Klonen - Natürlich

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GESELLSCHAFT Lebensstil
Klonen –
Apokalypse der Ethik
Text: Walter Hess
Das Klonen von Lebewesen geschieht in der Erwartung, dass das neue
Lebewesen über die gleichen biologischen und wohl auch psychologischen
Eigenschaften verfügen wird wie die Spenderin der entkernten Eizellen.
Dieses Klonen, das auch in den therapeutischen Alltag einziehen soll,
gehört zusammen mit der Genmanipulation zu den grössten ethischen
Problemen des 21. Jahrhunderts.
B
eim Klonen wird eine Eizelle in einen anderen Zellkern eingefügt. In
jeder Zelle steckt der Erbbefehl,
der im Originalzustand oder nach
einer gentechnischen Veränderung nach
menschlichen Wünschen und Wertvorstellungen beliebig kopiert werden kann.
Doch offenbar schadet das Ersetzen des
Zellkerns bei dieser Kern-Transfer-Technik der mütterlichen Eizelle so sehr, dass
die Chromosomen bei der Zellteilung aus
dem Tritt geraten und die Kerne der meisten neuen Zellen keinen vollständigen
Chromosomensatz enthalten, weshalb die
Erfolgsraten so gering sind und nach der
Geburt des genetisch identischen Duplikates doch entscheidende genetische Fehler festgestellt werden.
Eines der erklärten Ziele der Klon-Forschung besteht darin, Ersatzorgane für
Patienten zu züchten, als Material für die
Xenotransplantation (Natürlich 6-2001):
Tierische Organe werden dem Menschen
implantiert, wozu sich Organe vom
Schwein besonders eignen. Doch wegen
der Abstossungsreaktionen ist das ein
schwieriges Unterfangen.
Da sind elegantere Lösungen gefragt:
Beim therapeutischen Klonen wird ebenfalls menschliches Leben erzeugt, aber
nach wenigen Tagen wieder ausgelöscht.
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Am Anfang der Manipulation steht der
«Kerntransfer»: Eine Körperzelle eines
erwachsenen Menschen wird in eine entkernte weibliche Eizelle eingeführt und
mit ihr verschmolzen. Nach einer Entwicklung von etwa 6 Tagen werden dem
so gezeugten Embryo Stammzellen entnommen und der Embryo dabei vernichtet, also getötet. Die Stammzellen sind in
ihrer Entwicklung noch nicht festgelegt.
Aus ihnen können Nerven-, Knochen-,
Blutzellen usw., grundsätzlich alle 210
Zelltypen, hervorgehen. Auf diese Weise
könnte dann ein transplantierbares Ersatzgewebe für die Heilung schwerer
Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer gezüchtet werden, das perfekt an den
Organismus angepasst ist, so dass keine
Abstossung (wie bei der Xenotransplantation) erfolgt. Das therapeutische Klonen
ist also eine Zellersatz-Therapie, eine
zelluläre Xenotransplantation sozusagen.
Dieses beschönigend so genannte
«therapeutische Klonen» ist in Grossbritannien und Japan bereits erlaubt; aus China
und Südkorea sind viele entsprechende
Versuche bekannt; in den USA aber ist es
am 28. Februar 2003 vom Repräsentantenhaus abgelehnt worden. Australien,
Singapur und Israel bemühen sich sehr
um die embryonale Stammzellenfor-
schung im weitesten Sinne, ein Forschungswettlauf, der über ethische Hürden hinweg führt. Die Erosion ethischer
Normen geht auf der rein auf Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Achse des schnöden Monetären Schritt für Schritt voran.
In der Schweiz, in Deutschland,
Österreich und anderen verantwortungsbewussten Ländern sind Experimente an
menschlichen Embryonen vorderhand
noch verboten; auch der Europarat hat
eine entsprechende Bioethik-Konvention
erlassen. Die weltweite wissenschaftliche
Vernetzung wird nationale Empfindlichkeiten wohl allmählich überrollen. Anpassungen erfolgen immer aus der Angst
heraus, den wirtschaftlichen Anschluss
und damit gute Geschäfte zu verpassen.
Weltweit schrumpfen die gesetzlichen,
technischen und ethischen Hürden gegenüber dem Klonen im Allgemeinen zwar
langsam, aber immerhin, auch wenn Missbildungen inkl. Organveränderungen und
überdurchschnittliche Grösse bei geklonten Säugetieren als schwer überwindbare
Hindernisse empfunden werden. Tierklone
bilden mit der Zeit Krankheiten aus, die
zum vorzeitigen Tod führen; sie haben also
ein schlummerndes Krankheitspotenzial,
auch für Leiden, die noch kein Arzt behandeln musste. Selbst die weltweit gängigste
Lebensstil GESELLSCHAFT
Bananensorte Chiquita stirbt wegen der Klonerei allmählich aus;
das Phallussymbol ist sehr anfällig für ansteckende Krankheiten
geworden.
Das Klonen kann grundsätzlich
als eine moderne biotechnologische Produktionsmethode verstanden werden; denn das griechische Wort clon bedeutet
Spross. Es kommt selbstverständlich auch im Interesse der landwirtschaftlichen Fleischproduktionssteigerungen zum Zuge –
ein weiterer Missbrauch der
wehrlosen Nutztiere.
Bei den Pflanzen ist das «Klonen» schon seit Menschengedenken üblich; es gehört in Botanik,
Land- und Forstwirtschaft zu den üblichen Zucht- und Vermehrungsmethoden.
Der Spross (oder Ableger) wird vom
Züchter oder Produzenten zu einer
neuen Pflanze herangezogen, die mit der
Mutterpflanze genetisch identisch ist
(Erdbeeren, Kartoffeln).
Bereits 1939 ist es gelungen, isolierte
Pflanzenzellen zur Vermehrung anzuregen. Doch die damaligen ersten Resultate
waren noch nicht über alle Zweifel erhaben: Es entstanden formlose Gewebe, so
genannte Kalli. Erst später gelang es,
durch den Zusatz geeigneter Wuchsstoffe
(Phytohormone) vollständig strukturierte
Klonpflanzen herzustellen. Dieses Verfahren ist bei Pflanzen recht einfach; denn
nahezu alle ihre wachsenden Gewebe
können durch eine Behandlung mit Hormonen dazu veranlasst werden, eine vollkommen neue Pflanze zu bilden. Allein
in Deutschland werden alljährlich von
30 Firmen knapp 20 Millionen Pflanzen
im Reagenzglas gezüchtet, die jeweils vollkommen identisch (genormt) sind, aber
zur genetischen Verarmung beitragen und
eine erhöhte Anfälligkeit gegen Schädlinge und Krankheiten aufweisen.
Bei niederen Tieren wie Blattläusen
kommen Klone regelmässig vor; bei
Säugetieren aber sind solche erbgleichen
Kopien zufällig, z. B. bei Mehrlingsgeburten. 1980 wurde es erstmals möglich,
durch Klonen künstlich eineiige Zwillinge von Vieh herzustellen: Ein Embryo
Illustration: Robert Furrer
Biotechnologische
Produktionsmethode
wird in einem sehr frühen Entwicklungsstadium in 2 Teile gespalten; sie können
tiefgefroren, transportiert und wieder
aufgetaut werden. Diese Embryonen können nun wieder in die Gebärmutter der
«Muttertiere» eingepflanzt werden (bei
Rindern ist dies allerdings recht schwierig), so dass eineiige Zwillinge mit identischem Erbgut entstehen. 1996 schafften
es Forscher des Roslin-Instituts um Ian
Wilmut im schottischen Edinburgh, die
ersten Klonschafe zu erzeugen. Am 5. Juli
1996 wurde «Dolly» geboren, dessen
Eizelle nicht aus einem Embryo, sondern wahrscheinlich aus einer Euterzelle
stammen soll, das heisst, es wurde ein erwachsenes Schaf geklont (was im Prinzip
schon 1961 mit Krallenfröschen gelungen war) – nach etwa 200 Fehlschlägen.
Und das arme Schaf litt unter Arthritis
und musste wegen einer Neigung zu
Übergewicht eine strenge Diät einhalten.
Den 6. Geburtstag erlebte es nicht mehr.
Es wurde Mitte Februar 2003 eingeschläfert, nachdem eine fortschreitende Lungenerkrankung diagnostiziert wurde. Die
normale Lebenserwartung für Schafe beträgt etwa 12 Jahre.
Das reproduktive Klonen
von Menschen
Damit ist das reproduktive Klonen von
Menschen in die unmittelbare Nähe gerückt, von dem Adolf Hitler zweifellos ein
begeisterter Anhänger gewesen wäre, der
ja ein reinrassiges deutsches
Volk mit blonden Haaren und
blauen Augen heranzüchten
wollte, dessen Angehörige vor
Gesundheit strotzen. Eugenik
(griechisch: wohlgeboren; Erbgesundheitslehre) nennt man
die Programme zur menschlichen Auslese-Züchtung («Rassenhygiene» nach nationalsozialistischen Vorstellungen),
die auch die Bereitschaft enthalten können, «nicht lebenswertes Leben» zu vernichten
oder an der Fortpflanzung zu
hindern. Es ist bezeichnend
für den moralischen Zustand
der Wissenschaft, dass solche
Diskussionen überhaupt wieder aufgenommen werden
müssen.
Der italienische Frauenarzt
Severino Antinori, der im April 2002 gerade
3 Schwangerschaften auf der Basis von Klonung ankündigte, und der amerikanische
Re-designer Panayiotis Zavos leisten in dieser Richtung Türöffnerdienste, eine als besonders gravierend, ja unverantwortlich bis
kriminell empfundene Verletzung der
Würde und Einzigartigkeit jedes Lebewesens. Beweise für das Gelingen der Experimente sind bisher allerdings nicht erbracht worden. Dennoch ist es erstaunlich
und wohl auch bezeichnend, dass die erwähnten Forscher nicht aus der Wissenschaftsgemeinde ausgeschlossen werden.
Inzwischen gab es bereits verschiedene Ankündigungen, man habe einen
menschlichen Embryo geklont. Eine entsprechende Mitteilung verbreitete im
Dezember 1998 ein Forscherteam aus Südkorea; das Experiment sei aber wieder
abgebrochen worden. Und 1999 verkündete die amerikanische Biotech-Firma
Advanced Cell Technologies (ACT) eine
gleichlautende Nachricht; die Entwicklung ging nur bis zum Sechs-Zell-Stadium
(der Ausdruck nimmt auf die Abfolge
von Zellteilungen Bezug). Im März 2002
meldeten mehrere Forschergruppen aus
China und Südkorea, Dutzende menschlicher Embryonen erzeugt zu haben.
Am 26. Dezember 2002 vermeldete die
bei der Raëlsekte tätige Forscherin Brigitte
Boisselier die Geburt des ersten Klonbabys «als exakte genetische Kopie ihrer
31-jährigen US-amerikanischen Mutter»1.
Wenige Tage später, am 3. Januar 2003,
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GESELLSCHAFT Lebensstil
Schweizer Lösung
zeichnet sich ab
Der neue Vorschlag für ein Schweizer
Embryonenforschungsgesetz, welches das
Fortpflanzungsmedizingesetz ersetzen soll
und das sich in parlamentarischer Beratung
befindet (am 12. März wurde es im Ständerat
behandelt), ist gegenüber den bestehenden
Vorschriften etwas offenherziger. So sollen in
Zukunft Zellen aus überzähligen Embryonen
gewonnen werden dürfen, von denen es in
unserem Land angeblich zwischen 200 und
400 pro Jahr gibt. Die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen soll mit Einschränkungen zugelassen werden – das ist ein
Übergang vom unbedingten zum abgestuften
Lebensschutz. Aber das reproduktive und das
therapeutische Klonen sollen in unserem Land
verboten bleiben; alle Parteien, Verbände und
wissenschaftlichen Akademien lehnen es ab.
soll noch in Holland ein weiteres hinzu
gekommen sein, Werke der sekten-eigenen Klonfirma Clonaid mit Sitz in Las
Vegas, die vom Guru Claude Vorilhon
(Raël) gegründet worden ist. Seiner Ansicht nach ist das Klonen ein «religiöser
Erlösungsakt»2. Wahrscheinlich ist auch
der evolutionäre Drang, sich fortzupflanzen und zu vermehren, hier übermächtig
geworden. Die Klonkinder aber wurden
niemandem gezeigt, so dass sich sofort der
Verdacht manifestierte, es könnte sich um
einen einfältigen Werbegag handeln, die
Anzeigen
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wahrscheinlichste Erklärung. Und in den
USA lief ein juristisches Verfahren an, das
übliche Ritual für alle Lebenslagen.
Genug des Unfugs!
Bisher wurden alle die Ankündigungen
von Klon-Babys als PR-Coups und Unfug
bezeichnet, was den Sachverhalt zu treffen
scheint. Das Verwerfliche daran ist, dass
menschliches Leben in einer verantwortungslosen Weise instrumentalisiert wird.
Die Gesellschaft wird laufend hingehalten
und muss sich mit unsinnigen wissenschaftlichen Technologien befassen; andere Anlässe für Ethik-Diskussionen bleiben ausser Acht. Die Menschheit wird
vom Wesentlichen abgelenkt und Kräfte
verpuffen. Die anstehenden tatsächlichen
Probleme bleiben unbeachtet und werden
nicht gelöst, zum Beispiel der Gesundheitszerfall der Bevölkerung, das mangelhafte Wissen über Ernährung, die Auswirkungen elektromagnetischer Strahlungen
(Elektrosmog), die Zerstörung der landwirtschaftlich nutzbaren Böden und der
Biosphäre im weitesten Sinne, inklusive
Klima und Wasser.
So wird laufend neuer unverantwortlicher Schabernack in Szene gesetzt, noch
bevor die bestehenden Fehlentwicklungen korrigiert sind. Das erinnert an einen
unartigen Knaben, der in seinem Spielzimmer zuerst das Puzzle und dann die
Bauklötze hervornimmt, alles wild verstreut liegen lässt, wenn er den Verleider
bekommen hat, darüber die Modelleisenbahn fahren lässt und wenn sie entgleist
ist, das alles mit Disketten zudeckt. Im
ähnlich ablaufenden Wissenschaftsbetrieb unterbaut man die neuen Forscherphantasien mit erdichteten Verheissungen, demnächst Wege zu finden, um die
bestehenden Fehlentwicklungen und offensichtlichen Schäden beseitigen und
beheben zu können. Jahrzehntelang
wurde die Bevölkerung mit Berichten
über die wunderbaren Möglichkeiten
synthetischer Medikamente bombardiert
– keine einzige Zivilisationskrankheit ist
bewältigt, weil es vernachlässigt wurde,
die Ursachen zu ergründen. Und nun will
man die Sache lösen, indem man die
zellulären Abläufe zu manipulieren versucht. Man darf den Körper schädigen,
wie man will: Die Wissenschaft wirds
schon richten. Oder aber man stellt
gleich Lebewesen nach Muster her.
In Comedys, diesen televisionären
Klonprodukten, werden oft Wortspiele
mit Klon und Clown gemacht, weil die
Wörter phonetisch ähnlich tönen. Es
gibt gute Gründe dafür. Die schweizerische Ethikkommission drückte sich
vornehmer so aus: «Wer gleichsam als Kopie erzeugt wird, dürfte es schwer haben, ein
Original zu werden.» Hoffentlich werden
keine Geschöpfe geschaffen, die solche
Schicksale ertragen müssen.
■
In den USA sind Klonexperimente nicht verboten; doch
müssen sie von der Gesundheitsbehörde Food and Drug
Administration (FDA) bewilligt werden.
2 Nach Vorstellung der Raëlianer landeten vor 25 000 Jahren
Ausserirdische auf der Erde und klonten irdisches Leben aus
toter Materie. Um den Menschen ewiges Leben zu ermöglichen, will Clonaid einen speziellen Klon-Service anbieten…
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