Gerhard Illing / Sebastian Watzka Eine Neubewertung der geldpolitischen Reaktionen von EZB und Fed auf die Finanzkrise Die folgende Langversion ist als kürzere Printfassung in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 22-2010 erschienen. Sie ist unter www.kreditwesen.de ebenso wie auf der Homepage des Lehrstuhls unter www.sfm.vwl.uni-muenchen.de/aktuelles/news/kreditwesen1. html ab­rufbar. Seit August 2007 haben EZB und Fed tur­ bulente Zeiten erlebt. Drei Jahre später, in einer scheinbar etwas ruhigeren Zeit, möchten wir die Reaktionen der Zentral­ banken auf die Finanzkrise und ihre Wir­ kungen genauer analysieren und vorläufig bewerten.1) Wie im Sommer 2008 bleiben wir auch heute skeptisch über die geldpoli­ tischen Maßnahmen, die von den beiden Zentralbanken ergriffen wurden, als auch über die ihnen noch verbliebenen Optionen. Dramatischer Anstieg der Verschuldung 1. Finanzkrise – vom kleinen US-Sub­ prime Markt zur großen internationalen Bankenkrise: Der Ursprung der aktuellen Finanzmarktkrise lag im amerikanischen Immobilienmarkt, der durch systematische Schwächen in Anreizstruktur und Institu­ tionen geprägt ist. In Erwartung ver­ meintlich sicherer künftiger Hauspreis­ steigerungen versuchten auch weniger kreditwürdige amerikanische Haushalte ih­ ren Traum vom Eigenheim zu verwirklichen und konsumierten dabei zudem weit über ihre Verhältnisse. Es ist immer schwierig, im Vorfeld Vermögensblasen zu identifizie­ ren. Viele Ökonomen hielten die amerika­ nischen Häuserpreise selbst 2005 noch für fundamental gerechtfertigt (vgl. Himmel­ berg et al, 2005). Aber es gab auch war­ nende Hinweise darauf, dass die Preisent­ wicklung eben nicht durch fundamentale Faktoren begründet sein kann (vgl. Krug­ 1206 / S. 12 · 22 / 2010 Kreditwesen man, New York Times, 2005, Klüh und Il­ ling, 2004). Verschuldung der amerikanischen HausHaushalte/Wirtschaft als Ursache der Krise: Abbildung I stellt die Entwicklung wichti­ ger Hauspreisindikatoren in den USA der Entwicklung der Verschuldung privater Haushalte gegenüber. Hauspreise sind hier gezeigt im Verhältnis zum Durchschnitts­ einkommen. Fundamentale Faktoren wie Bevölkerungs- oder Produktivitätswachs­ tum können die Hauspreise durchaus dau­ erhaft erhöhen; dies sollte sich aber auch in Mieten und Einkommen widerspiegeln, sodass das Verhältnis dieser Größen unver­ ändert bleiben sollte. Abbildung I zeigt deutlich den Anstieg und folgenden Fall der Immobilienpreise in den USA. Für die meisten Haushalte ist die eigene Immobilie der wichtigste Vermögenswert. Die Abbildung zeigt, dass mit dem Anstieg der Häuserpreise auch ein dramatischer Anstieg der Verschuldung amerikanischer Prof. Dr. Gerhard Illing, und Dr. Sebastian Watzka, beide Seminar für Makroökonomie, Ludwig-Maximilians-Universität, Mün­chen Seit August 2007 haben EZB und Fed turbulente Zeiten erlebt. Gut drei Jahre später, analysieren die Autoren die Reaktionen der Zentralbanken auf die Finanzkrise und ihre Wirkungen. Wie in einer ersten Einschätzung im Sommer 2008 (Kreditwesen 17-2008) bleiben sie hinsichtlich der ergriffenen geldpolitischen Maßnahmen der ­beiden Zentralbanken als auch der noch verbleibenden Optionen skeptisch. Für die Fed sehen sie nur noch begrenzte Möglichkeiten, die Zinsen weiter zu senken. Und für die EZB stufen sie die regionalen Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung im Euroraum als größte Herausforderung einer einheitlichen Geldpolitik ein. (Red.) Haushalte einherging. Sie ist im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen stark ange­ stiegen. Genau dieser Anstieg der Verschul­ dung privater Haushalte, aber auch die hohe Verschuldung von Banken und Staat ist das große Problem in der aktuellen Fi­ nanzkrise. Abbildung I verdeutlicht zudem enorme Unterschiede in den Hauspreisentwicklun­ gen verschiedener Länder. Spanien, Irland und England verzeichneten sogar einen noch deutlich stärkeren Anstieg der Häu­ serpreise relativ zum Einkommen. Im Ge­ gensatz dazu sind in Deutschland die Häu­ serpreise im Vergleich zu Einkommen und historischem Durchschnitt nach 1996 so­ gar gefallen. Diese Unterschiede zeigen, dass die verschiedenen Länder von ganz unterschiedlichen Schocks getroffen wur­ den: Während Haushalte in Ländern mit überbewerteten Immobilienpreisen durch das Platzen der Blase hohe Vermögensver­ luste erlitten und sich dadurch gezwungen sahen, durch Konsumverzicht mehr zu spa­ ren, wurden Länder wie Deutschland eher durch daraus resultierende Schocks wie den Rückgang der Exporte und die Wert­ verluste deutscher Banken mit Engage­ ments im amerikanischen Immobilienmarkt getroffen. Ausbreitung zur weltweiten Bankenkrise Mit dem Platzen der Blase auf dem ameri­ kanischen Immobilienmarkt aufgrund von systematischen und korrelierten Zahlungs­ ausfällen gerieten amerikanische Banken zunehmend in Bedrängnis. Aufgrund von Wertverlusten ihrer verbrieften Wertpapie­ re mussten Banken weltweit Abschrei­ bungen in großem Maße durchführen. Aufgrund der globalen Verflechtungen des internationalen Finanzsystems breitete sich die anfangs auf den amerikanischen Sub­ prime-Markt konzentrierte Krise schnell zu 140 120 100 S&P/Case-Shiller National Home Price Index relativ zum Durchschnittseinkommen 140 Gesamtverschuldung der Privathaushalte 120 100 80 80 60 40 160 60 Durch Grundstücke besicherte Verschuldung 20 40 20 0 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 0 2. Geldpolitische Reaktionen der Fed und der EZB: Zunächst versuchten Fed und EZB vor allem, die Geldmärkte zu be­ ruhigen; sie konzentrierten sich auf die Stabilisierung der kurzfristigen (ungesicher­ ten) Refinanzierungsmärkte der Banken untereinander. Die Zinsspreads auf diesem Markt signalisierten im Sommer 2007 gra­ Verhältnis von Hauspreisen zu Einkommen 200 180 160 140 Spanien 120 Irland 100 USA 80 60 40 Deutschland Vereinigtes Königreich 1991 1996 2001 2006 Quelle: OECD Economic Outlook, 2008 Quelle: S&P Case-Shiller, Fed Flow of Funds, Datastream einer weltweiten Bankenkrise aus. Die An­ steckung erfolgte zum einen über lokale Banken, die aufgrund ihres Engagements im US-Immobilienmarkt nun Abschreibun­ gen auf verbriefte Wertpapiere vornehmen mussten. Zum anderen gingen mit dem Rückgang des amerikanischen Konsums auch die Nachfrage nach Gütern und ­damit der Welthandel zurück, sodass die Finanzkrise eine weltweite Rezession aus­ löste. Index, langfristiger Durchschnittswert = 100 Verschuldung in Prozent des verfügbaren Einkommens US-Immobilienpreise und Verschuldung der Privathaushalte als Anteil am Einkommen S&P/Case-Shiller National Home Price Index relativ zum Durchschnittseinkommen, 1987=100 Abbildung I: Immobilienpreise im Verhältnis zum Einkommen in den USA und europäischen Ländern, Verschuldungsquote privater Haushalte in den USA vierende Probleme der Banken. Die EZB in­ tervenierte mit einer Feinsteuerungsopera­ tion mittels Mengentender am 9. August 2007 in Höhe von 95 Milliarden Euro. Die Zent­ralbanken traten zunächst als typi­ scher Lender-of-last-resort auf, der kurz­ fristig Liquidität bereitstellt. Schon in ­dieser frühen Phase der Finanzmarktkrise haben Fed und EZB aber auch über eine qualitative Umschichtung ihrer Vermö­ genswerte indirekt Einfluss auf den Kapi­ talmarkt genommen. So wurden verstärkt verbriefte Wertpapiere als Sicherheiten in den Offenmarktgeschäften mit den Ge­ schäftsbanken akzeptiert. Umgekehrt waren die Geschäftsbanken aufgrund gestiegener Unsicherheit bemüht, möglichst viel Geld und liquide Staatsan­ leihen als Vermögenswerte zu halten und in den Refinanzierungsgeschäften mit den Zentralbanken möglichst viele der abrupt illiquide gewordenen verbrieften Wertpa­ piere als Sicherheiten zu hinterlegen. Historisch niedrige Leitzinsen Schnelle Zinssenkungen der Fed, erst späte Zinssenkungen der EZB: Die ameri­ kanische Notenbank hat ähnlich wie nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2001 vom Sommer 2007 an die Leitzinsen von 5,25 auf einen Korridor von 0 bis 0,25 Prozent (Dezember 2008) gesenkt (vgl. Ab­ bildung II). Mit diesen Zinssenkungen, tra­ ditionelle monetäre Lockerungen, sollten sowohl die Geldmärkte beruhigt als auch über Weitergabe der Zinssenkungen an Unternehmen und Haushalte, die Konjunk­ tur angekurbelt werden. Abbildung II: Leitzinsen von EZB und Fed seit 1. Januar 2007 Fed-Leitzinsen und Effective Rate EZB-Leitzinsen und EONIA 6 5 NBER Recession 4 Fedfunds Target Rate 3 Fedfunds Lower Bound Fedfunds Upper Bound Effective Rate 2 1 0 1.1.2010 1.1.2008 1.1.2009 1.1.2007 1.7.2007 1.7.2008 1.7.2010 1.7.2009 Quelle: Fed 5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 ECB Main Refinancing Rate ECB Deposit Rate EONIA 1.1.2007 1.9.2007 1.5.2008 1.1.2009 1.9.2009 1.5.2010 1.5.2007 1.1.2008 1.9.2008 1.5.2009 1.1.2010 Quelle: Datastream Kreditwesen 22 / 2010 · S. 13 / 1207 Eine Neubewertung der geldpolitischen Reaktionen von EZB und Fed auf die Finanzkrise Abbildung III: EZB und Fed-Bilanzen seit 1. Januar 2007 EZB-Bilanz in Milliarden Euro in Milliarden US-Dollar 3 000 3 000 2 000 3 500 Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte Aktiv-Seite Sonstige Aktiva 1 000 3 500 Aktiv-Seite 2 000 Hauptrefinanzierungsgeschäfte Fed-Bilanz 2 500 2 500 1 500 MBS 500 0 US Treasuries 500 0 - 500 Banknoten - 1 000 - 1 000 Sonstige Passiva - 2 000 Banknoten Reserven - 1 500 - 2 000 - 2 500 Reserven - 3 000 2007 1 500 Sonstige Aktiva 1 000 Passiv-Seite 2008 2009 Anders als die Fed hat die EZB aufgrund von Befürchtungen von Inflationsrisiken durch hohe Ölpreise noch im Sommer 2008 die Leitzinsen leicht erhöht, um dann im Herbst 2008 bedingt durch die LehmanPleite die Leitzinsen sukzessive auf – auch für die EZB historisch niedrige – ein Pro­ zent zu senken (seit 13. Mai 2009; vgl. Ab­ bildung II). Seit Lehman Ausdehnung der Geldbasis – Quantitative Lockerung oder RekapiRekapitalisierung des Bankensektors? Nach der Lehman-Pleite im September 2008 reagier­ ten die Zentralbanken nicht nur mit drasti­ schen Zinssenkungen, sondern weiteten auch ihre Bilanzen aus: So erhöhte die Fed die Geldbasis von zirka 800 Milliarden USDollar auf knapp über zwei Billionen USDollar, während die EZB sie von 900 Milli­ arden Euro auf 1,2 Billionen Euro erhöhte (vgl. Abbildung III). Die Fed sah sich ge­ zwungen, die Märkte für riskante und illi­ quide gewordene Wertpapiere wie MBS, ABS und CDOs zu stützen und teilweise diese Risiken aus den Bilanzen der Banken zu übernehmen. Sie stützte speziell den Markt für sogenannte Commercial Paper, die von Banken und Unternehmen zur kurzfristigen Finanzierung benutzt werden, sowie den Markt für Immobilienanleihen (MBS). Auch die EZB stützte den Pfand­ 1208 / S. 14 · 22 / 2010 Kreditwesen Einlagefazilität 2010 Sonstige Passiva - 500 - 1 500 - 2 500 Passiv-Seite - 3 000 - 3 500 2007 - 3 500 2008 briefmarkt (Covered-Bonds-Programme mit 60 Milliarden Euro). Seit Mai 2010 stützt sie im Zuge der Griechenlandkrise durch direkte Käufe auch den Markt für Staats­ anleihen (Security-Markets-Programme mit ebenfalls 60 Milliarden Euro, September 2010). Diese Ausdehnung der Geldbasis war aber bislang nicht gleichbedeutend mit einer sogenannten quantitativen Lockerung (QE). QE wirkt über die Passivseite der Zentral­ bankbilanz, das heißt, die Zentralbank er­ höht durch den Aufkauf von Wertpapieren die Liquiditätsreserven der Banken. Das Ziel von QE besteht dabei darin, diese Reserven über neue Kredite der Banken an Haus­ halte und Unternehmen in Sichteinlagen umzuwandeln. Damit erhöht sich das ­M3-Wachstum, um die Realökonomie zu stimulieren. Die Bilanzausweitung von Fed und EZB verfolgten dieses Ziel zunächst al­ lerdings wohl nicht: Durch die von der Fed neu eingeführten Zinszahlungen auf Über­ schussreserven und die Verzinsung von Guthaben auf der Einlagenfazilität der EZB haben Banken weniger Anreiz, ihre zusätz­ lichen Reserven über neue Kredite in den Wirtschaftskreislauf zu geben. Abbildung III zeigt eine starke Zunahme der Reserve­ haltung der Geschäftsbanken bei den Zent­ralbanken – ohne dass diese in Kredite 2009 2010 und Sichteinlagen umgewandelt wurden. Dies wird auch deutlich, wenn man die un­ terschiedlichen Verläufe von Geldbasis und M2 beobachtet: Während die Geldbasis stark von den Zentralbanken aufgebläht wurde, ist M3 während der ­Finanzkrise bis­ lang kaum gewachsen (vgl. auch Abbildung VI). Rekapitalisierungsmaßnahme des Bankensektors Diese Art der Bilanzausdehnung muss ef­ fektiv als Rekapitalisierungsmaßnahme des Bankensektors betrachtet werden: Banken kommen aktuell zu sehr günstigen Kon­ ditionen zu Zentralbankgeld mit unge­ wöhnlich langer Laufzeit.2) Sofern diese niedrigen Zinsen nicht an Haushalte und Unternehmen weitergegeben werden, er­ höhen die Banken ihre Margen und kön­ nen sich über einbehaltene Gewinne leich­ ter rekapitalisieren. 3. Transmissionsmechanismen und AusAuswirkungen der Geldpolitik: Betrachten wir nun kurz die Auswirkungen der geld­ politischen Maßnahmen. Dabei stellen sich mindestens zwei wesentliche Probleme: Zum einen haben Zentralbanken und Re­ gierungen angesichts der Schwere der Kri­ se gleich mehrere expan­sive Maßnahmen durchgeführt. Die Iden­tifikation einer ein­ zelnen Maßnahme wird dadurch erheblich erschwert. Zum anderen kennen wir das Counterfactual nicht. Wir wissen – ausge­ hend von der einzig beobachteten Realität – nicht, ob die Maßnahmen wirkten, in dem Sinne, dass ohne sie die Krise schlim­ mere Ausmaße angenommen hätte, oder ob sie nicht wirkten, in dem Sinne, dass ohne sie die Krise dieselben oder bessere Ausmaße angenommen hätte. Dennoch wird hier kurz mittels einfacher grafischer Methoden auf drei mögliche Wirkungsme­ chanismen der Geldpolitik eingegangen. Ankündigungen von Leitzinssenkungen – Rückgang der Spreads Traditioneller Zinskanal in der LiquidiLiquiditätsfalle nicht wirksam: Der wichtigste Transmissionskanal der Geldpolitik ist der sogenannte Zinskanal. Die Leitzinssenkun­ gen der Zentralbank werden von den Ban­ ken an Unternehmen und Haushalte wei­ tergegeben. Seit Dezember 2008 befinden sich die Leitzinsen bereits bei knapp über null Prozent. Weil der Nominalzins nicht unter Null sinken kann, ist dieser Kanal momentan nicht mehr wirksam. Um zu prüfen, ob die Zinssenkungen von Fed und EZB die gewünschten Effekte über den Zinskanal hatten, zeigen Abbildungen IV und V den Verlauf von GeldmarktSpreads im Interbankenmarkt und KreditSpreads an Unternehmen und Haushalte. Tatsächlich kann man erkennen, dass An­ kündigungen von Leitzinssenkungen zu ei­ nem Rückgang der Spreads geführt haben. Dies ist besonders deutlich im Falle der EZB-Ankündigungen und des Verlaufs der Geldmarkt-Spreads im europäischen Inter­ bankenmarkt zu beobachten. Allerdings muss hier wiederholt werden: Die Zentral­ banken haben eine Vielzahl an weiteren Maßnahmen eingeführt, die ebenfalls auf die Spreads eingewirkt haben können. Die empirische Evidenz über die Wirkungen ei­ niger Maßnahmen, wie zum Beispiel der Term Auction Facility (TAF) der Fed ist un­ einheitlich. Wie bereits in unserem Aufsatz vom Au­ gust 2008 beschrieben, deuten einige Stu­ dien auf eine positive Wirkung auf Risiko­ prämien (McAndrews et al, 2008), andere deuten auf keine oder sogar negative Aus­ wirkungen (Illing und Watzka, 2008, Taylor und Williams, 2008, Thornton 2010). Zu­ sätzlich haben darüber hinaus auch die Regierungen über Bankenrettungen, Ga­ rantien und den Aufkauf maroder Wert­ papiere versucht, den Interbankenmarkt zu beruhigen. Insofern lässt sich der Rück­ gang der Spreads nur bedingt den Leitzins­ senkungen der Zentralbank zuschreiben. Derzeit funktionieren die kurzfristigen un­ gesicherten Geldmärkte immer noch nicht einwandfrei. Zum einen herrscht immer noch Unsicherheit bei den Banken über das Gegenparteirisiko, zum anderen agie­ ren die Zentralbanken inzwischen als In­ termediäre in vielen Märkten, und die Märkte wiederum scheinen stark segmen­ tiert zu sein. Solvente Banken können sich relativ problemlos am Markt refinanzieren, angeschlagene Banken sind von den Zent­ ralbanken abhängig. Kreditkanal und unkonventionelle MaßMaßnahmen: Ein zweiter wichtiger Transmissi­ onsmechanismus der Geldpolitik, beson­ ders in der aktuellen Nullzinsperiode, ist der sogenannte Kreditkanal, der sich auf­ teilt in den Bilanzkanal und den Kreditver­ gabekanal (vgl. Bernanke und Gertler, 1995). Verstärkung des traditionellen Zinskanals Beim Bilanzkanal verbessert sich bei Zins­ senkungen die Eigenkapitalposition von Unternehmen, da zum einen kurzfristige Verbindlichkeiten nun zu niedrigeren Zin­ sen für Refinanzierungszwecke genutzt werden können und zum anderen Vermö­ genswerte als Kollateral durch niedrigere Zinsen tendenziell an Wert gewinnen. So­ mit fällt die sogenannte Fremdfinanzie­ rungsprämie; Unternehmen können durch verstärkte Kreditaufnahme mehr Investi­ tionen tätigen. Dieser Mechanismus ver­ stärkt also den traditionellen Zinskanal. Empirisch ist es aber schwierig nachzuwei­ sen, aus welchen genauen Gründen sich Kreditvergabe und Investitionen verändern. Außerdem lagen die wesentlichen Prob­ leme der Finanzkrise, bedingt durch Ab­ schreibungen auf Vermögenswerte, bei den Banken, nicht bei den Unternehmen. Inso­ fern war nicht die Eigenkapitalposition der Unternehmen geschwächt, sondern die der Banken. Diese galt es zu verbessern – hauptsächlich durch Übernahme von Risi­ ken durch die Zentralbanken, sowie durch staatliche Rettungspakete für den Finanz­ sektor. Durch die Nullzinsgrenze können Fed und EZB aktuell über den Bilanzkanal kaum weiter stimulierend auf Kreditvolumina Abbildung IV: Interbankenspreads und Zentralbankinterventionen Dollar LIBOR-OIS Spread und Fed-Leitzinssenkungen 4 3,5 3 2,5 2 Leitzinssenkungen LIBOR-OIS-Spread 1,5 1 0,5 0 7 8 . 20 0 20 07 . 20 0 20 08 20 08 20 0 9 20 0 9 20 0 9 . 2010 . 2010 . 2010 1.06 1.10. 1.02 1.06 . 1.10. 1.02. 1.06 . 1.10. 1.02 1.06 1.10 Quellen: Fed, Bloomberg EURIBOR-EONIA SWAP Spread and ECB interest rate decisions 2 1,8 1,6 1,4 1,2 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 EZB Ankündigung einer Zinssenkung EZB Ankündigung einer Zinserhöhung EURIBOR-EONIA SWAP SPREAD 0 9 9 0 07 .2007 .2008 .2008 01 00 00 01 7 1 7 1.2 7.2 1.2 7.2 1.0 1.0 1.0 1.0 1.0 1.0 1.0 .20 1 1.0 Quellen: EZB und European Banking Federation Kreditwesen 22 / 2010 · S. 15 / 1209 Eine Neubewertung der geldpolitischen Reaktionen von EZB und Fed auf die Finanzkrise Abbildung V: Kreditzinsen und Spreads Konsumentenkredite Kredite an nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften, bis zu 1 Million Euro Quelle: EZB und Investitionstätigkeit einwirken. Trotz­ dem könnte die Geldpolitik über den soge­ nannten Kreditvergabekanal versuchen, die Banken zur Kreditvergabe anzuregen. Der Kreditvergabekanal wirkt über die Erhö­ hung von Reserven der Geschäftsbanken durch Offenmarktgeschäfte bei Zinssen­ kungen. Da Fed und EZB Überschussreser­ ven in der Vergangenheit nicht verzinst haben, waren die Opportunitätskosten der Reservehaltung hoch. Die zusätzlichen Re­ serven wurden von den Banken in Form von Krediten weiter an Haushalte und Un­ ternehmen gegeben. Diese Weitergabe wiederum erhöhte die Sichteinlagen in der Ökonomie, sodass auch breitere Geldmen­ Kreditspreads zur sicheren 1-jährigen Bundesanleihe 8 7 in Prozent per annum in Prozent per annum Kreditneugeschäft mit variabler Verzinsung oder mit einer anfänglichen Zinsbindung von bis zu 1 Jahr 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 8 . 03 n. 0 4 . 09 . 05 n. 0 6 . 07 an. 0 . 10 n Ja J an J J an J an J an Ja Ja 6 5 4 3 2 1 0 . 03 J an J an . 04 J an . 05 J an . 06 J an . 07 J an . 08 J an . 09 J an Wohnungsbaukredite an private Haushalte Kredite an nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften, mehr als 1 Million Euro . 10 Quelle: EZB und Bundesbank genaggregate wie M2 und M3 anstiegen. Wieder sollte dieser Effekt den traditionel­ len Zinskanal verstärken. rungsbedingungen in der Krise deutlich gestiegen – ein weiterer Grund für die ak­ tuell sehr hohe Reservehaltung. In der aktuellen Situation erschweren zwei Probleme die Wirkung dieses Kreditverga­ bekanals: Zum einen hat die Fed im Okto­ ber 2008 angefangen, Überschussreserven zu verzinsen.3) Das senkte die Opportuni­ tätskosten der Reservehaltung erheblich. Die Banken erhöhten daraufhin – anstelle ihre Reserven in Form von Krediten weiter­ zugeben – ihre Reservehaltung bei der Fed enorm (vgl. Abbildung III). Darüber hinaus ist ­natürlich auch die Unsicherheit man­ cher Banken bezüglich ihrer Refinanzie­ Traditionelle Geldpolitik wirkungslos Das zweite Problem in der aktuellen Null­ zinsphase hängt mit der Theorie der Liqui­ ditätsfalle zusammen. In einer Liquiditäts­ falle werden Geld und Staatsanleihen zu Substituten. Alle privaten Wirtschafts­ akteure versuchen, nur Geld zu halten, da sie bei Wertpapierhaltung im Falle eines zukünftigen Zinsanstiegs über die Wert­ einbußen der Anleihen Verluste erleiden würden. Abbildung VI: Monetäre Entwicklungen und Kreditvolumen seit Januar 2007 Monetäre Entwicklung im Euroraum; Alles Indizes mit Januar 2007 = 100 180,0 160,0 140,0 120,0 100,0 1210 / S. 16 · 22 / 2010 Kreditwesen 10 Ju li 10 n. Ja 09 Ju li 09 n. Ja 08 Ju li 08 Ja n. 07 Ju li 07 n. Ja 10 li n. Ja Geldbasis M2 Kredite an Nicht-Finanzunternehmen Ju 10 9 i0 Ju l 09 n. Ja 08 li Ju 08 n. Ja i0 7 80,0 Ju l n. Ja Quelle: St. Louis Fed Index: Jan. 2007 = 100 280 260 240 220 200 180 160 140 120 100 80 07 Index: Jan. 2007 = 100 Monetäre Entwicklung in den USA; Alles Indizes mit Januar 2007 = 100 M2 Geldbasis Kredite an Nicht-Finanzunternehmen Kredite an Haushalte Quelle: EZB Das bedeutet wiederum, dass sowohl Ban­ ken als auch Haushalte bereit sind, ihre Re­ serven, beziehungsweise ihr Bargeld ein­ fach zu horten – anstelle es in Form von Krediten, Kauf von Wert­papieren oder Akti­ en zur Stimulierung der Wirtschaft zu ver­ wenden. Traditionelle Geldpolitik ist in ei­ ner solchen Situation wirkungslos: Sie kann zwar die Geldbasis beliebig ausdehnen, hat aber keinen Einfluss mehr auf M2 oder M3. Die Auswirkungen der beiden Probleme ist in den Daten gut zu erkennen: Abbildung VI zeigt, dass obwohl Fed und EZB die Geldbasis enorm ausgeweitet haben (Fed 2,6 mal so hoch wie vor der Krise, EZB 1,6 mal so hoch), dies aber kaum einen Einfluss auf die Entwicklung von M2 hatte. Dies ist besonders im Euroraum interessant, da hier das M3-Wachstum vor der Krise bis zu 12 Prozent pro Jahr betrug, die Geldbasis da­ vor aber stetig langsam anstieg. Nun hat sich diese Relation umgedreht: Die Zent­ ralbanken weiteten die Geldbasis enorm aus, doch hat sich dies noch nicht auf brei­ tere Geldmengenaggregate ausgewirkt. Zu beobachten ist in Abbildung VI auch, dass besonders die Kredite an Unternehmen in der Finanzkrise zurückgegangen sind. Kre­ dite an Haushalte sind recht konstant ge­ blieben. Vor der Krise sind die Kredite im Euroraum mit zirka 15 Prozent für Unter­ nehmen und zirka zehn Prozent für Haus­ halte gewachsen. Worin lag die eigentliche Motivation von Fed und EZB für die Ausdehnung der Geld­ basis? Die Fed bezeichnet diese Maßnah­ men als sogenannte „credit easing“, um sich bewusst vom QE abzugrenzen. Beim credit easing sollen gezielt drei Institutio­ nen gestärkt werden: Banken, einzelne Kredit- und Kapitalmärkte4) und die Märk­ te für längerfristige Anleihen wie länger­ fristige US-Staatsanleihen und MBS. Die Zentralbanken übernahmen also private Risiken und erhofften sich dadurch eine Verbesserung des Funktionierens von ­Banken und Finanzmärkten, sodass diese ­wieder ihr traditionelles Geschäft der ­Kreditintermediation verfolgen konnten. Gleichzeitig fürchten die Zentralbanken, dass die Ausdehnung der Geldbasen infla­ tionär oder sogar hyperinflationär wirken könnte. Wir werden in Abschnitt 4 näher auf die aktuellen Entwicklungen von Infla­ tion und Inflationserwartungen eingehen. niedrigen Zinsen falsche Anreize setzen und sich die nächste Blase bereits bilden könnte. Illing (2004) argumentiert, dass durch die Zinssenkungen der Fed nach der ­Dotcom-Blase und die folgende, lange anhaltende Niedrigzinspolitik Banken, Unternehmen und Haushalte sich hoch verschuldeten, wodurch die US-Wirtschaft anfällig für Leitzinserhöhungen wurde. Insofern stand die Fed nun vor einem völ­ lig gegensätzlichen Dilemma als dem der Liquiditätsfalle: Sie konnte die Zinsen nicht mehr beliebig erhöhen, ohne nega­ tive Effekte auf Finanzmärkten und bei Unternehmen und Haushalten auszulö­ sen. Ein neuer Transmissionsmechanismus der Geldpolitik Abbildung VII zeigt die historische Ent­ wicklung der Langfristzinsen in den USA und Deutschland. Tatsächlich befinden sich die Langfristzinsen auf einem historischen Tiefstand. Abbildung VII zeigt daneben die Entwicklung wichtiger langfristiger Markt­ zinsen in den USA. Es ist also durchaus möglich, dass die historisch niedrigen Zin­ sen zu exzessiver Verschuldung und neuer Risikoaufnahme seitens des Bankensektors führen könnten. Risikokanal und Gefahr von NiedrigzinsNiedrigzinspolitik: Schließlich möchten wir noch kurz einen neuen Transmissionsmechanismus der Geldpolitik ansprechen, den sogenann­ ten risk-taking channel.5) Beim Risikokanal werden Banken zum einen aufgrund der niedrigen Zentralbankzinsen indirekt ange­ regt, sich nach höheren Renditen umzuse­ hen und in riskantere Projekte zu investie­ ren. Zum anderen erhöhen niedrige Zinsen Vermögenswerte, Einkommen und CashFlows, sodass Banken unter Umständen ihre Risikomodelle oder zumindest ihre Ri­ sikowahrnehmung verändern. Gambacorta (2009) und Altunbas et al (2010) zeigen in empirischen Studien, dass ein länger an­ haltendes niedriges Zinsniveau die Risiko­ aufnahme von Banken erhöht. Ähnlich warnen auch Rajan (2010) und Hamilton (2010), dass die aktuell sehr 4. Verschuldungskrise, Gefahr einer DeDeflation und realwirtschaftliche EntwickEntwicklung: Nachdem wir die Auswirkungen der geldpolitischen Maßnahmen und ihre Wir­ kungsweisen besprochen haben, gehen wir nun auf die eigentlichen Besonderheiten und Gefahren der aktuellen Finanzkrise ein. Außerdem werfen wir einen vorläufi­ gen Blick auf die bisherige realwirtschaft­ liche Entwicklung und setzen diese in den Kontext der Großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre. Abbildung VII: Zinsen auf langfristige US und deutsche Staatsanleihen und weitere Langfristzinsen in den USA Zinsen auf 10-jährige US und deutsche Staatsanleihen Prozent 10 12 10 8 6 Hypothekenzinsen, Laufzeit 30 Jahre Unternehmensanleihen mit Baa Rating 8 6 1.7.10 1.1.10 1.7.09 1.1.09 1.7.07 1.7.08 US-Leitzins 0 1.1.07 Deutschland Staatsanleihen, Laufzeit 10 Jahre 1.7.06 USA 2 1.1.08 4 4 2 0 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 Quelle: Datastream Ausgewählte Langfristzinsen in den USA 1.1.06 18 16 14 Quelle: Datastream Kreditwesen 22 / 2010 · S. 17 / 1211 Eine Neubewertung der geldpolitischen Reaktionen von EZB und Fed auf die Finanzkrise Abbildung VIII: Entwicklung des Nettovermögens amerikanischer Haushalte während Rezessionen Nettovermögen der Haushalte während Rezessionen Index (beginnendes Quartal = 100) 130 1929 Q3 1937 Q2 1969 Q1 1973 Q3 1979 Q4 1990 Q2 2000 Q3 2007 Q2 120 110 100 90 80 70 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Quartale nach Beginn der Rezession Quelle: Fed Flow of Funds Account und Mishkin (1978) Kernproblem einer Verschuldungskrise: Wie wir eingangs erwähnt haben, ist die Verschuldung amerikanischer Haushalte ungefähr seit der Jahrhundertwende stark angestiegen. Die Verschuldung amerikani­ scher Haushalte – gemessen am verfügba­ ren Einkommen – stieg auf fast 140 Pro­ zent. Im Bankensektor wurden zu dieser Zeit aufgrund eines extrem hohen Anteils von Fremdfinanzierung hohe Renditen er­ zielt. Dieser sich aufbauende Leverage führte zunächst zu einer sich selbst ver­ stärkenden Spirale aus sich erhöhender Verschuldung, sich erhöhenden Vermögens­ preisen (bei recht fixem Angebot), und der weiteren Verschuldung durch den höheren Kollateralwert. Als sich diese positive Spi­ rale mit dem Fall der Immobilienpreise und dem damit einhergehenden Verfall von Wertpapierpreisen in einen Teufelskreis umkehrte, kam es zum sogenannten Delev­ eraging. Fallendes Nettovermögen Dabei ist es interessant Abbildung VIII (Nettovermögen) mit Abbildung I (Ver­ schuldungsquote) zu vergleichen. Obwohl die amerikanischen Haushalte versuchen, ihre Schulden abzubauen und damit auch tatsächlich die Schuldenquote seit unge­ fähr 2008 zurückgegangen ist, ist der Ein­ bruch des Nettovermögens der Haushalte seit dem zweiten Quartal 2007 doch noch viel stärker. Das bedeutet natürlich, dass die Haushalte nicht nur über Deleveraging versucht haben, ihre Schulden abzubauen, sondern dass sich auch ihre Vermögenspo­ sition verschlechterte, da ja Hauspreise und Wertpapierpreise weiterhin stark gefallen sind. Die Vermögensposition der Haushalte hat sich also stärker verschlechtert, als sich ihre Schuldenposition verbessert hat. Folglich ist das Nettovermögen der Haus­ halte bis zum ersten Quartal 2009 um 30 Prozent gefallen (vgl. Abbildung VIII). Die­ ser Rückgang im Nettovermögen ameri­ kanischer Haushalte ist der stärkste seit dem Zweiten Weltkrieg und sogar ähnlich stark wie während der Großen Depression, als amerikanische Haushalte knapp über zehn Prozent ihres Nettovermögens ver­ loren (vgl. Mishkin, 1978). Er ist der Hauptgrund warum die wirtschaftliche Erholung in den USA auf wackeligen Bei­ nen steht. Inflation oder Deflation: Eine GratwanGratwanderung der Geldpolitik: Ein weiteres, mit der oben diskutierten Schuldenproblematik eng verwandtes Problem, ist die Entwick­ lung der Preisniveaus in den USA und im Euroraum. Ist die Inflation niedriger als er­ wartet, dann steigt die reale Schuldenlast; für Kreditnehmer wird es schwieriger wer­ den, ihre Schulden zu bedienen und zu til­ gen. Kommt es gar zu Deflation, würden auch Konsumentscheidungen von dauer­ haften Gütern und Investitionen in die ­Zukunft verschoben. Die aktuell hohe reale Zinsbelastung für die Schuldner ist ein we­ sentlicher Faktor für die träge Wirtschafts­ entwicklung in den USA: Die Fed ist derzeit bemüht, aktuelle Inflationsraten, auf die sie natürlich nur mit Verzögerung einwir­ ken kann, sowie Inflationserwartungen möglichst stabil bei ungefähr zwei Prozent zu halten. Abbildung IX: Inflationsraten im Euroraum und den USA Euro area inflation rate US inflation rate 4 3 2 5 US inflation rate US core inflation rate 1 0 -1 -2 -3 Jan Apr Jul Okt Jan Apr Jul Okt Jan Apr Jul Okt Jan Apr Jul 07 07 07 07 08 08 08 08 09 09 09 09 10 10 10 Quelle: Bureau of Labor Statistics 000 / S. 18 · 22 / 2010 Kreditwesen Euro area inflation rate Euro area core inflation rate 4 in percent (yoy) in percent (yoy) 6 5 3 2 1 0 -1 Jan Apr Jul Okt Jan Apr Jul Okt Jan Apr Jul Okt Jan Apr Jul 07 07 07 07 08 08 08 08 09 09 09 09 10 10 10 Quelle: OECD Allerdings spricht manches dafür, die Infla­ tionserwartungen temporär stärker steigen zu lassen, um einer drohenden Liquiditäts­ falle zu begegnen. Seit der Finanzkrise wird intensiv diskutiert, wie hoch die optimale Inflationsrate in modernen Ökonomien sein sollte. Blanchard et al (2010) argu­ mentieren in einer IWF-Studie, dass die optimale Inflationsrate durchaus bei vier Prozent liegen könnte. Aufgrund von No­ minallohnrigiditäten könnten etwa Real­ lohnsenkungen am Arbeitsmarkt bei einer etwas höheren Inflationsrate leichter durchgesetzt werden, die Zinsuntergrenze von Null würde bei negativen Schocks sel­ tener bindend. Die Steuerung des Preis­ niveaus wäre ein mögliches Instrument, um höhere Inflationserwartungen tempo­ rär, aber nicht dauerhaft zu erzeugen. Eine Preisniveausteuerung bedeutet die Ankün­ digung, nicht die Inflationsrate, sondern das Preisniveau auf einem stabilen Pfad zu halten. Sobald die Inflation (wie derzeit) temporär sinkt, würde sie dann später au­ tomatisch stärker steigen, um so wieder auf den ursprünglich angestrebten Preis­ pfad zurückzukehren. Deutlicher Rückgang der Inflationsraten Abbildung IX zeigt Inflationsraten im Eu­ roraum und den USA. Insgesamt ist ein deutlicher Rückgang zu beobachten. Im Sommer 2008 kam es aufgrund der dama­ ligen hohen Ölpreise vorübergehend zu ­einem Anstieg der Inflationsraten. Kernin­ flationsraten, die Preise für Energie und Nahrungsmittel nicht berücksichtigen, wa­ ren aber vom Ölpreisanstieg nicht betrof­ fen. Aufgrund der wirtschaftlich schwa­ chen Entwicklung und der resultierenden Output-Lücke sind die Kerninflationsraten seitdem weiter gefallen. Sie liegen in den USA und im Euroraum momentan bei un­ gefähr einem Prozent, damit deutlich un­ ter zwei Prozent. In einer IWF-Studie (Meier, 2010) wird ge­ zeigt, dass es in Episoden mit andauernd großen Outputlücken zu signifikanter ­Disinflation und schwacher Arbeitsmarkt­ entwicklung kommt. Allerdings wird die resultierende Disinflation bei niedrigen ­Inflationsraten vermutlich aufgrund von Nominallohnrigiditäten und wohl-veran­ kerten Inflationserwartungen leicht abge­ schwächt, sodass die Gefahr einer nega­ tiven deflationären Spirale begrenzt ist. Sobald aber die Inflationserwartungen dauerhaft sinken, würde dieser stabilisie­ rende Effekt außer Kraft gesetzt. . Die Zentralbanken sehen sich derzeit dem Problem ausgesetzt, dass sie auf der einen Seite leicht inflationäre Erwartungen schü­ ren müssten, um den Realzins wegen der Nullzinsgrenze zu senken. Andererseits wollen sie ihre hart erworbene Glaubwür­ digkeit nicht aufs Spiel setzen und hohe Inflationsraten oder gar eine Hyperinfla­ tion um jeden Preis verhindern. Insofern steht Geldpolitik vor einer schwierigen Gratwanderung: Es gilt sowohl weitere Disinflation und Deflation als auch hohe Inflation und Hyperinflation zu vermeiden. Inflationserwartungen Abbildung X zeigt ausgewählte Maße für Inflationserwartungen im Euroraum und den USA. Wir benutzen für beide Wäh­ rungsräume sowohl finanzmarkt-basierte Inflationserwartungen, sogenannte BEIRs,6) als auch umfragebasierte Inflationserwar­ tungen des Survey of Professional Fore­ casters (SPF). Die Interpretation der fi­ nanzmarkt-basierten Inflationserwartungen wird momentan etwas erschwert, da die aktuellen Verwerfungen auf einigen Fi­ nanzmärkten zu ungewöhnlich hohen Liquiditätsprämien geführt haben. Außer­ dem hat die Unsicherheit der Marktteil­ nehmer bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Inflation zugenommen. Insofern müssen variable Liquiditäts- und Inflationsrisikoprämien berücksichtig wer­ den (vgl. Kajuth und Watzka, 2008). Trotz dieser Einschränkungen ist ein Blick auf die aktuellen BEIRs hilfreich: Auch wenn es durch die Lehman-Krise aufgrund der Verwerfungen zu turbulenten Entwick­ lungen der BEIRs kam, so zeigen die län­ gerfristigen Entwicklungen besonders von den 5-Jahres-Inflationserwartungen für den Euroraum und die USA einen Rück­ gang von knapp über 2,0 Prozent auf ak­ tuell zirka 1,5 Prozent. Diese Botschaft wird von den umfragebasierten Inflations­ erwartungen des SPF gestützt: So sind die Abbildung X: Inflationserwartungen im Euroraum und den USA Inflationserwartungen im Euroraum 1.10.2010 - 2,50 Break-Even-Inflation Rate (künftige 5 Jahre) Break-Even-Inflation Rate (künftige 5 Jahre) Break-Even-Inflation Rate (künftige 10 Jahre) Survey of Professional Forecasters (künftige 2 Jahre) Survey of Professional Forecasters (längerfristig, künftige 5 Jahre) Break-Even-Inflation Rate (künftige 10 Jahre) Survey of Professional Forecasters (künftige 5 Jahre) Survey of Professional Forecasters (künftige 10 Jahre) Quelle: EZB 1.07.2010 1.04.2010 1.01.2010 1.10.2009 1.07.2009 1.04.2009 - 2,00 1.01.2009 0 007 007 007 008 008 008 009 009 009 010 010 010 1.2 5.2 9.2 1.2 5.2 .09.2 .01.2 .05.2 .09.2 .01.2 .05.2 .09.2 1.0 1.0 1.0 1.0 1.0 1 1 1 1 1 1 1 1.10.2008 - 1,00 1.07.2008 0,5 1.04.2008 0,00 1 1.01.2008 1,5 1,00 1.10.2007 2 2,00 1.07.2007 2,5 3,00 1.04.2007 3 1.01.2007 3,5 Inflationserwartungen in den USA Quelle: Fed Kreditwesen 22 / 2010 · S. 19 / 000 Eine Neubewertung der geldpolitischen Reaktionen von EZB und Fed auf die Finanzkrise mittelfristigen Inflationserwartungen im Euro­raum von zirka zwei Prozent auf un­ gefähr 1,6 bis 1,7 Prozent gefallen, die in den USA von 2,5 Prozent auf knapp über 2,0 Prozent (vgl. Abbildung X). Reale BIP-Entwicklung und Arbeitslosen­ quoten: Wenn auch das NBER KonjunkturKomitee die Rezession in den USA schon 2009 für offiziell beendet erklärte, so steht die realwirtschaftliche Entwicklung in den USA immer noch auf recht wackeligen Beinen. Angesichts der anhaltenden Prob­ leme auf dem amerikanischen Immobilien­ markt, weiterhin hoher Arbeitslosigkeit, dem Rückgang von Haushaltsver­mögen und Einkommen sind die Risiken für eine sogenannte double-dip-Rezession durch frühzeitiges Beenden beziehungsweise Nicht-Verlängern der expansiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen in den letz­ ten Wochen wieder leicht gestiegen. Heterogene Differenzen im Euroraum Im Euroraum prägen heterogene Differen­ zen das Bild der wirtschaftlichen Entwick­ lung. Länder wie Deutschland erholen sich derzeit gut, vor allem mit hohen Wachs­ tumsraten bei den Exporten, die sich auch auf hohe BIP-Wachstumsraten durchschla­ gen und einer insgesamt positiven Stim­ mung in der Wirtschaft. Offensichtlich war der Exportrückgang, der die deutsche Wirt­ schaft 2008/2009 heftig traf, eher tempo­ rärer Natur. Die deutsche Wirtschaft scheint strukturell stabil. Insofern ist ein zügiger Rückgang zum Potenzialoutput nicht überraschend. Deutschland hatte keine Blase im Immobilienmarkt; der Ar­ beitsmarkt wurde mittels aktiver Kon­ junkturprogramme, insbesondere der Ein­ führung von Kurzarbeit gut abgeschirmt. Allerdings könnten sich auch hierzulande noch Probleme durch den angeschlagenen Finanzsektor ergeben. Für den Euroraum reicht aber ein enger Fokus auf Deutschland nicht aus: Länder wie Spanien, Irland, Griechenland und Por­ tugal stehen weiterhin vor großen wirt­ schaftlichen Problemen. Wie die USA, so erlebten auch Spanien und Irland eine enorme Blase bei den Immobilienpreisen und dadurch exzessiven Konsum und hohe Inves­titionen, die sich zu Beginn des Jahr­ zehnts in hohen BIP-Wachstumsraten nie­ derschlugen. Seit dem Platzen der Blase leiden diese Länder nun unter wirtschaft­ licher Stagnation, hoher Arbeitslosigkeit und einem Rückgang der Preisniveaus. Letzteres ist einer der wenigen verbliebe­ nen An­passungsmechanismen, um inner­ halb des Euroraums wieder wettbewerbs­ fähig zu werden. Abbildung XI zeigt die Entwicklung von re­ alem BIP und Arbeitslosenquote für den Euroraum und die USA. Das reale BIP ist im Euroraum sogar stärker eingebrochen als in den USA. Obwohl sich beide Regionen bereits wieder erholen, so sind sie doch noch von den Niveaus im Jahre 2007 ent­ fernt. Die Arbeitslosenquote ist im Eu­ roraum und den USA auf momentan zirka zehn Prozent angestiegen. Allerdings war das Niveau vor der Krise im Euroraum mit sieben bis acht Prozent deutlich höher als in den USA mit einer Arbeitslosenquote von zirka fünf Prozent vor der Krise. Negative Auswirkungen auf den Finanzsektor abgefedert Vergleich mit der Großen WirtschaftsWirtschaftskrise: Im Vergleich mit der Großen Wirt­ schaftskrise der dreißiger Jahre hat sich die ­aktuelle Finanzkrise auf die realwirtschaft­ liche Entwicklung bislang relativ milde ausgewirkt (vgl. Abbildung XII). Offensicht­ lich haben die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen stabilisierend gewirkt. Dazu trägt auch bei, dass die meisten modernen Volkswirtschaften heute über weit mehr automatisch wirkende Stabilisatoren ver­ fügen als die Volkswirtschaften zurzeit der Großen Wirtschaftskrise. So brach das rea­ le BIP während der Großen Wirtschafts­ krise in den USA um fast 30 Prozent ein (1932/33), das BIP in Deutschland um 20 Prozent (1932). Die Arbeitslosenquoten stiegen damals in den USA auf 25 Prozent, in Deutschland sogar auf 30 Prozent. Im Vergleich dazu haben die aktuellen wirt­ schaftspolitischen Maßnahmen sowie die automatischen Stabilisatoren die Auswir­ kungen der Finanzkrise stark abge­ schwächt. Aufgrund entsprechendem „Lender-oflast-Resort“-Verhalten von EZB und Fed kam es zudem nicht zu der hohen Anzahl von Bankenzusammenbrüchen, die in der Großen Wirtschaftskrise Länge und Tiefe Abbildung XI: Reales BIP und Arbeitslosenquote im Euroraum und den USA seit Anfang 2007 Arbeitslosenquoten im Euroraum und USA in der aktuellen Finanzkrise Reales BIP in der aktuellen Finanzkrise 103 12 102 11 101 10 9 100 8 99 7 98 97 6 5 96 4 95 3 9 9 . 07 i 07 . 07 . 08 i 08 . 08 . 09 i 0 t. 0 n. 10 Jan Ma Sept Jan Ma Sept Jan Ma Sep Ja Euroraum (Index: 2007 Q1=100) USA (Index: 2007 Q1=100) Quelle: EZB und Fed 000 / S. 20 · 22 / 2010 Kreditwesen 7 . 07 uli 0 J Jan . 08 Jan 8 i0 Jul . 09 Jan 9 i0 Jul Euroraum – aktuelle Finanzkrise USA – aktuelle Finanzkrise Quelle: EZB und Fed . 10 Jan 0 i1 Jul Abbildung XII: Vergleich mit der Großen Wirtschaftskrise Arbeitslosenquoten im Euroraum und USA in der Großen Depression und der aktuellen Finanzkrise Reales BIP in der Großen Wirtschaftskrise und der aktuellen Finanzkrise 9 130 192 0 193 1 193 2 193 3 193 7 8 9 6 0 5 4 193 193 193 193 193 193 194 9 35 192 0 193 1 193 2 193 3 193 7 8 9 6 0 5 4 193 193 193 193 193 193 194 30 120 25 110 20 100 15 90 10 80 5 70 09 08 08 10 08 09 09 10 09 10 08 . 20 . 20 Juli 20 kt. 20 an. 20 pr. 20 Juli 20 kt. 20 an. 20 pr. 20 Juli 20 J J Jan Apr O O A A 0 09 08 08 09 10 08 10 09 08 09 10 . 20 . 20 Juli 20 kt. 20 an. 20 pr. 20 Juli 20 kt. 20 an. 20 pr. 20 Juli 20 J Jan Apr J O O A A Euroraum (Index: 2008 Q1=100) Euroraum – aktuelle Finanzkrise USA (Index: 2008 Q1=100) Deutschland – Große Wirtschaftskrise (Index: 1929 =100) USA – Große Wirtschaftskrise (Index: 1929 =100) USA – aktuelle Finanzkrise Deutschland – Große Wirtschaftskrise USA – Große Wirtschaftskrise Quelle: EZB, Fed und Mitchell (1992) dieser Krise enorm verstärkten (vgl. Abbil­ dung XIII und Bernanke, 1983). Fed und EZB ist es also – zumindest im Vergleich zur Großen Wirtschaftskrise – bislang durchaus erfolgreich gelungen, die negati­ ven Auswirkungen auf den Finanzsektor und darüber hinaus auf die Realwirtschaft einigermaßen abzufedern. Ungewisse Entwicklung in den USA 5. Künftige Geldpolitik – „Quantitative Lockerung 2“ und InflationserwartunInflationserwartungen? Aufgrund anhaltend hoher Arbeits­ losigkeit in den USA und weiterhin großer Probleme auf dem amerikanischen Immobi­ lienmarkt bleibt die wirtschaftliche Ent­ wicklung in den USA ungewiss. Die jüngsten BIP-Daten zeigen zwar ein Wachstum von zwei Prozent (annualisiert) im dritten Quar­ tal 2010, aber dies ist noch zu wenig, um bald zum Potenzialoutput zurückzukehren. Da die Fed, anders als die EZB, als Ziel auch einen möglichst hohen und nachhaltigen Beschäftigungsstand hat, haben sich in den letzten Wochen mehrere Fed-Ökono­ men für eine weitere Lockerung der Geld­ politik Anfang November 2010 ausgespro­ chen. In der Öffentlichkeit wird dies mit „Quantitative Easing 2“ (QE2) bezeichnet. Letztlich geht es dabei um den Versuch, die langfristigen Zinsen auf Staatspapiere noch weiter zu senken. Schon nach den Äußerungen prominenter Fed-Ökonomen im September sind die Zin­ Quelle: EZB, Fed, US Department of Commerce und Mitchell (1992) sen auf 10-jährige US-Staatsanleihen be­ reits um 40 Basispunkte gefallen. Offen­ sichtlich rechnen die Finanzmärkte bereits damit, dass die Fed noch verstärkt langfris­ tige US-Staatsanleihen aufkaufen wird. In einer empirischen Studie zeigen Hamilton und Wu (2010), dass ein zusätzlicher Auf­ kauf von langfristigen US-Staatsanleihen durch die Fed im Wert von 400 Milliarden US-Dollar den 10-Jahres Zins um etwa 14 Basispunkte senken würde. In einer ähn­ lichen Studie finden Gagnon et al (2010), dass ein solcher Aufkauf den 10-JahresZins um 20 Basispunkte senken würde. Unerprobte Maßnahmen mit hohen Risiken Interessanterweise ist aber gar nicht evi­ dent, ob ein weiterer Rückgang des Lang­ fristzinses wirklich als Erfolg zu interpre­ tieren wäre. Schließlich können sowohl der Realzins als auch die Inflationserwar­ tungen gefallen sein. Letzteres wäre je­ doch momentan genau das Gegenteil von dem, was die Fed durch ihre Maßnahmen erreichen möchte. Gelingt es ihr dagegen, durch eine weitere Lockerung die Infla­ tionserwartungen der privaten Akteure positiv zu beeinflussen, sollten die lang­ fristigen Zinsen eher steigen. In der Tat sind die Zinsen auf 10-jährige US-Staats­ anleihen seit Oktober wieder um 30 Basis­ punkte angestiegen. Dies scheint sich auch in den jüngst wieder leicht angestie­ genen Break-Even Inflation Rates wider­ zuspiegeln. Es bleibt festzuhalten, dass die Langfrist­ zinsen in den USA bereits auf historisch niedrigem Niveau sind. Insofern verfügt die Fed nur noch über begrenzte Möglich­ keiten, diese Zinsen noch weiter zu senken. Geldpolitik kann nicht alle wirtschaftlichen Probleme lösen. Eigentlich sollte die Fed momentan versuchen, die Inflationserwar­ tungen zu erhöhen. Davor scheut sie der­ zeit aber noch zurück, um die hart erarbei­ tete Glaubwürdigkeit ihrer Geldpolitik nicht zu verspielen. Die Herausforderung besteht darin, unnö­ tig hohe Inflationsraten, oder gar Hyper­ inflation, auf jeden Fall zu vermeiden. Es gibt nur wenige Optionen, um die Infla­ tionserwartungen angemessen zu erhöhen: Die glaubwürdige Ankündigung eines hö­ heren Inflationsziels ist eine Möglichkeit, Preisniveausteuerung eine andere. All diese Maßnahmen sind bislang unerprobt und mit hohen Risiken verbunden. Es bleibt ab­ zuwarten, welchen Weg die amerikanische Geldpolitik einschlagen wird. Im Euroraum erscheint die Situation mo­ mentan nicht ganz so dramatisch. Die Staatsschuldenkrise von Griechenland hat sich vorerst zumindest einigermaßen beru­ higt. Die deutsche Wirtschaft wächst wie­ der stark und beeinflusst damit auch die Wachstumsraten im Euroraum insgesamt positiv. Die EZB erwägt schon den Ausstieg aus den Stützungsmaßnahmen. Aber gerade die Griechenland-Krise hat auch im Eu­ roraum gezeigt, wie anfällig unsere Ökono­ Kreditwesen 22 / 2010 · S. 21 / 000 Eine Neubewertung der geldpolitischen Reaktionen von EZB und Fed auf die Finanzkrise Abbildung XIII: Trotz Bankenkrise bislang wenig Bankenzusammenbrüche verglichen mit der Großen Wirtschaftskrise Anzahl an Bankenzusammenbrüchen in den USA seit 1921 4 500 4 000 3 500 3 000 2 500 2 000 1 500 1 000 2006 2001 1996 1991 1986 1981 1976 1971 1966 1961 1956 1951 1946 1941 1936 1931 1926 0 1921 500 Quelle: FDIC mien momentan für Unsicherheiten und Schocks sind. Zudem sind die regionalen Unterschiede in der wirtschaftlichen Ent­ wicklung im Euroraum eher größer als in den USA. Das stellt die einheitliche Geldpo­ litik der EZB vor enorme Heraus­­forderungen. Es bleibt zu hoffen, dass es gelingt, diese Herausforderungen zu meistern. Literatur Altunbas, Gambacorta und Marques-Ibanez, Does Monetary Policy Affect Bank Risk-Taking, ECB Work­ing Paper 1166, 2010 Bernanke, Nonmonetary Effects of the Financial Crisis in the Propagation of the Great Depression, American Economic Review, 1983 Bernanke und Gertler, Inside the Black Box: The Cre­ dit Channel of Monetary Policy Transmission, Jour­ nal of Economic Perspectives, 1995 Blanchard, Dell’Ariccia und Mauro, Rethinking Ma­ croeconomic Policy, IMF Staff Position Note, 2010 Gagnon, Raskin, Remache und Sack, Large-Scale As­ set Purchases by the Federal Reserve: Did They Work, New York Fed Staff Report, März 2010 Gambacorta, Monetary policy and the risk-taking channel, BIS Quarterly Review, Dezember 2009 Hamilton, Arguments against QE2, EconbrowserBlog, Oktober 2010 Hamilton und Wu, The Effectiveness of Alternative Monetary Policy Tools in a Zero Lower Bound Envi­ ronment, Working Paper, 2010 Himmelberg, Mayer und Sinai, Assessing High House Prices: Bubbles, Fundamental and Misperceptions, Vol. 19(4), 2005 Illing und Klüh, Vermögenspreise und Konsum: Neue Erkenntnisse, Amerikanische Erfahrungen und Euro­ päische Herausforderungen, Munich Discussion Pa­ per No. 2004–5, 2004 McAndrews, Sarkar und Wang, The Effect of the Term Auction Facility on the London Inter-Bank Of­ fered Rate, New York Fed Staff Report, Juli 2008 Meier, Still Minding the Gap – Inflation Dynamics during Episodes of Persistent Large Output Gaps, IMF Working Paper, August 2010 000 / S. 22 · 22 / 2010 Kreditwesen Mishkin, The Household Balance Sheet and the Gre­ at Depression, Journal of Economic History, Vol. 38(4),1978 Mitchell, International historical statistics: Europe 1750-1988, Macmillan, 1992 Kajuth und Watzka, Inflation expectations from in­ dex-linked bonds: Correcting for liquidity and infla­ tion risk premia, Munich Discussion Paper No. 200813, 2008 Krugman, That Hissing Sound, New York Times, 8. August 2005 Rajan, Why we should exit ultra-low rates, Fault­ lines-Blog, August 2010 Taylor und Williams, A Black Swan in the Money Market, NBER Working Paper 13943, 2008 Thornton, The Effectiveness of Unconventional Mo­ netary Policy: The Term Auction Facility, St. Louis Fed Working Paper, Oktober 2010 Fußnoten 1) 2008 haben wir in dieser Zeitschrift (Illing/Watzka 17/2008) bereits eine erste Wertung vorgenommen. 2) So teilte die EZB von Juni 2009 bis Dezember 2009 Liquidität auch mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr zu, mit zugesicherter Zuteilung an alle Bieter zum Hauptrefinanzierungszins. Bei der ersten Langfrist­ operation am 24. Juni 2009 haben sich 1 121 Banken mit insgesamt 442 Milliarden Euro zu einem Zins von einem Prozent für ein Jahr refinanzieren können. 3) Bei der EZB ist es etwas komplizierter. Die EZB verzinst zwar Überschussreserven nicht, aber die Banken können ihre überschüssigen Reserven nach Belieben auf der Einlagefazilität zum Einlagezins verzinst hinterlegen. Der Einlagezins der EZB ist ak­ tuell 0,25 Prozent. Der Marktzins für Tagesgelder im europäischen Interbankenmarkt, der EONIA tendiert zurzeit im Mittel um die 0,7 Prozent. 4) Beispiele für einige dieser Märkte sind der Markt für Asset Backed Commercial Paper (ABCP) und der Money Market Mutual Fund (MMMF). 5) Hier einfach mit Risikokanal übersetzt. 6) Finanzmarkt-basierte Inflationserwartungen sind im Wesentlichen sogenannte Break-Even Inflation Rates oder BEIRs, die aus inflations-indexierten Staatsanleihen abgeleitet werden können und die Markteinschätzung bezüglich der zukünftigen Infla­ tionsraten abbilden sollen.