DEVELOPMENT DEVELOPMENT SOLUTIONS SOLUTIONS Standardisierte Architekturen im Vormarsch Dr.-Ing. Thomas Scharnhorst (57) hat in Berlin physikalische Ingenieurwissenschaften studiert, danach schloss sich ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik am MIT in den USA an. Nach der Promotion begann 1980 seine berufliche Karriere als Berechnungsingenieur in der Aggregate-Entwicklung bei Volkswagen. Zehn Jahre später leitete Dr. Scharnhorst vier Jahre lang die Fahrzeugforschung. Danach übernahm er die Konstruktionsabteilung für Elektrik/ Elektronik und anschließend die Fahrzeugsystemelektronik. Seit 2005 ist Dr. Scharnhorst verantwortlich für E/E-Architekturen und Konzepte bei Volkswagen und Geschäftsführer der Volkswagen-Tochter Carmeq GmbH. AUTOSAR ermöglicht die Wiederverwendung bewährter Komponenten durch Standardisierung AUTOSAR (Automotive Open System Architecture) ist eine Entwicklungspartnerschaft von Automobilherstellern, Zulieferern und Tool-Anbietern, die einen Industriestandard für die On-Board-Software-Architektur schaffen will. RealTimes befragte Dr.-Ing Thomas Scharnhorst, bei Volkswagen in Wolfsburg für die Entwicklung der E/E-Architekturen und Konzepte verantwortlich und zusätzlich Sprecher von AUTOSAR, zu den Zielen von AUTOSAR und den neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen OEM und Zulieferern. W as waren die Gründe für ein Projekt wie AUTOSAR? Die noch vor einigen Jahren vorherrschende komponentenorientierte Sichtweise wird vermehrt von einer Eigenschafts- oder Funktionsorientierung abgelöst. Dieser Trend erfordert auf der Fahrzeugsystemebene Gestaltungsmöglichkeiten, die der Begriff „Systems Engineering“ am besten beschreibt. Wir suchen also nicht die Optimierung der einzelnen Komponenten oder Steuergeräte, sondern streben die Optimierung der Systemebene an. Das erfordert zwingend sowohl ein offenes Konzept als auch Elektrik- und Elektronikarchitekturen mit skalierbaren Eigenschaften und Funktionen, die von einem Steuergerät zum anderen transferiert werden können. OEM 1 Da kein Automobilhersteller oder Zulieferer diese grundlegende Änderung der Elektrik- und Elektronikarchitektur alleine bewerkstelligen kann, haben sich die führenden Unternehmen in AUTOSAR zusammengefunden. Wesentlicher Gedanke ist, durch Wiederverwendung von Soft- und Hardwarekomponenten die steigende Komplexität zukünftiger Fahrzeugsysteme zu beherrschen. einem Konzept, Funktionen – unabhängig von ihrer späteren Realisierung – durch entsprechende Lastenhefte und Werkzeuge zu beschreiben. Um diese Vorteile nutzen zu können, sind weltweit standardisierte Schnittstellen eine unabdingbare Voraussetzung. Also keine Markenstandards für Volkswagen, keine Konzernstandards zusammen mit Audi, SEAT oder Skoda – sondern offene Industriestandards. Wer sind die Mitglieder von AUTOSAR? Die so genannten Core Partners sind BMW, Bosch, Continental, DaimlerChrysler, Ford, Opel (GM), PSA, Siemens, Toyota und Volkswagen. Daneben gibt es 46 Premium Members und 16 Associate Members, sodass fast alle Automobilhersteller, viele Tier1Zulieferer und Software-Häuser sowie Halbleiterhersteller repräsentiert sind. Welche Systemfunktionen und Schnittstellen sollten durch AUTOSAR vordringlich standardisiert werden? Es gibt zwei Schwerpunkte. Die Standardisierung der Basic-Software ist ein wesentliches Element. OSEK sowie die Herstellerinitiative Software (HIS) haben damit bereits begonnen, AUTOSAR greift das Thema auf und führt es mit allen Partnern auf den unterschiedlichen Ebenen weiter. Da auch die Halbleiterindustrie Mitglied bei AUTOSAR ist, werden in diesem Gremium zum Beispiel auch die Schnittstellen der Prozessoren zu den Treibern einheitlich festgelegt. Weitere Einzelmodule des Basic-Softwarecores sind beispielsweise das Netzwerkmanagement, der Kommunikationsstack oder der Hardware Abstraction Layer. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aufgaben in Hinsicht auf standardisierte Schnittstellen und Systemfunktionen? Gegenwärtig sind die Software und Hardware noch nicht klar voneinander getrennt und die Funktionsbausteine noch nicht herstellerübergreifend modularisiert. Das wird ein Ziel sein. Außerdem arbeitet Volkswagen an 10 RT 2 . 2 0 0 5 OEM n Plattform n.1 Plattform n.2 Plattform n.n Plattform 1.1 Plattform 1.2 Plattform 1.n Zulieferer A Fahrwerk Sicherheit Aufbau/Komfort Multimedia Austauschbarkeit zwischen den Herstellern Zulieferer B Fahrwerk Sicherheit Telematik Multimedia Zulieferer C Aufbau/Komfort Antriebsstrang Telematik Multimedia Plattform 2.1 Plattform 2.2 Plattform 2.n Austauschbarkeit zwischen Lösungen verschiedener Zulieferer OEM m Austauschbarkeit OEM 2 Eine Schicht darüber müssen natürlich auch die Funktionsschnittstellen, die an das sog. Runtime Environment andocken, standardisiert werden. Mehrere Arbeitsgruppen von AUTOSAR legen für diese Funktionsumfänge ebenfalls standardisierte Schnittstellen fest. Ein spezielles Systemteam unterstützt die Arbeitsgruppen und gewährleistet dadurch eine einheitliche Vorgehensweise über alle Funktionsbereiche. Komplexitätsmanagement bei E/E-Architekturen durch verstärkte Wiederverwendung und Austauschbarkeit von SW-Komponenten. zwischen Fahrzeugplattformen Könnte dieser Standard-Softwarecore die erste Anwendung von AUTOSAR sein, die in Serie geht? In der Version 1.0 sind die wesentlichen Umfänge des Basic-Softwarecores erstmals spezifiziert und werden in Prototypen getestet. Von daher wird dieser Standardcore das erste wahrnehmbare Produkt sein. Darüber hinaus wird es recht früh auch schon Werkzeuge auf der Funktionsebene geben, die aber nicht so augenfällig wie der Standardcore sein werden. Plattform m.1 Plattform m.2 Plattform m.n Wann rechnen Sie bei VW mit ersten AUTOSAR-Produkten in der Serie? 2006 wird AUTOSAR die technologische Industriereife erreichen, dann erfolgt die fahrzeugbezogene Umsetzung. Ich rechne damit, dass 2009 im Volkswagen-Konzern erste Steuergeräte auf dem AUTOSAR-Standard aufbauen und das Netzwerkmanagement in den betreffenden Fahrzeugen einheitlich sein wird. Es wird auf jeden Fall eine Migration zwischen alter und neuer Technik geben. ➔ ■ 11 2 0 0 5 . 2 RT DEVELOPMENT DEVELOPMENT SOLUTIONS SOLUTIONS 10 Core Partners 16 Associate Members Actuator Software Component Application Software Component AUTOSAR Interface AUTOSAR Interface Sensor Software Component AUTOSAR Interface AUTOSAR Software Application Software Component AUTOSAR Interface AUTOSAR Software Component .................................. 46 Premium Members AUTOSAR Runtime Environment (RTE) Interface Standardized AUTOSAR Interface Standardized Interface Services General OEM Damit ist absehbar, dass die jetzigen Elektronikarchitekturen sukzessive ersetzt werden ... Volkswagen hat bereits einen Standardcore im Konzern, wir nutzen OSEK als Betriebssystem und haben ein einheitliches Netzwerkmanagement. Diese Strukturen werden durch AUTOSAR allerdings erweitert und überarbeitet, auch wenn sich die zu Grunde liegenden Schichtenmodelle nicht grundsätzlich unterscheiden. Wenn 2008 oder 2009 erste standardisierte AUTOSAR-Produkte auf den Markt kommen, könnte das doch den Wettbewerb erheblich einschränken und die bisherigen Geschäftsmodelle zwischen Herstellern und Lieferanten modifizieren ... Das heute bestehende Geschäftsmodell, dass jeder Automobilhersteller mit seinen Lieferanten individuelle Vereinbarungen trifft, bleibt sicherlich erhalten. Was sich ändern wird, ist der Detaillierungsgrad und Umfang, den die Vorgaben der Automobilhersteller an die Zulieferer haben werden. 12 RT 2 . 2 0 0 5 Software Aber auch die Zulieferindustrie zieht einen Vorteil daraus. Sie muss nicht mehr für jeden OEM einzelne Softwareteams unterhalten. Mittelfristig sorgt die gemeinsame Architektur dann auf beiden Seiten für Einsparungen und Effizienzsteigerungen. Was neu sein wird: Ähnlich wie bei OSEK wird jedes Basis-Softwaremodul mit einem Testprozess auf AUTOSARKonformität geprüft. Nur wenn die Software den von AUTOSAR aufgestellten Spezifikationen entspricht, erhält sie ein Testat. Für die SoftwareEntwickler ist daher eine AUTOSARMitgliedschaft sinnvoll, da sie dadurch Zugang zu den Spezifikationen haben. Wenn Soft- und Hardware als zwei unterschiedliche Produkte auf dem Markt agieren, ist es doch auch möglich, dass Wettbewerber verschiedene Softwaremodule für ein Steuergerät liefern? Das ist gängige Praxis. Ein Beispiel: Die Software für ein ReifendruckÜberwachungssystem vom Zulieferer A wird in ein Komfortsteuergerät integriert, da dort zum Beispiel für die Funkfernbedienung bereits generische Elemente vorhanden sind. Die Schnittstelle „Funk“ wird sowohl für die Fernbedienung als auch für die Übermittlung der Reifendruckdaten genutzt. Diese gängige Praxis greift AUTOSAR auf und wird sie wirtschaftlich und auch qualitativ weiter optimieren. Tools Semiconductors Wie geht es in der Software-Entwicklung weiter? Wird die Integration der Software durch einen von der Hardware unabhängigen Zulieferer bald alltäglich? Dieser Vorgang ist teilweise schon Realität. Natürlich wird ein Unternehmen wie VW bestimmte SoftwareUmfänge – wie etwa Schaltprogramme für Getriebesteuerungen – auch weiterhin selbst entwickeln, um seine Markenidentität zu untermauern. Aber wir geben auch einige Funktionen gezielt nach außen und lassen sie von Zulieferern entwickeln. Das Modell mit einem verantwortlichen Systemlieferanten sehe ich als das beste an. Dieser Zulieferer integriert die einzelnen Softwaremodule und erledigt auch die Systemintegrationstests. Im Volkswagen-Konzern gibt es dazu noch keine endgültige Meinung. Ich glaube, dass die Automobilhersteller relativ zurückhaltend an die Thematik herangehen werden, weil die Lieferanten bei der SoftwareIntegration viel Erfahrung haben. Standardized Interface Operating System AUTOSAR Interface Communication ECU Abstraction Standardized Interface Standardized Interface Standardized Interface Zu den AUTOSARMitgliedern gehören Fahrzeughersteller und Zulieferer aus aller Welt. Generic Tier 1 Standardized Interface AUTOSAR Interface ECU Firmware Complex Device Drivers Standardized Interface Basic Software Microcontroller Abstraction Standard Software ECU Hardware Welche weiteren Prozessmodelle könnten Sie sich noch vorstellen? Das hängt im Einzelfall davon ab, welches Ziel – wirtschaftlich oder technisch – für ein konkretes Projekt definiert ist. Volkswagen wird sich da wahrscheinlich für ein konservatives Vorgehen entscheiden. Wir werden wohl nicht in einem überraschend großen Umfang die Funktionssoftware für ein Steuergerät selbst entwickeln, sondern uns auf einige markenprägende Module konzentrieren, die wir dann mit einem erfahrenen Systemintegrator integrieren. Wird Volkswagen in einigen Projekten die Systemverantwortung für die Software-Integration übernehmen? Mit einem Partner, der auf dem jeweiligen Fachgebiet bei Projektmanagement und Prozessen spezielles Knowhow hat, kann ich mir das vorstellen. Zertifizierungs- oder Qualifizierungssysteme. Für Projekt- und Risikomanagement und die Entwicklung von Elektronik gibt es bereits leistungsfähige Zertifizierungssysteme. Sie bekommen ohne Zweifel im Rahmen der AUTOSAR-Initiative zusätzliche Bedeutung und Wichtigkeit. Definiert AUTOSAR bestimmte Standards für die Prozesssicherheit und das Projektmanagement der Zulieferer und ist daran gedacht, diese zu zertifizieren? Ein Zertifikat für die Prozessfähigkeit ist bei AUTOSAR derzeit nicht angedacht. Allerdings sollten die Zulieferer schon eine hohe Kompetenz bei Entwicklungsprozessen aufweisen, wir als Automobilhersteller legen darauf großen Wert. Unabdingbar ist dafür ein Funktionsarchitekt, der speziell für die Integration der verschiedenen Einzelmodule zuständig ist. Hier entwickelt AUTOSAR aber keine eigenen Die Rolle des Systemintegrators hat zentrale Bedeutung. Müssten nicht die Automobilhersteller dies als Kernkompetenz ansehen? Das komplette Systems Engineering ist und bleibt OEM-Kompetenz. Für den Test von einzelnen Steuergeräten in der Konzept- und Erprobungsphase ist die Zulieferindustrie zuständig. AUTOSAR SteuergeräteSoftwareArchitektur. 13 2 0 0 5 . 2 RT