3. Eigenschaften normaler Galaxien 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 Credits: NASA, ESA, Hubble Heritage Team Helligkeitsprofile Größe Leuchtkraft Spektrale Energieverteilung Verschiedene Spektralbereiche Interstellares Medium Kinematik und Massen Spiralstruktur 3.7 Kinematik und Massen 3.7.1 Allgemeine Bemerkungen (A) Problemetik und Zielstellung 1. Die Analyse der Flächenhelligkeitsprofile (Sect. 3.1) legt nahe, dass E-Galaxien durch die stochastische Bewegung und Spiralgalaxien durch Rotation gegen den Gravitationskollaps gestützt werden. Kann das durch die Beobachtung bestätigt werden? 2. Wir wollen die Massen von Galaxien aus der internen Kinematik bestimmen. 3.7.1 Kinematik und Massen – Allgemeines vr (B) Geschwindigkeitsmessung Radialgeschwindigkeit vr aus Doppler-Effekt: v r /c = Δλ/ λ Transversalgeschwindigkeit vt aus Eigenbewegung μ (arcsec/yr) und Entfernung d: vt = d tan μ Aber: Für extragalaktische Objekte ist μ zu klein um (gegenwärtig) mit ausreichender Genauigkeit gemessen zu werden. Dennoch ist es möglich, begründete Schlussfolgerungen über die interne Kinematik der Galaxien zu gewinnen. d μ vt v 3.7.1 Kinematik und Massen – Allgemeines (a) Stochastische Bewegung Gegeben: System von Sternen, deren Bewegung durch eine isotrope, isotherme stochastische Komponente dominiert wird. 3.7 Jeder Stern emittiert Spektrum, das entsprechend der individuellen v r des Sterns Doppler-verschoben ist. Die Doppler-Verschiebung ist nicht von der Position des Sterns abhängig (isotherm). Das gesamte System bewegt sich mit der Systemgeschwindigkeit, die eine zusätzliche Dopplerverschiebung bewirkt. v sys > 0 3.7.2 Messung der internen Kinematik von Sternsystemen (a) Stochastische Bewegung Spektrum 3.7 v sys > 0 λ λ0 λ sys Jeder Stern emittiert ein Spektrum, Doppler-verschoben entsprechend seiner individuellen Radialgeschwindigkeit. SpektrographenEingangsspalt 3.7.2 Messung der internen Kinematik von Sternsystemen (a) Stochastische Bewegung Linienverbreiterung W line ∝ σ vr Spektrum 3.7 W line v sys > 0 λ λ0 λ sys Beobachtetes Spektrum = gewichtetes Mittel der Beiträge aller Sterne. Die Überlagerung der individuellen Dopplerverschiebungen ergibt Linienverbreiterung. SpektrographenEingangsspalt 3.7.2 Messung der internen Kinematik von Sternsystemen (b) Rotation Gegeben: eine nahezu von der Seite gesehene Sternscheibe, deren Kinematik durch Rotation dominiert wird. 3.7 vr < 0 Die Doppler-Verschiebung ist abhängig von der Position der Quelle im System. (Auf der einen Seite zum Beobachter hin, auf der anderen Seite vom Beobachter weg.) Das gesamte System bewegt sich mit der Systemgeschwindigkeit, die eine zusätzliche Dopplerverschiebung bewirkt. v sys > 0 vr > 0 3.7.2 Messung der internen Kinematik von Sternsystemen (b) Rotation Spektrum Δλ < 0 3.7 vr < 0 v sys > 0 λ Δλ> 0 λ0 λ sys vr > 0 Spektrallinien systematisch Dopplerverschoben: zu kürzeren Wellenlängen auf der einen Seite und zu längeren auf der anderen. SpektrographenEingangsspalt 3.7.2 Messung der internen Kinematik von Sternsystemen Schlussfolgerungen für Messung der internen Kinematik von Galaxien ● ● ● Die Beobachtungsdaten basieren vollständig auf Radialgeschwindigkeiten aus dem Doppler-Effekt. Doppler-Verschiebungen können am genauesten an scharfen Linien gemessen werden, das sind die Emissionslinien des interstellaren Gases (z.B. Hα von HII-Regionen, 21-cm-Linie des neutralen Wasserstoffs HI Stellare Absorptionslinien sind gewöhnlich weniger scharf (Überblendungen verschiedener Linien). Deren Doppler-Verschiebungen sind weniger akkurat. 3.7.3 Messung der Rotationskurven (RK) vrot (R) Langspalt-Spektroskopie (a) schematisch Eingangsspalt des Spektrographen auf große Achse der Galaxie positionieren. ● Tellurische Linien α('') Δλ vsys λ - λ sys Jede HII-Region auf dem Spalt erzeugt Doppler-verschobene Linien ● In Spaltrichtung wird der Zentrumsabstand gemessen., ● … in Dispersionsrichtung des Spektrums die DopplerVerschiebung, somit v r* ● … daraus nach Neigungskorrektur vrot ● Δλ (b) reale Situation Bild Spektrum Ergebnis v rot R λ 3.7.3 Messung der Rotationskurven (RK) vrot (R) Beispiele für gemessene Rotationskurven von Spiralgalaxien Abb: RK für Sb- (links) und Sc- (rechts) Galaxien (Rubin et al., 1980...1985). Max.werte ~ 500 km/s. 3.6.3 3.7.4 Interne Kinematik - Ergebnisse (A) Scheiben von S-Galaxien 1. Rotation dominiert gegenüber stochastischer Bewegung Struktur einer typischen RK Starre Rotation Differentielle Rotation (Ω = v/R ∝ 1/R) v max >> σv 2. v ≈ vmax ≈ const für R ≳ R S 3. Für festen Hubble-Typ gilt v max ∝ L 1/4 (Tully-Fisher-Relation) 4. Für feste Leuchtkraft gilt: vmax nimmt zu von Sc nach Sa (verständlich, da Verhältnis Bulge/Scheibe zunimmt) vrot vmax Rs ≈ 5 kpc ~ R 25 R Bemerkung: Die Wellenstruktur ist mit dem Spiralmuster korreliert. 3.6.5 3.7.4 Interne Kinematik - Ergebnisse (B) Bulges und Elliptische 1. Stochastische Komponente der Bewegung dominiert. Kann denn dann die Abflachung eine Folge von Rotation sein? 2. σ v ∝ L1/4 (Faber-Jackson-Relation) 3.7.4 Interne Kinematik - Ergebnisse 3.6.5 (B) Bulges und Elliptische Frage: Resultiert Elliptizität ε aus Rotation? ε = 1 - b/a Versionen von Rotationsellipsoiden Modell IO: isotrop., oblate (a =b > c) c a b Modellierung: (Eierkuchen) Sternsystem mit Rotation und isotroper (I) stochastischer Bewegung Modell IP: isotrop., prolate (a > b=c) Rotation erzeugt Elliptizität mit ( v rot σv 2 )iso ≈ a-b ε = 1-ε b b c a (Zigarre) 3.6.5 3.7.4 Interne Kinematik - Ergebnisse (B) Bulges und Elliptische Frage: Resultiert Elliptizität aus Rotation? vrot σ Modellvorhesage vs. Beobachtung 1.2 1. dE, Bulges konsistent mit IO-Modell können rotationsgestützt sein 1.0 2. Disky E consistent mit IO-model können rotationsgestützt sein 3. Reine E und boxy E weder mit IO noch mit IP konsistent Stabilität und Form durch stochastische Komponente Dann ist aber eine triaxiale Struktur als Allgemeinfall nahegelegt ( a >b>c ). Davis et al. (1983) Giant E Dwarf E Bulges 0.8 IO 0.6 IP 0.4 0.2 0.1 0.2 0.3 ε 0.4 0.5 3.7.4 Interne Kinematik - Ergebnisse Zusammenfassung Ellipsoide Scheiben Stochast. Bewegung dominiert (dynamisch heiß) Geordnete Bewegung dominiert (dynamisch kalt) nicht rotationsgestützt wenig störanfällig wenig lokale Struktur rotationsgestützt störanfällig viel lokale Struktur Faber-Jackson-Relation Tully-Fisher-Relation 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L (A) Allgemein: Was bestimmt die (visuelle) Erscheinung einer Galaxie? Räumliche Verteilung der Sterne Gravitationspotenzial Φ´ (r, θ, φ) Gravitationspotenzial Φ (r, θ, φ) Räumliche Bewegung der Sterne Im stationären System mit Φ = Φ´ („selbst-gravitierendes“ System), ist die interne Kinematik durch das Gravitationspotenzial bestimmt. Das Gravitationspotenzial, d.h. die Massenverteilung, kann aus der Untersuchung der Kinematik ermittelt werden. 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L 3.6.7 (B) Modellierung der Massenverteilung in einer Galaxie - angenommene Dichteverteilung ρ( r ) nein - Poisson-Gleichung (Dichte Potenzial) - Bewegungsgleichungen: Virial-Gleichgewicht? (Potenzial Dynamik) ja Virialteorem: Zusammenhang zwischen mittlerer kinetischer Energie und potenzieller Energie für ein stabiles Teilchensystem, das durch Potenzialkräfte gebunden ist: | E pot | = 2 E kin ok 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L 3.6.8 (C) Deutung der flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien Punktmasse m im Zentralkraftfeld der Masse M R MR m G R2 vrot ∝ 2 m vrot = R √ MR R Für Scheibe mit Skalenlänge R s und M/L = const : MR ∝ R ∫ e -R'/Rs R' dR' ∝ [1-(x ' +1) e -x ' ] 0 ∝ 1-(x+1) e -x ∝ ∫ e -x' x ' dx ' x mit x = R / R s 0 x 0 Bei großem R sollte sich RK asymptotisch der Kepler-Rotation nähert, d.h. v ∝ 1/√R vrot ∝ vrot ∝ √ √ 1 x 1 x (x+1) e -x x für x ≫ 1 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L 3.6.8 (C) Deutung der flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien Zusätzliche zentrale Komponente bei x < 1 (normiert) nur Scheibe Normierter Zentrumsabstand R/ RS Kreisbahngeschwindigkeit (normiert) eingeschlossene Masse (normiert) Erwartete Verhältnisse für rotierende Sternscheibe mit M/L = const. Zusätzliche zentrale Komponente bei x < 1 Kepler-Rotation (normiert) nur Scheibe Normierter Zentrumsabstand R/ R S 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L 3.6.8 (C) Deutung der flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien vrot Beobachtung: flache RK vmax Erwartung (M/L = const.) ~5 kpc R ~ R 25 Eine von beiden Annahmen muss fallen gelassen werden: 1. Newtonsche Dynamik bzw. Gravitationstheorie 2. Annahme M/L = const 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L 3.6.8 (C) Deutung der flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien 1. Newtonsche Dynamik bzw. Gravitationstheorie modifizieren * 1.1 Modified Newtonian Dynamics (MOND) 1.2 Alternative Gravitationstheorien (STVG, RGGR, ...) (*) Allgemein-relativistische Korrekturen sind irrelevant da Φ << c 2 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L 3.6.8 (C) Deutung der flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien 1.1 Modified Newtonian Dynamics (MOND) Ansatz: Bei kleiner Beschleunigung a ist Newton II zu modifizieren Newton II: FN = m a μ MOND Newtonsche Dynamik 1 MOND: FM = m a μ(a/a 0 ) Für a < a 0 ist μ∝a FM ∝ FN2 0 a 0≈ 10 -10 m s -2 Abb.: Von MOND vorgeschlagene Korrektur μ(a). Nachweis mit LISA ? a 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L 3.6.8 (C) Deutung der flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien 1.2 Alternative Gravitationstheorie: z.B. RGGR (renormalization group corrections to General Relativity) Phänomen eines nicht-konstanten gravitativen Kopplungsparameters im Rahmen von Ansätzen zur Quanten-Gravitation ➔ ➔ Gravitationskonstante variiert über Größenskala von Galaxien (δG/G ~ 10 -7 pro 100 kpc *) Korrekturen der Rotationsgeschwindigkeit im Vergleich zu Newtonscher Dynamik: 2 2 c 2 ( ) 1 γ v RGGR≈ vNewt Φ Newt mit γ ~ 10 -7 über die Ausdehnung einer Galaxie! (*) Variation im Sonnensystem um Faktor 10 -17 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L (C) Deutung der flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien 2. Mit zunehmendem R zunehmend mehr nichtleuchtende Materie Beobachtung Radiales Helligkeitsprofil Vor Messung der äußeren Rotationskurven Nach Messung der äußeren Rotationskurven Schlussfolgerung Kreisbahngeschwindigkeit Vermutung Messung Eingeschlossene Masse M/L 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L (C) Deutung der flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien Alle drei Hypothesen liefern gute Anpassungen an gemessene Rotationskurven DM NGC 2403 Credits: Subaru -Telescope Beobachtung Bester Fit Residuen Sterne Bulge bzw. Scheibe Gas Sterne+Gas (Newton) Credit: Rodrigues, Letelier, Shapiro (2011) arXiv:1102.2188 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L (D) Elliptische Galaxien ● Direkte Messungen der Sterngeschwindigkeiten bei großem R ist schwierig. * Die Röntgen-Halos dehnen sich zu großem R aus. Falls dieses Gas stationär gebunden ist, wird der Gasdruck durch den Gravitationsdruck ausgeglichen. ● Hydostatisches GG: Ideales Gas: dP G Mr(R) ρ(R) = dR R2 ρ(R) P(R) = m p μ k T(R) μ : mittl. Molekülmasse m : mittl. Teilchenmasse mp : Protonenmasse mit μ = m / mp d ln ρ d ln T kTR Mr (R) = - G m μ d ln R + d ln R p Ergebnis: Masse größer als aus Leuchtkraft erwartet (*) Erinnerung: stellare Absorptionslinien sind unsicher für die Messung von DopplerVerschiebungen Sect. 3.7.2) Aus Röntgenbeobachtungen 3.7.5 Massen und Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse M/L 3.6.10 Typische Masse-Leuchtkraft-Verhältnisse Type M/L (M⊙ /L ⊙) E (giants) E (dwarfs) ~10...50 (?) ...1000 ** Sa Sb ~50 Sc Irr ~5 Typische Sternpopulation (z.B. Sonnenumgebung): M/L ≈ 3 (*) gemessen am äußersten Punkt der RK (**) sphäroidale Zwerggalaxien (z.B., Segue-1) 3.7.6 Dunkle-Materie-Halos Schlussfolgerungen aus der Kinematik: ● ➔ ➔ ➔ Masse-Leuchtkraft-Verhältnis M/L nimmt mit zunehmendem Zentrumsabstand R sukzessive zu. Das bedeutet offenbar, dass die Materie mit zunehmendem R mehr und mehr durch eine nicht-leuchtende Komponente dominiert wird = Dunkle Materie (DM *) Auf großen Skalen sind Galaxien DM-dominiert. Mit Bezug auf die Masse, werden Galaxien adäquat als „DM-Halos“ beschrieben. There is more to the picture than meets the eye... * (*) Der Name „Dunkle Materie“ assoziert so etwas wie Dunkelwolken (Gas-Staub-Wolken). Das ist aber aber eine grundfalsche Assoziation. Eine genauere Bezeichnung wäre eigentlich „transparente Mateie“, weil ihre Haupteigenschaft ist, nicht mit Photonen zu wechselwirken. (**) … rock'n roll can never die … (Neil Young) 3.7.6 Dunkle-Materie-Halos z.B. Rodrigues, Letelier, Shapiro (2011): * „Currently there is a large body of data coming from cosmological and astrophysical observations that is mostly consistent with the existence of dark matter... ... These lead to the cold dark matter framework, which is one of the pillars of the current standard cosmological model... ... It is not only tempting, but mandatory to check if such dark matter exists and also to check if the gravitational effects that lead to the dark matter hypothesis could follow from a more detailed and complete approach to gravity.“ * arXiv:1102.2188 3.6.14 3.7.6 Dunkle-Materie-Halos Sind DM-Halos sphäroidal oder flach? Kinematik von (pekuliaren) Polar-Ring-Galaxien Ring Scheibe Ring Glatter Übergang der RK von Scheibe zum Ring Sphäroidaler DM-Halo 3.7.6 Dunkle-Materie-Halos Masseverteilung im DM-Halo aus konstanter RK folgt Für sphärischen Halo gilt somit MR ∝ R dM R /dR = const dM R = ρ 4π R 2dR ρ ∝ 1/R 2 … was aber eine Singularität bei R = 0 bedeuten würde. Modifizierter singularitätsfreier Ansatz (NFW-Profil *): ρ = const. R/a (1 + R/a) 2 * NFW: nach Julio Navarro, Carlos Frank & Simon White 3.7.6 Dunkle-Materie-Halos Masseverteilung im DM-Halo Numerische Modelle Eigenschaften des NFW-Profils: - Dichteprofil im Innerbereich relativ steil (cusp) - Gesamtmasse divergent, keine äußere Grenze empirisch - als Grenzradius wird häufig R vir (Virialradius) oder R200 (Radius, innerhalb dessen die mittere Dichte ρ > 200 ρcrit ) verwendet Quelle: Paolo Gondolo, 2003, astro-ph/0403064 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? d n i s n he n c e a s S s i w ge n r e i M w „Eine ar, aber wir sie b t l h i e c i w s n , u e “ h . c n l e n e n w ö t k h c n ni e h e s t h c i n ja 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? Die Hypothese der Existenz von DM ist nicht so exotisch, wie sie zunächst erscheinen mag - Schwer (direkt) nachweisbare Objekte sind in Astrophysik nicht unbekannt: siehe zB. Neutrinos, Braune Zwerge, Schwarze Löcher. - Warum sollten wir davon ausgehen dürfen, dass alle existierende Materie mit Photonen wechselwirkt? - Hochenergiephysik sagt Existenz von weiteren Teilchen voraus, die nur schwach mit Photonen wechselwirken. 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? 3.6.15 1. Woraus DM-Halos mit Sicherheit nicht bestehen: - normale Sternpopulation (M/L ≲ 5) - neutrales HI-Gas (21-cm-Linie), ionisiertes Gas (Em.linien), Staub 2. Woraus DM-Halos wahrscheinlich nicht bestehen: - massereiche Schwarze Löcher - Neutronensterne, stellare Schwarze Löcher - Kometen, Asteroiden, Astronauten, … * 3. Woraus DM-Halos bestehen könnten: - MACHOs (Massive Astrophysical Compact Halo Objects) = z.B. substellare Objekte (Braune Zwerge) - noch unbekannte Art von Elementarteilchen (*) alles, was aus schweren chemischen Elements besteht, die ja in Sternen erzeugt wurden!) 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS 3.6.16 Nachweis mittels Gravitationslinseneffekt (GLE) Entfernter Stern - Das Gravitationsfeld eines MACHO wirkt auf eine Hintergrundquelle wie eine Linse. - Die Gravitationslinse modifiziert das Bild der Quelle. - Die Bildstörung hängt vom projizierten Abstand zwischen Quelle und Linse ab... - …und ändert sich deshalb mit der Zeit, wenn sich die Linse bewegt. DS HaloMACHO DD Beobachter EXKURS Gravitationslinsen-Effekt (GLE) 5.1.24 Sonne am Himmel Allgemeine Relativitätstheorie (ART) Sternposition Effekt der Gravitation durch Krümmung der Raumzeit beschrieben (*) hts ic rnl Ste es hts … mathematisch: Feldgleichungen der ART (**) Lösungen der Feldgleichungen Metrik d.h. Vorschrift, wie Abstand ds zwischen zwei Punkten der Raumzeit als Funktion der Koordinaten zu messen ist (mit ds = 0 für Licht) Sonne es Ste rnl ic Die Raumkrümmung bestimmt die Bewegung der Materie. d eg W ➢ Die Raumkrümmung wird durch die räumliche Masseverteilung bestimmt (+ Energie und Impuls). W eg d ➢ Beobachtete Sternposition Beobachter Abb.: Raumkrümmung durch die Masse der Sonne (*) Ein Teilchen im Gravitationspotenzial bewegt sich auf einer „geraden“ Bahn in gekrümmter Raumzeit, was so erscheint wie die Bewegung unter dem Einfluss einer Kraft in „flacher“ Raumzeit.. (**) System von 10 nicht-linearen partiellen Differentialgleichungen (Einstein, 1915) EXKURS Gravitationslinsen-Effekt (GLE) 5.1.24 Erster empirischer Nachweis der Lichtablenkung Sonnenfinsternis 1919 Quelle (Stern) Ds Beobachter Sternfeld bei Nacht (ohne Sonne im Vordergrund) Gravitationslinsen-Effekt (GLE) 5.1.24 EXKURS Erster empirischer Nachweis der Lichtablenkung Sonnenfinsternis 1919 Voraussage der ART: ^ am Sonnenrand Ablenkwinkel α ^α(R ) = 1.74'' für Punktquelle ⊙ Ds Quelle (Stern) ^ α Linse (Sonne) Dd Beobachter Gleiches Sternfeld bei Tage mit (verfinsterter) Sonne im Vordergrund EXKURS Gravitationslinsen-Effekt (GLE) 5.1.24 Erster empirischer Nachweis der Lichtablenkung Sonnenfinsternis 1919 Voraussage der ART: ^ am Sonnenrand Ablenkwinkel α ^α(R ) = 1.74'' für Punktquelle (*) ⊙ Telegramm von H. A. Lorentz an A. Einstein vom 22.9.1919: „eddington fand sternverschiebung am sonnenrand vorlaeufige groesse zwischen neun zehntel sekunde und doppeltem Lorentz“ (*) Wert heute mit ~0,1% Genauigkeit bestätigt EXKURS 3.6.17 Gravitationslinsen-Effekt (GLE) 5.1.24 Bildstörung durch Gravitationslinse Abb.: - Lichtquelle im Hintergrund (farbig) bewegt sich relativ zu einem unsichtbaren Massenpunkt, der als Gravitationslinse wirkt. - Ab einem kritischen Abstand bewirkt die Linse eine zunehmend stärkere Deformation des Bilds der Quelle. - Die Bildveränderung ist streng zeitsymmetrisch. Zeit t Credits: J. Wambsganß Bewegungsrichtung der Linse relativ zur Quelle EXKURS 3.6.17 Gravitationslinsen-Effekt (GLE) 5.1.24 Einstein-Ring Zeit t Credits: J. Wambsganß Spezialfall: Punktquelle, Punktlinse und Beobachter auf einer Linie Lichtablenkung ringförmig * Einstein-Ring: BM Ro = 4 GML c2 DS D SL DS D L M L : Masse der Linse (*) tritt praktisch nicht auf, da Quelle und Linse nicht punktförmig sind, aber näherungsweise D SL DL 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS Suche nach Halo-MACHOs Large Magellanic Cloud (LMC) Vorschlag * Halo-MACHOs mit Massen 10 -7 ... 10 2 M⊙ mittels GLE nachweisbar an Sternen der Großen Magellanschen Wolke (LMC) DM-Halo (MACHOs) Sonne (*) B. Paczynsky (1986) 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS Abschätzung des Einstein-Radius Quelle = Stern in LMC D S = 53 kpc, Linse = MACHO im Galakt. Halo D L = 10 kpc G M⊙c -2 ≈ 1.5 km ≈ 5 10 -17 kpc Ro ≈ 10 -3 M L / M ⊙ arcsec („Mikrogravitationslinse“) viel zu klein für empirischen Nachweis! DS D SL DL 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS Der Einstein-Radius ist viel zu klein, um direkt gemessen werden zu können. Bildstörung durch Mikro-Gravitationslinse kann nicht direkt beobachtet werden! Aber: Die Bildstörung durch den GLE wird durch die Raumkrümmung bewirkt. Der Raumwinkel, aus dem der Beobachter Photonen empfängt, wird größer, je näher sich Quelle und Linse kommen (in der Projektion)... … was eine zeitabhängige scheinbare Lichtverstärkung der Quelle zur Folge hat. Quelle erscheint zunehmend heller Lichtverstärkung μ 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS 3.6.18 Lichtverstärkung μ r abhängig vom relativen projizierten Abstand u zwischen Linse und Quelle u = u (t) = r (t) / R o μ(t) = u 2+ 2 Ro (für u > 0) u u2 + 4 u = 1 (d.h. r = R o ) μ = μ lim= 1.34 = Schwelle für Detektion (per Def.) Eigenschaften von GLE-Lichtkurven für Punktquellen und Punktlinsen: - streng symmetrisch - streng achromatisch Verstärkung Δm (mag) -2 u -1 0 u min = Zeit 1 min = 0.2 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS 3.6.19 Charakteristische Zeitskalen Zeitdauer eines Ereignisses: Δt ≤ 2 Ro vtrans Wenn v trans gegeben, kann Ro aus Δt abgeschätzt werden MACHO-Masse MM bestimmbar Beispiel: Linse = MACHO im stellaren Halo des MSS (v trans = 200 km/s) Quelle = Stern in LMC -7 Δt = 0.2 ⊙ MM / M⊙ Jahre 30 min für M M /M⊙ = 10 2 Jahre für M M /M⊙ = 10 2 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS 3.6.19 Wahrscheinlichkeit von GL-Ereignissen Wahrscheinlichkeit p für Verstärkung eines beliebigen LMC-Sterns p = Gesamtfläche aller Einstein-Scheiben vor der LMC Gesamtfläche der LMC Ergebnis: Bei 10 6 Sternen Im Mittel findet zu jedem Zeitpunkt ein Verstärkungs-Ereignis statt ! = 10 -6 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS 3.6.19 Projekte der MACHO-Suche * • MACHO 0.7 Quadratgrad LMC mit CCD • EROS 0.4 Quadratgrad LMC mit CCD und 25 Quadratgrad LMC photographisch • OGLE 0.25 Quadratgrad in Richtung galaktisches Zentrum mit CCD und SMC mit CCD (*) seit etwa 1990 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS Beispiele (*) GL-Ereignisse in Richtung SMC aus OGLE III 1.3-m-Warschau-Teleskop @ Las Campanas Observatory, Chile (2001-2009) Credits: Wyrzykowski et al. 2011, MNRAS 416, 2949 (*) längstes, hellstes und am besten beobachtetes GL-Ereignis in Richtung Magellansche Wolken , Linse: ~10 M⊙ -Doppelstern aus zwei Schwarzen Löchern im Halo des MSS 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS 3.6.20 Ergebnisse • Mikro-GL-Effekt beobachtet !!! • In Richtung MCs weniger Ereignisse (~ 20) als erwartet • In Richtung GC mehr als erwartet ( zentraler Balken) • Raumdichte von MACHOs: Max. 20% der DM in MACHOs Unklarheiten ● Self-lensing ? ● „klumpige“ Verteilung? ● Halo-Modell 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS 3.6.19 Anmerkung 1: Lichtkurven von Doppel-Linsen Abweichungen von „Standardform“ wenn Linse = Doppelstern OGLE-2007-BLG-472 Daten mit Fit durch Binärlinsenmodell (Kains et al. 2009) 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS 3.6.20 Anmerkung 2: Gravitationslinseneffekt, allgemein Zum Beispiel Hubble Ultra Deep Field Beobachter ... zu erwarten, dass Gravitationslinseneffekt in der Extragalaktik eine wichtige Rolle spielt ...(siehe später) 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (A) MACHOS 3.6.20 Anmerkung 3: Höhere Linsendichte, entfernte Quellen Microlensing einer entfernten Quelle durch Sternfeld einer entfernten Galaxie: Beobachter Quelle: Wambsganß (1998) Bei hoher optischer Linsendichte: Wirkungen überlagern sich komplexes Verstärkungsmuster (Kaustik) komplexe Lichtkurven Abb.: Verstärkungsmuster („Kaustik“) Abb.: Lichtkurven („caustic crossing“) projiziert in die Quellenebene 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? 3.6.21 Was spricht für Elementarteilchen? • Mikro-GL-Suche makroskopische DM (baryonisch) wahrscheinlich auszuschließen • Modellierung der Entstehung großräumiger Strukturen erfordert nicht-baryonische DM-Halos ( später) • Beobachtete Strukturen im Mikrowellenhintergrund erfordern Dominanz nicht-baryonischer Materie ( später) • Primordiale Synthese der leichten Atomkerne (D, L, He) erfordert Dominanz nicht-baryonischer Materie ( Kosmologie) • Teilchenphysik: SUSY-Teilchen, z.B. Neutralino (M = 10 ... 1000 GeV) • Kosmologie: Teilchenerzeugung im frühen Universum ( Kosmologie) 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? 3.6.21 DM-Kandidaten in Form von Elementarteilchen * • Kalte Dunkle Materie (CDM) bisher noch unbeobachtete Elementarteilchen (WIMPS = weakly interacting dark matter) • Heiße Dunkle Materie (HDM) insbesondere Neutrinos, aber problematisch ( großräumige kosmische Struktur) • Anapole Majorana-Fermionen (Scherrer & Ho 2013) (Anapole Teilchen besitzen ein toroidales Feld. Konsequenz: elektrisches Feld ist außen nicht bemerkbar.) • Axionen hypothetisches Teilchen zur Erklärung des Neutrons (*) Quelle: Wikipedia „Dunkle Materie“ 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (B) WIMPS 3.6.21 Methoden des experimentellen Nachweises von WIMPs • Direkt: kryogene Halbleiter-Detektoren messen Ladung, Temperatur infolge Einschlag eines WIMPs • Indirekt: Cerenkov-Detektoren messen Neutrinos aus Anihilation von WIMPs Probleme hohe Flussdichten, aber geringe WW mit Detektor erwartete Ereignisrate sehr gering (< 1 pro kg und Tag) große Detektoren (Massen), gute Abschirmung gegen Hintergrund Eventuell hilfreich: - halbjährliche Modulation der Ereignisrate infolge Bewegung Erde um Sonne (Änderung der Richtung relativ zu galaktischem Hintergrund) - gravitativer Einfang von WIMPs (Erd-, Sonnenzentrum,...) Direkte Methode - Beispiel Tunnel in franz. Alpen 30 kg Ge bei T = 0.01 K 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (B) WIMPS 3.6.25 Indirekte Methode - Beispiel Amanda • Neutrino kollidiert mit O-Kern im Eis Myon („Lebensdauer“ ~ 1 km) • Nachweis über Cerenkov-Strahlung mittels optischer Module (OM) • Myon behält Richtung des Neutrinos • Richtung des Neutrinos folgt aus Zeit und Ort, wo OMs Cerenkov-Strahlung registrieren 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (B) WIMPS 3.6.26 Indirekte Methode - Beispiel IceCube • 4800 Sensoren in 1 km 3 im Eis der Antarktis • Messung seit 2010 • Erster Nachweis von zwei (!) nichtterrestrischen Neutrinos 2013 • Weltweit größter Neutrino-Detektor • 30 mal größer und damit viel empfindlicher als AMANDA • (AMANDA 2009 abgeschaltet und in IceCube integriert) 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (B) WIMPS Neutralino annihilations Gravitativer Einfang von Neutralinos Sun in Sun → neutrinos Annihilation von Neutralinos im Sonnenzentrum erzeugt μ-Neutrinos Earth σ scatt μ qq ® ll ® L ® μ ± W , Z, H Detector μ 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (B) WIMPS Liste weiterer Experimente (direkte Methode) • DAMA (Dark Matter) 100 kg Thallium-dotiertes Natriumjodid (Gran Sasso Tunnel, Italien) • CDMS II (Cryogenic Dark Matter Search) tiefgekühlte Si- bzw. Ge-Detektoren (Soudan-Stollen, Minnesota, USA) • CRESST (Cryogenic Rare Events Search with Superconducting Thermometers) Kalziumwolframat-Detekt. (Gran Sasso Tunnel, Italien) • Xenon 10 Detektoren aus je 100 kg Xenon (Gran Sasso Tunnel, Italien) • HDMS (Heidelberg Dark Matter Search) tiefgekühlte Ge-Detektoren • SIMPLE, CoGeNT, Zeplin I, II, III, DEAP, COUPP, ... 3.7.7 Woraus besteht die Dunkle Materie? (B) WIMPS 3.6.21 Ergebnisse - Große Anzahl unterschiedlicher Suchprojekte - Empfindlichkeit zunehmend verbessert - Teils widerprüchliche Resultate - Bisher kein eindeutiger Nachweis Marc Schumann (Dark Matter Conference 2013): „We conclude that as of summer 2013, the nature of the dark matter particles remains a mystery and that search for dark matter is still going on...“ Kurven: Detektionsgrenzen (everything above the curves is excluded) Grau schattiert: Vorhersage der Theorie Quelle: Marc Schumann, arXiv:1310.5217v2 [astro-ph.CO] 3.6.27 Das Thema „Dunkle Materie“ kommt wieder....