3 Umweltfaktoren als wesentliche Ursache des Blasenkarzinoms und seiner Epidemiologie – Ein historischer Überblick T. Kälble Einleitung Die Geschichte des Harnblasenkarzinoms reicht zurück bis in das alte Ägypten 1000 v. Chr., als bereits auf Papyrusblättern klinische Symptome wie Dysurie und Hämaturie beschrieben wurden. Die Araber des Mittelalters sahen in der Hämaturie ein böses Omen, das sich vermutlich aus der schlechten Prognose der Blasentumoren zur damaligen Zeit ableitete. Nachdem im Mittelalter Europas keine Berichte über das Blasenkarzinom zu finden sind, publizierte der Schweizer Chirurg Fabricius Hildinus 1628 die versehentliche Entfernung einer Blasengeschwulst und der Franzose Desault berichtete 1770 über die erste transurethrale Exzision eines Blasentumors. Bardenheuer führte 1887 die erste Zystektomie durch und beließ die Ureter dabei einfach im Becken, worauf der Patient 2 Wochen postoperativ verstarb (Badr 1983). Percival Scott wies 1775 erstmals auf eine mögliche Ursache der Harnblasentumoren hin, indem er eine häufige Assoziation von Blasensteinen und chronischen Harnwegsinfekten mit Blasenkarzinomen beobachtete (Badr 1983). Der Frankfurter Chirurg Ludwig Rehn schließlich publizierte 1895 seine bemerkenswerte Entdeckung der Häufung von Blasenkarzinomen bei Arbeitern der Farbstoffindustrie. Er trug vor dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie eine Hypothese vor, deren Gültigkeit selbst nach mehr als 100 Jahren noch Gültigkeit hat: Für die Mehrzahl der Blasengeschwülste »kann man sich nur vorstellen, dass in dem von den Nieren ausgeschiedenen Urin Stoffe in Lösungen vorhanden sind, welche durch chemischen Reiz eine Geschwulstbildung hervorrufen« (Rehn 1895). 35 Jahre später gelangen Schär (1930) sowie Perlmann u. Staehler (1933) die tierexperimentelle Induktion von Blasenkarzinomen mittels Naphthylamin. 1954 und 1955 führten Case et al. und Melick et al. den epidemiologischen Nachweis der Blasenkarzinogenität von aromatischen Aminen. Nach intensiven Forschungstätigkeiten, experimentell und epidemiologisch, zählen seit 1967 auch die Nitrosamine zu den potentiellen Blasenkarzinogenen. Weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Epidemiologie, Biochemie und vor allem der Molekularbiologie haben zahlreiche Risikofaktoren identifiziert und einen Zusammenhang zwischen Blasenkarzinogenen, dem Metabolismus dieser Karzinogene und mutagenem Potential dieser Substanzen hergestellt. Im Folgenden sollen die wichtigsten als Blasenkarzinogen identifizierten Umweltfaktoren und Substanzen bzgl. der Geschichte ihrer Entdeckung und des Wirkmechanismus beschrieben werden. Nitrosamine 1956 wiesen Magee u. Barnes die Leberkarzinogenität von Dimethylnitrosamin nach. In grundlegenden Experimenten mit 65 verschiedenen Nitrosaminen an Ratten fanden Druckrey u. Preußmann 1967 eine 18 3 Kapitel 3 · Umweltfaktoren als wesentliche Ursache des Blasenkarzinoms und seiner Epidemiologie organspezifische Karzinogenität verschiedenster Nitrosamine, wobei Butyl-Nitrosamin (BBN) und Butyl-Hydroxybutyl-Nitrosamin (BBNOH) rein blasenkarzinogen waren. 1969 stellte sich heraus, dass Nitrosamine nicht nur von Menschen aufgenommen, sondern auch eigenständig aus spezifischen Vorläufern im Magen bzw. in Gegenwart einer Harnwegsinfektion auch in der Blase gebildet werden können. So zeigte sich bei einer Infektion der ableitenden Harnwege mit Proteus mirabilis Dimethylnitrosamin im Urin (Brooks et al. 1972). Diese Beobachtung konnte auch für andere Bakterien bestätigt werden, sodass die bakteriell induzierte Synthese von Nitrosaminen als mitursächlich, eventuell sogar entscheidend für ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko von Patienten mit chronisch rezidivierenden Harnwegsinfekten angesehen wird. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Nitrosaminen und dem Auftreten von Blasenkarzinomen ist jedoch bei Menschen bis heute nicht definitiv belegt. Zwar lassen sich flüchtige Nitrosamine in Tabak, Kautabak, Zigaretten, in der treibstoff- und metallverarbeitenden Industrie etc. nachweisen. Sie müssten jedoch die ableitenden Harnwege erreichen, um dort Mutationen zu bewirken. Vor allem die im Gastrointestinaltrakt resorbierten flüchtigen Nitrosamine unterliegen jedoch aufgrund ihres Eintritts in den Pfortaderkreislauf einer nahezu vollständigen Metabolisierung, sodass sie im Urin nicht nachweisbar sind. Darüber hinaus müssen flüchtige exogene Nitrosamine zunächst in nichtflüchtige und damit wasserlösliche Nitrosamine metabolisiert werden, um in den Urin zu gelangen. Insofern können exogene Nitrosamine noch nicht als gesicherte Blasenkarzinogene des Menschen angesehen werden. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass Nitrosamine im menschlichen Organismus maßgeblich an der Bildung maligner Entartungen beteiligt sind und aufgrund ihres Nachweises im Urin bei Harnwegsinfektionen auch mit einem erhöhten Blasenkrebsrisiko in Zusammenhang zu sehen sind. Aromatische Amine 1840 erhielt der deutsche Chemiker Fritzsche bei der Ätzkalischmelze des Naturfarbstoffes Indigo eine Verbindung, der er den spanischen Namen des Indigos, Anilin, gab (Fieser u. Fieser 1982b). 1856 gelang Perkin auf der Basis von Anilin die erste Synthese eines künstlichen Farbstoffes, worauf die Ära der aromatischen Amine in der chemischen Industrie, zunächst Farbstoffindustrie, begründet war (Fieser u. Fieser 1982a). Die gesundheitlichen Auswirkungen des Kontaktes mit diesen Substanzen blieben bis in das 19. Jahrhundert aufgrund der erst später festgestellten langen Latenzzeit unbekannt, bis der Frankfurter Chirurg Ludwig Rehn 1895 bei drei Patienten aus einer Gruppe von 45 Arbeitern, die in einer Frankfurter Farbenfabrik Fuchsin herstellten, Blasentumoren diagnostizierte. Ein weiterer Arbeiter dieser Gruppe, der ebenfalls unter Makrohämaturie litt, war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Für die Synthese von Fuchsin wurde Anilin und dessen methylierte Derivate o- und p-Toluidin verwendet. Aus diesem Grund ging Rehn von Anilin als Auslöser der Blasenkarzinome aus, was den Begriff des Anilinkrebses bis in das 20. Jahrhundert hinein prägte. In den Jahren 1930 und 1933 gelangen Schär sowie Perlmann u. Staehler mit Naphthylamin eine Blasenkarzinominduktion bei Kaninchen. Case et al. widerlegten 1954 Rehns Vermutung, dass Anilin Blasenkarzinome induziere, worauf zahlreiche aromatische Amine wie Benzidin, 2-Naphthylamin und 4-Aminobiphenyl als menschliche Harnblasenkarzinogene identifiziert wurden. Unklar war zu diesem Zeitpunkt, warum aromatische Amine ausschließlich Blasenkarzinome induzieren. Mittlerweile ist bekannt, dass die Metabolisierung zu hochreaktiven ultimaten Karzinogenen mit konsekutiver DNABindung für die Karzinogenität und Organotropie der aromatischen Amine verantwortlich sind. Die Initiation der Karzinogenese ist dabei die enzymatisch aktivierte Bildung von Arylnitrenium-Ionen, die mit Nukleinsäuren sämtlicher Organe des Körpers reagieren. Die enzymatische Aktivierung der aromatischen Amine kann sowohl in der Harnblase als auch in der Leber erfolgen, wobei in der Leber durch Konjugation vermutlich eine Detoxifikation stattfindet, wohingegen in der Blase eine Karzinogenese induziert wird. Nachdem weder bei Tieren noch bei Menschen durch Anilin Harnblasenkarzinome induziert werden können, ist Anilin als Blasenkarzinogen auszuschließen. Noch 1981 waren jedoch ca. 28.500 Arbeitern in den USA gegenüber dem Anilin-Derivat o-Toluidin, das als Bestandteil von Farbstoffen sowie als Antioxidans in der Kunststoffproduktion eingesetzt wurde, exponiert. Mittlerweile ist der verbreitetste Kontakt gegenüber o-Toluidin der Zigarettenrauch, der hohe Konzentrationen dieses aromatischen Amins enthält. Experimentelle Studien ergaben eine karzinogene Wirkung des o-Toluidins in der Harnblase von Ratten (Russfield et al. 1973). 1982 wurde eine Studie veröffentlicht, in der Ar- 19 Berufliche Risiken beiter in der Fuchsin- und Safranin-T-Produktion, bei der o-Toluidin verwendet wird, eine statistisch signifikant erhöhte Anzahl von Harnblasenkarzinomen aufwiesen (Rubino et al. 1982). Nitrofurane Verschiedene Derivate des Nitrofurans werden seit Mitte der 40er-Jahre als bakterizide und fungizide Chemotherapeutika in der Human- und Veterinärmedizin eingesetzt. Bei einigen nicht als Chemotherapeutikum eingesetzten Nitrofuran-Derivaten konnte eine ausgeprägte Harnblasenkarzinogenität nachgewiesen werden. So kann N-[4-(5-nitro-2-furyl)-2-thiazolyl]-formamid (FANFT) im Tiermodell eine 100%ige Blasenkarzinominzidenz bei verschiedenen Tieren induzieren (Ertürk et al. 1967, 1970). Von dem seit Jahrzehnten eingesetzten Nitrofurantoin jedoch ist weder eine karzinogene noch eine kokarzinogene Wirkung auf das Urothel bekannt, sodass der Mensch diesbezüglich nicht gefährdet zu sein scheint. Hydroxylierte Aromaten Der hydroxylierte Aromat o-Phenylphenol und sein Natriumsalz Na-o-Phenylphenolat werden in Deutschland als technische Konservierungsmittel und Desinfektionsmittel für Seifen eingesetzt. Zudem sind beide Substanzen für fungistatische Oberflächenbehandlung von Zitrusfrüchten zugelassen (E 231, E 232). o-Phenylphenol kann vom Menschen auch nach beruflicher Exposition im Urin ausgeschieden werden (Dorgelo et al. 1985). Die Karzinogenität des Na-o-Phenylphenolats wurde 1981 aufgedeckt, als 19 von 20 männlichen Ratten nach mehrwöchiger oraler Applikation dieser Substanz Harnblasenkarzinome entwickelten, wohingegen weibliche Ratten wesentlich weniger betroffen waren (Hiraga u. Fujii 1981). Außer bei Ratten erweisen sich o-Phenylphenol und sein Natriumsalz jedoch bei keiner anderen Tierart als blasenkarzinogen (Hasegawa et al. 1990), sodass eine Blasenkarzinogenität beim Menschen fraglich erscheint. Endogener Tryptophanstoffwechsel Tryptophan ist eine essentielle Aminosäure, die über die pflanzliche Nahrung aufgenommen und im Darm beispielsweise von E. coli synthetisiert wird. 3 Tryptophan ist ein wichtiges Substrat für die Proteinbiosynthese z. B. für die Nicotinamidadenindinucleotid-(NAD+-)Synthese. Es wird in der Leber über Zwischenprodukte Vitamin-B6-abhängig in Nikotinsäure umgesetzt. Von 1950 bis 1980 wurde angenommen, dass zwischen dem Abbau des Tryptophans zu Nikotinsäure und der Bildung von Harnblasenkarzinomen ein Zusammenhang besteht, da Blasenkarzinompatienten im Vergleich zu gesunden Personen erheblich größere Mengen an Zwischenprodukten der Nikotinsäuresynthese im Urin ausscheiden und bei 40–70% der Patienten mit Blasenkarzinomen ein abnormer Tryptophanstoffwechsel nachgewiesen werden konnte. Die Ausscheidung von Tryptophanmetaboliten war um das 2- bis 20fache erhöht (Boyland u. Williams 1956; Kochen u. Hochberg 1970). Nach heutigen Erkenntnissen muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die vermehrte Ausscheidung von Tryptophanmetaboliten bei Blasenkarzinompatienten Folge und nicht Ursache des Blasenkarzinoms ist. Die Exkretion von Tryptophanmetaboliten korrelierte mit Harnstauungsnieren und befallenen regionären Lymphknoten, wohingegen Patienten mit lokal begrenztem Blasenkarzinom zu 84% einen normalen Tryptophanstoffwechsel aufwiesen (Wich et al. 1989). Wurden die Blasenkarzinome entfernt, verminderte sich danach die Ausscheidung der Tryptophanmetaboliten bei der Mehrzahl der Patienten (Hochberg 1969). Obwohl Tryptophan und seine Metabolite bei Tieren einen eindeutig promovierenden Effekt auf die Karzinogenese durch Steigerung der Karzinominduktion nach Applikation von aromatischen Aminen und FANFT zeigen, muss ein Zusammenhang zwischen Blasenkarzinom und Tryptophanmetabolismus beim Menschen als unbegründet angesehen werden. Es ist anzunehmen, dass die potentiell promovierende Wirkung der Tryptophanmetabolite in der menschlichen Harnblase aufgrund der geringen Menge im Vergleich zu den Tierexperimenten nicht ausschlaggebend ist. Berufliche Risiken Seit Ende der 60er-Jahre konnten zahlreiche epidemiologische Studien ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko bei Arbeitern einzelner Industriezweige ermitteln. Die Karzinome wurden zwischen 1970 und 1986 diagnostiziert, wobei einige Arbeiter bereits vor 1950 gegenüber dem potentiellen Blasenkarzinogenen beruflich exponiert waren. Die Identifizierung der verschiedenen Karzinogene führte zur Einführung 20 3 Kapitel 3 · Umweltfaktoren als wesentliche Ursache des Blasenkarzinoms und seiner Epidemiologie gesetzlicher Bestimmungen, die eine Reduktion krebserregender Stoffe in der Arbeitsumwelt auferlegten (MAK-Werte). Somit sind die damaligen Arbeitsbedingungen mit den heutigen Verhältnissen in westlichen Industrienationen nicht mehr vergleichbar. In manchen Staaten der 3. Welt und des ehemaligen Ostblocks dürften sich die Belastungen der Arbeiter mit karzinogenen Substanzen seit 1950 jedoch nur geringfügig verändert haben. Für folgende Berufszweige galt/gilt ein erhöhtes Blasenkarzinomrisiko: ▬ Farbstoffindustrie bzw. Industriezweige mit Verwendung von Farbstoffen wie Textilindustrie und Druckindustrie: 1,6- bis 5faches Risiko durch Exposition gegenüber aromatischen Aminen, ▬ Gummiindustrie: 2,2- bis 3,3fach erhöhtes Risiko wegen Exposition gegenüber aromatischen Aminen und Peroxyden, ▬ Plastikindustrie: 2,5- bis 3,4fach wegen aromatischer Amine, ▬ Mineralölindustrie: 2,4- bis 3,5fach wegen aromatischer Kohlenwasserstoffe, ▬ Leder- bzw. Schuhindustrie wegen Verwendung von Azofarbstoffen (Yamaguchi et al. 1991), ▬ Aluminiumindustrie: 2,7fach wegen aromatischer Kohlenwasserstoffe (Theriault et al. 1984). Maler haben durch Azofarbstoffe ein 1,8- bis 2,8fach erhöhtes Blasenkarzinomrisiko, Bergarbeiter wegen des Umgangs mit polyzyklischen aromatischen Aminen und Arsen ein 2,9fach erhöhtes Risiko, LKW-Mechaniker ein 10fach erhöhtes Blasenkarzinomrisiko wegen des Kontakts mit Nitroaromaten im Dieseltreibstoff (Brownson et al. 1987; 69, 79). Krankheitserreger Bakterien 1963 wurden erstmals Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen chronisch rezidivierenden Harnwegsinfekten und der Ausbildung von Blasenkarzinomen beschrieben (Wynder et al. 1963). Eine weitere Studie bestätigte diese Vermutung und ermittelte ein um das doppelt erhöhte Risiko für Harnblasenkarzinome, sofern die Patienten in der Vergangenheit von mehr als drei Harnwegsinfektionen betroffen waren (Kantor et al. 1984). Dieses Risiko scheint bei Männern und Farbigen stärker ausgeprägt zu sein (Dunham et al. 1968) und wird durch regelmäßigen Zigarettenkonsum (La Vecchia et al. 1991) und Exposition gegenüber weiteren Karzinogenen wie Phenacetin (Johansson u. Wahlqvist 1977) zusätzlich erhöht. In Screening-Programmen wurde bei bis zu 10–20% von Paraplegikern mit einer urethralen Selbstkatheterisierung über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren Plattenepithelkarzinome entdeckt (Kaufman et al. 1977; Locke et al. 1985). Die mit der chronischen Irritation durch Katheter einhergehende Plattenepithelmetaplasie des Urothels erklärt zwar das ansonsten äußerst seltene Auftreten von Plattenepithelkarzinomen, nicht jedoch die maligne Entartung. So konnte an Ratten nachgewiesen werden, dass eine Irritation des Blasenurothels die Bildung von makroskopisch sichtbaren Papillomen im Rahmen von Harnwegsinfekten nicht steigern kann (Davies et al. 1984). Vielmehr dürften die durch einige Bakterien gebildeten Nitrosamine eine Induktion der Karzinogenese bewirken, die in direktem Kontakt mit dem metaplastischen Plattenepithel stehen. Viren Von den 60 Typen humaner Papillomaviren (HPV) stehen HPV 16, 18 und 33 im Verdacht, maligne Entartungen zu bewirken (zur Hausen 1989). 1988 wurde bei einer 40-jährigen Patientin mit einem leichten Immundefekt, die vorher an Condylomata acuminata und einem Zervixkarzinom erkrankt war, ein Carcinoma in situ der Harnblase diagnostiziert, in dem HPV 16 nachgewiesen wurde (Kitamura et al. 1988). Ob und in welchem Umfang Papillomaviren eine Induktion der Blasenkarzinogenese bewirken, ist umstritten. Zwar war in zwei Studien in 31% und 62% HPV 16, 18 und 33 in Blasenkarzinomen gegenüber nur 14% in nicht entartetem Blasenurothel nachzuweisen (Anwar et al. 1992; Furihata et al. 1993), in einer anderen Studien jedoch konnte kein Papillomavirus in 100 Biopsaten von Harnblasenkarzinomen detektiert werden (Knowles 1992). Dennoch liegt ein Zusammenhang zwischen Harnblasenkarzinomen und Papillomaviren nahe. Zum einen beeinflussen die HPV-Typen beispielsweise P53. Zum anderen wird auch das vermehrte Auftreten von Harnblasenkarzinomen bei Rindern, die sich von Farnkraut ernähren, auf ein Papillomavirus BPV 2 zurückgeführt (Cmpo et al. 1992). Einen weiteren Hinweis liefert eine epidemiologische Untersuchung, nach der in Ländern mit erhöhten Inzidenzen an Karzinomen der Vagina und Vulva auch vermehrt Harnblasenkarzinome auftreten (Bosch u. Cardis 1990). 21 Iatrogene Karzinogenese Bilharziose 1911 beschieb Ferguson erstmalig einen Zusammenhang zwischen Schistosomainfektion und Blasenkarzinom. Insbesondere in Ägypten, wo die Prävalenz der Bilharziose am höchsten ist, ist das Blasenkarzinom bei Männern der mit Abstand häufigste Tumor, wobei 30% der bösartigen Tumoren ägyptischer Männer in der Harnblase gefunden werden (Aboul Nasr et al. 1986). Ähnliche Zahlen gelten für den Irak. 60–80% der mit Bilharziose assoziierten Harnblasenkarzinome sind Plattenepithelkarzinome. Der Grund ist primär eine aufgrund einer mechanischen Irritation durch Schistosomaeier hervorgerufene Plattenepithelmetaplasie. Darüber hinaus sind bei 90% der Schistosomainfektionen das flüchtige Nitrosamin Dimethylnitrosamin im Urin nachweisbar sowie weitere flüchtige und nichtflüchtige Nitrosamine, möglicherweise als Folge der mit der Bilharziose einhergehenden bakteriellen Infektion (Tricker et al. 1989). Experimentell konnte bei Pavianen gezeigt werden, dass bei Applikation des Nitrosamins Butyl-(4-Hydroxybutyl)nitrosamin in geringer Dosierung nur dann Blasentumoren entstehen, wenn gleichzeitig eine Schistosoma-haematobium-Infektion vorliegt (Hicks et al. 1980). Der Einfluss der Nitrosamine wird auch dadurch deutlich, dass bei 96% der Patienten mit einem Harnblasenkarzinom und Bilharziose durch Dimethylnitrosamin hervorgerufene Methyl-Addukte der Harnblasen-DNA nachgewiesen werden konnten (Badawi et al. 1992). Insofern scheint der Entstehungsmechanismus geklärt als Kombination von mechanischer Irritation und Karzinogenese durch Nitrosamine. Pilze Die vermutlich durch Mykotoxine hervorgerufene Balkannephropathie geht mit einem drastisch erhöhten Risiko für Urothelneoplasien einher. Die Balkannephropathie wurde zwischen 1955 und 1957 entdeckt und tritt in ländlichen Regionen des ehemaligen Jugoslawiens, Bulgariens und Rumäniens auf, die in feuchten, von Überschwemmungen bedrohten Flachebenen an größeren Flüssen liegen. Die Prävalenz der Balkannephropathie liegt in diesen Gegenden zwischen 2% und 10%, wobei Frauen etwa 1,6-mal häufiger erkranken (Ceovic et al. 1992). Bei Patienten mit Balkannephropathie ist das Risiko, an einem Urothelkarzinom zu erkranken, 90fach erhöht, wobei das Blasenkarzinomrisiko 12fach und das Nierenbeckenkarzinomrisiko 60fach erhöht ist 3 (Chernozemsky 1991; Sostaric u. Vukelic 1991). Der Zusammenhang zwischen Balkannephropathie und Blasenkarzinom ist nicht ganz klar. Zur Diskussion stehen anorganische Substanzen wie Silikate, Chrom und Nickel, die in überdurchschnittlich hohen Konzentration in den Flüssen der endemischen Regionen nachgewiesen werden. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass Pilze eine ätiologische Komponente haben. So enthält das Getreide in den endemischen Gebieten jahresabhängig bis zu 40% das Mykotoxin Ochratoxin A, das auch in Seren von Patienten in den endemischen Gebieten in 3fach höherer Konzentration nachzuweisen ist (Pavlovic et al. 1979; Petkova-Bocharova u. Castegnaro 1991). Auf der anderen Seite beschränkt sich die Karzinogenität von Ochratoxin A experimentell auf Niere und Leber (Huff 1991), sodass die Ochratoxine die Urothelneoplasien bei den Patienten mit Balkannephropathien nicht sicher erklären. So könnte auch bei der Balkannephropathie die meist vorhandene Sekundärerkrankung, die chronisch bakterielle Pyelonephritis, über eine Nitrosamininduktion zu Urothelkarzinomen prädisponieren (Vukelic et al. 1992). Iatrogene Karzinogenese Alkylanzien Eine Gruppe von alkylierenden Chemotherapeutika, die Oxazaphosphorine, gelten bei Menschen als gesicherte Harnblasenkarzinogene, wobei auf dem deutschen Markt die drei Derivate Cyclophosphamid, Ifosamid und Trofosfamid zugelassen sind. Neben Knochenmarkdepression, Immunsuppression, Alopezie und gonadaler Dysfunktion bewirken die Oxazaphosphorine eine hämorrhagische Zystitis mit interstieller Fibrose der Harnblase, wobei seit 1970 zunehmend auch Harnblasenkarzinome als Sekundärtumoren nach mehrjähriger zytostatischer Therapie beobachtet wurden. So bildeten sich bei bis 5% der mit Cyclophosphamid behandelten Patienten Blasenkarzinome, was gegenüber der Kontrollpopulation einem 9- bis 11fach erhöhten Risiko entspricht (Fairchild et al. 1979). Insbesondere erkranken diejenigen Patienten an Harnblasenkarzinomen, denen Cyclophosphamid in hohen Dosen über einen längeren Zeitraum verabreicht wurde. Die kumulative Gesamtdosis beträgt durchschnittlich etwa 100 g und die Latenzzeit 7–8 Jahre. Die Karzinome sind überwiegend niedrig differenziert mit einer entsprechend schlechten Prognose (Pedersen-Bjergaard et al. 1988). 22 3 Kapitel 3 · Umweltfaktoren als wesentliche Ursache des Blasenkarzinoms und seiner Epidemiologie Der Mechanismus für die Urotoxizität und Blasenkarzinogenität steht jedoch nicht in Verbindung mit der alkylierenden Wirkung der Oxazaphosphorine, vielmehr konnte der Metabolit, das Acrolein, als verantwortliches Agens identifiziert werden. Die Freisetzung von Acrolein wird durch den Uroprotektor Mesna verhindert, wodurch die urotoxische Wirkung des Cyclophosphamids sowohl beim Menschen als auch tierexperimentell deutlich reduziert werden kann (Schubert 1988). Mittlerweile gilt die Applikation der Oxazaphosphorinchemotherapeutika ohne Mesna als Kunstfehler. Immunsuppression Bei Patienten nach Organtransplantationen mit konsekutiver medikamentöser Immunsuppression wird eine erhöhte Tumorinzidenz beobachtet, die zwischen 1,3% in Deutschland und 19% in Australien und Neuseeland liegt. Werden die überwiegenden Hauttumoren in Australien von der Untersuchung ausgenommen, so erkranken in Australien und Neuseeland etwa 4,3% gegenüber etwa 1% der Nierentransplantierten in Deutschland an malignen Neoplasien (Kälble et al. 1988; Sheil et al. 1987). Unter anderem wird in dieser Personengruppe auch vermehrt das Auftreten von Harnblasen- und Urothelkarzinomen des oberen Harntraktes beobachtet, wobei die Risiken gegenüber der Normalbevölkerung für Harnblasenkarzinome 4fach und Urterkarzinome 500fach erhöht sind (Kälble et al. 1988; Sheil et al. 1987). Wenngleich eine direkte Karzinogenität immunsuppressiver Substanzen wie Azathioprin, Ciclosporin, die sich in einigen Studien als mutagen erwiesen und Chromosomenschäden bei menschlichen Lymphozyten hervorrufen können, nicht ausgeschlossen werden kann, deuten die bisherigen Erkenntnisse darauf hin, dass die Immunsuppression per se die Bildung der Tumoren begünstigt. So besitzen auch Dialysepatienten ein erhöhtes Karzinomrisiko, das durch die terminale Niereninsuffizienz mit konsekutivem Immundefizit erklärt ist (Matas et al. 1977). Phenacetinabusus 1950 fiel den Züricher Ärzten Zollinger und Spühler ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten der chronischen interstitiellen Nephritis und dem langjährigen Konsum von Analgetika auf (Spühler u. Zollinger 1953). Später stellte sich heraus, dass vor allem phenacetinhaltige Mischpräparate für die Nierenveränderungen verantwortlich waren. Obwohl diese Vermutungen seit Ende der 50er-Jahre ausgiebig diskutiert wurden, stieg der Verbrauch an phenacetinhaltigen Schmerzmitteln bis Anfang der 70er-Jahre drastisch an. Beispielsweise wurden allein in Wien im Jahre 1965 schätzungsweise 40 Millionen phenacetinhaltige Tabletten verkauft. Die Ausprägung der sog. Phenacetinnieren ist zeit- und dosisabhängig. Sie werden bei Patienten beobachtet, die in ihrem Leben zwischen 1 kg und mehr als 20 kg dieses Schmerzmittels eingenommen haben. Neben der interstitiellen Nephritis mit entzündlichen Infiltraten und Fibrosierung der Nierenrinde induziert Phenacetin sowohl im Tierversuch als auch beim Menschen Karzinome der ableitenden Harnwege. 8–10% der Patienten mit Phenacetinnieren entwickeln Entartungen des Urothels, die zu über 50% in der Harnblase, zu 25–40% im Nierenbecken und zu 6–20% in den Ureteren lokalisiert sind (McCredie u. Stewart 1988, Mihatsch u. Knusli 1982). Im Gegensatz zur Analgetikanephropathie werden die Malignome des Urothels vermutlich nicht allein durch Phenacetin verursacht. So ist der ungewöhnlich hohe Anteil an Nierenbeckentumoren durch die reine Phenacetinexposition nur schwer zu erklären, da die Kontaktzeit zwischen den renal ausgeschiedenen Karzinogenen und dem Nierenbeckurothel nur sehr kurz ist. So wird auch in diesem Zusammenhang diskutiert, ob die auf dem Boden der durch Phenacetin verursachten Papillennekrosen häufig vorhandenen bakteriellen Superinfektionen über Nitrosaminentstehung karzinogen wirken (Porpaczy 1979). Die bei Phenacetinmissbrauch auftretenden Harnblasenkarzinome wiederum können durchaus durch die Phenacetinmetabolite direkt erklärt werden, da dort eine wesentlich längere Expositionszeit besteht. Dennoch könnte auch hier die Interaktion der bakteriell synthetisierten Nitrosamine mit den Phenacetinmetaboliten das hohe Blasenkarzinomrisiko erklären. Strahlentherapie Das durchschnittliche Risiko von Patientinnen nach Strahlentherapie beispielsweise wegen invasiver Zervixkarzinome, im Laufe ihres Lebens an Blasenkarzinomen zu erkranken, ist gegenüber nicht betroffenen Frauen um das 2- bis 4fache erhöht. Die Strahlenkarzinome haben eine lange Latenzzeit, Patientinnen mit einer Überlebensrate von 20 bis 30 Jahren erkranken 8-mal häufiger an einem Blasenkarzinom (Boice et al. 1985, 1988). Zudem ist eine eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung zu verzeichnen. Werden 23 Süßstoffe die Patientinnen mit über 60 Gy behandelt, ist das Blasenkarzinomrisiko 7fach erhöht. Auch ist das Blasenkrebsrisiko altersabhängig. Es ist 16fach erhöht, wenn die Patientin zu Zeitpunkt der Strahlentherapie 55 Jahre und jünger waren (Boice et al. 1988). Rauchen Epidemiologische Daten lassen vermuten, dass ca. 50% der mittlerweile auftretenden Blasenkarzinome mit durch Rauchen ausgelöst werden (Harris et al. 1990). In einer Matched-Pairs-Analyse, bei der die Paarung anhand der Lebensgewohnheiten erfolgte, ließ sich für Raucher ein durchschnittlich 2- bis 4fach erhöhtes relatives Risiko nachweisen, wobei das Risiko mit der Zeitdauer des Rauchens, dem Zigarettenkonsum pro Tag und der Zahl der insgesamt gerauchten Zigaretten korrelierte. Umgekehrt nimmt das Risiko mit der Zeit seit Beendigung des Rauchens ab. Je später das Rauchen begonnen wurde, desto geringer ist das Karzinomrisiko (LopezAbente et al. 1991; Slattery et al. 1988). Schwarzer Tabak scheint blasenkarzinogener als blonder Tabak (75), filterlose Zigaretten scheinen gefährlicher als Zigaretten mit Filter (Wydner et al. 1988) zu sein. Der Grund für die Blasenkarzinogenität des Zigarettenrauches ist dessen mutagener Inhalt. So lassen sich bei Rauchern 4-mal häufiger DNA-Addukte im Harnblasenurothel im Vergleich zur Normalpopulation nachweisen. Ferner finden sich Nitrosamine, aromatische Amine, aromatische Kohlenwasserstoffe, heterozyklische Amine und Aldehyde im Zigarettenrauch (Cuzick et al. 1990; Garner et al. 1990). Die Ursachen dürften nicht monokausal sein, wobei den aromatischen Aminen eine zentrale Rolle zugesprochen wird. Das aromatische Amin 4-Aminobiphenyl ist wahrscheinlich das relevante Substrat für die DNA-Addukte, der karzinogenere schwarze Tabak enthält aromatische Amine in größerer Konzentration. Es ist zu vermuten, dass die Induktion von Blasenkarzinomen bei Rauchern durch eine Summierung der Effekte einzelner bekannter und nicht bekannter Karzinogene verursacht wird. Süßstoffe Cyclamat Ab 1953 etablierte sich eine Mischung von Cyclamat und Saccharin im Verhältnis 10:1 als synthetischer Süßstoff (Ahmed u. Thomas 1992), wobei 1970 Cyc- 3 lamat auf dem amerikanischen Markt verboten wurde. Ursache für dieses Verbot war die Beobachtung der Blasenkarzinominduktion durch ein CyclamatSaccharin-Gemisch bei Ratten (Oser et al. 1975). In den vergangenen 30 Jahren wurde mehrfach tierexperimentell und epidemiologisch versucht, die Karzinogenität von Cyclamat zu bestätigen, was keiner weiteren Studie mehr gelang (Ahmed u. Thomas 1992; Schmähl u. Habs 1984). Lediglich bei Mäusen induzieren Cyclamate Blasenkarzinome, wenn es in Cholesterinkugeln direkt in die Blasenwand implantiert wird (Bryan u. Ertürk 1970). Insofern scheint Cyclamat prinzipiell in der Lage zu sein, Urothelkarzinome zu promovieren, wobei es bei Menschen nicht als blasenkarzinogen bewiesen ist und allenfalls von einer schwacher Kokarzinogenität des Cyclamats ausgegangen werden kann. Saccharin Die erste Synthese von Saccharin, das 400-mal süßer als Zucker ist, gelang bereits 1879. In großem Umfang wurde es nach dem Ende des 2. Weltkriegs produziert. Wegen des bitteren Nachgeschmackes erfolgte 1953 die Einführung einer Mischung aus Cyclamat und Saccharin im Verhältnis 10:1 als Zuckeraustauschstoff bis zum oben erwähnten Verbot von Cyclamat im Jahr 1970 (Ahmed u. Thomas 1992). Es scheint stärker karzinogen zu sein als Cyclamat. Bei Applikation von Saccharin bei einer trächtigen Ratte und fortgesetzter 2-jähriger Applikation induziert Saccharin bei über 30% des Wurfes Blasenkarzinome und Papillome (Schoenig et al. 1985). Bei Applikation über eine Generation hingegen bewirkt Saccharin keine Blasenkarzinome (Ellwein u. Cohen 1990). In der Kombination von FANFT oder Dibutylnitrosamin mit Saccharin entstehen mehr Blasenkarzinome bei Ratten als bei Applikation der Karzinogene allein (Nakanishi et al. 1980; Sakata et al. 1986). Diese Blasenkarzinogenese wird durch einen basischen UrinpH wie bei Ratten gefördert. Da der Mensch keinen basischen Urin-pH hat, fehlen ihm die Voraussetzungen für eine nennenswerte Blasenkarzinogenese. Dennoch kann ein indirekter Einfluss des Saccharins auf eine Blasenkarzinogenese auch beim Menschen nicht definitiv ausgeschlossen werden. Die zur Verfügung stehenden epidemiologischen Daten wiederum schließen ein Blasenkarzinomrisiko durch Süßstoffe weitgehend aus. Die umfangreichste epidemiologische Studie mit 9000 Probanden konnte keinerlei Risikoerhöhung für die Bildung von Blasenkarzinomen bei einer Exposition 24 Kapitel 3 · Umweltfaktoren als wesentliche Ursache des Blasenkarzinoms und seiner Epidemiologie gegenüber Süßstoffen finden (Hoover u. Strasser 1980). Wahrscheinlich ist der Konsum von Saccharin und Cyclamat beim Menschen zu gering, um eine epidemiologisch fassbare Blasenkarzinominduktion hervorzurufen. 3 Literatur Aboul Nasr AL, Boutros SG, Hussein MH (1986) Cancer occurence in developing countries: Egypt. IARC Sci Publ 75: 37–41 Ahmed FE, Thomas DB (1992) Assessment of the carcinogenicity of the non-nutritive sweetener cyclamate. 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