6 | Thema Die richtigen Dinge tun Ursprünge und Grundzüge des AGEH-Wirkmodells Ein neues Wirkmodell soll ab kommendem Jahr der AGEH und ihren Fachkräften vor Ort eine genauere Wahrnehmung der Wirksamkeit ihrer Arbeit ermöglichen. Es beruht auf dem Konzept der „Lebensqualität“, fördert das zirkuläre Lernen und orientiert sich an den Wirkfaktoren Sinn, Autonomie, Kompetenz und Partizipation. Wie wirksam ist unsere Arbeit? Das objektiv zu messen ist für eine Organisation wie die AGEH und ihre Fachkräfte schwer. Größtes Problem: die Subsidiarität des eigenen Tuns. Wie ein Projekt und die Mitarbeit einer Fachkraft darin verlaufen, bestimmen die finanzierenden Partner im Norden und die empfangenden Organisationen im Süden. Die AGEH und ihre vermittelte Fachkraft stehen in einer unterstützenden Position am Rande und mit beschränktem Einfluss. „Wenn ein Projekt schief läuft heißt das nicht unbedingt, dass die Fachkraft schlecht gearbeitet hat. Dafür sind die Gründe zu komplex“, sagt Ulrike Hanlon, Referentin der AGEH-Geschäftsleitung und seit zwei Jahren mit dem Wirkmodell befasst. Um die Wirkung der eigenen Arbeit also messen zu können, braucht die AGEH Werkzeuge, die nicht den Blick auf die Wirksamkeit eines Projektes als Ganzes sondern auf die Wirksamkeit einer Fachkraft im Speziellen schärfen. An einer solchen Methode arbeitet die AGEH seit Frühjahr 2008 in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft zur Förderung von professioneller Evaluation (proEval). „Deren Lebensqualitätsmodell greift genau die Fragen auf, die sich die Entwicklungszusammenarbeit immer stellt“, erläutert Hanlon. Eine zentrale Erkenntnis dieses Modells ist, dass Organisationen, die er- folgreich sind, die „Lebensqualität“ ihrer Klienten und ihrer Mitarbeiter systematisch fördern. Was die darin arbeitenden Menschen hoch motiviert, ist, dass sie mit den so genannten Wirkfaktoren zufrieden sind: Sinn, Autonomie, Partizipa­ tion und Kompetenz. „Man kann als Organisation nicht alle Faktoren, die für die Motivation von Menschen eine Rolle spielen beeinflussen – aber diese schon“, erläutert Ulrike Hanlon. Zweite zentrale These des Lebensqualitätsmodells ist, dass nachhaltige Entwicklung in zirkulären Lernprozessen geschieht. Zirkulär bedeutet hier auch das Lernen durch Versuch und Irrtum – wie bei einem Kind, das Laufen lernt, hinfällt und neu ansetzt. Im Gegensatz zum linearen bezieht ein zirkuläres Denken neue Erkenntnisse und Entwicklungen in der Lernphase sofort mit ein und nutzt diese Erfahrungen für neue Lösungswege. Das lineare, oder Ursache-Wirkung-Lernen dagegen lässt den Lernenden einmal Erlerntes in gleicher Weise immer wieder anwenden. „Es ist common sense in der Entwicklungsarbeit, das Entwicklung so nicht passiert“, betont AGEH-Referent und Mitarbeiter am Wirkmodell Michael ­Detscher. „Wir haben es mit sozialen Prozessen zu tun und die kann man nicht in Form von Sozialphysik vorantreiben.“ In erster Linie Selbst­ steuerungsinstrument Diese zentralen Gedanken – Wirkfaktoren ernst nehmen und zirkuläres Lernen anwenden - bilden die Basis des neu erarbeiteten Wirk­ modells, das die AGEH 2009 vorstellte. „Beim Wirkmodell geht es darum, ob wir die richtigen Dinge tun und nicht nur darum, ob wir das, was wir tun richtig tun“, beschreibt es Ulrike Hanlon. „Man kann ja auch einen Patienten tot pflegen und hat theoretisch alles richtig gemacht. Die Wirkung soll aber sein, dass es dem Patienten besser geht.“ In erster Linie sei das Modell als Selbststeuerungsinstrument für die Fachkräfte gedacht. Sie sollen damit während ihrer Tätigkeit analysieren können, wie ihre Wirksamkeit ist und wo noch Potential für deren Steigerung liegt. Das Wirkmodell besteht aus drei Teilen: dem Interaktionsmodell, den Wirkfaktoren und einer so genannten Wirkhelix als Handlungsmodell. Es soll die Fragen nach der Wirksamkeit der Fachkräfte, der personellen Zusammenarbeit an sich, der Wirksamkeit der AGEH als Personaldienst der Entwicklungszusammenarbeit klären und ein Modell dafür sein, wie diese Fragen erfasst und dokumentiert werden können. Der erste Teil, das Interaktionsmodell, hilft dabei, die fixen Rahmenbe­dingungen (etwa: Struktur der Organisation, verfügbare Thema | 7 Michael Detscher und Ulrike Hanlon sind maßgeblich daran beteiligt, das Wirkmodell der AGEH zu entwickeln. Foto: C. Molitor Ressourcen) und die offenen Gestaltungselemente (Interaktionen, eigentliches Handlungs- und Wirkungsfeld der Fachkraft) für die Arbeit der Fachkraft zu verdeutlichen und so zunächst die elementare Frage zu klären: Welche Wirkungsmöglichkeiten sind im gegebenen Kontext überhaupt realistisch?Hier werden auch die Wirkungserwartungen der verschiedenen Beteiligten an die Fachkraft analysiert. Je genauer dies gelingt, desto exakter kann am Ende der Mitarbeit ein Wirkungsnachweis erfolgen. Dreh- und Angelpunkt des Wirkmodells sind die Wirkfaktoren Sinn, Partizipation, Autonomie und Kompetenz (SPAK). Sinn meint hier, das zu realisieren, was für Menschen wertvoll ist. Partizipation bezieht sich auf Teilhabe an einer Gruppe und an Entscheidungen, die elementar das eigene Leben betreffen. Autonomie bedeutet zwar selbst entscheiden und gestalten zu können, ist aber nicht als absolut zu verstehen sondern als in den jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext eingebettet. Kompetenz meint hier weniger Qualifikation, sondern eher die Fähigkeit, etwas bewirken zu können. Der Fachkraft dienen die vier Wirkfaktoren als Richtschnur für die nachhaltige Wirksamkeit ihrer Arbeit: In welchem Maße gelingt es ihr, Projekte so zu unterstützen, dass sie dazu beitragen, diese Grundbedürfnisse der beteiligten Menschen zu stillen? „Berücksichtigt eine Fachkraft konsequent die Wirkfaktoren, wird sie dazu beitragen, dass Programmund Projekterfolge nicht von einer Person abhängen, sondern durch gewachsene stabile Strukturen und Prozesse Bestand haben“, formuliert es Ulrike Hanlon. SPAK sind nicht mehr nur allgemeine Werte sondern werden zu erfassbaren Größen in der Entwicklungszusammenarbeit. Fachkräfte sind danach vor allem Expertinnen und Experten dafür, Interaktionen und Prozesse, die sie verantworten, qualitativ auf eine optimale Wirksamkeit hin zu gestalten. „Eine gute Fachkraft handelt intuitiv danach“, ergänzt Michael Detscher. „Es ist nichts, was sie zusätzlich tun soll, sondern etwas, das sie bewusster tun soll.“ Wirkhelix als Handlungsmodell Der dritte Teil des Wirkmodells, die Wirkhelix, bietet der Fachkraft ein Modell für zirkuläres Lernen und permanente Reflexion des eigenen Tuns. Sie regt zur Analyse von acht Handlungsfeldern an: Prozessgestaltung, Erfassung des Ist-Zustandes, Lernen durch Wahrnehmung von Unterschieden („Delta-Lernen“), Erkundung (Sammeln und Ordnen von Informationen), Integration und Entscheidung, Umsetzungsplanung („Denkfigur“), Umsetzung und Wirkungsbeobachtung. Auf dieser Helix bewegt sich die Fachkraft nicht in eine Richtung, sondern durchläuft die Handlungsfelder, da wo es sinnvoll ist, in mehreren Lernschleifen. Sie kann erkennen, was sie schon erreicht hat und wo noch Potentiale für die Wirksamkeit liegen. „Wenn man Fehler so anschaut, dann sind es keine Fehler mehr sondern eine Schleife, von der man sagen kann: Da haben wir was gelernt. Jetzt wissen wir, dass es so nicht geht und sind in der Lage, etwas anders zu machen“, erläutert Ulrike Hanlon. Die Erkenntnisse bringen die Fachkraft bei der Selbstevaluierung weiter und werden von ihr in regelmäßigen Abständen an die AGEH weitergeleitet, die so ihre Fachkräfte wirkungsorientierter begleiten, einen konkreten Wirkungsnachweis für die Personaleinsätze erhalten und durch die Analyse der Daten die personelle Zusammenarbeit insgesamt weiterentwickeln kann. 2011 will die AGEH das Wirkmodell in einem Pilotprojekt mit ausgewählten Fachkräften einführen. Carmen Molitor Carmen Molitor ist freie Redakteurin in der Contacts-Redaktion.