Die schwache Wechselwirkung

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Die schwache Wechselwirkung
Thomas Mannel, Universität Siegen
24. Mai 2007
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
1
2 Die Geschichte der schwachen Wechselwirkung
2
3 Das moderne Verständnis der schwachen Wechselwirkung
7
4 Zusammenfassung
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Einführung
Die moderne Physik kennt insgesamt vier Arten der Wechselwirkung. Zwei dieser Wechselwirkungen spielen im täglichen Leben eine Rolle, die Gravitation, beispielsweise in Form
der Erdanziehung, und die elektromagnetische Wechselwirkung, die die chemischen und
physikalischen Eigenschaften von Stoffen bestimmt. Außerdem kennen wir die starke Wechselwirkung, die Protonen und Neutronen zu Atomkernen und auch die Quarks im Proton
und Neutron bindet, und die schwache Wechselwirkung, mit der sich dieser Artikel genauer
befassen wird.
Tatsächlich ist die Gravitation die schwächste dieser vier Wechselwirkungen, obwohl
sie die Dynamik des Universums bestimmt. Die Ursache hierfür liegt in der Tatsache,
dass die Gravitation langreichweitig ist und nur anziehende Gravitationskräfte existieren.
Damit spielt die Gravitation bei großen Abständen die wesentliche Rolle, während die
drei anderen Wechselwirkungen die mikroskopische Welt bestimmen, also die Welt der
Elementarteilchen.
Auf den ersten Blick scheint die schwache Wechselwirkung für das Verständnis unserer Welt nicht besonders wichtig zu sein, da sie schwach und kurzreichweitig ist. Es stellt
sich aber heraus, dass die Prozesse der schwachen Wechselwirkung wesentlich sind für die
Kernprozesse in der Sonne, die Sonne also ohne die schwache Wechselwirkung nicht scheinen würde. Außerdem hat die Erforschung der schwachen Wechselwirkung zu unserem
Verständnis der mikroskopischen Welt wesentlich beigetragen. Wichtige und bisher ungeklärte Fragen wie die nach dem Ursprung der Masse und nach der Ursache der Asymmetrie
1
zwischen Materie und Antimaterie könnten im Bereich der schwachen Wechselwirkung eine
Antwort finden.
In diesem Artikel soll zunächst die spannende Geschichte der schwachen Wechselwirkung beschrieben werden, die zu dem dann im nächsten Abschnitt diskutierten modernen
Verständnis geführt hat.
2
Die Geschichte der schwachen Wechselwirkung
Den Beginn der Erforschung der schwachen Wechselwirkung markiert die Entdeckung der
Radioaktivität im späten neunzehnten Jahrhundert. Zunächst entdeckte Becquerel [1] im
Jahre 1896 die Radioaktivität, indem er feststellte, dass bestimmte Substanzen unsichtbare
Strahlen aussenden, die mit photographischen Platten nachgewiesen werden konnten. Drei
Jahre später fand Rutherford [2] heraus, dass es verschiedene Strahlenarten gibt, die er
α und β Strahlen nannte. Er stellte fest, dass die α Strahlung wesentlich weniger durchdringend war als die β Strahlung. Heute wissen wir durch die bereits 1905 durchgeführten
Experimente von Kaufmann, dass es sich bei der β Strahlung um Elektronen handelt. Fast
zwanzig Jahre später erst entdeckte Chadwick [3], dass diese β Strahlen ein kontinuierliches Energiespektrum aufwiesen, was zu dieser Zeit völlig unverständlich war, da dies eine
Verletzung der Energieerhaltung bedeuten würde. Die Messungen von Ellis und Wooster
[4] im Jahre 1924, die den β Zerfall
210
83
Bi −→ 210
84 Po
untersucht haben, ergaben eine mittlere Energie der β Strahlung von hEβ i = 350 keV,
obwohl die Massendifferenz von ∆E = 1050 keV der beiden Kerne eine wesentlich größere
Energie nahelegt. Dieser erstaunliche Sachverhalt stellte die Forscher damals vor ein großes
Problem, da augenscheinlich der Energiesatz verletzt war.
Dieses Problem fand eine erstaunliche Lösung. Um die Energieerhaltung zu retten,
forderte Pauli im Jahre 1930 in seinem berühmten Brief an die “sehr geehrten radioaktiven
Damen und Herren” [5], die sich in Tübingen versammelt hatten, ein neues, bis dahin
ungesehenes Teilchen, was ebenfalls beim β Zerfall freigesetzt wird, Energie und Impuls
trägt und damit die Energieerhaltung rettet.
Schon in diesem Brief deutet Pauli an, dass dieses Teilchen extrem schwach wechselwirken muss, da es sonst bereits in anderen Prozessen hätte gesehen werden müssen. Diese aus
damaliger Sicht abenteuerliche Problemlösung hat sich erst viele Jahre später als korrekt
herausgestellt, als Reines und Mitarbeiter 1953 die direkte Evidenz dieses Teilchens, das
wir heute Neutrino nennen, fanden.
Die ersten theoretischen Ansätze für ein Verständnis des nuklearen β Zerfalles wurden 1933 von Fermi [6] formuliert. Die Idee der theoretischen Beschreibung basiert auf
einer Analogie mit der elektromagnetischen Wechselwirkung, bei der elektrische Ströme
über magnetische Felder miteinander wechselwirken. Auf elementarer Ebene wechselwirken Elektronen durch den Austausch von Photonen, so dass effektiv eine Strom-Strom
2
Wechselwirkung auftritt. In ähnlicher Weise hat Fermi die schwache Wechselwirkung parametrisiert, in dem er die Ströme verallgemeinert hat: Der β Zerfall des Neutrons
n → p + e− + ν̄e ,
wobei n für das zerfallende Neutron steht, p für das Proton, e für das Elektron und ν̄e für
ein Elektron-Antineutrino, was nach Paulis Hypothese in dem Zerfall ebenfalls emittiert
wird, ist demnach durch das Produkt zweier Ströme gegeben, wobei der eine den Übergang
vom Neutron zum Proton, der andere die Erzeugung des Elektrons und des Antineutrinos
beschreibt. Die Kopplungsstärke für diese Strom-Strom Kopplung der schwachen Wechselwirkung wurde als Parameter, die sogenannte Fermi-Kopplungskonstante GF , eingeführt,
wobei der Wert aus Messungen bestimmt wurde.
Abbildung 1: Enrico Fermi, der Begründer der Theorie der schwachen Wechselwirkung
Nachdem in den vierziger und fünfziger Jahren noch wesentlich mehr Daten zu den
nuklearen β Zerfällen zur Verfügung standen, stellte sich bald heraus, dass das von Fermi vorgeschlagene einfache Bild nicht vollständig sein konnte. Während sich bestimmte
Klassen von Zerfällen gut beschreiben ließen, war die Beschreibung für bestimmte andere
Zerfälle nicht korrekt. Aufgrund dieser Beobachtungen wurde der Fermi’sche Ansatz weiter
verallgemeinert, indem alle Wechselwirkungen berücksichtigt wurden, welche die Paritätssymmetrie, d.h. die Symmetrie unter Raumspiegelung, und die Ladungkonjugationssymmetrie, d.h. die Symmetrie unter einer Vertauschung von Teilchen mit seinem Antiteilchen,
berücksichtigten. Trotzdem ergab sich aber hieraus immer noch keine zufriedenstellende
Beschreibung der Daten.
Mit der Entdeckung der Pionen π ± (geladene Pionen) und π 0 (neutrales Pion) und des
geladenen Muons µ± wurden deren Hauptzerfallskanäle ebenfalls als Prozesse der schwa-
3
chen Wechselwirkung identifiziert, weil die Kopplungsstärken der Zerfälle1
π → µ + ν̄µ und µ → e + νµ + ν̄e
der des Neutron-β Zerfalles entsprachen. Dies wurde schon sehr früh als eine mögliche
universelle Eigenschaft der schwachen Wechselwirkung interpretiert.
Ende der vierziger Jahre und in den fünfziger Jahren wurde dann in verschiedenen
Experimenten eine große Zahl von neuen Teilchen entdeckt. Die meisten dieser Teilchen
zerfielen unter dem Einfluss der starken Wechselwirkung sehr schnell in Protonen, Neutronen und Pionen. Rochester und Butler [7] fanden aber einige Teilchen, die ein “seltsames”
Verhalten aufwiesen: Obwohl sie wesentlich schwerer als Pionen waren, zerfielen sie nicht
in einer für die starke Wechselwirkung typischen Zerfallszeit in Pionen, sondern stellten
sich als deutlich langlebiger heraus; die Lebensdauern deuteten eher auf einen Prozess
der schwachen Wechselwirkung hin. Die Erklärung dieses seltsamen Verhaltens ist ähnlich verblüffend wie Paulis Hypothese des Neutrinos: Gell Mann postulierte 1955 [8] eine
neue Quantenzahl, die “Strangeness”, die in den Prozessen der starken Wechselwirkung
enthalten ist, sich aber durch die schwache Wechselwirkung ändern kann. Damit wird der
Zerfall eines “seltsamen” Teilchens zu einem Prozess der schwachen Wechselwirkung und
die langen Lebensdauern verständlich.
Abbildung 2: Die Entdeckung der “seltsamen” Teilchen in Nebelkammerexperimenten. Die
V-förmige Spur in der unteren Hälfte des linken Bildes ist der Zerfall eines neutralen Kaons
in zwei geladene Pionen, während die geknickte Spur im rechten oberen Teil des rechten
Bildes den Zerfall eines geladenen Kaons in ein neutrales und ein geladenes Pion darstellt.
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In der Formel für die Zerfälle bezeichnet νµ das Muon-Neutrino, ν̄µ sein Antiteilchen und genauso für
das Elektron Neutrino νe . Die Tatsache, dass das Elektron Neutrino verschieden ist vom Muon Neutrino
ist erst 1962 etabliert worden. Die Existenz eines dritten Neutrinos ντ ist erst durch Experimente im Jahr
2000 verifiziert worden.
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Die Prozesse mit den seltsamen Teilchen haben aber noch eine viel tiefere Einsicht
in die Struktur der schwachen Wechselwirkung vermittelt. Unter diesen Teilchen wurden
zwei Teilchen Θ und τ identifiziert, die im Rahmen der damaligen Messgenauigkeit gleiche
Massen und Lebensdauern aber verschiedene Zerfallskanäle hatten, nämlich
Θ → π + π 0 und τ → π + π − π + .
Die beiden Zerfälle deuteten darauf hin, dass tatsächlich zwei verschiedene Teilchen vorlagen, denn die Endzustände mit zwei Pionen haben ein anderes Verhalten unter Raumspiegelung als die mit drei Pionen, so dass unter der Annahme der Erhaltung der Paritätssymmetrie die beiden Teilchen verschieden sein mussten.
Die Auflösung dieses Θ-τ Rätsels ist wiederum ähnlich überraschend wie das Postulat
des Neutrinos. Lee und Yang postulierten 1956 [9], dass Θ und τ tatsächlich identisch sind2 ,
was aber zur Konsequenz hat, dass die schwache Wechselwirkung die Parität verletzen
muss, ein schwacher Zerfall im Spiegel also anders aussieht als das Original. Diese Idee
wurde zunächst nicht akzeptiert. Pauli ist mit dem Zitat bekannt, dass “Gott doch kein
schwacher Linkshänder” sei. Allerdings hat die experimentelle Verifikation dieser Annahme
weniger als ein Jahr gedauert: In den berühmten Experimenten von Wu und Mitarbeitern
[10] und von Garwin, Ledermann und Mitarbeitern [11] wurde die Paritätsverletzung in
nuklearen β Zerfällen direkt nachgewiesen.
Für die theoretische Beschreibung bedeutet dies, dass an der schwachen Wechselwirkung nur solche Teilchen teilnehmen, deren Spin entgegen der Flugrichtung ausgerichtet ist.
Solche Teilchen bezeichnet man als “linkshändige” Teilchen, die unter Raumspiegelung in
rechtshändige Teilchen übergehen. Die massiven Teilchen wie das Elektron und das Muon
treten dann in zwei “Komponenten” auf, einer rechts- und einer linkshändigen Komponente, während die Neutrinos, von denen man annahm, dass sie wie das Photon masselos sind,
nur eine linkshändige Komponente besitzen. Da die rechtshändigen Teilchen überhaupt
nicht an der schwachen Wechselwirkung teilnehmen, bezeichnet man diese Eigenschaft der
schwachen Wechselwirkung auch als “maximale” Paritätsverletzung. Insbesondere stellte
man fest, dass man nun mit einer modifizierten Fermi Theorie, bei der nur die linkshändigen Teilchen einbezogen wurden, eine konsistente Beschreibung des β Zerfalls sowie der
Zerfälle der geladenen Pionen und des Muons bekam.
Der nächste Durchbruch in der Beschreibung der schwachen Wechselwirkung kam durch
die Beobachtung der schwachen Zerfälle von seltsamen Teilchen, die wir heute K ± , K 0
und K̄ 0 nennen. Nimmt man eine universelle Kopplungsstärke, also die Fermi Kopplung
GF , auch für die seltsamen Teilchen an, stellt sich heraus, dass man die Lebensdauern
dieser Teilchen um einen Faktor 20 unterschätzt. Damit konnte die schwache Wechselwirkung nicht universell sein, zumindest nicht in dieser allgemeinen Form. Cabbibo [12]
reformulierte 1963 die Universalität, indem er aus allgemeinen Überlegungen postulierte,
dass der Teil der schwachen Wechselwirkung, der die “Strangeness” Quantenzahl erhält,
mit dem Cosinus eines Winkels, dem Cabbibo Winkel ΘC , multipliziert wird, während die
“strangeness”-ändernden Anteile mit dem Sinus des Winkels multipliziert werden. Diese
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Heute nennen wir dieses Teilchen K + .
5
abstrakte “Drehung” um einen Winkel von ca. 13o erklärt dann die Unterdrückung der
Zerfälle, bei denen sich die “Strangeness” ändert. Da sin2 ΘC + cos2 ΘC = 1 gilt, bleibt die
Gesamtstärke der Wechselwirkung unverändert, wobei die Kopplungskonstante wieder GF
ist.
Diese Art der Parametrisierung hatte wiederum einige erstaunliche Folgen. Die beobachteten schwachen Zerfälle hatten immer die Form von sogenannten “geladenen” Strömen:
In allen β Zerfällen ändert sich die Ladung der sogenannten “Hadronen”3 immer um eine
Einheit, die beobachteten Prozesse waren z.B. n → p + e + ν̄e (Ladung 0 nach Ladung 1)
oder auch K − → π 0 + e + ν̄e (Ladung -1 nach Ladung 0). Im Gegensatz dazu wurden keine
Prozesse beobachtet, bei denen sich die Strangeness änderte, aber die Ladung des zerfallenden Teilchens mit der des Hadrons im Zerfallsprodukt übereinstimmte, also beispielsweise
der Prozess K − → π − + νe + ν̄e (Ladung -1 nach Ladung -1). Solche “strangeness” ändernden neutralen Ströme wurden zu dieser Zeit überhaupt nicht beobachtet, und selbst heute
werden nur sehr wenige dieser Zerfälle beobachtet.
Aus damaliger Sicht gab es zunächst keine plausible Erklärung, warum diese Art von
Prozessen sehr stark unterdrückt wird. Erst Anfang der siebziger Jahre haben Glashow,
Iliopoulos and Maiani [13] eine Erklärung gefunden, die wiederum verblüffende Konsequenzen hatte. Sie forderten die Existenz einer weiteren Quantenzahl, des sogenannten
“Charms”, obwohl zu dieser Zeit noch kein Teilchen mit einer solchen Quantenzahl gesehen worden war. Um die “strangeness” ändernden neutralen Ströme stark zu unterdrücken,
mussten die schwachen Prozesse, bei denen sich die “charm” Quantenzahl ändern kann,
ebenfalls um den Cabibbo Winkel ΘC gedreht werden. Damit mussten die Prozesse, bei
denen sich die “strangeness” und “charm” ändern, mit dem Kosinus des Winkels ΘC , die,
bei denen sich nur “charm” ändert, mit dem Sinus von ΘC , multipliziert werden. Unter diesen Annahmen, so haben Glashow, Illiopulos und Maiani gezeigt, werden die “strangeness”
ändernden neutralen Ströme stark unterdrückt.
Interessant ist, dass man zu dieser Zeit bereits durch präzise Experimente vorhersagen konnte, dass die Teilchen mit der neuen “Charm” Quantenzahl eine Masse von ca.
der 1,5fachen Protonenmasse haben mussten. Da diese Teilchen an Beschleunigern nur
in Teilchen-Antiteilchen Paaren erzeugt werden können, erwartete man aus diesen rein
theoretischen Überlegungen neue Effekte bei Beschleunigerenergien, die etwa der dreifachen Protonenmasse entsprechen. Diese Vorhersage wurde im Sommer des Jahres 1974
publiziert, die Krönung dieser Entwicklung war dann die Entdeckung von Teilchen, die die
“Charm” enthielten, im November des Jahres 1974.
Die Entwicklung von Theorien im Bereich der Teilchenphysik basiert fast immer auf
Symmetrieannahmen. Nachdem die Parität keine Symmetrie der Natur mehr zu sein schien,
erkannte man schnell, dass die Kombination aus Parität und Ladungskonjugation immer
noch eine intakte Symmetrie zu sein schien. Während unter der Parität ein linkshändiges
Teilchen in ein rechtshändiges Teilchen übergeht, was dann nicht mehr schwach wechsel3
Hadronen ist ein Sammelbegriff für alle Teilchen, die an der starken Wechselwirkung teilnehmen,
also Protonen, Neutronen, Pionen, Kaonen, etc,. Im Gegensatz dazu sind Elektronen, Myonen oder auch
Neutrinos sogenannte Leptonen, die keine starke Wechselwirkung spüren.
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wirkt, geht unter der Ladungskonjugation das rechtshändige Teilchen in ein rechtshändiges
Antiteilchen über, das in der gleichen Weise schwach wechselwirkt wie ein linkshändiges
Teilchen.
Diese Annahme hatte Bestand bis in die Mitte der sechziger Jahre, bis Cronin und Fitch
[14] eine Verletzung der kombinierten Symmetrie aus Parität und Ladungskonjugation
entdeckten. Ebenfalls in Zerfällen von Kaonen wurde eine winzige Asymmetrie entdeckt,
die als eine Verletzung dieser kombinierten Transformation interpretiert werden musste. Die
theoretische Interpretation dieser sogenannten CP Verletzung markiert dann den letzten
Meilenstein, der unser heutiges Verständnis bestimmt.
Es stellte sich heraus, dass Modelle, die nur die Quantenzahlen “strangeness” und
“charm” haben, nicht in konsistenter Weise die Verletzung der CP Symmetrie beschreiben können. Im Jahr 1974 bemerkten Kobayashi und Maskawa [15], dass man mit der
Einführung von zwei weiteren Quantenzahlen “beauty” und “truth” (heute sagt man eher
“bottom” und “top”) eine CP Verletzung auf konsistente Weise in die Beschreibung einbringen kann. Um die Unterdrückung der “strangeness” ändernden neutralen Ströme (und
analog auch der “beauty” ändernden neutralen Ströme) weiterhin zu gewährleisten, musste die von Cabbibo vorgeschlagene Drehung auf eine Drehung in einem abstrakten dreidimensionalen Raum erweitert werden. Ein solche Drehung wird durch drei Euler Winkel
beschrieben, so dass zusammen mit dem Parameter, der die CP Verletzung beschreibt,
insgesamt vier Parameter bleiben.
Teilchen mit “bottom“ Quantenzahlen wurden tatsächlich 1977 entdeckt; Zustände mit
“top” Quantenzahlen wurden erst Mitte der neunziger Jahre gefunden, was unser Verständnis der schwachen Wechselwirkung abgerundet hat.
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Das moderne Verständnis der schwachen Wechselwirkung
Das moderne Verständnis der schwachen Wechselwirkung ist eng verknüpft mit der Entwicklung des Quarkmodells von Hadronen, also von stark wechselwirkenden Teilchen. Dieses Modell beschreibt alle bekannten Hadronen als Bindungszustände von Grundbausteinen, den Quarks. Hierbei bestehen Mesonen (Hadronen mit ganzzahligem Drehimpuls, z.B.
das Pion) aus einem Quark und einem Antiquark, während die Baryonen (Hadronen mit
halbzahligem Drehimpuls, z.B das Proton) aus drei Quarks bestehen.
In diesem Bild sind die schwachen Prozesse Übergänge zwischen verschiedenen Quarksorten, den sogenannten “Flavours” der Quarks. Die uns umgebende Materie besteht nur
aus “up” und “down” (u und d) Quarks, während die Kaonen ein “strange” quark enthalten, was die Quantenzahl “strangeness” trägt. Auch für die von Glashow, Illiopoulos
und Maiani eingeführte Quantenzahl gibt es ein Quark, das “charm” (c) quark, und die
sogenannte dritte Teilchengeneration mit den Quantenzahlen “bottom” und “top” werden durch zwei weitere Quarksorten (b und t) repräsentiert. Damit gibt es nach unserem
heutigen Verständnis sechs “Quark-Flavours”. Da bisher nur Hadronen mit ganzzahligen
7
elektrischen Ladungen (in Einheiten der Ladung des Elektrons) beobachtet wurden, müssen
die Quarks drittelzahlige Ladungen tragen. In diesem Bild besteht beispielsweise ein Neutron aus (udd) und ein Proton aus (uud), da die Ladung des u Quarks +2/3 und die des
d Quarks −1/3 beträgt.
Die Beschreibung der schwachen Wechselwirkung durch Fermi’s Strom-Strom Kopplung wurde Anfang der siebziger Jahre zu dem Bild weiterentwickelt, was wir heute als das
Standardmodell der Teilchenphysik bezeichnen. Anstoß hierzu war wiederum ein theoretisches Problem: Die zu Fermis Beschreibung gehörige quantenmechanische Theorie weist
ein erhebliches Defizit auf, da bei hohen Energien Wahrscheinlichkeiten von mehr als 100 %
auftreten können, d.h. es kann aus einem Prozess mehr “herauskommen” als “hineinfließt”.
Diese Problem wurde dadurch gelöst, dass man weitere Teilchen einführte, die – ähnlich
wie in der Quantentheorie der Elektrodynamik das Photon – die Wechselwirkung vermitteln. Damit konnte die schwache Wechselwirkung so wie die Elektrodynamik als eine
sogenannte Quantenfeldtheorie beschrieben werden, in der Wechselwirkungen durch einen
Teilchenaustausch beschrieben werden.
Unter dieser Annahme eines sogenannten “intermediären Bosons” kann man unter Benutzung der Fermi Kopplungskonstanten GF einen Wert für die Masse eines solchen intermediären Bosons berechnen. Um die Masse zu bestimmen, musste eine Annahme gemacht
werden über die Stärke, mit der ein solches intermediäres Boson an die Elektronen und
Neutrinos koppelt. Nimmt man hier an, dass elektromagnetische und schwache Prozesse
eine gemeinsame Wurzel haben und setzt deshalb die elektromagnetische Kopplung ein
(also die Kopplungsstärke von Photonen an Elektronen), dann ergibt sich eine Masse von
etwa dem 80fachen der Protonenmasse, was zur Zeit der Formulierung dieser Idee eine
ungeheuer große Masse war.
In diesem Bild ist der β Zerfall eines Neutrons der Übergang eines d Quarks in ein
u Quark, so wie er in Abb. 3 dargestellt ist. Das ausgetauschte intermediäre Boson, was
heute W -Boson genannt wird, muss demnach elektrisch geladen sein, da es in ein Elektron
und ein Neutrino zerfallen kann.
Mit der Einführung dieser massiven intermediären Bosonen konnten aber immer noch
nicht alle theoretischen Probleme beseitigt werden. Es gelang zunächst lediglich, eine konsistente Theorie mit intermediären Bosonen zu formulieren, die aber – so wie ein Photon
– keine Masse besaßen. Eine solche Theorie stimmt aber nicht mit den Beobachtungen
überein, so dass hier die Theorie noch weiterentwickelt werden musste. Diese Weiterentwicklung wurde von den Theoretikern Higgs und Kibble durchgeführt, die die Theorie zur
Konsistenz gebracht haben, indem sie ein weiteres Teilchen, das sogenannte Higgs Boson,
eingeführt haben. In dieser Theorie entstehen alle Teilchenmassen (auch die der intermediären Bosonen) durch die Kopplung an dieses Higgs Teilchen, welches allerdings bis heute
noch nicht entdeckt wurde. Man vermutet, dass die Masse diese Teilchens so groß ist, dass
es erst am jetzt in Betrieb gehenden neuen Teilchenbeschleuniger LHC am CERN in Genf
ein Chance gibt, diese Teilchen zu entdecken.
Das heutige Standardmodell der Elementarteilchenphysik wurde von Glashow, Weinberg und Salam [16] in den siebziger Jahren formuliert und fasst die starke, die schwache
und die elektromagnetische Wechselwirkung in einer Theorie zusammen. Der Teil des Mo8
Abbildung 3: Der β Zerfall eines Neutrons im Quark Bild.
dells, der sich mit der elektromagnetischen und der schwachen Wechselwirkung befasst,
lässt sich nur als konsistente Quantenfeldtheorie formulieren, wenn man zum einen das
Higgs Boson zur Massenerzeugung einführt, zum anderen aber auch ein schweres, elektrisch
neutrales intermediäres Boson Z fordert, dessen Kopplungen durch die Theorie festgelegt
sind. Neben diesem schweren neutralen Boson tritt notwendigerweise auch ein masseloses intermediäres Boson auf, was mit dem Photon identifiziert wird. Damit ergibt sich eine
vereinheitlichte Beschreibung der elektromagnetischen und der schwachen Wechselwirkung,
die sogenannte elektroschwache Theorie.
Obwohl die Grundzüge des Standardmodells und insbesondere die Existenz des neutralen intermediären Bosons etwa Mitte der siebziger Jahre formuliert wurden, wurde erst in
den siebziger Jahren die Existenz dieses schweren neutralen Bosons akzeptiert, da es keine
flavour-ändernden neutralen Ströme induzieren kann und deshalb bei niedrigen Energien
nur in der Streuung von Neutrinos nachgewiesen werden kann.
In den achziger Jahren wurde das Standardmodell und insbesondere dessen elektroschwacher Teil etabliert, indem am SPS Beschleuniger am CERN in Genf die neutralen und die
geladenen intermediären Bosonen direkt nachgewiesen wurden. Mittlerweile wurde nämlich
der Bau von Teilchenbeschleunigern mit so hohen Energien möglich, dass die schweren
Bosonen direkt erzeugt werden konnten. In den neunziger Jahren wurde dann nach der
Inbetriebnahme eines weiteren Beschleunigers LEP, ebenfalls am CERN in Genf, das Standardmodell und speziell alle Aspekte der schwachen Wechselwirkung mit extremer Präzision getestet. Bis auf das bisher nicht entdeckte Higgs Boson sind alle Teilchen des Modells
bekannt. Weiterhin beschreibt das Standardmodell der Teilchenphysik sämtliche bisher
untersuchten Elementarteilchenprozesse mit enormer Präzision. Das Standardmodell stellt
damit den brillanten Schlusspunkt einer langen Entwicklung dar, deren Weg durch etliche
9
Abbildung 4: Die Grundbausteine der Materie im Standardmodell. Die Materie besteht aus
Quarks und Leptonen, wobei die Quarks in der ersten Zeile die elektrische Ladung +2/3,
die der zweiten Zeile die Ladung -1/3 haben, während die obere Zeile der Leptonen die
Ladung -1 und die untere die Ladung 0 haben. Die Abkürzung g steht hier für das Gluon,
das Austauschteilchen für die starke Wechselwirkung.
Nobelpreise markiert ist.
4
Zusammenfassung
Obwohl das Standardmodell sehr erfolgreich ist, kann es nicht die endgültige Theorie für
die Wechselwirkungen der Elementarteilchen sein. Insbesondere im Bereich der schwachen
Wechselwirkung bleiben sehr viele Fragen offen. Zum einen ist der Ursprung der Masse der
Teilchen immer noch unklar. Selbst wenn das Higgs-Teilchen am LHC gefunden werden
wird, bleibt immer noch die Frage offen, warum beispielsweise das Verhältnis der Massen
des Elektrons und des Muons, seines schwereren Bruders, den beobachteten Wert hat. Zum
anderen besteht unsere Welt aus Materie, obwohl die Naturgesetze im Wesentlichen symmetrisch sind unter Vertauschung von Teilchen mit Antiteilchen. Lediglich in der schwachen
Wechselwirkung gibt es eine kleine Asymmetrie, die oben diskutierte CP Verletzung, die
aber zu klein ist, um die im Universum beobachtete Asymmetrie zu erklären.
10
Von der theoretischen Seite her stellt sich weiterhin die Frage, inwieweit eine weitere
Vereinheitlichung der Wechselwirkungen nach dem Muster der elektroschwachen Vereinigung möglich ist. In der Tat deuten die Quantenzahlen der beobachteten Quarks und
Leptonen darauf hin, dass es eine “große Vereinheitlichung” geben sollte. Bisher ist es allerdings noch nicht gelungen, eine Theorie mit “großer Vereinheitlichung” zu formulieren,
die phänomenologisch korrekt ist. Beispielsweise sagen solche Theorien einen Zerfall des
Protons voraus, der aber bis jetzt nicht beobachtet wurde.
Von den in den nächsten zehn Jahren stattfindenden Experimenten erwarten die Teilchenphysiker zumindest eine teilweise Klärung dieser Fragen. Andererseits lehrt die Historie
der schwachen Wechselwirkung, dass die Klärung eines Problems, die oft sehr ungewöhnlich war, neue Fragen aufgeworfen hat, die wiederum Ausgangspunkt für ganz neue Ideen
waren und hoffentlich in Zukunft auch sein werden.
Literatur
[1] H. Becquerel, C. R. Acad. Sci. (Paris) 122, 501 (1896).
[2] E. Rutherford, Phil. Mag. 47, 109 (1899).
[3] J. Chadwick, Verh. Dtsch. Phys. Ges. 16, 383 (1914).
[4] C. D. Ellis and W. A. Wooster, Proc. Roy. Soc. London A 117, 109 (1927).
[5] W. Pauli, Collected Scientific Papers, Vol. 2, p. 1313 (Interscience, New York, 1964).
[6] E. Fermi, Ricera Scient. 2, issue 12 (1933); Z. Phys 88, 161 (1934).
[7] G. D. Rochester and C. C. Butler, Nature 160 (1947) 855.
[8] M. Gell-Mann, Phys. Rev. 92, 833 (1953).
[9] T. D. Lee and C. N. Yang, Phys. Rev. 104, 254 (1956).
[10] C. S. Wu, E. Ambler, R. Hayward, D. Hoppes and R. Hudson, Phys. Rev. 105, 1413
(1957).
[11] R. L. Garwin, L. M. Lederman and M. Weinrich, Phys. Rev. 105, 1415 (1957).
[12] N. Cabibbo, Phys. Rev. Lett. 10, 531 (1963).
[13] S. Glashow, J. Iliopoulos and L. Maiani, Phys. Rev. D 2, 1285 (1970).
[14] J. Christensen, J. Cronin, V. Fitch and R. Turlay, Phys. Rev. Lett. 13, 138 (1964);
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[15] M. Kobayashi and T. Maskawa, Progr. Theor. Phys. 49, 652 (1973).
11
[16] S. L. Glashow, Nucl. Phys. 22, 579 (1961), S. Weinberg, Phys. Rev. Lett. 19, 1264
(1967), A. Salam, proceedings of the Nobel Symposium, Stockholm, 1968, p. 367.
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