Was erhält Menschen gesund? Ressourcen der Gesundheit Bei der Klärung der Frage, was Menschen eigentlich gesund erhält, hat vor allem der israelische Soziologe Aaron Antonovsky grundlegende Erkenntnisse erforscht. Dieser fokussierte eine Betrachtung der vorhandenen menschlichen Potentiale, die der Gesundheit förderlich sind und nennt Gesundheit als Voraussetzung, um sich u.a. in bestehenden ‚betrieblichen‘ Systemen bewähren zu können. Es geht längst nicht mehr nur um die Analyse pathogener (krankmachender), sondern zunehmend auch um die Analyse salutogener (gesunderhaltender) Einflüsse geht. Im Mittelpunkt steht die Frage, warum bestimmte Menschen trotz hoher Belastungen in der Arbeit gesund bleiben, während andere Menschen bei gleichen Belastungen erkranken. Für Gesundheit im ganzheitlichen Verständnis gibt es viele Ursachen und Bedingungen. Psychische Belastungen und Beanspruchungen werden in der Arbeitstätigkeit stets vorhanden sein, können niemals vollständig verhindert werden und werden in bestimmten Bereichen sogar weiter zunehmen. Wissenschaftlich nachgewiesen ist jedoch, dass es Möglichkeiten gibt, das Risiko einer Krankheitsentstehung zu minimieren oder die Belastungen und Beanspruchungen sogar als Beitrag zur Gesundheits‐, Persönlichkeits‐ und vor allem Leistungsentwicklung zu nutzen. In diesem Zusammenhang wird in der Fachsprache von Ressourcenmanagement gesprochen. Ressourcen zu kennen, stellt eine wesentliche Voraussetzung dar, um auf Belastung und Gesundheit Einfluss nehmen zu können. Ressourcen sind solche Faktoren, die geeignet sind, die physische, psychische und soziale Gesundheit eines Menschen zu fördern, vor allem bei einer Gefährdung der Gesundheit durch Belastungen. (Gesundheits‐) Ressourcen sind die insgesamt einer Person zur Verfügung stehenden, von ihr genutzten oder beeinflussten, gesundheitsschützenden und gesundheitsfördernden Kompetenzen sowie die äußeren Handlungsmöglichkeiten. Es werden zwei Kategorien von Ressourcen genannt, die Personen zur Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit zur Verfügung stehen: 1. interne bzw. personale (innere, individuelle, subjektive) physische und psychische Ressourcen 2. externe bzw. situative (äußere, objektive) physikalische, materielle, biologische, ökologische, soziale, institutionelle, kulturelle, organisationale Ressourcen In unterschiedlichen theoretischen Modellen und empirischen Untersuchungen wird dargelegt, dass die gesundheitsbeeinträchtigenden Wirkungen von Belastungen und Stressoren in erster Linie durch das Vorhandensein bzw. die Verfügbarkeit und die Inanspruchnahme von Ressourcen reduziert werden können. Dies impliziert jedoch auch, dass im Falle des Nicht‐Vorhandenseins von Ressourcen zur Vermeidung oder Veränderung von unangenehmen Situationen (Belastungen), Stress und negative Folgen für die Gesundheit entstehen können. In Tabelle 1 sind die wichtigsten gesundheitsförderlichen externen und internen Ressourcen am Arbeitsplatz aufgelistet. Tabelle 1: Beispiele für gesundheitsförderliche Faktoren unter der Ressourcenperspektive Externe Ressourcen Arbeitsbedingungsbezogene Ressourcen - Handlungs‐ und Entscheidungsspielraum - Aufgabenvielfalt - Partizipationsmöglichkeiten - Spielraum für private Dinge Soziale Ressourcen - Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte - Soziale Unterstützung durch Kollegen - Sozialklima Führungsbezogene Ressourcen - Faires Führungsverhalten - Mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten Unternehmenskulturelle Ressourcen - Gelebte Werte und Regeln durch Kollegen und Vorgesetzte Ressourcen Interne Personale Ressourcen - Kohärenzerleben - Selbstwirksamkeit - Handlungskompetenz - Wissen - Gesundheitsverhalten - Biographische Merkmale (Ausbildung, Alter etc.) Arbeitsbedingungen und Gesundheit Die Arbeit wird heutzutage nicht mehr ausschließlich als Mittel zur Existenzsicherung gesehen, sondern sie stellt einen zentralen Bestandteil der Lebenswelt dar. Den spezifischen Arbeitsbedingungen wird dabei ein entscheidender Einfluss auf die Gesundheit zugeschrieben. Sie können sowohl als psychisch oder physisch belastend empfunden werden (Stress, Schadstoffe, Lärm oder Ergonomie), aber auch positive Wirkungen haben und somit der Gesundheit förderlich sein (z.B. durch Anerkennung für gute Leistung, Sozialisation). In den letzten Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen verändert. So haben u.a. die Maßnahmen im Arbeitsschutz zur Reduzierung von Gefährdungen am Arbeitsplatz dazu geführt, dass Unfälle im Arbeitsverlauf abnehmen, Arbeitsbedingungen somit tendenziell sicherer sind. Das International Labour Office (Ilo) beschreibt diese Entwicklung im Bereich der Arbeit und Gesundheit mit den Worten: „In den industrialisierten Wirtschaften wandelt sich das Panorama arbeitsbedingter Erkrankungen. Es treten weniger Unfälle auf. Dafür nehmen Beschwerden zu, die auf Stress und Überarbeitung zurückzuführen sind und dieser Trend wird sich weiter fortsetzen“. Es werden somit Veränderungen des Belastungsprofils deutlich, die zu anderen Beschwerden führen. Dennoch bergen die veränderten Arbeitsbedingungen auch großes Potential zur Gesunderhaltung der Beschäftigten. Denn die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit, die Arbeitsbedingungen und die Freizeit organisiert, stellt eine wesentliche Quelle der Gesundheit dar und sollte nicht Auslöser von Krankheit sein. Als ein positiver Einflussfaktor und somit eine entscheidende Ressource für Gesundheit wird die Arbeitstätigkeit als solche genannt. Sie ist mit dafür verantwortlich, wie gesund eine Person ist, ob diese ihre Fähigkeiten und ihre Fertigkeiten entfalten sowie ihre Handlungskompetenz entwickeln kann. Zwei wesentliche Tätigkeitsmerkmale, die die Arbeit als Quelle der Gesundheit ausmachen, sind vor allem (1) der Tätigkeitssinn und (2) der Tätigkeitsspielraum (). Tätigkeitssinn Der Mensch lebt von der Sinnhaftigkeit seiner Arbeitstätigkeit. Von Sinnhaftigkeit ist die Rede, wenn der arbeitende Mensch das eigene Tun in einen Sinnzusammenhang mit übergeordneten kollektiven Tätigkeitsvollzügen bringen kann, wenn die gesellschaftliche Nützlichkeit der eigenen Aufgabe und des Arbeitsproduktes erkennbar, nachvollziehbar und akzeptierbar ist. Somit wird dem individuellen, kollektiven und gesellschaftlichen Sinn von Arbeitsaufgaben besondere Aufmerksamkeit beigemessen. Die nach seinem Verständnis als sinnvoll erlebten Arbeitsaufgaben führen zu Arbeitszufriedenheit, zu Arbeitsmotivation, zum Stolz auf das Geleistete und stellen folglich eine gesunderhaltende Ressource für den Menschen dar. Tätigkeitspielraum Für die langfristige Gesunderhaltung wird auch der Tätigkeitsspielraum als einflussnehmender Faktor genannt. Dieser zeichnet sich durch drei untergeordnete Komponenten aus. (1) Der ‚Handlungsspielraum‘ bezeichnet die Möglichkeit zum unterschiedlichen aufgabenbezogenen Handeln in Bezug auf die Verfahrenswahl, den Mitteleinsatz und die zeitliche Organisation. (2) Der ‚Gestaltungsspielraum‘ stellt die Möglichkeit zur selbstständigen Gestaltung von Vorgehensweisen nach eigenen Zielsetzungen dar, und (3) der ‚Entscheidungsspielraum‘ beinhaltet das Ausmaß der Entscheidungskompetenz einer Person zur Festlegung von Arbeitsaufgaben. Soziale Beziehungen und Gesundheit In Anlehnung an Rudow nehmen die sozialen Beziehungen eine besondere Bedeutung für den Erhalt der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit ein. In der Arbeitswelt stellen soziale Beziehungen ein Unterstützungssystem dar, auf das während der Arbeitsbewältigung zurückgegriffen werden kann. Dabei spielt sowohl die Unterstützung durch Vorgesetzte (organisationale Unterstützung) als auch die Unterstützung durch Kollegen (peer support) eine bedeutsame Rolle. Es werden sechs Funktionen benannt, die soziale Beziehungen zur gesunderhaltenden Ressource werden lassen. Hierzu gehören (1) „das Zuhören“, (2) „die instrumentelle Unterstützung als Experte“, (3) „die instrumentelle Herausforderung durch Kritik des Experten“, (4) „die emotionale Unterstützung“, (5) „die emotionale Herausforderung“ (hierunter fällt zum Beispiel das Infrage stellen von Ausreden oder die gemeinsame Reflexion von Gefühlen) und (6) „das Teilen der sozialen Realität“. Neben der privaten Unterstützung (z.B. durch die Familie und Freunde) dienen diese Formen als „Puffer“, wenn es zu bestimmten Belastungs‐ und Beanspruchungsmomenten innerhalb der Arbeit kommt. Führung und Gesundheit Die Qualität der Führung ist für den langfristigen Erhalt von Gesundheit der Beschäftigten die wahrscheinlich einflussreichste Größe. Wenn auf die Gesundheitsförderung bzw. die Gesunderhaltung der Mitarbeiter Wert gelegt wird, dann spielt die Unterstützung seitens der Führungskräfte eine wichtige Rolle. Führungskräfte können durch Transparenz des Entscheidungsverhaltens und Prinzipientreue einen positiven Beitrag für das innerbetriebliche Sozialverhalten leisten. Dazu zählen auch das Kommunikationsverhalten und die Bereitschaft, Interessen, Belange und Vorschläge der Mitarbeiter ernst zu nehmen. Demnach beinhaltet Führung nicht nur, strategische Vorgaben aufzustellen, Ziele zu setzen und Investitionsentscheidungen zu fällen. Führung heißt auch, die Mitarbeiter dabei zu unterstützen, dass sie ihre Arbeit als sinnhaft und das Organisationsverhalten als verständlich und beeinflussbar erleben. Wissenschaftler verweisen darauf, dass auf Grund des engen Zusammenhangs zwischen den Führungskompetenzen und dem Gesundheitszustand der Beschäftigten, der Wert des Humankapitals und die Möglichkeit seiner Förderung zunehmend auch in die ‚Denke‘ profitorientierter Wirtschaftler rückt. Wenn gesunde Mitarbeiter einen enormen Wirtschaftsfaktor bzw. kranke Mitarbeiter ein Produktivitätshemmnis darstellen und die Gesundheit stark von der Führungsfähigkeit beeinflusst wird, sind Rückschlüsse auf das Potential des Führungsverhaltens in Bezug auf den Erfolg eines Unternehmens möglich. Zahlreiche Studien bestätigen z.B. den Zusammenhang zwischen dem Krankenstand und dem Führungsverhalten. Als eine der bekanntesten und ausführlichsten Studien gilt die im VW‐Konzern durchgeführte Untersuchung aus dem Jahr 2000, die u.a. belegt, dass eine Führungskraft ihren Krankenstand ’mitnimmt’. So dauert es nicht lange, bis, im Falle eines Wechsels der Führungskraft von einer Abteilung mit erhöhter Fehlzeitenquote in eine Abteilung mit einem bis zu dem Zeitpunkt niedrigen Krankenstand, die Abwesenheitsquote die gleichen Ausmaße annimmt wie in der vorherigen Abteilung. Welche Kriterien wiederum einem gesundheitsgerechten Führungsverhalten aus Sicht der Mitarbeiter entsprechen, wurde auf Basis einer Befragung von 1000 Beschäftigten der Hoechst AG ermittelt. Es zeigte sich ein typisches Meinungsbild über die Wünsche an die Vorgesetzten, das Anerkennung der Leistungen, Gleichbehandlung, Verantwortungs‐delegation und einen guten Umgangston beinhaltete. Unternehmenskultur und Gesundheit Die Kultur eines Unternehmens ist ein Phänomen mit hochkomplexer Merkmalsstruktur, das aus beobachtbaren Gegebenheiten im Unternehmen abgeleitet werden kann (). Der Unternehmenskultur werden wesentliche Auswirkungen auf Wohlbefinden, Gesundheit, Arbeitsmotivation und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zugeschrieben. Sie bezieht sich nicht nur auf zwischenmenschliche Beziehungen in einem Unternehmen, sondern auch auf gelebte Regeln, Werte und Normen. Merkmale und gleichzeitig Ressourcen einer Unternehmenskultur können (1) „die Art und Weise der formellen und informellen Kommunikation“, (2) „die Art und Weise der Zusammenarbeit bzw. der Gruppenarbeit“, (3) „der Umfang von Informationen“, (4) „die erlebte Sicherheit des Arbeitsplatzes“, (5) „die Zuversicht in die Zukunft des Unternehmens, (6) „das Verhältnis von Vorgesetzten zu Mitarbeitern“, (7) „das Vertrauen zum Management und zu Kollegen“, (8) „die Art und Weise des Umgangs mit Konflikten“, (9) „die faire und gerechte Behandlung von Mitarbeitern“, (10) „die persönliche Identifikation mit dem Unternehmen“, (11) „die soziale Unterstützung bei persönlichen Problemen“ und eine (12) „transparente und eindeutige Rollenstruktur“ sein. Die Bedeutung der gesundheitsgerechten Unternehmenskultur für den Erfolg von Organisationen rückt heute mehr und mehr ins Bewusstsein von Führungskräften sowie Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen und ist Gegenstand aktueller Untersuchungen. Auch die Gesundheitswissenschaft greift die Unternehmenskulturdiskussionen auf. Sie beschäftigt sich u.a. mit der Frage, welche Unternehmenskulturfaktoren die Durchführung von gesundheitsförderlichen Interventionen hemmen bzw. fördern. Als wesentliche Voraussetzung wird die Einbeziehung des Themas ‚Gesundheit‘ in die Managementstrategien eines Unternehmens angesehen. So entspräche die Integration der ‚Gesunderhaltung‘ als Bestandteil der Unternehmensziele einer gesundheitsgerechten Unternehmenskultur. Diese wiederum stellt in ihrem Dasein eine Ressource für die Gesundheit der Beschäftigten dar. Zu den positiven Wirkungen von gesundheitsgerechten Unternehmenskulturen können zählen, (1) dass die Unternehmenskultur dem einzelnen Organisationsmitglied eine klare, verständliche Basis für das tägliche Handeln vermittelt (‚Handlungsorientierung‘), (2) dass sich durch die in der Kultur vorliegenden einheitlichen Orientierungsmuster Abstimmungsprozesse stressfreier gestalten lassen (‚effiziente Kommunikation‘), (3) dass sich durch die Akzeptanz der zentralen Werte der Organisation relativ einfach tragfähige Kompromisse in Entscheidungs‐ und Problemlösungsprozessen finden lassen (‚rasche Entscheidungsfindung‘), (4) dass Organisationsmitglieder aufgrund der gemeinsamen Verpflichtung der Vision des Unternehmens zumeist intrinsisch motiviert sind (‚Motivation und Teamgeist‘). Aufgrund der beschriebenen Einflussfaktoren auf die Gesundheit von Beschäftigten kristallisiert sich die notwendige Zielsetzung gesundheitsförderlicher und leistungserhaltender Interventionsvorhaben in Unternehmen heraus. Im ganzheitlichen Ansatz sind nicht nur gefährdende Belastungen abzubauen (wie es schwerpunktmäßig bei Aktivitäten des Arbeitsschutzes der Fall ist), sondern ebenfalls Ressourcen zur Gesunderhaltung sowohl innerhalb der Person als auch in den betrieblichen, organisationalen Arbeitsbedingungen Gesundheitsmanagements realisiert wird) zu entwickeln. (wie es im Konzept eines betrieblichen