e - Deutsche Leukämie- und Lymphom

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Beurteilungskriterien nach
Schwerbehindertengesetz für
CML / CMPE
Bundesverband der Selbsthilfeorganisationen
zur Unterstützung von Erwachsenen mit
Leukämien und Lymphomen e.V.
Unter der Schirmherrschaft von
DLH-Geschäftsstelle:
Thomas-Mann-Str. 40, 53111 Bonn
Tel.: 0228-33 88 9 200
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Mitglied bei
Neue Beurteilungskriterien nach dem Schwerbehindertengesetz (SGB IX) für die chronische
myeloische Leukämie und andere chronische myeloproliferative Erkrankungen
- ein Beitrag von Dr. med. Frank Doht-Rügemer, Facharzt für Innere Medizin, Sozialmedizin, Mitglied der AG
„Hämatologie/Onkologie“ des Sachverständigenbeirates im BMAS, Heiligenfeld GmbH, Haus Luitpoldklinik,
Bismarckstraße 24, 97688 Bad Kissingen, Tel. 0971-84-5119, Fax: 0971-84-5199, [email protected]
Die 4. Änderungsverordnung (ÄndVO) der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 28. Oktober 2011 (siehe INFO-Blatt: Hintergrundinformationen zum Thema Schwerbehindertenausweis) betrifft
u.a. Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie
und anderen chronischen myeloproliferativen Erkrankungen. Auf die Änderungen wird im Folgenden eingegangen.
Chronische myeloproliferative Erkrankungen
Chronische myeloproliferative Erkrankungen umfassen eine heterogene Gruppe von Knochenmarkserkrankungen, deren Gemeinsamkeit eine permanente
Zellproliferation im Knochenmark darstellt. Es liegen
verschiedene Mutationen auf Stammzellebene zugrunde, die je nach betroffener Zelllinie zu den folgenden Krankheitsbildern führen:
• Chronische myeloische Leukämie (CML)
• Polycythaemia vera (PV)
• Essentielle Thrombozythämie (ET)
• Primäre Myelofibrose (PMF)
Daneben gibt es seltenere Varianten, u.a.:
• Chronische myelomonozytäre Leukämie (CMML)
• Chronische Neutrophilenleukämie (CNL)
• Chronische Eosinophilenleukämie (CEL)
Als chronische Erkrankungen mit meist gravierenden
Auswirkungen im Beruf und im Alltag sind diese
Erkrankungen für die Feststellung als Schwerbehinderung (d.h. GdB = Grad der Behinderung mindestens 50) relevant. Die Behandlung war in der Vergangenheit defizitär. Inzwischen sind aber neue Medikamentengruppen (z.B. Tyrosinkinaseinhibitoren, Anagrelid) entwickelt worden, mit denen eine bessere
Krankheitskontrolle möglich geworden ist. Diese Fortschritte haben zu einer Neubewertung der Beurteilungskriterien geführt.
Eine Ausheilung der aufgeführten Erkrankungen ist
nach derzeitigem Kenntnisstand nur mit einer allogenen Stammzelltransplantation (Fremd- oder Familienspender) möglich. Diese Therapie kann mit erheblichen Nebenwirkungen und Spätfolgen einhergehen, sodass sie nur für jüngere und ansonsten körperlich fitte Patienten in Frage kommt. Für diese Therapieform beträgt der GdS 100 für eine Dauer von 3
Jahren (Heilungsbewährungszeit). Danach ist der
GdS nach den verbliebenen Auswirkungen und dem
eventuellen Organschaden, jedoch nicht niedriger
als 30 zu bewerten.
Bisherige Beurteilungskriterien:
Chronische myeloische Leukämie

chronische Phase
je nach Auswirkung – auch der Behandlung –
auf den Allgemeinzustand, Ausmaß der Milzvergrößerung…………………………………….50-80

akute Phase (Akzeleration, Blastenschub)…….100
Andere chronische myeloproliferative Erkrankungen
(z.B. Polycythaemia vera, essentielle Thrombozythämie,
Osteomyelosklerose)




mit geringen Auswirkungen
(keine Behandlungsbedürftigkeit)……………..10-20
mit mäßigen Auswirkungen
(Behandlungsbedürftigkeit)…………………….30-40
mit stärkeren Auswirkungen (z.B. mäßige Anämie, geringe Thrombozytopenie)………………50-70
mit starken Auswirkungen (z.B. schwere Anämie, ausgeprägte Thrombozytopenie, starke
Milzvergrößerung, Blutungs- und/oder Thromboseneigung)…………………………………..80-100
(Auszug aus der „GdS-Tabelle“)
Chronische myeloische Leukämie,
BCR/ABL-positiv
Neue Beurteilungskriterien
 Im Stadium der kompletten hämatologischen,
kompletten zytogenetischen und molekularen
Remission beträgt der GdS 10-20.
 Im Stadium der kompletten hämatologischen
Remission je nach Ausmaß der zytogenetischen Remission beträgt der GdS 30-40.
 Im chronischen Stadium, auch bei Krankheitsbeginn (im ersten Jahr der Therapie), bei
fehlender Remission oder bei Rezidiv je nach
Organvergrößerung, Anämie, Thrombozytenzahl und in Abhängigkeit von der Intensität der
Therapie beträgt der GdS 50-80.
 In der akzelerierten Phase oder in der Blastenkrise beträgt der GdS 100.
Die Einführung der Tyrosiskinaseinhibitoren (Imatinib, Nilotinib, Dasatinib sind derzeit für die Therapie
Neue Beurteilungskriterien nach dem Schwerbehindertengesetz für CML und andere CMPE (DLH-INFO 47 I/2012)
der CML zugelassen), stellte einen Durchbruch in der
Behandlung der BCR/ABL–positiven CML dar. Durch
diese Wirkstoffklasse kann die ständige Proliferation
der leukämischen Zellen unterbrochen und die Zellzahl kontrolliert werden. Die Erkrankung ist dadurch
heute ungleich weniger bedrohlich als noch Ende der
90iger Jahre. Die Prognose hängt jedoch von einer
ständigen Einnahme der Medikamente ab, da sonst
ein Rückfall wahrscheinlich ist. Außerdem spricht die
Therapie bei einem Teil der Patienten nicht wie gewünscht an. Da im ersten Jahr der Therapie noch
nicht abschließend über das Ansprechen der therapeutischen Maßnahmen geurteilt werden kann, ist in
diesem Zeitraum von einem GdS von mindestens 50
auszugehen.
Im Rahmen der Dauertherapie sind außerdem die
Verträglichkeit und die Nebenwirkungen wichtig. Das
Ausmaß der Nebenwirkungen wird in 4 Schweregrade eingeteilt (1 = leicht, 4 = schwer). Bekannt sind vor
allem
• Ödembildung im Gesicht, an Armen und Beinen
• Seröse Ergüsse (Pleura = Rippenfell, Perikard =
Herzbeutel, Aszites = Bauchwasser)
• Hautausschläge
• Muskelkrämpfe
• Herzrhythmusstörungen
• Kopfschmerzen
• Blutarmut, Blutplättchenmangel, Mangel an weißen
Blutkörperchen
• Übelkeit
• Juckreiz
• Haarausfall
Viele Begleiterscheinungen sind nur vorübergehend
und können durch einen Wirkstoffwechsel oder eine
Dosisanpassung behoben werden. Zum Teil beeinträchtigen sie die Patienten aber auf Dauer sehr. Unter Umständen muss die Therapie mit einer bestimmten Substanz sogar wegen nicht tolerabler Nebenwirkungen (meist Grad 3/4) beendet werden.
Atypische chronische myeloische Leukämie,
BCR/ABL-negativ; chronische NeutrophilenLeukämie, chronische myelomonozytäre Leukämie
Neue Beurteilungskriterien
 Im Stadium der kompletten hämatologischen
Remission beträgt der GdS 40.
 Im chronischen Stadium, auch bei Krankheitsbeginn (im ersten Jahr der Therapie), ist
die Teilhabebeeinträchtigung insbesondere
abhängig vom Ausmaß der Organvergrößerung und Anämie, der Thrombozytenzahl und
der Intensität der Therapie. Der GdS beträgt
50 – 80.
 In der akzelerierten Phase oder in der Blastenkrise beträgt der GdS 100.
Bei diesen Patienten entfallen Aussagen über das zytogenetische und molekulare Ansprechen der Therapie, da die Kontrollparameter fehlen. Die primär ungünstigen Verhältnisse, die Krankheitszeichen und
Therapienebenwirkungen rechtfertigen auch in der
Remissionsphase einen GdS von 40. In der chronischen bzw. akzelerierten Phase oder Blastenkrise
entsprechen die Beurteilungskriterien denjenigen bei
der BCR/ABL-positiven CML.
Primäre Myelofibrose (Chronische idiopathische Myelofibrose)
Neue Beurteilungskriterien
 Bei geringen Auswirkungen (keine Behandlungsbedürftigkeit) beträgt der GdS 10 –
20.
 Bei mäßigen Auswirkungen (Behandlungsbedürftigkeit) beträgt der GdS 30 – 40.
 Bei stärkeren Auswirkungen (insbesondere mäßige Anämie, Thrombozytopenie,
ausgerägte Organomegalie) beträgt der
GdS 50 – 70.
 Bei starken Auswirkungen (insbesondere
schwere Anämie, ausgeprägte Thrombozytopenie, exzessive Organomegalie) beträgt der GdS 80 – 100.
Die Krankheit ist gekennzeichnet durch eine Proliferation von Fibroblasten mit vermehrter Kollagenproduktion (Fibrosierung), zunehmender Knochenmarkinsuffizienz, Auswanderung von Knochenmarkstammzellen und in der Folge durch eine Blutbildung
außerhalb des Knochenmarks (v.a. in Leber und
Milz mit entsprechender Organvergrößerung [=Organomegalie]).
Bei Behandlungsbedürftigkeit ist eine entsprechend
den Kriterien der evidenzbasierten Medizin notwendige Therapie erforderlich. Das Ausmaß der Behandlungsbedürftigkeit wird bei der PMF insbesondere auch über die Häufigkeit der notwendigen
Transfusionen definiert. Eine Erythrozytengabe im
Monat wird mit einem niedrigeren GdS bewertet als
ein mehrmaliger Transfusionsbedarf. Daneben sind
auch das Ausmaß der Blutungsneigung (aufgrund
von Thrombopenie), die Infekthäufigkeit (aufgrund
von Leukopenie) sowie die Leber- und Milzgröße mit
Verdrängungserscheinungen (z.B. Atemnot durch eine Vergrößerung von Leber und Milz mit Zwerchfellhochstand, Verdauungsprobleme) für die GdB-Bildung bedeutsam.
Polycythaemia vera
Neue Beurteilungskriterien
 Bei Behandlungsbedürftigkeit
- mit regelmäßigen Aderlässen. Der GdS
b.beträgt 10.
- mit zytoreduktiver Therapie ist die Teilhab.bebeeinträchtigung insbesondere abhän..,gig vom Ausmaß der Nebenwirkungen.
...Der GdS beträgt 30 – 40.
Diese erworbene Stammzellerkrankung ist durch
den fast durchgehenden Nachweis einer Mutation im
JAK2-Gen (Exon 12 oder 14) gekennzeichnet. Sie
tritt überwiegend nach dem 60. Lebensjahr auf. Vorwiegend ist die rote Zellreihe mit stark vermehrten
Erythrozytenzahlen betroffen. Durch die erhöhte
Blutviskosität treten vermehrt thromboembolische
Komplikationen auf (verlangsamter Blutfluss, Neigung zu Gefäßverschlüssen). Als typisch wird bei
Neue Beurteilungskriterien nach dem Schwerbehindertengesetz für CML und andere CMPE (DLH-INFO 47 I/2012)
der PV ein Juckreiz bei Wasserkontakt (sog. „aquagener Pruritus“) beschrieben. Daneben finden sich
häufig Kopfschmerzen, Milzvergrößerung, Blutungsneigung, Atemnot und hoher Blutdruck. Therapeutisch stehen regelmäßige Aderlässe im Vordergrund
(Ziel: Hämatokrit < 45-50% bei Männern, < 40-45%
bei Frauen), im Einzelfall stattdessen eine Erythrozytapherese (Blutwäsche mit Entfernung einer großen
Menge an roten Blutkörperchen). Medikamentös
kann durch Hydroxyharnstoff [Hydroxyurea] oder Interferon-alfa versucht werden, die ständige Zellproliferation der betroffenen Zellreihen zu kontrollieren.
Es kann zu Übergängen in eine PMF kommen. Dauerhafte Funktionseinschränkungen, z.B. durch abgelaufene Thrombosen, sind zusätzlich zu berücksichtigen. Die alleinige Aderlassbehandlung hat keinen
wesentlichen Behinderungscharakter. Die Nebenwirkungen einer milden Chemotherapie (Hydroxyharnstoff) oder der Gabe von Interferon zur Verminderung
der Zellzahl sind zusätzlich zu berücksichtigen. Übergänge zu anderen myeloproliferativen Erkrankungen
sind analog zu diesen zu bewerten.
Chronische Eosinophilen-Leukämie/Hypereosinophilie-Syndrom
Neue Beurteilungskriterien
 Die Teilhabebeeinträchtigung ist insbesondere abhängig vom Ausmaß der Organomegalie, Hautbeteiligung, Blutbildveränderungen und Nebenwirkungen der Therapie.
Der GdS beträgt mindestens 50.
Juvenile myelomonozytäre Leukämie
Neue Beurteilungskriterien
 Die juvenile myelomonozytäre Leukämie ist
analog zur akuten myeloischen Leukämie
zu bewerten.
Essentielle Thrombozythämie
Neue Beurteilungskriterien
 Bei Behandlungsbedürftigkeit
- mit Thrombozytenaggregationshemmern.
- Der GdS beträgt 10.
- mit zytoreduktiver Therapie ist die Teilha..bebeeinträchtigung insbesondere abhän..gig vom Ausmaß der Nebenwirkungen
..der Therapie. Der GdS beträgt 30 – 40.
Bei der ET sind primär nur die Blutplättchen betroffen
(häufig Thrombozytenzahlen über 1 Mio./μl), jedoch
ist im Anfangsstadium die Abgrenzung von einer
PMF schwierig. Die Zellproliferation kann durch den
Wirkstoff Anagrelid gut kontrolliert werden, zusätzlich
werden Hydroxyharnstoff und/oder pegyliertes Interferon eingesetzt. Zur Risikoreduzierung von thromboembolischen Komplikationen ist die Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) essentiell. Dennoch stellen thromboembolische Komplikationen und Blutungen den
Großteil der Begleiterscheinungen dar. Sofern dauerhafte Einschränkungen durch solche Komplikationen
vorliegen (z.B. neurologische Ausfälle nach Hirnembolie, pulmonaler Hochdruck mit Atemnot nach Lungenembolie), sind sie zusätzlich bei der Bewertung
nach der Versorgungsmedizin-Verordnung zu berücksichtigen. Die Lebenserwartung der Patienten mit ET
ist kaum eingeschränkt, limitierend wirken sich Übergänge zu anderen myeloproliferativen Erkrankungen
aus, welche dann analog zu diesen zu bewerten sind.
Bei alleiniger Behandlung mit ASS ist die Beeinträchtigung nur gering. Typische Nebenwirkungen einer Interferontherapie (z.B. Haarausfall, Gewichtsveränderungen, grippeähnliche Symptome) werden durch
den höheren GdS berücksichtigt. Auch Nebenwirkungen, wie z.B. gravierende Blutbildveränderungen mit
entsprechender Symptomatik, können einen höheren
GdS begründen.
Neue Beurteilungskriterien nach dem Schwerbehindertengesetz für CML und andere CMPE (DLH-INFO 47 I/2012)
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