12 Einfache mechanische Systeme

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12 Einfache mechanische Systeme
der äußeren Instanz vor, die die Länge einstellt. Zwangsbedingungen sind immer unabhängig
davon, welche Bewegungen ein System tatsächlich ausführt.
Wir bezeichnen eine solche Einschränkung der Bewegungsfreiheit eines mechanischen Systems als eine holonome Zwangsbedingung, was soviel wie “ganzheitliche” Zwangsbedingung
bedeutet. Es gibt noch andere Arten von Zwangsbedingungen, auf die wir später eingehen werden.
Eine besondere Stärke der d’Alembertschen oder Lagrangeschen Formulierung der Bewegungsgleichungen für mechanische Systeme liegt darin, dass sich Systeme mit Zwangsbedingungen
besonders elegant und einfach beschreiben lassen. Einige spezielle solche Systeme hatten wir
schon in Kapitel 5 diskutiert, dort jedoch mit den manchmal etwas schwerfälligen Newtonschen
Methoden.
Aufbauend auf den allgemeinen Überlegungen aus dem letzten Kapitel werden wir hier
zunächst eine Art Rezept für die Beschreibung von allgemeinen mechanischen Systemen entwickeln. Es besteht aus ein paar einfachen Grundregeln, nach denen wir im Prinzip für jedes
mechanische System in wenigen Schritten die Bewegungsgleichungen herleiten können. Um die
Effizienz dieses Verfahrens zu demonstrieren, werden wir es anschließend auf eine Reihe von
typischen mechanischen Systemen mit Zwangsbedingungen anwenden.
Bei den meisten derartigen Systemen geht es im wesentlichen darum, die richtige LagrangeFunktion zu bestimmen. Nach ein wenig Übung ist dies oft nur noch ein Ein- oder Zwei-ZeilenRechnung. Man entwickelt schließlich eine gewisse Intuition dafür, wie die Lagrange-Funktion
für ein gegebenes System aussehen muss, wenn dieses bestimmte physikalische Eigenschaften
hat. Später werden wir solche Eigenschaften noch etwas systematischer untersuchen. Dieses Kapitel soll hauptsächlich als Beispielsammlung dienen, auf die wir dann hin und wieder zurückgreifen können.
Eine holonome Zwangsbedingung wird durch eine skalare Funktion auf dem Konfigurationsraum eines mechanischen System definiert, die für alle physikalische m öglichen Konfigurationen verschwindet.
Ein System kann natürlich mehreren solcher Zwangsbedingungen unterliegen. Im allgemeinen
haben wir einen Satz von K ≥ 1 Zwangsbedingungen, die wir durch die Gleichungen
C k (q, t) = 0,
(12.2)
darstellen können. Die Systeme, die wir in Kapitel 5 studiert haben, zum Beispiel das Schienenfahrzeug, das Pendel oder die Hantel, waren alle von dieser Form. Dort waren die Zwangsbedingungen sogar immer unabhängig von der Zeit. Man kann sich aber leicht Verallgemeinerungen mit
zeitabhängigen Zwangsbedingungen vorstellen, wie etwa das Pendel mit veränderlicher Länge.
In einem mechanischen System mit Zwangsbedingungen treten Zwangskräfte auf, die dafür
sorgen, dass die gestellten Bedingungen auch tatsächlich erfüllt werden. Früher hatten wir argumentiert, dass diese Kräfte stets senkrecht zu den möglichen Bewegungsrichtungen wirken
müssen, da sie sonst das System quasi “von selbst” in Bewegung setzen könnten. Die Begründung
beruhte jedoch eher auf einer gewissen physikalischer Intuition als auf einem mathematischen
Beweis.
Einen solchen Beweis kann es natürlich auch nicht geben. Denn letztlich handelt es sich um
einen speziellen Aspekt einer physikalischen Theorie. Es ist eine Beobachtung, dass Zwangsbedingungen nicht dazu führen, dass sich ein Pendel von selbst in Bewegung setzt, oder dass ein
Schienenfahrzeug nur aufgrund der Tatsache, dass es ein solches ist, von selbst bergauf fährt. Wir
können diese spezielle Eigenschaft von Zwangskräften nicht beweisen. Aber wir können sie nun
ein wenig besser begründen.
Wir schreiben zunächst die d’Alembertschen Bewegungsgleichungen auf, wie sie für jedes
mechanische System gelten. Wir verwenden dazu beliebige, verallgemeinerte Koordinaten q µ
auf dem Konfigurationsraum. Allerdings spalten wir die Kräfte jetzt in Zwangskr äfte Zµ und
dynamische Kräfte Fµ auf, also
Holonome Zwangbedingungen
Wir wollen zunächst kurz wiederholen, was wir unter einer Zwangsbedingung und einer Zwangskraft verstehen. Auch dies lässt sich mit dem Konzept des Konfigurationsraumes besonders elegant darstellen.
Eine Zwangsbedingung ist eine Einschränkung der physikalisch möglichen Konfigurationen
eines mechanischen Systems. Ein typisches Beispiel dafür ist ein Pendel, bei dem sich ein Teilchen nur auf einer Kugeloberfläche mit einem vorgegebenen Radius bewegen kann. Eine solche
Bedingung wird durch eine Gleichung C(q, t) = 0 auf dem Konfigurationsraum dargestellt. Sie
kann auch explizit von der Zeit abhängen. So können wir zum Beispiel bei einem Pendel die
Länge ` der Pendelschnur “von außen” in einer vorgegebenen Art und Weise als Funktion der
Zeit ändern. In diesem Fall würde die Zwangsbedingung lauten
C(q, t) = x2 + y 2 + z 2 − `(t)2 = r2 − `(t)2 = 0.
mit k ∈ {1, . . . , K},
(12.1)
Hier haben wir dieselbe Funktion C(q, t) auf dem Konfigurationsraum einmal in kartesischen
Koordinaten (x, y, z) und einmal in Kugelkoordinaten (r, ϑ, ϕ) dargestellt.
Die Funktion `(t) ist in diesem Fall fest vorgegeben. Wir legen die Länge der Pendelschnur
unabhängig davon fest, welche Bewegungen das Pendel ausführt. Sonst würde es sich nicht um
eine Zwangsbedingung handeln, sondern es läge eine Wechselwirkung zwischen dem Pendel und
d ∂T
∂T
= Fµ + Zµ .
µ −
dt ∂ q̇
∂q µ
(12.3)
Unter den dynamischen Kräften Fµ verstehen wir diejenigen Kräfte, die wir als Funktionen der
Orte und Geschwindigkeiten der Teilchen explizit angeben können. Dies umfasst sowohl die
40
C in jede Richtung weg von der Nullstellenmenge linear ansteigt oder abfällt. Ohne diese Voraussetzung könnten wir die Zwangskraft nicht auf diese Weise darstellen.
Wechselwirkungen der Teilchen untereinander als auch die möglicherweise von außen einwirkenden Kräfte. Die Zwangskräfte Zµ sind dagegen diejenigen Kräfte, von denen wir nur wissen,
was sie bewirken, aber uns nicht damit auseinandersetzen wollen oder können, wie sie entstehen.
Das Ziel ist es, diese unbekannten Kräfte aus dem Gleichungssystem (12.3) zu eliminieren.
Betrachten wir zuerst den Fall, dass nur eine einzige Zwangsbedingung C(q, t) = 0 vorliegt.
Wir können in diesem Fall die Zwangskraft Zµ als Grenzfall einer Potenzialkraft ansehen. Wir
stellen uns vor, dass ein sehr hohes und steiles Potenzial das System daran hindert, sich von dem
Unterraum des Konfigurationsraumes zu entfernen, in dem C(q, t) = 0 ist. Ein solches Potenzial
ist durch
1
V(q, t) = Λ C(q, t)2
(12.4)
2
gegeben, wobei Λ eine große Zahl sein soll. Sie muss natürlich die richtige physikalische Dimension haben, damit V eine Energie ist. Das Potenzial bewirkt eine rücktreibende Kraft
Zµ (q, t) = −
∂V(q, t)
∂C(q, t)
= −Λ C(q, t)
.
µ
∂q
∂q µ
Aufgabe 12.1 Davon abgesehen haben wir bei der Formulierung der Zwangsbedingungen aber
eine gewisse Freiheit. Es seien C und C˜ zwei Funktionen auf Q, die dieselbe Nullstellenmenge haben, und deren Gradienten auf dieser Nullstellenmenge nirgendwo verschwinden. Man zeige, dass
dann die Gradienten beider Funktion zumindest auf der Nullstellenmenge in dieselbe Richtung
˜ µ ∝ ∂C/∂q µ überall dort, wo C = 0 und C˜ = 0 ist.
zeigen. Es gilt ∂ C/∂q
Das ganze lässt sich leicht auf ein System von mehreren Zwangsbedingungen erweitern. Wir betrachten dann einfach ein Potenzial, das das System zwingt, alle Zwangsbedingungen zu erfüllen,
zum Beispiel
V(q, t) =
(12.5)
1 X
Λkl C k (q, t) C l (q, t)
2
k,l
⇒
Zµ (q, t) = −
X
kl
Λkl C k (q, t)
∂C l (q, t)
. (12.6)
∂q µ
Hier ist Λkl irgendeine symmetrische, positive K×K-Matrix, deren Einträge wir so wählen, dass
alle Summanden die Dimension einer Energie haben. Das Potenzial V ist dann überall dort positiv,
wo mindestens eine Zwangsbedingung nicht Null ist, und Null genau dort, wo alle Zwangsbedingungen erfüllt sind.
Lassen wir nun die Einträge der Matrix Λkl , oder zumindest deren Eigenwerte gegen Unendlich
gehen, so wird das System wieder gezwungen, die Zwangsbedingungen zu erfüllen. Denn das
Potenzial bleibt nur dort endlich, wo alle Zwangsbedingungen erfüllt sind. Die dann wirkende
Zwangskraft ist eine Linearkombination der Gradienten ∂C k /∂q µ . Wir schreiben dafür
Sie zeigt in Richtung des Gradienten der Funktion C(q, t) im Konfigurationsraum. Die
Zeitabhängigkeit spielt dabei keine Rolle. Sie bewirkt nur, dass zu unterschiedlichen Zeiten am
selben Ort im Konfigurationsraum unterschiedliche Kräfte wirken.
Was passiert nun, wenn wir den Grenzwert Λ → ∞ bilden? Das Potenzial wird dann unendlich
hoch, außer dort, wo C(q, t) = 0 ist. Das System, das immer nur eine endliche Energie besitzt,
wird gezwungen, sich dort aufzuhalten. Die Zwangskraft stellt sich dabei so ein, dass sie endlich
bliebt, denn trotz der Zwangsbedingung erfahren die einzelnen Teilchen ja nur endliche Beschleunigungen. Während Λ wächst, geht der Faktor C(q, t) gegen Null, denn das System wird immer
stärker gezwungen, in der Nähe des erlaubten Unterraumes zu bleiben. Es bliebt schließlich im
Grenzfall ein Ausdruck für die Zwangskraft, dessen Betrag wir nicht kennen. Denn dieser ergibt
sich aus dem Grenzwert des Produktes Λ C(q, t), und der hängt von der tatsächlich realisierten
Bewegung ab. Aber wir kennen die Richtung dieser Kraft. Sie zeigt in Richtung des Gradienten
der Funktion C(q, t) im Konfigurationsraum.
Aus der realistischen Annahme, dass eine Zwangskraft in Wirklichkeit eine sehr starke Potenzialkraft ist, folgt also, dass sie stets in die Richtung des Gradienten der Zwangsbedingung
zeigt. Auch hier geht wieder die Eigenschaft ein, dass die Kraft ein dualer Vektor auf dem Konfigurationsraum ist. Denn sonst würde eine solche Aussage keinen Sinn ergeben. Nur bei einem Ein-Teilchen-System, dessen Konfigurationsraum mit dem dreidimensionalen Euklidischen
Raum identisch ist, ist sie äquivalent zu der Aussage, dass die Zwangskraft auf den möglichen
Bewegungsrichtungen senkrecht steht, denn nur dann steht uns immer eine Metrik zur Verfügung.
Eine wesentliche Voraussetzung bei dieser Überlegung ist, dass der Gradient ∂C/∂q µ überall
dort, wo C = 0 ist, nicht verschwindet. Das ist die Analogie zu der Eigenschaft einer gewöhnlichen reellen Funktion von einer Variablen, eine einfache Nullstelle zu haben, also eine Nullstelle,
an der nicht gleichzeitig ihre Ableitung verschwindet. Anschaulich heißt das, dass die Funktion
Zµ = −
X
k
λk
∂C k
.
∂q µ
(12.7)
Die unbekannten Koeffizienten λk werden Lagrange-Multiplikatoren genannt. Sie werden erst
durch die tatsächlich realisierte Bewegung des Systems bestimmt und hängen dann natürlich auch
von der Zeit ab.
Auch hier setzen wir wieder voraus, dass sich jede mögliche Zwangskraft so darstellen lässt.
Das ist genau dann der Fall, wenn die Gradienten X kµ = ∂C k /∂q µ einen Satz von K linear unabhängigen dualen Vektoren bilden, und zwar an jeder Stelle der gemeinsamen Nullstellenmenge
der Funktionen C k . Anschaulich heißt das wieder, dass in jede Richtung weg von der Nullstellenmenge mindestens eine der Zwangsbedingungen linear ansteigt. Nun unter dieser Voraussetzung
wird durch das Potenzial (12.6) in jede Richtung eine lineare rücktriebende Kraft erzeugt.
Wenn wir das hier beschriebene Verfahren anwenden wollen, müssen wir die Zwangsbedingungen also immer so formulieren, dass ihre Gradienten zumindest auf der Nullstellenmenge linear
unabhängig sind. Beim Pendel ist dies der Fall. Der Gradient Xµ = ∂C/∂q µ von (12.1) ist in kartesischen Koordinaten Xx = 2 x, Xy = 2 y und Xz = 2 z, oder in Kugelkoordinaten Xr = 2 r,
41
e
und natürlich ist die Zwangsbedingung ∂ L/∂λ
= x2 + y 2 + z 2 − `2 = 0 zu erfüllen. Wir müssen
also ein System von vier Gleichungen für die vier Funktionen x(t), y(t), z(t) und λ(t) lösen. Auf
diese Weise hatten wir die Bewegungen des Pendels in Kapitel 5 studiert.
Etwas einfacher geht es, wenn wir von Anfang an Kugelkoordinaten verwenden. In diesem Fall
ist die kinetische Energie durch den Ausdruck (11.52) gegeben, und für die erweitere LagrangeFunktion ergibt sich
Xϑ = 0 und Xϕ = 0. Auf der Nullstellenmenge, also für r = `, ist er nicht Null. Außerdem
sehen wir, dass der Gradient tatsächlich die Richtung der Zwangskraft angibt, die in diesem Fall
in radiale Richtung wirkt, und zwar unabhängig davon, ob die Pendellänge ` konstant ist oder
zeitlich variiert.
Um die Bahn des Systems zu bestimmen, müssen wir neben den 3 N Koordinatenfunktionen
q µ (t), die die eigentliche Bahn des Systems beschreiben, nun auch die Lagrange-Multiplikatoren
λk (t) bestimmen. Das sind K zusätzliche Funktionen der Zeit. Dafür haben wir aber auch K
zusätzliche Gleichungen, nämlich die Zwangsbedingungen. Tatsächlich ergibt sich aus diesen
und den d’Alembertschen Bewegungsgleichungen jetzt ein System von 3 N + K unabhängigen
Gleichungen für ebenso viele Funktionen. Sie lauten
X
d ∂T
∂C k
∂T
λk µ ,
µ −
µ = Fµ −
dt ∂ q̇
∂q
∂q
k
C k = 0.
m 2
ṙ + r2 ϑ̇2 + r2 sin2 ϑ ϕ̇2 + m g r cos ϑ − λ (r 2 − `2 ).
Le = T − V − λ C =
2
Analog zu (11.54) finden wir jetzt die Bewegungsgleichungen
d ∂ Le
−
dt ∂ ṙ
d ∂ Le
−
dt ∂ ϑ̇
d ∂ Le
−
dt ∂ ϕ̇
(12.8)
Wenn die dynamischen Kräfte Fµ = −∂V/∂q µ Potenzialkräfte sind, lassen sich auch diese
Gleichungen wieder besonders elegant schreiben. Wir definieren dazu eine erweiterte LagrangeFunktion, in die auch die Zwangsbedingungen eingehen, und zwar jeweils multipliziert mit ihren
Lagrange-Multiplikatoren. Das erklärt im übrigen auch die Bezeichnung “Multiplikator”. Wir
setzen also
X
λk C k .
(12.9)
Le = T − V −
Auch hier ist wieder die gesamte Dynamik des Systems in einer einzigen Funktion zusammengefasst. Die Bewegungsgleichungen (12.8) lauten nämlich nun
∂ Le
= 0.
∂λk
(12.10)
Zusätzlich zu den bereits bekannten Langrangeschen Bewegungsgleichungen müssen die partiellen Ableitungen von Le nach den Multiplikatoren verschwinden. Auf diese Weise werden dem
System die Zwangsbedingungen auferlegt.
Um eines der Standardbeispiele aus Kapitel 5 zu reproduzieren, betrachten wir das Pendel im
Schwerefeld. Die Pendellänge ` soll jetzt konstant sein. Die dynamischen Kräfte sind in diesem
Fall Potenzialkräfte. Zunächst verwenden wir kartesische Koordinaten (x, y, z). Dann ist die erweiterte Lagrange-Funktion durch
m 2
ẋ + ẏ 2 + ż 2 − m g z − λ x2 + y 2 + z 2 − `2
Le = T − V − λ C =
2
(12.11)
gegeben. Die Bewegungsgleichungen (12.10) lauten demnach
d
m ẋ + 2 λ x = 0,
dt
d
m ẏ + 2 λ y = 0,
dt
∂ Le
d
m ṙ − m r ϑ̇2 − m r sin2 ϑ ϕ̇2 − m g cos ϑ + 2 r λ = 0,
=
∂r
dt
∂ Le
d
m r2 ϑ̇ − m r2 sin ϑ cos ϑ ϕ̇2 + m g r sin ϑ = 0,
=
∂ϑ
dt
∂ Le
d
=
m r2 sin2 ϑ ϕ̇ = 0.
∂ϕ
dt
(12.14)
Auf den ersten Blick sieht das sehr viel komplizierter aus als (12.12). Betrachten wir aber die
einzelnen Gleichungen, so stellen wir fest, dass die Hilfsfunktion λ nur noch in der ersten Gleichung auftritt. Zudem können wir in alle drei Gleichungen unmittelbar die Lösung der vierten
e
Gleichung, also der Zwangsbedingung ∂ L/∂λ
= r2 − `2 = 0 einsetzen. Mit r(t) = ` lauten die Bewegungsgleichungen für die Winkelkoordinaten, wenn wir noch die Ableitungen d/dt
ausführen,
g
ϕ̈ + 2 cot ϑ ϑ̇ ϕ̇ = 0.
(12.15)
ϑ̈ − sin ϑ cos ϑ ϕ̇2 = − sin ϑ,
`
Das sind die Pendelgleichungen (5.45). Wir bekommen also dasselbe Ergebnis wie in Kapitel 5,
nachdem wir dort die Zwangskräfte aus den Bewegungsgleichungen eliminiert hatten. Die zusätzliche Bewegungsgleichung für die Koordinate r, also die erste Gleichung in (12.14), ist eigentlich
keine Bewegungsgleichung. Sie liefert nur die Hilfsgröße λ als Funktion der anderen Koordinaten
und deren Zeitableitungen. Sie ist nur dann von Interesse, wenn wir explizit wissen wollen, wie
stark die Zwangskraft ist, die auf das Pendel wirkt. Ihre einzige nicht verschwindende Komponente ist
∂C
= −2 r λ = −m `2 ϑ̇2 + sin2 ϑ ϕ̇2 − m g cos ϑ.
(12.16)
Zr = −λ
∂r
Auch diese Kraft hatten wir in Kapitel 5 bereits ausgerechnet. Sie setzt sich zusammen aus der
nach innen gerichteten Zentripetalkraft, die zum Quadrat der Geschwindigkeit proportional ist,
und der Komponente der Gravitationskraft in Richtung der Pendelstange, die durch die Zwangskraft ausgeglichen werden muss.
k
d ∂ Le
∂ Le
= 0,
µ −
dt ∂ q̇
∂q µ
(12.13)
d
m ż + 2 λ z + m g = 0, (12.12)
dt
42
q3
Aufgabe 12.2 Man führe die gleichen Überlegungen für die Hantel aus Abbildung 5.3(b) durch.
Was sind hier die geeigneten verallgemeinerten Koordinaten auf dem sechsdimensionalen Konfigurationsraum?
Q
q2
Fα
q1
Zµ
Der reduzierte Konfigurationsraum
Holonome Zwangsbedingungen lassen sich im Prinzip immer auf die gerade gezeigte Art und
Weise auflösen. Durch geschickte Wahl der Koordinaten kann die Zahl der zu lösenden Bewegungsgleichungen reduziert werden, wobei die Multiplikatoren in diesen Gleichungen gar nicht
mehr vorkommen.
Die Idee ist kurz gefasst die folgende. Da wir ohnehin schon wissen, dass sich das System
nur eingeschränkt bewegen kann, sollte es möglich sein, dies bereits beim Aufstellen der Bewegungsgleichungen zu berücksichtigen. Wir sollten von Anfang an überhaupt nur solche Bahnen
zulassen, die auch realisierbar sind, anstatt erst alle Bahnen im Konfigurationsraum zu betrachten,
um aus dieser, eigentlich viel zu großen Menge dann mit Hilfe der Bewegungsgleichungen die
tatsächlich realisierten Bahnen herauszusuchen.
In Abbildung 12.1(a) ist der Konfigurationsraum eines mechanischen Systems dargestellt, vere und nennen ihn den
sehen mit einem Koordinatensystem {q µ }. Wir bezeichnen ihn hier mit Q
erweiterten Konfigurationsraum, da er mehr Konfigurationen enthält als tatsächlich realisiert werden können. Die Zwangsbedingungen definieren zu jedem Zeitpunkt t einen Unterraum
C k (q, t) = 0 }.
Q
C=0
Fµ + Z µ
q µ (t)
Aufgabe 12.3 Was passiert, wenn wir in (12.11) die Zwangsbedingung C = x 2 + y 2 + z 2 − `2
durch C = (x2 +y 2 +z 2 −`2 )2 ersetzen? Sie hat offenbar die gleiche Nullstellenmenge, beschreibt
also die gleiche physikalische Einschränkung der möglichen Konfigurationen. Warum ergeben
sich trotzdem nicht die richtigen Bewegungsgleichungen?
e
Qt = { q ∈ Q,
ζ
Fµ
(a)
χα (t)
χ2
χ1
(b)
Abbildung 12.1: Durch eine zeitunabhängige Zwangsbedingungen C = 0 wird ein Unterraum
Q des erweiterten Konfigurationsraumes Q definiert, der alle physikalische möglichen Konfigurationen enthält (a). Wirken auf das System dynamische Kräfte Fµ , so stellen sich die Zwangskräfte Zµ so ein, dass das System in Q verbleibt. Um die Bewegungsgleichungen aufzustellen,
genügt es, nur solche Bahnen zu betrachten, die ganz in Q liegen. Dazu führt man ein reduziertes Koordinatensystem {χα } auf Q ein (b). Man muss dann nur noch die Komponenten Fα der
dynamischen Kräfte kennen, um die Bewegungsgleichungen zu formulieren
gekoppeltes System von Differenzialgleichungen für die Koordinaten q µ (t) und die LagrangeMultiplikatoren λk (t) bilden, löst man auf diese Weise quasi in einem Schritt sowohl die Zwangsbedingungen als auch die eigentlichen Bewegungsgleichungen, und man bekommt zudem noch
die Zwangskräfte geliefert.
Eine Alternative besteht nun darin, Schritt für Schritt vorzugehen. Man löst zuerst die Zwangsbedingungen, anschließend die Bewegungsgleichungen, und zuletzt verschafft man sich Informationen über die auftretenden Zwangskräfte, wenn dies erforderlich ist. In den meisten praktischen
Fällen, und insbesondere dann, wenn die genaue Kenntnis der Zwangskräfte nicht erforderlich
ist, ist dieses Vorgehen sehr viel effizienter.
Der Trick besteht im wesentlichen darin, ein an die Zwangsbedingungen angepasstes Koordinatensystem zu verwenden. Entscheidend ist dabei, dass die vorangegangenen Überlegungen für beliebige, also insbesondere für krummlinige und zeitabhängige Koordinatensysteme gelten. Sobald
wir ein speziell angepasstes Koordinatensystem definiert haben, zerfallen die d’Alembertschen
oder Lagrangeschen Gleichungen ganz von selbst in drei unabhängige Gleichungssysteme. Das
erste besteht aus den Zwangsbedingungen, die dann trivial sind. Das zweite Gleichungssystem
enthält die eigentlichen Bewegungsgleichungen. Und aus dem dritten Gleichungssystem ergeben
sich die Zwangskräfte.
Die Konstruktion des angepassten Koordinatensystems ist in Abbildung 12.1(b) skizziert. Sie
erfolgt analog zu den Kugelkoordinaten für das Pendel. Der erste Schritt besteht darin, ein Ko-
(12.17)
Dieser Unterraum enthält alle zur Zeit t realisierbaren Konfigurationen. Wir nennen ihn den physikalischen oder reduzierten Konfigurationsraum. In der Abbildung 12.1(a) ist der einfache Fall
darstellt, dass die Zwangsbedingungen zeitunabhängig sind. Dann hängt Q t = Q nicht von der
Zeit ab, und jede möglich Bahn des Systems liegt ganz in Q.
Handelt es sich um ein System von N Teilchen und liegen K Zwangsbedingungen vor, so hat
der reduzierte Konfigurationsraum die Dimension 3 N − K. Das System hat in Wirklichkeit nur
3 N − K Freiheitsgrade. Es kann sich von jedem Punkt des reduzierten Konfigurationsraumes nur
in 3 N − K Richtungen bewegen, weil die restlichen K Richtungen durch die Zwangsbedingungen eingeschränkt sind. Wirkt auf das System eine Kraft in irgendeine Richtung, so stellt sich die
Zwangskraft immer so ein, dass das System innerhalb von Qt verbleibt.
Das ist die anschauliche Beschreibung dessen, was den d’Alembertschen oder Langrangeschen Bewegungsgleichungen (12.8) bzw. (12.10) zu Grunde liegt. Da diese Gleichungen ein
43
ordinatensystem {χα } auf dem physikalischen Konfigurationsraum Qt einzuführen. Der Index
α läuft dabei von 1 bis 3 N − K, oder nimmt Werte aus irgendeiner Indexmenge mit 3 N − K
Elementen an. Beim Pendel sind dies die Winkelkoordinaten (ϑ, ϕ), mit denen wir jeden Punkt
auf der Kugeloberfläche identifizieren, also jede physikalisch mögliche Konfiguration des Pendels
erfassen können.
Wir finden solche Koordinaten, indem wir die Zwangsbedingungen “auflösen”. Die Zwangsbedingungen C k ({q µ }, t) = 0 sind K Gleichungen für 3 N Unbekannte, nämlich die ursprünglichen
Koordinaten q µ auf Q. Wenn wir annehmen, dass die Gleichungen genügend regulär sind, dann
lässt sich die Lösungsmenge zu jeder Zeit t durch 3 N − K Parameter darstellen. Diese Parameter bezeichnen wir mit χα , und wir betrachten sie als Koordinaten auf dem physikalischen
Konfigurationsraum Qt . Jede tatsächlich realisierbare Konfiguration wird dann durch die Angabe ihrer Koordinaten χα identifiziert, und folglich können wir jede realisierbare Bahn durch die
Koordinatenfunktion χα (t) vollständig beschreiben.
Da es sich im allgemeinen um krummlinige Koordinaten handelt, wird es jedoch nicht immer möglich sein, ein Koordinatensystem zu finden, das den ganzen physikalischen Konfigurationsraum abdeckt und jedem Punkt eindeutig einen Satz von Koordinaten zuordnet. Die für das
Pendel verwendeten Kugelkoordinaten sind zum Beispiel an den Polen, also den beiden Gleichgewichtslagen des Pendels nicht wohldefiniert. Es genügt aber für die folgenden Überlegungen,
dass zumindest ein Teil von Q durch ein solches Koordinatensystem abgedeckt wird. Wir beschränken uns dann zunächst auf Bewegungen, die in dieser Teilmenge stattfinden. Im nächsten
Kapitel werden wir uns ein wenig ausführlicher mit diesem Problem beschäftigen und zeigen, wir
man es umgehen kann.
In Abbildung 12.1(b) sind die Koordinatenlinien von χα auf dem Unterraum Q = Qt eingee ergänzen. Wir fügen noch
zeichnet. Wir können sie wie folgt zu einem Koordinatensystem von Q
K zusätzliche Koordinaten ζ l hinzu, so dass der reduzierte Konfigurationsraum Qt die Koordinatenfläche ζ l = 0 ist. Die Koordinatenlinien der zusätzlichen Koordinaten ζ l zeigen also aus dem
physikalischen Unterraum hinaus, in die K verbleibenden Richtungen. Zumindest in einer gewissen Umgebung von Qt bekommen wir auf diese Weise ein vollständiges Koordinatensystem
e wobei der Index α insgesamt 3 N − K Werte annimmt, und der Index l über
({χα }, {ζ l }) auf Q,
K Werte läuft.
In diesem Koordinatensystem haben die Zwangsbedingungen C k eine sehr einfache Darstellung. Wenn wir sie in der Nähe des reduzierten Konfigurationsraumes in eine Taylor-Reihe in den
Koordinaten ζ l entwickeln, dann fallen die konstanten Glieder weg, denn die Zwangsbedingungen C k sind ja genau dort gleich Null, wo auch die Koordinaten ζ l Null sind. Es gilt also
C k = X kl ζ l + O(ζ l )2
mit X kl =
∂C k .
∂ζ l ζ l =0
Die Matrix X kl ist sogar überall auf Qt invertierbar. Das folgt aus der Voraussetzung, dass die
Gradienten der Zwangsbedingungen linear unabhängig sind. Die Einträge der Matrix X kl sind
die einzigen nicht verschwindenden Komponenten dieser Gradienten in dem angepassten Koordinatensystem, denn die übrigen Komponenten X kα = ∂C k /∂χα sind überall auf Qt gleich Null,
weil dort die Zwangsbedingungen verschwinden, also insbesondere konstant sind. Die Einträge
der K×K-Matrix X kl bilden daher ein System von K linear unabhängigen Vektoren, also eine
invertierbare Matrix.
Beim Pendel können wir als eine zusätzliche Koordinate mit den verlangen Eigenschaften zum
Beispiel ζ = r − ` wählen. Die Zwangsbedingung lautet dann C = r 2 − `2 = ζ (2 ` + ζ) =
X ζ + O(ζ 2 ), und offenbar ist sie genau dann gleich Null, wenn ζ = 0 ist. Außerdem ist sie von
der Form (12.18), wobei die 1×1-Matrix X = 2 ` in diesem Fall konstant, und natürlich auch
invertierbar ist.
Nachdem wir ein solches angepasstes Koordinatensystem eingeführt haben, ergibt sich alles
andere fast von selbst. Wir müssen jetzt nur noch die d’Alembertschen Bewegungsgleichungen
aufschreiben. Da wir nun zwei Sätze von Koordinaten {χα } und {ζ l } haben, zerfallen auch die
Bewegungsgleichungen entsprechend. Betrachten wir zunächst die für die Koordinaten ζ l . Für sie
ergibt sich
X
X
d ∂T
∂C k
∂T
−
=
F
−
λ
= Fl −
λk X kl .
(12.19)
l
k
l
l
l
dt ∂ ζ̇
∂ζ
∂ζ
k
k
Hier haben wir benutzt, dass wir nur solche Bahnen q(t) betrachten müssen, die zu jedem Zeitpunkt t in Qt liegen. Wir können also, nachdem wir die Bewegungsgleichungen aufgestellt haben,
überall ζ l = 0 und natürlich auch ζ̇ l = 0 setzen. Auf der rechten Seite bedeutet das, dass wir die
Gradienten der Zwangsbedingungen durch die oben definierte Matrix X kl ausdrücken können.
Da diese Matrix wissen wir, dass sie invertierbar ist. Folglich lassen sich diese Gleichungen
immer nach λk auflösen. Es handelt sich nicht um Bewegungsgleichungen im eigentlichen Sinne. Diese Gleichungen bestimmen die Lagrange-Multiplikatoren und damit die Zwangskräfte.
Man sieht auch sofort, dass jede zusätzliche dynamische Kraftkomponente F l in eine “verbotene” Richtung, also in Richtung einer Koordinaten ζ l , automatisch eine entsprechende zusätzliche,
entgegengesetzt ausgerichtete Zwangskraft bewirkt.
Die eigentlichen Bewegungsgleichungen sind die für die Koordinaten χ α . Sie lauten
X
∂T
d ∂T
∂C k
λk
= Fα .
α −
α = Fα −
dt ∂ χ̇
∂χ
∂χα
(12.20)
k
Auch hier können wir ζ l = 0 und ζ̇ l = 0 setzen, nachdem wir die Gleichungen aufgestellt haben,
denn es kommen ja nur solche Bahnen in betracht. Die Zwangsbedingungen fallen dann ganz
weg, denn ihre Ableitungen in Richtung der Koordinaten χα verschwinden.
Das entscheidende ist nun, dass wir hier bereits ζ l = 0 und ζ̇ l = 0 setzen können, bevor wir
die partiellen Ableitungen von T auf der linken Seite berechnen. Es werden nämlich gar keine
Ableitungen in Richtung der Koordinaten ζ l oder der Geschwindigkeiten ζ̇ l gebildet. Um die
(12.18)
Die Koeffizienten X kl bilden eine K×K-Matrix, deren Einträge im allgemeinen noch von den
Koordinaten χα und der Zeit abhängen. Es handelt sich also um Funktionen auf dem reduzierten
Konfigurationsraum Qt .
44
eigentlichen Bewegungsgleichungen aufzustellen, genügt es daher völlig, die Funktion T nur als
Funktion der reduzierten Koordinaten χα , der zugehörigen Geschwindigkeiten χ̇α und der Zeit t
auf dem Unterraum Qt zu kennen. Die Koordinaten ζ l brauchen wir dazu überhaupt nicht.
Das gleiche gilt für die rechte Seite der Bewegungsgleichung (12.20). Um die Komponenten
Fα der dynamischen Kraft zu berechnen, benötigen wir die zusätzlichen Koordinaten ζ l außerhalb des physikalischen Unterraumes Qt nicht. Wenn wir die Kraft ursprünglich als Funktion der
affinen Koordinaten q µ durch ihre Komponenten Fµ dargestellt haben, so ergeben sich die Komponenten Fα aus dem üblichen Transformationsverhalten eines dualen Vektors. Das hatten wir
bereits in (11.43) aufgeschrieben, oder in der Form (11.58) für ein N -Teilchen-System. In dem
hier verwendeten speziellen Koordinatensystem ergeben sich daraus die Komponenten
Fα =
∂q µ
Fµ ,
∂χα
Fl =
∂q µ
Fµ .
∂ζ l
die Lagrange-Funktion unmittelbar als Funktion dieser Koordinaten und ihrer Zeitableitungen
ausdrücken, indem wir in (12.13) r = ` setzen. Das ergibt
L=T −V =
d ∂L
∂L
= Fα .
α −
dt ∂ χ̇
∂χα
(12.23)
Sie hängt jetzt nur noch von den Koordinaten (ϑ, ϕ) und den Geschwindigkeiten ( ϑ̇, ϕ̇) ab.
Der prinzipielle Unterschied zu der früheren Herleitung ist, dass wir jetzt nicht mehr zuerst die
kinetische und potenzielle Energie eines frei beweglichen Teilchens in Kugelkoordinaten ausrechnen müssen, um dann eine erweiterte Lagrange-Funktion zu definieren, indem wir die Zwangsbedingung mit einem Multiplikator addieren. Statt dessen müssen wir nur noch die Energien für
tatsächlich realisierbare Orte und Geschwindigkeiten bestimmen, also für Bahnen mit r(t) = `,
die im physikalischen Konfigurationsraum Qt liegen, der in diesem Fall zeitunabhängig ist.
(12.21)
Aufgabe 12.4 Man zeige, dass die Lagrange-Gleichungen (12.22) f ür die Funktion (12.23) und
mit Fα = 0 jetzt unmittelbar die Pendelgleichungen (12.15) liefern.
In die eigentlichen Bewegungsgleichungen (12.20) gehen nur die Komponenten F α ein.Es genügt
deshalb, die ursprünglichen Koordinaten q µ als Funktion der reduzierten Koordinaten χα zu kennen. Wir müssen nur eine explizite Darstellung der Lösungen der Zwangsbedingung kennen. Nur,
wenn wir die Zwangskräfte berechnen wollen, benötigen wir zur Berechnung von F l die zusätzlichen Koordinaten ζ l .
Besonders einfach ist die Situation wieder dann, wenn alle Kräfte Potenzialkräfte sind. In diesem Fall gilt statt (12.21) einfach Fα = −∂V/∂χα und Fl = −∂V/∂ζ l . Wir müssen dazu nur das
Potenzial als Funktion der angepassten Koordinaten {χα } und {ζ l } darstellen. Und auch hier gilt,
dass wir für die eigentlichen Bewegungsgleichungen die Funktion V nur auf Q t , also für ζ l = 0
kennen müssen. Denn zur Berechnung der Komponenten F α müssen wir nur die Ableitungen des
Potenzials nach den Koordinaten χα bilden.
In jedem Fall können wir die Bewegungsgleichungen wieder in der gemischten Form (11.67)
aufschreiben, die alle möglichen Fälle von konservativen und nicht konservativen Kräften umfasst. Auch die Lagrange-Funktion L = T − V müssen wir dazu nur auf Q t kennen, das heißt
als Funktion der reduzierten Koordinaten χα , der Geschwindigkeiten χ̇α und der Zeit t. Zusätzlich müssen wir dann nur noch diejenigen Kräfte, die sich nicht aus dem Potenzial V ableiten,
gemäß (12.21) in dem angepassten Koordinatensystem darstellen. Formal ergeben sich wieder
die gleichen Bewegungsgleichungen, nämlich
reduzierte
Bewegungsgleichung
1
m `2 ϑ̇2 + sin2 ϑ ϕ̇2 − m g ` cos ϑ.
2
Aufgabe 12.5 Was passiert, wenn der Pendelkörper zusätzlich eine Ladung q trägt, und sich
am Aufhängepunkt des Pendels eine Ladung Q befindet? Zum Gravitationspotenzial V G =
m g r cos ϑ kommt dann noch ein elektrisches Potenzial VE = Q q/r hinzu. Hat dies irgendeinen
Einfluss auf die Bewegungen des Pendels?
Einfache Beispiele
Wir wollen nun das gerade hergeleitete Verfahren anwenden und die Bewegungsgleichungen für
ein paar typische Systeme mit holonomen Zwangsbedingungen aufstellen. Es wird sich zeigen,
dass die praktische Anwendung im Einzelfall meist sehr viel einfacher ist als die allgemeine
Herleitung.
Zunächst betrachten wir nur konservative Systeme, deren Kräfte sich aus einem zeitunabhängigen Potenzial ableiten lassen. Für solche Systeme haben wir nun ein sehr einfaches Rezept zur
Herleitung der Bewegungsgleichungen. Man führt zunächst einen Satz von reduzierten Koordinaten χα ein, um die physikalisch möglichen Konfigurationen zu parametrisieren. Auf diese Weise
definiert man implizit den reduzierten Konfigurationsraum Q. Es ist gar nicht mehr nötig, diesen
zuerst mit Hilfe von Zwangsbedingungen als Teilmenge eines erweiterten Konfigurationsraumes
e zu definieren. Es genügt, die Lösungsmenge dieser Zwangsbedingungen zu beschreiben, was
Q
oft wesentlich einfacher ist.
Dann muss man nur noch die kinetische Energie T und die potenzielle Energie V des Systems
als Funktion der Koordinaten χα , der Geschwindigkeiten χ̇α und der Zeit t darstellen. Daraus
ergibt sich die Lagrange-Funktion L = T − V, und aus ihr können wir unmittelbar die Bewegungsgleichungen (12.22) ableiten. Bei einem konservativen System steht auf der rechten Seite
einfach Null.
In Abbildung 12.2 sind ein paar einfache mechanische Systeme dieser Art dargestellt. In der
Abbildung (a) bewegt sich ein Teilchen auf einer vorgegeben Kurve. Die Kurve soll sich in der
(12.22)
Unabhängig davon, welche Form der Bewegungsgleichungen wir verwenden, sind es jetzt nur
noch 3 N − K Differenzialgleichungen, die wir lösen müssen. Das sind genau so viele, wie das
System Freiheitsgrade besitzt. Besonders für Systeme mit sehr vielen Zwangsbedingungen bedeutet das eine erhebliche Reduktion der Zahl der Bewegungsgleichungen.
Dass das neue Verfahren sehr effizient ist, sieht man schon an dem einfachen Beispiel des Pendels. In diesem Fall sind die reduzierten Koordinaten die Winkelkoordinaten (ϑ, ϕ). Wir können
45
PSfrag replacements
r1
x-z-Ebene befinden, und es soll eine konstante Gravitationskraft wirken, wie üblich in Richtung
der negativen z-Achse. Um für dieses System, das offenbar nur einen Freiheitsgrad besitzt, die
Lagrange-Funktion anzugeben, müssen wir uns noch nicht einmal Gedanken darüber machen,
wie die Zwangsbedingungen genau zu formulieren sind. Es genügt, die Kurve, auf der sich das
Teilchen bewegt, durch zwei Funktionen x(s) und z(s) zu parametrisieren.
Wir können dann den Kurvenparameter s als verallgemeinerte Koordinate auf dem reduzierten,
eindimensionalen Konfigurationsraum Q verwenden. Wir beschreiben die Bahn das Teilchens
durch eine Funktion s(t), und wir können dann unmittelbar die kinetische und potenzielle Energie
als Funktion von s und ṡ angeben. Es gilt nämlich
T =
1
1
m ẋ2 + ż 2 = m x0 (s)2 + z 0 (s)2 ṡ2 ,
2
2
V = m g z(s).
s
`1
1
m ṡ2 − m g z(s).
2
α
(a)
s2
m1
s1
`2
s
(12.24)
m2
β
m2
(b)
Offenbar hängt die kinetische Energie von s und ṡ ab. Wir können aber die Parametrisierung
der Kurve so wählen, dass der Term in der Klammer konstant ist. Wir müssen dazu nur den
Kurvenparameter so einrichten, dass er die Länge der Kurve misst. Dann gilt nämlich x 0 (s)2 +
y 0 (s)2 = 1, und wir bekommen
L=T −V =
r2
m1
(c)
(d)
Abbildung 12.2: Einfache mechanische Systeme, deren Lagrange-Funktionen sich leicht angeben
lassen. Ein Teilchen, das sich auf einer vorgegebenen Bahn bewegt (a), eine über eine Tischkante
gleitende Kette (b), ein Doppelpendel (c), und zwei über eine Rolle verbundene Körper (d). Das
Doppelpendel hat zwei Freiheitsgrade, alle anderen Systeme haben jeweils einen Freiheitsgrad.
(12.25)
Aus dieser Darstellung der Lagrange-Funktion entnehmen wir sofort, dass sich ein Teilchen auf
einer solchen Bahn, auch wenn sie beliebig gebogen ist, genau wie ein Teilchen auf einer geraden
Bahn verhält, wenn es dort das Potenzial V(s) = m g z(s) spürt. Seine Bewegungsgleichung
lautet einfach m s̈ = −m g z 0 (s). Das hatten wir für das Schienenfahrzeug in Kapitel 5 auch
schon gezeigt, jedoch war die Herleitung dort wesentlich mühsamer.
Das System hat jedoch unabhängig von der Anzahl der Glieder nur genau einen Freiheitsgrad.
Wir können dafür wieder eine Koordinate s einführen, die zum Beispiel die Länge der über die
Kante nach unten hängenden Kette festlegt. Dann können wir die kinetische Energie leicht angeben. Bewegt sich nämlich das untere Ende der Kette mit der Geschwindigkeit ṡ, so bewegen
sich alle Kettenglieder mit derselben Geschwindigkeit. Da die kinetische Energie nicht von der
Richtung der Bewegung im Raum abhängt, spielt es dabei keine Rolle, wie viele Glieder sich auf
dem Tisch in horizontale Richtung bewegen, und wie viele sich in vertikale Richtung bewegen.
Es gilt immer T = m ṡ2 /2.
Die potenzielle Energie des Systems hängt davon ab, welcher Teil der Kette überhängt. Setzen
wir das Gravitationspotenzial auf der Tischebene gleich Null, so haben die oben liegenden Glieder
keine potenzielle Energie. Der überhängende Teil der Kette hat die Länge s und befindet sich in
einer Höhe zwischen 0 und −s, also im Mittel auf der Höhe −s/2. Die Masse dieses Teils der
Kette ist m s/`. Da das Gravitationspotenzial linear ist, ergibt sich daraus
Aufgabe 12.6 Ist die Bahn wie in Abbildung 12.2(a) geformt, so pendelt das Teilchen in der
Mulde hin und her. Wie muss diese Mulde genau geformt sind, damit sich das Teilchen wie ein
harmonischer Oszillator verhält, also unabhängig von der Amplitude stets mit der gleichen Periode oszilliert?
Aufgabe 12.7 Eine äußere Instanz bewege die Bahn in Abbildung 12.2(a) periodisch nach rechts
und links, bzw. nach oben und unten. Die Bewegung werde jeweils durch eine Kosinusfunktion mit
der Kreisfrequenz ω und Amplitude a beschieben. Wir sieht in diesem Fall die Lagrange-Funktion
für das Teilchen aus, und welche Bewegungsgleichungen ergeben sich?
Ein System, an dem die Effizienz des neuen Verfahrens noch einmal deutlich gemacht werden soll,
ist in Abbildung 12.2(b) dargestellt. Eine Kette der Masse m und Länge ` gleitet reibungsfrei über
eine Tischkante und fällt von dort aus senkrecht nach unten.
Die Kette ist ein System aus sehr vielen Teilchen. Man kann sich leicht vorstellen, dass es sehr
umständlich wäre, nun die einzelnen Kettenglieder zu betrachten und für diese die Bewegungsgleichungen aufzustellen. Wir müssten dann die Zwangskräfte berücksichtigen, die die Abstände
zwischen den Gliedern fixieren und die Kette in ihrer vorgegebenen Bahn halten.
T =
m 2
ṡ ,
2
V =−
mg 2
s
2`
⇒
L=
m 2 mg 2
ṡ +
s .
2
2`
(12.26)
Das sieht aus wie die Lagrange-Funktion eines harmonischen Oszillators, jedoch hat das Potenzial
das falsche Vorzeichen. Wir können sofort die Bewegungsgleichung angeben. Sie lautet
d ∂L ∂L
−
= m s̈ − ω 2 s = 0,
dt ∂ ṡ
∂s
46
mit ω 2 =
g
.
`
(12.27)
Die allgemeine Lösung ist
s(t) = b eω t + c e−ω t ,
Wie man leicht sehen kann, sind dies gerade die in Abbildung 12.2(c) eingezeichneten Auslenkwinkel α und β. Dies sind die Koordinaten auf dem reduzierten Konfigurationsraum Q. Wir
müssen nun die Energiefunktionen (12.29) als Funktionen von α und β und deren Zeitableitungen
darstellen.
(12.28)
wobei die Integrationskonstanten b und c den Anfangsbedingungen anzupassen sind. Die Kette
gleitet mit exponentiell ansteigender Geschwindigkeit über die Tischkante.
Aufgabe 12.10 Man verifiziere das Ergebnis
Aufgabe 12.8 Bei der Herleitung des Potenzials haben wir alle Effekte, die beim Ablaufen der
einzelnen Kettenglieder über die Tischkante auftreten, vernachlässigt. Das ist gerechtfertigt, wenn
die Kette aus sehr vielen kurzen Gliedern besteht. Man zeige, dass unter dieser Annahme die Form
der Tischkante nicht relevant ist. Es kann sich um eine beliebig abgerundete Kante handeln. Man
stelle sich dazu die Kette als kontinuierliches Objekt mit eine Masse pro L änge µ = m/` vor, und
bestimme die potenzielle Energie durch eine Integration.
T =
1
1
(m1 + m2 ) `12 α̇2 + m2 `22 β̇ 2 + m2 `1 `2 α̇ β̇ cos(α − β),
2
2
V = −g (m1 + m2 ) `1 cos α − g m2 `2 cos β,
und die daraus resultierenden Bewegungsgleichungen
Aufgabe 12.9 Wie sieht die Lagrange-Funktion für die Kette aus, wenn sie an der Tischkante
nicht nach unten sondern, durch eine geeignete Vorrichtung gef ührt, nach oben abknickt? Wie
sieht dann die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichung aus?
d
(m1 + m2 ) `12 α̇ + m2 `1 `2 β̇ cos(α − β) +
dt
Ein weiteres interessantes System ist das Doppelpendel in Abbildung 12.2(c). Es besteht aus
einem Pendel der Länge `1 , an dem ein Körper der Masse m1 montiert ist. An diesem wiederum
hängt ein Körper der Masse m2 an einer Stange der Länge `2 . Der Einfachheit halber soll dieses
Pendel nur in einer Ebene schwingen.
Wie man sich leicht überlegt, hat dieses System zwei Freiheitsgrade, also einen zweidimensionalen reduzierten Konfigurationsraum. An diesem Beispiel lässt sich sehr schön zeigen, wie
die Berechnung der reduzierten Lagrange-Funktion im allgemeinen erfolgt. Wir gehen daher das
Verfahren aus dem letzten Abschnitt noch einmal Schritt für Schritt durch.
e für ein allgemeines ZweiZunächst betrachten wir den erweiterten Konfigurationsraum Q
Teilchen-System. Dies ist ein sechsdimensionaler Raum, auf dem wir die Koordinaten
(x1 , y1 , z2 , x1 , y2 , z2 ) einführen. Das sind die kartesischen Ortskoordinaten der beiden Teilchen.
Der Ursprung des Koordinatensystems soll sich im Aufhängepunkt des Pendels befinden, und die
Gravitationskraft wie immer in Richtung der negativen z-Achse zeigen. Für die kinetische und
potenzielle Energie gilt dann
d
m2 `22 β̇ + m2 `1 `2 α̇ cos(α − β) +
dt
T =
1
1
m1 ẋ12 + ẏ12 + ż12 + m2 ẋ22 + ẏ22 + ż22 ,
2
2
+ m2 `1 `2 α̇ β̇ sin(α − β) + g (m1 + m2 ) `1 sin α = 0,
+ m2 `1 `2 α̇ β̇ sin(β − α) + g m2 `2 sin β = 0.
y2 = 0,
x12 + z12 − `12 = 0,
Das ist ein recht kompliziertes gekoppeltes System von nichtlinearen Differenzialgleichungen.
Die allgemeine Lösung lässt sich nicht mehr explizit angeben.
Hier liegt bereits der allgemeine Fall vor, bei dem die kinetische Energie zwar eine quadratische Funktion der Geschwindigkeiten α̇ und β̇ ist. Aber weder ist die Massenmatrix diagonal,
noch sind ihre Einträge konstant. Es tritt ein Mischterm auf, der das Produkt α̇ β̇ enthält, und
dieser hängt zudem noch von α und β ab. Es ist nicht mehr möglich, die Massenmatrix durch
eine Koordinatentransformation zu diagonalisieren, und folglich ist es auch nicht möglich, die
Bewegungsgleichungen zu entkoppeln.
V = g (m1 z1 + m2 z2 ). (12.29)
(x2 − x1 )2 + (z2 − z1 )2 − `22 = 0.
Aufgabe 12.11 Man diskutiere den Fall m1 m2 , also den Grenzfall, in dem der obere Pendelkörper sehr viel schwerer ist als der untere. Man zeige, dass sich dann der obere Arm des
Doppelpendels wie ein einzelnes Pendel verhält, während sich der untere Arm wie ein angetriebenes Pendel verhält, wobei die Schwingungen des oberen Armes den äußeren Antrieb darstellen.
(12.30)
Aufgabe 12.12 In dem umgekehrten Grenzfall m1 m2 , in dem die Masse des oberen Pendelkörper verschwindend klein ist, lassen sich die Bewegungsgleichungen sogar explizit l ösen.
Man zeige dies durch eine geschickte Koordinatentransformation auf dem Konfigurationsraum.
Man findet diese Transformation, wenn man sich zunächst überlegt, welche Art von Bewegungen
das Pendel in diesem Fall ausführt.
Die Lösungen der letzten beiden Gleichungen lassen sich wie folgt durch zwei Parameter α und
β darstellen,
x2 = `1 sin α + `2 sin β,
x1 = `1 sin α,
z1 = −`1 cos α,
z2 = −`1 cos α − `2 cos β.
(12.33)
Lassen sich diese Gleichungen immer nach α̈ und β̈ auflösen?
Die Zwangsbedingungen lauten
y1 = 0,
(12.32)
(12.31)
47
Aufgabe 12.13 Für kleine Auslenkungwinkel α, β 1 lassen sich die Winkelfunktionen in
(12.32) in eine Taylor-Reihe entwickeln. Man vernachlässige alle Terme, die von vierter Ordnung
oder höher in α, β, α̇ oder β̇ sind. Man zeige, dass sich dann die Lagrange-Funktion für einen
gekoppelten harmonischen Oszillator ergibt. Welches sind die Eigenfrequenzen dieses Systems,
und wie sehen die Eigenmoden aus?
negativen z-Achse befindet, wenn der Drehwinkel gerade χ = 2π n/N ist. Die Nummerierung
können wir als periodisch betrachten, so dass die Indizes n und n + N dassselbe Teilchen bezeichnen.
Für die Geschwindigkeit des n-ten Teilchens ergibt sich
(12.35)
ṙn = R χ̇ cos χn ey + sin χn ez ,
Aufgabe 12.14 Um einen Eindruck von den Bewegungen des Doppelpendels zu bekommen, kann
man die Bewegungsgleichungen (12.33) numerisch integrieren. Man gibt als Anfangsbedingungen α(t0 ), β(t0 ), α̇(t0 ) und β̇(t0 ) vor, und berechnet anschließend die Funktionen α(t) und β(t)
mit einem geeigneten numerischen Verfahren. Solche sind in den g ängigen “intelligenten” Programmiersprachen wie Mathematica oder Maple vorprogrammiert, so dass man letztlich nur die
Differenzialgleichungen und die Anfangsbedingungen eingeben muss. Es ist sogar m öglich, das
Verfahren so weit zu automatisieren, dass man nur die Lagrange-Funktion eingeben muss.
denn die einzige zeitabhängige Größe ist der Drehwinkel χ, und die Winkelgeschwindigkeit ist
natürlich für alle Teilchen gleich, χ̇n = χ̇. Daraus können wir leicht die kinetische Energie berechnen. Jedes einzelne Teilchen hat eine Masse M/N . Es bewegt sich mit einer Geschwindigkeit
R χ̇, besitzt also die kinetische Energie M (R χ̇)2 /(2 N ). Die Summe über alle Teilchen ist
T =
Aufgabe 12.15 In Abbildung 12.2(d) ist ein weiteres mechanisches System mit nur einem Freiheitsgrad dargestellt. Zwei Körper sind über eine starre Rolle miteinander verbunden. Die Seile,
an denen die Körper hängen, sind jedoch auf verschiedenen Radien aufgewickelt. Als verallgemeinerte Koordinaten kann wahlweise der Drehwinkel der Rolle oder die L änge eines der beiden
herabhängenden Seile verwendet werden. Welche Beziehung besteht zwischen diesen Gr ößen?
Man finde die Lagrange-Funktion und löse die Bewegungsgleichungen. Die kinetische Energie
der Rolle kann entweder vernachlässigt werden, oder es kann der weiter unten hergeleitete Ausdruck (12.36) verwendet werden.
Ein etwas anspruchsvolleres mechanisches System ist in Abbildung 12.3 dargestellt. Es dient zur
Vorbereitung auf ein späteres Kapitel, in dem wir uns mit den Drehbewegungen eines starren
Körpers beschäftigen werden. In der hier gezeigten vereinfachten Version lässt es sich jedoch mit
den bereits zur Verfügung stehenden Mitteln beschreiben.
In der einfachsten Version von Abbildung 12.3(a) betrachten wir ein Rad, dessen Achse im
Raum fixiert ist. Es kann sich also nur um diese vorgegebene Achse drehen, und besitzt folglich nur einen Freiheitsgrad. Dies ist der Drehwinkel χ. Wir machen außerdem die vereinfachte
Annahme, dass sich die gesamte Masse M des Rades auf die Lauffläche konzentriert, also auf
einen Kreisring vom Radius R. Sie verteilt sich dort auf N Teilchen, die in gleichmäßigen Winkelabständen auf dem Kreis angeordnet sind.
Es sei rn , mit n ∈ {1, . . . , N }, der Ort des n-ten Teilchens, und das Koordinatensystem sei so
gewählt, dass die Achse des Rades in Richtung der x-Achse zeigt. Dann ist
mit χn = χ −
2π n
.
N
(12.36)
Auch hier ist es wieder unnötig, die Zwangsbedingungen explizit zu kennen. Es genügt, ihre
Lösungen zu parametrisieren, also die Orte (12.34) der einzelnen Teilchen als Funktion der reduzierten Koordinate χ darzustellen, um die kinetische Energie T als Funktion von χ und χ̇ zu
berechnen.
Wenn auf das Rad keine dynamischen Kräfte einwirken, haben wir damit auch schon die
Lagrange-Funktion gefunden, denn es ist L = T . Wir können unmittelbar die Bewegungsgleichung χ̈ = 0 ablesen. Das Rad dreht sich gleichmäßig mit konstanter Winkelgeschwindigkeit.
Das ist natürlich genau das, was wir erwartet haben.
Nun wollen wir feststellen, was passiert, wenn auf die Lauffläche des Rades eine Reibungskraft
wirkt. Eine solche Kraft kann nicht durch ein Potenzial beschrieben werden. Wir müssen also
die d’Alembertsche Form der Bewegungsgleichungen verwenden. Dazu müssen wir zunächst
die Kraftkomponente Fχ in Richtung der reduzierten Koordinate χ finden. Dafür hatten wir die
Formel (11.58) angegeben. Es gilt also
Das fixierte Rad
rn = o + R sin χn ey − cos χn ez ,
1
M R2 χ̇2 .
2
Fχ =
X ∂rn
n
∂χ
· Fn =
X
n
R cos χn ey + sin χn ez · Fn .
(12.37)
Hier ist Fn die dynamische Kraft, die auf das Teilchen mit der Nummer n wirkt. Die partielle
Ableitung ∂rn /∂χ haben wir aus (12.34) entnommen.
Es soll nun auf ein ganz bestimmtes Teilchen, und zwar das, welches sich gerade an unterster
Stelle befindet, eine Reibungskraft wirken, die proportional zu seiner Geschwindigkeit und ihr
entgegengerichtet ist. Damit modellieren wir die Situation, dass das Rad an einer Stelle durch
einen bremsenden Gegenstand berührt wird, zum Beispiel auf einer Standfläche aufliegt oder eine
Bremse an der Lauffläche angreift.
Für das Teilchen mit der Nummer n̄, welches sich zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz unten
befindet, gilt χn̄ = 0, also n̄ = N χ/2π, oder genauer, n̄ ist die ganze Zahl, die dieser am
nächsten liegt. Für große N können wir aber den Fehler, den wir dabei machen, vernachlässigen.
(12.34)
Der Koordinatenursprung o ist natürlich der Mittelpunkt des Rades. Die Teilchen haben wir so
durchnummeriert, dass sich das Teilchen mit der Nummer n genau dann “unten”, also auf der
48
replacements
ϑ
(d)
χ
Aufgabe 12.16 Wie sieht die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichung (12.40) aus?
Aufgabe 12.17 Welche Bewegungsgleichung ergibt sich, wenn wir f ür die Reibungskraft eine andere Abhängigkeit von der Geschwindigkeit annehmen? Man betrachte allgemein einen Zusammenhang der Form Fn̄ = −η |ṙn̄ |k−1 ṙn̄ , also ein Ansteigen der Reibungskraft mit der Potenz
k > 0. Kommt das Rad dann nach endlicher Zeit zum Stillstand oder nicht? Und wenn es nicht
nach endlicher Zeit zum Stillstand kommt, macht es dann insgesamt endlich viele oder unendlich
viele Umdrehungen?
ϕ
(b)
(a)
(c)
Abbildung 12.3: Ein Rad als mechanisches System mit einem, zwei bzw. drei Freiheitsgraden. Ist
die Achse fixiert (a), so ist der einzige Freiheitsgrad der Drehwinkel χ. Kann sich die Achse frei
in einer Ebene drehen (b), so ist die Ausrichtung ϕ der Achse ein zweiter Freiheitsgrad. Bewegt
sich das Rad völlig frei (c), so ist der dritte Freiheitsgrad der Kippwinkel ϑ.
Aufgabe 12.18 Wenn sich das Rad im Schwerefeld der Erde befindet, wirkt eigentlich noch die
Gravitationskraft auf jedes Teilchen. Man setze diese für Fn in (12.37) ein und zeige, dass sie nicht
zu Fχ beiträgt. Man begründe damit die intuitiv richtige Vorstellung, dass sich die Gravitationskräfte gegenseitig aufheben, weil sie das Rad in entgegengesetzte Richtungen zu beschleunigen
versuchen. Gilt das auch, wenn sich das Rad in einem inhomogenen Gravitationsfeld befindet?
Aufgabe 12.19 Man zeige, dass sich qualitativ dieselbe Lagrange-Funktion f ür das Rad auch
dann ergibt, wenn man nicht annimmt, dass alle Teilchen auf einem Kreisring mit Radius R angeordnet sind. Es genügt anzunehmen, dass die Massen gleichmäßig, also rotationssymmetrisch
angeordnet sind. Welche konkrete Form ergibt sich dann für L?
Wichtig ist nur, dass die Kraft auf genau ein Teilchen wirken soll, und dass für dieses gerade
χn̄ = 0 ist.
Die Geschwindigkeit dieses Teilchens ist dann laut (12.35) ṙn̄ = R χ̇ ey . Folglich ist die Reibungskraft, die auf dieses Teilchen wirkt,
Fn̄ = −η ṙn̄ = −η R χ̇ ey ,
Das hängende Rad
(12.38)
Nun wollen wir ein etwas komplizierteres System betrachten. Die Achse des Rades ist nicht
mehr vollständig fixiert, sondern kann sich, wie in Abbildung 12.3(b) gezeigt, in einer Ebene frei
drehen. Ein solches System lässt sich leicht realisieren, indem man etwa die Achse des Laufrades
eines Fahrrades an zwei Seilen aufhängt, so dass sich die Achse in einer horizontalen Ebene
drehen kann.
Das System hat jetzt zwei Freiheitsgrade, nämlich den Drehwinkel des Rades χ und die Ausrichtung der Achse, die wir ebenfalls durch eine Winkelkoordinate ϕ beschreiben können. Der
reduzierte Konfigurationsraum ist demnach ein zweidimensionaler Raum. Wir gehen wieder nach
dem gleichen Schema vor, um die kinetische Energie zu berechnen. Zuerst stellen wir die Orte r n
der Teilchen als Funktionen von χ und ϕ dar. Dazu ist es nützlich, die Einheitsvektoren
wobei η die Reibungskonstante ist. Setzen wir dies in (12.37) ein, so bleibt nur ein Term von
der Summe übrig, denn es soll ja nur auf dieses eine Teilchen eine Kraft wirken. Es ergibt sich,
wieder mit χn̄ = 0,
Fχ = −η R2 χ̇.
(12.39)
Die verallgemeinerte Reibungskraft Fχ ist ebenfalls proportional zur verallgemeinerten Geschwindigkeit χ̇ und ihr entgegengerichtet. Es tritt nur neben der Reibungskonstante η noch ein
Faktor R2 auf. Er sorgt unter anderem dafür, dass die verallgemeinerte Kraft die richtige physikalische Dimension hat. Sie ist nämlich eigentlich keine Kraft sondern ein Drehmoment, und χ̇ ist
keine Geschwindigkeit sondern eine Winkelgeschwindigkeit, wenn man die “richtigen” Bezeichnungen für die physikalischen Dimensionen verwendet.
Die Bewegungsgleichungen stellen sich nun wie folgt dar. Wir werten die linke Seite von
(11.44) für die gegebene Energiefunktion T aus, und setzen auf der rechten Seite die verallgemeinerte Kraft ein,
∂T
d ∂T
−
= Fχ
dt ∂ χ̇
∂χ
⇒
M R2 χ̈ = −η R2 χ̇.
e(ϕ) = cos ϕ ex + sin ϕ ey ,
e0 (ϕ) = − sin ϕ ex + cos ϕ ey
(12.41)
einzuführen. Der Vektor e(ϕ) gibt die Ausrichtung der Achse an, und e 0 (ϕ) steht dazu senkrecht.
Dabei ist e0 (ϕ) auch gleichzeitig die Ableitung von e(ϕ) nach ϕ, und es gilt e00 (ϕ) = −e(ϕ).
Die Darstellung (12.34) der Teilchenorte lässt sich dann unmittelbar verallgemeinern. Für das
gedrehte Rad müssen wir nur ey durch den gedrehten Einheitsvektor e0 (ϕ) ersetzen,
(12.40)
Offenbar hebt sich der Radius R des Rades aus dieser Gleichung heraus, so dass das Rad die
gleiche Bremswirkung erfährt wie ein Körper der Masse M , der sich geradlinig bewegt und dabei
eine Reibungskonstante η spürt.
rn = o + R sin χn e0 (ϕ) − cos χn ez ,
49
mit χn = χ −
2π n
.
N
(12.42)
Für die Geschwindigkeiten der Teilchen ergibt sich jetzt
ṙn = R χ̇ cos χn e0 (ϕ) + sin χn ez − R ϕ̇ sin χn e(ϕ).
Zeitpunkt auf ein bestimmtes Teilchen eine Kraft wirkt, die proportional zu seiner Geschwindigkeit und ihr entgegengerichtet ist. Das Resultat war, dass genau eine solche der Geschwindigkeit
entgegengerichtete Kraft auch auf dem reduzierten Konfigurationsraum auftrat. Das legt die Vermutung nahe, dass genau das gleiche für das Rad mit zwei Freiheitsgraden gilt. Das ist aber nicht
der Fall, wie wir jetzt zeigen werden.
Wir nehmen wieder an, dass auf das Teilchen, das sich gerade ganz unten auf der z-Achse
befindet, eine Reibungskraft wirkt, die der Geschwindigkeit dieses Teilchens entgegengerichtet
ist. Das Teilchen ist wieder das mit der Nummer n̄ = N χ/2π, denn für dieses Teilchen ist
χn̄ = 0 und somit rn̄ = o − ez . Für die Geschwindigkeit dieses Teilchens gilt nun laut (12.43)
ṙn̄ = R χ̇ e(ϕ). Folglich ist die Reibungskraft wieder durch den Ausdruck (12.38) gegeben, nur
dass wir dort ey durch e0 (ϕ) ersetzen müssen,
(12.43)
Die kinetische Energie des Teilchens mit der Nummer n ist demnach
1M
1 M 2 2 1 M 2 2
ṙn · ṙn =
R χ̇ +
R ϕ̇ sin2 χn .
2 N
2 N
2 N
(12.44)
Wenn wir über alle N Teilchen summieren, ergibt der erste Term wieder den Ausdruck
M R2 χ̇2 /2. Den zweiten Term können wir für große N durch ein Integral approximieren. Für
N → ∞ gilt mit x = n/N
1
Z
N
1 X 2
1
sin (χ − 2πn/N ) → dx sin2 (χ − 2π x) = .
N n=1
2
Fn̄ = −η ṙn̄ = −η R χ̇ e0 (ϕ).
(12.45)
(12.47)
Die verallgemeinerte Kraft auf dem zweidimensionalen reduzieren Konfigurationsraum hat jetzt
zwei Komponenten, nämlich Fχ und Fϕ . Wir benutzen wieder die allgemeine Formel (11.58),
0
Die linke Seite ist gerade die Summendarstellung für das Integral, wenn wir das Intervall von 0
bis 2π in N Teilintervalle aufteilen.
Die kinetische Energie des Systems, ausgedrückt als Funktion der Geschwindigkeiten χ̇ und
ϕ̇, ist folglich
1
1
(12.46)
T = M R2 χ̇2 + M R2 ϕ̇2 .
2
4
Offenbar steckt in einer Rotation des Rades um seine Achse mehr Energie als in einer Rotation
der Achse in der Ebene. Das liegt daran, dass sich bei einer Rotation des Rades um die Achse alle
Massen mit der gleichen Geschwindigkeit R χ̇ durch den Raum bewegen. Bei einer Drehung der
Achse bewegen sich jedoch Teile des Rades langsamer oder sogar gar nicht, wenn sie sich gerade
auf der z-Achse befinden.
Was sofort aus (12.46) hervor geht, ist, dass die beiden Drehungen unabhängig voneinander
stattfinden. Es gibt keine Kopplung zwischen den beiden Bewegungen, jedenfalls solange keine
dynamische Kraft auf das Rad wirkt. Dann ist die Lagrange-Funktion L = T , und die Bewegungsgleichungen sind χ̈ = 0 und ϕ̈ = 0. Wenn das Rad entsprechend angeworfen wird, dreht
es sich gleichmäßig um seine Achse, und gleichzeitig dreht sich die Achse gleichmäßig in der
Ebene.
Dass sich dieses Resultat auf diese sehr einfache Weise ergibt, ist tatsächlich ein Erfolg der Lagrangeschen bzw. d’Alembertschen Methode, und es belegt deutlich deren Effizienz. Man stelle
sich vor, man würde versuchen, dieses Ergebnis durch Berechnung der Zwangskräfte zu bekommen, die die Teilchen im Rad aneinander binden. Zwar würde man nach einigen Überlegungen
auch zu dem Resultat kommen, dass es nur zwei Freiheitsgrade gibt, und dass diese unabhängig
voneinander gleichförmige Bewegungen ausführen. Der Weg dahin wäre aber sehr mühsam.
Wir wollen auch hier noch einmal die Auswirkungen einer Reibungskraft auf das System berechnen, und zwar um zu demonstrieren, dass die Umrechnung der Kräfte in die reduzierten Koordinaten nicht immer ganz trivial ist. Weiter oben hatten wir den Ansatz gemacht, dass zu jedem
Fχ =
X ∂rn
n
Fϕ =
∂χ
X ∂rn
n
∂ϕ
· Fn =
X
n
· Fn = −
R cos χn e0 (ϕ) + sin χn ez · Fn ,
X
n
R sin χn e(ϕ) · Fn .
(12.48)
Setzen wir alle Fn gleich Null, nur für n = n̄ (12.47) ein, so ergibt sich wieder Fχ = −η R2 χ̇.
Jedoch ist Fϕ = 0, denn der Vektor Fn̄ steht auf e(ϕ) senkrecht, und außerdem ist sogar noch
sin χn̄ = 0. Es wirkt also im Konfigurationsraum keine Reibungskraft in Richtung der Koordinate
ϕ.
Wenn wir das wieder in die d’Alembertschen Bewegungsgleichungen einsetzen, bekommen
wir nach ein paar Vereinfachungen
M χ̈ = −η χ̇,
ϕ̈ = 0.
(12.49)
Die Rotation des Rades um seine Achse ist wieder gebremst, die Drehung der Achse in der Ebene
jedoch nicht. Das hat auch einen einfachen, physikalisch anschaulichen Grund. Wenn wir annehmen, dass die Reibung dadurch verursacht wird, dass das Rad an der untersten Stelle an einem
Punkt aufliegt, dann bewegt sich dieser Auflagepunkt zwar bei einer Rotation des Rades um seine
Achse, nicht jedoch bei einer Drehung der Achse in der Ebene. Deshalb tritt bei einer solchen
Bewegung auch keine Reibung auf.
Genau dies wird bei der Umrechnung der Kraft in die reduzierten Koordinaten berücksichtigt. Das, was wir abstrakt als Transformationsverhalten eines dualen Vektors im Konfigurationsraum hergeleitet haben, beschreibt in eine physikalische Sprache übersetzt die Richtung, in die
eine Kraft im reduzierten Konfigurationsraum des Systems wirkt, also auf welche der reduzierten
Koordinaten sie Einfluss nimmt.
50
PSfrag replacements
Aufgabe 12.20 Anstatt das Rad an der untersten Stelle abzubremsen, k önnen wir uns vorstellen,
dass es in der Ebene, die in Abbildung 12.3 schraffiert dargestellt ist, an einem festen Ring reibt.
Es wirkt dann an zwei Stellen eine Reibungskraft, nämlich jeweils auf die beiden Teilchen, die
sich gerade in der x-y-Ebene befinden. Auch hier machen wir den Ansatz, dass die Reibungskr äfte
proportional zu den Geschwindigkeiten dieser beiden Teilchen und ihren entgegengerichtet sind.
Welche der beiden Bewegungen des Rades wird jetzt schneller abgebremst, die Drehung um die
Achse, oder die Drehung der Achse in der Ebene?
ϕ
(c)
(d)
m
r
m
ω
c
Aufgabe 12.21 In Abbildung 12.3(c) ist die Achse des Rades gar nicht mehr fixiert. Sie kann
nun auch kippen. Für den dritten Freiheitsgrad führen wir die Koordinate ϑ ein, die den Winkel
zwischen der Achse des Rades und der z-Achse misst. Die Koordinate wird deshalb so gew ählt,
weil (ϑ, ϕ) dann die üblichen Kugelkoordinaten sind, die die Ausrichtung der Achse im Raum
festlegen, und χ wieder der Drehwinkel des Rades um die Achse ist. Man zeige zun ächst, dass der
Ort des Teilchens Nummer n jetzt wie folgt gegeben ist,
(12.50)
rn = o + R sin χn e0 (ϕ) + R cos χn cos ϑ e(ϕ) − sin ϑ ez .
(b)
(a)
Abbildung 12.4: Zwei einfache mechanische System mit zeitabhängigen Zwangsbedingungen.
Im ersten Beispiel gleitet der Körper auf einer Tischplatte und dabei an einem Seil nach innen
gezogen (a). Der einzige Freiheitsgrad ist die Winkelkoordinaten ϕ. Im zweiten Beispiel gleitet der Körper auf einer rotierenden Stange (b). Der einzige Freiheitsgrad ist jetzt die radiale
Koordinaten r.
Man bestimme daraus die Geschwindigkeiten der Teilchen und zeige, dass die kinetische Energie
durch die Funktion
T =
Θ 2 Θ 2 Θ
χ̇ + ϑ̇ + (1 + cos2 ϑ) ϕ̇2 + Θ cos ϑ χ̇ ϕ̇,
2
4
4
mit Θ = M R2 ,
stattfindet. Es ist in Abbildung 12.4(a) dargestellt. Ein Körper der Masse m befindet sich auf
einem Tisch. Er ist an einem Seil befestigt, das durch ein Loch im Tisch eingezogen wird. Die
Länge des Seiles ist ` zur Zeit t = 0, und sie soll sich mit einer konstanten Geschwindigkeit c
verkürzen.
Offenbar hat das System nur einen Freiheitsgrad. Die Länge des Seiles ist vorgegeben, so dass
als einzige unabhängige Koordinate der Winkel ϕ bleibt, der angibt, in welcher Richtung sich der
Körper, vom Loch aus gesehen, befindet. Wenn (x, y) kartesische Koordinaten in der Ebene sind,
wobei sich der Ursprung im Loch befindet, so gilt für den Ort des Körpers
(12.51)
gegeben ist. Aus ihr lassen sich die Lagrangeschen Bewegungsgleichungen ableiten. Aus denen
für die Koordinaten χ und ϕ ergibt sich, dass die Impulse pχ = ∂T /∂ χ̇ und und pϕ = ∂T /∂ ϕ̇
Erhaltungsgrößen sind, da die Ableitungen ∂T /∂ϕ und ∂T /∂χ verschwinden. Man benutze das,
um die Bewegungsgleichung für ϑ mit Hilfe eines effektives Potenzial darzustellen,
Θ
ϑ̈ = −Ve 0 (ϑ),
2
mit
pχ2 + pϕ2 − 2 pχ pϕ cos ϑ
.
Ve (ϑ) =
Θ sin2 ϑ
(12.52)
x = (` − c t) cos ϕ,
Man skizziere das effektive Potenzial und diskutiere qualitativ die möglichen Bewegungsformen
des Rades.
y = (` − c t) sin ϕ.
(12.53)
Daraus können wir wieder die kinetische Energie berechnen. Allerdings müssen wir jetzt die
explizite Zeitabhängigkeit der Koordinaten beachten. Es ist
Zeitabhängige Zwangsbedingungen
ẋ = −(` − c t) ϕ̇ sin ϕ − c cos ϕ,
Als nächstes wollen wir ein paar einfache Beispiele für Systeme mit zeitabhängigen Zwangsbedingungen diskutieren, um zu zeigen, dass auch solche Systeme sehr effizient mit Hilfe der
Lagrangeschen bzw. d’Alembertschen Bewegungsgleichungen beschrieben werden können. Der
reduzierte Konfigurationsraum Qt ist dann zu jedem Zeitpunkt t eine andere Teilmenge des ere und wir müssen zeitabhängige Koordinaten verwenden, um
weiterten Konfigurationsraumes Q,
die Zwangsbedingungen zu lösen.
Als erstes betrachten wir ein System, das dem Pendel mit variabler Länge sehr ähnlich ist. Es
ist allerdings einfacher, da keine Gravitationskraft wirkt und die Bewegung nur in einer Ebene
und daher
ẏ = (` − c t) ϕ̇ cos ϕ − c sin ϕ,
(12.54)
1
1
1
m ẋ2 + ẏ 2 = m (` − c t)2 ϕ̇2 + m c2 .
(12.55)
2
2
2
Das gleiche Resultat hätten wir natürlich auch aus der Darstellung (11.60) der kinetischen Energie
in Zylinderkoordinaten entnehmen können, indem wir dort r = ` − c t und z = 0 setzen.
Den konstanten Term m c2 /2 können wir vernachlässigen, da er in die Bewegungsgleichungen
T =L=
51
nicht eingeht. Nur der Term, der proportional zu ϕ̇2 ist, erscheint in der Bewegungsgleichung
d
d ∂L ∂L
−
=
m (` − c t)2 ϕ̇ = 0.
dt ∂ ϕ̇ ∂ϕ
dt
Aufgabe 12.22 Man berechne die Gesamtlänge des von dem Körper zurückgelegten Weges im
Zeitintervall 0 < t < `/c.
(12.56)
Aufgabe 12.23 Man diskutiere auch dieses Beispiel wieder mit einer zus ätzlichen Reibungskraft,
die proportional zur Geschwindigkeit des Körpers auf der Ebene ist.
Auch hier wird die Bewegungsgleichung wieder in einer Form geliefert, aus der wir sofort den
entscheidenden Erhaltungssatz ablesen können. In der Klammer steht natürlich wieder der Drehimpuls. Dass er erhalten ist, ergibt sich auch daraus, dass die Zwangskraft, die auf den Körper
wirkt, eine Zentralkraft ist. Als Lösung findet man
m (` − c t)2 ϕ̇ = pϕ
⇒
ϕ̇ =
pϕ
m (` − c t)2
⇒
ϕ(t) =
pϕ
.
c m (` − c t)
Das mechanische System in Abbildung 12.4(b) ist zu dem gerade diskutierten in einem gewissen
Sinne komplementär. Dort befindet sich ein Körper auf einer Stange, die mit einer Winkelgeschwindigkeit ω rotiert. Auch hier bewegt sich der Körper in einer Ebene, jedoch wird diesmal
statt der radialen Koordinate die Winkelkoordinate durch die Zwangsbedingung vorgegeben. Am
einfachsten gehen wir hier von der Darstellung (12.59) der Lagrange-Funktion für ein freies Teilchen in Polarkoordinaten aus, und setzen ϕ = ω t. Daraus ergibt sich
(12.57)
1
1
m ṙ2 + m ω 2 r2 .
(12.62)
2
2
Die einzige verbleibende Koordinate r auf dem reduzierten Konfigurationsraum gibt an, in welcher Entfernung vom Drehpunkt sich der Körper befindet. Sie kann hier auch negativ werden,
wenn sich die Stange in beide Richtungen erstreckt.
Diese Lagrange-Funktion kennen wir bereits. Es ist die gleiche Funktion (12.26), die wir auch
schon für die über die Tischkante gleitende Kette gefunden haben. Folglich ergeben sich auch
die gleichen Lösungen. Es handelt sich um zwei äquivalente mechanische Systeme. Da sie die
gleiche Lagrange-Funktion besitzen, besitzen sie auch die gleichen dynamischen Eigenschaften.
Der Körper auf der Stange “sieht” offenbar das Potenzial eines harmonischen Oszillators, allerdings wieder mit dem falschen Vorzeichen, V (r) = −m ω 2 r2 /2. Bei r = 0 befindet sich eine
instabile Gleichgewichtslage. Nach beiden Seiten fällt das Potenzial ab, so dass der Körper nach
außen beschleunigt wird. Die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichung ist
Für t → `/c, wenn das Seil ganz eingezogen wird, wird der Körper offenbar immer schneller und
umläuft das Zentrum unendlich oft. Berechnen wir die kinetische Energie als Funktion der Zeit,
so ergibt sich
T −
1
pϕ2
1
m c2 = m (` − c t)2 ϕ̇2 =
→ ∞ für t → `/c.
2
2
2 m (` − c t)2
L=
(12.58)
Wo kommt diese Energie her? Sie muss offenbar als mechanische Leistung von der Zwangskraft
aufgebracht werden, also von der äußeren Instanz geliefert werden, die das Seil verkürzt. Um das
zu zeigen, berechnen wir für dieses Beispiel die Zwangskraft. Wir führen dazu auf dem Konfigurationsraum die zusätzliche Koordinate r ein und definieren die erweiterte Lagrange-Funktion
mit einem Multiplikator λ und der Zwangsbedingung C = r − ` + c t,
1
Le = m ṙ2 + r2 ϕ̇2 − λ (r − ` + c t).
2
(12.59)
r(t) = b eω t + c e−ω t .
Der Lagrange-Multiplikator ist dann bis auf das Vorzeichen die r-Komponente der Zwangskraft,
und die ϕ-Komponente der Zwangskraft verschwindet,
Zr = −λ
∂C
= −λ,
∂r
Zϕ = −λ
∂C
= 0.
∂ϕ
Die rotierende Stange ist eine Schleuder, auf der der Körper exponentiell nach außen beschleunigt
wird.
(12.60)
Aufgabe 12.24 Die rotierende Stange lässt sich wie folgt variieren. Die Rotationsachse muss
nicht zur Stange senkrecht stehen. Der Körper bewegt sich dann nicht in einer Ebene, sondern
auf einem Kegel. Nehmen wir an, die Stange rotiere mit einer Winkelgeschwindigkeit ω um die
z-Achse und bilde mit dieser einen Winkel α. Zusätzlich spürt der Körper die Gravitationskraft.
Wo befindet sich jetzt die Gleichgewichtslage? Handelt es sich um eine stabile oder instabile
Gleichgewichtslage?
Aus der Bewegungsgleichung für r ergibt sich
d ∂ Le ∂ Le
d
m ṙ − m r ϕ̇2 + λ
−
=
dt ∂ ṙ
∂r
dt
⇒
Zr = −λ = −
pϕ2
.
m (` − c t)3
(12.63)
(12.61)
Auch die Zwangskraft divergiert für t → `/c. Um das Seil ganz einzuziehen, wird schließlich
eine unendliche Kraft benötigt. Die einzige Ausnahme liegt vor, wenn p ϕ = 0 ist. Dann wird der
Körper einfach radial nach innen gezogen. In diesem Fall ist gar keine Zwangskraft erforderlich,
da sich der Körper ohnehin geradlinig und gleichförmig mit der Geschwindigkeit c auf das Loch
zu bewegen würde.
Das rotierende Pendel
Ein weiteres Beispiel für ein System mit zeitabhängigen Zwangsbedingungen ist das angetriebene
Pendel in Abbildung 12.5(a). Der Aufhängepunkt rotiert mit einer Winkelgeschwindigkeit ω auf
einem Kreis mit Radius a. Die Länge des Pendels sei `.
52
(a)
(b)
(c)
(d)
replacements
V
V
ϑ+
ω
−π
ϑ+
ω=0
`
(d)
ϑ
π
−π
π
ω < ω0
(b)
V
ϑ−
m
V
ϑ+
−π
ϑ−
(a)
ϑ−
π
ω = ω0
ϑ+
−π
π
ω > ω0
(c)
Abbildung 12.5: Der Aufhängepunkt des Pendels (a) rotiert mit einer Winkelgeschwindigkeit
ω und zwingt das Pendel, ebenfalls mit dieser Winkelgeschwindigkeit zu rotieren. Der einzige
Freiheitsgrad ist der Auslenkwinkel ϑ. Es ergibt sich eine stabile Gleichgewichtslage (b), bei der
das Pendel nach außen ausgelenkt ist, sowie bei hinreichend hoher Antriebsgeschwindigkeit eine
zweite stabile Gleichgewichtslage (c), bei der das Pendel nach innen ausgelenkt ist.
Abbildung 12.6: Das effektive Potenzial für das rotierende Pendel mit a = 0.2 `. Die Antriebsfrequenz ω nimmt von oben links nach unten rechts zu.
Bilden wir daraus die Lagrange-Funktion L = T − V, so hat diese wieder die übliche Form einer
Lagrange-Funktion für ein freies Teilchen in einem effektiven Potenzial,
Legen wir den Koordinatenursprung o in die Mitte dieses Kreises, so befindet sich der
Aufhängepunkt zur Zeit t am Ort o + a e(ω t), wobei e(ϕ) wieder der Einheitsvektor (12.41)
ist. In der einfachsten Version kann das Pendel nur in eine Richtung schwingen, und zwar in der
Ebene, die von ez und e(ω t) aufgespannt wird. Es wird also gezwungen, mit dem Antrieb mit zu
rotieren. Wir betrachten zuerst nur diese Version.
Als einzige reduzierte Koordinate haben wir dann den Auslenkwinkel ϑ. Der Pendelkörper
befindet sich am Ort
(12.64)
r = o + (a + ` sin ϑ) e(ω t) − ` cos ϑ ez .
L=
und anschließend das Betragsquadrat davon bilden. Daraus ergibt sich die kinetische Energie T ,
und für das Potenzial V setzen wir wie üblich das Gravitationspotenzial an,
1
1
m `2 ϑ̇2 + m ω 2 (a + ` sin ϑ)2 ,
2
2
V = −m g ` cos ϑ.
mit
1
Ve (ϑ) = −m g ` cos ϑ − m ω 2 (a + ` sin ϑ)2 .
2
(12.67)
Die Bewegungsgleichung für die Auslenkung ϑ ist folglich die für ein gewöhnliches Teilchen in
einem Potenzial Ve (ϑ), nur dass es sich hier um eine periodische Koordinate handelt, also ϑ und
ϑ + 2 π dieselbe Pendelstellung repräsentieren.
Die Form des effektiven Potenzials Ve hängt von den Parametern des Pendels ab. Entscheidend
sind zwei dimensionslose Größen, nämlich das Verhältnis des Radius a desp
Antriebs zur Pendellänge `, sowie das Verhältnis der Antriebsfrequenz ω zur Eigenfrequenz g/` des Pendels.
Für einige typische Fälle ist das Potenzial in Abbildung 12.6 dargestellt.
Für ω = 0 handelt es sich um ein gewöhnliches Pendel ohne Antrieb. Es gibt eine stabile
Gleichgewichtslage bei ϑ = 0 und eine instabile Gleichgewichtslage bei ϑ = ±π. Schaltet man
den Antrieb ein, so verschiebt sich die stabile Gleichgewichtslage nach außen. Das Pendel wird
durch die Drehung von der Rotationsachse weg ausgelenkt und kann um die neue stabile Gleichgewichtslage bei ϑ = ϑ+ > 0 schwingen. Abbildung 12.5(b) zeigt die “Ruhelage”, bei der das
Pendel starr mit dem Antrieb rotiert. Für ω → ∞ geht ϑ+ → π/2. Bei einem sehr schnellen
Antrieb steht das Pendel beinahe horizontal. Das ist natürlich genau das, was man erwartet.
Interessanterweise gibt es eine kritische Antriebsfrequenz ω = ω0 , bei der für ϑ = ϑ− < 0 eine zweite Gleichgewichtslage auftritt. Diese ist zunächst instabil, da es sich um einen Sattelpunkt
des Potenzials handelt. Für ω > ω0 spaltet sie jedoch in eine stabile und eine instabile Gleichge-
Ein positiver Winkel ϑ bedeutet, dass das Pendel “nach außen”, also in die Richtung ausgelenkt
ist, in die der Antrieb gerade zeigt. Für negatives ϑ ist das Pendel dagegen “nach innen”, also zur
der Rotationsachse hin ausgelenkt.
Wie üblich berechnen wir die kinetische Energie, indem wir erst die Geschwindigkeit bestimmen,
(12.65)
ṙ = (a + ` sin ϑ) ω e0 (ω t) + ` ϑ̇ cos ϑ e(ω t) + sin ϑ ez ,
T =
1
m `2 ϑ̇2 − Ve (ϑ),
2
(12.66)
53
wichtslage auf, so dass das Pendel nun auch um die neue stabile Gleichgewichtslage bei ϑ = ϑ −
schwingen kann. Die entsprechende “Ruhelage”, bei der das Pendel starr rotiert, ohne zu schwingen, ist in Abbildung 12.5(b) dargestellt. Es ist in dieser Lage nach innen, also zur Rotationsachse
hin ausgelenkt.
Aufgabe 12.25 Man zeige, dass der kritische Wert für die Antriebfrequenz bei
ω02 = g `2/3 − a2/3 −3/2
Anholonome Zwangsbedingungen
Die bis jetzt diskutierten mechanischen Systeme waren solche, deren Zwangsbedingungen sich
e definieren, und so
auflösen ließen. Wir konnten einen reduzierten Konfigurationsraum Q ⊂ Q
die Zwangsbedingungen und die zugehörigen Lagrange-Multiplikatoren aus den Bewegungsgleichungen eliminieren. Es gibt aber noch eine andere wichtige Klasse von Zwangsbedingungen, die
typischerweise bei mechanischen Systemen auftritt.
Eine Zwangsbedingung kann auch eine Einschränkung an die Bewegungsrichtungen eines Systems sein, ohne dass die Konfigurationen selbst eingeschränkt werden. Ein typisches Beispiel
dafür ist eine rollende Kugel auf einer Tischplatte. Jede Bewegung, die die Kugel auf dem Tisch
ausführt, bedingt eine gleichzeitige Drehung. Die Konfigurationen selbst sind aber, mit Ausnahme
der Forderung, dass die Kugel auf dem Tisch liegen soll, nicht eingeschränkt. Man kann die Kugel von jeder Stelle an jede andere bewegen, und dabei auch in jede beliebigen Richtung drehen,
wenn man nur einen geeigneten Weg nimmt.
Leider ist dieses sehr anschauliche Beispiel noch etwas zu anspruchsvoll. Um eine rollende
Kugel richtig zu beschreiben, müssen wir zuerst die Drehbewegung eines starren Körpers verstehen. Wir werden uns aber gleich ein ähnliches Beispiel anschauen, das auf dem Rad aus Abbildung 12.3 beruht. Zuerst wollen wir jedoch die grundsätzlichen Eigenschaften solcher anholonomer Zwangsbedingungen diskutieren.
Der Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist ein Konfigurationsraum Q, der entweder
der ursprüngliche Konfigurationsraum eines N -Teilchen-Systems ist, oder der bereits reduzierte
Konfigurationsraum eines Systems, nachdem wir alle holonomen Zwangsbedingungen eliminiert
haben. Auf diesem Raum sei ein beliebiges Koordinatensystem {q µ } eingeführt. Falls es sich um
einen reduzierten Konfigurationsraum handelt, nennen wir die reduzierten Koordinaten jetzt also
wieder q µ , um eine einheitliche Notation zu bekommen.
Eine anholonome Zwangsbedingungen verbietet Bewegungen in bestimmte Richtungen. Sie
stellt keine Forderung an die Koordinaten q µ , schränkt aber die erlaubten Geschwindigkeiten q̇ µ
ein. Befindet sich das System zu einer Zeit t an einem Ort q ∈ Q, so ist seine Bewegungsfreiheit
auf einen Untervektorraum von TQ eingeschränkt. Dies kann an jeder Stelle q und zu jeder Zeit
t ein anderer Untervektorraum sein.
Die Abbildung 12.7(a) zeigt eine grafische Darstellung einer solchen Zwangsbedingung. An
jedem Punkt q ∈ Q spannen die erlaubten Bewegungsrichtungen einen Untervektorraum auf.
Diesen können wir durch einen Satz von K linearen Gleichungen beschreiben, die die Geschwindigkeit q̇ ∈ TQ zu erfüllen hat,
(12.68)
liegt, und dass die zweite stabile Gleichgewichtslage nur dann auftreten kann, wenn a < ` ist.
Gibt es dafür eine anschauliche Begründung? Warum ergibt sich für a = 0 für die kritische
Antriebsfrequenz genau die Eigenfrequenz ω0 2 = g/`?
Aufgabe 12.26 Eine anspruchsvollere Version des angetriebenen Pendels ergibt sich, wenn wir
nicht mehr verlangen, dass das Pendel nur in einer sich drehenden Ebene schwingt. Statt dessen lassen wir es jetzt wie ein freies Pendel im Raum schwingen. Ein solches Pendel wird von
der Gondel eines Kettenkarussells realisiert. Der Ort r des Pendelk örpers lässt sich durch zwei
Koordinaten (ϑ, ϕ) parametrisieren,
r = o + a e(ω t) + ` sin ϑ e(ϕ + ω t) − ` cos ϑ ez .
(12.69)
Hier ist ϑ wieder die Auslenkung, ϕ jedoch nicht wie üblich die Richtung der Auslenkung im
Raum, sondern die Abweichung der Auslenkrichtung von der momentanen Stellung des Antriebs.
Man zeige, dass sich daraus die zeitunabhängige Lagrange-Funktion
L=
1
m a2 ω 2 + `2 ϑ̇2 + `2 sin2 ϑ (ϕ̇ + ω)2 +
2
+ m a ω ` cos ϑ sin ϕ ϑ̇ + sin ϑ cos ϕ (ϕ̇ + ω) + m g ` cos ϑ
(12.70)
ergibt. Mit dem Satz aus Aufgabe 11.27 lässt sich diese vereinfachen. Man zeige, dass die alternative Lagrange-Funktion
L0 =
1
m `2 ϑ̇2 + sin2 ϑ (ϕ̇ + ω)2 + m a ω 2 ` sin ϑ cos ϕ + m g ` cos ϑ
2
(12.71)
dieselben Bewegungsgleichungen liefert. Wegen der speziellen Wahl der Koordinaten entspricht
eine Lösung ϑ(t) = konst und ϕ(t) = konst einer Bewegung, bei der das Pendel starr mit dem
Antrieb mitrotiert. Man zeige, dass dieses Pendel dieselben Gleichgewichtslagen hat wie zuvor
das eingeschränkte Pendel, dass davon jedoch nur noch eine stabil ist, n ämlich die mit ϑ = ϑ+
und ϕ = 0.
X kµ (q, t) q̇ µ = 0,
mit k ∈ {1, . . . , K}.
(12.72)
Als einfachstes, wenn auch etwas unrealistisches Beispiel können wir uns vorstellen, dass es
einem Teilchen nicht möglich ist, sich in eine bestimmte Raumrichtung zu bewegen, etwa in
x-Richtung. Dann lautet die Zwangsbedingung ganz einfach ẋ = 0, wenn x die entsprechende
Koordinate dieses Teilchens ist. Oder es ist zwei Teilchen nicht erlaubt, sich relativ zueinander zu
54
replacements
(c)
(d)
q3
q3
bewegen. Dann hätten wir drei solche Zwangsbedingungen, nämlich ẋ 1 − ẋ2 = 0, ẏ1 − ẏ2 = 0
und ż1 − ż2 = 0.
Auf dem Konfigurationsraum Q lassen sich solche Einschränkungen an die Bewegungsrichtungen immer als ein lineares Gleichungssystem darstellen, das die Komponenten der Geschwindigkeiten q̇ µ zu erfüllen haben. Die Koeffizienten in diesem Gleichungssystem sind die Größen
X kµ in (12.72), die im allgemeinen vom Ort q und von der Zeit t abhängen können. Wir können
sie als einen Satz von K dualen Vektorfeldern auf Q auffassen.
Dann ist der Wert der Funktion C entlang jedes erlaubten Weges konstant. Denn genau das besagt
die Gleichung Xµ q̇ µ = ∂C/∂q µ q̇ µ = 0. Das System darf sich nur in solche Richtungen bewegen,
in die die Funktion C konstant ist, also eine verschwindende Richtungsableitung hat. Wenn zwei
Konfigurationen q1 und q2 entlang eines erlaubten Weges miteinander verbunden werden können,
dann muss die Funktion C für beide denselben Wert haben.
Umgekehrt, wenn die Funktion C für die beiden Konfigurationen q 1 und q2 verschiedene Werte hat, dann können wir daraus unmittelbar schießen, dass sich das System niemals von q 1 nach
q2 bewegen kann. Es verbleibt immer in einem Unterraum mit C = konst. Liegt eine solche
“scheinbar” anholonome Zwangsbedingung vor, dann verhält sich das System wie bei einer entsprechenden holonomen Zwangsbedingung C − konst = 0, mit dem einzigen Unterschied, dass
die Konstante beliebig vorgegeben werden kann.
Wenn das Vektorfeld Xµ , das die Zwangsbedingung Xµ q̇ µ = 0 definiert, jedoch nicht der
Gradient irgendeiner skalaren Funktion zw ist, dann können wir dieses Argument nicht mehr
anwenden. Dann ist es im allgemeinen so, wie in Abbildung 12.7(b) gezeigt. Obwohl die zwei
Konfigurationen q1 und q2 nicht auf dem direkten Weg miteinander verbunden werden können,
gibt es einen Umweg, auf dem das System doch von q1 nach q2 gelangen kann. In diesem Fall ist
die Zwangsbedingung “echt” anholonom. Sie lässt ich nicht als Zeitableitung einer holonomen
Zwangsbedingung darstellen.
Wir werden für beide Fälle gleich ein Beispiel kennen lernen. Für die allgemeine Beschreibung von anholonomen Zwangsbedingungen spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich um “echt”
oder “scheinbar” anholonome Bedingungen handelt. Entscheidend ist nur, dass der Konfigurationsraum selbst nicht eingeschränkt wird, sondern nur die möglichen Bewegungsrichtungen.
Um die Bewegungsgleichungen zu formulieren, gehen wir von der d’Alembertschen Form aus,
wobei wir die Kräfte wieder in dynamische Kräfte und Zwangskräfte aufteilen,
Eine anholonome Zwangsbedingung wird durch ein duales Vektorfeld auf dem Konfigurationsraum eines mechanischen System definiert. Sie verbietet Bewegungen in
ein bestimmte Richtung.
d ∂T
∂T
= Fµ + Zµ .
µ −
dt ∂ q̇
∂q µ
Um den Unterschied zwischen einer holonomen und einer anholonomen Zwangsbedingung
deutlich zu machen, betrachten wir noch einmal eine holonome Zwangsbedingung der Form
C(q, t) = 0. Eine solche Zwangsbedingung impliziert natürlich auch eine Einschränkung der
möglichen Bewegungsrichtungen. Leiten wir nämlich die gegebene Gleichung nach der Zeit ab,
so ergibt sich Xµ (q, t) q̇ µ = 0, mit Xµ = ∂C/∂q µ . Die Einschränkung der Bewegungsrichtung
ist also genau von der Form (12.72).
Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied. Im allgemeinen muss das duale Vektorfeld X µ ,
das eine anholonome Zwangsbedingung Xµ q̇ µ = 0 definiert, nicht der Gradient irgendeiner skalaren Funktion C sein. Was das bedeutet, wird in Abbildung 12.7(b) veranschaulicht. Nehmen wir
an, wie befinden uns an einer Stelle q1 ∈ Q im Konfigurationsraum. Ein zweiter Zustand q2 ∈ Q
ist von dort aus auf dem direkten Weg unerreichbar, weil wir dazu in eine verbotene Richtung
gehen müssten.
Betrachten wir zuerst den Fall, dass Xµ = ∂C/∂q µ der Gradient einer skalaren Funktion ist.
Am Anfang dieses Kapitels hatten wir gezeigt, dass wir eine holonome Zwangsbedingung als
Grenzfall einer unendlich starken Potenzialkraft verstehen können. Analog gilt für eine anholonome Zwangsbedingung, dass sie als Grenzfall einer unendlich starken Reibungskraft betrachtet
werden kann. Eine Bewegung in eine verbotene Richtung würde eine unendliche Kraft erfordern,
um diese Reibung zu überwinden.
Wir wollen daher versuchen, die Zwangskraft Zµ erst als Reibungskraft darzustellen, um dann
einen geeigneten Grenzwert zu bilden. Der Einfachheit halber soll zunächst nur eine Zwangsbedingung Xν q̇ ν = 0 vorliegen. Solange sich das System frei bewegen kann, ist X ν q̇ ν gerade die
Geschwindigkeitskomponente in die eigentlich verbotene Richtung. Die Reibungskraft Z µ soll
daher proportional zu dieser Geschwindigkeit sein. Wir machen also für die Reibungskraft einen
linearen Ansatz.
Eine weitere Bedingung an die Reibung ist, dass sie keine mechanische Leistung erbringt, wenn
die Bewegung des Systems in eine erlaubte Richtung erfolgt. Aus X µ q̇ µ = 0 soll also Zµ q̇ µ = 0
q2
q2
q1
q1
1
Xµ q̇ µ = 0
2
(b)
(a)
Abbildung 12.7: Eine anholonome Zwangsbedingung schränkt die Geschwindigkeit ˙ ∈ TQ
an jeder Stelle ∈ Q im Konfigurationsraum auf einen Untervektorraum ein (a). Über einen
geeigneten Weg kann trotzdem jeder Punkt im Konfigurationsraum erreicht werden (b).
55
(12.73)
folgen. Das ist genau dann der Fall, wenn die dualen Vektoren Z µ und Xµ zueinander proportional
sind. Die Zwangsbedingung bestimmt also unmittelbar die Richtung der Zwangskraft. Beides
zusammen impliziert
(12.74)
Zµ = −Λ Xµ Xν q̇ ν ,
wegungsgleichungen
wobei Λ wieder irgendeine große positive Zahl ist. Sie hat in diesem Fall die Bedeutung einer Reibungskonstanten. Das Vorzeichen ergibt sich aus der Forderung, dass die von der Reibungskraft
erbrachte Leistung negativ sein muss, wenn sich das System in eine verbotene Richtung bewegt.
Das ist genau dann der Fall, wenn Λ > 0 ist, denn dann ist immer Z µ q̇ µ ≤ 0, und das Gleichheitszeichen gilt nur dann, wenn Xµ q̇ µ = 0 ist, die Bewegung also in eine erlaubte Richtung
erfolgt.
Liegen mehrere Zwangsbedingungen vor, so können wir analog den Ansatz machen, dass die
Reibungskraft irgendeine lineare Funktion der verbotenen Geschwindigkeiten X kµ q̇ µ ist. Außerdem muss sie eine Linearkombination der dualen Vektoren X kµ sein, denn nur dann verschwindet
die erbrachte Leistung für erlaubte Geschwindigkeiten. Das ergibt
X
Zµ = −
Λkl X kµ X lν q̇ ν .
(12.75)
Anders als im Falle der holonomen Zwangsbedingungen lassen sich diese Gleichungen allerdings
nicht aus einer erweiterten Lagrange-Funktion ableiten, auch wenn die dynamischen Kräfte F µ
Potenzialkräfte sind. Der Grund dafür ist, dass es sich bei den Zwangskräften um Reibungskräfte
handelt, und diese lassen sich nicht aus einer Lagrange-Funktion ableiten.
Zusammenfassend ergibt sich daraus die folgende allgemeine Strategie zum Aufstellen der
Bewegungsgleichungen für ein mechanisches System mit Zwangsbedingungen. Zuerst lösen wir
e zu eidie holonomen Zwangsbedingungen, indem wir vom erweiterten Konfigurationsraum Q
nem reduzierten Konfigurationsraum Q übergehen. Sind die holonomen Zwangsbedingungen
e Die Dimension
zeitabhängig, so ist dieser Raum zu jeder Zeit t ein anderer Unterraum Q t von Q.
dieses Raumes ist die Anzahl der Freiheitsgrade des System.
In jedem Fall können wir auf Q bzw. Qt ein Koordinatensystem {q µ } einführen, und die Energiefunktionen T und V, bzw. die Komponenten Fµ der dynamischen Kräfte als Funktionen der
Koordinaten q µ , der zugehörigen Geschwindigkeiten q̇ µ und der Zeit t darstellen. Dann müssen
wir nur noch die anholonomen Zwangsbedingung in die Bewegungsgleichungen einbauen, indem wir für jede solche Zwangsbedingung X k = X kµ q̇ µ = 0 einen Lagrange-Multiplikator λk
einführen, und eine entsprechende Zwangskraft λk X kµ zu den Bewegungsgleichungen (12.77)
hinzufügen.
Zusammen mit den Zwangsbedingungen selbst ergibt sich dann ein System von Differenzialgleichungen für die Funktionen q µ (t) und λk (t). Jedoch gehen die Multiplikatoren nur linear in
diese Gleichungen ein, so dass wir sie leicht eliminieren können, indem wir solche Linearkombinationen der Bewegungsgleichungen bilden, in denen sie verschwinden. Wir werden das gleich
an einem Beispiel zeigen. Solange wir nicht an den Zwangskräften interessiert sind, müssen wir
nur die Bewegungsgleichungen für die Koordinatenfunktionen q µ (t) lösen.
X
d ∂T
∂T
λk X kµ ,
µ −
µ = Fµ −
dt ∂ q̇
∂q
k
k,l
Die K×K-Matrix Λkl muss wieder positiv sein, damit die von der Reibungskraft erbrachte Leistung Zµ q̇ µ immer negativ ist, wenn eine Bewegung in eine verbotene Richtung erfolgt.
Der Rest des Argumentes ist genau dasselbe wie zuvor für die holonomen Zwangsbedingungen. Wir bilden jetzt den Grenzwert, in dem die Einträge der Matrix Λ kl , oder zumindest ihre
Eigenwerte unendlich groß werden. Dann wird das System gezwungen, nur noch Bewegungen in
erlaubte Richtungen auszuführen, weil Bewegungen in verbotene Richtungen unendlich schnell
exponentiell abgebremst werden. Der Ausdruck X lν q̇ ν in (12.75) geht dann gegen Null, und zwar
so, dass die Zwangskraft Zµ endlich bleibt.
Nach dem Grenzübergang wissen nur noch, dass Zµ eine Linearkombination der dualen Vektoren X kµ ist. Die Koeffizienten kennen aber nicht. Wir schreiben dafür wieder
X
Zµ = −
λk X kµ .
(12.76)
X kµ q̇ µ = 0.
(12.77)
Aufgabe 12.27 Ein N -Teilchen-System unterliege K holonomen und K 0 anholonomen Zwangsbedingungen. Man zeige, dass die Lösungen der Bewegungsgleichungen dann von 6 N −2 K −K 0
unabhängigen Parametern abhängen. Es müssen also 6 N − 2 K − K 0 Anfangsbedingungen festgelegt werden.
k
Die dualen Vektorfelder X kµ spielen hier offenbar dieselbe Rolle wie in (12.7) die Gradienten
∂C k /∂q µ der holonomen Zwangsbedingungen. Die Analogie hatten wir schon weiter oben hergestellt. Wenn X kµ die Gradienten von skalaren Funktionen C µ sind, dann sind die Zwangsbedingungen X kµ q̇ µ nur scheinbar anholonom, und das System verhält sich ansonsten wir eines
mit holonomen Zwangsbedingungen. Daher steht auch in (12.76) der bekannte Ausdruck für die
Zwangskraft.
Ebenfalls ganz analog zu den holonomen Zwangsbedingungen sind die LagrangeMultiplikatoren λk wieder unbekannte Funktionen der Zeit. Sie ergeben sich erst aus den Be-
Das rollende Rad
Als anschauliches Beispiel für ein System mit anholonomen Zwangsbedingungen betrachten wir
nun noch einmal das Rad aus Abbildung 12.3. Seine Achse soll jetzt aber nicht fixiert sein, sondern es soll auf einer ebenen Fläche rollen. Es könnte sich zum Beispiel um eine rollende Münze
auf einem Tisch handeln. Um das prinzipielle Vorgehen zuerst an einem sehr einfachen Fall zu
erläutern, soll die Achse des Rades zwar im Raum beweglich, aber fest ausgerichtet sein. Sie soll
wie in Abbildung 12.3(a) stets in Richtung der x-Achse zeigen.
56
Wieviele Freiheitsgrade hat dieses System? Wir haben natürlich wieder den Drehwinkel χ des
Rades. Außerdem können wir das Rad an eine beliebige Stelle auf dem Tisch platzieren. Das
sind noch einmal zwei Freiheitsgrade, denen wir die Koordinaten x und y zuordnen. Es sei also
o + x ex + y ey der Punkt, an dem das Rad auf der Fläche aufliegt. Insgesamt hat das System
dann drei Freiheitsgrade (x, y, χ), also einen dreidimensionalen reduzierten Konfigurationsraum
Q.
Der Mittelpunkt des Rades befindet sich, da es nur aufrecht stehen kann, an der Stelle o+x e x +
y ey + R ez . Wenn wir wieder annehmen, dass die Masse des Rades auf den Rand konzentriert
ist und aus N gleichen Teilchen besteht, können wir mit dem bereits bekannten Trick auch hier
die kinetische Energie bestimmen. Das Teilchen mit der Nummer n befindet sich am Ort
rn = o + x ex + y ey + R sin χn ey + (1 − cos χn ) ez ,
mit χn = χ −
Somit lauten die zusätzlich zu stellenden Zwangsbedingungen
X 1 = ẋ = 0,
2π n
. (12.78)
N
(12.79)
Wenn wir davon die Quadrate bilden und über alle Teilchen summieren, erhalten wir
T =
1
1
1
M R2 χ̇2 + M ẋ2 + M ẏ 2 .
2
2
2
d
dt
d
dt
(12.80)
Eine Bewegung des Rades in x- oder y-Richtung trägt also gerade so viel zur Energie bei wie die
Bewegung eines Körpers der Masse M , und die Rotationsenergie ist genau die, die wir auch für
das fixierte Rad gefunden hatten.
∂T
∂T
−
= λ1 X 1x + λ2 X 2x
∂ ẋ
∂x
∂T
∂T
−
= λ1 X 1y + λ2 X 2y
∂ ẏ
∂y
∂T
d ∂T
−
= λ1 X 1χ + λ2 X 2χ
dt ∂ χ̇
∂χ
Aufgabe 12.28 Man verifiziere das Ergebnis (12.80). Warum muss man dazu wieder annehmen,
dass die Massen gleichmäßig über den Radkreis verteilt sind?
⇒
M ẍ = λ1 ,
⇒
M ÿ = λ2 ,
⇒
M R2 χ̈ = R λ2 .
(12.83)
Die Koeffizienten X kµ für k ∈ {1, 2} und µ ∈ {x, y, χ} haben wir aus (12.82) entnommen. Es
sind die Koeffizienten in den Zwangsbedingungen X k = X kµ q̇ µ .
Wir müssen jetzt ein Gleichungssystem für fünf unbekannte Funktionen lösen, nämlich die
Ortskoordinaten x(t), y(t) und χ(t), und die beiden Lagrange-Multiplikatoren λ 1 (t) und λ2 (t).
Wir haben aber auch fünf Gleichungen, nämlich die Bewegungsgleichungen (12.83) und die
Zwangsbedingungen (12.82). Zum Glück sind sie sehr einfach. Wir können die Lösungen sofort
angeben.
Aus der ersten Zwangsbedingung und der ersten Bewegungsgleichung folgt ẋ = 0 und λ 1 = 0.
Es findet keine Bewegung in x-Richtung statt, und es wirkt auch keine Zwangskraft in diese Richtung. Teilen wir die dritte Bewegungsgleichung durch R und subtrahieren sie von der zweiten, so
bekommen wir ÿ − R χ̈ = 0. Leiten wir die zweite Zwangsbedingung noch einmal nach t ab, so
ergibt das ÿ + R χ̈ = 0. Beides zusammen impliziert ÿ = 0 und χ̈ = 0, und schließlich mit folgt
daraus auch λ2 = 0. Zusammengefasst ergibt sich die folgende allgemeine Lösung,
Aus (12.80) entnimmt man sofort, dass die Rotations- und Translationsbewegung des Rades entkoppeln, wenn keine dynamischen Kräfte wirken. Allerdings haben wir noch gar nicht berücksichtigt, dass noch eine weitere Zwangsbedingung vorliegt. Das Rad soll auf der Ebene rollen und
nicht rutschen. Es darf sich also nur in eine Richtung bewegen, die senkrecht zur Achse steht, und
muss dabei auch tatsächlich abrollen. Wenn es sich um einen Winkel α dreht, dann muss es dabei
eine Strecke R α zurücklegen.
Eine solche Zwangsbedingung stellt offenbar eine Einschränkung an die Geschwindigkeiten,
aber nicht an die Orte dar. Sie ist deshalb nicht holonom. Um sie explizit aufzuschreiben, betrachten wir wieder ein bestimmtes Teilchen auf der Lauffläche des Rades, und zwar das Teilchen, das
gerade auf dem Tisch aufliegt. Wenn das Rad nicht rutschen soll, dann darf sich dieses Teilchen
in dem Moment, in dem es den Tisch berührt, nicht bewegen.
Das Teilchen, dass gerade den Tisch berührt, hat natürlich wieder die Nummer n̄ = N χ/2π,
und für dieses Teilchen gilt χn̄ = 0. Die Geschwindigkeit dieses Teilchens ist laut (12.79)
ṙn̄ = ẋ ex + (ẏ + R χ̇) ey .
(12.82)
Das Rad kann sich nicht in x-Richtung bewegen, und es rollt in y-Richtung genau in der Art,
wie wir es gerade beschrieben haben. Eine Änderung des Winkels um α kann nur gleichzeitig
mit einer Bewegung um −R α in y-Richtung erfolgen. Dass hier noch ein Minuszeichen auftritt
liegt nur an der speziellen Ausrichtung des Koordinatensystems und der willkürlichen Wahl der
positiven Drehrichtung des Rades.
Die Zwangsbedingungen sind genau von der Form (12.72). Sie sind linear in den Geschwindigkeiten, das heißt die schränken die Bewegungsrichtungen im Konfigurationsraum ein, aber sonst
nichts. Von den drei möglichen Richtungen, in denen sich das System “rollendes Rad” bewegen
könnte, nämlich in x-, y- oder χ-Richtung, ist nur eine zulässig, nämlich eine Rollbewegung in
y-Richtung mit gleichzeitiger Drehung in χ-Richtung.
Um die Bewegungsgleichungen aufzustellen, müssen wir nun die erweiterten d’Alembertschen
Gleichungen (12.77) mit Zwangskräften verwenden. Da hier keine dynamischen Kräfte vorliegen,
ist Fµ = 0. Es muss also gelten
Die Geschwindigkeiten sind folglich
ṙn = ẋ ex + ẏ ey + R χ̇ cos χn ey + sin χn ez ,
X 2 = ẏ + R χ̇ = 0.
x(t) = x0 ,
(12.81)
57
y(t) = y0 − R ω t,
χ(t) = χ0 + ω t,
λ1 (t) = 0,
λ2 (t) = 0.
(12.84)
M ergibt, also
replacements
(d)
T =
(a)
(b)
1
1
1
1
M R2 χ̇2 + M R2 ϕ̇2 + M ẋ2 + M ẏ 2 .
2
4
2
2
(12.85)
Auf den ersten Blick sind die vier Bewegungsrichtungen wieder entkoppelt. Aber wir müssen
natürlich noch die Zwangsbedingungen berücksichtigen, die dafür sorgen, dass das Rad rollt und
nicht rutscht. Wir betrachten dazu wieder die Geschwindigkeit des Teilchens mit der Nummer
n̄ = N χ/2π, das gerade den Tisch berührt, und verlangen, dass diese verschwindet. Um die
neue Ausrichtung der Achse zu berücksichtigen, müssen wir wieder e y durch e0 (ϕ) ersetzen. Es
ist jetzt
(12.86)
ṙn̄ = ẋ ex + ẏ ey + R χ̇ e0 (ϕ).
(c)
Abbildung 12.8: Das Rad aus Abbildung 12.3 rollt auf einem Tisch. Je nach der Zahl der Freiheitsgrade kann es entweder nur geradeaus laufen, aufrecht um eine Kurve fahren, oder dabei
auch noch kippen.
Komponentenweise aufgeschrieben ergeben sich die Zwangsbedingungen
X 1 = ẋ − R sin ϕ χ̇ = 0,
Das Rad rollt geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit in Richtung der y-Achse, und es treten nie irgendwelche Zwangskräfte auf. Das liegt daran, dass das Rad diese Bewegung ohnehin
ausführen würde, wenn man die Anfangsbedingungen entsprechend wählt. Es bewegt sich als
ganzes geradlinig und gleichförmig und dreht sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit.
Entscheidend ist jedoch, dass die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichungen nur von vier
Parametern abhängt, nämlich x0 , y0 , χ0 und ω, obwohl der reduzierte Konfigurationsraum dreidimensional ist, so dass ohne zusätzliche Zwangsbedingungen sechs Anfangsbedingungen zu
wählen wären, nämlich drei Orte und drei Geschwindigkeiten. Anholonome Zwangsbedingungen schränken zwar die Orte nicht ein, aber die Geschwindigkeiten und somit auch die wählbaren
Anfangsbedingungen.
X 2 = ẏ + R cos ϕ χ̇ = 0.
(12.87)
Anschaulich interpretiert besagen diese Gleichungen, dass sich das Rad in der x-y-Ebene nur in
die Richtung bewegen darf, die senkrecht zur momentanen Ausrichtung ϕ der Achse steht, und
dass es dabei abrollt, also bei einem Drehwinkel α die Strecke R α zurücklegt.
Das Aufstellen der Bewegungsgleichungen erfolgt wie oben, nur dass wir jetzt eine mehr bekommen,
d
dt
d
dt
Aufgabe 12.29 Wie man leicht in (12.82) sieht, lassen sich diese beiden Zwangsbedingungen
als totale Zeitableitungen von zwei Funktionen schreiben, nämlich X 1 = dx/dt und X 2 =
d(y + R χ)/dt. Die Zwangsbedingungen sind also nur scheinbar anholonom. Worin besteht jedoch der wesentliche Unterschied zwischen den hier gestellten Bedingungen und der alternativen Beschreibung eines rollenden Rades durch holonome Zwangsbedingungen C 1 = x und
C 2 = y + R χ?
∂T
∂T
−
= λ1 X 1x + λ2 X 2x
∂ ẋ
∂x
∂T
∂T
−
= λ1 X 1y + λ2 X 2y
∂ ẏ
∂y
⇒
M ẍ = λ1 ,
⇒
M ÿ = λ2 ,
∂T
d ∂T
−
= λ1 X 1χ + λ2 X 2χ
dt ∂ χ̇
∂χ
⇒
M R2 χ̈ = R (λ2 cos ϕ − λ1 sin ϕ),
∂T
d ∂T
−
= λ1 X 1ϕ + λ2 X 2ϕ
dt ∂ ϕ̇
∂ϕ
⇒
M R2 ϕ̈ = 0.
(12.88)
Auch hier haben wir die Koeffizienten X kµ für k ∈ {1, 2} und µ ∈ {x, y, χ, ϕ} wieder aus der
expliziten Darstellung (12.87) der Zwangsbedingungen C k = X kµ q̇ µ abgelesen.
Die letzte Bewegungsgleichung für ϕ(t) können wir sofort lösen. Es ist
Nun war dieses System ein sehr einfaches, und das Ergebnis war auch genau das erwartete. Das
Rad rollt, wie in Abbildung 12.8(a) gezeigt, einfach geradeaus über den Tisch. Im nächsten Schritt
führen wir wieder einen zusätzlichen Freiheitsgrad ein und erlauben dem Rad, seine Achse zu
drehen, aber nicht zu kippen. Wie wir gleich sehen werden, führt ein solches Rad eine interessante
Bewegung aus, die man vielleicht nicht sofort erwartet.
Der reduzierte Konfigurationsraum des Systems ist jetzt vierdimensional und wird durch die
Koordinaten (x, y, ϕ, χ) beschrieben, wobei der Winkel ϕ wieder die Ausrichtung der Achse ist.
ϕ̈ = 0
⇒
ϕ(t) = ϕ0 + γ t,
(12.89)
wobei γ und ϕ0 Integrationskonstanten sind. Die Achse des Rades dreht sich gleichmäßig mit
einer beliebigen Winkelgeschwindigkeit γ. Die Konstante ϕ0 ist die Ausrichtung der Achse zur
Zeit t = 0. Wir können ohne Beschränkung der Allgemeinheit ϕ 0 = 0 setzen, wenn wir das
Koordinatensystem entsprechend anpassen.
Aufgabe 12.30 Die Herleitung der kinetischen Energie erfolgt wie oben. Man zeige, dass sich die
Summe aus der Rotationsenergie (12.46) und der Translationsenergie eines K örpers der Masse
58
Aus den restlichen Bewegungsgleichungen lassen sich die Multiplikatoren eliminieren. Wir
setzen dazu die ersten beiden Gleichungen in die dritte ein und erhalten
R χ̈ = ÿ cos(γ t) − ẍ sin(γ t).
Aufgabe 12.34 Zuletzt lassen sich auch noch Reibungskräfte einbeziehen. Man kann zwischen
Rollreibung, Drehreibung und Kippreibung unterscheiden, entsprechend den drei Richtungen, in
die das Rad rollt, sich dreht bzw. kippt. Man kann für diese Kräfte den linearen Ansatz
(12.90)
Fx = 0,
Andererseits folgt aus den Zwangsbedingungen, wenn wir die gefundene Lösung für ϕ einsetzen
und diese dann nach der Zeit ableiten,
ẍ = R γ cos(γ t) χ̇ + R sin(γ t) χ̈,
ÿ = R γ sin(γ t) χ̇ − R cos(γ t) χ̈.
⇒
χ(t) = χ0 + ω t.
(12.91)
(12.92)
Das Rad rotiert mit einer ebenfalls konstanten Winkelgeschwindigkeit ω um seine Achse. Da χ 0
wieder nur die Stellung des Rades zur Zeit t = 0 repräsentiert, können wir auch diese Integrationskonstante ohne Beschränkung der Allgemeinheit gleich Null setzen.
Damit ist schon anschaulich klar, wie sich das Rad bewegt. Es rollt mit konstanter Geschwindigkeit über die Ebene, jedoch nicht geradeaus, sondern im Kreis, denn es verändert kontinuierlich
die Richtung seiner Bewegung. Tatsächlich folgt das auch aus den Bewegungsgleichungen. Aus
den Zwangsbedingungen ergibt sich nämlich jetzt
ẋ = R ω sin(γ t),
⇒
x(t) = x0 +
ẏ = −R ω cos(γ t)
Rω
(1 − cos(γ t)),
γ
y(t) = y0 −
Rω
sin(γ t).
γ
Fχ = −ηroll χ̇,
Fϕ = −ηdreh ϕ̇,
Fϑ = −ηkipp ϑ̇
(12.94)
machen. In einer realistischen Situation, etwa einer rollenden M ünze auf einem Tisch, sind alle
drei Reibungskonstanten etwa gleich groß. Man füge die Reibungskräfte in die Bewegungsgleichungen ein, eliminiere die Multiplikatoren, und löse die Gleichungen dann nach den Beschleunigungen auf. In dieser Form lassen sie sich numerisch integrieren, wobei als Anfangsbedingungen
fünf Koordinaten (x, y, ϑ, ϕ, χ) und drei Geschwindigkeiten (ϑ̇, ϕ̇, χ̇) vorgegeben werden können.
Man studiere anhand der numerischen Lösungen das typische Verhalten einer rollenden Münze
auf einem Tisch.
Setzen wir das in die letzte Gleichung ein, so finden wir R χ̈ = −R χ̈, also
χ̈ = 0
Fy = 0,
(12.93)
Das Rad läuft auf einem Kreis mit dem Radius R ω/γ mit der Kreisfrequenz γ um, wobei es mit
der Winkelgeschwindigkeit ω rotiert. Der Anfangspunkt (x0 , y0 ) in der Ebene kann frei gewählt
werden. Der erste Teil dieser Bewegung ist in Abbildung 12.3(b) dargestellt.
Aufgabe 12.31 Man bestimme für die hier ermittelte Bewegung die Komponenten Zx , Zy , Zϕ
und Zχ der Zwangskraft und zeige, dass die Komponenten Zx und Zy gerade die Zentripetalkraft
ergeben, die benötigt wird, um einen Körper der Masse M auf die Kreisbahn zu zwingen.
Aufgabe 12.32 Man zeige, dass die Zwangsbedingungen jetzt echt anholonom sind. Die Funktionen X k in (12.87) lassen sich nicht als Zeitableitungen von holonomen Zwangsbedingungen
darstellen. Ist es möglich, jeden Punkt des Konfigurationsraumes mit jedem anderen auf einem
erlaubten Weg zu verbinden? Was bedeutet das anschaulich?
Aufgabe 12.33 Das rollende Rad in Abbildung 12.8(c) kann auch kippen. Es sei wieder (x, y)
der Auflagepunkt, und (ϑ, ϕ, χ) seien die Winkelkoordinaten, wie sie in Abbildung 12.3 definiert
sind. Man stelle die Orte der Teilchen als Funktion dieser fünf Koordinaten dar, berechne daraus
die Lagrange-Funktion und stelle die Bewegungsgleichungen auf. Wie lauten nun die Zwangsbedingungen, wenn das Rad wieder nur rollen, aber nicht rutschen soll?
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