tb07kern01a 25.01.2007 14:12 Uhr Seite 9 Licht sieht man nicht – die Wahrnehmung von Farbe und Licht DI MMag. Markus Canazei, Dr. Walter Witting; Bartenbach LichtLabor Wann sagen wir, etwas sei „sichtbar“? In stockdunkler Nacht oder in einem völlig verdunkelten Raum ist erfahrungsgemäß nichts außer die Dunkelheit, d.h. die Abwesenheit von Licht „sichtbar“. Bei Hinzutreten von – so genanntem sichtbaren – Licht werden Objekte mehr oder weniger sichtbar. Aber ist dann auch das Licht 'an sich' „sichtbar“? Warum erscheint uns außerhalb der Erdatmosphäre der Weltraum lichtlos schwarz, wo er doch von Licht der irdischen Sonne und der kosmischen Sonnen (Sterne) erfüllt ist? Wir sind gewohnt bzw. wir glauben, das Licht selbst zu sehen, sobald wir irgend etwas sehen. Wenn wir die Quelle des Lichtes nicht sehen und das Licht aus dieser Lichtquelle an nichts in unserem Gesichtsfeld auftrifft und somit nicht in unser Auge gelangt, so können wir dieses Licht, obwohl es im aktuellen Sehraum (Gesichtsfeld) vorhanden ist, nicht sehen. Erst wenn Licht auf ein Material trifft und von dort in unser Auge reflektiert wird, wird das Material respektive der Raum sichtbar. Das heißt: Licht an sich ist nicht sichtbar, Licht macht sichtbar! Licht ist als Ursache der Sichtbarkeit „wahr“-nehmbar, d.h. induktiv als Seinswahrheit erschließbar, aber selbst nicht sichtbar. Ein visueller Raum wird – soweit man überhaupt in der Lage ist, einen Raum zu definieren – durch die ihn begrenzenden Oberflächen bestimmt und wahrnehmbar. Die Betrachtung der Oberflächen ist insofern wichtig, als sie die physikalischen Medien Luft und Licht von der festen Substanz, oder allgemeiner, von reflektierender Substanz, trennen. Das Material bzw. dessen Oberfläche hat in Bezug auf die optische Wahrnehmung den größten Einfluss. Zum Beispiel haben die raumbegrenzenden Oberflächen ein charakteristisches Reflexionsvermögen, das von der Materialbeschaffenheit abhängt. Die Strahlung des an sich nicht sichtbaren primären Lichtes, geprägt durch die Lichtverteilung des Lichtsystems und die Eigenschaften des Leuchtmittels (Spektrum), fällt mit einer bestimmten Beleuchtungsstärke auf die „Oberfläche“ und wird von dieser entsprechend der Materialstruktur moduliert und kommt so als reflektiertes Licht in unser Auge, um schließlich als Leuchtdichte wahrgenommen zu werden. Damit wäre nach der geläufigen Vorstellung der Beleuchtungsvorgang erklärt. Diese Betrachtungsweise beschränkt sich jedoch nur auf die physikalische Strahlenoptik. Wir wissen freilich, dass dieses über das Material reflektierte Licht bereits als strukturiertes Sekundärlicht die Netzhaut des Auges erreicht und die Reizmuster zum Sehen auslöst. Diese bereits „höhere“ Erklärungsebene für visuelle Wahrnehmung betrifft das Gebiet der physiologischen Optik. Unser visueller Raum, den wir definieren wollten, wird indessen erst durch seine ihn begrenzenden Oberflächen „wahrnehmbar“, womit wir uns in die Begriffswelt der ökologischen Optik begeben, die das Licht hauptsächlich als Informationsquelle für die visuelle Wahrnehmung betrachtet. Abb. 1: Licht in Physik, Psychologie und Ökologie Die Ökologie ist Teildisziplin der Biologie und definiert sich als die Wissenschaft von den „Beziehungen des ORGANISMUS“ zur ihn umgebenden Umwelt. In der ökologischen Optik ist der Unterschied zwischen leuchtenden und beleuchteten Flächen ganz entscheidend. K NGRESS Gute Aussichten – Tageslicht in Gebäuden 9 tb07kern01a 25.01.2007 14:12 Uhr Seite 10 Damit können wir Materialoberflächen einer erweiterten Betrachtungsweise unterziehen. In der ökologischen Optik wird zwischen Licht als Strahlung und Licht als Beleuchtung bzw. zwischen leuchtenden und beleuchteten Oberflächen deutlich unterschieden. Strahlungslicht ist die Ursache für Beleuchtung, Umgebungslicht ist die Folge von Beleuchtung. Strahlungslicht hat keine Struktur, Umgebungslicht ist strukturiert. Umgebungslicht ist angewiesen auf eine Umwelt aus Oberflächen. Strahlungslicht ist Energie, Umgebungslicht kann Information sein. Licht wirkt durch das Material – das Material wirkt durch das Licht! Bei der Charakterisierung von Materialien sind zwei wesentliche Beschreibungsbegriffe von Bedeutung, nämlich „Substanz“ und „Oberfläche“. Substanz ist die innere Struktur eines Materials, die z.B. seine Fertigkeit konstituiert, während die Oberfläche ein und derselben Substanz unterschiedlich „bearbeitet“ sein kann, z.B. rau, glatt, glänzend, spiegelnd, diffus usw. Man denke nur an die vielfältigen Möglichkeiten der Oberflächenbehandlung von Holz oder Stein. So kann etwa ein schwarzer Stein durchaus zum Spiegel werden. In lichttechnischer, aber vor allem wahrnehmungspsychologischer bzw. wahrnehmungsökologischer Hinsicht ist es aber nicht so sehr die Substanz, sondern in erster Linie die Beschaffenheit der Oberfläche, die ein Material in „Erscheinung“ treten lässt. Dies hat natürlich auch J.J. Gibson erkannt, indem er schreibt (Zitat p.24 f.): „Es ist die Oberfläche, an der am meisten geschieht. Es ist die Oberfläche, nicht das Innere der Substanz, an der Licht reflektiert oder absorbiert wird. Es ist die Oberfläche, die mit dem Lebewesen in Berührung kommt, nicht das Innere. Es ist die Oberfläche, an der chemische Reaktionen vorwiegend ablaufen. ….. Es ist die Oberfläche, an der die Vibration in das Medium übertragen werden kann“. Abb. 2: Ein Raummilieu entsteht durch Licht und Material. Die Bilder (Abb. 3–6) zeigen, wie das Zusammenwirken von Lichtfarbe und Materialfarbe zu unterschiedlichen Farbwahrnehmungen (Punkte in den „Köpfen“ der Abbildungen) führen. Abb. 3: Wird tageslicht-rotes Material mit weißen und/oder rotem Kunstlicht bestrahlt, so erscheint dieses Material mehr oder weniger ähnlich rot wie bei Tageslicht. Wird tageslicht-rotes Material mit blauem oder grünem Kunstlicht bestrahlt, so erscheint diese Material farblos grau bis schwarz 10 www.ibo.at Abb. 4: Wird tageslicht-grünes Material mit weißem und/oder grünem Kunstlicht bestrahlt, so erscheint dieses Material mehr oder weniger ähnlich grün wie bei Tageslicht. Wird tageslicht-grünes Material mit rotem oder blauem Kunstlicht bestrahlt, so erscheint diese Material farblos grau bis schwarz. tb07kern01a 25.01.2007 14:13 Uhr Seite 11 Abb. 5: Wird tageslicht-weißes Material mit weißem und/oder farbigem Kunstlicht bestrahlt, so erscheint dieses Material mehr oder weniger ähnlich farbig wie das Kunstlicht. Abb. 6: Wird tageslicht-gelbes Material mit rotem Kunstlicht bestrahlt, so erscheint dieses Material mehr oder weniger ähnlich rot. Wird tageslichtgelbes Material mit grünem Kunstlicht bestrahlt, so erscheint dieses Material mehr oder weniger grün. Wird tageslicht-gelbes Material mit blauem Kunstlicht bestrahlt, so erscheint dieses Material farblos grau bis schwarz. Gleiches Objekt in ungleichem Licht (Abb. 7–10) Abb. 7: neutral dunkel Abb. 8: neutral hell Abb. 9: rötlich-warm Abb. 10: bläulich-kalt K NGRESS Gute Aussichten – Tageslicht in Gebäuden 11 tb07kern01a 25.01.2007 14:13 Uhr Seite 12 Vor allem bei der Verwendung von Kunstlicht sind „naturgegebene Verbindungen“ von Helligkeit und Lichtfarbe im Sinne psychologischer Behaglichkeitsgrenzen zu beachten. So gibt es nach der Regel von Kruithoff und Wald (Abb. 11) einen von zwei Kurven eingeschlossenen Bereich, der ein angenehmes Verhältnis von Beleuchtungsstärke und Lichtfarbe kennzeichnet. Lichtmenge und Lichtfarbe müssen abgestimmt sein, um ein behagliches Lichtmilieu zu schaffen ! Abb. 11: Nicht jede Kombination von Lichtfarbe und Lichtmenge wirkt angenehm 12 Das Diagramm macht ersichtlich, dass Licht mit niedriger Farbtemperatur, z.B. Glühlampen- und Halogenglühlampenlicht (2800 bis 3000 K) bereits bei Beleuchtungsstärken von 50–100 Lux als angenehm empfunden wird. Zu hohe Helligkeiten tendieren bei solchen (warmen) Lichtquellen zum Auslösen einer gewissen Unbehaglichkeit. Zu einem niedrigen Beleuchtungsniveau „passt“ demnach der Farbton einer warmweißen Lichtquelle (Glühlampe oder Leuchtstofflampe warmweiß) besser, d.h. er wirkt behaglicher als eine tageslichtweiße Lichtquelle mit sehr hoher Farbtemperatur. Beleuchtungen z.B. durch Leuchtstofflampen mit einer Farbtemperatur von 4000–5000 K (Lichtfarbe hellweiß, tageslicht-weiß) müssen mindestens Beleuchtungsstärken von 300–400 Lux und mehr „liefern“, um als angenehm empfunden zu werden. Umgekehrt soll also mit zunehmendem Beleuchtungsniveau und damit steigenden Leuchtdichten im Gesichtsfeld die Farbtemperatur des Lichtes ansteigen, weil solche Kombinationen von der Urerfahrung her und physiologisch treffender harmonieren. So wie alle Organfunktionen des Menschen mit zunehmendem Alter nachlassen, nimmt auch die Leistungsfähigkeit des Auges mit steigendem Alter ab. Der Grund dafür liegt in einer stetigen Verminderung der Lichtdurchlässigkeit der Augenoptik durch Erstarrung und Trübung der Hornhaut, der Linse und des Glaskörpers im Augeninneren. Die Folge davon ist, dass der Lichtbedarf des Menschen steigt, um dieselbe Sehleistung zu erreichen die ein „junges Auge“ vollbringt. Die Verminderung der Transmissionseigenschaften der menschlichen Augenlinse mit zunehmendem Alter ist dabei nicht nur absolut feststellbar, sondern schreitet für kurze Wellenlängen (blaues Licht) schneller voran als für langwelliges rotes Licht (Abb. 12). Eine altersgerechte Beleuchtung muss also berücksichtigen, dass ab einem Alter von 50-60 Jahren vor allem der Blau-Weiß-Anteil des Lichtes nahezu verdoppelt werden muss, um für Senioren eine ausreichende Lichtmenge zu gewährleisten. www.ibo.at tb07kern01a 25.01.2007 14:14 Uhr Seite 13 Für die gleiche Sehleistung brauchen ältere Menschen bis zu 100% mehr Licht als jüngere! Abb. 12: Der Lichtbedarf steigt mit dem Alter Da das Auge an das ausgewogene Spektrum des Sonnenlichts angepasst ist, kann es „einfärbiges“ (monochromatisches) Licht nur sehr schwer verkraften. Dies gilt für reines Rotlicht und vor allem für reines Blaulicht. Wenn das visuelle System zu lange einer monochromatischen Lichtquelle ausgesetzt ist, kann es zu bleibenden Fehlsichtigkeiten kommen. Allgemein gilt: Unter Blaulicht kann das Auge nicht scharf sehen! Abb. 13: Die Augen älterer Menschen können weniger Licht aufnehmen als die Augen junger Menschen Nur rotes Licht, nur blaues Licht, das mag das Auge nicht! Abb. 14: Monochromatisches Licht (rot-blau) führt zu Fehlsichtigkeiten K NGRESS Abb. 15: Chromostereopsie Gute Aussichten – Tageslicht in Gebäuden 13 tb07kern01a 25.01.2007 14:14 Uhr Seite 14 Zusammenfassung Gutes Licht hat viele Gesichter! Abb. 16: Sieben Kriterien für gutes Licht 14 www.ibo.at