Junge Ärzte der niedergelassene arzt 5/2014 Der Bedarf an neuen Medikamenten ist groß Echte Innovationen jedoch kaum zu erwarten In der HIV-Therapie stehen derzeit rund drei Dutzend verschiedener Präparate zur Verfügung. Gerade in den letzten Monaten wurden noch mehrere ­wichtige neue Substanzen zugelassen, darunter zwei neue Integrasehemmer. ast alle HIV-Patienten können heute gut behandelt werden. Ein „austherapiert“ mit fehlenden Optionen gibt es fast nicht mehr. Doch trotz aller Fortschritte besteht kein Grund zur Entwarnung und weiterhin ein großer Bedarf an neuen Medikamenten. Und zwar nicht nur für die wenigen Patienten, bei denen es durch die Jahre hinweg zu multiplen Resistenzen gekommen ist und die kaum noch Optionen haben, sondern grundsätzlich für alle Patienten, also auch für diejenigen, bei denen die jetzige Behandlung erfolgreich ist. Lebenslange Behandlung Eine wirkliche Heilung ist derzeit nicht in Sicht, und es ist gut möglich, dass die Heilung für die Mehrheit der Patienten niemals kommen wird. Dies wiederum bedeutet, dass viele Patienten lebenslang und damit über Jahrzehnte behandelt werden müssen. Die Entwicklung neuer Medikamente findet immer auch im Wettlauf gegen die Entwicklung viraler Resistenzen statt. Mathematische Modelle der letzten Jahre haben gezeigt, dass die jetzigen HIV-Medikamente für eine lebenslange Therapie bei vielen Patienten wahrscheinlich nicht ausreichen ­werden. Eine jahrzehntelang einzunehmende Therapie stellt auch hohe Anforderung an die Compliance der Patienten. Mit dem Konzept der Long-Acting-Drugs, also Medikamenten, die sich durch eine sehr lange Wirkdauer auszeichnen und die möglicherweise im Monats- oder sogar Dreimonats-Abstand verabreicht werden können, werden in Zukunft neue Wege beschritten © Dan Race / Fotolia F werden. Auch ist mit Langzeit-Nebenwirkungen zu rechnen, die zum jetzigen Zeitpunkt, nach nicht einmal 20 Jahren HIVTherapie, noch gar nicht abzusehen sind. Kritische Organsysteme bei Langzeittherapien sind wahrscheinlich die Nieren, das Herz-Kreislauf-System, aber auch die Knochen. Es müssen also auch neue Medikamente entwickelt werden, die weniger toxisch sind. Fernziel Heilung Um dem Fernziel Heilung beziehungsweise Eradikation wenigstens ein bisschen näher zu kommen, sollten sie natürlich möglichst noch potenter sein als die heutigen. Angesichts eines immer engeren HIV-Markts ist die Pipeline neuer antiretroviraler Medikamente allerdings nicht mehr so voll wie früher. Wenn weit über 90 Prozent der Patienten eine ausreichende Virussuppression erreichen, sind sehr große Studien notwendig, um eine Überlegenheit einer neuen Therapie zu zeigen: Besser als die heutige Therapie zu sein ist schwierig geworden. Echte Innovationen sind deshalb kaum noch zu erwarten - das neue AMNOG (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz), nach dem seit 2011 für jeden neuen Wirkstoff der mögliche Zusatznutzen bewertet und erst dann der Erstattungsbetrag festgelegt wird, tut dabei sicher ein Übriges. Viele Medikamente sind in den letzten Jahren an diesen hohen Ansprüchen gescheitert, manchmal auch erst kurz vor der Zulassung. Anderen Medikamenten wurde der Zusatznutzen in dem Bewertungsverfahren verweigert. Aus Sicht der Behandler und der Patienten ist grundsätzlich jedes neue Medikament willkommen, weil es das Arsenal bereichert und die Auswahl beziehungsweise die potenziellen Optionen in der Langzeitbehandlung vergrößert. Ein solcher Zusatznutzen, gerade auch im Hinblick auf Langzeitnebenwirkungen, zeigt sich möglicherweise erst ­später. PD Dr. med. Christian Hoffmann, ICH ­Infektionsmedizinisches Centrum Hamburg 29