Keine Verlängerung der Lebenszeit, sondern

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Interview mit Dr. med. Dr. Univ. Rom Andrej Zeyfang, Urheber von SGS
Keine Verlängerung der Lebenszeit, sondern Verlängerung der
Lebenszeit mit Lebensqualität
Herr Dr. Zeyfang, 2 Jahre strukturiertes Schulungsprogramm für
geriatrische Patienten: Nahezu 1500 Diabetologinnen und Diabetologen
sowie Diabetesberaterinnen und -berater haben sich bislang für die SGSSchulungen ausbilden lassen. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Natürlich bin ich positiv überrascht und sehr angetan. Die SGS hat zu Recht großen
Zuspruch und weite Verbreitung gefunden, da es ein außergewöhnliches Programm
ist. Wir haben eine absolute Lücke geschlossen, denn es gab vorher kein
Schulungsprogramm, das sich Gedanken darüber gemacht hat, wie man der
enormen Anzahl von älteren Menschen mit Typ-2-Diabetes gerecht werden könnte.
Man hat im Prinzip Schulungsprogramme, die für junge Menschen entwickelt wurden,
unreflektiert auf den alten Menschen angewendet. Das war natürlich nicht erfolgreich
und hat niemanden genützt.
Für welche Patienten ist das SGS geeignet?
Die SGS ist generell für alle Diabetiker über 80 Jahre geeignet aber auch für jüngere
Diabetiker ab 65 Jahre, die bereits multimorbide sind, also gleich unter mehreren
Krankheiten leiden und zum Beispiel Funktionsstörungen wie Einschränkungen beim
Gehen oder beim Denken aufweisen.
Müssen ältere Menschen denn überhaupt geschult werden?
Es ist wirklich so, dass man ältere Menschen bisher vernachlässigt hat, weil man
ihnen keine Schulung zugetraut hat. Ich bin nicht nur Diabetologe sondern auch
Altersmediziner und habe die Erfahrung gemacht, dass sehr viele ältere Menschen
sehr wohl bereit sind, viel Energie und Zeit zu investieren, um ein gesundes Altern zu
erleben. Dabei geht es nicht um das Verlängern der Lebenszeit, sondern um das
Verlängern der Lebenszeit mit Lebensqualität. Die älteren Menschen wollen ihre
Selbstständigkeit bewahren. Für dieses Ziel sind sie bereit zu lernen. Niemand will an
Demenz oder Harninkontinenz leiden oder gar bettlägerig werden und jeder will sich
möglichst körperlich und geistig fit fühlen.
Spielen für Sie auch die Kosten bei der Frage nach einer Schulung eine
Rolle?
Ältere Menschen mit Diabetes verursachen sehr hohe Krankheitskosten, wenn sie
nicht dazu in der Lage sind, zu ihrem Gesunderhalt beizutragen. Dabei geht es nicht
um langfristige Folgeerkrankungen, sondern es geht um näherliegende Probleme,
zum Beispiel um Schlaganfall oder das diabetische Fußsyndrom. Der Patient muss
um den Problembereich Fuß wissen, denn es ist eine klassische Alterserkrankung.
Aber es geht natürlich auch um Ernährung. Dem Patienten muss erklärt werden, dass
er sich nicht mit speziellen Diätprodukten plagen muss, sondern dass er sich gesund
und abwechslungsreich ernähren soll.
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Was ist das Besondere an SGS – warum reichen konventionelle
Schulungen nicht aus?
SGS richtet sich von den Inhalten und von der Didaktik her ganz speziell an den
älteren Menschen. Konventionelle Schulungsprogramme legen großen Wert auf
Wissensvermittlung, z. B. den Mechanismus der Insulinwirkung und -freisetzung. Das
ist schon für junge Leute manchmal schwer zu verstehen. Für den älteren Menschen
stellt das einen überflüssigen Ballast in einer Schulung dar. Diese Inhalte haben wir
deshalb herausgenommen. Wir haben in der SGS komplett auf Fremdwörter
verzichtet und damit den Inhalt für den älteren Menschen einfacher und
verständlicher gestaltet. Die Beispiele, anhand derer gelernt wird, sind aus dem
Alltag der älteren Menschen. Unsere Motivation und unsere EmpowermentVermittlung zielt nicht auf Abstraktes ab wie Folgeerkrankungen in 10 Jahren,
sondern auf die Verbesserung der momentanen Lebenssituation: weniger
Schwindelgefühl haben, das Gedächtnis verbessern zu können oder weniger Stürze
zu erleben. Das versteht der ältere Mensch sofort, das macht Mut, das motiviert.
Gibt es thematische Unterschiede bei der Schulung jüngerer und älterer
Diabetiker?
Bei jüngeren Menschen ist zum Beispiel Übergewicht das Hauptproblem, deshalb
zielen die Schulungsprogramme alle auf das Thema Gewichtsreduktion ab. Beim
alten Menschen haben wir oft sogar das Gegenteil. Er ist in einer Lebensphase, in
der er gegen das Gebrechlich-werden ankämpft. Die richtige Kaloriendichte und
gesunde Ernährung müssen also einen zentralen Punkt darstellen.
Wie sieht eine Unterrichtseinheit der SGS aus?
Nicht nur die Inhalte sind auf die Wünsche und Ziele des alten Menschen
abgestimmt, sondern auch die Didaktik der SGS ist seniorengerecht. Es gibt einen
Leitfaden, der vorgibt, dass die Inhalte der 7 Unterrichtseinheiten so gegliedert
werden, dass das Gespräch im Vordergrund steht.
Es wird in Kleingruppen von 4 – 6 Personen gearbeitet und die Patienten werden
aufgefordert unter Moderation ihre Erfahrungen untereinander auszutauschen. Damit
findet ein Lernen auf Augenhöhe statt. Das ist etwas ganz neues, was die anderen
Schulungskonzepte so nicht vorsehen. Die erste Viertelstunde der 45-minütigen
Unterrichtseinheit ist ein Wiederholen der Lerninhalte der vorhergehenden Stunde.
Diese Wiederholung findet in der Diskussion untereinander statt. Die nächste
Viertelstunde ist die Wissensvermittlung der neuen Inhalte und die letzte
Viertelstunde ist wieder eine Wiederholung des eben Gelernten – es gibt also sehr
viele Wiederholungselemente und dazu viele Praxiselemente.
Gibt es bereits einen Nachweis für den Erfolg der SGS?
Wir haben eine Evaluationsstudie durchgeführt mit Patienten, die über 65 Jahre alt
und multimorbide waren, in welcher die SGS mit einem etablierten
Schulungsprogramm verglichen wurde.
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Die Evaluation zeigte, dass die SGS ebenbürtig ist und mit ihr eine signifikante
HbA1c-Senkung erreicht werden kann. Wir konnten signifikante Lernerfolge, den
Rückgang von Unterzuckerungen und eine Verbesserung der
Selbstmanagementfähigkeit, also eigenständig Insulin spritzen und
Blutzuckermessen, feststellen. Die Studie wird in der international renommierten
Zeitschrift „Age and Aging“ publiziert.
Sie haben an der Leitlinie Diabetes im Alter der DDG mitgearbeitet. Wie
ergänzen sich die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Geriatrie
und die SGS?
25 – 33 % der älteren Menschen haben ein metabolisches Syndrom, das heißt jeder
Vierte über 75 Jahren ist betroffen. Im Jahre 2002 wurde die Arbeitsgemeinschaft
Diabetes und Geriatrie in der DDG gegründet, die ich seither leite. Wir haben
verschiedene Projekte, aber eines der wichtigsten Ziele war die evidenzbasierte
Leitlinie „Diabetes im Alter“. Diese wurde 2004 publiziert. Gleichzeitig wurde in der
AG das Thema ältere Patienten und die zur Verfügung stehenden ungeeigneten
Schulungen aufgegriffen. Ein Arbeitskreis bestehend aus Diabetologen,
Diabetesberatern, Geriatern, Altenpflegekräften, Pädagogen und Psychologen hat
dann die SGS entwickelt. Von Anfang an wurden wir von der DDG und der Firma
Berlin-Chemie unterstützt, wodurch die Entwicklung der SGS erst möglich wurde –
dafür an dieser Stelle herzlichen Dank.
Natürlich ging die Leitlinienarbeit und die SGS Hand in Hand. Das heißt alle
Vorgaben und Aussagen der SGS basieren auf den modernen Erkenntnissen der
evidenzbasierten Leitlinie.
Wie geht es weiter, was werden die nächsten Schritte sein?
Ursprünglich war geplant, dass die Seminare zur Ausbildung der Ärzte und
Diabetesberater erst einmal im Jahr 2007 durchgeführt werden. Da die Nachfrage so
hoch war, hatte BERLIN-CHEMIE beschlossen, auch im Jahr 2008 weiterhin
Ausbildungsseminare durchzuführen, damit noch mehr Multiplikatoren zur Verfügung
stehen und noch mehr Patienten davon profitieren können. BERLIN-CHEMIE wird
auch im Jahr 2009 weiterhin Seminare anbieten. Weiterhin haben wir jetzt auch
Anfragen von verschiedenen Krankenkassen bekommen, die SGS außerhalb des
DMPs durchführen wollen, weil sie erkannt haben, wie wichtig der Stellenwert einer
strukturierten Schulung gerade für ältere Menschen mit Diabetes ist.
Zudem versuchen wir stets die SGS auf dem neuesten Stand zu halten. SGS ist
keine statische Sache, sondern befindet sich in einem positiven
Weiterentwicklungsprozess. Aktuell sind zum Beispiel weitere motorische
Lernmaterialen geplant, um das Lernen noch mehr zu erleichtern. - Sie dürfen
gespannt sein.
Das Interview wurde im Auftrag der Firma BERLIN-CHEMIE geführt.
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