Die richtigen Dinge tun

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Die richtigen Dinge tun
Ursprünge und Grundzüge des AGEH-Wirkmodells
Ein neues Wirkmodell soll ab kommendem Jahr der AGEH und ihren Fachkräften vor Ort eine
genauere Wahrnehmung der Wirksamkeit ihrer Arbeit ermöglichen. Es beruht auf dem Konzept
der „Lebensqualität“, fördert das zirkuläre Lernen und orientiert sich an den Wirkfaktoren Sinn,
Autonomie, Kompetenz und Partizipation.
Wie wirksam ist unsere Arbeit? Das
objektiv zu messen ist für eine Organisation wie die AGEH und ihre
Fachkräfte schwer. Größtes Problem: die Subsidiarität des eigenen
Tuns. Wie ein Projekt und die Mitarbeit einer Fachkraft darin verlaufen, bestimmen die finanzierenden
Partner im Norden und die empfangenden Organisationen im Süden. Die AGEH und ihre vermittelte
Fachkraft stehen in einer unterstützenden Position am Rande und
mit beschränktem Einfluss. „Wenn
ein Projekt schief läuft heißt das
nicht unbedingt, dass die Fachkraft schlecht gearbeitet hat. Dafür sind die Gründe zu komplex“,
sagt Ulrike Hanlon, Referentin der
AGEH-Geschäftsleitung und seit
zwei Jahren mit dem Wirkmodell
befasst. Um die Wirkung der eigenen Arbeit also messen zu können,
braucht die AGEH Werkzeuge, die
nicht den Blick auf die Wirksamkeit
eines Projektes als Ganzes sondern
auf die Wirksamkeit einer Fachkraft
im Speziellen schärfen.
An einer solchen Methode arbeitet
die AGEH seit Frühjahr 2008 in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft
zur Förderung von professioneller
Evaluation (proEval). „Deren Lebensqualitätsmodell greift genau
die Fragen auf, die sich die Entwicklungszusammenarbeit
immer
stellt“, erläutert Hanlon. Eine
zentrale Erkenntnis dieses Modells
ist, dass Organisationen, die er-
folgreich sind, die „Lebensqualität“
ihrer Klienten und ihrer Mitarbeiter systematisch fördern. Was die
darin arbeitenden Menschen hoch
motiviert, ist, dass sie mit den so
genannten Wirkfaktoren zufrieden
sind: Sinn, Autonomie, Partizipa­
tion und Kompetenz. „Man kann als
Organisation nicht alle Faktoren,
die für die Motivation von Menschen eine Rolle spielen beeinflussen – aber diese schon“, erläutert
Ulrike Hanlon.
Zweite zentrale These des Lebensqualitätsmodells ist, dass nachhaltige Entwicklung in zirkulären
Lernprozessen geschieht. Zirkulär
bedeutet hier auch das Lernen
durch Versuch und Irrtum – wie bei
einem Kind, das Laufen lernt, hinfällt und neu ansetzt. Im Gegensatz
zum linearen bezieht ein zirkuläres
Denken neue Erkenntnisse und Entwicklungen in der Lernphase sofort
mit ein und nutzt diese Erfahrungen
für neue Lösungswege. Das lineare,
oder Ursache-Wirkung-Lernen dagegen lässt den Lernenden einmal
Erlerntes in gleicher Weise immer
wieder anwenden. „Es ist common
sense in der Entwicklungsarbeit,
das Entwicklung so nicht passiert“, betont AGEH-Referent und
Mitarbeiter am Wirkmodell Michael
­Detscher. „Wir haben es mit sozialen Prozessen zu tun und die kann
man nicht in Form von Sozialphysik
vorantreiben.“
In erster Linie Selbst­
steuerungsinstrument
Diese zentralen Gedanken – Wirkfaktoren ernst nehmen und zirkuläres Lernen anwenden - bilden die
Basis des neu erarbeiteten Wirk­
modells, das die AGEH 2009 vorstellte. „Beim Wirkmodell geht es
darum, ob wir die richtigen Dinge
tun und nicht nur darum, ob wir
das, was wir tun richtig tun“, beschreibt es Ulrike Hanlon. „Man
kann ja auch einen Patienten tot
pflegen und hat theoretisch alles
richtig gemacht. Die Wirkung soll
aber sein, dass es dem Patienten
besser geht.“ In erster Linie sei das
Modell als Selbststeuerungsinstrument für die Fachkräfte gedacht.
Sie sollen damit während ihrer Tätigkeit analysieren können, wie ihre
Wirksamkeit ist und wo noch Potential für deren Steigerung liegt.
Das Wirkmodell besteht aus drei
Teilen: dem Interaktionsmodell,
den Wirkfaktoren und einer so genannten Wirkhelix als Handlungsmodell. Es soll die Fragen nach
der Wirksamkeit der Fachkräfte,
der personellen Zusammenarbeit an
sich, der Wirksamkeit der AGEH als
Personaldienst der Entwicklungszusammenarbeit klären und ein Modell dafür sein, wie diese Fragen
erfasst und dokumentiert werden
können. Der erste Teil, das Interaktionsmodell, hilft dabei, die fixen
Rahmenbe­dingungen (etwa: Struktur der Organisation, verfügbare
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Michael Detscher und Ulrike Hanlon sind maßgeblich daran beteiligt, das Wirkmodell der AGEH zu
entwickeln.
Foto: C. Molitor
Ressourcen) und die offenen Gestaltungselemente (Interaktionen,
eigentliches Handlungs- und Wirkungsfeld der Fachkraft) für die Arbeit der Fachkraft zu verdeutlichen
und so zunächst die elementare
Frage zu klären: Welche Wirkungsmöglichkeiten sind im gegebenen
Kontext überhaupt realistisch?Hier
werden auch die Wirkungserwartungen der verschiedenen Beteiligten an die Fachkraft analysiert. Je
genauer dies gelingt, desto exakter
kann am Ende der Mitarbeit ein
Wirkungsnachweis erfolgen.
Dreh- und Angelpunkt des Wirkmodells sind die Wirkfaktoren Sinn,
Partizipation, Autonomie und Kompetenz (SPAK). Sinn meint hier,
das zu realisieren, was für Menschen wertvoll ist. Partizipation
bezieht sich auf Teilhabe an einer
Gruppe und an Entscheidungen, die
elementar das eigene Leben betreffen. Autonomie bedeutet zwar
selbst entscheiden und gestalten
zu können, ist aber nicht als absolut zu verstehen sondern als in den
jeweiligen sozialen und kulturellen
Kontext eingebettet. Kompetenz
meint hier weniger Qualifikation,
sondern eher die Fähigkeit, etwas
bewirken zu können. Der Fachkraft dienen die vier Wirkfaktoren
als Richtschnur für die nachhaltige
Wirksamkeit ihrer Arbeit: In welchem Maße gelingt es ihr, Projekte
so zu unterstützen, dass sie dazu
beitragen, diese Grundbedürfnisse
der beteiligten Menschen zu stillen? „Berücksichtigt eine Fachkraft
konsequent die Wirkfaktoren, wird
sie dazu beitragen, dass Programmund Projekterfolge nicht von einer
Person abhängen, sondern durch
gewachsene stabile Strukturen und
Prozesse Bestand haben“, formuliert es Ulrike Hanlon. SPAK sind
nicht mehr nur allgemeine Werte sondern werden zu erfassbaren
Größen in der Entwicklungszusammenarbeit. Fachkräfte sind danach
vor allem Expertinnen und Experten
dafür, Interaktionen und Prozesse,
die sie verantworten, qualitativ
auf eine optimale Wirksamkeit hin
zu gestalten. „Eine gute Fachkraft
handelt intuitiv danach“, ergänzt
Michael Detscher. „Es ist nichts,
was sie zusätzlich tun soll, sondern
etwas, das sie bewusster tun soll.“ Wirkhelix als
Handlungsmodell
Der dritte Teil des Wirkmodells,
die Wirkhelix, bietet der Fachkraft
ein Modell für zirkuläres Lernen
und permanente Reflexion des eigenen Tuns. Sie regt zur Analyse
von acht Handlungsfeldern an:
Prozessgestaltung, Erfassung des
Ist-Zustandes, Lernen durch Wahrnehmung von Unterschieden („Delta-Lernen“), Erkundung (Sammeln
und Ordnen von Informationen),
Integration und Entscheidung,
Umsetzungsplanung („Denkfigur“),
Umsetzung und Wirkungsbeobachtung. Auf dieser Helix bewegt
sich die Fachkraft nicht in eine
Richtung, sondern durchläuft die
Handlungsfelder, da wo es sinnvoll
ist, in mehreren Lernschleifen. Sie
kann erkennen, was sie schon erreicht hat und wo noch Potentiale
für die Wirksamkeit liegen. „Wenn
man Fehler so anschaut, dann sind
es keine Fehler mehr sondern eine
Schleife, von der man sagen kann:
Da haben wir was gelernt. Jetzt
wissen wir, dass es so nicht geht
und sind in der Lage, etwas anders
zu machen“, erläutert Ulrike Hanlon. Die Erkenntnisse bringen die
Fachkraft bei der Selbstevaluierung
weiter und werden von ihr in regelmäßigen Abständen an die AGEH
weitergeleitet, die so ihre Fachkräfte wirkungsorientierter begleiten,
einen konkreten Wirkungsnachweis
für die Personaleinsätze erhalten
und durch die Analyse der Daten
die personelle Zusammenarbeit insgesamt weiterentwickeln kann.
2011 will die AGEH das Wirkmodell
in einem Pilotprojekt mit ausgewählten Fachkräften einführen.
Carmen Molitor
Carmen Molitor ist freie Redakteurin
in der Contacts-Redaktion.
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