Der Augsburger Religionsfriede als deutsches und europäisches Ereignis Festvortrag 25. 9. 2005, Augsburg, Rathaus, Goldener Saal Prof. Dr. Heinz Schilling, Humboldt Universität Berlin / Historisches Kolleg München Europageschichtlich betrachtet, ist der Augsburger Religionsfrieden die auf den deutschen Teil des Reiches bezogene Lösung jenes mit der Reformation aufgebrochenen universellen Problems, das die christianitas einer kaum je zuvor oder danach zu beobachtenden Wandlungsdynamik unterworfen hatte. Die Zeitgenossen sprachen von der „spaltigen Religion“, und auch heute ist der Begriff „Glaubensspaltung“ weit verbreitet. Der Historiker indes, dem es nicht primär um konfessionelle oder auch ökumenische Identitätsgeschichte geht, wird eine andere, deskriptive Terminologie wählen – etwa Begriffe wie Differenzierung, Diversifizierung, Wandel oder Dynamisierung. Zudem wird er die Veränderungen in Religion und Kirche in Beziehung zu parallel verlaufenden Veränderungen in den anderen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens setzen. Dabei ist allerdings zu beachten, daß in Alteuropa anders als in der pluralistischen Moderne seit der Aufklärung Kirche und Religion nicht Teilbereiche unter vielen gleichberechtigten waren, sondern tragende Zentralachsen von Gesellschaft, Politik und Kultur – gemäß der damals dominanten Maxime der Politiktheorie: „religio vinculum societatis“ („eine einheitliche Religion ist das unverzichtbare Band jeder Gesellschaft“). Wie stellte sich das so begründete Syndrom von religiösen und gesellschaftlichen, von kirchlichen und politischen, von säkularen und sakralen Wandlungsimpulsen im Reich und speziell im Umkreis des Augsburger Gesetzeswerkes dar? 2 I. Bedenkt man die erbittert grausamen Glaubens- und Bürgerkriege, die Frankreich, die Niederlande und England noch bis ins 17. Jahrhundert erschütterten, so wurde in Deutschland das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens unter dem Dach einer gemeinsamen politischen Ordnung bemerkenswert früh geregelt – wobei diese politische Ordnung allerdings nicht – wie in den Nachbarländern - den frühmodernen Staat, sondern das zur Staatsbildung ungeeignete Heilige Römische Reich Deutscher Nation meinte. Die vergleichsweise frühe Einhegung der Glaubensgegensätze hing mit zwei Besonderheiten der deutschen Geschichte zusammen - erstens mit der bereits im Mittelalter einsetzenden Multiterritorialität, die nicht nur die Reichsstände an der Regierung beteiligte, sondern ihnen darüber hinaus eine semisouveräne Herrschaft in ihren Ländern eröffnete; - und kontrapunktisch dazu zweitens mit der aus der Trägerschaft des Römischen Kaisertums resultierenden Universalität, die die deutschen Dinge strukturell aufs engste mit der christianitas oder in heutiger Terminologie - Europa verzahnte, 1555 aktuell mit dem universellen Kaiserkonzept und den Europa und den Atlantik überspannenden Machtambitionen des Habsburgerkaisers Karl V. - In dieser Konstellation hatte das Augsburger Gesetzeswerk über die Regelung der Glaubens- und Kirchenfragen hinaus Konsequenzen auch für die politische und gesellschaftliche Ordnung des Reiches und Europas insgesamt. Ereignisgeschichtlich war der Augsburger Reichstag von 1555 einer Pattsituation geschuldet: Nachdem der erwähnte universelle Handlungsrahmen Karl V. immer wieder von einer durchgreifenden Regelung der mit dem 3 Auftreten Luthers in Deutschland entstandenen Probleme abgehalten hatte, war es ihm Ende der 1540er Jahre aufgrund einer günstigen Wende im europäischen Mächteringen – Friede mit Frankreich und den Türken – zwar gelungen, die protestantische Fürstenopposition im Schmalkaldischen Krieg militärisch niederzuwerfen. - Zu einem dauerhaften politischen Sieg hatte sich das aber nicht ummünzen lassen – weil Karl selbst die Interessen seines Hauses vor diejenigen des Reiches stellte und weil die Reichsfürsten unter Führung des sächsischen Kurfürsten Moritz und in Allianz mit König Heinrich II. von Frankreich rasch wieder erstarkten. In diese Konstellation traten erneut die inneren und äußeren Gefahren schroff zutage, die hinter dem ungelösten Religionsproblem lauerten. Und da unter den deutschen Politikern und Kirchenführern die Einsicht herangewachsen war, eine dauerhafte Lösung sei nicht militärisch, sondern nur auf dem Verhandlungsweg zu finden, hatte die Stunde der Pragmatiker geschlagen – konkret des Deutschen Königs Ferdinand I., der im Unterschied zu seinem Bruder Karl nicht auf die Idee eines katholischuniversalen Kirchen- und Kaisertums festgelegt war, und einer Gruppe unter den Reichsfürsten, die seit längerem den Weg zwischen den Extremen gesucht hatten. so namentlich der bereits erwähnte sächsische Kurfürst Moritz auf protestantischer oder die Kurfürsten von Brandenburg und der Pfalz und der Herzog von Jülich-Cleve auf katholischer Seite. Die politische Bedeutung der religiösen Friedensfrage war in Deutschland besonders ausgeprägt - wegen der heilsgeschichtlichen Qualität des Römischen Reiches und der universellen Pflichten seines kaiserlichen Oberthauptes, aber auch wegen der in Europa einzigartigen verfassungsrechtlichen Position der Reichskirche, die zugleich weltliche Herrschaft ausübte - mit den drei Geistlichen Kurfürsten von Köln, Mainz und Trier sogar an der Spitze des Reiches. Den Religionsfrieden handelten daher nicht Theologen aus, deren 4 Religionsgespräche ohne Ergebnisse geblieben waren, sondern entsprechend der politischen Kultur des Reiches die Reichsstände und das Reichsoberhaupt, und zwar auf einem Reichstag, der sich in der Reformationsepoche zum wichtigsten Steuerungsinstrument der Reichspolitik entwickelt hatte, vor allem wenn es um die Schlichtung von Interessensgegensätzen ging. Auch gesetzestechnisch konnte man 1555 einen bewährten Weg gehen, indem man nämlich im Reichstagsabschied vom 25. September den erstmals 1495 in Worms geschlossenen Reichslandfrieden erneuerte und um den Religionsfrieden zwischen Lutheranern und Katholiken erweiterte. Damit war die faktisch bereits eine Generation lang bestehende Bikonfessionalität reichsrechtlich verankert. Gleichzeitig und in enger Verzahnung mit den Religionsbestimmungen wurde die Territorialverfassung des Reiches endgültig festgelegt und damit den größeren Reichsständen der Weg in die frühmoderne Staatlichkeit freigegeben. Des weiteren wurden die Reichskreise als regionale Zusammenschlüsse der Reichsstände, das Kammergericht als höchste Rechtsinstanz und die Reichsverteidigung auf eine neue Grundlage gestellt – mit Recht zählten die Reichsjuristen den Augsburger Reichsabschluß zu den Fundamentalgesetzen des Reiches, neben der älteren Goldenen Bulle und dem jüngeren Westfälischen Frieden. Träger der Entscheidungsfreiheit zwischen den beiden reichsrechtlich gleichberechtigten Spielarten des Christentums waren die Reichsstände, die in ihrem jeweiligen Herrschaftsgebiet, den Territorien oder Reichsstädten, den Religionsbann zugesprochen erhielten - wenig später auf die berühmte Formel cuius-regio-eius religio gebracht. Diese Verbindung von Territorialität und Konfessionalität hatte drei wesentliche Konsequenzen: Ersten mit der Verankerung der Mehrkonfessionalität in den Territorien wurde der Augsburger Religionsfrieden zugleich ein Meilensteil auf dem Weg zum deutschen Föderalismus, was noch heute jedem, der die deutschen Länder 5 aufmerksam durchreist, in der unübersehbaren Verbindung von Konfessionsund Regionalkultur vor Augen tritt. Zweitens, der Religionsbann der Fürsten, katholisch oder lutherisch, beinhaltete keine individuelle Gewissensfreiheit für die in ihren Territorien lebenden Menschen, wenn eine solche im sogenannten ius emigrandi, dem Auswanderungsrecht des § 11, anklingen mag. Das bedeutete in der Realität aber erst einen Trittstein für ein konkret noch zu erkämpfendes, nicht jedoch ein bereits alltäglich praktikables Freiheitsrecht. Drittens brachte der Frieden keine Pluralisierung der Religion oder gar der Weltanschauung. Im Gegenteil, beraten von den Theologen ihres jeweiligen Glaubens, sicherten die Politiker zwar die Differenzierung Deutschlands in lutherische und katholische, 1648 schließlich auch calvinistische Territorien reichsgrundgesetzlich ab. Zu einer eben solchen Diversifizierung der heilsgeschichtlichen Wahrheit selbst, wie sie dem modernen weltanschaulichen Pluralismus zugrunde liegt, fanden sie sich aber nicht bereit. Sie schufen ein politisches und rechtliches, kein religiös-weltanschauliches Koexistenzsystem. Mit Toleranz im modernen Sinne hatte der Augsburger Religionsfrieden also wenig zu tun. Diese im Rückblick über viereinhalb Jahrhunderte auszumachende Grenze kann das 1555 Erreichte aber nicht schmälern. Im Gegenteil, die Verhandlungsleistung des Augsburger Reichstages ist um so höher zu veranschlagen, als es trotz dieser Ausschließlichkeit des jeweiligen religiösen Wahrheitsanspruches gelang, praktikable Möglichkeiten der Koexistenz zu finden, indem man für das weltliche Zusammenleben die transzendentalen Streitpunkte ausklammerte. Europageschichtlich dokumentiert der Augsburger Religionsfrieden das Ende des Universalismus: Bereits äußerlich durch die Abwesenheit beider 6 Universalmächte – des Papsttums, weil die Vertreter der Kurie nach dem Tod Julius III. im März 1555 zum Konklave nach Rom abberufen wurden; des Kaisers, weil Karl V. erneut mit Frankreich im Krieg lag und zudem sein Gewissen von einem unbefristeten Frieden mit den Häretikern reinhalten wollte. Seinen Boten, der am 25. September mittags, zwei Stunden vor der Publikation des Friedens auf dem Rathaus in Augsburg eintraf und die Verschiebung des Reichsabschiedes forderte, ignorierte der Deutsche König Ferdinand und machte damit deutlich, daß für ihn die Reglung der deutschen Dinge Vorrang vor den Bedenken der kaiserlichen Universalinstanz hatte. Zwar gab es auch nach dieser Augsburger Entscheidung und der unmittelbar darauf erfolgten Abdankung Karls V. einen Kaiser und einen Papst. Angesichts der in Augsburger für das Reich anerkannten, inzwischen aber auch anderwärts in Europa vorangeschrittenen konfessionellen und politisch-staatlichen Differenzierung der christianitas waren das objektiv gesehen fortan aber nicht mehr Universalmächte, sondern das partikulare Papsttum und das partikulare Kaisertum der Neuzeit. - Augsburg war auch in dem Sinne ein Trittstein zur Moderne, als es beigetragen hat zur frühmodernen machtpolitischen Diversifizierung Europas in partikulare Mächte originären Rechts ohne verpflichtende Bindung an gradualistische, also rangmäßig gestufte, oder universalistische Ordnungskonzepte. 7 II Den Augsburger Religionsfrieden würdigen, heißt auch über sein Scheitern sprechen. Das betrifft weniger all jene Formelkompromisse und Sonderbedingungen, die zur Einpflanzung des cuius-regio-eius-religio-Prinzips in die komplizierte Reichsverfassung notwendig gewesen waren. (wie v.a. der Geistliche Vorbehalt zugunsten der katholischen Reichskirche; die Declaratio Ferdinandea für die dortigen Protestanten; die Beschneidung des reichsstädtischen Reformationsrechtes) Gescheitert ist der Religionsfrieden vielmehr an einem Mentalitätswandel, daß nämlich ausgangs des Jahrhunderts der Wille zum Frieden in einen Willen zur Konfrontation umschlug, und zwar als Folge von zwei übergreifenden Entwicklungen: Erstens, war es der funktionierende Religionsfrieden selbst, der in Deutschland optimale Bedingungen für eine Beschleunigung der religiös-kulturellen Differenzierung bot: In seinem Schutz entwickelten sich aus der „spaltigen Religion“ die drei Konfessionssysteme der Neuzeit – der tridentinische Katholizismus, das Konkordien-Luthertum und das ebenfalls im neuzeitlichen Bekenntnis verankerte Reformiertentum beziehungsweise der Calvinismus - im europäischen Rahme wäre als viertes noch der Anglikanismus hinzuzufügen. Strukturgeschichtlich gesehen, war jede von ihnen eine neue, neuzeitliche Kirche, auch die Römische. Denn im Gegensatz zu ihrer gemeinsamen mittelalterlichen Vorgängerkirche beruhte jede dieser Konfessionskirchen institutionell, personell und insbesondere dogmatisch auf den klar definierten Normen eines neuzeitlichen Bekenntnisses oder einer Confessio. - Die Folge war eine entschiedene Integration im Innern und eine rigide, teilweise aggressive Abgrenzung nach außen - und zwar nicht nur gegenüber der jeweils anderen Konfessionskirche, sondern auch gegenüber dem andersgläubigen Gemeinwesen / Staat. 8 Diese Formierung ließ zweitens eine Generation von Politkern und Kirchenmännern heranwachsen, der die Friedensleistung der Väter nur noch fauler Kompromiß war und die bereit, ja begierig war, diesen Kompromiß um der eigenen konfessionellen, politischen, rechtlichen, territorialen und machtpolitischen Vorteils willen aufzukündigen. Nicht mehr Schlichtung und Sicherung des Friedens waren die Losung der Stunde, sondern Neuformierung, Abgrenzung und Ausweitung der jeweiligen Einflußzonen. Dieser Umschlag in der Mentalität war nicht zuletzt - und hier liegen Licht und Schatten der frühmodernen Konfessionalisierung eng beieinander – einem großartigen pädagogischen Aufbruch geschuldet, der sich in vielen anderen Zusammenhängen als so überaus fruchtbar, in bezug auf den Friedenswillen aber um so verderblicher erwies, und zwar nicht weil die Konfessionskirchen die Jugend auf ihre eigene, separate/partikulare Glaubensnorm und ihr je spezifisches Menschenbild festlegte, sondern weil sie das mit emphatischaggressivem, die Andersgläubigen diffamierendem Ausschließlichkeits- und Absolutheitsanspruch taten. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Kompromisses nahm in dem Maße ab, wie die Generation des Augsburger Religionsfriedens durch die neuen Konfessionalisten ersetzt wurde und nun auch in Deutschland wie anderwärts in Europa eine tiefe geistig-kulturelle Feindseligkeit aufzog, verbunden mit dem Willen, die Entscheidung zu suchen, nötigenfalls mit Gewalt – eine Entscheidung, die immer häufiger heilsgeschichtlich als Endkampf zwischen den Kindern des Lichtes und der Dunkelheit, Kräften des Guten und des Bösen gedeutet und propagandistisch dargestellt wurde. Um 1600 war ein „Konfessionsfundamentalismus“ aufgezogen, der es anders als 50 Jahre zuvor nicht mehr zuließ, die Bedingungen des innerweltlichen Zusammenlebens von der religiösen Wahrheitsfrage zu trennen, sondern Macht und Glauben fundamental verkoppelte und damit pragmatische Lösung unmöglich machte. Das Ergebnis war ein unheilvolles Zusammenspiel von aggressiver, nach innen radikal integrierender und nach außen ebenso radikal abgrenzender 9 Heilserwartung einerseits und politischem Machtstreben und militärischem Gewaltpotential andererseits, das sich in generationenlangen Glaubens- und Staatenkriegen innerhalb und zwischen den europäischen Staaten und Gesellschaften entlud - für Deutschland im Dreißigjährigem Krieg. Der Konfessionsfundamentalismus blieb aber nicht das letzte Wort. Mitte des 17. Jahrhunderts fanden Deutschland und Europa zum Frieden zurück – indem auf drei epochale Friedensschlüssen die völkerrechtliche Ordnung der Neuzeit errichtet wurde und indem eine wirksame Vorkehrung gegen eine Wiederholung der fundamentalistischen Krise dadurch getroffen wurde, daß fortan Politik und Religion als autonom galten, also jede für sich und unabhängig von einander ihrer jeweiligen Räson folgen konnte. Für das Reich bedeutete das die Rückkehr zum Religionsfrieden nach dem Augsburger Modell, erweitert um den Einschluß des Calvinismus und institutionell abgesichert durch neue Schlichtungsinstrumentarien (namentlich die itio in partes und das Corpus Catholicorum beziehungsweise Corpus Evangelicorum). Damit war der Konfessionsstreit zwar nicht beendeten, aber – und darauf kommt es an – nachhaltig entpolitisiert. Damit war auch die Gefahr eines politischen Konfessionsfundamentalismus auf Dauer gebannt. Denn wenn etwas die politische Kultur Europas nach 1650 auszeichnet, dann die Ablehnung des Glaubenskrieges. Das war zweifellos auch eine Folge des unsäglichen Leids, das die Glaubenskriege zu einem kollektiven Trauma gemacht und moralisch wie politisch diskreditiert hatte. Angesichts des gewaltigen konfessionellen Konfliktpotentials wäre der Konfessionsfundamentalismus aber wohl nie auf Dauer zu besiegen gewesen, wäre der Wille zum Frieden nicht auch und gerade in der Religion verankert gewesen. Selbst für das konfessionelle Zeitalter trifft es nicht zu, daß die Religion nur den Krieg begünstigte, „unter dem Postulat der Friedenswahrung (aber nur) kontraproduktiv“ gewesen wäre. In der Religion, 10 jedenfalls in der christlichen Variante, stecken beide Möglichkeiten - eine ebenso irritierende wie beruhigende, jedenfalls eine historische belegte Tatsache: Der Weg aus der fundamentalistischen Falle, die sich mit dem Zusammenbruch des Augsburger Religionsfriedens geöffnet hatte, wurde nicht gegen oder gar unter Ausschaltung der Religion, sondern mit und in wesentlichen Teilen durch die Religion gefunden. Denn die politische Kultur der lateinischen christianitas basierte auf einer dualen Zuordnung von Religion und Politik, die anders als unter einem fundamentalistischen Monismus Staat und Kirche stets unterscheidbar und eine bedingungslose Unterwerfung der einen unter die andere Gewalt unmöglich machte. Das war ein hoher, wenn auch offensichtlich nicht immer und an jedem Ort resistenter Damm gegen fundamentalistische Tendenzen. Dieser auch auf dem Höhepunkt der konfessionellen Fundamentalfeindschaft nicht prinzipiell außer Kraft gesetzte Dualismus von Staat und Kirche schuf Raum und Legitimation dafür, daß Mitte des 17. Jahrhunderts „der Friede wieder möglich“ wurde - indem sich Politiker beider Konfessionsblöcke – und zwar gerade auch diejenigen, die wie etwa der bayrische Kurfürst Maximilian den Glaubenskrieg entschieden befürwortet hatten – über tiefe Gräben hin auf einen politischen Frieden verständigen, und damit zu dem ein Jahrhundert zuvor entworfenen Augsburger Modell zurückkehren konnten. Das geschah aber wiederum – und das erscheint mir im Hinblick auf den islamischen Fundamentalismus der Gegenwart bemerkenswert – nicht durch die Marginalisierung oder gar Stigmatisierung der Religion, sondern unter Beibehaltung und gegenseitiger Respektierung des religiösen Wahrheitsanspruchs: Auch nach 1648 waren die meisten Politiker konfessionell gebunden - aber nicht mehr in der fundamentalistischen Art, die Politik ohne autonome Handlungsspielräume unmittelbar auf den religiösen Wahrheitsanspruch verpflichtet.