23. Kardiologisches Seminar Süd 17./18.3.2016 Ulm/Neu-Ulm Das Notfall-EKG Dr. med. Alexander Pott Zentrum für Innere Medizin · Klinik für Innere Medizin II Kardiologie · Angiologie · Pneumologie · Internistische Intensivmedizin EKG-Einführung Diagnostik im Notfall muss… ▪ Schnell ▪ Sicher und zuverlässig ▪ Überall verfügbar ▪ Sowie bezahlbar sein Gliederung Das EKG liefert im Notfall entscheidende Hinweise bei: 1. Rhythmusstörungen 2. Myokardinfarkt 3. Lungenarterienembolie 4. Elektrolytstörungen 5. Medikamentenintoxikation 6. Long-QT-Syndrom Das Reizleitungssystem - Grundlagen Grundlagen der Elektrokardiographie P-Welle ST-Strecke PQ-Strecke T-Welle QRS-Komplex Erregungsbildung- und Ausbreitung Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=438140 Die verschiedenen Taktgeber des Herzens 1. Sinusknoten: HF: 60 – 80/min 2. AV-Knoten: HF: 60 – 40/min 3. Ventrikuläres Myokard: 40 – 20/min Bei Ausfall des übergeordneten Taktgebers springen die nachgeordneten Erregungszentren als Sicherheitssystem ein. Einteilung der Arrhythmien Arrhythmie Langsam vs. schnell Regelmäßig vs. unregelmäßig Supraventrikulär vs. ventrikulär Einteilung der Arrhythmien Bradykarde Herzrhythmusstörungen <60/min (Normofrequente Herzrhythmusstörungen) 60-100/min Tachykarde Herzrhythmusstörungen >100/min Langsame Herzrhythmusstörungen Sinusbradykardie/Sick-Sinus-Syndrom Störung der Erregungsbildung AV-Block Störung der Überleitung Bradyarrhthmia absoluta Sick-Sinus-Syndrom – Sinusbradykardie ▪ HF < 60/min ▪ primäre Erregung aus dem Sinusknoten => p-Wellen ▪ Intakte AV-Überleitung ▪ Im Extremfall Ersatzrhythmus nachweisbar ▪ Klinik: Schwindel, Müdigkeit, Leistungsabnahme ▪ Ursache: Degenerativ, Infarkt, Sklerose des Vorhofs, sehr selten angeboren (genetisch) 25mm/s. (1 großes Kästchen = 200 msec.) Sick-Sinus-Syndrom – Sinusarrest/-block Sinusarrest: totaler Ausfall der Sinusknotenaktivität Sinusblock: Erregung aus dem Sinusknoten wird nicht auf umliegendes Myokard weitergeleitet Take-Home-Messages: Sick-Sinus-Syndrom ▪ permanente Sinusbradykardie ▪ Sinusbradyarrhythmie ▪ Ausfall des Sinusknotens ▪ z.T. junktionaler Ersatzrhythmus ▪ Klinik: Synkopen, Schwindel, Leistungsknick ▪ Therapie: 1. Absetzen bradykardisierender Medikamente 2. ggf. Schrittmacherimplantation Überleitungsstörungen: AV-Block Überleitung von Vorhof auf Kammer ist gestört Überleitungsstörungen: AV-Block I° Gutartige Herzrhythmusstörung – prognostisch keine Relevanz 0,3 sec Keine Behandlung notwendig Überleitungsstörungen: AV-Block II° AV-Block II° - Mobitz I: 1. Zunahme der PQ-Zeit 2. periodischer Ausfall der Überleitung Gutartige Herzrhythmusstörung – Behandlung nur bei Beschwerden Überleitungsstörungen: AV-Block II° Erhöhtes Risiko für Übergang in einen totalen AV-Block AV-Block II° - Mobitz II: 1. Gleichbleibende PQ-Zeit 2. Überleitung jeder 2. oder 3. Vorhoferregung Überleitungsstörungen: AV-Block III° Dissoziation von Vorhof und Kammer Regelmäßige Vorhoferregung ohne Weiterleitung in Kammer Notfall-Situation: Elektrisches oder pharmakologisches Pacing! Take-Home-Message: AV-Block I° und II° (Mobitz I) ▪ Lokalisation im AV-Knoten („suprahissär“) ▪ Ursache meist Vagotonus ▪ Oft bei jungen Menschen oder Sportlern in Ruhe ▪ Praktisch niemals Ursache eines Notfalls ▪ In der Regel nicht therapiebedürftig Take-Home-Message: AV-Block II°(Mobitz II) und III° ▪ Lokalisation auf HIS-Bündel/Tawara-Schenkel-Ebene („infrahissär“) ▪ Ursache meist degenerativ ▪ Häufigste bradykarde Rhythmusstörung im Notfall ▪ Eventuell externe Schrittmacherstimulation ▪ Immer stationäre Abklärung (-> ggf. Myokardinfarkt!) Fragen? Tachykarde Herzrhythmusstörung Schnelle Arrhythmien Regelmäßig vs. unregelmäßig Supraventrikulär vs. ventrikulär Tachykarde Herzrhythmusstörungen Tachykardie (HF >100/min) Supraventrikulär meist schmale QRS Ventrikulär immer breite QRS Regelmäßig Sinustachykardie AVNRT Unregel-mäßig AVRT Atriale Tachykardie Vorhof-flattern Vorhofflimmern Supraventrikuläre Tachykardien Unregelmäßig: Vorhofflimmern „halbwegs“ regelmäßig: Vorhofflattern, atriale Tachykardie Regelmäßig: AV-Knoten-Reentry-Tachykardie und AV-Reentry-Tachykardie Vorhofflimmern ▪ häufigste Herzrhythmusstörung in den westlichen Industrienationen ▪ unkoordinierte Vorhoferregung (Flimmerwellen), p-Welle nicht abgrenzbar ▪ auch absolute Arrhythmie genannt, da Überleitung auf Kammer absolut unregelmäßig ist Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=438140 Vorhofflimmern RR-Abstand RR-Abstand Absolut arrhythmisch = Arrhythmia absoluta Supraventrikuläre Tachykardie ▪ AVNRT mit über 90% häufigste Form ▪ Vorhofflattern häufig ▪ Fokale atriale Tachykardie selten ▪ WPW-Syndrom sehr selten ▪ Zur Unterscheidung im EKG: Adenosintest Supraventrikuläre Tachykardien ▪ Gutartige schnelle Herzrhythmusstörung aus den Vorhöfen ▪ Regelmäßig und schmal ▪ Oft selbstlimitierend, oder durch ▪ Durch Vagusreiz (kaltes Wasser, Valsalva-Manöver) terminierbar ▪ In der Regel hämodynamisch stabil ▪ Therapie: 1. Adenosin (???) 2. Ablation Vorhofflattern Kreisende Erregung im Bereich der Vorhöfe mit F ~ 280 - 320/min Fortlaufender Wechsel von Erregungsausbreitung und Erregungsrückbildung Typisch vs. atypisch Typisches Vorhofflattern Kreisende Erregung im Bereich des rechten Vorhofs Die Vorhoferregung bezieht immer den cavottrikuspidalen Isthmus (CTI) mit ein Im EKG: neg. p-Wellen in II, III und aVF „Sägezahnmuster“ Nicht jede Vorhoferregung wird übergeleitet (2:1, 3:1, etc.) Typisches Vorhofflattern: 4:1 Überleitung 400 msec Cavot-trikuspidaler Isthmus AF: 330/min HF: 83/min Als atypisches Vorhofflattern werden alle Formen des Vorhofflatterns bezeichnet, die nicht den CTI durchlaufen. Ektope atriale Tachykardie (EAT) Im Gegensatz zum Vorhofflattern liegt bei der EAT keine kreisende Erregung vor Bei der EAT liegt ein zusätzliches fokales Erregungszentrum, welches mit einer höheren Frequenz als der Sinusknoten den Vorhof erregt. P-Wellen sind sichtbar, meistens wird nur jede 2. oder 3. Vorhoferregung übergeleitet Vorhoffrequenz << 280/min Ektope atriale Tachykardie Zusätzliches fokales Erregungszentrum mit höheren Frequenz als der Sinusknoten Ektope atriale Tachykardie - EKG P-Welle 230 ms. 480 ms. Vorhoffrequenz: 60.000/240msec.=250/min Kammerfrequenz: 60.000/480msec.= 125/min 240 ms. AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT) ▪ Es existieren 2 Bahnen im AV-Knoten (slowund fast-Pathway) ▪ Meistens: Leitung über den slow-Pathway in die Kammer und retrograde Leitung in den Vorhof über den fast-pathway ▪ „Elektrischer Kurzschluss“ = kreisende Erregung ▪ Vorhoferregung retrograd aus der Kammer Quelle: www.en.ecgpedia.org AVNRT - EKG ▪ Regelmäßige Schmalkomplex tachykardie ▪ HF: 180/min (CL ~ 340msec.) ▪ Keine P-Wellen abgrenzbar Schreibgeschwindigkeit: 50mm/s AV-Reentry-Tachykardie – WPW-Syndrom ▪ Akzessorische Leitungsbahn von Atrium zum Ventrikel ▪ Orthodrome Reentrytachykardie: - antegrad über AV-Knoten - retrograd über akzessorische Leitungsbahn - in der Regel Schmalkomplextachykardie - keine delta-Welle ▪ Antidrome Reentrytachykardie: - antegrad über akzessorische Bahn - vorzeitige Erregung des Ventrikels - daher breiter QRS-Komplex - delta-Welle - retrograd über AV-Knoten AVRT - EKG Breitkomplextachykardie 1. Breiter QRS-Komplex 2. Regelmäßig 3. delta-Welle 4. Antidrome Leitung Fragen? Ventrikuläre Herzrhythmusstörungen Tachykardie Supraventrikulär Ventrikulär Monomorph Polymorph Polymorphe VT Torsade-dePointes Kammerflimmern Einteilung ventrikulärer Tachykardien Ursprung kann sowohl der rechte als auch der linke Ventrikel sein: ▪ Monomorphe ventrikuläre Tachykardien ▪ Polymorphe ventrikuläre Tachykardien ▪ Torsade-de-pointes Tachykardien ▪ Kammerflimmern Ventrikuläre Herzrhythmusstörungen ▪ immer Tachykardien ▪ da aus dem Ventrikel stammend immer breiter QRS-Komplex ▪ prognostisch ungünstig; d.h. erhöhtes Risiko für Sekundenherztod ▪ gehäuftes Auftreten bei Patienten mit schlechter Pumpfunktion Ventrikuläre Tachykardie – Ursachen ▪ akute Myokardischämie – Myokardinfarkt (-> meist polymorphe VT) ▪ eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion (-> monomorphe VT, VF) ▪ Kardiomyopathien (DCM, HCM, ARVC) (alle VT Varianten) ▪ Angeborene Ionenkanaldefekte (Long-QT, Short-QT, Brugada, CPVT, etc.) (-> polymorphe VT, Torsade-de-pointes-Tachykardie, Kammerflimmern) ▪ Selten: gutartige Tachykardien ohne strukturelle Herzerkrankung: RVOT/LVOT-Tachykardie; faszikuläre VT (-> monomorphe VT) Monomorphe ventrikuläre Tachykardie ▪ regelmäßig ▪ breiter QRS-Komplex ▪ Herzfrequenz > 100/min ▪ Vorhof und Kammer werden unabhängig voneinander erregt ▪ CAVE: Verwechselungsgefahr mit SVT und Blockbild Monomorphe ventrikuläre Tachykardie Hämodynamisch stabil (RRs <90 mmHg)? Ja? – Antiarrhythmika Nein? – elektr. Kardioversion Supraventrikuläre Tachykardie + Blockbild Bis zum Beweis des Gegenteils immer von einer VT ausgehen! Polymorphe ventrikuläre Tachykardie ▪ Ursprungsort der Tachykardie wechselt ▪ Daher entstehen verschiedene Vektoren und damit Sonderform der polymorphen VT: Torsade-de-Pointes-Tachykardie ▪ Verschiedenartige QRSKomplexe ▪ Hämodynamisch eher instabil Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6088248 Kammerflimmern - Sekundenherztod ▪ Herzfrequenz > 300/min ▪ chaotische Erregung und Kontraktion des Ventrikels ▪ funktioneller Herzstillstand => kardiogener Schock ▪ führt unbehandelt zum Tod ▪Therapie: sofortige Kardiopulmonale Reanimation Take-Home-Messages: Ventrikuläre Tachykardie Breitkomplextachkardie ▪ Bis zum Beweis des Gegenteils als VT behandeln ▪ 12-Kanal-EKG schreiben ▪ Bei hämodynamischer Instabilität elektrische Kardioversion ▪ Bei hämodynamischer Stabilität Termination durch Antiarrhythmika wie Ajmalin oder Amiodaron ▪ Immer weitere Abklärung (Koronarstatus, Elektrolyte, QT-Intervall, Echo)! Fragen? Das Infarkt-EKG Akutes Koronarsyndrom - Einteilung Thoraxschmerz + + + Troponin + + - ST-Hebungen + - - Akutes Koronarsyndrom Myokardinfarkt STHebungsinfarkt (STEMI) Nicht-STHebungsinfarkt (NSTEMI) ACS ohne Infarkt Instabile Angina pectoris (IAP) Die Phasen des Infarkts Koronararterien - Schema Identifizierung des betroffenen Gefäßes durch EKG zuverlässig möglich! Elektrodenlage – 12-Kanal-EKG Vorderwandinfarkt ▪ Meist proximale LAD ST-Hebung Anteroseptaler Infarkt ▪ Meist RD1 Quelle: http://www.acilci.net/wp-content/uploads/2013/12/recent-anteroseptal1.jpg Anterolateraler Infarkt ▪ Meist RD2 oder Ramus marginalis Quelle: http://cdn.lifeinthefastlane.com/wp-content/uploads/2011/10/anterolateral.jpg Inferiorer Infarkt ▪ Verschluss der rechten Koronararterie Quelle:http://cdn.lifeinthefastlane.com/wp-content/uploads/2011/10/inf1.jpg Posterolateraler Infarkt ▪ Verschluss der RCX CAVE: Dorsale Ableitungen immer mitschreiben! Quelle: http://cdn.lifeinthefastlane.com/wp-content/uploads/2011/09/Posterior-MI-V789.jpg Ist jede ST-Hebung ein Infarkt? ▪ jede ST-Streckenveränderung im EKG muss ernstgenommen und abgeklärt werden ▪ Hebungen aus dem absteigenden Anteil der R-Zacke => Infarkttypisch ▪ passend zu bestimmten Versorgungsgebieten der Koronarien => Infarkttypisch ▪ Hebungen aus dem tiefen S eher untypisch für einen Infarkt Im Zweifel immer wie im Falle eines Infarktes handeln! Frischer Infarkt Perikarditis Alter Infarkt Aneurysma Take-Home-Messages Das Notfall-EKG ist essentiell zur Klassifizierung... ▪ von Rhythmusstörungen ▪ Von ACS-Patienten (schnelle Diagnose eines STEMI) Rhythmusstörungen: ▪ SVT sind meist ungefährlich, VT‘s potentiell lebensbedrohlich ▪ Breitkomplextachykardien immer zunächst als VT wahrnehmen ACS/Infarkt: ▪ ST-Hebungen in II, III, aVF: Hinterwandinfarkt ▪ ST-Hebungen in Brustwandableitungen: Vorderwandinfarkt Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!