Zum zukünftigen Klima der Alpen und der Schweiz 233 4.4.6. Fazit Bestandesaufnahme von Szenarien für den Alpenraum Für den Alpenraum existiert mittlerweile eine Vielzahl von Klimaszenarien, die mittels aller gängiger Regionalisierungsmethoden berechnet wurden. Etliche dieser Szenarien beruhen auf zeitabhängigen Simulationen mit gekoppelten, atmosphärisch-ozeanischen globalen Klimamodellen. Einige der Szenarien berücksichtigen auch den kühlenden Effekt der Sulfataerosole. Trotz der in den letzten Jahren erzielten Fortschritte sind noch erhebliche Lücken in unserem Wissensstand festzustellen: So basieren alle heute verfügbaren Szenarien auf Simulationen mit lediglich sechs verschiedenen globalen Modellen. Der Grossteil dieser Simulationen wurde vor drei oder mehr Jahren durchgeführt. Die Szenarien widerspiegeln zudem nur ein sehr beschränktes Spektrum an Annahmen über das zukünftige Forcing durch Treibhausgase. Das direkte Forcing durch Sulfataerosole wurde nur in einer einzigen, das indirekte Sulfataerosol-Forcing in keiner der verwendeten globalen Simulationen berücksichtigt. Ferner wurden alle verfügbaren Szenarien nur für isolierte zukünftige Zeitfenster berechnet, so dass keine genaueren Angaben zur möglichen zeitlichen Entwicklung der Klimaveränderung in den Alpen vorliegen. Schliesslich sind bisher noch kaum Szenarien zu möglichen Veränderungen der natürlichen Klimavariabilität, zu möglichen raschen Wechseln zwischen verschiedenen globalen Klimazuständen oder zu extremen Wetterereignissen erarbeitet worden. Die vorliegenden Resultate dürften somit die tatsächlich vorhandenen Unsicherheiten bei der Abschätzung des zukünftigen Klimas der Alpen eher unter- als überschätzen. Um die vielen vorliegenden Informationen aus den bisher durchgeführten sowie ständig neu hinzukommenden globalen Simulationen optimal zu nutzen, sind noch weitere Szenarien für den Alpenraum zu berechnen und zu analysieren. Klimatische Sensitivität des Alpenraums Die von uns untersuchten Szenarien lassen für den Alpenraum in den nächsten Jahrzehnten eine generelle Erwärmung und im Jahresmittel eher feuchtere Verhältnisse erwarten. Die errechneten Veränderungen waren für die saisonalen Temperaturen in allen Fällen, für die saisonalen Niederschlagssummen hingegen nicht immer statistisch signifikant. Es gibt jedoch Hinweise, dass selbst relativ kleine, statistisch nur schwer feststellbare Verände- 234 Zum zukünftigen Klima der Alpen und der Schweiz rungen des langjährig mittleren Niederschlags je nach Jahreszeit mit grösseren Zu- oder Abnahmen in den Häufigkeiten von Starkniederschlägen einhergehen dürften. Gemäss unserer Analyse könnte der globale Temperaturanstieg im Mittel über den gesamten Alpenraum in allen Jahreszeiten verstärkt werden. Für das schweizerische Gebiet deuten die Szenarien hingegen auf eine generelle Abschwächung des globalen Signals hin. Die Gründe für diese Unterschiede sind nicht bekannt. Möglicherweise spielt die Wahl der Regionalisierungsmethode eine entscheidende Rolle (positive Rückkopplungs- bei den dynamischen versus Mittelungseffekte bei den statistischen Regionalisierungsverfahren). Die Erwärmung könnte im Winter und im Frühling mit der Höhe zunehmen und auf der schweizerischen Alpennordseite stärker als auf der Alpensüdseite ausfallen. Für den Niederschlag wurden in den Szenarien je nach Annahmen zum Teil komplett entgegengesetzte Veränderungen berechnet. Es liessen sich jedoch die folgenden Tendenzen feststellen: Im Winter ist für den gesamten Alpenraum und für die Schweiz eher mit einer Zunahme des Niederschlags zu rechnen. Ferner könnte der Niederschlag auf der schweizerischen Alpennordseite im Herbst und auf der Alpensüdseite in allen Jahreszeiten zunehmen. Probleme Die erhaltenen Veränderungen sind in Anbetracht der vielen jeweils getroffenen Annahmen, der systematischen Fehler der globalen Klimamodelle sowie der zahlreichen bei der Klimaregionalisierung auftretenden Probleme vorsichtig zu beurteilen. Die Wahl des Regionalisierungsverfahrens hatte in einzelnen Fällen einen ähnlich grossen Effekt auf die resultierenden Szenarien wie die Wahl des Forcing-Szenarios, des zukünftigen Zeitpunktes, oder des globalen Klimamodells. In den zwei untersuchten Simulationen mit und ohne Sulfataerosol-Forcing liessen sich die unter dem Sulfataerosol-Forcing erhaltenen regionalen Veränderungen nicht durch eine einfache Umskalierung der unter dem NurTreibhausgas-Forcing berechneten Resultate voraussagen. Da die meisten bis heute verfügbaren Szenarien lediglich die möglichen Auswirkungen eines Nur-Treibhausgas-Forcings berücksichtigen, ist nicht auszuschliessen, dass nach der Auswertung von weiteren, neueren globalen Simulationen die in der vorliegenden Arbeit gefundenen Tendenzen revidiert werden müssen. Zum zukünftigen Klima der Alpen und der Schweiz 235 Das Verständnis und der Vergleich der verschiedenen Szenarien wurden durch methodische Probleme stark erschwert. Ein systematischer Vergleich der verschiedenen Regionalisierungsverfahren könnte dazu beitragen, die Spannbreiten der unter einem bestimmten Forcing-Szenario zu erwartenden Veränderungen besser einzugrenzen. Bedeutung für Klimawirkungsstudien Unsere Untersuchung bestätigte erneut, dass im Alpenraum mit räumlich wie jahreszeitlich stark variierenden Klimaveränderungen zu rechnen ist. Das in gewissen Klimawirkungsstudien immer wieder anzutreffende Vorgehen, von stark vereinfachten Szenarien auszugehen, scheint daher fragwürdig. An dessen Stelle sollten trotz aller Unsicherheiten bevorzugt die hier vorgestellten Szenarien verwendet werden, die physikalisch konsistenter sind, da sie auf zahlreichen theoretischen und empirischen Kenntnissen über das Klimasystem basieren. Die Frage, ob gewisse der hier vorgestellten Szenarien besonders wahrscheinlich sind, ist nicht einfach zu beantworten. Es ist prinzipiell unmöglich, eine objektiv nachprüfbare Wahrscheinlichkeit oder einen genauen Zeitpunkt für das Eintreten eines bestimmten Szenarios anzugeben. Auch ist die Beurteilung der physikalischen Konsistenz eines jeden einzelnen Szenarios aufgrund der Komplexität des Klimasystems und der vielen auftretenden Unsicherheiten mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Bei einem fest vorgegebenen Forcing-Szenario sind jedoch in der Regel die neueren Szenarien den älteren Berechnungen vorzuziehen. Ansonsten glauben wir, dass alle Szenarien zusammengenommen unseren momentanen Kenntnisstand zur Klimaveränderung im Alpenraum immer noch am besten widerspiegeln. Für Klimawirkungsstudien bedeutet dies, dass immer die Konsequenzen von möglichst vielen Szenarien gleichzeitig zu untersuchen sind.