbildung 4.2 nicht berucksichtigten WasserstokerFormelzeichen , Ma fur die Wahrscheinlichkeit, da eine bestimmte Reaktion stattndet,
wenn zwei Teilchen aufeinandertreen. Einheit ist das Barn [] = 1b = 10,28m2 .
1
26
ne, also Protonen, sind in der kosmischen Strahlung relativ zu Kernen mit Kernladungszahl Z > 1 seltener als in der Materie des Sonnensystems vertreten. Dies
konnte einerseits an der schweren Ionisierbarkeit von Wassersto liegen, womit freie
Protonen seltener fur einen Beschleunigungsproze zur Verfugung stehen wurden,
andererseits an einer andersgearteten Zusammensetzung der Quelle.
4.1.2 Energiespektrum der Primarstrahlung
Abbildung 4.3 zeigt den Teilchenu dN=dE (Anzahl Teilchen pro Energie) in
Abhangigkeit von der Teilchenenergie. Die rechte Kurve unterscheidet sich von der
linken durch eine Modikation des Flusses mit dem Faktor E 2;7. Durch diesen ,Trick'
lat sich die Struktur des Energiespektrums besser erkennen, wie zum Beispiel das
sogenannte Knie bei etwa 1015 bis 1016 eV und der Knochel ab etwa 1018 eV , die in
der linken Abbildung gekennzeichnet sind.
Das Energiespektrum lat sich gut durch ein Potenzgesetz beschreiben:
dN E ,
(4.1)
dE
Der Exponent andert sich entsprechend den verschiedenen Steigungen dreier unterscheidbarer Bereiche des Spektrums. Im ersten Bereich von 1011 bis 1015 eV ist
' 2; 7. Im steileren Abfall nach dem Knie ist ' 3, und das Plateau ab 1019 eV
entspricht 2; 4 2; 5. Das unterschiedliche Verhalten des Teilchen-Flusses vor
und nach dem Knie ist noch nicht gut verstanden. Eine mogliche Erklarung wurden
verschiedene Quellen und Beschleunigungsmechanismen liefern. Eine weiteres Mo-
Abbildung 4.3: Energiespektrum der Primarteilchen. Die linke Abbildung [Blu00]
zeigt den Teilchenu in Abhangigkeit der Energie. Die rechte Abbildung [Epj98]
zeigt den um den Faktor E 2;7 modizierten Flu.
27
dell ist folgendes: Hoherenergetische Kerne konnten eine kurzere Verweildauer im galaktischen Magnetfeld aufweisen (groere Larmorradien - s. S. 40 - mit zunehmender
Energie) und damit seltener in der von uns nachgewiesenen kosmischen Strahlung
vorkommen. Ein Hinweis darauf ware ein vermehrtes Vorkommen schwerer Elemente oberhalb des Knies, da diese im galaktischen Magnetfeld eine starkere Ablenkung
erfahren, also eher im geschlossenen Feld verbleiben wurden als gleichenergetische
leichtere Kerne und somit eine langere Verweildauer besaen.
Leider ist die chemische Zusammensetzung oberhalb einiger TeV (1 TeV = 1012 eV )
nicht gut bekannt, und das experimentell bestimmte Energiespektrum ist unabhangig von der Elementzusammensetzung, so da obiges Modell oder die Identikation moglicher Quellen noch nicht bestatigt werden konnen. Ein Grund hierfur
sind auch die aus Abbildung 4.3 ersichtlichen extrem niedrigen Raten der hochenergetischen Kerne, wodurch zuverlassige Aussagen erschwert werden.
Der Energiebereich ab etwa 1019 eV birgt ein interessantes Problem, das Gegenstand aktueller Untersuchungen ist: Ab einer Energie von 6 1019 eV sind Kerne der
Primarstrahlung in der Lage, mit Photonen der 2,7-Kelvin-Hintergrundstrahlung
Pionen zu produzieren, wodurch sie einen erheblichen Teil ihrer Energie einbuen.
Dies konnte eine mogliche Obergrenze fur hier beobachtbare Teilchenenergien bedeuten (mehr dazu in Kapitel 4.4.3).
4.2 Quellen kosmischer Strahlung
Neben den geladenen Teilchen sind hochenergetische Photonen und Neutrinos dadurch ein sehr interessanter Bestandteil der kosmischen Strahlung, da sie bei ihrem
Nachweis eine relativ unverfalschte Richtungsinformation tragen. Ihre Spur kann also zu sogenannten Punktquellen zuruckverfolgt werden. Im folgenden sollen jedoch
Groe
Symbol Wert
Astronomische Einheit/A. Unit AE/AU 1; 4959787066(2) 1011 m
Parsec
pc
3; 0856775807(4) 1016 m = 3; 262::ly
Lichtjahr
ly
0:9461:: 1016 m = 0; 3066::pc
Sonnenmasse
M 1; 9884(3) 1030 kg
Erdmasse
ME 5; 9722(3) 1024 kg
Sonnenradius (A quator)
R 6; 96 108 m
Erdradius (A quator)
RE 6; 378140 106 m
Galaxieradius (Milchstrae)
RG 15 kpc
Dicke der galaktischen Scheibe
dG 300 pc
Tabelle 4.1: Einige kosmologische Konstanten
28
hauptsachlich Kerne und ihre hadronischen und leptonischen Produkte betrachtet
werden, von denen man sich Aufschlu uber die Zusammensetzung der Quellen und
die Beschleunigungsmechanismen erhot.
Die Beschleunigung geladener Teilchen auf die oben erwahnten Energien erfolgt fast
ausschlielich uber elektromagnetische Wechselwirkung. Nach einem kurzen Abri
uber die Entstehung der entsprechenden Elemente folgt eine Betrachtung der Objekte, die als ,Teilchenbeschleuniger' in Frage kommen. Die Theorien uber Beschleunigungsmechanismen bilden den Inhalt eines eigenen Abschnittes (Kapitel 4.3).
4.2.1 Die Entstehung schwerer Elemente
Die ,Brutstatte' der Kerne der Primarstrahlung sind Sterne. Die Entwicklung eines
Sterns soll hier kurz skizziert werden. Das Ausgangsstadium bildet eine interstellare
Materiewolke (im wesentlichen H2), die sich so verdichtet hat, da sich die Teilchen
gegenseitig anziehen. Durch die wachsende Gravitiationskraft wird die Materie immer dichter und heier. Einen Stern in dieser Entwicklungsphase bezeichnet man als
Protostern. Es hat einen Radius von ungefahr 100 AE (zum Vergleich der Radius
unserer Sonne in AE: 0; 005). Bei einer Temperatur von 1800 Kelvin werden die
H2-Molekule aufgespalten, bei 10000 K ionisiert der Wassersto. Da diese Prozesse Energie benotigen, und mit stagnierender thermischer Energie der Druck gleich
bleibt, gibt der Stern weiter der Anziehungskraft nach und konzentriert sich. Bei
105 K ist das Gas nahezu komplett ionisiert, und die Kontraktion setzt aus. Der
Radius dieses Stadiums liegt bei etwa 0; 25 AE .
Der Stern sammelt weiterhin Material aus einer ihn umgebenden Molekularwolke, wodurch seine Masse standig wachst. Durch die somit erhohte Anziehungskraft
steigen Druck und Zentraltemperatur. Erreicht diese circa 4 106 K , setzt das sogenannte Wasserstobrennen ein. Betrachtet man die Zeitskala, so dauert der Kollaps
der Materiewolke zum Protostern einige hundert Jahre, wahrend die Phase bis zum
Wasserstobrennen je nach Sternenmasse 104 bis 108 Jahre lang ist.
Mit dem Wasserstobrennen setzt die Verschmelzung von Wasserstokernen zu Heliumkernen ein:
Fusion zu 2H:
Fusion zu 3He:
Fusion zu 4He:
H + 1H ,!
2 H + 1 H ,!
3
He + 1H ,!
1
H + e+ + e
3 He + 4
He + e+ + e
2
Hier ist exemplarisch eine Reaktionskette dargestellt, in der die Nukleonen leichterer Kerne, in diesem Fall Wasserstokerne und Deuteronen2, zu schwereren Kernen verschmelzen. Die Fusion erzeugt uber freiwerdende Energie einen Strahlungs2
Kerne des schweren Wasserstoes mit je einem Proton und einem Neutron
29
druck, der fur die Dauer des Prozesses ein
interstellare
Materiewolke
Kraftegleichgewicht mit der Massenanziehung
bewirkt. Der Stern ist somit stabil. Nach einer
Kontraktion
Brenndauer in der Groenordnung von 106
Protostern + Stern
mit Wasserstoffbrennen
Jahren ist der Wassersto im Zentrum verHüllenexpansion
braucht, und ein Wassersto-Hullenbrennen
setzt ein, durch das sich die Hulle aufblaht. Je
Roter Riese
nach Masse kann ein Roter Riese entstehen.
Durch Helium-Zufuhr aus der Hulle nimmt
Verwandlung von Helium
in schwerere Elemente
die Masse des Helium-Kerns zu, soda der
bis etwa Eisen
Stern weiter in sich zusammensturzt.
teilweise hinund herpendelnd
Wiederum bewirkt die Kontraktion eine
Erhohung der Zentraltemperatur, bis schlielich das Heliumbrennen zundet. Die HeliumSupernova
kerne verschmelzen aquivalent zum Wasserstobrennen zu schwereren Kernen, beispielsweise bilden drei Heliumkerne einen KohlenEndstadien
stokern (3 4H ,!12 C). Ist das Helium im
NeutronenWeißer
Zentrum verbraucht, kommt es abermals zum Schwarzes
stern, Pulsar
Zwerg
Loch
Hullenbrennen. Sterne, die leichter als drei
Sonnenmassen sind (M 3M ), konnen die Abbildung 4.4: Stadien der SternentHulle als Planetarischen Nebel abstoen, wo- wicklung (nach [Kla97])
bei der Kern als Weier Zwerg zuruckbleibt.
Bei schwereren Sternen ndet aufgrund des fehlenden Strahlungsdrucks wiederum
eine Kontraktion statt, die durch hohere Temperatur im Kern ( 109 K ) die Verbindung von Kohlenstokernen zu schwereren Elementen verursacht. Sterne zwischen
3 und 15M zerstoren sich selbst in einer explosionsartigen Verbrennung und enden
in einer Supernova. Sterne mit groeren Massen setzen die Kernfusionen fort, die bis
zur Produktion von Eisen (Z = 26) fuhren konnen, wobei die Brennphasen immer
kurzer werden. Solche Objekte konnen auch mehrere ,zwiebelartige' Fusionsschalen
besitzen. Ist der nukleare Brennsto aufgebraucht, kollabiert der Stern, und seine
aueren Hullen explodieren in einer Supernova. Zuruck bleibt der Kern als weier
Zwerg, uber dessen Schicksal die ihm verbliebene Masse entscheidet.
Ist diese groer als 1; 44M (Chandrasekhar-Masse), bildet sich ein Neutronenstern :
die Gravitation pret die Elektronen praktisch in die Protonen (inverser BetaZerfall ), wodurch Neutronen entstehen. Das von einer dunnen Eisenkruste umgebene
Sternenzentrum besteht nur noch aus dichtgepackten Neutronen und hat eine Dichte
von etwa 1017 kg=m3 (entspricht einem Zuckerwurfel mit 100:000:000 t Masse) bei
einem Durchmesser von circa 10 km.
30
Massivere Sternkerne, die schwerer als 1; 5,2M (Oppenheimer-Volkov-Masse) sind,
kollabieren weiter und bilden vermutlich Schwarze Locher.
Die verschiedenen Stadien der Sternentwicklung sind in Abbildung 4.4 skizziert und
in [Luh99], [Kla97], [Phi94] und [Her86] ausfuhrlicher dargestellt. Interessant als
Beschleunigungsquellen sind beispielsweise (vor allem fur den niederenergetischen
Bereich der kosmischen Strahlung) unsere Sonne, ein Stern im Stadium des Wasserstobrennens, Novae (Abstoung eines Teiles der Sternenhulle), Supernovae und
Neutronensterne.
4.2.2 Zur Energiedichte der kosmischen Strahlung
Einen Aufschlu uber das notige Leistungsvermogen beschleunigender Objekte liefert eine Betrachtung der Energiedichte. Diese betragt in der kosmischen Strahlung
etwa 1 eV=cm3 und entspricht damit ungefahr der des interstellaren Magnetfeldes.
Man kann nun abschatzen [Gai90], welche Energiezufuhr notig ist, um diese Energiedichte in der kosmischen Strahlung zu erzeugen.
(4.2)
L = V 5 1033 Js,1
Hierbei wird fur das Volumen V der Milchstrae ein Radius von 15 kpc und eine
Dicke von 300 pc angenommen, ist die obige Energiedichte und die mittlere Aufenthaltsdauer der Teilchen im Volumen unserer Galaxis. Supernovaexplosionen erzeugen Energien (kinetische und optische) von etwa 1044 J . Nimmt man nun an, da
im Mittel sich alle 30 Jahre eine Supernova ereignet, so kommt man auf eine mittlere
Leistung von 1035 Js,1. Selbst ein Energieubertrag von einigen Prozent wurde also
bereits der Energiedichte genugen. Ebenfalls in Frage kommen junge Pulsare, das
sind extrem schnell rotierende Neutronensterne, die anfangs eine Rotationsenergie
von bis zu 1046 J besitzen. Doppelsternsysteme, in denen eines der beiden Objekte
ein Neutronenstern oder ein schwarzes Loch ist, die beide von Begleitern Material
,abziehen' und somit beschleunigen, sind ebenfalls Kandidaten. Solche raumlich beschrankteren Gebiete bezeichnet man als Punktquellen. Fur den extragalaktischen
Anteil der kosmischen Strahlung konnten aktive Galaxiekerne verantwortlich sein.
Diese erklart man sich zur Zeit durch supermassive schwarze Locher, deren Masse
bei 108M liegt.
4.2.3 Gegenuberstellung moglicher Quellen
Sonnenwind - Der als Sonnenwind bezeichnete permanente Teilchenstrom, der
hauptsachlich aus Protonen und Elektronen sowie vereinzelten schwereren Ionen besteht, entstammt der auersten Gashulle der Sonne, der sogenannten
31
Korona. Die Beschleunigung der Teilchen erfolgt wahrscheinlich uber Schockwellen, die von der Sonnenoberache ausgehen. Ist die Sonne im Normalzustand, erreichen die Teilchen Geschwindigkeiten von etwa 350 kms , was einer kinetischen Energie von 500 eV entspricht. Somit liegt beispielsweise die
Gesamtenergie von Protonen nur unmerklich uber ihrer Ruhemasse. Groere
Sonnenaktivitaten konnen Teilchengeschwindigkeiten bis zu 800 kms erzeugen
([Lon92]). Die Maximalenergie des Sonnenwindes liegt somit knapp unterhalb
von 109 eV pro Nukleon.
Novae - Bei Novae stot ein Stern einen Teil seiner aueren Gashulle ab, ohne in
einer Supernova zu enden. Die ausgestoenen Teilchen erreichen Geschwindigkeiten zwischen 300 und 3000 kms und konnen bis zu Energien von etwa 1011 eV
[Mai96] beschleunigt werden.
Supernovae - Bei einer Supernova werden die aueren Gashullen eines Sternes mit
bis zu 10000 kms weggeschleudert. Das ausgestoene Material breitet sich ringsum in das weniger dichte interstellare Medium aus. Dieses wird in einer kugelformigen Schale zusammengedruckt, einer Stowelle oder Schockwelle, die
sich weiter mit dem Ursprungsort der Supernova als Zentrum ausdehnt. Die
Expansionsgeschwindigkeit nimmt jedoch ab und betragt zum Beispiel nach
ungefahr tausend Jahren circa 1000 kms - die Materie ist zu diesem Zeitpunkt
etwa vier Lichtjahre vom Ursprungsort entfernt (die altesten uns bekannten
Supernova-Reste sind etwa 100.000 Jahre alt, haben eine Durchmesser von 200
Lichtjahren und eine Ausbreitungsgeschwindigkeit von 50 kms [Her86]). Die Beschleunigung geladener Teilchen erfolgt an solchen Stofronten (s. Abbildung
4.7) bis zu einem Maximum von 1014 eV [Gai90].
Pulsare - Neutronensterne, die mit Perioden zwischen einigen Millisekunden und
Sekunden rotieren, bezeichnet man als Pulsare. Sie sind pulsierende Radioquellen, senden also elektromagnetische Strahlung im Bereich von etwa 100 kHz
und 10 GHz aus. Das mitrotierende Magnetfeld des Neutronensterns induziert
elektrische Felder, in denen geladene Teilchen beschleunigt werden konnen. In
einigen Pulsar-Modellen [Aha96] sind Feldgradienten bestimmt worden, die
Teilchen bis zu einer Energie von 1016 eV beschleunigen konnen.
Binarsysteme - Bendet sich ein Neutronenstern in einem Doppelsternsystem, so
zieht er aufgrund seiner groen Gravitationskraft Material von seinem Begleiter ab, das ihn in einem aquatorialen ,Gurtel' umkreist. Aufgrund des starken
Magnetfeldes des Neutronensterns verlieren geladene Teilchen durch Synchrotronstrahlung soviel Energie, da sie das Feld nicht verlassen konnen. Stattdessen sind Rontgenstrahlen, also Photonen mit Wellenlangen zwischen 0; 001
32
und 10 nm, typische Produkte der Wechselwirkungen der geladenen Teilchen
in Binarsystemen.
Ist, wie in einem zweiten Modell, das Magnetfeld vergleichsweise schwach
( 104 T ), und rotieren der Neutronenstern und seine Akkretionsscheibe mit
unterschiedlichen Geschwindigkeiten, so konnen geladene Teilchen den Beschleunigungsort mit Maximalenergien von ungefahr 1016 eV verlassen [Gai90].
Aktive Galaxiekerne - Radiogalaxien, Blazare und Quasare besitzen einen hoch-
energetischen Galaxiekern, der groe Energiemengen in Form von kontinuierlicher Strahlung oder hochenergetischen Teilchen emittiert. Quasare (Quasistellare Radioobjekte) sind aufgrund ihrer groen Entfernung zu uns (mindestens 100 Mpc) punktformig erscheinende Galaxien. Blazare (aus BL-LacertaeObjekte und Quasare) ist ebenfalls eine Bezeichnung fur besonders aktive Galaxien. Aktive Galaxiekerne schleudern Materie entlang sogenannter Jets von
sich, die einige Promille bis Prozent eines Parsecs lang sind und Felder bis zu
10 Tesla erzeugen. Solche Beschleuniger konnten Teilchenenergien bis zu einigen 1019 eV erreichen, wenn es nicht aufgrund der hohen Teilchendichte und
Magnetfelder in solchen Jets zu sofortigen Energieverlusten beschleunigter Objekte durch Wechselwirkungen kame. Eine angenomme Grenze fur Teilchen,
die dem Jet entkommen, liegt bei 1016 eV .
Fanaro-Riley-Klasse-II-Radiogalaxien sind Quasare, deren Jet-Enden, sogenannte Hot Spots, durch relativistische Schockwellen vermutlich Teilchen bis
zu 1021 eV beschleunigen konnten [Ber00].
In Tabelle 4.2 sind die kosmischen Beschleuniger noch einmal zusammengefat, wobei gerade im Fall der Neutronensterne und Galaxiekerne gesagt werden mu, da
Maximalenergien sehr von der Ausdehnung und dem angenommenen Magnetfeld
abhangen.
Quellen kosmischer
Maximalenergie
Strahlung
[eV ]
Sonnenwind
109
Novae
1011
Supernovae
1014
Pulsare (Neutronensterne)
1016
Binarsysteme (z.B. Neutronenstern + Begleitstern)
1016
aktive Galaxiekerne
1016 , 1021?
Tabelle 4.2: Maximalenergien kosmischer Beschleuniger
33
Unabhangig vom Beschleunigungsmechanismus stellt sich nach Hillas [Hil84] die
maximale Beschleunigungsenergie fur ein Teilchen mit der Ladung Z e dar als:
Emax = Z 1 BG
!
!
R 1018 eV ;
1 kpc
(4.3)
wobei R der Radius des beschleunigenden Bereiches ist, B dessen Magnetfeld und
entweder die Geschwindigkeit der Schockwelle ( = v=c) oder die Ezienz des
Beschleunigungsmechanismus. Dieser Gleichung liegt zugrunde, da das Magnetfeld
des Bereiches das Teilchen auf eine Bahn zwingen mu, deren Radius die eigene Ausdehnung nicht ubersteigt. In Abbildung 4.5 sind verschiedene Objekte entsprechend
ihrer Groe und ihres Magnetfeldes eingetragen.
15
Emax~ β ZBR
log(Magnetisches Feld, Gauss)
Protonen β =1/300
9
Protonen β =1
Fe-Kerne β=1
Neutronenstern
Aktive Galaxiekerne
Weisser
Zwerg
3
Radio-Galaxien
-3
Kollidierende
Galaxien
x
Krebs-Nebel
SNR
Scheibe
Galaktische
Halo
-9
x
Virgo
Galaxienhaufen
3
6
9
12
1 AE
15
1 pc
1 kpc
18
21
1 Mpc
log(Ausdehnung, km)
Abbildung 4.5: Hillas-Diagramm: Groe und Magnetfeld der moglichen Objekte fur
Teilchenbeschleunigung (aus [Bha98])
Objekte unterhalb der betreenden Linien sind demanch nicht instande, Eisen bzw.
Protonen auf 1020 eV zu beschleunigen. = v=c steht fur die Geschwindigkeit des
beschleunigenden Plasmas (Stofront o.a.).
34
4.3 Beschleunigungsmechanismen
Grundsatzlich konnen zwei Arten von Mechanismen unterschieden werden: die direkte und die stochastische Beschleunigung.
Direkte Beschleunigung - U berall dort, wo durch ein bewegtes Magnetfeld elektrische Felder induziert werden, konnen geladene Teilchen beschleunigt werden. Beispiele hierfur sind Pulsare, Binarsysteme mit Neutronensternen und
schwarze Locher mit Akkretionsscheiben. Direkte Beschleunigung ndet einmalig in sehr hohen elektrischen Feldern statt.
Stochastische Beschleunigung - Diuse stochastische Schockbeschleunigung
tritt in interstellaren magnetischen Materiewolken oder Schockfronten (auch
von Supernovae) auf. Im Gegensatz zur direkten Beschleunigung ergibt diese statistische Beschleunigung ein Potenzgesetz fur das Energiespektrum (s.
Gleichung 4.1).
Die direkten Mechanismen sind durch Ausdehnung und Feldstarken des beschleunigenden Bereiches in ihrer Maximalenergie beschrankt, weshalb man davon ausgeht, da beide Mechanismen sich erganzen. Die Teilchen werden also ,vorbeschleunigt' und durch stochastische Beschleunigungen auf ihre Endenergie gebracht. Der
folgende Abschnitt konzentriert sich auf die stochastischen Typen, die im Prinzip bereits 1949 von E. Fermi [Fer49] formuliert wurden und entsprechend FermiBeschleunigungen genannt werden.
4.3.1 Fermi-Beschleunigung 2. Ordnung
Voraussetzung fur die Fermi-Beschleunigung 2. Ordnung sind ,Wolken' geladener
Teilchen, die sich durch das interstellare Gas bewegen. Die bewegten geladenen
Teilchen erzeugen Magnetfelder in der Wolke. Dringt nun ein bereits beschleunigter
Atomkern in dieses Plasma ein, wird er an den ,Unregelmaigkeiten' des Magnetfeldes elastisch gestreut, was schematisch in Abbildung 4.6 dargestellt ist.
Elastische Streuung bedeutet in diesem Fall, da keine Kollisionen stattnden
durfen, die einen Energieverlust fur den Kern mit sich bringen wurden. Der Kern
erfahrt also nur Richtungsanderungen und verlat die Wolke in deren Ruhesystem
mit der gleichen Energie wie vor dem Einschu, E10 = E20 . Allerdings nimmt er
nach einigen Streuungen die gleiche mittlere Geschwindigkeit wie die Wolke an,
die sich nach dem Verlassen der Wolke vektoriell zu seiner addiert. Wahrend das
zu beschleunigende Teilchen im Ruhesystem der Wolke also keine Energieanderung
erfahrt, betragt der relative Energiegewinn im System des umliegenden Gases
E 4 2 :
(4.4)
E1 3
35
E2
v
E1
Abbildung 4.6: Beschleunigung durch Magnetwolke
Es gilt = v=c, wobei v die Geschwindigkeit der Wolke relativ zum Medium, in
dem sie sich bewegt, ist. Durch eine einfache Abschatzung kommt man zu einem
ahnlichen Ergebnis. Hat ein Teilchen mit der Geschwindigkeit u genau die gleiche
Flugrichtung wie die Wolke und holt es diese ein, so kann man den Energiegewinn
in zwei Fallen unterscheiden:
a.) das Teilchen verlat die Wolke genau entlang seiner vorigen Richtung
(4.5)
Evor = 12 m(u + v)2 , 12 mu2 = muv + 12 mv2
b.) es wird genau in seine Herkunftsrichtung zuruckgestreut
(4.6)
Eruck = 21 m(u , v)2 , 12 mu2 = ,muv + 12 mv2
In beiden Gleichungen wird also von der resultierenden Energie die Teilchenenergie
vor der Beschleunigung abgezogen. Da zwischen diesen beiden Extremen aber noch
andere Streuwinkel moglich sind, soll der Energiegewinn E gemittelt werden:
E = 12 (Evor + Eruck ) = 12 mv2
(4.7)
Der relative Energiegewinn dieser Abschatzung ist dann vergleichbar mit 4.4
E = v 2
(4.8)
E1
u
Prinzipiell kann man diesen Mechanismus mit einem Laufband vergleichen: Ein
Fuganger, der sich vor dem Betreten eines Laufbandes mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, behalt diese auch auf dem Laufband (also in dessen ,Ruhesystem')
bei. Verlat er das Band, so hat sich im System der Erde die Bandgeschwindigkeit
zu seiner eigenen addiert, was den Unaufmerksamen oft unglucklich aussehen lat.
36
4.3.2 Fermi-Beschleunigung 1. Ordnung
Die Fermi-Beschleunigung 1. Ordnung beschreibt die Teilchenbeschleunigung an
Schockfronten, die beispielsweise von Supernovae stammen. In Abbildung 4.7 ist dargestellt, wie sich eine breite ebene Schockfront mit der Geschwindigkeit ,~u1 bewegt.
Das von der Front durchquerte ,geschockte' Gas entfernt sich mit einer Geschwindigkeit ,~u2 (relativ zur Front) von der Schockfront. Hierbei gilt ju2j < ju1j. Die
resultierende Geschwindigkeit des Gases hinter der Front betragt also ~v = ,~u1 + ~u2.
E2
B
-u1
v=-u1+u2
E1
Abbildung 4.7: Beschleunigung durch Schockfronten
Der relative Energiegewinn erfolgt im Prinzip ahnlich wie bei der FermiBeschleunigung 2. Ordnung und belauft sich auf:
E 4 :
E1 3
(4.9)
= v=c steht wiederum fur die Geschwindigkeit des beschleunigenden Mediums.
Vergleicht man die Ezienz der beiden Beschleunigungsarten, so mu man beruckFermi-Beschleunigung
Komponenten
rel. Energiegewinn
2. Ordnung/Original
Teilchen u. Wolke
E=E1 43 2
1. Ordnung/Erweiterung Teilchen u. Schockfront
E=E1 43 Tabelle 4.3: Fermi-Mechanismen
sichtigen, da magnetische Wolken typischerweise Geschwindigkeiten um 10 km=s
besitzen, wahrend sich das Gas hinter Schockfronten mit bis zu 1000 km=s bewegt. Der angegebene Energiezuwachs beider Mechanismen bezieht sich jedoch nur
auf einen einmaligen Beschleunigungsvorgang. Tatsachlich konnen Teilchen die Prozesse mehrfach durchlaufen. Im Fall der Wolke kann es auch zu Energieverlusten,
37
also Abbremsung eines Teilchens, kommen (deshalb wird der ursprungliche FermiMachanismus nach seiner Relevanz als Beschleunigung 2. Ordnung bezeichnet), im
Mittel resultiert aber bei mehreren Beschleunigungen ein Energiegewinn. Im Fall
der Schockfront bewirkt die Wechselwirkung mit dem Gas hinter der Front immer
einen Energiegewinn, es gehen dem Beschleunigungsvorgang jedoch die Teilchen
verloren, die nicht wieder die Schockfront passieren. Jene Teilchen, die nach der Beschleunigung das geschockte Gas wieder durch die Front verlassen, konnen vom in
Abbildung 4.7 angedeuteten interstellaren Magnetfeld wieder in Richtung der Beschleunigungsregion abgelenkt werden. In [Gai90] wird gezeigt, da man uber eine
Betrachtung der Wahrscheinlichkeit fur ein Teilchen, dem Beschleunigungszyklus zu
entkommen, das von uns beobachtete Potenzgesetz des Energiespektrums erhalt. Das
heit, das Modell stochastischer Beschleunigungen ist vertraglich mit Beobachtungen. Ausfuhrliche relativistische Rechnungen zu den Beschleunigungsmechanismen
nden sich ebenfalls in [Gai90].
4.3.3 Synchrotronbeschleunigung
Der Synchrotronmechanismus beruht auf der Beschleunigung geladener Teilchen in
elektrischen Feldern. Diese werden uberall dort erzeugt, wo Magnetfelder sich zeitlich andern. Die Synchrotronbeschleunigung ist ein Beispiel fur einmalige direkte Beschleunigungsmechanismen. Am Beispiel eines Pulsars, dessen starkes Magnetfeld B~
aufgrund der schnellen Rotation einer erheblichen zeitlichen A nderung unterworfen
ist, lat sich der mogliche Energiegewinn fur geladene Teilchen wie folgt abschatzen

(aus [Sch96]). Die Beschleunigungsspannung U hangt ab von der zeitlichen Anderung von B~ :
d Z B~ dA~ = , Z E~ d~s = ,U
dt
Integriert man nun uber die Flache, die entsprechend nebenstehender Skizze ungefahr A L2 gro sein soll, und ersetzt t
B
v
durch die Geschwindigkeit des Magnetfeldes und den zuruckgelegten Weg, so folgt:
L
BA = BA = BAv = BLv = ,U
t L=v
L
Durchlauft also ein Teilchen mit der Ladungszahl Z die Spannungsdierenz U , so
ist sein Energiegewinn:
E = ZU = BLvZ
(in eV)
Setzt man in diese Gleichung die Ausdehnung von Neutronensternen L 103 m,
ein typisches Magnetfeld von B 108 T und eine Tangentialgeschwindigkeit v =
38
2L=10,3 m 107 m=s, so erhalt man den Energiegewinn
E 1018 eV :
Diese einfache Abschatzung beeinhaltet naturlich noch keine Energieverluste durch
Wechselwirkungen aufgrund der hohen Teilchendichte in solchen Beschleunigungsgebieten.
4.4 Odyssee im Weltraum
In diesem Abschnitt soll die Ausbreitung geladener Teilchen im interstellaren und intergalaktischen Raum betrachtet werden. Wie in den bisherigen Betrachtungen liegt
dabei der Schwerpunkt auf der hadronischen Komponente der kosmischen Strahlung. Wahrend sich beispielsweise Neutrinos geradlinig im Raum ausbreiten, da sie
nur schwach wechselwirken, ist die Ausbreitung der Hadronen im wesentlichen zwei
Einussen unterworfen:
Die Ausbreitungsrichtung der geladenen Teilchen ist von zahlreichen und vielgestaltigen magnetischen Feldern beeinut.
Die Energie ist, wie auch die Ausbreitungsrichtung, bestimmt durch Wechselwirkungen mit Teilchen des interstellaren Mediums.
Abbildung 4.8: Querschnitt durch
die galaktische Scheibe. Der Ausschnitt zeigt mogliche Regionen
von Beschleunigung kosmischer
Strahlung, die Starke B des galaktischen Magnetfeldes sowie die
Dichte ISM des interstellaren
Mediums mit einem Proton pro
cm3(aus [Gai90]).
39
Abbildung 4.8 zeigt schematisch einen Querschnitt durch die galaktische Scheibe.
Ihr Radius betragt etwa 15 kpc, und die Dicke der Scheibe an der Position unseres Sonnensystems, 8; 5 kpc entfernt vom Galaxiezentrum, ist ungefahr 300 pc. Im
Ausschnitt sind U berreste von Supernovae dargestellt, die ein chaotisches Magnetfeld verursachen, das die Ausbreitung geladener Teilchen entsprechend dius werden
lat.
4.4.1 Das galaktische Magnetfeld
Betrachtet man die geringe mittlere Teilchendichte des interstellaren Mediums mit
einem Wasserstoatom pro cm3 (eine Erdkugel mit dieser Dichte wurde etwa 1; 8 kg
wiegen), so wird deutlich, da elektromagnetische Krafte und somit auch Magnetfelder ihre Wirkung ohne nennenswerte Abschirmung uber groe Distanzen entfalten
konnen. Das galaktische Magnetfeld, dessen Feldstarke einige 10,10 T betragt, wird
in der Hauptsache durch den Flu geladener Teilchen entlang der galaktischen Spiralarme verursacht, das heit, auch durch die geladene Komponente der kosmischen
Strahlung. Die Feldlinien werden als konzentrische Ringe innerhalb der galaktischen
Ebene angenommen. Auerhalb der Scheibe, also im galaktischen Hof (oder Halo, s.
Abb. 4.8), ist die Struktur des Feldes nicht gesichert, und die Feldstarke wird durch
rasch abnehmende Funktionen dargestellt [Ber00].
Der Radius der Bahn, den geladene Teilchen in diesem Magnetfeld beschreiben, ist
der sogenannte Larmor-Radius
,1
kpc ;
R Z1 1018E eV 10,B10 T
(4.10)
in den die Teilchenenergie E , die Ladungszahl Z und die Starke des Magnetfeldes
B eingehen. Diese Formel ist im Prinzip aquivalent zu Gleichung 2.1, sie wurde
nur an die entsprechenden Dimensionen angepat. Bei konstantem Magnetfeld fallen zwei Konsequenzen dieser Darstellung auf. Hoherenergetische Teilchen beschreiben einen groeren Bahnradius und schwerere Kerne, entsprechend ihrer groeren
Kernladungszahl, einen kleineren. Das bedeutet, da bei hohen Energien eher leichtere Kerne (am wahrscheinlichsten Protonen) in der Lage sind, das Volumen der
Milchstrae zu verlassen, was zu einer Ansammlung schwererer Elemente jenseits
des Knies des in Erdnahe beobachteten Energiespektrums (Abb. 4.3) fuhren wurde.
Dies ist auch die Annahme des sogenannten Leaky-Box-Modells (engl. leaky - undicht). In diesem Modell wird eine freie Ausbreitung kosmischer Strahlung in einem
von Galaxie und Galaxie-Hof gebildeten geschlossenen Volumen mit einer Entkommenswahrscheinlichkeit beschrieben, die zeitlich konstant ist und aufgrund des
Larmor-Radius von der Energie abhangt.
40
Es existieren noch einige weitere Modelle, wie beispielsweise das Diusions-Modell,
das die Anisotropie, also die ,Ungleichmaigkeit', der Strahlungsverteilung in der
Galaxie, berucksichtigt. Ausfuhrliche Betrachtungen der verschiedenen Modelle nden sich in [Gai90].
Bedenkt man, da Bereiche groerer magnetischer Felder eine vergleichsweise geringe
Ausdehnung aufweisen, innerhalb der sie eine ablenkende Kraft auf geladene Teilchen
ausuben konnen, so lat sich abschatzen, da sehr hochenergetische Kerne durchaus
eine brauchbare Richtungsinformation tragen.
4.4.2 Ursachen fur Energieverluste
Bremsstrahlung und Ionisation - Geladene Teilchen werden in Kernfeldern ab-
gebremst und geben dabei Energie in Form von Photonen ab. Diese Bremsstrahlung fuhrt besonders in Bereichen hoher Dichten von Kernen zu nennenswerten Energieverlusten. Im interstellaren Medium ist die Teilchendichte mit
einem Proton/cm3 jedoch zu gering fur einen groen Beitrag. In den Gebieten,
in denen die Beschleunigung erfolgt, verlieren aufgrund der hohen Teilchendichte beispielsweise Elektronen einen betrachtlichen Teil ihrer Energie, wobei
der Energieverlust mit E 1=m2 von der Masse des abgebremsten Teilchens
abhangt. Dadurch wird klar, da die ungefahr 1800 mal schwereren Protonen
erheblich weniger Energie verlieren (schwerere Kerne geben entsprechend noch
weniger ab). Dies ist einer der Grunde, weshalb Elektronen nur zu einem kleinen Bruchteil in der Primarstrahlung vertreten sind.
Beim Ionisationsproze geben bewegte geladene Teilchen Energie an Hullenelektronen passierter Atome ab. Auch dieser Proze mu nur in Bereichen
hoher Teilchendichten berucksichtigt werden, da der Energieverlust von der
Elektronendichte des Mediums abhangt.
Synchrotronstrahlung - Diese Strahlung ist eine Form der Bremsstrahlung, die
entsteht, wenn geladene Teilchen in Magnetfeldern abgelenkt werden. Tangential zur gekrummten Bahn, auf die sie gezwungen werden, strahlen solche
Teilchen Energie durch Photonen ab. Der Energieverlust bei einem vollstandigen Kreis-Durchlauf (2) ist gegeben durch
4
2 E = 3e R mEc2 :
0
0
(4.11)
In diese Formel gehen die Teilchenenergie E , die Teilchenmasse m0, der
Bahnradius R sowie die Dielektrizitatskonstante fur Vakuum 0 = 8; 854 10,12 C=V m ein. Mit Hilfe dieses Ausdrucks lat sich der Energieverlust eines
Protons der Energie 1018 eV bei einem Umlauf abschatzen. Mit Gleichung 4.10
41
erhalt man fur den Radius dieses Protons im galaktischen Magnetfeld einen
Wert von etwa 300 pc. Setzt man diesen in Gleichung 4.11 ein, so ergibt sich
ein Energieverlust von Ep 10,8 eV . Fur ein gleichenergetisches Elektron
betruge der Verlust zwar schon Ee, 170 keV , ware aber ebenfalls vernachlassigbar. In groen Magnetfeldern, beispielsweise in Sternnahe, kommt
der Energieverlust vor allem fur die leichteren Elektronen zum Tragen.
Wechselwirkungen mit anderen Teilchen - Treen zwei Teilchen mit hoher re-
lativer Geschwindigkeit aufeinander, so kommt es zu Wechselwirkungen, die
bei kleinen Impulsubertragen elastisch sind, das heit, die wechselwirkenden Teilchen nicht verandern, jedoch im inelastischen Fall bei groen Impulsubertragen die Stopartner auch in ihrer Struktur verandern konnen. Die
Wechselwirkungen, die hier betrachtet werden sollen, nden mit Protonen und
Photonen statt.
Zunachst soll die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit von Protonen, Neutronen und schwereren Kernen mit Protonen betrachtet werden. Mitbestimmt
wird diese durch den Wirkungsquerschnitt , den man sich bildlich als kleine
Zielscheibe vorstellen kann, die das einfallende Teilchen treen mu, damit es
zu einer Wechselwirkung kommt. Die Wirkungsquerschnitte fur die drei oben
genannten Prozesse sind:
pp ' 50 mb = 50 10,27 cm2
np ' 40 mb = 40 10,27 cm2
Ap ' 45 mb A0;691
(A > 1)
Diese Werte steigen schwach mit der Energie an. Um die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit P zu errechnen, betrachtet man ein zylindrisches Volumen,
das mit N Protonen gefullt ist. Die Wahrscheinlichkeit, da ein Proton in der
Querschnittsache A getroen wird, ist =A.
P = N A = (Al) A = l
A
N
l
P hangt also nur ab von der Teilchendichte, dem Wirkungsquerschnitt und
dem zuruckgelegten Weg. Fordert man nun, da sich auf jeden Fall eine Wechselwirkung ereignen soll, P = 1, und ersetzt l durch die Wechselwirkungslange
, die fur den mittleren Weg bis zu einer Wechselwirkung steht, so ergibt sich
42
zum Beispiel fur einen Proton-Proton-Proze
pp = 1 = 1; 25 1025 cm ' 6; 5 106 pc ;
pp
3
wobei = 1=cm die Protonendichte im interstellaren Medium ist. Die Zeit,
die ein hochenergetisches Proton benotigt, um diese Strecke zuruckzulegen, ist
in der Groenordnung von 106 Jahren. Dies ist also die abgeschatzte mittlere
Verweildauer kosmischer Strahlung in unserer Galaxis (aus [Sch96]).
Bedenkt man, da der interstellare Raum mit elektromagnetischer Strahlung
vieler Frequenzbereiche durchsetzt ist, mu man auch die Wechselwirkung geladener Teilchen mit Photonen berucksichtigen. Fur den Energieverlust von
Elektronen ist die inverse Compton-Streuung der dominante Proze. Im Gegensatz zur eigentlichen Compton-Streuung ubertragen hierbei Elektronen
durch Sto einen Teil ihres Impulses auf Photonen. Auch fur sehr hochenergetische Protonen ist die Wechselwirkung mit Photonen von Bedeutung. Der
mogliche Einu dieses Prozesses auf das Energiespektrum der Primarstrahlung soll im nachsten Abschnitt skizziert werden.
4.4.3 Der Greisen-Zatsepin-Kuzmin-Cuto
Der gesamte Raum ist erfullt von einer homogen verteilten Strahlung der Temperatur 2; 7 K , der sogenannten Hintergrund-Strahlung. Nach der Urknalltheorie
entstand diese Strahlung in der Fruhphase des Universums und kuhlte seitdem von
einigen tausend Kelvin bis auf die heutige Temperatur ab. Die Strahlungsdichte liegt
bei etwa 400 Photonen/cm3, und die mittlere Temperatur von 2; 7 K entspricht einer Photon-Energie von ungefahr 6 10,4 eV .
Grundsatzlich kollidieren auch Protonen niedrigerer Energien mit diesen Photonen,
ab einer Proton-Energie von ca. 6 1019 eV kommt es jedoch zu einem besonderen
Proze. Dem hochenergetischen Proton erscheint das Photon der Hintergrundstrahlung mit einer Energie von ungefahr 300 MeV , da es fast mit Lichtgeschwindigkeit
auf dieses trit. Im Punkt dieser Wechselwirkung steht somit eine Energie von uber
1200 MeV (Ruhemasse Proton + 300 MeV ) zur Verfugung, die ausreicht, um das
Proton anzuregen, eine sogenannte Resonanz zu bilden. Produkt dieser Anregung
ist ein -Teilchen der Masse 1232 MeV , das ebenfalls einfach positiv geladen ist
und nach sehr kurzer Zeit (< 10,20 s) wieder in ein Proton oder Neutron und ein
entsprechend geladenes Pion zerfallt:
(
+ 0
+
p + ,! ,! np +
(4.12)
+
Die Wahrscheinlichkeit, da es zu einer Proton-Photon-Wechselwirkung kommt, ist
bei einem Wirkungsquerschnitt von ungefahr p = 200 b sehr gering, wird aber in
43
Abbildung 4.9: Protonenergie
in Abhangigkeit des durch die
2; 7 K -Hintergrundstrahlung zuruckgelegten Weges (aus [Ber00])
galaktischen Dimensionen doch bedeutsam. Die Wechselwirkungslange dieses Prozesses betragt [Sch96]
(4.13)
p = 1 = 1; 25 1025 cm ' 4 106 pc = 4 Mpc :
p
= 400=cm3 ist die oben erwahnte Photonendichte der Hintergrundstrahlung. Die
mittlere freie Weglange bis zu dieser Wechselwirkung betragt also 4 Mpc. Die Pionproduktion fuhrt zu einem betrachtlichen Energieverlust von E=E0 = (10 , 20)%
[Ber00], zumal bei ausreichend hohen Energien uber der Schwelle von 6 10,19 eV
mehrere Pionen produziert werden konnen.
Abbildung 4.9 zeigt das Verhalten der Energie eines Protons in Abhangigkeit des
zuruckgelegten Weges. Aufgrund des prozentualen Energieverlustes sinkt die beobachtete Energie unabhangig von der Anfangsenergie oberhalb von 100 Mpc unter den
Schwellenwert fur die -Resonanz. Dabei kommt es zu mehreren Proton-PhotonWechselwirkungen, bei denen Pionen entstehen. Der Greisen-Zatsepin-KuzminCuto hat zur Folge, da Protonen, die in unserem Sonnensystem mit Energien
oberhalb von 6 1019 eV nachgewiesen werden, von einer Quelle stammen mussen,
die weniger als 100 Mpc von uns entfernt ist.
Zudem wurde man einen Abbruch (oder zumindest einen Einbruch) des Energiespektrums (Abb. 4.3) jenseits der betreenden Energie erwarten. Tatsachlich beobachtet
man jedoch eine relativ konstante Fortsetzung des Spektrums (hierzu [Ber00] und
[Bha98]) und damit bisher keine experimentelle Bestatigung des Energie-Cuto.
Grundsatzlich ist der oben beschriebene Proze auch moglich, wenn Protonen mit
Photonen des Sternenlichtes wechselwirken. Da diese eine hohere Energie als die
Photonen der Hintergrundstrahlung besitzen, ist die Energieschwelle der Photonen
entsprechend niedriger. Vernachlassigbar wird dieser Vorgang jedoch, wenn man sich
44
die Photonendichte ansieht. Betragt diese zum Beispiel in 1 AE (Tab. 4.1) Entfernung von unserer Sonne noch etwa 2 107 Photonen pro cm3, so sind es in einem
Parsec Abstand nur noch 2 10,3 Photonen/cm3 (gegenuber 400 Photonen pro cm3
in der Hintergrundstrahlung) [Sch96]. Detaillierte Ausfuhrungen uber den EnergieCuto nden sich in den Original-Schriften [Gre66] und [Zat66].
4.5 Teilchenschauer in der Erdatmosphare
Im Mittel treten 1000 Teilchen pro Sekunde und Quadratmeter mit Energien oberhalb von 109 eV in die aueren Schichten der Erdatmosphare ein. Die oberen Atmosparenschichten sind Schauplatze der ersten Wechselwirkungsprozesse. Diese nden statt zwischen den Kernen der Primarstrahlung und Sticksto- und SauerstoKernen, den haugst vertretenen Elementen in der Atmosphare (N2 78%,
O2 21%), wobei eine Vielzahl von weiteren Teilchen erzeugt wird. Samtliche aus
der ersten Wechselwirkung entstandenen Teilchen und ihre Folgeprodukte bezeichnet
..
Luftschauer−Entwicklung in der Atmosphare
p, N, ( γ )
π
ο
..
Ionosphare
+
π−
γ
e+
e−
Neutrino−, Myon−
Komponente
µ
~ 28 Xo
~ 12 λ
ν
elektromagnetische hadronische
Komponente
Komponente
..
Troposphare
Wetter
..
Meereshohe
~ 1250 Xo
~ 530 λ
CosmoAleph
ASM 1996
Abbildung 4.10: Entstehung eines ausgedehnten Luftschauers (aus [Mul96])
45
man als Sekundarteilchen (oder Sekundarsstrahlung ). Die Sekundarteilchen werden
in drei Kategorien eingeteilt, die in Abbildung 4.10 skizziert sind, die hadronische, die
elektromagnetische und die myonische Komponente. Da die Sekundarteilchen weitere Teilchen produzieren und somit eine kaskadenartige Ausbreitung in der Atmosphare stattndet, bezeichnet man dieses Phanomen als ausgedehnten Luftschauer.
Bei der starken Wechselwirkungen zwischen den Kernen der Primarstrahlung und
der Atmosphare kann es zum einen zu Spaltungen oder Fragmentierungen kommen,
zum anderen werden Mesonen produziert, und zwar hauptsachlich Pionen und zu
etwa 10% Kaonen. Kernfragmente und Mesonen, die ebenfalls aus Quarks bestehen,
zahlen zu der hadronischen Komponente, die den Kern des Schauers ausmacht. Die
neutralen Pionen zerstrahlen nach kurzer Zeit in jeweils zwei Photonen, die ausreichend energetisch sind, um Elektron-Positron-Paare zu bilden, welche zum Beispiel
durch Bremsstrahlung wiederum Photonen produzieren und so fort. Die wechselseitige Produktion von Elektronen (bzw. Positronen) und Photonen verursacht die
elektromagnetische Komponente. Die geladenen Pionen, die nicht stark mit atmosparischen Kernen wechselwirken, zerfallen in entsprechend geladene Myonen und
zugehorige Neutrinos (s. auch Gl. 3.4, 3.5), erzeugen also die myonische Komponente. Auch die neutralen Kaonen sind eine Quelle fur diese Komponente, da sie
uberwiegend in geladene Pionen zerfallen.
Sind nun die Myonen zu niederenergetisch, um den Erdboden zu erreichen, zerfallen
sie in Elektronen (bzw. Positronen) und Neutrinos gema Gleichung 3.7 und 3.8. Sie
nahren damit also die elektromagnetische Komponente, wie auch der hadronische
Schauerkern standig neue Pionen produziert. Die Ausbreitung des Schauers kann
man sich vorstellen als eine von den Schauerteilchen gebildete Scheibe mit leichter
Wolbung, deren Ausdehnung zunimmt, je weiter sie (annahernd mit Lichtgeschwindigkeit) in die Atmosphare vordringt.
Der Groteil der produzierten Teilchen ist mit Elektronen, Positronen und Photonen in der elektromagnetischen Komponente enthalten, am Erdboden uberwiegt
jedoch die Zahl der Myonen, da diese auf ihrem Weg durch die Atmosphare seltener
wechselwirken und somit weniger Energie verlieren. Das Verhaltnis der geladenen
Teilchen auf Meeresniveau sieht etwa wie folgt aus [Gru85]:
Myonen
80 :
Elektronen
Hadronen
20
:
1
Um etwas uber die Masse und Energie des schauerauslosenden Teilchens zu erfahren,
ist es sinnvoll, sich einige Eigenschaften von Luftschauern anzuschauen.
46
4.5.1 Eigenschaften ausgedehnter Luftschauer
Da die Entwicklung von Luftschauern in der Atmosphare von der Art des
Primarteilchens abhangt, soll hier kurz am Beispiel von proton- und eiseninduzierten
Schauern verdeutlicht werden.
Zahl der Sekundarteilchen - Zunachst soll von Primarteilchen der gleichen
Energie E0 ausgegangen werden. Einen Eisenkern kann man nach dem Superpositionsmodell als Ensemble von 56 einzelnen Nukleonen betrachten. Jedes
dieser Nukleonen tragt die Energie E0=56. Einen Eisenschauer kann man sich
nach diesem Modell also als U berlagerung von 56 niederenergetischeren Protonschauern vorstellen. Die mittlere Anzahl der Sekundarteilchen, die in einer
Nukleon-Nukleon-Wechselwirkung erzeugt werden, nimmt logarithmisch mit
der Energie zu. Das fuhrt dazu, da ein Proton mit der Energie E0 ungefahr
n ln E0 Sekundarteilchen erzeugt und ein Eisenkern n 56 ln E0=56 Teilchen mit entsprechend geringerer mittlerer Energie [Wet96].
Da also in einem eiseninduzierten Schauer eine groere Zahl Hadronen produziert wird als in einem protoninduzierten Schauer mit der gleichen Primarenergie, ist auch die Zahl der Pionen groer und damit auch die der Myonen, die
ja hauptsachlich aus Pionzerfallen entstehen.
Schauerprol - Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist die Hohe oder Atmospharentiefe, in der Protonen und Eisenkerne mit Sticksto- oder SauerstoAtomen wechselwirken. Da der Wirkungsquerschnitt fur Protonen kleiner als
der fur Eisenkerne ist, ist die Wechselwirkungslange fur Protonen mit etwa
70 g=cm2 entsprechend groer als die fur Eisen mit etwa 15 g=cm2 [Wet96]. Dies
fuhrt dazu, da Protonen einen langeren Weg in der Atmosphare zurucklegen
und die erste Wechselwirkung in Hohen von 15 , 25 km geschieht. Eisenkerne
wechselwirken bereits in 25 , 35 km Hohe. Dadurch, da der Kegel eines Eisenschauers hoher ansetzt als der eines Protonschauers gleicher Energie, resultiert
auch ein groerer Schauerradius auf Meeresniveau, was in Abbildung 4.11 ersichtlich ist. Zudem besitzen die Sekundarteilchen beim Eisenschauer einen
hoheren Querimpuls zur Schauerachse, der durch die vergleichsweise niedrigere Energie der Nukleonen des Eisenkernes zustandekommt - die Sekundarteilchen werden also unter einem groeren Winkel erzeugt. Dies vergroert den
Schauerradius zusatzlich.
Komponentenverhaltnis auf Meeresniveau - Da der Protonschauer tiefer in
der Atmosphare beginnt, liegt auch das Maximum der elektromagnetischen
und hadronischen Kaskade entsprechend tiefer als bei einem Eisenschauer.
Das bedeutet, da mehr Hadronen und auch Elektronen des Protonschauers
47
h (km)
γ
p
Fe
35
30
25
20
15
10
5
0
-0.5
0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
4
4.5
x (km)
E0 = 100 TeV ; CORSIKA & VENUS; nur sekundäre Teilchen mit
E 10 GeV ; — Hadronen, — Myonen, — Elektr./ Positr., Photonen.
Abbildung 4.11: Simulation der Schauerprole und Sekundarteilchen fur photon-,
proton- und eiseninduzierte Schauer mit Primarenergie 1014 eV [Hec00]
48
den Erdboden erreichen. Das Verhaltnis der Elektronen- oder Hadronenzahl zur
Myonzahl ermoglicht demnach eine Abschatzung der Masse des Primarteilchens
[Blu00].
Problematisch bei der Bestimmung der Hohe der ersten Wechselwirkungen sind jedoch statistische Unsicherheiten, die von der variablen Energie des Primarteilchens
verursacht werden.
4.5.2 Myonen in der kosmischen Strahlung
Wie bereits oben erwahnt, bilden Myonen den groten Anteil geladener Teilchen auf Meeresniveau. Durch die Untersuchung der myonischen Komponente lat sich Aufschlu gewinnen uber Schauerbreite und Myonendichte, was
wiederum auf Art und Energie des Primarteilchens verweist. Da auch das
im nachsten Kapitel vorgestellte CosmoALPEH-Experiment auschlielich die
myonische Komponente von ausgedehnten Luftschauern untersucht, sollen hier
kurz einige Charakteristika [Epj98] dieser Komponente aufgefuhrt werden.
Die meisten Myonen werden relativ hoch in
der Atmosphare, ungefahr in 15 km Hohe,
produziert und verlieren durch Ionisation ungefahr 2 GeV , bevor sie den Boden erreichen.
Fur ein Myon der Energie E = 2; 4 GeV bedeutet dies eine Abnahme der mittleren Zerfallslange von 15 km auf 8; 7 km. Die mittlere Energie der Myonen am Boden betragt
ungefahr 4 GeV . Ein genaueres Impulsspektrum ndet sich in Abbildung 4.12. Aufgetragen ist die Zahl der vertikal eintreenden
Myonen pro Quadratmeter, Sekunde, Steradiant3 und GeV=c. Dieses Spektrum gilt jedoch ausdrucklich fur vertikale Myonen, da
die hochstenergetischen Myonen fast horizontal einfallen. Das liegt daran, da die Pionen aus schrag in die Atmosphare einfallender
Primarstrahlung einen langeren Weg durch
weniger dichte Atmosphare zurucklegen und Abbildung 4.12: Impulsspektrum verdaher eher zerfallen als wechselwirken, wo- tikaler Myonen auf Meeresniveau
durch der Impuls auf das Myon (und das [All84]
Der Steradiant entspricht einem Raumwinkel, der durch eine Flache von 1 m2 auf einer Kugel
von 1 m Radius deniert wird.
3
49
Myon-Neutrino) ubertragen wird. Pionen aus vertikalen Schauern geben eher Energie durch Wechselwirkung ab und produzieren so niederenergetischere Myonen.
Die uber die Impulse integrierte Rate fur vertikale Myonen auf Meeresniveau ist
ungefahr I ' 1 cm,2min,1, was etwa einem Myon pro Handache und Sekunde
entspricht. Die Winkelverteilung fur Myonen am Boden ist gut beschrieben durch
I () = I0 cos2 :
(4.14)
I0 ist die Zahl der vertikalen Myonen, und ist der Zenitwinkel, also der Winkel zu
einem gedachten Lot auf den Erdboden. Diese Verteilung gilt als gute Naherung fur
den Energiebereich von 0; 1 GeV bis 100 GeV (vgl. [All84]).
Der Anteil positiv geladener Myonen uberwiegt den negativ geladener, wobei das
Verhaltnis liegt zwischen: 1; 2 N+ =N, 1; 3. Dies ndet seine Begrundung
in der uberwiegend positiven Ladung der Primarstrahlung, die entsprechend der
Ladungserhaltung auch mehr positive als negative Pionen erzeugt.
Myonen unter der Erde
Die einzigen Teilchen der kosmischen Strahlung, die weiter als einige Meter in den
Erdboden eindringen, sind Neutrinos und Myonen. Wahrend die Erde fur Neutrinos
fast "durchsichtig" erscheint, ist die Eindringtiefe fur Myonen, neben der begrenzten
Lebensdauer, beschrankt durch Energieverluste im Gestein:
(4.15)
, dE
dX = a + (bbs + bpb + bnw ) Emu
X ist die im Medium zuruckgelegte Strecke, a ist der Energieverlust durch Ionisation,
bbs ist der Faktor fur Verluste durch Bremsstrahlung, bpb steht fur den PaarbildungsAnteil und bnw fur die nukleare Wechselwirkung der Myonen mit dem Gestein. All
diese Groen sind energieabhangig. Bis zu einer Myonenergie von etwa 500 GeV wird
der Energieverlust durch Ionisation dominiert. In Tabelle 4.4 sind die Reichweite und
der Energieverlust von Myonen in Abhangigkeit ihrer Ausgangsenergie dargestellt.
Das in der Tabelle benutzte Langenma m:w:e: (meter water equivalent) ist eine
E [GeV ] R [m:w:e:] RGestein [m] a [MeV g,1 cm,2]
10
50
20
2,15
100
410
164
2,40
1000
2420
968
2,58
10000
6300
2520
2,76
Tabelle 4.4: Mittlere Reichweite von Myonen und Energieverlust durch Ionisation in
Wasser und Standardfels (aus [Epj98])
50
gangige Angabe fur Reichweiten, wobei als Normierung die Reichweite in Wasser
benutzt wird. Die Einheit ist analog zu der der Wechselwirkungslange m:w:e: =
100 g=cm2. Um die Reichweite in anderen Medien zu errechnen, mu durch deren
Dichte geteilt werden. Als Standardfels wird Fels mit einer mittleren Dichte von
= 2; 5 g=cm3 bezeichnet [Epj98]. Mit den obigen Daten lat sich eine Abschatzung
fur die Mindestenergie von Myonen machen. Das im nachsten Kapitel beschriebene
CosmoALEPH-Experiment bendet sich unter etwa 130 m Fels, oder 325 m:w:e: bei
der Dichte von Standardfels. Nach Tabelle 4.4 liegt die Mindestenergie fur Myonen
unter 100 GeV , wodurch die Ionisation den Energieverlust dominiert. Vernachlassigt
man die anderen Eekte, folgt aus Gleichung 4.15:
Z 325 mwe
2
g ' 74; 5 GeV
(4.16)
E =
a
dX
= 2; 3 MeVg cm 32500 cm
2
0
In diese Abschatzung geht ein Ionisationsverlust von 2; 3 MeV cm2=g ein (vergleiche Tabelle 4.4). Das bedeutet, allein durch diesen Energieverlust mussen Myonen
mindestens 75 GeV Anfangsenergie besitzen, um die 130 m Fels zu durchdringen.
Die Winkelverteilung der Myonen ist ebenfalls abhangig von der Tiefe, in der sich
das Experiment bendet. Bei der Winkelverteilung mu berucksichtigt werden, da
hochenergetische Myonen unter groeren Zenitwinkeln einfallen und der Weg durch
das Gestein sich mit dem Zenitwinkel vergroert (hohere Energieverluste). Eine detaillierte Ausfuhrung zu Myonen unter der Erde ndet sich in [All84].
4.6 Experimente zur Untersuchung kosmischer
Strahlung
Wegen der Vielzahl der Experimente, die sich mit kosmischer Strahlung befassen,
folgt an dieser Stelle nur eine kurze Auistung der Moglichkeiten, kosmische Strahlung zu untersuchen. Grundsatzlich gibt es zwei Arten, die sogenannte klassische
kosmische Strahlung nachzuweisen. Zum einen kann man die Primarstrahlung mit
Detektoren auerhalb der Atmosphare, also frei von atmospharischen Einussen,
beobachten oder in groen Atmospharenhohen mit Hilfe von Ballonexperimenten.
Zum anderen lat sich durch Untersuchung der Sekundarprodukte Aufschlu uber
die Art der Primarstrahlung gewinnen.
Bis zu Energien unterhalb von etwa 1014 eV ist eine direkte Messung der
Primarstrahlung noch moglich [Kla97]. Ein Beispiel fur einen ballongetragenen
Detektor ist das JACEE-Experiment (Japanese-American Collaborative Emulsion Experiment). Das Experiment bestimmt die Ladung eintreender Kerne (mit
0; 2 e fur Protonen und Heliumkerne bis zu 2 e fur Eisenkerne), rekonstruiert mit
Hilfe von Emulsionsplatten und Filmen Spuren sekundarer Teilchen, die bei einer
51
herbeigefuhrten Wechselwirkung im Detektor entstehen und mit deren Energie, um
die Energie des Primarteilchens zu errechnen. Mit dem JACEE-Experiment konnen
Messungen zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung im Energiebereich
von etwa 1 bis 100 TeV pro Nukleon durchgefuhrt werden [Kla97].
Auerhalb der Atmosphare wurde beispielsweise 1985 mit dem Chicago "Egg\
Primarstrahlung im Bereich von 40 GeV bis zu einigen TeV untersucht. Der
Detektor der Universitat von Chicago befand sich hierzu etwa eine Woche an Bord
des Space-Shuttles. Die Ladung der Teilchen wurde mit Szintillatoren bestimmt
und deren Energie mit Hilfe von zwei Gas-Cerenkov-Detektoren [Kla97] (CerenkovStrahlung wird von geladenen Teilchen emittiert, wenn sie sich in einem Medium
schneller als das Licht bewegen - die Cerenkov-Strahlung ist das elektromagnetische
Analogon zum Mach-Kegel in der Akustik, der entsteht, wenn Gerauschquellen sich
mit U berschallgeschwindigkeit bewegen).
Oberhalb von mehreren TeV werden jedoch die Flusse (oder Teilchenraten pro
Flache) zu gering fur direkte Nachweismethoden. Aus diesem Grund untersucht man
in Bereichen hoherer Primarenergien (ab etwa 100 TeV ) die Sekundarprodukte und
damit ausgedehnte Luftschauer. Die derzeit grote Detektoranordnung zur Untersuchung ausgedehnter Luftschauer bendet sich in Akeno, Japan. AGASA (Akeno
Giant Air Shower Array) besteht aus 111 Szintillationszahlern von jeweils 2; 2 m2,
die uber eine Flache von 100 km2 verteilt sind und 27 Myondetektoren. Mit dieser
Flache konnen die Schauer von Primarteilchen hochster Energien nachgewiesen
werden. 1993 wurde ein Primarteilchen mit einer Energie von (1; 7 , 2; 6) 102 0 eV
beobachtet [http://www-akeno.icrr.u-tokyo.ac.jp/AGASA/].
Im Aufbau bendet sich zur Zeit das Pierre-Auger-Observatory, das nach seiner
2003 geplanten Fertigstellung aus zwei Detektoranordnungen, die mit jeweils 1600
Detektoren uber eine Flache von jeweils 3000 km2 verteilt sind, bestehen soll. Die
Experimente benden sich in der nordlichen und sudlichen Hemisphare in Utah
(USA) und Argentinien [http://www.auger.org/auger.html].
Als Beispiel fur ein Luftschauer-Experiment unter der Erde wird im nachsten
Kapitel CosmoALEPH beschrieben.
Der Fly's-Eye-Detektor in Utah, der nun durch HIRes (High Resolution Fly's Eye)
ersetzt ist, machte sich ein weiteres Sekundarprodukt der kosmischen Strahlung
zunutze. Die geladenen Teilchen, die in Luftschauern produziert werden, regen die
Stickstoatome der Atmosphare zur Fluoreszenz an, das heit, die Sticksto-Atome
emittieren sehr schnell nach der Anregung Photonen, die mittels Photomultipliern
(siehe Kapitel 5.4.1) nachgewiesen werden konnen. Da jedoch nur ungefahr ein
Prozent der auf das Sticksto-Atom ubertragenen Energie als Photonen abgegeben
wird, nden Beobachtungen in klaren mondlosen Nachten statt. 1993 wurde hier
der Schauer eines Primarteilchens mit 3; 2 1020 eV beobachtet [http://www.cosmic52
ray.org/].
Wahrend sich die obigen Experimente auf die Untersuchung der Kernkomponente
der kosmischen Strahlung beschranken, gibt es viele weitere Experimente, die
andere Teilchen Arten kosmischen Ursprungs beobachten. Einige Satelliten messen
beispielsweise die von aktiven Objekten emittierte Gamma-Strahlung. Ein vielversprechender Untersuchungsgegenstand sind auch Neutrinos, da man mit deren Hilfe
Punktquellen fur kosmische Strahlung ausmachen kann.
Eine umfassende Auuhrung aktueller und vergangener Experimente kann man
auf einer Web-Seite des Heidelberger Max-Planck-Institutes fur Kernphysik nden:
http://www-hfm.mpi-hd.mpg.de/CosmicRay/CosmicRaySites.html.
Als Beispiel fur Luftschauer-Messungen unter der Erde soll im nachsten Kapitel
CosmoALEPH-Experiment beschrieben werden.
53
Kapitel 5
Das CosmoALEPH-Experiment
CosmoALEPH ist eine Anordnung von Detektoren, die eingerichtet wurde, um die
in ausgedehnten Luftschauern entstehenden Myonen nachzuweisen. Im folgenden
werden die Moglichkeiten des Experimentes sowie die Lage und der Aufbau der
einzelnen Mestationen genauer beschrieben.
5.1 Ziel der Messungen
Aufgabe der Mestationen ist es, durch Nachweis von Myonen die Breite von Schauerkegeln zu bestimmen. Aus dieser Groe lat sich rekonstruieren, in welcher Hohe
ein Luftschauer entstanden ist. Da leichtere Kerne, bis hin zu Protonen, einen langeren Weg in der Atmosphare zurucklegen, bevor sie wechselwirken, kann man auf diese
Art unterscheiden, ob der Luftschauer von einem leichteren oder einem schwereren
Kern verursacht wurde.
Betrachtet man ebenfalls, mit welcher Haugkeit Schauer verschiedener Ausdehnungen auftreten, lassen sich Aussagen daruber treen, mit welcher Haugkeit leichte
und schwere Kerne in der kosmischen Primarstrahlung auftreten.
Zu beachten ist, da durch den Fels, der sich uber dem Experiment bendet, niederenergetische Myonen gestoppt werden. Die Myonen, die den Fels durchdringen,
mussen eine Mindestenergie von etwa 70 GeV besitzen.
Ein weiterer Gegenstand fur Untersuchung sind unabhangige Luftschauer. In Zusammenarbeit mit dem LEP-Experiment L3 wird nach koinzidenten Myonereignissen gesucht, die aufgrund des Abstandes der beiden Experimente von unabhangen
Luftschauern stammen mussen. Solche Schauer werden von zeitlich korrelierten
Primarteilchen verursacht. Diese konnten dadurch entstehen, da Kerne im interstellaren Raum durch Wechselwirkung eine Art ,Superschauer' produzieren, deren
Sekundarprodukte dann koinzident auf die Erdatmosphare auftreen.
54
Abbildung 5.1: Lage der LEP-Experimente (aus [Mai96])
5.2 Geographische Lage und geometrischer Aufbau
Das Experiment bendet sich am Europaischen Laboratorium fur Teilchenphysik
CERN bei Genf. Kernstuck des CERN ist der LEP-Speicherring (Large Elektron
Positron Collider), der einen Umfang von etwa 27 km hat und in einer Tiefe zwischen 50 und 175 m liegt (siehe Abbildung 5.1). Im LEP-Ring werden Elektronen
und Positronen beschleunigt und zwar in Form von jeweils vier raumlich begrenzten
Teilchenpaketen (sog. bunches ). Die Teilchenpakete werden durch Magnete auf einer
Kreisbahn gehalten und durch Fokussierung in vier Punkten zur Kollision gebracht.
An diesen vier Punkten benden sich die LEP-Experimente ALEPH, DELPHI, L3
und OPAL.
Ursprunglich war CosmoALEPH als Pilotexperiment konzipiert und umfate neben dem Hadronkalorimeter des ALEPH-Detektors vier Szintillatorstationen. Die
Idee, die vier LEP-Experimente zusammenzuschalten, um mit diesen eine groe
Flache fur die Luftschaueruntersuchung zu umfassen, wurde nicht realisiert, so da
CosmoALEPH um eine zusatzliche Szintillatorstation erweitert wurde und in der
jetzigen Konguration seit Ende 1998 Daten nimmt.
5.2.1 Geometrische Anordnung der Stationen
Abbildung 5.2 zeigt die Anordnung der Szintillatorstationen um den ALEPHDetektor, der sich in einer Tiefe von circa 140 m unter der Erdoberache bendet.
55
Entfernungen:
Gallery - Trolley
Trolley - HCAL
Bypass A - Bypass C
Kaverne - Bypass A/B
Kaverne - Alcove
18 m
39 m
98 m
~260 m
~925 m
Alcove
LEP
Bypass C
ALEPH
HCAL
Bypass A
(seit 1998)
Gallery (vor 1997)
Bypass B (seit 1997)
Trolley
Abbildung 5.2: Geometrischer Aufbau der Stationen
Die Station TROLLEY ist in der ALEPH-Kaverne selbst eingerichtet, wahrend die
BYPASS-Stationen A, B und C in einem etwa 550 m langen Wartungstunnel, den
man sich ungefahr als Kreissehne innerhalb des LEP-Ringes vorstellen kann, plaziert sind. BYPASS A und BYPASS B benden sich an den jeweiligen Enden, die
den Wartungstunnel mit dem LEP-Tunnel verbinden, kurz unterhalb der Tunneldecke. BYPASS C liegt auf dem Dach einer Elektronik-Barracke, und ALCOVE ist
in einer Nische neben dem eigentlichen LEP-Tunnel installiert. Die fur das Experiment entscheidende Groe, der Abstand der Stationen zueinander, ist in Tabelle 5.1
aufgelistet.
d[m]
Alcove Bypass A Bypass B Bypass C HCAL Trolley
Alcove
666
1185
761
927
926
Bypass A 666
522
98
261
260
Bypass B 1185
522
306
261
271
Bypass C 761
98
306
167
162
HCAL
927
261
261
167
39
Trolley
926
260
271
162
39
Tabelle 5.1: Relative Abstande der Stationen in Metern (aus [Sch99])
56
5.3 Das Hadronkalorimeter
Neben den Szintillatorstationen wird das
Hadronkalorimeter (HCAL) des ALEPHDetektors fur CosmoALEPH ausgelesen.
Das HCAL besteht aus einem Hohlzylinder (dem sogenannten Barrel ) von 7; 24 m
Lange, 4; 68 m Auenradius und 3; 00 m
Innenradius und zwei Endkappen, die
den Zylinder abschlieen. Der von CosmoALEPH benutzte Barrel-Teil setzt sich
zusammen aus 12 Supermodulen, den in
Abbildung 5.3 schematisch dargestellten
Kreissegmenten. Die Supermodule bestehen aus 22 Lagen von jeweils einer Eisenschicht und einer Streamerkammer eine
nach auen abschlieende Eisenschicht bil- Abbildung 5.3: Myonereignis im Hadet die 23. Lage. In den Streamerkammern dronkalorimeter
konnen in einer bestimmten Gasmischung
durch Hochspannung die Spuren ionisierender Teilchen sichtbar gemacht werden.
Die Reichweite der Teilchen im HCAL ist begrenzt durch den Energieverlust in den
Eisenlagen, was man sich zur Energiebestimmung zunutze macht.
Fur die CosmoALEPH-Auslese werden jeweils 2 der 22 Lagen eines Supermoduls
zu einer Lage zusammengefat und bilden mit der auere Eisenlage 12 Lagen pro
Modul. Um ein Ereignis als Myondurchgang zu werten, wurden bestimmte Triggerbedingungen festgelegt. In zwei oder mehr Supermodulen mussen mindestens 8
Lagen ansprechen und zwei dieser Supermodule mussen sich direkt gegenuberliegen,
beziehungsweise neben dem gegenuberliegenden Modul positioniert sein. Abbildung
5.3 zeigt ein solches Ereignis.
5.4 Aufbau der Szintillator-Stationen
5.4.1 Die Komponenten eines Szintillationszahlers
Szintillatoren - Als Szintillation bezeichnet man das "Aufblitzen" eines Materials,
wenn es von einem ionisierenden Teilchen durchquert wird. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn ein ionisierendes Teilchen Atome des Materials anregt,
die nach kurzer Zeit (Mikro- bis Nanosekunden) die gewonnene Energie wieder
in Form von Photonen (also Licht) abstrahlen. Die hier verwendeten Szintilla57
Photomultiplier
Lichtleiter
Szintillator
Abbildung 5.4: Szintillationszahler
toren bestehen aus Kunststo, der fur Licht transparent und mit einem fur die
Szintillation geeignetem Sto dotiert ist. Die von den durchgehenden Teilchen
verursachten Photonen werden mit Lichtdetektoren nachgewiesen. Da nur im
Szintillator entstandene Photonen detektiert werden sollen, sind Szintillator
und Lichtleiter komplett mit schwarzem Kunststo umwickelt.
Lichtleiter - Da die Lichtdetektoren aus baulichen Grunden nicht direkt an die
Szintillatoren anschlieen konnen, bedient man sich sogenannter Lichtleiter.
Da das Licht moglichst verlustfrei gefuhrt werden soll, achtet man auf eine
gleiche Groe von Eintritts-, und Austrittsache. Als Material wird zumeist
Plexiglas verwendet, dessen Brechungsindex Totalreexion der geleiteten Photonen verursacht und damit die Verluste minimiert.
Photomultiplier - Als Lichtdetektoren werden Photomultiplier (dt. Sekundarelek-
tronenvervielfacher) verwendet. Diese dienen zur Umwandlung kleinster Lichtsignale, schon weniger Photonen, in ein elektrisches Signal. Im Prinzip besteht
ein Photomultiplier aus drei Teilen, einer photosensitiven Kathode, aus der
einfallende Photonen Elektronen "herausschlagen\, einem System von mehreren Dynoden, die zur Verstarkung des Signales dienen und einer Anode, zu
der die Elektronen beschleunigt werden und von der das Signal weitergeleitet wird. Zwischen den Dynoden liegen zumeist Spannungen zwischen 100 V
und 200 V . Die von Photonen aus der Kathode gelosten Elektronen werden
von Dynode zu Dynode beschleunigt, und schlagen durch ihre hoher werdende
Energie jeweils mehrere Elektronen aus dem Dynodenmaterial. Das Ergebnis
ist eine Elektronenlawine, mit der man Signalverstarkungen um einen Faktor
107 -108 erreichen kann.
a
Kathode
cht
Li
b
Anode Impulse
Dynode
Zähler
Focus
a
b
Abbildung 5.5: Prinzip eines
Photomultipliers (aus [Kle00])
Hochspannung
5.4.2 Aufbau der einzelnen Stationen
Prinzipiell sind die verschiedenen Szintillatorstationen gleich aufgebaut, sie unterscheiden sich jedoch teilweise durch die Bauart der Szintillatoren und die Anzahl
58
der Stacks. Als Stack wird ein ubereinander angeordnetes Paar von Szintillatoren
bezeichnet, welche jeweils an beiden Enden uber einen Lichtleiter von einem Photomultiplier ausgelesen werden (eine Ausnahme bildet Stack 5 von BYPASS C, der
aus vier einseitig ausgelesenen Szintillatoren besteht). Die beiden Photomultiplier
einer Szintillatorlage sind in Koinzidenz geschaltet und bilden mit dem zweiten
Photomultiplier-Paar des Stacks eine Vierfach-Koinzidenz, wie sie Abbildung 5.6
dargestellt ist.
Die Szintillatoren werden beidseitig ausgelesen, um von elektronischem Rauschen
innerhalb der Photomultiplier produzierte Signale auszuschlieen. Die Anordnung
in Stacks wurde gewahlt, um einen gewissen Raumwinkel fur nachzuweisende Teilchen vorzugeben und somit den Photonenuntergrund aus radioaktiven Zerfallen im
umliegenden Gestein zu minimieren.
Station
Stacks Mae [m2] Flache [m2] vert. Szint.-Abstand [cm]
Alcove
8
2; 2 0; 4
7; 04
6
Bypass A
8
2; 2 0; 4
5; 28
2 , 14
Bypass B
4
3; 8 0; 44
6; 69
6; 5
Bypass C
4
3; 0 0; 3
5; 10
7,9
1
3; 0 0; 5
15; 5
Trolley
5
3; 0 0; 3
4; 50
7
Tabelle 5.2: Stackgeometrie (aus [Sch99], Abstande aus [Cas00])
5.4.3 Die Auslese-Elektronik
Das Auslesesystem der CosmoALEPH-Stationen ist in Abbildung 5.6 schematisch
dargestellt. Die Signale der Photomultiplier werden zunachst zu separaten Diskriminatoreinheiten geleitet, die wahrend der Datennahme nur Pulshohen uber 70 mV
weiterverarbeiten. Hierdurch konnen durch elektronisches Rauschen verursachte Zufallskoinzidenzen sowie Ereignisse, die durch Teilchen niederer Energie, zum Beispiel
comptongestreute Elektronen, entstehen, unterdruckt werden.
Die Diskriminatoreinheit gibt (wie auch die anderen NIM-Module) einen Rechteckpuls mit einer Amplitude von ,0; 8 V und variabler Pulsbreite aus, der an die
Koinzidenz des Szintillators geleitet wird, welche wiederum die entsprechende StackKoinzidenz anspricht. Die Stack-Koinzidenzen sind zum einen verbunden mit einer
Logic-Unit, die bei einem oder mehreren Stack-Ereignissen ihrerseits ein Signal an
die Triggerkarte weiterleitet, zum anderen uber eine Zeitverzogerung (100 ns) mit
der Pattern-Unit. Die Delay-Unit wird benotigt, um die Zeitdierenz zum Signalweg
uber Logic-Unit und Trigger-Card auszugleichen. Die angesprochene Trigger-Card
lost die Pattern-Unit aus, die dann das uber die Delay-Unit angekommene Signal
59
Diskriminatoren
&
SzintillatorKoinzidenzen
&
NIM
&
StackKoinzidenz
andere
Stacks
andere
Stacks
Logic
Unit
(³ 1)
Delay
(100 ns)
Trigger
Card
VME Bus
Fast
Clock
Pattern
Unit
FIC
Ethernet
Z
AXACA1Z
Abbildung 5.6: Auslese-Elektronik der Szintillatorstationen
60
VME
mit Stacknummer auf den VME-Bus gibt. Auerdem triggert sie die Fast-Clock, die
ihrerseits die entsprechende Zeitinformation auf den VME-Bus schreibt. Zeit- und
Stackinformation werden vom ebenfalls getriggerten FIC (Fast Intelligent Controler) gelesen und zu einem Ereignis zusammengefugt. Die gesammelten Daten werden
vom FIC uber Ethernet auf den ALEPH-Online-Cluster geschickt. Das fur die Datennahme verantwortliche Programm MISTDAQ wird an anderer Stelle beschrieben.
5.5 Arbeitspunkte und Nachweiswahrscheinlichkeiten
5.5.1 Einstellung der Arbeitspunkte eines neuen Stacks
Ziel der Messung war es, der Szintillatorstation BYPASS C einen neuen Stack hinSzintillator I
PM 1
Szintillator II
PM 2
zuzufugen. Hierzu war es notwendig, die
Arbeitspunkte der zugehorigen PhotomulPM 3
Szintillator III
PM 4
tiplier uber Variation der Hochspannung
Szintillator IV
derart festzulegen, da die Nachweiswahr- Abbildung 5.7: Anordnung der Szintilscheinlichkeit fur Myonen bereits hoch ist, latoren in Stack 5
wahrend sich die Nachweiswahrscheinlichkeit fur Photonen noch im Anstieg bendet. Es sollte erwahnt werden, da der
Beitrag der comptonstreuenden Photonen bei den hier verwendeten einseitig ausgelesenen Szintillatoren zur Rate gering ist im Vergleich zu den beidseitig ausgelesenen
Szintillatoren der anderen CosmoALEPH-Stacks. Dies ist bedingt durch die geringere Wahrscheinlichkeit, da comptonstreuende Photonen von zwei Szintillatoren
nachgewiesen werden. Fur den neuen Stack standen vier einseitig ausgelesene Szintillatoren zur Verfugung, von denen jeweils zwei als eine Lage behandelt werden
sollten. Entsprechend dem Aufbau in Abbildung 5.7 stellt sich die Stack-Konzidenz
dar als (1 ^ 2) ^ (3 ^ 4). Die Szintillatoren haben eine sensitive Flache von jeweils
50 cm 200 cm, und der Abstand zwischen beiden Lagen betragt 15 cm.
Um die Ezienz eines Photomultipliers bezuglich des Myon-Nachweises festzustellen, denierten wir mit der Koinzidenz dreier Photomultiplier Myonen. Die Rate der
Myonen, verglichen mit der Vierfach-Koinzidenz aller Photomultiplier, lieferte die
Ezienz des gerade untersuchten Photomultipliers gema
(5.1)
= nn4,fach :
3,fach
Da die Photomultiplier fur die Ratenmessung ungefahr die gleiche Sensitivitat besitzen sollten, ermittelten wir die jeweilige Betriebsspannung, die einer
61
Photomultiplier-Rate von r = 500 Hz entsprach. Hierzu wurde das Signal des entsprechenden Diskriminator-Moduls direkt auf einen Zahler gegeben, wodurch sich
folgende Werte ergaben:
PM 1 PM 2 PM 3 PM 4
1940 V 2180 V 1945 V 2020 V
Nach dem Angleichen der Raten erfolgte die Schaltung der Photomultiplier in
Dreifach- beziehungsweise Vierfach-Koinzidenzen (entsprechend Abbildung 5.8), deren Signale zum Vergleich von zwei Zahlern ausgelesen wurden. Um die Zahlraten
und damit die Nachweiswahrscheinlichkeiten in Abhangigkeit der Betriebsspannung
aufzunehmen, variierten wir diese zwischen 1000 V und 2000 V . Dabei wahlten wir
zunachst Schritte von U = 100 V und untersuchten dann den Bereich um den
vermuteten Plateau-Anfang mit U = 50 V in einem Intervall von 150 V . Als
Mezeit fur jede Einstellung legten wir 100 s fest.
Die Einstellungen der Diskriminator-Schwellen waren zur Zeit der Messung Uthresh =
40 mV und die Zeitfenster an Diskriminator- und Koinzidenzmodulen t = 40 ns.
Abbildung 5.9 zeigt die Myon-Nachweiswahrscheinlichkeiten in Abhangigkeit der
anliegenden Hochspannung. Das erwartete Verhalten der Ezienz lat sich bei den
Photomultipliern 1, 3 und 4 gut wiedererkennen: Nach einem steilen Anstieg geht die
Nachweiswahrscheinlichkeit in einen Plateaubereich uber, in dessen Spannungsintervall auch der Arbeitspunkt zu wahlen ist. Da PM 2 erst bei Spannungen ab 2000 V
seine grote Sensitivitat erreicht, konnte man angesichts der Baugleichheit einen
Fehler vor der Photokathode vermuten, zum Beispiel Reexionen an den Kontakten
des optischen Leiters (etwa bei Luftspalten zwischen Szintillator und dem optischen
Leiter und daraus resultierender Totalreexion). Denkbar waren auch "Alterungsprozesse" im Photomultiplier selbst, womit eine Oberachenveranderung vor allem
der anodennahen Dynoden gemeint ist, die sich auf die Fahigkeit, Elektronen zu
PM 1
Diskrim.
PM 2
Diskrim.
PM 3
Diskrim.
PM 4
Diskrim.
&
Zähler
&
&
Zähler
Abbildung 5.8: Aufbau zur Ezienz-Messung von PM 4
62
Effizienz
PM 2
Effizienz
PM 1
U[ V ]
U[ V ]
Effizienz
PM 4
Effizienz
PM 3
U[ V ]
U[ V ]
Abbildung 5.9: Myon-Nachweiswahrscheinlichkeiten in Abhangigkeit der Spannung
emittieren, auswirkt. Dies hatte eine verminderte Verstarkung zur Folge. Ein weiteres Problem das auftreten kann, ist die Diusion von Gas in das Innere der Rohre.
Die Fehler der Kennlinien-Graphen ergeben sich aus einer Binomial-Verteilung:
v
u
u
() = t (1 , ) ;
wobei = nn4,fach :
3,fach
n3,fach
(5.2)
Entsprechend der kurzen Mezeit und der damit niedrigen Rate (11 bis 37 Ereignisse) sind die Fehler zum Teil recht gro, und die gemessenen Ezienzen unterliegen
63
einer gewissen statistischen Streuung. Sie erlauben aber dennoch, den Beginn des
Plateaus mit ausreichender Genauigkeit festzulegen. Da die Photomultiplier fur den
Nachweis comptonstreuender Photonen moglichst wenig ezient sein sollen und die
Photon-Nachweiswahrscheinlichkeiten erst bei hoheren Spannungen als in den
Plateaubereich ubergehen, wahlten wir die Arbeitspunkte am Beginn der MyonEzienz-Plateaus, wo sich die Kennlinie der Photon-Ezienz noch im Anstieg bendet (genaueren Aufschlu wurde noch eine Aufnahme der Energiespektren von
Myonen und Photonen liefern; siehe hierzu [Scr96]).
Anhand der Mepunkte legten wir zunachst folgende Arbeitspunkte fest:
PM 1
PM 2
PM 3
PM 4
2150 V
2300 V
1950 V
2000 V
Mittlerweile wurde PM 2 auf 2200 V eingestellt, da 2300 V das Spannungslimit bei
Dauerbetrieb fur Photomultiplier dieser Bauart ist. Die Spannung von PM 3 wurde
auf 2000 V geandert.
5.5.2 Ezienzbestimmung der Stationen
Die von den Stationen gemessene Myonrate mu unter anderem auch um die
Ezienz der Szintillatorstacks korrigiert werden. Als Ezienz bezeichnet man die
Wahrscheinlichkeit, da die Meanordnung ein durchgehendes geladenes Teilchen
nachweist. Fur die Messungen der Ezienzen mu die Schaltung der Ausleseelektronik verandert werden (die Schaltung ist in [Sch99] dargestellt). Entweder die
obere oder die untere Szintillatorlage wird als Myon-Trigger benutzt, das heit,
sie gibt nur im Falle eines Myon-Durchganges ein Signal an die Elektronik weiter.
Geschieht dies, so wird registriert, ob die entsprechend andere Lage (die sogenannte
Read-Out-Lage) ebenfalls ein Myon "gesehen" hat. Das Verhaltnis der Raten
Nreadout=Ntrigger = steht dann fur die Ezienz des untersuchten Szintillators.
Da bekannt ist, da die erwartete Myonrate fur die CosmoALEPH-Stationen etwa
bei 0; 4 Hz=m2 liegt [Mul96], werden die Trigger-Szintillatoren durch eine Erhohung
der Diskriminator-Schwellen auf diese Rate eingestellt. Da die Anzahl der Photonen,
die im Szintillator erzeugt werden, von der Energie des durchgehenden Teilchens
abhangt und somit ein hoherenergetisches Teilchen einen groeren elektrischen Puls
im Photomultiplier verursacht, sollte der Szintillatorzahler nur noch fur Myonen
sensitiv sein.
Da durch die Anordnung der Trigger- und Read-Out-Szintillatoren nicht alle
Myonen, die die Trigger-Lage treen, auch von den entsprechenden Read-Out64
Szintillatoren gesehen werden, benutzt das Ezienzprogramm EFS99 bestimmte
Trigger-Bedingungen. Fur die unten aufgefuhrten Ezienzen wurde gefordert,
da mindestens ein weiterer Triggerszintillator auer dem uber dem Read-OutSzintillator feuern mute. Eine Ausgabetabelle des Programmes EFS99 ist am
Beispiel der unteren Lage des TROLLEYs in folgendem Abschnitt aufgefuhrt. Auerdem sind die Stackezienzen von vier Szintillatorstationen aufgelistet (ALCOVE
war zur Zeit der Messungen wegen LEP-Betrieb nicht zuganglich). Die Daten fur die
Ezienzbestimmung wurden innerhalb von 14 Tagen im letzten Jahr genommen.
t1, t2 und r1, r2 sind die Raten der Trigger- und Read-Out-Szintillatoren, ef1,
ef2 und ef die Ezienz als deren Verhaltnis und def der Fehler eff , der sich
entsprechend Gleichung 5.2 berechnet.
Die Stackezienz ergibt sich aus dem Produkt der Nachweiswahrscheinlichkeiten
des oberen (up) und unteren (lo) Szintillators:
st = up lo. Der Fehler fur st
q
enstammt der Fehlerfortpanzung st = (up lo)2 + (lo up)2.
EFFICIENCY RUNS JULY/AUGUST 1999
================================
Loc
t1 r1 t2 r2
ef1 ef2
ef
def
LOWER LAYERS
------------------------------------------------------------ ============
TROLLEY 131 86 177 116 0.657 0.655 0.657 +- 0.042
TROLLEY
78 59 157 120 0.756 0.764 0.764 +- 0.034
TROLLEY 106 78 166 127 0.736 0.765 0.765 +- 0.033
TROLLEY
88 63 165 116 0.716 0.703 0.716 +- 0.048
TROLLEY 115 93 114 93 0.809 0.816 0.816 +- 0.036
Beispiel einer
SzintillatorKoinzidenz
Loc
ef
def
-------------------------TROLLEY 1 0.549 0.039
TROLLEY 2 0.592 0.031
TROLLEY 3 0.564 0.030
TROLLEY 4 0.580 0.042
TROLLEY 5 0.689 0.038
Stackkoinzidenzen
[run ranges: lo(6826-6845)
---------- up(6849-6881)]
Loc
ef
def
--------------------------BYPASS A 1 0.365 0.014
BYPASS A 2 0.704 0.013
BYPASS A 3 0.664 0.019
BYPASS A 4 0.678 0.016
BYPASS A 5 0.706 0.012
BYPASS A 6 0.585 0.016
[run ranges: lo(6954-6986)
---------- up(6987-7021)]
Loc
ef
def
-------------------------BYPASS B 1 0.751 0.015
BYPASS B 2 0.697 0.013
BYPASS B 3 0.720 0.011
BYPASS B 4 0.753 0.012
[run ranges: lo(6772-6807)
---------- up(6933-6952/6954-7021)]
Loc
ef
def
-------------------------BYPASS C 1 O.551 0.017
BYPASS C 2 O.564 0.011
BYPASS C 3 O.522 0.011
BYPASS C 4 O.488 0.018
BYPASS C 5 O.386 0.016
run ranges: lo(6769-6809)
---------- up(6810-6881/6883-6905/6907-6931)
65
5.6 Photonuntergrund
N (counts)
Bei der Einrichtungen von CosmoALEPH el auf, da die vorher oberirdisch eingestellten Szintillatoren trotz der Abschirmung durch den daruberliegenden Fels eine
hohere Rate zeigten. Es stellte sich durch Untersuchungen heraus, da dieser Untergrund hauptsachlich durch Photonen verursacht wird. Die Photonen losen im Szintillatormaterial durch Comptonstreuung Elektronen aus Atomen heraus, die dann
als ionisierende Teilchen durch den Szintillator nachgeweisen werden konnen. Ein
solches Elektron kann je nach Richtung des Photonimpulses auch den zweiten Szintillator eines Stacks durchqueren und so eine Stackkoinzidenz verursachen. Ebenso
kann das auslosende Photon ein weiteres Elektron im zweiten Stack streuen.
Die Photonen entstammen radioaktiven Zerfallen von Isotopen im umliegenden Gestein oder im Beton der Tunnelwande. Eine ausfuhrliche Beschreibung dieser Untersuchung ndet sich in [Scr96].
Um diesen Untergrund zu unterdrucken, wurde einerseits die Stack-Anordnung der
Szintillatoren gewahlt und andererseits der Arbeitspunkt der Photomultiplier entsprechend angepat (siehe auch Kapitel 5.5.1).
Eine zweite Quelle fur Photonen ist die Synchrotronstrahlung, die die im LEPRing beschleunigten Elektronen und Positronen emittieren. Die Stationen BYPASS A, BYPASS B und ALCOVE, die sich in unmittelbarer Nahe des LEPTunnels benden, sind von diesem Untergrund betroen. In Abbildung 5.10 ist dieser
Eekt gut erkennbar. Aufgetragen ist die Anzahl der von einer Station gesehenen Ereignisse
auf einer Zeitskala, die genau einem Umlauf eines Teilchenpaketes im LEP-Ring entspricht, also etwa 89 s.
Unterteilt ist die Skala durch die Zahlintervalle
der Fast-Clock 80-MHz-Oszillator, also 12; 5 ns
als Zeitintervall). Eigentlich muten acht sogenannte Lepspikes innerhalb der 89 s bei allen
Stationen sichtbar sein, BYPASS A und BYt [12,5 ns]
PASS B werden jedoch aufgrund ihrer Position nur von Synchrotronstrahlung der Positro- Abbildung 5.10: Lepspikes in den
nen bzw. Elektronen getroen. Genaugenommen Zahlraten von BYPASS B
werden sie von reektierten Photonen der Strahlung getroen, da der Bypass-Tunnel innerhalb des Ringes liegt.
An den betreenden Stationen bendet sich jeweils ein sogenanntes PDM-Modul,
mit dem sich diskrete Zeitfenster aus der Datennahme ausblenden lassen, die Station
wird also fur den Zeitraum, in dem ein Teilchenbundel sie passiert, "totgeschaltet\.
66
Abbildung 5.11: Die Plots zeigen die Anzahl der Ereignisse pro Fast-Clock-Tick (je
12; 5 ns). Auf dem linken Bild ist einer von vier LEP-Spikes zu sehen, dessen Zeitintervall auf dem rechten Bild ausgeblendet ist.
Abbildung 5.11 zeigt das Ausblenden eines betroenen Zeitintervalls. Auf dem linken Bild sieht man einen Lepspike in einer hoheren Auosung bei einem Testlauf.
Mit Hilfe der Lepspikes-Routine lat sich das im rechten Bild per Hand eingezeichnete Zeitfenster aus der Datennahme ausblenden. Die Anpassung mu bei jeder
A nderung der Strahloptik erfolgen.
5.7 Zeitsynchronisation und Datennahme
Um koinzidente Ereignisse zwischen den Stationen beobachten zu konnen, mussen
die Zeitinformationen jedes Ereignisses synchronisiert werden. Neben dem Zeitstempel jedes stationseigenen FIC-Moduls gibt es zwei Zeitskalen. Die ,grobe' Zeitskala
liefert das BST-Signal (Beam Synchronous Timing). Die Lange dieses Signals entspricht mit circa 88; 9 s der Zeit, die ein Teilchen fur einen LEP-Umlauf benotigt.
Eine feinere Skalierung wird durch einen jeder Station eigenen 80-MHz-Oszillator
(Fast-Clock) geliefert, der eine Zeitauosung von 12; 5 ns ermoglicht. Die Synchronisation erfolgt zuerst stationsintern und dann global, was prinzipiell folgendermaen
funktioniert:
Die Zeitskalierung durch BST-Signal und Fast-Clock erfolgt in Zeitintervallen von
jeweils 2; 91 Sekunden. Dieses Intervall wird durch das sogenannte BSTR-Signal
(BST-Reset) vorgegeben. Bei der internen Synchronisation wird versucht, mit Hilfe
der FIC-Zeit das Ereignis einem BST-Reset-Intervall zuzuordnen. In der globalen
Synchronisation werden die Dierenzen der Reset-Zyklen zwischen den Stationen
berechnet und korrigiert. Dies ist notig, da das BST-Signal (und das BSTR-Signal)
67
unterschiedlich lange Wege zu den verschiedenen Stationen zurucklegen mu. Zudem sind auch Unterschiede der FIC-Zeiten, die zuvor intern auf die Zeit der AlphaWorkstation (CERN-Computer-Zeit) korrigiert worden sind, zu beachten, da mit
ihnen die interne Zuordnung zu Reset-Zyklen erfolgt.
Schlielich besteht eine Zeitinformation aus einem Resetzyklus, einer bestimmten
Zahl BST-Signale und einer Anzahl von Fast-Clock-Ticks.
Die Datennahme erfolgt uber das Programm MISTDAQ fur die Szintillatorstationen und PARASITE fur das HCAL. Der FIC einer jeden Station sendet Pakete von
jeweils funf Ereignissen zum ALEPH-Online-Cluster, auf dem eine bestimmte Summe von Ereignissen aller Stationen zu einem sogenannten Run zusammengefat und
in einer Datei abgespeichert werden. Details zur Datennahme und den beteiligten
Komponenten und Programmen ndet man zum Beispiel in [Sch99].
5.8 Datenanalyse
Zur Suche nach koinzidenten Myonen werden die Zeitdierenzen zwischen den Ereignissen betrachtet. Da die Myonen, die einem Schauer zugehorig sind, mit nicht
mehr als einigen Mikrosekunden Verzogerung auf die Stationen auftreen, wurde
fur koinzidente Ereignisse ein Zeitfenster von 2 s festgelegt. Abbildung 5.12 zeigt
die Anzahl der Koinzidenzen aufgetragen gegen die Zeitdierenz in Mikrosekunden
zwischen neun der funfzehn moglichen Stationspaaren. Die Daten wurden im Laufe
dieses Jahres in einer Oenzeit von ungefahr 151 Tagen (13022393 s) genommen.
Das Stationspaar TROLLEY-ALCOVE ist als Beispiel fur ein Koinzidenzsignal aufgefuhrt, da sich nicht vom Untergrund trennen lat. Der Untergrund der sogenannten t-Plots wird ublicherweise bestimmt, in dem uber die Zahl der Ereignisse in
der Region t = 10 s bis t = 80 s gemittelt wird. Der so ermittelte Untergrund
mu dann vom eigentlichen Signal (Ereignisse in der Region 2 s) abgezogen werden.
Die so gewonnenen Daten liefern die Zahl der Koinzidenzereignisse uber die diskreten
Entfernungen, die von den festen Abstanden der Stationen zueinander vorgegeben
sind (siehe Tabelle 5.1).
In Abbildung 5.13 sind die Koinzidenzen der Stationen uber den Entfernungen aufgetragen. Die Kurve ist ein vorlauger Monte-Carlo-Fit1 . Die Daten, die vom November 1995 bis April 1999 genommen wurden, sind korrigiert auf die Ezienzen
der beteiligten Stationen, die geometrischen Akzeptanzen (da die Stackanordnung
nur die Betrachtung eines gewissen Raumwinkels ermoglicht) und den jeweiligen
Myonu, da die Stationen unter verschieden dicken Felsschichten liegen.
Um eine Aussage treen zu konnen, ob die gemessenen Koinzidenzraten vertraglich
1
Monte-Carlo ist die allgemeine Bezeichnung fur ein Simulationsprogramm
68
400
4000
200
2000
0
500
−50
0
ByC − TRO
50
0
∆ t [µs]
−50
0
ByC − ByA
50
0
∆ t [µs]
−50
0
ByC − HCAL
∆ t [µs]
50
−50
0
TRO − ByA
∆ t [µs]
−50
0
TRO − ALC
∆ t [µs]
200
400
200
100
200
0
−50
0
ByA − HCAL
50
∆ t [µs]
40000
−50
0
50
HCAL − ByB ∆ t [µs]
0
50
50
50
−50
0
50
TRO − HCAL ∆ t [µs]
0
100
100
20000
0
0
−50
0
TRO − ByB
50
∆ t [µs]
0
50
Abbildung 5.12: Verteilungen fur Ankunftszeitdierenzen von Myonen fur einige Stationpaare (die Binbreite betragt 1 s)
sind mit den erwarteten Eigenschaften ausgedehnter Luftschauer, wurden die Daten
verglichen mit Simulationen von proton- und eiseninduzierten Luftschauern. Zu diesem Zweck wurde das SAM-Monte-Carlo2 entwickelt, das die von CORSIKA (COsmic Rar SImulations for KAscade) vorausgesagten Eigenschaften der Myonkomponente ausgedehnter Luftschauer fur CosmoALEPH parametrisiert. Das Ergebnis der
SAM-Simulationen fur proton- und eiseninduzierte Schauer ist in Abbildung 5.14 zu
sehen und als sehr vorlaug zu verstehen. Da die Koinzidenzrate in Abangigkeit
der Entfernung gleichbedeutend ist mit der Rate bestimmter Schauerbreiten, lat
sich Aufschlu gewinnen uber die chemische Komposition der Primarstrahlung. CosmoALEPH weist SAM-Simulationen zufolge um den Knie-Bereich ( 5 1015 eV )
2
Simulation of Atmospheric Muons, von A.-S. Muller und M. Schmelling
69
coinc./m /day
4
CosmoALEPH
10
Preliminary
1
10
10
10
-1
combined limits
SAM
Data 1998/1999
Data 1997/1998
Data 1995
-2
-3
0
200
400
600
800
1000
1200
distance / m
CosmoALEPH
4
coinc./m /day
Abbildung 5.13: Normierte Koinzidenzraten zwischen normierten eektiven Flachen
in Abhangigkeit der Entfernung [Cos00]
10
Preliminary
1
10
10
10
-1
-2
-3
0
SAM - total
SAM - Fe
SAM - p
Data
100
200
300
400
500
distance / m
Abbildung 5.14: Vergleich gemessener Koinzidenzraten mit vorlaugen SAMBerechnungen fur proton- und eiseninduzierte Schauer [Cos00]
70
des Primarenergiespektrums die hochsten Konzidenzraten nach. Durch einen Fit an
die Daten lat sich eine vorlauge Aussage treen uber den Protonanteil an der
Primarstrahlung in diesem Energiebereich: (68+18
,26 )% [Cos00].
5.9 Zusammenfassung
Einige kleinere Messungen, beispielsweise der Abhangigkeit der Ezienz von der
mittleren Myonrate und von den Signalbreiten, die an den NIM-Modulen gewahlt
wurden, sind mangels signikanter Resultate nicht in diese Arbeit aufgenommen
worden. Da die Ezienz der Szintillatoren eines Stacks und seine geometrische Akzeptanz auch durch Triggerbedingungen bei der Messung nur schwer voneinander
zu trennen sind, gibt es zur Zeit U berlegungen, durch den Vergleich der mittleren
gemessenen Myonraten der Stationen eine relative Ezienz der Stationen zu bestimmen. Die ergibt dann, normiert auf die bekannte Myonrate einer Station, eine
Ezienz, die die Szintillatorezienzen, die geometrischen Akzeptanzen und den jeweiligen Energie-Cuto durch den daruberliegenden Fels beinhaltet.
Da auch protoninduzierte Schauer Koinzidenzen uber 500 m horizontaler Entfernung
verursachen, ware es wunschenswert, die Stationskombinationen, die den ALCOVE
beinhalten, miteinzubeziehen, da hier Distanzen bis zu 1180 m betrachtet werden
konnen. Problematisch ist jedoch die niedrige Rate ausgedehnter Schauer, die genau
die Detektoranordnung treen.
Vielversprechend ist die Zusammenarbeit mit L3C, die es ermoglichen sollte, uber eine Distanz von 8 km unabhangige Luftschauer zu untersuchen. Eine Sychronisation
der Ereignisse sollte hierbei uber die GPS-Zeit erfolgen.
71
Kapitel 6
Schlubemerkung
Die vorliegende Arbeit kann kein vollstandiges Bild der Teilchenphysik und der Physik der kosmischen Strahlung vermitteln, sondern soll einen U berblick uber diese
Bereiche verschaen und Moglichkeiten aufzeigen, die Teilchenphysik in der Schule
plastisch darzustellen. Vor diesem Hintergrund wurden auch die behandelten Themen ausgewahlt.
Die Einfuhrung in die historischen Grundlagen beinhaltet die Entdeckungen, die fur
die Entwicklung des Standardmodells und die Beschreibung der kosmischen Strahlung im Folgenden notwendig sind. Die physikalischen Grundlagen, die sich nicht nur
auf das gleichnamige Kapitel beschranken, entsprechen grotenteils dem, was laut
Lehrplan zu dieser Materie in der Schule vermittelt werden soll. Die Behandlung
der kosmischen Strahlung umfat nur die Phanomene und Eekte, die eine luckenlose Beschreibung der Entstehung und Ausbreitung kosmischer Strahlung ermoglichen. So wurde beispielsweise auf eine Erwahnung des gegenwartig diskutierten sogenannten Top-Down-Modells verzichtet, das als Quelle hochstenergetischer kosmischer Teilchen den Zerfall von "superschweren" bislang unbekannten Teilchen annimmt. Dafur habe ich mich an einigen Stellen fur eine ausfuhrlichere Betrachtung
entschieden, da sich dort Verknupfungen zu anderen Themen anbieten. Beispiele
hierfur sind der Exkurs uber Sternentwicklung, der die Moglichkeit einer Behandlung des Themenblocks Astrophysik mit Aspekten der Chemie zeigen soll, oder der
Greisen-Z.-K.-Cuto, dessen Verstandnis mit astronomischen und kosmologischen
U berlegungen verbunden ist.
Generell bieten sich hochenergetische und damit relativistische Teilchen dafur an,
die relativistische Mechanik einzufuhren und dem Schuler eine Vorstellung zu verschaen, in welchen Fallen die klassische Mechanik eine sehr gute Naherung liefert
und wo relativistische Betrachtungen notwendig sind.
Das CosmoALEPH-Experiment, das fur mich den Ausgangspunkt fur U berlegungen
lieferte, warum und wie kosmische Strahlung in der Schule behandelt werden soll72
te, kann sicher nicht in allen seinen Details Gegenstand des Unterrichts sein. Eine
Darstellung des Prinzips der Untersuchung kosmischer Strahlung konnte sich jedoch
als sehr hilfreich fur das Verstandnis der Herangehensweise und der Problematiken
moderner Wissenschaft erweisen.
Abschlieend sei noch einmal erwahnt, da die kosmische Strahlung auch Brucken
schlagt zu Gebieten, die auerhalb der klassischen Physik liegen. Das Thema Strahlenbelastung erfordert gewi auch die Erwahnung einer naturlichen Radioaktivitat,
der wir in Form der kosmischen Strahlung permanent ausgesetzt sind. Erwogen werden konnte auch die Moglichkeit, da ein kontinuierlicher Beschu mit geladenen
Teilchen eventuell das Erbmaterial verandern und somit auch einen Beitrag zur
Evolution liefern konnte. Die Untersuchung der Myonkomponente zeigt Abhangigkeiten von atmospharischen Bedingungen, da in Regionen hohen atmospharischen
Drucks auch eine hohere Teilchendichte vorliegt. Da Myonen durch Wechselwirkung
in solchen Regionen einen im Mittel hoheren Energieverlust erfahren, zeigt sich in
einem verminderten Flu an der Erdoberache.
Auch in anderen Wissenschaftsdiziplinen kann man sich diese "naturliche" Teilchenquelle zunutze machen. Ein schones Beispiel sind Untersuchungen, die Ende der 60er
Jahre in der Chephren-Pyramide in A gypten vorgenommen wurden. Man vermutete neben der Belzoni-Kammer, die in der Mitte der Pyramidengrundache liegt,
noch weitere Kammern im Pyramidenvolumen (wie bei der benachbarten Cheopspyramide). Myonen sind in der Lage, das Pyramidenmaterial zu durchdringen, und
die Schwachung der Intensitat des Myonusses hangt direkt ab von der Dicke des
Materials, da die Myonen durchqueren. Man plazierte in der zentralen Kammer
einen Myondetektor und suchte nun nach hoheren Intensitaten bei gleichen Zenitund verschiedenen Azimutwinkeln. Die hohere Intensitat ware ein Hinweis auf einen
Hohlraum und damit auf eine weitere Kammer gewesen. Man stellte jedoch keine
signikanten Intensitatsdierenzen fest und schlo daraus, da keine weiteren Kammern in der Pyramide existieren [Alv70].
Diese Handreichung ist letztendlich gedacht als theoretischer Hintergrund und Ideenvorlage fur eine Unterrichtsreihe zum Thema kosmischer Strahlung. Das heit, eine Erganzung durch Medien verschiedener Art, Exkursionen zu Experimenten oder
Sternwarten und Versuche fur den Unterricht (wie der in der Einleitung erwahnte)
sind fur eine schulergerechte Aufarbeitung erforderlich.
73
Literaturverzeichnis
[Aha96]
F. Aharonian, H.J. Volk, Workshop on TeV Gamma-ray Astrophysics,
Heidelberg (1994), Proceedings, Kluwer, 1996
[All84]
O.C. Allkofer, P.K.F. Grieder, Cosmic Rays on Earth, Physik-Daten 251, FIZ Karlsruhe, 1984
[Alv70]
L. Alvarez et al., Science 167 (1970) 832
[And33]
C.D. Anderson, The positive electron, Phys. Rev. 43 (1933) 491
[Ber00]
X. Bertou et al., Physics of extremely high energy cosmic rays, in: International Journal of Modern Physics A15 (2000) 2181
[Bha98]
P. Bhattacharjee, G. Sigl, Origin and Propagation of Extremely High
Energy Cosmic Rays, in: Phys. Rep. 327 (2000) 109
[Blu00]
H. Blumer, K.-H. Kampert, Die Suche nach den Quellen der kosmischen
Strahlung, in: Phys. Bl. 56/3 (2000) 40
[Cas00]
R. Caspar, personliche Mitteilung (2000)
[Clo89]
F. Close, M. Marten, L. Sutton, Spurensuche im Teilchenzoo, Spektrum
d. Wissenschaft, 1989
[Cos00]
CosmoALEPH-Collaboration, Cosmic Ray Physics with the ALEPH Detector, CERN, 2000
[Epj98]
The European Physical Journal C, Particles and Fields, Vol. 3, Nr. 1-4
(1998)
[Fer49]
E. Fermi, On the Origin of the Cosmic Radiation, in: Phys. Rev. 75
(1949) 1169
[Gai90]
T.K. Gaisser, Cosmic Rays and Particle Physics, Cambridge University
Press, 1990
74
[Gre66]
K. Greisen, End to the cosmic ray spectrum?, in: Phys. Rev. Lett. 16
(1966) 748
[Gru85]
C. Grupen, Kosmische Strahlung, in: Physik in unserer Zeit 16/3 (1985)
69
[Hec00]
D. Heck, personliche Mitteilung (2000)
[Her86]
W. Herbst, G.E. Assousa, Supernovae und Sternentstehung, in: Die Entstehung der Sterne, Spektrum d. Wissenschaft, 1986
[Hil84]
A.M. Hillas, The Origin of Ultra-High-Energy Cosmic Rays, in: Annual
Review of Astron. and Astrophys. 22 (1984) 425
[Kla97]
H.V. Klapdor-Kleingrothaus, K. Zuber, Teilchenastrophysik, Teubner,
1997
[Kle00]
M. Klein, Kosmische Myonen: Schulversuche zur Hohenstrahlung, Examensarbeit in Vorbereitung, Uni-Mainz, 2000
[Lon92]
M.S. Longair, High energy astrophysics, Vol. 1, Cambridge University
Press, 1992
[Luh99]
O.v.d. Luhe, Vorlesungsskript Uni Freiburg, Einfuhrung in die Astronomie und Astrophysik, 1999
[Mai96]
D. Maier, Zeitkorrelationen im erweiterten ALEPH-Experiment,
Diplom-Arbeit, Uni-Siegen, 1996
[Mul96]
A.-S. Muller, Erste Untersuchungen ausgedehnter Luftschauer im LEPTunnel, Diplom-Arbeit, Uni-Mainz, 1996
[Phi94]
A.C. Phillips, The Physics of Stars, Wiley, 1994
[Rol88]
C.E. Rolfs, W.S. Rodney, Cauldrons in the Cosmos, University of Chicago Press, 1988
[Sch99]
S. Schmeling, CosmoALEPH Handbook, CERN, 1999
[Sch96]
M. Schmelling, Blockkurs Uni Dortmund: Physik kosmischer Strahlung,
1996
[Scr96]
V. Schreiber, Myonmultiplizitaten im erweiterten ALEPH-Experiment,
Diplom-Arbeit, Uni-Siegen, 1996
75
[Sok88]
P. Sokolsky, Introduction to Ultrahigh Energy Cosmic Ray Physics,
Addison-Wesley, 1988
[Tuk97]
B. Povh et al., Teilchen und Kerne, Springer, 1997
[Wac99]
H. Wachsmuth, Summer Student Lecture Notes: Cosmic Rays and CosmoLEP, CERN, 1999
[Wal91]
P. Waloschek, Neuere Teilchenphysik, Aulis, 1991
[Wei84]
S. Weinberg, Teile des Unteilbaren, Spektrum d. Wissenschaft, 1984
[Wet96]
Y. Wetzel, Messung und Rekonstruktion der elektromagnetischen Komponente ausgedehnter Luftschauer, Doktorarbeit bei KASKADE, Karlsruhe, 1996
[Zat66]
G.T. Zatsepin, V.A. Kuzmin, Upper Limit of the spectrum of cosmic
rays, in: Soviet Physics JETP Lett. 4 (1966) 78
76
Danksagung
Danken mochte ich Herrn Prof. Dr. H.-G. Sander fur die Betreuung meiner Arbeit,
die vielen Denkanstoe und Vorschlage, sowie seine Bereitschaft, sich alle Fragen
anzuhoren und zu beantworten.
Herrn Dr. Gunter Quast danke ich fur die Idee, eine Staatsexamensarbeit bei CosmoALEPH zu schreiben, und seinen oftmals erschlagenden Ideenreichtum.
All den Mitgliedern der ETAP-Gruppe sei gedankt, die immer bereit waren, zu helfen
und dabei einiges an Geduld bewiesen. Insbesondere bedanken mochte ich mich bei
den folgenden Mitgliedern von (Cosmo-)ALEPH:
Tom war unverzichtbar bei allen moglichen Fragen und Problemen, die Physik und
Computer so aufzubieten haben. Vor allem gab es aber eine Menge zu reden und zu
lachen (o.k., manchmal hysterisch, aber immer notig) - Viel Spa in Australien!
Sascha war bei meinen CERN-Aufenthalten eine groe Stutze und Hilfe bei allen
Problemen, die meine eher rudimentaren Software- und Franzosischkenntnisse mit
sich bringen.
Bei Anke mochte ich mich fur die Einfuhrung in CosmoALEPH bedanken und ihre
stete Bereitschaft auch auf nicht immer geistreiche Fragen einzugehen.
Michael sei gedankt fur zahlreiche Tips, interessante physikalische Ausuge und eine
lustige Atmosphare im Zimmer.
Horst Wachsmuth verdient ebenfalls Dank fur einige wertvolle Hinweise.
Die inoziellen CosmoALEPH-Flying-Circus-Meetings mit Roland und Martin haben so manchen Tag vor dem Rechner ertraglich gemacht und fast alle Fragen, die
das Universum und Kaeemaschinen stellen konnen, beantwortet.
Ohne die Korrekturen und Ideen von folgenden Leuten ware diese Arbeit ziemlich
peinlich ausgefallen: Tom, Sascha, Herr Sander, Gunter, Schwesterherz und Schwager
(Danke fur alles mogliche!), Rudi (& Nina) und Heike*.
Die freitaglichen Proben mit FUMP haben mich davor bewahrt, (ernsthafte) bleibende Schaden an der geistigen Gesundheit zu nehmen - eines Tages wird man
erkennen, da es doch Musik ist.
Meinen Eltern will ich dafur danken, da sie mir dieses Studium ermoglicht und
alles mogliche ertragen haben.
Da ich sowieso nicht alles auisten kann, will ich mich pauschal bei allen bedanken,
die auch dann, wenn ich nur wirres Zeug von mir geben konnte, zu mir gehalten und
interessiert genickt haben.
Erklarung
Hiermit versichere ich, die vorliegende Arbeit selbstandig verfat und keine anderen
als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt zu haben.
Mainz, Oktober 2000
(Heiko Besier)
Herunterladen