Kristallstrukturen

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Kapitel 2
Kristallstrukturen
Festkörper bestehen aus einer Ansammlung von Atomen, die durch chemische Bindungen miteinander verbunden
sind. Im thermodynamischen Gleichgewicht werden sich die Atome geometrisch so arrangieren, dass die Gesamtenergie des Systems minimiert wird. Für ein System, das aus vielen identischen Atomen besteht, muss daher die
geometrische Umgebung jedes Atoms ebenfalls identisch sein. Deswegen ordnen sich die meisten Atome in einem
periodischen Gitter an, dem sogenannten Kristallgitter. Diese Periodizität ist eine wichtige Grundlage für das physikalische Verhalten vieler Festkörper. Ein realistischer Festkörper wird natürlich nie ein perfektes Kristallgitter aufweisen. Diese Gitterdefekte wollen wir jedoch im folgenden vernachlässigen und uns dann später vergegenwärtigen,
welchen Einfluss sie haben.
Es gibt auch sogenannte amorphe Festkörper, deren Atome entweder völlig statistisch angeordnet sind oder nur über
eine gewisse Nahordnung verfügen. Dies ist der Fall bei Flüssigkeiten, Gläsern, Keramiken, Polymeren und anderen
strukturell komplizierten Materialien. Der Einfachheit halber wollen wir und in dieser Vorlesung auf kristalline Materialien fokussieren und dabei im Auge behalten, dass es auch andere möglicherweise komplexerer Systeme gibt.
Zunächst diskutieren wir, woher man eigentlich experimentell weiss, warum Atome in Kristallen periodisch eingebaut werden. Danach werden die wichtigsten Eigenschaften und Symmetrien von periodischen Strukturen auf einer
eher abstrakten Ebene behandelt. Dann gehen wir wieder zurück zu den Experimenten und überlegen uns, welche
Auswirkungen bestimmte Kristallsymmetrien auf Streuexperimente verschiedenster Art haben.
2.1
Beugung an periodischen Strukturen
Da es auch heutzutage noch äusserst schwierig ist, einzelne Atome sichtbar zu machen, diskutieren wir die Beugung
von Strahlung an einem periodischen Gitter. Dies ist auch der historische Weg, über den zum ersten Mal experimentell
nachgewiesen wurde, dass die Atome in einem Kristallgitter tatsächlich räumlich periodisch angeordnet sind. Beugungsexperimente sind speziell empfindlich auf die periodische Struktur von Materialien. Generell benötigt man für
derartige Beugungsexperimente Strahlen, deren Wellenlänge von der Grössenordnung der zu untersuchenden Perioden ist. Atome haben einen Durchmesser in der Grössenordnung 1 Angström = 1 = 10−10 m. Typische Gitterkonstanten werden also in einer ähnlichen Grössenordnung liegen. Im Prinzip kommen folgende Arten von Strahlung für
Beugungsexperimente in Frage:
• Röntgenstrahlung, X-rays
• Elektronen
• Neutronen
• Atome
Im Folgenden werden wir uns überlegen in welchem Energiebereich die entsprechenden Strahlen typischerweise
benutzt werden um sowohl bezüglich der Energieerhaltung als auch bezüglich der Impulserhaltung optimal einsetzbar
zu sein.
2.1
2.2. Beugungstheorie
2.2
Kapitel 2. Kristallstrukturen
Beugungstheorie
In unserem mathematischen Vorgehen nehmen wir ein einzelnes Streuzentrum an. Die einlaufenden Wellen induzieren eine Emission von sphärischen Wellen in allen Punkten des Materials. Diese sphärischen Wellen variieren in
Phase und Amplitude, werden aber nicht noch einmal gestreut. Dies wird die kinematische Näherung genannt und
entspricht der ersten Bornschen Näherung in der quantenmechanischen Streutheorie. Diese Näherung ist für Neutronen und Röntgenstrahlung gültig, und mit gewissen Einschränkungen auch für die Streuung von hochenergetischen
Elektronen. Im Folgenden überlegen wir und, wie die Streuamplituden zustande kommen.
Abbildung 2.1: Schematische Darstellung des Beugungsexperiments
Q ist die Quelle der Strahlung, P ist die Position eines Streuzentrums und B ist der Punkt der Beobachtung. In genügend grossen Abständen von der Strahlungsquelle kann das Wellenfeld durch ebene Wellen genähert werden. Die
Amplitude der Welle an der Position P kann zum Zeitpunkt t folgendermassen geschrieben werden:
Ap = A0 eik0 ⋅(R+r)−iω0 t
Für Röntgenstrahlen beschreibt die Amplitude A das elektrische Feld. Zurück am Ort der Quelle Q (R + r = 0) verhält
sich die Amplitude als Funktion der Zeit wie exp (iω0 t). Die Welle hat zu allen Zeiten eine wohldefinierte Phase.
Bei echten Lichtquellen werden die Photonen jedoch mit unkorrelierten Phasen von vielen Atomen emittiert. Die
beobachtete Intensität ist also das Ergebnis der Mitteilung über viele Streuergebnisse.
Die relativen Phasen der Welle am Punkt P zur Zeit t sind durch den ortsabhängigen Faktor exp (ik0 ⋅ (R + r))
gegeben. Die Primärwelle wird jetzt durch das Material gestreut. Jeder Punkt P im Material emittiert Kugelwellen,
deren Amplitude und Phase relativ zur Primärwelle durch eine komplexe Streudichte ρ (r) beschrieben werden. Die
sphärischen Wellen, die am Punkt B beobachtet werden, lassen sich jetzt wie folgt beschreiben:
eik∣R −r∣
AB = AP (r, t) ρ (r) ′
∣R − r∣
′
Für einen festen Punkt P zeigt der Wellenvektor k in die Richtung R′ − r . Somit können wir schreiben:
eik⋅(R −r)
AB = AP (r, t) ρ (r)
∣R′ − r∣
′
2.2
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.3. Periodische Strukturen und das Reziproke Gitter
Für grosse Abstände vom Streuzentrum folgt:
eik⋅(R −r)
AB = AP (r, t) ρ (r)
R′
′
Wobei k jetzt für alle Positionen P im streuenden Material dieselbe Richtung hat. Mit dem Ausdruck für AP ergibt
sich
′
A0
AB = ′ ei(k0 ⋅R+k⋅R ) e−iω0 t ρ (r) ei(k0 −k)⋅r
R
Die gesamte Streuamplitude ergibt sich durch Integration über das totale Streugebiet:
Atotal
∝ e−iω0 t ∫ ρ(r)ei(k0 −k)⋅r dr
B
Für die Streuung an einem festen Gitter ist ρ(r) zeitunabhängig und die Zeitabhängigkeit von AB hängt einzig von
der Frequenz ω0 ab. Im quantenmechanischen Bild entspricht dies der Energieerhaltung und man spricht deswegen
von elastischer Streuung.
In einem Experiment misst man mit einem Detektor nicht die Amplitude, sondern die Intensität der gestreuten Wellen:
2
2
iK⋅r
I(k) ∝ ∣Atotal
dr∣
B ∣ ∝ ∣∫ ρ(r)e
Hier haben wir den Streuvektor K = k − k0 eingeführt.
Die letzte Gleichung zeigt, dass die Streuintensität proportional ist zum absoluten Quadrat der Fourier-Transformierten
der Streudichte ρ(r) bezüglich des Streuvektors K. Wir können daraus eine wichtige Schlussfolgerung ziehen: Je kleiner die Strukturen sind, die wir in einem Streuexperiment auflösen wollen, desto grösser ist der benötigte Streuvektor
und damit auch der k-Vektor der einfallenden Strahlung. Um die Gitterkonstanten von periodischen Festkörpern zu
untersuchen, braucht man daher Strahlung mit einer Wellenlänge vergleichbar zu den Gitterkonstanten. Leider lässt
sich obige Fourier-Transformation nicht umkehren, weil man im Experiment nur Amplituden und nicht Phasen messen
kann. Der direkte experimentelle Zugriff auf die räumliche Verteilung der Streuzentren ρ(r) ist daher im Allgemeinen
leider nicht möglich.
2.3
Periodische Strukturen und das Reziproke Gitter
Wie gehen im Folgenden davon aus, dass ρ(r) ein periodisches Gitter beschreibt. In diesem Fall lässt sich ρ(r) in
einer Fourier-Reihe entwickeln. Falls die Periode der zu untersuchenden Struktur a ist, dann gilt für eine Dimension:
ρ(x) = ρ(x + na)
n = 0, ±1, ±2, ...
Die entsprechende Fourier-Reihe lässt sich schreiben:
ρ(x) = ∑ ρn ei
2πn
x
a
n
Offensichtlich erfüllt diese Darstellung die obige Translationssymmetrie. Eine Verallgemeinerung auf drei Dimensionen führt zu folgendem Ergebnis:
ρ(r) = ∑ ρG eiG⋅r
G
Der Vektor G muss verschiedene Bedingungen erfüllen, damit ρ(r) die Translationsvorschrift bezüglich aller Gittervektoren des drei-dimensionalen Gitters erfüllt.
rn = n1 a1 + n2 a2 + n3 a3
2.3
2.4. Streubedingungen an einem periodischen System
Kapitel 2. Kristallstrukturen
Die Beziehungen können auch folgendermassen ausgedrückt werden:
G ⋅ rn = 2πm
Wobei m eine ganze Zahl ist, die aus den Zahlen n1 , n2 und n3 besteht. Jetzt können wir G in Form von drei
unbekannten Basisvektoren gi zerlegen:
G = hg1 + kg2 + lg3
Mit ganzen Zahlen h, k, l für das Beispiel n2 = n3 = 0 impliziert dies
(hg1 + kg2 + lg3 ) ⋅ n1 a1 = 2πm.
Für eine beliebige Wahl von n1 kann diese Beziehung nur erfüllt sein, falls
g1 a1 = 2π
g2 a 1 = 0 = g3 a 1 .
und
Dies kann zu folgender Beziehung verallgemeinert werden:
gi aj = 2πδij
Die neu definierten Basisvektoren g1 , g2 , g3 spannen das sogenannte reziproke Gitter auf. Für jedes Gitter im Ortsraum gibt es ein eindeutig definiertes Gitter im reziproken Raum. Seine Gitterpunkte werden mit h, k, l benannt. Die
physikalische Dimension des reziproken Gitters ist 1/m. Der Gittervektor g1 steht senkrecht auf der Ebene, die durch
die beiden Gittervektoren a2 und a3 aufgespannt wird. Die Länge des Gittervektors ist gegeben durch:
∣g1 ∣ =
2π
a1 cos(∡g1 ∣a1 )
In Figur ?? ist der Begriff des reziproken Gitters für ein zwei-dimensionales System veranschaulicht. Jetzt steht
jeweils der Vektor g1 (g2 ) senkrecht auf den Vektor a2 (a1 ). Bei einem rechtwinkligen Gitter ist die Situation besonders einfach. Bei einem schiefwinkligen Gitter ist es schon nicht mehr so klar, in welche Richtung die reziproken
Gittervektoren zeigen und wie lange sie sind. Der folgende Ausdruck für ein drei-dimensionales System erlaubt die
Berechnung der reziproken Gittervektoren:
g1 = 2π
a2 × a3
a1 ⋅ (a2 × a3 )
(und zyklische Permutationen). Man kann leicht zeigen, dass diese Beziehung den obigen Orthogonalitätsrelationen
gi aj = 2πδij genügt.
2.4
Streubedingungen an einem periodischen System
Setzt man die Fourier-Entwicklung der Streudichte ρ(r) in die Gleichung für die Streuintensität ein, so findet man
mit der Notation K = k − k0
2
∣A0 ∣2
I(k) ∝ ′2 ∣(∑ ρG ∫ eir⋅(G−K) ) dr∣
R
G
Falls der Kristall aus vielen Einheitszellen besteht, so gibt obiges Integral nur signifikante Beiträge für G = K . Drückt
man die Streudichte ρ(r) durch delta-Funktionen an den Positionen der Atome im Gitter aus, so ergibt sich:
V
ir⋅(G−K)
dr = {
∫ e
0
für G = K
sonst
V ist hier das relevante Streuvolumen. Es gibt also nur dann einen Beitrag zur Streuintensität, wenn der Unterschied
der Wellenvektoren des einfallenden Strahls k0 sowie des gestreuten Strahls k gerade gleich einem reziproken Gittervektor G ist. Dies nennt man die "Laue-Beziehung", nach Max von Laue. Die gemessene Intensität ist dann
I(K = G) ∝
∣A0 ∣2
∣ρG ∣2 V 2
R′2
2.4
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.5. Die Bragg-Beziehung
Abbildung 2.2: Direktes und reziprokes Gitter für zwei einfache 2D-Gitter
Eine genaue Analyse des Integrals zeigt, dass die Breite der Intensitätsverteilung um das Maximum eines gebeugten
Strahls mit 1/V abnimmt. Damit ist die gesamte Intensität proportional zu V , wie man es auch naiverweise erwarten
würde.
Der Vektor G ist genau definiert durch die Koordinaten h, k, l relativ zu den Basisvektoren des reziproken Gitters gi .
Deshalb können die Indizes h, k, l auch dazu benutzt werden, die verschiedenen gebeugten Strahlen zu bezeichnen.
Negative Zahlen h, k, l werden durch h̄, k̄, ¯l beschrieben. Damit schreibt man
Ihkl ∝ ∣ρhkl ∣2
Falls keine Absorption der Strahlung im Material auftritt, so ist ρ(r) eine reelle Funktion und es ergibt sich
ρhkl = ρ∗h̄k̄l̄
Damit gilt für die Streuintensitäten die sogenannte Friedel’sche Regel:
Ihkl = Ih̄k̄l̄
Diese Regel hat einige wichtige und interessante Konsequenzen. Hat ein Kristall zum Beispiel eine dreifache SymmetrieAchse, so wird die Struktur der Röntgenreflexe eine sechsfache Symmetrie haben. Auch wenn der Kristall selbst keine
Inversionssymmetrie aufweist, so wird doch das zugehörige Röntgenspektrum eine solche vorzeigen. Im Folgenden
wollen wir und im Detail mit der Laue-Beziehung K = G beschäftigen. Was sind die Konsequenzen dieser Beziehung
für die experimentelle Untersuchung periodischer Kristallgitter?
2.5
Die Bragg-Beziehung
Drei Punkte, die nicht durch eine gerade Linie verbunden werden können, definieren eine Ebene. Solche Ebenen
werden wir im Folgenden betrachten. Bragg stellte sich vor, dass ein Kristall in eine Abfolge von Ebenen aufgeteilt
werden kann. Mit diesen geometrischen Überlegungen findet man für den Fall der konstruktiven Interferenz folgenden
2.5
2.5. Die Bragg-Beziehung
Kapitel 2. Kristallstrukturen
Abbildung 2.3: Veranschaulichung der Bragg-Beziehung
Ausdruck für den Gangunterschied zwischen den beiden Strahlen, die an benachbarten Kristallebenen gebeugt werden
(vergleiche Abb. ??):
λ = 2d sin ϑ
Auf den ersten Blick enthält diese Betrachtung viele offene Fragen. Warum zum Beispiel können die Ebenen in einem
Kristall als Flächen betrachtet werden, wo sie doch nur an einigen wenigen Stellen Atome und damit Streuzentren
enthalten? Mit dieser sogenannten Bragg’schen Beziehung lassen sich viele experimentelle Befunde beschreiben. Insbesondere ist sie ein direkter Hinweis auf die periodische Anordnung von Atomen in einem Kristall. Im Folgenden
werden wir aufbauend auf dem vorhergehenden Kapitel über Streutheorie die Bragg’sche Beziehung aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
Wir nehmen an, dass die Kristallebenen die Koordinatenachsen
bei den Werten m, n, o schneiden. Jeder der Werte m, n, o beschreibt ein ganzzahliges Vielfaches der Einheitsvektoren auf
den entsprechenden Koordinatenachsen. Jetzt nimmt man die
Reziproken der Zahlen m, n, o zu h′ = 1/m, k ′ = 1/n, l′ = 1/o
und multipliziert h′ , k ′ und l’ mit einer ganzen Zahl p um dann
das Triplett ganzer Zahlen (h, k, l) zu enthalten. Die Zahlen
h, k, l nennt man die Miller’schen Indizes. Es kann sein, das
eine Kristallebene parallel ist zu einer der Koordinatenachsen
und sie deswegen nicht schneidet. Durch Kehrwertbildung erreicht man, das dieser Schnittpunkt im Unendlichen zu einer ′′ 0′′
des entsprechende Miller’schen Indexes wird. Es gibt eine Schar
äquivalenter Ebenen, die Parallel zueinander sind, und alle durch
dieselben Miller’schen Indizes beschrieben werden. Dies ist eine
Konsequenz der Translationsinvarianz des Kristallgitters.
Abbildung 2.4: Eine Ebene der (hkl)=(632) Schar
Jetzt zeigen wir die wichtige Beziehung, dass der Vektor des reziproken Gitters G mit den Komponenten (hkl)
senkrecht auf der Gitterebene mit denselben Indizes (hkl) steht. Die Länge des Gittervektors ist gleich 2π mal der
reziproken Länge zwischen benachbarten Ebenen der Schar (hkl).
Folgende Vektoren spannen die Ebene auf:
ma1 − na2 =
1
1
a1 − ′ a2
′
h
k
2.6
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.5. Die Bragg-Beziehung
oa3 − na2 =
1
1
a3 − ′ a2
′
l
k
Ihr Vektorprodukt ergibt
(
1
1
1
1
1
1
1
a1 − ′ a2 ) × ( ′ a3 − ′ a2 ) = − ′ ′ (a1 × a2 ) − ′ ′ (a1 × a2 ) − ′ ′ (a3 × a1 )
′
h
k
l
k
hk
kl
hl
und ist natürlich senkrecht zu Ebene (hkl). Multipliziert man diesen Vektor mit
−
2πh′ k ′ l′
a1 ⋅ (a2 × a3 )
so ergibt sich
2π(h′
a2 × a3
a3 × a1
a1 × a2
+ k′
+ l′
)
a1 ⋅ (a2 × a3 )
a1 ⋅ (a2 × a3 )
a1 ⋅ (a2 × a3 )
Dieser Ausdruck ist abgesehen vom numerischen Faktor p genau gleich zu Ghkl , dem reziproken Gittervektor.
Im nächsten Schritt zeigen wir, dass der Abstand der Gitterebenen, gleich ist zu 2π/ (∣Ghkl ∣). Der senkrechte Abstand
der Ebenen (hkl) vom Abstand der Basis a1 , a2 , a3 , ist gegeben durch
d′hkl =
a1 a1 Ghkl
2π h
2π
a1
cos(∡a1 ∣Ghkl ) = ′
=
=
p
′
′
h
h ∣a1 ∣∣Ghkl ∣ Ghkl h
Ghkl
Der Abstand der nächsten Kristallebene ist daher dhkl = d′hkl /p = 2π/Ghkl .
Mit Hilfe der Kristallebenen ist es möglich, ein intuitives Bild der Streubedingung zu entwickeln. Wir nehmen den
Betrag der Gleichung K = G und finden
∣Ghkl ∣ = Ghkl =
2π
= 2k0 sin ϑ
dhkl
Dies entsprich genau der Bragg’schen Beziehung
λ = 2dhkl sin ϑ
Diese Gleichung impliziert, dass die Wellen sich verhalten, also ob sie von den Kristallebenen (hkl) reflektiert würden.
Von dieser Interpretation stammt der Ausdruck “Bragg-Reflexion". Die Streubedingung bedeutet, dass der Wegunterschied zwischen zwei Strahlen, die an benachbarten Kristallebenen reflektiert wurden, ein ganzzahliges Vielfaches
der Wellenlänge der Strahlung sein muss. Genau dann gibt es konstruktive Interferenz und damit ein Maximum in der
Streuamplitude.
2.7
2.6. Das Kristallgitter
2.6
Kapitel 2. Kristallstrukturen
Das Kristallgitter
Nachdem wir jetzt gesehen haben, wie man experimentell nachweist, dass Festkörper eine periodische Kristallstruktur besitzen, wollen wir uns der Frage zuwenden, wie periodische Strukturen im dreidimensionalen Raum allgemein
beschrieben werden können. Ein idealer Kristall ist die unendliche Wiederholung identischer Struktureinheiten im
Raum. Wie beschreibt man eine periodische Struktur in einer Ebene? Man benutzt dazu zwei Vektoren a und b die linear unabhängig, d.h. nicht parallel zueinander sind. Jeder Ortsvektor, der vom Ursprung auf ein Strukturobjekt zeigt,
kann dann in der folgenden Form geschrieben werden: rn = n1 a + n2 b
Abbildung 2.5: Das ebene Parallelogrammgitter mit den Basisvektoren
⃗ und ⃗b
a
Abbildung 2.6: Das ebene Parallelogrammgitter mit spezieller Basis
Dabei sind n1 und n2 ganze Zahlen. Es können nun verschiedene Gitter realisiert werden, je nachdem, wie lange die
beiden Vektoren a und b sind und welchen Winkel sie einschliessen. Das allgemeinste Gitter, das keine zusätzliche
Symmetrie hat, erhält man für ∣a∣ ≠ ∣b∣ und für einen eingeschlossenen Winkel α ≠ 90○ . Eine planare Kristallstruktur
ist dann realisiert, wenn auf jedem Punkt des “Parallelogramm”-Gitters ein Atom sitzt. In diesem Fall enthält jede
Elementarzelle mit den Seiten a und b genau ein Atom. Die genaue Zahl der Vektoren a und b spielt dabei keine
Rolle. Solche Zellen nennt man primitive Zellen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass eine Elementarzelle zwei Atome
enthält. In diesem Fall sind die Gitterpunkte, die sich durch eine translationsinvariante Umgebung auszeichnen, nicht
notwendigerweise an den Punkten, wo sich die Atome befinden.
Abbildung 2.8: Zwei Anschauungen des zentrierten
Rechteckgitters
Abbildung 2.7: Verschiedene Einheitszellen des ebenen
Parallelogrammgitters
Man enthält andere planare Geometrien mit höherer Symmetrie, falls a, b und α bestimmte Werte annehmen. Das
rechteckige Gitter entspricht einer Situation mit α = 90○ . Falls zusätzliche ∣a∣ = ∣b∣ gilt, so handelt es sich um ein
quadratisches Gitter.
Die zwei-dimensionale Ebene kann auch mit Hexagonen ausgefüllt werden. Dies entspricht der grösstmöglichen Packungsdichte von Kreisen in einer Ebene. Die Beziehungen ∣a∣ = ∣b∣ und α ≠ 90○ ergeben ebenfalls ein neues Gitter,
2.8
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.6. Das Kristallgitter
das jedoch zweckmässigerweise durch ein zentriertes rechteckiges Gitter beschrieben wird (siehe Abb. ??).
Man enthält somit den Vorteils eines rechtwinkligen Gitters (höhere Symmetrie), das allerdings nicht mehr "primitivïst, und zwei Atome pro Einheitszelle enthält. Man sieht schnell, dass das Zentrieren nur bei einem rechteckigen
Gitter sinnvoll ist. Bei einem zentrierten quadratischen Gitter findet man sofort ein einfaches, quadratisches Gitter, das
“primitiv” ist und nur ein Atom pro Einheitszelle enthält. In zwei Dimensionen gibt es 5 verschiedene Möglichkeiten,
Gitter durch Symmetrien in eine Hierarchie zu bringen:
Abbildung 2.9: Die fünf Bravais-Gitter in zwei Dimensionen
Man nennt diese fünf Grundgitter auch Bravais-Gitter. Die Prinzipien, die wir an zwei-dimensionalen Gittern diskutiert haben, können direkt auf drei-dimensionale Gitter übertragen werden. So gibt es 7 grundsätzliche Möglichkeiten der Symmetrie in drei Dimensionen. Dazu kommt die Möglichkeit der Zentrierung. In drei Dimensionen kann
man in einer Fläche oder in einem Raum zentrieren, man spricht dann von einem flächenzentrierten Gitter oder
von einem raumzentrierten Gitter. Bestimmte Zentrierungen sind bereits in andern enthalten. Ein tetragonal Basiszentriertes Gitter ist zum Beispiele äquivalent zu einem primitiven tetragonalen Gitter mit kleinerer Einheitszelle. In
drei-Dimensionen gibt es daher 14 verschiedene Bravais-Gitter.
2.9
2.6. Das Kristallgitter
Kapitel 2. Kristallstrukturen
Abbildung 2.10: Alle 14 Bravais-Gitter in drei Dimensionen
2.10
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.7
2.7. Punkt-Symmetrien
Punkt-Symmetrien
Jeder Punkt eines Gitters repräsentiert ein Atom oder eine Gruppe von Atomen, von denen jede wiederum ihre eigenen
Symmetrien aufweisen kann. Die Symmetrie des gesamten Kristalls ergibt sich aus dem Gitter, auf dessen Punkten
die Struktureinheiten sitzen, sowie aus der sogenannten Basis, die diese Struktureinheiten bilden. Die Kristallstruktur
besteht also aus “Gitter” und "Basis". Im Folgenden diskutieren wir die wichtigsten Punktsymmetrien.
Abbildung 2.11: Unterschied zwischen Gitter und Basis
2.7.1
Reflexionen an einer Ebene
Mathematisch wird diese Symmetrie durch eine KoordinatenTransformation beschrieben. Eine Spiegel-Symmetrie bezüglich der
yz-Ebene genügt der Transformation:
x′ = −x, y ′ = y, z ′ = z
Die Anwesenheit einer Spiegelebene in einem Kristall wird durch das Symbol "m"beschrieben. Ein Beispiel für ein Molekül, das zwei Spiegelebenen
besitzt, ist das Wassermolekül. Die eine Spiegelebene ist durch die Ebene definiert, in der die drei Atome liegen. Die zweite Spiegelebene steht senkrecht
dazu und halbiert das Sauerstoff-Atom.
2.7.2
Inversion
Die Inversionssymmetrie wird durch folgende Koordinatentransformation
beschrieben:
x′ = −x, y ′ = −y, z ′ = −z
Man kann es auch als eine Reflexion an einem Punkt betrachten. Das Symbol für eine Inversionssymmetrie ist 1̄. Es gibt verschiedene Moleküle, die
symmetrisch sind unter einer Inversion.
2.7.3
Abbildung 2.12: Wasserstoffatom mit
vertikaler Spiegelebene
Rotationssymmetrie
Eine Rotationssymmetrie ist dann gegeben, wenn die Rotation um einen gewissen Winkel zu einer identischen Struktur führt. Der triviale Fall ist dabei die Rotation um 360○ . In einem drei-dimensionalen Kristall gibt es 2,3,4 und
6-fache Rotationsachsen. Dies entspricht Rotationswinkeln von 180○ , 120○ , 90○ und 60○ , unter denen die Struktur
dieselbe bleibt. Alle anderen Ordnungen von Rotationen sind nicht kompatibel mit der Translationssymmetrie eines
Kristalls. Für Moleküle gibt es auch 5-fache, 7-fache etc. Rotationsachsen. Die möglichen Achsen einer Rotation
werden durch die Zahlen 2, 3, 4 und 6 beschrieben. Man nennt diese Kristalle Quasi-Kristalle.
2.11
2.8. Die 32 Punktgruppen
2.7.4
Kapitel 2. Kristallstrukturen
Rotations-Inversions-Achsen
Rotationen können gleichzeitig mit Inversionen auftreten. Man bezeichnet dies mit 2̄, 3̄, 4̄ und 6̄. Auch hier gibt es
Symmetrien, die äquivalent sind. So kann eine 6-fache Rotations-Inversion genauso durch eine 3-fache Rotationsachse
plus Spiegelebene beschreiben werden.
2.8
Die 32 Punktgruppen
Die verschiedenen Symmetrieelemente, die wir bisher diskutiert haben, können auf verschiedene Art und Weise miteinander kombiniert werden. Jeder Kristall kann durch eine spezielle Kombination von Punktgruppen-Elementen
beschrieben werden. Die generelle Beschreibung muss folgenden Bedingungen genügen:
• falls zwei Symmetrieoperationen hintereinander ausgeführt werden, so muss da Ergebnis ebenfalls eine Symmetrieoperation sein: A ⊗ B = C
• drei oder mehr Symmetrieoperationen müssen dem Assoziativ-Gesetz genügen: (A ⊗ B) ⊗ C = A ⊗ (B ⊗ C)
• es gibt eine “Eins”, das Element E, welches keiner Operation (oder einer Drehung um 360○ ) entspricht:
A⊗E =A
• jedes Symmetrieelement A besitzt ein Inverses A−1 , das der umgekehrten Operation entspricht: A ⊗ A−1 = E
Diese Eigenschaften definieren mathematisch gesehen eine Gruppe. Es gibt 32 verschiedene kristallographische
Punktgruppen. Unter Hinzunahme der Translationssymmetrie entstehen so 230 mögliche Raumgruppen. Dies ist weniger als die 32 (Punktgruppen) mal 14 (Bravais-Gitter), weil einige Kombinationen zu demselben Ergebnis führen.
Für Translationen gilt ausserdem die Bedingung A ⊗ B = B ⊗ A eine Eigenschaft sogenannter Abel’scher Gruppen. Für Rotationen gilt diese Beziehung aber nicht. Bei zwei verschiedenen Rotationen hängt das Endergebnis im
Allgemeinen von der Reihenfolge ihrer Anwendung ab.
2.9
Warum sind Symmetrien wichtig?
Zunächst erscheint die Einführung von 230 möglichen Punktgruppen als Komplikation. Tatsächlich vereinfachen sich
jedoch viele Probleme massiv, wenn man ihre zugrundeliegenden Symmetrien erkannt hat. Symmetrien sind in der
klassischen Physik gleichermassen wichtig wie in der Quantenmechanik. Für die Festkörperphysik ist die Quantenmechanik in den meisten Fällen der richtige Ausgangspunkt und wir wollen uns daher einige Sachverhalte im
Zusammenhang mit Symmetrien genauer überlegen.
Das Wassermolekül hat zwei Spiegelebenen. Wie spiegeln sich diese Symmetrien im physikalischen Verhalten eines
Wassermoleküls wider? Ein Hamilton-Operator, der die elektronischen Eigenschaften oder das Schwingungsverhalten eines Wassermoleküls beschreibt, muss denselben Symmetrieoperationen genügen, d.h. er muss invariant sein
unter der entsprechenden Koordinaten-Transformation. Diese Invarianz kann auf verschiedenen Wegen ausgedrückt
werden. Ein Operator σ beschreibe die Reflexion. Falls dieser Operator σ auf den Hamilton-Operator H, auf einen
Eigenzustand ψ oder auf den Ortsvektor r wirkt, dann sollte das Ergebnis H, ψ und r im transformierten Koordinatensystem beschreiben. Solche Operatoren werden durch Matrizen dargestellt. Die Reflexion von Koordinaten in der
yz-Ebene wird durch folgende Matrixoperation beschrieben:
⎡−1 0 0⎤ ⎡x⎤ ⎡−x⎤
⎢
⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢
⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 0 1 0⎥ ⎢y ⎥ = ⎢ y ⎥
⎢
⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 0 0 1⎥ ⎢ z ⎥ ⎢ z ⎥
⎣
⎦⎣ ⎦ ⎣ ⎦
Dies ist eine Darstellung im drei-dimensionalen Raum. Dieselbe Operation kann durch drei ein-dimensionale Matrizen
dargestellt werden:
[(−1)x; (1)y; (1)z] = (−x, y, z)
2.12
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.9. Warum sind Symmetrien wichtig?
Man nennt in diesem Fall die drei-dimensionale Darstellung reduzibel, die eindimensionale irreduzibel, weil sie
nicht weiter vereinfacht werden kann. Eine Drehung um 180○ entspricht einer Inversion und kann damit auch eindimensional dargestellt werden. 3-, 4-, und 6-fache Rotationsachsen verändern zwei Koordinatenachsen. Ihre irreduzible
Darstellung ist daher zwei-dimensional. Falls der Hamilton-Operator eine bestimmte Symmetrie besitzt, so vertauscht
er mit dem entsprechenden Symmetrieoperator. Von der Quantenmechanik wissen wir, dass diese beiden Operatoren
in diesem Fall einen gemeinsamen Satz von Eigenzuständen besitzen. Die möglichen Eigenzustände von H können
also klassifiziert werden nach ihren Eigenwerten bezüglich des Symmetrie-Operators. Im Falle der Spiegelsymmetrie
erhält man σ 2 = 1, für den Fall einer zweifachen Rotationsachse C 22 = 1. Als Eigenwerte kommen als nur die Zahlen
+ 1 und -1 in Frage.
σψ+σ = +1 ⋅ ψ+σ
σψ−σ = −1 ⋅ ψ−σ
C2 ψ+C2 = +1 ⋅ ψ+C2
C2 ψ−C2 = −1 ⋅ ψ−C2
Die Eigenzustände von H sind damit entweder symmetrisch oder anti-symmetrisch bezüglich dieser beiden Operatoren. Man sagt dann, dass die Eigenzustände gerade oder ungerade Parität haben.
Wir wollen diese Überlegungen anwenden, um etwas über die Schwingungszustände des Wassermoleküls zu lernen.
Die Atome können nur symmetrisch oder anti-symmetrisch zu den beiden Spiegelebenen des Moleküls schwingen.
Für Atome, die in der Spiegelebene liegen, bedeutet eine antisymmetrische Bewegung eine Bewegung senkrecht zur
Spiegelebene. Nur dann kann eine Reflexion die Bewegung umkehren. Die entsprechenden symmetrischen Schwingungen werden in der Spiegelebene ausgeführt. Eine der beiden Spiegelebenen des Wasser-Moleküls enthält alle
drei Atome. Bezüglich dieser Ebene sind die antisymmetrischen Schwingungen eine Rotation des Moleküls sowie
die Translation senkrecht zu dieser Ebene. Die sechs symmetrischen Schwingungen in der Ebene des Moleküls sind
zwei Translationen, eine Rotation um eine Achse senkrecht zur Ebene und die drei normalen Vibrationen. Von diesen
Schwingungen sind zwei symmetrisch und eine antisymmetrisch relative zur Spiegelebene senkrecht zur Ebene des
Moleküls.
Für komplexere Moleküle sowie für Festkörper lässt sich eine ähnliche Analyse bewerkstelligen. Die Durchführung
wird wesentlich komplizierter, falls die entsprechenden Symmetrien, z. B. eine zwei-dimensionale irreduzible Darstellung haben.
2.13
2.10. Einfache Kristallstrukturen
2.10
Kapitel 2. Kristallstrukturen
Einfache Kristallstrukturen
Wir haben gesehen, dass kristalline Festkörper eine periodische Gitterstruktur aufweisen. Im nächsten Schritt wollen
wir einige wichtige Kristallstrukturen genauer diskutieren. Dabei konzentrieren wir uns auf einige wenige BravaisGitter die in vielen Festkörpern vorkommen und deswegen wichtig sind. Wir betrachten dabei die Atome als harte
Kugeln. Inwieweit das gerechtfertigt ist, werden wir im Abschnitt über die chemischen Bindungen in Kristallgittern
diskutieren.
2.10.1
Kubisch-flächenzentriertes Gitter
Im kubisch-flächenzentrierten Gitter (face centered cubic = fcc) Gitter
sitzen jeweils in den Flächenmitten der sechs Würfelflächen zusätzliche Atome. Die primitive Einheitszelle des fcc-Gitters, die nur ein
Atom enthält, ist das rhomboedrische Gitter (eingezeichnet im rechten
oberen Würfel).
Jedes Atom ist in der Struktur des fcc-Gitters umgeben von 12 nächsten Nachbarn. Die Zahl der nächsten Nachbarn nennt man die Koordinationszahl des Gitters. Die Koordinationszahl 12 kommt zustande,
wenn man Kugeln so dicht wie möglich packt. In einer Ebene von dichtestgepackten Kugeln ist die Koordinationszahl 6. Die dichtestgepackten Ebenen liegen im Falle des fcc-Gitters senkrecht zu einer Diagonalen des Würfels (siehe gestreifte Flächen). In drei Dimensionen kommen noch die drei Nachbarn in der Ebene darüber und darunter dazu.
Das fcc-Gitter kommt zustande durch eine periodische Packung von
dichtestgepackten Ebenen in der Stapelfolge A − B − C − A − B − C
kubisch-flächenusw. wobei die Ebenen senkrecht zur Diagonalen des Würfels liegen. Abbildung 2.13: das
zentrierte
Gitter
(fcc)
Man muss also zwei zusätzliche Ebenen durchqueren, um wieder zu
einer identischen Ebene zu gelangen, bei der die Atome in der Richtung entlang der Diagonalen des Würfels genau über den Atomen der
Ausgangsebene liegen.
Falls die Gitterkonstante des kubisch flächenzentrierten Gitters mit
√ a
bezeichnet wird, so ist der Abstand nächster Nachbarn durch a/ ( 2)
gegeben. Obwohl die einzelne dichtestgepackte Ebene eine hexagonale Symmetrie (6fache Drehachse) aufweist, haben alle Ebenen übereinander nur noch eine Rotationssymmetrie mit dreifacher Drehachse.
Das fcc-Gitter hat daher 4 Achsen (die Raumdiagonalen) mit jeweils
3-facher Rotationssymmetrie. Es gehört zur Punktgruppe Oh . Beispiel
von fcc-Kristallen, die in der Natur vorkommen sind Cu, Ag, Au, Ni,
Pd, Pt und Al. Trotz ihres relativ hohen Schmelzpunkts sind diese
Materialien relativ weich. Der Grund dafür ist die Möglichkeit, dass
sich die dichtgepacktesten Ebenen gegeneinander verschieben können. Abbildung 2.14: A-B-C Stapelfolge des fccGitters
Diese Schiebebewegung geschieht nicht im ganzen Kristall gleichzeitig, sondern konzentriert sich auf begrenzte Gebiete, die durch sogenannte Versetzungen voneinander abgegrenzt sind.
2.10.2
Hexagonal dichteste Packung
Die hexagonal dichteste Packung (hexagonal close-packed = hcp) ist eng verwandt mit er fcc Struktur. Im hcp-Fall
sind die dichtgepacktesten Ebenen in der Reihenfolge A − B − A − B gestapelt. Dies entspricht nicht einem BravaisGitter. Die hexagonale Einheitszelle enthält ein zusätzliches Atom, d.h. die Basis besteht aus zwei Atomen. Die
Haupt-Rotationsachse ist daher wieder dreifach und nicht sechsfach. Man sieht auch, dass es drei zweifache Rotationsachsen senkrecht zur dreifachen Achse gibt. Ausserdem liegt die dichtestgepackte Ebene in einer Spiegelebene.
2.14
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.10. Einfache Kristallstrukturen
Die Punktgruppe, die diesen Symmetrien entspricht, wird als D3h bezeichnet. Die Koordinationszahl ist genau wie
beim fcc-Gitter 12. Wichtige Metalle, die in der hcp-Stuktur kristallisieren, sind Zn, Cd, Be, Mg, Re, Ru, Os.
Abbildung 2.15: A-B Stapelfolge des hcp-Gitters
2.10.3
Kubisch raumzentriertes Gitter
Für das kubisch raumzentrierte Gitter (body centered cubic = bcc) ist die Koordinationszahl 8. Für eine ungerichtete Bindung erscheint die bcc Struktur auf den
ersten Blick nicht die Günstigste zu sein, weil weniger Atomorbitale überlappen
können. Es ist jedoch wichtig, dass in der bcc-Struktur die übernächsten Nachbarn
nur wenig weiter entfernt sind als die nächsten Nachbarn. Es hängt also von der
Ausdehnung der Wellenfunktionen, die für die Bindung verantwortlich sind ab, ob
ein Element in der fcc oder bcc-Struktur kristallisiert.
Abbildung
2.16: Das kubisch
raumzentrierte Gitter (bcc)
Alkali Metalle haben eine grosse Ausdehnung der Wellenfunktion des äussersten Zustands und kristallisieren deswegen in der bcc-Struktur. Für die Stabilität eines Kristalls ist also die effektive Koordinationszahl wichtig, die von der
Reichweite der jeweils verantwortlichen Bindung abhängen kann. Ausserdem muss man sich überlegen, in welche
Richtung die entsprechenden Orbitale maximal sind. p-Oribtale sind in einem kubischen Gitter entlang den Würfelkanten orientiert und favorisieren deswegen die bcc-Struktur. d-Orbitale hingegen sind sehr stark beim jeweiligen
Atom lokalisiert und tragen hauptsächlich zu Bindungen zu den nächsten Nachbarn bei. Deswegen kristallisieren
Metalle mit einer grossen Zahl von d-Elektronen oft in der fcc-Struktur.
2.10.4
Diamant-Struktur
Die Diamant-Struktur gehört zur Kristallklasse Td . In ihr ist jedes Atom von 4
nächsten Nachbarn in einer Tetraeder-Konfiguration umgeben. Die Koordinationszahl ist also 4. Diamant kristallisiert in dieser Struktur, daher der Name. Ebenso
kristallisieren andere Elemente der 4. Hauptgruppe wie Si und Ge in der Diamantstruktur. Die Diamantstruktur kann man sich vorstellen als zwei ineinandergestellte fcc-Stukturen, die um ein Viertel der Raumdiagonalen gegeneinander versetzt
sind. In nebenstehender Figur markieren die offenen Kreise die zusätzlichen Atome, die zur einfachen fcc-Struktur hinzugekommen sind. Für den Fall von Diamant
stelle natürlich sowohl die ausgefüllten als auch die offenen Kreise C-Atome dar.
Bei der Diamantstruktur handelt es sich also um ein fcc-Gitter mit zweiatomiger
DiamantBasis, wobei die beiden Atome der Basis identisch sind und um ein Viertel der Abbildung 2.17: Die
Struktur
Raumdiagonale des Würfels gegeneinander versetzt sind.
2.15
2.10. Einfache Kristallstrukturen
2.10.5
Kapitel 2. Kristallstrukturen
Zink-Blende-Struktur
Es gibt wichtige Halbleiter, die durch Kombination eines Elementes aus der III. Hauptgruppe des Periodensystems
mit einem Element aus der V-Hauptgruppe entstehen. GaAs ist solch ein Beispiel. Diese Materialien kristallisieren
in der Zink-Blende-Struktur, die aus der Diamantstruktur hervorgeht, indem die beiden Atome der Basis verschieden
sind. Das Material ZnS, das der Struktur ihren Namen gibt, kristallisiert natürlich ebenfalls in dieser Struktur. ZnS
kann auch in der sogenannten Wurzit-Struktur kristallisieren. Hier gibt es ebenfalls eine tetraedrische Koordination,
aber die Packungssequenz der dichtestgepackten (111) Ebenen hat sich verändert von A−B −C −A−B −C (DiamantStruktur) zu A − B − A − B.
2.10.6
Ionische Strukturen
Atome, die durch Austausch von Elektronen eine sehr starke Bindung eingehen, sind durch die sogenannte Ionenbindung charakterisiert. Beispiel sind CsCl und NaCl.
Die CsCl Struktur ergibt sich aus dem bcc-Gitter durch das Ersetzen des Zentralatoms durch
ein Ion eines anderen chemischen Elements. Die Koordinationszahl für dieses Gitter ist 8.
Abbildung 2.18: Einheitszelle für CsCl
In der NaCl-Struktur werden zwei fcc-Gitter ineinander gestellt. Die Koordinationszahl ist
damit 8.
In den meisten Fällen kristallisieren ionische Kristalle in der NaCl-Struktur. Das liegt daran,
+
−
dass häufig das Kation viel kleiner ist als das Anion: rNa
= 0.98 , rCl
= 1.81
Abbildung 2.19: Die
NaCl Struktur
Mit kleiner werdendem Kation kommen sich die Anionen in der CsCl-Struktur immer näher. Diese berÃijhren sich
bei einem Verhältnis der Radien von r+ /r− = 0.732 wohingegen bei der NaCl-Struktur diese Situation erst bei
r+ /r− = 0.414 auftritt. Für ein detailliertes Verständnis, warum bestimmte chemische Elemente und Verbindungen
in bestimmten Kristallstrukturen auftreten, braucht es das Verständnis der chemischen Bindung zwischen den beteiligten Atomen.
2.16
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.11
2.11. Brillouin Zonen
Brillouin Zonen
Abbildung 2.20: Ewaldkugel im reziproken Raum
Abbildung 2.21: Konstruktion der ersten Brillouin Zone
am Beispiel des ebenen Parallelogrammgitters
Abbildung 2.22: Brillouin Zonen für verschiedene drei dimensionale Gitter
2.17
Nachdem wir jetzt die wichtigsten Kristallstrukturen kennengelernt haben, wenden wir
uns wieder der experimentellen Untersuchung
im Rahmen von Streuexperimenten zu. Dazu
erinnern wir und, dass man in einem einfachen
Bild die sogenannte Bragg-Beugung durch Reflexion von Strahlung an benachbarten Gitterebenen verstehen kann. Bedingung für das Auftreten einer Bragg-Reflexion war k − k0 =
Ghkl , wobei k und k0 die Wellenvektoren der
einfallenden und gestreuten Welle sind. Die
Endpunkte aller Vektorpaare k, k0 , die diese Bedingung erfüllen, liegen auf einem Kreis.
Durch die sogenannte Ewald-Konstruktion im
reziproken Raum findet man alle Punkte, die
auf dem Kreis mit dem Radius ∣k∣ = 2π/λ liegen. Für beliebige Richtungen von k gibt es
im Allgemeinen keinen Schnittpunkt und deswegen kein Maximum in der gebeugten Strahlung. Um ein Beugungsmuster zu beobachten
muss man entweder ein Kontinuum von einfallenden Wellenlängen benutzen oder die Orientierung des Kristalls verändern.
Aus der Ewald-Konstruktion sieht man folgendes: Die Endpunkte aller Vektorpaare k und
k0 , die die Bedingung k − k0 = Ghkl erfüllen, liegen auf der Mittelsenkrechten von
Ghkl . Das kleinste Polygon, dass den Ursprung
als Zentrum hat und durch Mittelsenkrechte von reziproken Gittervektoren begrenzt ist,
heisst Brillouin-Zone. Zunächst vergegenwärtigen wir uns die Konstruktion einer BrillouinZone an einem zweidimensionalen Beispiel.
Die 1. Brillouin-Zone ist eine Konstruktion im
k-Raum (=reziproker Raum) und enthält genau
ein Atom. Ihre Geometrie kann stark von derjenigen der Einheitszelle im Ortsraum abweichen. Ihre Punktgruppen-Symmetrie entspricht
per Definition genau derjenigen des reziproken
Raums und der Gittertyps im Ortsraum.
Im drei-dimensionalen Raum ist es wesentlich
schwieriger, die Brillouin-Zonen zu konstruieren. Die entsprechenden Konstruktionen für
das fcc, bcc und hcp Gitter sind mit den zugehörigen Symmetriepunkten in Figur ?? eingezeichnet. Die Punkte am Rande der BrillouinZone zeichnen sich dadurch aus, dass jede Welle mit einem k-Vektor, der vom Ursprung zum
Zonenrand geht, zu einer Bragg-reflektierten
Welle führt. Für kleine Kristalle und schwache
Streuung haben die gestreuten Wellen meist eine geringe Intensität. Für grosse Ein-Kristalle
können die Intensitäten der Primär- und Braggreflektierten Wellen vergleichbar sein.
2.12. Der Struktur-Faktor
2.12
Kapitel 2. Kristallstrukturen
Der Struktur-Faktor
Bis jetzt haben wir uns überlegt, bei welchem Streuwinkel und Kristallorientierungen gebeugte Strahlen auftreten. Im
nächsten Schritt berechnen wie die Intensität der gebeugten Strahlen, die vom jeweiligen Fourierkoeffizienten ρhkl
der Streudichte abhängt:
1
ρ(r)eiG⋅r dr
ρhkl =
∫
VC
Einheitszelle
Das Integral erstreckt sich über die ganze Einheitszelle. Diese Gleichung ist die Umkehrung der Relation
ρ(r) = ∑ ρG eiG⋅r
G
wovon man sich durch Einsetzen leicht überzeugen kann. Röntgenstrahlen werden an der Elektronenverteilung der
Atome gestreut. Mit Ausnahme der leichten Elemente ist die Mehrheit der Elektronen eines Festkörpers (die KernElektronen) in einem kleinen Gebiet um den Atomkern konzentriert. Das Integral über die Streudichte kann somit in
Integrale über einzelne Atome aufgeteilt werden. Diese Integrale müssen dann mit den entsprechenden Phasen addiert
werden.
Der Einfachheit halber zerlegen wir den Vektor r in die
drei Vektoren rn , der die Position der n-ten Einheitszelle angibt, rα , der die Position jedes Atoms innerhalb der
Einheitselle angibt, sowie r′ , ein neuer Positionsvektor, der
weg zeigt vom Zentrum jedes Atoms.
Mit dieser Notation können die Fourier-Koeffizienten der
Streudichte wie folgt ausgedrückt werden:
ρhkl =
1
′ iG⋅r′ ′
i(Grα )
dr
∑e
∫ ρα (r )e
Vc α
Das Integral geht jetzt nur noch über das Volumen eines
einzelnen Atoms. Es beschreibt die Interferenz der shpärischen Wellen, die von verschiedenen Punkten innerhalb
des Atoms ausgehen. Dieses Integral nennt man den atoAbbildung 2.23: Veranschaulichung der Vektoren maren Streufaktor.
rn , rα , r′
Da die Streuintensität sphärisch symmetrisch um jedes Atom ist, kann das Integral durch die Einführung von sphärischen Polarkoordination weiter vereinfacht werden:
⃗ ′ = − ∫ ρα (r′ )eiGr
fα = ∫ ρα (r′ )eiG⋅r dr
′
′ cos θ
r′2 (dr′ )(d cos θ)dφ
Dabei ist θ der Polarwinkel zwischen G und r′ . Durch Integration über θ und φ findet man
fα = 4π ∫ ρα (r′ )r′2
sin(Gr′ ) ′
dr
Gr′
Wir bezeichnen den Winkel zwischen k und k0 als Streuwinkel 2θ (Vorwärtsstreuung deutet θ = 0). Dann erhält man
mit der Beziehung
G = 2k0 sin θ
Die Gleichung
fα = 4π ∫ ρα (r′ )r′2
sin [4πr′ (sin θ/λ)] ′
dr
4πr′ (sin θ/λ)
2.18
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.12. Der Struktur-Faktor
Dies bedeutet, dass der atomare Streufaktor eine Funktion f (sin θ/λ) ist, die für Vorwärtsstreuung ein Maximum hat.
Für θ = 0 ergibt sich
fα = 4π ∫ ρα (r′ )r′2 dr′
Dies ist identisch zum Integral der Streuintensität über ein atomares Volumen. Die Summation über α führt zum
sogenannten Strukturfaktor Shkl . Dieser beschreibt die Interferenz zwischen Wellen, die von verschiedenen Wellen
innerhalb der Einheitszelle gestreut werden:
Shkl = ∑ fα eiGhkl ⋅rα
α
Für primitive Gitter, die nur ein Atom pro Einheitszelle aufweisen, ergibt sich S = f . Andere Spezialfälle sind zentrierte Gitter. Wir können den Vektor ra in Einheiten des Basisvektors des Gitters ausdrücken:
rα = uα a1 + vα a2 + wα a3
Da rα in der Einheitszelle liegt, ist u, v, w < 1. Wir benutzen jetzt die Definition der reziproken Gittervektoren, damit
lässt sich der Strukturfaktor wie folgt schreiben:
Shkl = ∑ fα e−2πi(huα +kvα +lwα )
α
Als Beispiel betrachten wir das bcc-Gitter. Die beiden Atome in der Einheitszelle besetzen die Positionen r1 = (0, 0, 0)
und r2 = ( 21 , 21 , 12 ) . Beide haben denselben atomaren Streufaktor f . Für S ergibt sich damit:
Shkl = f (1 + e−iπ(h+k+l) ) = {
0
2f
für h+k+l ungerade
für h+k+l gerade
Die Gittersymmetrie führt daher zu systematischen Auslöschungen. Es gibt zum Beispiel keinen (100) Reflex. Die
(100) Ebenen bilden die Seitenflächen der Einheitszelle. Der Grund für die destruktive Interferenz ist die Anwesenheit
der zusätzlichen Zwischenschichten im Gitter, die durch die Atome auf der raumzentrierten Position besetzt sind. Eine
Voraussetzung für totale Auslöschung der entsprechenden Bragg-Reflexion ist die totale Gleichheit des Zentralatoms
und des Eckatoms. Es muss sich um ein echtes bcc Bravais-Gitter handeln. Die CsCl-Struktur liefert zum Beispiel
keine Auslöschungen, ausser für den Fall von CsI, wo die Elektronenzahlen von Cs+ und I− identisch sind.
Man kann leicht zeigen, dass die anderen zentrierten Gitter ebenfalls zu systematischen Auslöschungen führen.
Falls die totale Auslöschung, die durch das zentrierte Gitter erzeugt wird, nicht beobachtet wird, so sind doch die
Intensitäten der entsprechenden gestreuten Strahlen moduliert durch die Anwesenheit der zusätzlichen Atome in der
Einheitszelle. Diese Tatsache erlaubt es in gewissen Fällen, die Positionen sowie die Art der Atome in der Einheitszelle
zu bestimmen. Wichtig: Die Form und die Grösse der Einheitszelle kann durch die Positionen der Bragg-Reflexionen
bestimmt werden. Der physikalische “Inhalt” der Einheitszelle muss über die Intensität der Reflexionen untersucht
werden.
2.19
2.13. Methoden der Strukturanalyse
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.13
Methoden der Strukturanalyse
2.13.1
Verschiedene Strahlen: Elektronen, Photonen, Neutronen
Für Strukturuntersuchungen kann man Strahlen verschiedener Art einsetzen. Wir
haben gelernt, dass man für Beugungsexperimente Strahlen mit einer Wellenlänge
benutzt, die vergleichbar sein sollte mit den typischen Gitterperioden in Kristallen.
Für die verschiedenen Arten von Strahlung bedeutet dies sehr unterschiedliche
Energiebereiche:
Abbildung 2.24: Wellenlänge der
verschiedenen Strahlungsarten als
Funktion der Energie
TEILCHENART
ENERGIE
Elektronen
Neutronen, leichte Atome
Photonen
10 eV − 1 keV
10 meV − 1 eV
1 keV − 100 keV
Welche Teilchenart man bei einem speziellen Experiment für die Strukturanalyse benutzt, hängt von den Wirkungsquerschnitten für elastische und inelastische Streuung ab und natürlich von der Verfügbarkeit und Intensität der entsprechenden Quellen.
Für Elektronen mit einer Energie im Bereich 10 eV bis 1 keV ist die Wechselwirkung mit dem Material so stark, dass
nur 10 − 50 an festem Material vom Strahl durchdrungen werden können. Deswegen benutzt man Elektronen häufig
um Informationen über die Oberflächen von Festkörpern zu erhalten. Streuexperimente mit Atomen sind eine weitere
wichtige Methode um Oberflächen zu untersuchen.
Für den Fall der Photonen kann man abhängig von der Art der Strahlung und der zu untersuchenden Probe Materialdicken bis zu einigen mm durchstrahlen. Als Strahlungsquellen benutzt man normalerweise die charakteristische
Röntgenstrahlung von Festkörpern, die unter Elektronenbeschuss erfolgt (Röntgenröhren). Derartige Quellen produzieren ein kontinuierliches Bremsstrahlungs-Spektrum. Durch die Ionisierung der Atome fallen die Elektronen von
höheren Energiezuständen in die freien tieferliegenden Zustände und dadurch entsteht das Spektrum der charakteristischen Linien. Moderne Röntgenquellen sind sogenannte Elektronensynchrotrons. Elektronen werden in Kreisbahnen
auf relativistische Geschwindigkeiten beschleunigt und emittieren dann elektromagnetische Strahlung sehr hoher Intensität, nahezu 100% Polarisation und sehr guter Kollimation. Solche Synchrotronstrahlungsquellen gibt es an vielen
Orten der Welt, so z.b. “ESRF” in Grenoble, “BESSY” in Berlin und seit 2001 die “SLS” (Swiss Light Source)
am Paul Scherrer Institut in Villigen. Heutzutage werden die meisten Strukturuntersuchungen daher an SynchrotronLichtquellen durchgeführt, weil die Röntgenstrahlen dort sehr kontrolliert produziert werden kann.
Als alternative Strahlungsquelle bieten sich Neutronen an. Das Problem hierbei ist, dass intensive Strahlung eigentlich
nur aus Reaktoren gewonnen werden kann. Neuere Projekte gehen über sogenannte Spallationsquellen (z.B. ebenfalls
am Paul Scherrer Institut). Dabei werden hochenergetische Teilchen (z.B. Protonen) auf ein geeignetes Target geschossen, welchen dann seinerseits Neutronen emittiert. Es ist natürlich viel schwieriger Neutronen-Strahlen in einer
Optik zu fokussieren oder sie überhaupt zu detektieren.
2.20
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.13.2
2.13. Methoden der Strukturanalyse
Beugung von Röntgenstrahlen
Abbildung 2.25: Schematische Darstellung der Methode
des "rotierenden Kristalls"
Wir haben im Abschnitt über Streutheorie gesehen, dass
nur Strahlen unter bestimmten Winkeln mit bestimmten
Energien von einem Kristall gestreut werden. Experimentell wendet man verschiedene Prinzipien an, um die
Postition und Intensität von gestreuten Strahlen auszumessen.
Da das reziproke Gitter fest mit dem Gitter im direkten
Ortsraum verbunden ist, kann man einen Kristall bezüglich eines einfallenden Strahls drehen, bis die Beugungsbedingung erfüllt ist. Dann muss der Detektor an den
entsprechenden Ort gebracht werden, um die gebeugte
Strahlung nachzuweisen. Dies nennt man die Methode
des rotierenden Kristalls. Durch Ausmessen verschiedener Winkel kann man so die Kristallstruktur eines unbekannten Kristalls bestimmen.
Eine andere Methode ist die sogenannte Pulver-Methode
von Debye und Scherrer. Der einfallende Strahl wird dabei auf ein Pulver gelenkt, das aus vielen kleinen Einkristallen mit zufälliger Orientierung besteht. Damit ist
sicher gestellt, dass alle möglichen Strahl-Reflektionen
realisiert sind.
Im Sinne der Ewald-Konstruktion enthält man alle Reflexe, die sich auf einem Radius 2k0 um den Ursprung
des reziproken Gitters befinden. Mit der Pulver-Methode
kann man Gitterkonstanten auf 5 Grössenordnungen genau messen. Sie eignet sich daher zum Beispiel dafür,
die Änderungen der Gitterkonstante mit der Temperatur
oder für bestimmte Legierungen zu bestimmen.
Die einfachste Methode, um Beugung zu beobachten,
besteht darin, einen einfallenden Strahl zu benutzen, der
ein kontinuierliches Spektrum an Wellenlängen enthält.
Dafür bietet sich die Bremsstrahlung an. In diesem Fall
beobachtet man alle Reflektionen, deren Punkte im reAbbildung 2.26: Schematische Darstellung des Debye- ziproken Raum zwischen den beiden Ewald-Kugeln liegen, die den minimalen und maximalen Werten von k0
Scherrer Verfahren
der einfallenden Strahlung entsprechen.
2.13.3
Beugung von Elektronenstrahlen
Wir beschreiben hier ein Experiment, bei dem niederenergetische Elektronen (10 − 1000 eV) gebeugt werden (low
energy electron diffraction = LEED). In Festkörpern werden neiderenergetische Elektronen in den ersten paar Atomlagen absorbiert. Beugungsexperimente werden daher in einer Reflexionsgeomterie aufgeführt und enthalten Informationen über die obersten Lagen des Kristalls. Das erste Elektronen-Beugungsexperiment wurde von Davisson und
Germer 1927 durchgeführt, um den Wellencharakter der Elektronen zu demonstrieren. Weil LEED so empfindlich auf
Oberflächen ist, muss die zu untersuchende Oberfläche “atomar” sauber sein und die entsprechende Probe befindet
sich daher in einer Ultrahoch-Vakuum-Umgebung. Die starke Absorption der Elektronen bedeutet, dass bereits die
dritte Beugungsordnung für die konstruktive Interferenz zwischen Elektronen, die an den atomaren Ebenen parallel
2.21
2.13. Methoden der Strukturanalyse
Kapitel 2. Kristallstrukturen
zur Oberfläche gestreut werden unwichtig ist. Deshalb kann man Beugung bei allen Elektronenenergien beobachten.
Wegen der Absorption der Elektronen gilt die Friedel’sche Regel (Ihkl = Ih̄k̄l̄ ) nicht mehr und das Beugungsbild zeigt
die wirkliche Symmetrie des Kristalls und ist nicht mehr zwingend inversionssymmetrisch.
Abbildung 2.27: Schematische Darstellung eines LEED Experimentes zur Oberflächenuntersuchung eines Einkristalls
2.13.4
Beugung von Neutronenstrahlen
Die ersten Neutronen Streu-Experimente wurden bereits nach 1930 durchgeführt. Die notwendigen hohen Neutronenflüsse wurden jedoch erst mit den Kernreaktoren nach 1945 erhältlich. Die meisten derartig produzierten Neutronen
sind sogenannte thermische Neutronen (T = 400 K). Für diese Energie liegt die Wellenlänge der Neutronen gerade
im interessanten Bereich von einigen .
Neutronen-Streu-Experimente eignen sich besonders gut für die Untersuchung von Wasserstoff in Festkörpern (Elemente mit kleiner Kernladungszahl haben einen kleinen Wirkungsquerschnitt mit Röntgenstrahlung), für biologische
System, für magnetische Systeme (das Neutron hat keine Ladung und wird deswegen nicht von elektrischen Feldern
abgelenkt), sowie für die Untersuchung von Phasenübergängen.
Die Legierung FeCo kristallisiert normalerweise in der fcc-Struktur. Bei hohen Temperaturen sind die Fe und Co
Atome zufällig auf den Positionen des fcc-Gitters verteilt. Wird der Kristall abgekühlt, so entsteht eine geordnete
Phase, bei der die Ecken und die zentrierten Positionen in der kubischen Struktur von jeweils einer Atomsorte eingenommen werden. Es entsteht damit ein CsCl-Gitter.
Für ein fcc-Gitter haben wir gefunden, dass die ungeraden Reflexe (h+k+l) ungerade, (100),(111),(210) etc.) aus Symmetriegründen ausgelöscht werden. Dies ist in der Tat der Fall für die ungeordnete Phase der FeCo Legierung. Die
atomaren Streufaktoren für Co und Fe sind verschieden. Deswegen entsteht in der geordneten Phase plötzlich ein
(100)-Reflex. Diesen Effekt sollte man im Prinzip für jede Art von Streuexperiment beobachten können. Es stellt sich
jedoch heraus, dass die atomaren Streufaktoren für die Streuung von Röntgenquanten an Fe und Co sehr ähnlich sind.
Der Streuquerschnitt geht hauptsächlich über die Elektronenhülle, die für die beiden Materialen sehr ähnlich ist (Fe
und Co sind Nachbarn im Periodensystem). Bei Neutronen hingegen ist der atomare Streufaktor für Fe und Co um
einen Faktor 2.5 verschieden. Entsprechend sind die verbotenen Reflexe der fcc-Struktur für dieses Experiment in der
geordneten Phase deutlich sichtbar.
2.22
Kapitel 2. Kristallstrukturen
2.13. Methoden der Strukturanalyse
Abbildung 2.28: Intensitätsspektrum der verschiedenen Streuebenen gemessen mit Neutronenstreuung. In der geordneten FeCo Phase treten neue Peaks auf, die in der ungeordneten Phase aufgrund des Strukturfaktors
nicht vorhanden sind.
2.23
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