Mitschrift und Übersetzung von englischsprachigen Vorträgen 1

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Mitschrift und Übersetzung von englischsprachigen Vorträgen
Medizinische Vorträge anlässlich des Treffens des European Marfan Support Network EMSN in Verbindung
mit den schweizerischen Marfantagen vom 6. - 7. Sept. 2013 in Zürich
I.
Genetik
R. Pyeritz MD, PhD, University of Pennsylvania, Philadelphia (USA) “Role of Genetic Tests”
Der Vortrag beginnt mit einem historischen Rückblick. Erst seit Gent II werden genetische Untersuchungen in die
Diagnostik des Marfan-Syndroms einbezogen. Vorher waren ausschließlich die Kriterien der Genter Nosologie von
1996 ausschlaggebend. Zwischenzeitlich wurden bereits über 1.000 Veränderungen auf dem FBN1-Gen
nachgewiesen. Mutationen sind sehr individuell. Das spielt eine große Rolle bezüglich der Kosten. Dr. Pyeritz ist
der Meinung, dass bei klarer organischer Indikation auf eine Genanalyse verzichtet werden kann, insbesondere
wenn andere Familienmitglieder betroffen sind. Es gibt auch ca. 5 % Betroffene, bei denen auf dem FBN1-Gen
keine Veränderung nachgewiesen werden kann. Die Vererbung der Genmutation erfolgt autosomal-dominant und
betrifft rd. 50 % der Kinder. Man schätzt den Anteil einer spontanen Mutation auf ca. 25 – 30 %. Eine Mutation auf
dem FBN1-Gen kann auch für andere Krankheiten ursächlich sein; andererseits kennt man ca. 40 andere Gene,
deren Veränderung mit einem erhöhten Risiko für Aneurysmen einhergehen kann, z.B. die Gruppe der TGFßRezeptoren. Bei unklarer Diagnose können Gentests jedoch im Einzelfall auch einmal kostengünstiger sein als
eine Vielzahl aufwändiger Folgeuntersuchungen. Auch bei positiver Diagnose können allerdings
Anschlussuntersuchungen nötig werden. Fazit: In vielen – nicht jedoch in allen - Fällen erscheint ein Gentest
sinnvoll.
G. Matyas PD., Dr. , Zentrum für Kardiovaskuläre Genetik und Gendiagnostik, Schlieren (CH) „New
Insight in the Molecular Base”
Dr. Matyas hebt die Bedeutung einer genauen Diagnose mit Hilfe der Molekulargenetik zur Abgrenzung von
ähnlichen Erkrankungen (z.B. Loeys-Dietz-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom) hervor. Bei bis zu 95% der
Patienten mit klassischem Marfan-Syndrom gemäß Genter Nosologie werden Mutationen im Fibrillin (FBN1-Gen)
identifiziert. Dabei gibt es eine Vielzahl individuell unterschiedlicher Mutationen. Bei manchen Patienten mit
Marfan-ähnlichen Symptomen, jedoch ohne Veränderung des FBN1-Gens, können dagegen Mutationen in den
Genen für die Rezeptoren des Transforming Growth Factor Beta (TGFBR1- bzw. TGFBR2-Gen) nachgewiesen
werden.
II.
Ophthalmologie
I. Maumenee MD, University of Illinois, Chicago (USA)
“Ocular Corrections and Visual Rehabilitation”
Dr. Maumenee weist darauf hin, dass das bei Marfanpatienten fehlerhafte Fibrillin in fast jedem Bereich des Auges
vorhanden ist. Mögliche Schäden sind daher vielfältig. Das Auge scheint deutlich schneller zu altern als der Patient
und etwa 20 Jahre älter zu sein. Probleme gibt es vor allem mit den Zonulafasern, die für die Aufhängung der
Linse verantwortlich sind. Das sog. “Linsenschlottern” (Ektopia Lentis) gehört zu den Hauptkriterien des MarfanSyndroms und ist oft ausschlaggebend für einen Anfangsverdacht und in der Folge weitergehende
Untersuchungen. Aber auch Hornhaut, Linse und Augapfel sind betroffen. Es kommt gehäuft zu extremer
Kurzsichtigkeit und zu Netzhautablösung. Eine frühe Diagnose und regelmäßige Kontrollen sind wichtig, weil die
Beeinträchtigungen progressiv zunehmen können. Eine Degeneration der Makula ist dagegen laut neueren
Studien nicht häufiger als bei Patienten ohne Marfan. Mit dem Implantieren einer neuen Linse sollte möglichst
lange gewartet werden, weil sie bei Marfanpatienten schwieriger zu befestigen ist und nicht so lange hält wie in der
Allgemeinbevölkerung. Dr. Maumenee hält es für dringend erforderlich, dass für Marfanpatienten spezielle Linsen
entwickelt werden.
III.
Psychologie
G. Velvin MSW, Sunnaas Rehab. Hospital, Oslo (N) “Living with Marfan Syndrome”
Frau Velvin berichtet von einer neuen Untersuchung zu psychosozialen Aspekten des Lebens mit dem MarfanSyndrom. Psychosoziale Probleme können bei Marfanpatienten viele Ursachen haben, z. B. die Angst vor
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lebensbedrohlichen Aneurysmen der Aorta und anderen kardiologischen Komplikationen, eingeschränkte
Sehfähigkeit, eine auffällige äußere Erscheinung, Bewegungseinschränkungen und Schmerzen, Müdigkeit und
Nebenwirkungen von Medikamenten. Dazu kommt die berechtigte Sorge, die Erkrankung an die Kinder
weiterzugeben.
Zu diesem Themenkreis gab es international bisher nur wenige Studien, die überwiegend 15 – 20 Jahre alt sind
und teilweise wissenschaftliche Mängel aufweisen. Untersucht wurden seinerzeit im Wesentlichen folgende
Lebensbereiche: Jugend und Erwachsenwerden, Familienleben und Sexualität, Ausbildung und Arbeitsleben,
Angst und Depression, Alltagsbewältigung. Die Mehrheit dieser Studien kam zu dem Ergebnis, dass es bei
Marfanpatienten nicht nur im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung, sondern auch gegenüber Patienten mit
anderen kardiovaskulären oder sonstigen chronischen Erkrankungen, eine deutlich geringere Lebensqualität gibt.
Viele leiden unter Stigmatisierung und mangelndem Selbstwertgefühl. Viele fühlen sich aufgrund ihres Aussehens
und körperlicher Einschränkungen in ihrem Sexualleben beeinträchtigt. Es gibt kaum Unterschiede bezüglich des
Lebens in einer Partnerschaft, jedoch werden deutlich weniger Kinder in die Welt gesetzt. Betroffene haben i.d.R.
einen höheren Bildungsstand, fühlen sich jedoch bei der Wahl und Ausübung ihres Berufes eingeschränkt und
gehen früher in Rente. Für ein erhöhtes Auftreten von Depressionen und Ängsten gibt es in den alten Studien
keine eindeutigen Ergebnisse.
Eine neue Untersuchung hat nun in Norwegen begonnen. Themen werden die besonderen Herausforderungen für
Marfanpatienten in Ausbildung, Beruf und Alltag sein. Dies soll mit verschiedenen quantitativen und qualitativen
Methoden ermittelt werden. Erste Befragungen haben stattgefunden und werden analysiert.
S. Hendriksen Dr. med., Sunnaas Rehab.Hospital, Oslo (N) “Quality of Life in Marfan Syndrome”
Es ist schwierig, Lebensqualität in Bezug auf die Gesundheit (HRQOL – Health Related Quality of Life) objektiv zu
bewerten. Ein Instrument zur Messung ist der sog. EQ-5D, der folgende Kriterien umfasst: Mobilität, Autonomie im
Alltag, Fähigkeit zur Ausübung alltäglicher Aktivitäten, Schmerzen/Unwohlsein, Ängste/Depressionen. Die WHO
(World Health Organisation) hat für diese Befragungen das Formular SF-36 entwickelt. Der Fragebogen enthält 36
Fragen zu körperlicher Fitness, zur Auswirkung von körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen, zu
Schmerzen, zur allgemeinen und zur seelischen Gesundheit sowie zur Vitalität und zu sozialen Aktivitäten.
Bei einer Befragung von 84 Marfanpatienten schneiden diese im Vergleich mit der norwegischen
Allgemeinbevölkerung in allen Bereichen schlechter ab, weisen aber vergleichbare Ergebnisse mit Personen auf,
die ebenfalls an schweren chronischen Erkrankungen leiden. Gegenüber einer früheren Befragung sind die
Ergebnisse in Bezug auf Vitalität, Schmerzen und körperlichen Einschränkungen noch schlechter geworden. Als
Ergebnis der Befragung – auch wenn nicht alle Aspekte des Marfan-Syndroms berücksichtigt sind – ist
festzustellen, dass Betroffene in ihrem Alltag mit erheblichen Problemen zu kämpfen haben. Die subjektiv gefühlte
Einschränkung der Lebensqualität in Bezug auf die Gesundheit fällt deutlich größer aus als erwartet. Daraus ergibt
sich die Notwendigkeit, für mehr psychosoziale Unterstützung und Betreuung von Marfanpatienten zu sorgen. Es
hat sich auch herausgestellt, dass genauere Kenntnisse über die Erkrankung und ein regelmäßiger Austausch im
sozialen Umfeld – mit ebenfalls betroffenen Familienmitgliedern oder in Selbsthilfegruppen – zur besseren
Bewältigung der Probleme auf allen Ebenen beitragen.
T. Bathen, Sunnaas Rehabilitation Hospital, Oslo (N) “Experience Fatigue in Adults with Marfan”
Als Teil einer größeren Studie mit Marfanpatienten in Norwegen wurden 72 von ihnen zum Thema „Fatigue“
(Müdigkeit) befragt. Hierzu gab es bisher nur wenige Untersuchungen. Eine einheitliche Definition der Fatigue gibt
es nicht. Man kann es als überwältigendes Gefühl der Müdigkeit, Antriebslosigkeit und körperlicher und/oder
seelischer Erschöpfung beschreiben. Als Grundlage für die Studie wurde ein Fragebogen mit 9 Aussagen über die
Auswirkungen von Fatigue im Alltag verwendet. Der Grad des Zutreffens der einzelnen Aussagen musste auf
einer Skala von 1 – 7 angegeben werden. Die Ergebnisse wurden mit denen parallel befragter Personen der
Allgemeinbevölkerung und einer Gruppe anderer chronisch Kranker verglichen.
Der durchschnittliche Wert lag bei Marfanpatienten deutlich über dem der Allgemeinbevölkerung, jedoch
gleichzeitig deutlich unter dem Wert bei der Gruppe der ebenfalls chronisch Erkrankten. Nach Festlegung eines
Grenzwertes als Definition für das Vorhandensein einer Fatigue zeigte sich, dass nur 29 % der Marfanpatienten
(gegenüber 53 % der Allgemeinbevölkerung) nicht unter einer Fatigue leiden. Dagegen leiden 38 % sogar unter
einer schweren Fatigue (gegenüber 22 % der Allgemeinbevölkerung). Die Frage nach möglichen Auslösern der
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Fatigue ergab überraschenderweise keinen direkten Zusammenhang mit der Einnahme von Betablockern oder
dem Vorliegen einer Aortenerkrankung. Es gab auch keine signifikante Auswirkung des Alters, allerdings waren
Frauen durchschnittlich etwas stärker betroffen als Männer. Dafür war eine deutliche Korrelation mit dem
Vorhandensein chronischer Schmerzen und dem Zustand der Arbeitsunfähigkeit festzustellen. Viele andere
mögliche Faktoren wurden in dieser Studie noch nicht untersucht.
IV.
Lungen-/Thoraxdeformität
E. Neptune MD, John Hopkins University, Baltimore (USA)
“Pulmonary Issues”
Dr. Neptune weist darauf hin, dass die bei Marfanpatienten verbreitet auftretende Kurzatmigkeit ihre Ursache nicht
nur im Bereich des Herzens haben muss, sondern auch im Bereich der Lunge liegen kann. Auch in der Lunge
befindet sich überall Fibrillin, welches für die Symptome verantwortlich sein kann. Auslöser können eine
allgemeine Atemmuskelschwäche, Emphysem, Asthma, Pneumothorax oder Schlaf-Apnoe sein. Eine
regelmäßige Überprüfung mittels Lungenfunktionstest hält Dr. Neptune daher für Marfanpatienten für sinnvoll. In
einigen Fällen kann sich die Lunge aufgrund von Deformitäten des Brustkorbs oder schwerer Skoliose nicht voll
entfalten. Trotzdem rät Dr. Neptune zur Zurückhaltung bei operativen Korrekturen des Brustkorbs. Bei einer
extremen Trichterbrust (pectus excavatus) kann man anlässlich einer geplanten Aorten- oder Mitralklappen-OP
eine zeitgleiche Korrektur des Brustkorbs in Erwägung ziehen. Eine schwere Skoliose kann das Lungenwachstum
und die Lungenfunktion allerdings noch stärker beeinträchtigen. Das sog. “Bracing” hat sich zur Korrektur einer
leichteren Skoliose nicht bewährt, weil die Wirbelsäule sich nach Beendigung der Maßnahme wieder verbiegt. Dr.
Neptune empfiehlt insbesondere eine Untersuchung von Marfanpatienten auf Schlaf-Apnoe, weil die Betroffenen
durch den dabei entstehenden Stress mit starker Erhöhung des Blutdrucks und damit einhergehender Erweiterung
der Aorta besonders gefährdet sind. Es scheint auch eine gewisse Korrelation von Skoliose und dem Auftreten von
Schlaf-Apnoe zu geben.
W. Weder Prof. Dr. med., Universitäts Spital Zürich (CH) “Surgical Treatment of Complications”
Prof. Weder führt aus, dass die Indikationen für Operationen der Lunge bzw. des Brustkorbs unterschiedlich sind.
Eine Korrektur der Trichterbrust ist selten erforderlich, um Herz und Lunge genug Raum zu geben. Sie erfolgt
überwiegend aus kosmetischen Gründen oder in Verbindung mit einer ohnehin erforderlichen Herzoperation.
Dagegen kann es durchaus notwendig werden, bei wiederkehrendem Pneumothorax und häufigen Infektionen
operative Maßnahmen an der Lunge zu durchzuführen. In bestimmten Fällen lässt sich ein wiederkehrender
Pneumothorax auch minimalinvasiv beheben. Anhand von histologischen Untersuchungen lässt sich die Neigung
zu Emphysemen erkennen. Erwiesen ist, dass Marfanpatienten ein deutlich höheres Operationsrisiko haben als
andere Patienten, so dass immer ein multidisziplinäres Ärzteteam zur Bewältigung etwaiger Komplikationen zur
Verfügung stehen sollte.
V.
Kardiologie/Herzchirurgie
C. Attenhofer Jost Prof. Dr. med., Klinik im Park, Zürich (CH)
“Echocardiography in Marfan Syndrome - What are the Caveats”
Mit zunehmendem Alter steigt bei Marfanpatienten die Wahrscheinlichkeit einer zu starken Erweiterung der Aorta,
die die Hauptursache kardiovaskulärer Komplikationen darstellt. Die Messung des Aortendurchmessers mit Hilfe
des Echokardiogramms und die Beobachtung dieses Wertes in regelmäßigen Intervallen ist daher äußerst wichtig.
Prof. Attenhofer erläutert Probleme bei der Messung anhand des sog. „Z-Scores“. Der Z-Score (auch „Standard
Score“) gibt an, um wie viele Standardabweichungen ein gemessener individueller Wert vom Mittelwert abweicht.
Basis für den Mittelwert sind Messungen bei einer Population von Gesunden, wobei nach Geschlecht, Alter und
Körperoberfläche differenziert wird. Tatsächlich gibt es bei den Messungen gelegentlich abweichende Ergebnisse,
weil nicht in allen Kliniken dabei auf einheitliche Weise vorgehen. Während das Echokardiogramm einen Prolaps
der Mitralklappe deutlich anzeigt, kann nicht beurteilt werden, wie viel Blut durch die Undichtigkeit der Klappe
zurückfließt. Vorausgegangene Operationen und Brustkorbdeformitäten können die Aussagekraft von Bildern des
Echokardiogramms erschweren. Ca. 15 % der operierten Marfanpatienten müssen sich nach etwa 10 Jahren einer
erneuten Aorten-OP unterziehen.
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E. Arbustini Prof. Dr. med., Policlinico San Matteo, Pavia (I)
“Model for Non-Marfan Familial Aneurysmal Diseases”
Prof. Arbustini führt aus, in welcher Hinsicht sich das Marfan-Syndrom von ähnlichen, in manchen Familien gehäuft
auftretenden Erkrankungen wie z.B. Ehlers-Danlos-Syndrom, Loeys-Dietz-Syndrom, TAAD (thoracic aortic
aneurysms and dissections) und ATS (arterial tortuosity syndrome) unterscheidet. Sie weist darauf hin, dass sich
bei Marfanpatienten kaum elastische Fasern in der Aortenwand befinden. Neben dem FBN1-Gen, dessen
Mutationen selbst innerhalb einer Familie zu ganz unterschiedlichen Ausprägungen führen können, werden auch
Veränderungen an den TGFBR1- and TGFBR2-Genen mit dem Marfan-Syndrom, dem Loeys-Dietz-Syndrom und
TAAD in Verbindung gebracht. Inzwischen stehen neuere Medikamente zur Verfügung. Hier werden in erster Linie
die Sartane – z.B. Losartan - genannt.
Y. von Kodolitsch Prof. Dr. med., Klinik und Poliklinik für Kardiologie/Angiologie, Hamburg
„Alternative Imaging to Echo Cardio (CT/MR)“
Prof. von Kodolitsch stellt fest, dass es eine große Vielzahl von Ausprägungen des Marfan-Syndroms gibt und
dass die früher standardmäßig durchgeführte Diagnostik mittels Stethoskop, Maßband und Echokardiogramm
heute wesentlich umfassender ausfallen sollte. Wenn der Herzmuskel nicht mehr einwandfrei arbeitet, kommt es
zu einer Herzschwäche, und das Herzvolumen vergrößert sich. Hinweise darauf erhält man nicht nur mit einem
aufwändigen Kardio-MRT, sondern auch mit einer einfachen Blutuntersuchung auf das Hormon NT-proBNP. Ein
erhöhter Wert gilt als Anzeichen dafür, dass der Herzmuskel nicht mehr einwandfrei arbeitet.
Auch bei ventrikulären Arrhythmien, die im Extremfall zum Herzstillstand führen können, ist der Wert des NTproBNP erhöht. Am besten lassen sich Rhythmusstörungen jedoch mit einem 24-Stunden-EKG dokumentieren.
Sie können die Implantation eines Defibrillators erforderlich machen.
Von zunehmender Bedeutung bei Marfanpatienten erscheint auch eine Untersuchung auf wiederholt auftretenden
nächtlichen Atemstillstand (Apnoe). Dies kann zu extremer Tagesmüdigkeit und zu Depressionen führen.
Untersuchungen legen nahe, dass es eine Korrelation zwischen einer erweiterten Aorta bzw. einem erhöhten NTproBNP-Wert und dem Auftreten von Schlafapnoe gibt. Besonders riskant ist der nach einem Atemstillstand
verursachte hohe Druck in der Aorta, der die Neigung zur Bildung von Aneurysmen verstärken kann. Bei einer
Apnoe-Diagnose kann das Tragen einer Schlafmaske verhindern, dass der Sauerstoffgehalt im Blut zu sehr sinkt.
Für die Diagnose kann im ersten Schritt zuhause ein mobiles Messgerät angelegt werden. Erhärtet sich der
Verdacht, ist eine Untersuchung im Schlaflabor anzustreben.
In jedem Fall sollte zusätzlich zum Echokardiogramm ein MRT erstellt werden. Wichtig ist hierbei, dass die
gesamte Aorta (aufsteigende und distale Aorta einschließlich der angrenzenden Arterien) untersucht wird. Die im
MRT gemessenen Werte dienen als Basis für im weiteren Verlauf zu Vergleichszwecken ermittelte Daten.
Zur Einschätzung des individuellen Risikos einer Aortenkomplikation gilt ferner die Messung des TGFß im Blut. Ein
hoher Wert gilt als mitverantwortlich für die Bildung von Aneurysmen. Die bei Gesunden durch das Fibrillin
erfolgende Hemmung der Wirkung des TGFß funktioniert bei Marfanpatienten aufgrund ihres Gendefekts nicht
ausreichend. Als indirekter Prognosemarker kann auch eine Pulswellenmessung (Applanationstonometrie) dienen.
Damit können Veränderungen im Gefäßsystem, insbesondere im Hinblick auf eine zunehmende
Gefäßwandsteifigkeit gemessen werden.
F. Schönhoff MD, Inselspital / Universitätsklinik Bern (CH)
„Long term Problems after Aortic Dissection “
Ein frühzeitiger Ersatz der Aortenwurzel scheint die Lebenserwartung von Marfanpatienten langfristig zu
verbessern. Zur Beurteilung des optimalen Zeitpunktes wird der sog. „Svensson-Index“ herangezogen, der eine
OP empfiehlt, wenn mehr als 10 Punkte erreicht werden. Entscheidend ist jedoch nicht nur der absolute
Durchmesser der Aorta, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der der Durchmesser in bestimmten Zeitintervallen
zunimmt. Studien haben gezeigt, dass das langfristige Ergebnis bei klappenerhaltenden Operationen am besten
ist. Re-Operationen scheinen nach der Yacoub-Operationsmethode und in Fällen, in denen es bereits vorher zu
einer Dissektion kam, häufiger erforderlich zu werden. Ein nicht ausreichend gesenkter Blutdruck erhöht ebenfalls
das Risiko für die Notwendigkeit einer Re-Operation. Zu beachten ist, dass es bei Marfanpatienten häufig auch
schon bei Durchmesserwerten von weniger als 5 cm zu Dissektionen kommt und dass Patienten auch an
indirekten Neben- oder Nachwirkungen einer Operation sterben können.
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K. Kallenbach Prof. Dr. med., Klinik für Herzchirurgie, Heidelberg
„Elective Surgery of the Aortic Root“
An einer akuten Aortendissektion Typ A (im aufsteigenden Teil der Aorta) zu sterben, stellt für Marfanpatienten
nach wie vor das größte mit der Erkrankung verbundene Risiko dar. Wenn Marfanpatienten oder Patienten mit
ähnlichen Erkrankungen daher eine elektive Aorten-OP planen, muss dennoch eine sorgfältige Risikoabwägung
erfolgen. Die American Heart Association AHA hat im Jahr 2010 Richtlinien herausgegeben, die als
Entscheidungsbasis einen Aortendurchmesser von 5,5 cm für Patienten ohne und von 4-5 cm für Patienten mit
Marfan-Syndrom empfehlen. Diese Empfehlung ist nach Prof. Kallenbachs Meinung nicht ausreichend. Man
benötigt ein wesentlich umfassenderes Risikoprofil. Einbezogen werden sollten z.B. auch die Ergebnisse
genetischer Untersuchungen und der familiäre Hintergrund, der Z-Score, die Einstellung des Blutdrucks sowie die
im Blut gemessenen Werte von NT-proBNT und TGF. Bei defekten Herzklappen ist auch die Frage wichtig, ob
eine klappenersetzende oder eine klappenerhaltende Operation geplant ist. In Heidelberg werden Marfanpatienten
i.d.R. bei einem Durchmesser der Aorta von 4,5 cm operiert. Nach 10 Jahren ist das Ergebnis bei rd. 87 % der
operierten Patienten immer noch gut. Eine Re-Operation scheint bei klappenerhaltender OP etwas häufiger
erforderlich zu werden als beim Klappenersatz. Bei Einsatz einer künstlichen ist jedoch das Problem der
anschließend lebenslang erforderlichen Einnahme von Medikamenten zur Antikoagulation des Blutes zu beachten.
Abschließend erläutert Prof. Kallenbach die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Operationsmethoden und
Prothesen zur Stabilisierung der Aorta und hebt hervor, dass nicht alle für Marfanpatienten gleich gut geeignet
sind. In Heidelberg wird derzeit die Valve Sparing (klappenerhaltende) Methode nach David bevorzugt.
VI. Mutterschaft
N. H. Andersen Dr. med., Aarhus, University Hospital Skejby, Aarhus (DK)
in Marfan Patients”
“Pregnancy and Delivery
Grundsätzlich sind erfolgreiche Schwangerschaften für Marfanpatientinnen möglich, sofern einige Dinge beachtet
werden und eine gute ärztliche Überwachung gewährleistet ist. Am sichersten ist eine kardiologische Evaluation
vor der Schwangerschaft, um bei einem kritischen Durchmesser ggf. eine Aorten-OP bereits vor der
Schwangerschaft durchführen zu lassen. Ein Durchmesser von max. 4 cm wird i.d.R. als sicher für eine
Schwangerschaft angesehen. Da der Gendefekt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an die Nachkommen
weitergegeben wird, kann – sofern gesetzlich gestattet - eine in-vitro-Befruchtung mit anschließender
Präimplantationsdiagnostik (PID) verhindern, dass Kinder mit dem MFS ausgetragen und geboren werden.
Alternativ kann innerhalb der ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft durch Zellentnahme (chorion villus
sampling) ein möglicher Gendefekt des Embryos nachgewiesen und ggf. eine Abtreibung in Erwägung gezogen
werden. Die Einnahme von Losartan sollte während der Schwangerschaft zugunsten eines Betablockers
eingestellt werden. Bei bereits erfolgtem Ersatz von Herzklappen besteht ein höheres Risiko, insbesondere ein
hohes Blutungsrisiko. Eine Behandlung mit Marcumar muss sorgfältig abgewogen werden, da eine zu hohe Dosis
den Fötus schädigt. MRT und Röntgen sind mit leichten Einschränkungen unschädlich. In jedem Fall ist während
der gesamten Schwangerschaft eine enge Kooperation zwischen Gynäkologen und Kardiologen erforderlich.
Während der Geburt sollte ein Ärzteteam für einen kardiologischen Notfall zur Verfügung stehen.
J. De Backer MD, PhD, University Hospital, Ghent (B)
“Cardiovascular Manifestations in Marfan Patients”
Die am häufigsten auftretenden kardiovaskulären Probleme bei Marfanpatienten sind Erweiterung/Dissektion oder
eine Ruptur der Aortenwurzel, ein Mitralklappenprolaps (mit und ohne Klappenverdickung), Erweiterung der
distalen (absteigenden) Aorta, Herzrhythmusstörungen sowie Funktionsstörungen des linken Ventrikels. Alle diese
Erkrankungen treten bei Marfanpatienten häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung und sind mit einer erhöhten
Neigung zu Komplikationen verbunden. Dies gilt insbesondere für den Mitralklappenprolaps und die Dissektion der
Aorta, die durch vorbeugende Untersuchung/Messung unbedingt vermieden werden sollte. Aneurysmen an der
absteigenden Aorta können auch unabhängig vom Durchmesser der aufsteigenden Aorta entstehen. Ferner
können Arrhythmien für einen plötzlichen Herztod bei Marfanpatienten verantwortlich sein. Eine erhöhte
Konzentration des im Blut messbaren herzspezifischen Biomarkers NT-proBNT kann als Indikator für das gehäufte
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Auftreten von Herzrhythmusstörungen dienen. Auch die Dysfunktion der linken Herzkammer wird auf das bei
Marfanpatienten fehlerhafte Fibrillin-1 zurückgeführt.
VII.
Orthopädie/Schmerztherapie
K. Min PD Dr., Universitätsklinik Balgrist, Zürich (CH) „Orthopaedic Issues“
Dr. Min erläutert die unterschiedlichen Ausprägungen von Deformitäten der Wirbelsäule bei Marfanpatienten. Ca.
60 % leiden an einer mehr oder weniger ausgeprägten Skoliose, ca. 40 % an einer Kyphose, ca. 6 % an einer
Spondylose. Eine starke Skoliose kann bei Kindern das Herz- und Lungenwachstum beeinträchtigen. Das sog.
„Bracing“ als konservative Maßnahme hält auch Dr. Min für wenig effektiv. Es kann aber unter Umständen dazu
beitragen, eine notwendige Operation bei Kindern hinauszuschieben, bis Herz und Lunge ausgewachsen sind.
Eine Wirbelsäulen-OP sollte nicht zu früh und bei Marfanpatienten immer vom Rücken aus erfolgen. Dr. Min
erläutert die Operationsmethode, die zu einer Aufrichtung mittels implantierter Stäbe führt. Hierbei gibt es sogar
Stäbe, deren Länge in bestimmten Zeitintervallen angepasst wird, um mit den jungen Patienten „mitzuwachsen“.
R. Pyeritz MD, PhD, University of Pennsylvania, Philadelphia (USA) “Exercise and Stay Fit”
Grundsätzlich sind körperliche Aktivitäten für die Gesundheit von Körper und Geist immer zu empfehlen, speziell
auch für Marfanpatienten, sofern bestimmte Einschränkungen beachtet werden. Das Training muss „sicher“ sein,
d.h. für Marfanpatienten vor allem, dass ein zu hoher Druckanstieg in den Gefäßen und das Risiko von
Zusammenstößen mit Personen oder Geräten (z.B. Bällen) unbedingt vermieden werden müssen. Das Ausmaß
der Anstrengung richtet sich natürlich nach den individuellen Fähigkeiten. Patienten sollten jedoch stets unterhalb
ihrer Belastungsgrenze bleiben. Bei aerobem Training (z.B. Walking, Jogging, Schwimmen, Fahrradfahren) sollte
die Grenze dort liegen, wo eine Unterhaltung während des Trainings noch problemlos möglich ist. Der Pulsschlag
sollte bei Belastung 100 nicht übersteigen. Gelenke sollten so trainiert werden, dass die Belastung gering ist.
Kontakt- und Wettkampfsportarten sind für Marfanpatienten wegen des Verletzungsrisikos nicht geeignet. Auch
isometrische Übungen oder Übungen mit überwiegend isometrischem Charakter können zu extremem
Druckanstieg führen und sind möglichst zu vermeiden.
A. Siegenthaler PD Dr. med., Universitätsklinik Inselspital, Bern (CH) “Treatment of Chronic Pains”
Zu diesem Thema liegen nur wenige Daten vor. Da es keine speziellen „Marfanschmerzen“ gibt, gelten allgemeine
Erkenntnisse über den Umgang mit chronischen Schmerzen. Schmerzen werden immer subjektiv wahrgenommen,
können also nicht objektiv zu Vergleichszwecken gemessen werden. In erster Linie sollte man stets versuchen, die
Ursachen zu behandeln. Dies ist zwar bei akuten Schmerzen oft möglich, bei anhaltenden chronischen Schmerzen
meist jedoch nicht. Eine professionelle multimodale Schmerztherapie stützt sich im Wesentlichen auf drei Säulen:
Pharmakologie, invasive Therapie (chirurgische Eingriffe), kognitive Therapie (Selbstwahrnehmung,
Verhaltenstraining, Physiotherapie). Die Erfolgsaussichten erhöhen sich, wenn eine Behandlung auf allen drei
Ebenen gleichzeitig erfolgt. Für die Behandlung mit Schmerzmitteln gilt die Devise: so hoch dosiert wie nötig, aber
nur so kurze Zeit wie möglich. Gerade bei langfristiger Einnahme ist zu beachten, dass viele Schmerzmittel
erhebliche Nebenwirkungen haben – andere Organe können geschädigt werden. Es kann sich sogar eine
Abhängigkeit entwickeln, die dazu führt, dass die Mittel langfristig nicht mehr oder nur in immer höherer Dosis
wirksam sind.
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