KW22/Gallium Prof. Dr. Andreas Schnepf

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KW22/Gallium
Prof. Dr. Andreas Schnepf
Entdeckung
Die Existenz eines höheren Homologen des Elements Aluminium wurde sowohl von D. Mendelejeff [1] als auch
von L. Meyer[2] in ihren ersten Veröffentlichungen 1869/1870 über das Periodensystem der Elemente
vorhergesagt. Dem französischen Chemiker Lecoq de Boisbaudran gelang es kurz darauf als Erstem, das
von Mendelejeff und Meyer als Eka-aluminium bezeichnete Element in reiner Form durch Elektrolyse einer
ammoniakalischen Galliumsulfatlösung an einer Platinelektrode darzustellen.[3] Zu Ehren seines Vaterlandes
gab Lecoq de Boisbaudran dem neu dargestellten Element den Namen Gallium.
Herstellung und Eigenschaften
Da Gallium nicht in „eigenen“ Mineralien vorkommt, aus denen es preiswert gewonnen werden könnte, blieb es
bis 1915 unbeachtet. Erst als F. G. McCutcheon Ausschwitzungen von bleihaltigen Rückständen einer zweifach
durchgeführten Zinkdestillation als stark Gallium- und Indium-haltig erkannte,[4] wurde eine neue Gallium-Quelle
erschlossen, die jedoch mit der Einstellung des Verfahrens der zweifachen Zinkdestillation wieder versiegte.
Heute wird Gallium vor allem bei der Aluminiumherstellung als Nebenprodukt erhalten[5], und auch das Recycling
wird immer wichtiger, vor allem da der Bedarf an Gallium durch die aktuellen Entwicklungen im Bereich der
Halbleitertechnik (siehe unten) immer größer wird.
Aufgrund der schlechten Verfügbarkeit und des dadurch resultierenden hohen Preises war das Interesse an dem
Element Gallium und seiner Chemie – auch im industriellen Bereich – lange Zeit gering. Außerdem reihten sich
die Eigenschaften der Verbindungen des Galliums in die typische Chemie der Elemente der III. Hauptgruppe des
Periodensystems ein. Deshalb waren wenig Überraschungen zu erwarten, und somit beschäftigten sich die
Chemiker eher mit den Besonderheiten der leichteren und schwereren Homologen des Galliums.[6] In
Lehrbüchern ist diese Eigenschaft durch den Satz gekennzeichnet: „Gallium zeigt in seinem chemischen
Verhalten große Ähnlichkeit mit dem leichteren Gruppenhomologen, dem Aluminium.“[5] Tatsächlich sind sowohl
die Ionen- als auch die Kovalenzradien beider Elemente sehr ähnlich. Gallium nimmt jedoch durch seine Stellung
im Periodensystem als erstes Element mit abgeschlossener d-Schale eine Sonderstellung ein. So gehört Gallium
zu den Elementen mit den größten Flüssigkeitsbereichen (30 – 2300°C) und weist als Metall im Gegensatz zu
Aluminium eine ungewöhnliche Vielzahl an Elementstrukturen auf, in denen zum Teil molekulare Strukturen
ausgebildet werden (Abbildung 1). So findet man zum Beispiel in der Normaldruckmodifikation α-Ga kurze Ga-Ga
Abstände von 245 pm und eine Koordinationszahl der Galliumatome von sieben (1+2+2+2) weshalb α-Ga auch
gerne als molekulares Metall mit Ga2 Hanteln beschrieben wird.
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Abbildung 1: Ausschnitte aus den Normaldruckmodifikationen α-, β-, γund δ-Gallium sowie den Hochdruckmodifikationen GaII and GaIII; typische Strukturmotive, wie sie auch in
Clusterverbindungen gefunden werden, sind hervorgehoben. Bei sehr hohem Druck wird eine weitere
Hochdruckmodifikation, GaIV, gefunden, bei der eine für Metalle wie Aluminium typische kubisch dichteste
Kugelpackung realisiert wird.[7]
Trotz dieser molekularen Strukturen besitzt elementares Gallium eine zu elementarem Eisen vergleichbar hohe
elektrische Leitfähigkeit. Beim Schmelzen tritt ähnlich dem Silizium eine Volumenkontraktion auf und flüssiges
Gallium neigt zur Unterkühlung, d.h. flüssiges Gallium bleibt auch für längere Zeit bei Raumtemperatur flüssig
(Abbildung 2). Legierungen mit Aluminium sind aufgrund der Erniedrigung des Schmelzpunktes bei
Raumtemperatur flüssig und können z.B. als Sperrflüssigkeit eingesetzt werden. Die in den
Elementmodifikationen gefundenen Strukturmotive finden sich auch im Bereich metallreicher metalloider
Clusterverbindungen (siehe unten).
Abbildung 2: Flüssiger Galliumtropfen auf einem Glasobjektträger bei 23°C.
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Technische Anwendungen
Mit der Entdeckung der Halbleitereigenschaften der Verbindungen des Typs GaE (E = N, P, As, Sb) nahm das
Interesse an der metallorganischen Chemie des Galliums stetig zu, da sich diese Verbindungen als
Ausgangsmaterialien in MOCVD-Verfahren (metallorganische chemische Gasphasenabscheidung) zur Synthese
von technisch wichtigen Halbleitermaterialien einsetzen lassen. So sind Galliumnitrid(GaN)-basierte Materialien
(Abbildung 3) die Basis für die blaue Leuchtdiode (kurz LED von light emitting diode), und 2014 wurden Isaamu
Akasaki, Hiroshi Amano und Shuji Nakamura für die bahnbrechende Entwicklung dieser LEDs mit dem
Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.
Abbildung 3: Prinzip der Emission von blauem Licht durch eine GaN basierte LED. (Wiedergegeben aus Literatur
8).
Eine weitere Besonderheit von Gallium ist, dass das 71Ga Isotop mit Sonnenneutrinos zu 71Ge reagieren kann,
ein Umstand der zum Nachweis des Neutrinoflusses in zwei Großexperimenten (GALLEX[9] und SAGE[10])
ausgenutzt wurde. Bei diesen Experimenten kam es dabei zur größten Anhäufung von Gallium; so wurden für
GALLEX 30.3 Tonnen und für SAGE ca. 30 Tonnen Gallium verwendet. Die Isolierung der wenigen
Germaniumatome aus dem riesigen Überschuss an Galliumatomen gelang unter Ausnutzung der
unterschiedlichen Eigenschaften der Chloride.
Ungewöhnliche Oxidationsstufen
All die bisher beschriebenen Entwicklungen sind auf die Chemie des dreiwertigen Galliums beschränkt, obwohl
bereits Lecoq de Boisbaudran darauf hinwies, dass Galliumhalogenide stabile Verbindungen in niedrigen
Oxidationsstufen (< 3) bilden.[11] Herstellen lassen sich die Halogenide in der Oxidationsstufe +2 durch Reaktion
von GaX3 mit elementarem Gallium im Rahmen einer Komproportionierungsreaktion. Auch hier offenbart Gallium
ungewöhnliche Eigenschaften. So sind die Halogenide der formalen Oxidationsstufe +II z.B.
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Ga2Cl4 gemischtvalent, d.h. aus Ga+ und GaCl4- aufgebaut. Ausgehend davon lassen sich jedoch durch Reaktion
mit Lewis Basen Ga(II)-Verbindungen wie LGaCl2-GaCl2L (L = Dioxan) mit direkter Ga-Ga Bindung erhalten. Eine
einfache Variante zur Herstellung von Monohalogeniden wurde von Green et al. vorgestellt;[12] so reagiert
flüssiges Gallium mit einem Äquivalent Iod in Toluol im Ultraschall bei ca. 35°C zu formalem `GaI`, welches
jedoch keine einheitliche Verbindung, sondern eine Mischung verschiedener subvalenter Halogenide ist.
Aktuelle Forschung
Monohalogenide des Gallium lassen sich bei hohen Temperaturen und niedrigen Drücken durch
Komproportionierung (2Ga + GaX3 → 3GaX; X = Cl, Br, I) und in Form metastabiler Lösungen durch
Kokondensationstechnik erhalten. Ausgehend davon konnten Schnöckel et al. einen Synthesezugang zu
nanoskaligen metalloiden Clusterverbindungen der allgemeinen Zusammensetzung GanRm (n>m; R = sterisch
anspruchsvoller Substituent) eröffnen.[13] Auch hier kommen die besonderen Eigenschaften des Galliums zum
Tragen, d.h. auch in der Topologie der Galliumatome der Clusterverbindungen spiegelt sich die Vielfalt der
möglichen Elementstrukturen wieder. So findet man beispielsweise in der metalloiden Clusterverbindung
{Ga84[N(SiMe3)2]20}4- Strukturmotive von gleich zwei Normaldruckmodifikationen α- und δ-Ga (Abbildung 4).[14]
Abbildung 4: Die topologisch ähnliche Anordnung der Ga-Atome in Ga84[N(SiMe3)2]204-: Cluster in der Mitte
(ohne SiMe3-Gruppen) und die Raumtemperaturmodifikation α-Gallium (links) und die Tieftemperaturmodifikation
δ-Gallium (rechts).
Außerdem zeigt sich, dass je nach Substituentenhülle und Anzahl an Galliumatomen in den metalloiden
Clusterverbindungen die Anordnung der Galliumatome Normal- oder auch Hochdruckmodifikationen ähnelt. Die in
den metalloiden Clusterverbindungen gefundenen Strukturen eröffnen somit erstmals einen Einblick in den
nanoskaligen Grenzbereich bei Metallen; ein Bereich der aktuell durch Entwicklungen der Nanotechnologie auch
immer mehr technische Relevanz gewinnt, d.h. hier öffnet sich erstmals ein Fenster zu den molekularen
Vorgängen der technisch extrem wichtigen und einfach erscheinenden Prozesse der Bildung (Reduktion) oder
des Auflösens (Oxidation) von Metallen.
Trotz oder vielleicht gerade aufgrund seiner besonderen Eigenschaften eröffnet das Element Gallium hier neue
Wege und ist aktuell wegen seiner zentralen Bedeutung für III/V- Halbleitermaterialien auch für die Technik z.B.
im Bereich der LEDs essentiell.
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Literatur
[1] D. Mendelejeff, J. Russ. Ges., 1869, 1, 76.
[2] L. Meyer, Lieb. Ann. Suppl., 1870, 7, 356.
[3] F. Lecoq de Boisbaudran, Compt. rend., 1875, 81, 493.
[4] W. F. Hillebrand, J. A. Scherrer, J. ind. eng. Chem., 1916, 8, 225.
[5] Holleman, Wiberg, Lehrbuch der Anorganischen Chemie, 101. Verbesserte und stark erweiterte Auflage von
N.Wiberg, Walter de Gruyter, Berlin, 1995.
[6] A. R. Barron, A. N. McInnes, Encyclopedia of Inorganic Chemistry (Ed.: R. B. King), 1994, John Wiley, New
York.
[7] O. Schulte, W. B. Holzapfel, Phys. Rev. B 1997, 55, 8122 – 8128.
[8] P. von Dollen, S. Pimpuktar, J. S. Speck, Angew. Chem. 2014, 126, 14198 – 14200; Angew. Chem. Int.
Ed. 2014, 53, 13978 – 13980.
[9] W. Hampel et al. Phys. Lett. B, 1996, 388, 384 – 396.
[10] J. N. Abdurashitov et al. Phys. Rev. C, 1999, 60, 055801-1 –
055801-32.
[11] Gmelin, Handbuch der Anorganischen Chemie, 1936, 36, Gallium.
[12] M. L. H. Green, P. Mountford, G. Smout, S.Speel, Polyhedron, 1990, 22, 2763 – 2765.
[13] A. Schnepf, H. Schnöckel, Angew. Chem. 2002, 114, 3682 – 3704; Angew. Chem. Int. Ed. 2002 41, 3532 –
3554.
[14] A. Schnepf, H. Schnöckel, Angew. Chem. 2001, 113, 734 – 737; Angew. Chem. Int. Ed. 2001, 40,
712 – 715.
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