Seminar Dunkle Materie - Neue Experimente zur Teilchen- und Astroteilchenphysik im SS 2007 RWTH Aachen Betreuer: Prof. Dr. Stefan Schael Vortrag: Ruth Paas 1 Dunkle Materie Gravitationslinsen und andere Hinweise auf die Existenz Dunkler Materie 2 Inhalt des Vortrags • Zahlreiche, voneinander unabhängige astronomische Beobachtungen sind mit dem Standardmodell nicht zu erklären • Bis jetzt schon viele Erklärungsversuche • Gewünscht ist ein Modell, das allen Beobachtungen gerecht wird • Rotationskurven von Galaxien • Nukleosynthese • Gravitationslinsen • Supernovae 1A • Strukturbildung Vortrag beschäftigt sich mit den Beobachtungen und deren Erklärung mit dunkler Materie 3 • Einleitung Was verstehen wir unter dem Stichwort „Dunkle Materie“? efinition: Dunkle Materie ist eine nicht elektromagnetisch wechselwirkende Form von Masse, die wir bisher nur über ihre gravitative Wechselwirkung wahrnehmen können • Historie: – 1933 von Fritz Zwicky: Berechnung des Coma Clusters – Rotationskurven von Galaxienhaufen und Galaxien: anderes Verhalten als aufgrund sichtbarer Masse erwartet 4 Mathematische Grundlagen ds² = dt² - a²(t)*dx² Streckenelem., definiert Metrik dx² = dx² + dy² + dz² euklid. Universum, Krümmung 0 ' a! $ % " &a# 2 = 8)G k (! 2 3 a Einsteins Feldgleichungen mit obiger Metrik (primordiale, nichtlin. DGL) k = -1, 0, +1 Krümmungsfak., hyperbol., euklid., sphärisch Hubbles Gesetz: v = H*d mit , , 5 Mathematische Grundlagen Rotverschiebung kritische Dichte, mit ! ' a! $ % " &a# 2 = 8)G k (! 2 3 a H (t ) = a! (t ) a (t ) Parameter " tot = " B + " DM + " ! 6 Virialtheorem • Ausmessen von Galaxien in Clustern: Rotverschiebung => Geschwindigkeit => Masse (mit Virialtheorem) Doppler-Effekt: Geschwindigkeit: Virialtheorem: λbeob= λtot (z+1) v = c (f ‘ / f – 1) T=-½U => M ~ 3R * <v>² / G Kinetische Energie T = 3 * ½ M <v>² Potentielle Energie U ~ - G M² / R Galaxiecluster Typische Geschwindigkeiten: 500 – 1000 km/s Typische Massen: 1014 – 1015 Sonnenmassen Die leuchtende Masse im Coma-Cluster ist etwa um Faktor 200 zu klein, um diese Rotationskurve zu erklären; wir brauchen dazu Dunkle Materie 7 Rotationskurven Theorie • • Bestimmung der Geschwindigkeitsfunktion: Zentrifugal- und Gravitationskraft gleichsetzen Spiralgalaxie: – typischer Durchmesser 30-50 kpc (entspricht 100-165 Lichtjahren) – „bulge“ in der Mitte (3-5 kpc), „disc“ darum herum – nahezu konstante Dichte im bulge => M(R) nimmt mit dritter Potenz von R zu => v(R) steigt linear – Masse ändert sich in der disc nur noch gering => M nahezu konstant => v(R) ~ R-0,5 8 Rotationskurven Experimentelle Ergebnisse • • Messung: Rotverschiebung zweier Sterne mit selbem Abstand zum Zentrum => Rotationsgeschwindigkeit Ergebnis: Rotationsgeschwindigkeiten bis zum sichtbaren Rand konstant Erklärung möglich unter der Annahme eines kugelförmigen Halos aus Dunkler Materie, dessen Dichte mit R-2 abnimmt ( => Masse des Halos nimmt linear mit Radius zu) Aus Beobachtung von Sternen nur Informationen bis zum sichtbaren Rand der Galaxie => keine Aussage über Ausdehnung und Masse des Halos darüber hinaus Sichtbarer Galaxierand: Verhältnis Dunkle zu leuchtender Materie 10:1 9 Nukleosynthese • Theorie zur Entstehung der leichten Elemente im Universum: Big Bang Nukleosynthesis (BBN), auch primordiale Nukleosynthese – fand ca. 3 Minuten nach dem Urknall statt • Aufgestellt von Gamow, 1946 • Lässt Schlüsse über den Anteil zu, den baryonische Materie in unserem Universum einnimmt, da Ablauf der BBN sehr sensitiv auf Baryon-Photon-Verhältnis 10 Nukleosynthese Die Geburt des heutigen Universums • • • • Zu Beginn: heißes Plasma aus Elementarteilchen auf engstem Raum Enge Kopplung zwischen Strahlung und Materie Quarks bilden bei hohen Temperaturen Protonen und Neutronen, wegen schwacher Wechselwirkung im Verhältnis 1:1 Temperaturen beginnen zu sinken, Universum dehnt sich aus 11 Nukleosynthese Die Entstehung des heutigen Universums • • • • Sinkende Temperaturen: Gleichgewicht zwischen Neutronen und Protonen verschiebt sich zu Protonen Neutronen verlassen thermisches Gleichgewicht, „frieren aus“ (T = 1,2*1010K) β-Zerfall der Neutronen, Bildung von Deuterium => Beginn der Nukleosynthesekette Temperatur während NS: 1 MeV – 0,01 MeV 12 Nukleosynthese Reaktionen der Nukleosynthese Reaktionsraten ' ' Q $$ ) (p ( n ) % "" " Xn = = %1 + exp%% " ) (p ( n )+ ) (n ( p ) & & k BT # # T # " ! Xn = 1 2 ' t $ X n (t ns ) = N exp%% ( ns "" ! 0,122 & )n # He+ 3He" 7Be + ! 7 Be + e # " 7Li +! e 4 He+ 3H " 7Li + ! 4 ! n = (878,5 ± 0,8) s ( ) X 4 He = 2 X n (t ns ) ! 0,24 13 !1 Nukleosynthese • • Nukleosynthese-Prozess ist fast nur vom Baryonen-zu-Photonen-Verhältnis abhängig, η = nB / nγ Grund: • • • • • p+n↔D+γ Je mehr γ, desto eher dissoziiert D WMAP: Bestimmung von η (vertikale Linie) Photonendichte ist aus CMB-Spektrum bekannt Bestimmung der Baryonendichte zu 0,018 ≤ ΩBh² ≤ 0,023(68% CL) gemessene Häufigkeitswerte: •Yp = 0,2516 ± 0,0011 •(D/H)p = (2,82 ± 0,27)*10-5 •(7Li/H)p = (1,30 ± 0,2)*10-10 Dunkle Materie kann also nicht baryonischer Natur sein! 14 Gravitationslinsen 15 Gravitationslinsen • != • 2 MG yv 2 Klassische Mechanik: an massiven Objekten vorbei fliegende Teilchen werden durch Gravitation abgelenkt Gilt auch für Lichtteilchen, dann aber Allgemeine 4 MG ! = Relativitätstheorie mit 2 yc Schwarzschild-Metrik: Idee von F. Zwicky (1937): • Galaxien(-haufen) bilden riesige Gravitationslinsen • Massenverteilung entspricht der Linsenform • Dahinter liegende Sterne erscheinen als virtuelle Bilder • Aussehen der virtuellen Bilder ↔ Position und Form der Linse 16 Gravitationslinsen • • • „sichtbare“ Ablenkungen finden nur bei großen Massen, also z.B. Galaxienhaufen statt Ablenkung aber auch bei einzelnen Sternen, sogen. „microlensing“ Bekannte Beispiele: kreisförmige virtuelle Bilder, Einstein-Ringe genannt, und das „Einstein-Kreuz“ PG 1115+080 17 Gravitationslinsen • Aus dem Winkeldurchmesser eines Einstein-Rings kann die Masse der Linse berechnet werden: c 2 & dObjekt # 2 $$ !!r M= 4G % d Linse dOb ' Lin " Beobachtungen an Einstein-Ringen => Rekonstruktion der Linse => DM-Halo 18 Supernovae 1a • • Supernova: helles Aufleuchten eines Sterns zum Ende seiner Lebenszeit, bei dem der Stern explodiert Weitere Geschichte abhängig von der Masse des Sterns – Chandrasekhar-Masse: Gravitation und Strahlungsdruck im GG – Bei Sternen oberhalb der Chandrasekhar-Masse (1,44 Sonnenmassen) ist der Gasdruck so schwach, dass die Gravitation die Überreste des Sterns zu einem Neutronenstern (1,44 – 3 Sonnenmassen) oder einem Schwarzen Loch (> 3 Sonnenmassen) zusammenzieht – Sterne unterhalb der Chandrasekhar-Masse werden zu weißen Zwergen • Weiße Zwerge in Doppelsternsystemen sammeln Material von ihrem Begleiter auf, bis sie die Chandrasekhar-Masse erreichen, und die einsetzende Kohlenstofffusion zerreißt den Stern: Supernova vom Typ 1a 19 Supernovae 1a • Frage: Warum sind die SN1a so interessant? • Antwort: – Genaue Kenntnis der Masse (exakt ChandrasekharMasse) – => aus dem SN-Modell die absolute Leuchtkraft berechenbar – Vergleich mit gemessener Leuchtkraft => Abstand – Mit Hilfe der Rotverschiebung Expansionsrate bestimmen => SN1a sind gute Standardkerzen Sich anbahnende typische SN1a-Explosion: Weißer Zwerg saugt Materie von Rotem Riesen ab (NASA-Bild) 20 Supernovae 1a Messung und Detektion • • • Beobachtung des interessanten Himmelsquadrates über mehrere Monate, alle 4 Tage Photographie Auswertung der Photos unter Abzug eines Referenzbildes Ergebnis: Auftragung der Helligkeit als Funktion der Zeit • Wie eben besprochen, kann Expansionsgeschwindigkeit berechnet werden • Je mehr Materie, desto stärker wird die Expansion gebremst • Je mehr Dunkle Energie, desto stärker wird die Expansion beschleunigt 21 Supernovae 1a • Insgesamt lassen sich aus der Messung von SN1a also nur Informationen über die Differenz aus Materiedichte und Dunkler Energie bestimmen: ΩM - ΩΛ 22 Supernovae 1a Korrigierte Helligkeit Daten aus SN1a mit verschiedenen Materie- und Energiedichten 23 Strukturbildung 24 Strukturbildung Theorie • Modell: – zu Beginn kleine Variationen der Materie- und Strahlungsdichte, beide eng gekoppelt – Nach Überwindung des Strahlungsdrucks wächst Dichtekontrast an – Darstellung in Dichtekontrastfunktion (statistische Fluktuationsfunktion), die mit der Zeit anwächst, bei kleinen Fluktuationen lineare Näherung – daraus Bestimmung des Powerspektrums ! ! (x )# ! ! " (x ) = ! ( ) !! ! # (x ) = " # k exp ! ik r ! ! ! (x , t ) = D(t )! (r , t i ) P (k ) " ! k 25 2 Strukturbildung Problem • Wachstumskoeffizient der Dichtekontrastfunktion ist abhängig von Ω0 und ΩΛ • Verwende Einstein-deSitter Modell, dann ist D ~ (1+z)-1 • Heute: Galaxienhaufen mit δ >> 1, zur Zeit der Rekombination braucht man δ ≥ 10-3 (=> ΔT/T ≃ 10-3) für Galaxiebildung • Aber: COBE hat nur ΔT/T ≃ 10-5 gemessen => wenn es nur baryonische Materie gibt, wäre δ = 10-5 bei z = 1000 und folglich δheute ≃ 10-2 => Widerspruch, unter diesen Voraussetzung hätten sich bis heute keine Galaxien gebildet 26 Strukturbildung Erklärung durch Dunkle Materie • • • Materiedichte wird durch Dunkle-Materie-Komponente dominiert Dichtekontrast der DM δ > 10-3 bei z = 1000 Baryonen fallen erst nach der Entkopplung von der Strahlung in die Potentialtöpfe der DM Entwicklung des Dichtekontrasts sehr sensitiv auf kosmologische Parameter, daraus folgt exakte Bestimmung der kos. Parameter • Experimente • • Galaxy Surveys, um Entfernung zwischen Galaxien und Orte von Galaxien zu bestimmen 2dF Galaxy Redshift Survey: ermittelt Position von ca. 220 000 Galaxien zur statistischen Analyse mit Hilfe der Dichtekontrastfunktion 27 Strukturbildung • 2dFGRS • • Universum auf großen Skalen homogen Auf charakteristischen Längenskalen Struktur erkennbar 28 Strukturbildung • Anpassung des Modells an die Daten • Baryonendichte aus Nukleosynthese: 0,018 ≤ ΩBh² ≤ 0,023 - Baryonenanteil verursacht „Schwingungen“ – Änderung des Dichtekontrasts im Bereich von 10 Mpc (Galaxien) • Ergebnis aus 2dFGRS: ΩMh² = 0,168 ± 0,016 29 Bullet Cluster (1995) • Rot: Verteilung baryonischer Materie – Abgeleitet aus Strahlungsemission im Röntgenbereich (80 - 90% der b. M. ist heißes Gas von 107-108 K) • Blau: Verteilung Dunkler Materie – Abgeleitet aus Gravitationslinseneffekten 30 Zusammenfassung • CMB: ΩB, ΩM, Ωtot = ΩM+ΩΛ = 1 • SN1a: ΩM- ΩΛ • Nukleosynthese ΩB • Strukturbildung ΩM- ΩB 31 Zusammenfassung Unabhängige Bestätigung der DM-Theorie durch unabhängige Experimente Es gibt einen „gemeinsamen Nenner“ 32 Zusammenfassung • Dunkle Materie ist experimentell und theoretisch notwendig • Keines der Teilchen aus unserem Teilchenzoo genügt den Ansprüchen an DM • Dunkle Materie ist nicht mit dem Standardmodell erklärbar, dieses ist also unvollständig oder im schlimmsten Fall falsch • Dunkle Energie: ??? 33 Es gibt viel zu tun! 34