der jesus-skandal - Liebermann

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DER JESUS-SKANDAL
DER JESUS-SKANDAL
Ein Liebermann-Bild
im Kreuzfeuer der Kritik
Herausgegeben von Martin Faass
Bearbeitet von Petra Wandrey
Mit Beiträgen von Inka Bertz, Martin Faass, Jenns E. Howoldt,
Anna Sophie Howoldt, Ezra Mendelsohn, Henrike Mund, Chana
Schütz und Petra Wandrey
Dieses Buch erscheint im Rahmen der Sonderausstellung
Der Jesus-Skandal – Ein Liebermann-Bild im Kreuzfeuer der Kritik
Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin, 22. November 2009 bis 01. März 2010
Herstellung
Max-Liebermann-Veranstaltungs GmbH
Herausgeber
Martin Faass
Katalogredaktion
Martin Faass und Petra Wandrey
Gestaltung
hawemannundmosch, Berlin
Druck
Reiter-Druck, Berlin
Umschlag vorn:
Max Liebermann, Der zwölfjährige Jesus
im Tempel, 1879, Hamburger Kunsthalle
Frontispiz:
Max Liebermann, 1872
Foto: aus: Hans Rosenhagen, Liebermann
Bielefeld / Leipzig 1900
Ausstellung
Projektleitung
Martin Faass
Ausstellung
Martin Faass und Petra Wandrey
Konservatorische Betreuung
Oliver Max Wenske
Transporte
Schenker, Berlin
Öffentlichkeitsarbeit
Sandra Köhler
Technik
Wulf Lakemeier und Wolfgang Bardehle
Eine Ausstellung der Max-Liebermann-Gesellschaft
Berlin e.V.
Die Ausstellung wurde gefördert von der
© 2009 Max-Liebermann-Veranstaltungs GmbH und die Autoren
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
ISBN 978-3-9811952-3-1
Inhaltsverzeichnis
Rolf Budde
Grußwort
Martin Faass
Einführung
.......................................................................................................................
7
......................................................................................................................
9
Jenns E. Howoldt
Der zwölfjährige Jesus im Tempel
Das Bild und seine Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Anna Sophie Howoldt
Komposition und Bedeutung der Bekleidung im Gemälde
Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Ute Haug
»Es ist ein mächtiges Werk«
Ein Gemälde findet seinen Weg
.................................................................................
Martin Faass, Henrike Mund
Sturm der Entrüstung
Kunstkritik, Presse und öffentliche Diskussion
Chana Schütz
Max Liebermann vor Gericht
Ein Essay im Berliner Börsen-Courier
.......................................................
59
.......................................................................
79
Anonym
Der Reporter
Berliner Börsen-Courier, 3. August 1879
Inka Bertz
Anatomie eines Kunstskandals
31
.................................................................
83
...................................................................................
89
Ezra Mendelsohn
Max Liebermanns Zwölfjähriger Jesus im Tempel
Einige Anmerkungen zum historischen und kulturellen Kontext
.......................
103
......................................................
133
Petra Wandrey
Der zwölfjährige Jesus im Tempel
Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs
Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark vom 5. Juni 1911
..............................
144
Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der bayerischen
Kammer der Abgeordneten vom 15. Januar 1880
.....................................................
150
.............................................................................
152
....................................................................................................
156
..............................................................................................................
159
................................................................................................................................
162
Verzeichnis der ausgestellten Werke
Ausgewählte Literatur
Personenregister
Dank
Bild- und Fotonachweis
..................................................................................................
Leihgeber
Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek
Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Kunsthalle Bremen – Kupferstichkabinett – Der Kunstverein in Bremen
museum kunst palast, Düsseldorf
Hamburger Kunsthalle
Thomas LeClaire Kunsthandel, Hamburg
Clemens-Sels-Museum, Neuss
Saarlandmuseum, Saarbrücken
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Kunsthaus Zürich
sowie die Leihgeber, die namentlich ungenannt bleiben wollen
163
Rolf Budde
Grußwort
Es war ein besonderes Ereignis, als meine Frau und ich 2006 die
große Liebermann-Ausstellung »From Realism to Impressionism«
im Jüdischen Museum New York besuchten. Eines der Hauptbilder
der damaligen Schau war das große Gemälde Der zwölfjährige Jesus
im Tempel aus der Hamburger Kunsthalle, das aufgrund seiner
Geschichte und der Auseinandersetzung, die es 1879 auslöste, vom
Jüdischen Museum New York als Mittelpunkt eines eigenen Ausstellungskapitels inszeniert wurde. Das Bild war damals nur in New
York zu sehen. Zur ersten Station der Ausstellung, Skirball Cultural
Center in Los Angeles, durfte es aufgrund seines fragilen konservatorischen Zustandes nicht reisen. Die schiere Größe des Bildes, seine
unglaublich durchgearbeitete Komposition und der goldene Ton der
Farbe hinterließen in uns einen tiefen Eindruck. Damals befanden
wir uns mitten in der Phase der Wiederherstellung der LiebermannVilla und ihrer Umwandlung zum Museum. Keiner von uns hätte
zu hoffen gewagt, dass dieses so gut wie nie ausgeliehene Hauptbild
des frühen Liebermann einmal darin hängen würde. Heute, dreieinhalb Jahre nach der Begegnung in New York haben wir die
außerordentlich große Freude, das Bild hier bei uns am Wannsee
wiederzusehen, und nicht nur das Bild selbst, sondern auch sämtliche erhaltenen Skizzen, Vorarbeiten und Studien dazu. Es ist eine
solche Fülle von Arbeiten zum Thema, die, ergänzt um Dokumente
und Bilder anderer Künstler, so noch nie zu sehen war.
Im Namen der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin möchte ich
allen, die am Gelingen dieser Ausstellung beteiligt waren, danken:
den Museen und Sammlern für die Leihgaben ihrer Werke und der
Ernst von Siemens Kunststiftung für die großzügige finanzielle Unterstützung. Ohne ihr Verständnis und ihre freundliche Hilfe wäre
diese Ausstellung nicht möglich gewesen. Unser besonderer Dank
gilt Herrn Prof. Hubertus Gaßner, Dr. Jenns Howoldt und Dr. An-
7
dreas Stolzenburg von der Hamburger Kunsthalle, die eine Ausleihe
des Gemäldes Der zwölfjährige Jesus im Tempel und zahlreicher
weiterer Werke aus dem Besitz der Kunsthalle möglich gemacht
haben. Bei der Vorbereitung der Ausstellung hat die LiebermannGesellschaft erneut in hohem Maße von ihrem im Jahr 2000 gegründeten wissenschaftlichen Beirat profitiert. Mit Rat und Tat haben
uns bei diesem Projekt neben Jenns Howoldt vor allem Inka Bertz
(Jüdisches Museum Berlin) und Chana Schütz (Centrum Judaicum)
zur Seite gestanden. Bei ihnen wie den übrigen Autoren dieses Kataloges möchten wir uns ganz herzlich bedanken. Sie haben es mit ihren fundierten Aufsätzen geschafft, diesen Katalog zu einem monografischen Standardwerk zu machen. Mein besonderer Dank gilt
unserem Museumsleiter Dr. Martin Faass und seinem Museumsteam, denen es mit Der Jesus-Skandal – Ein Liebermann Bild im
Kreuzfeuer der Kritik gelungen ist, die beeindruckende Reihe von
Ausstellungen in der Liebermann-Villa um einen neuen Höhepunkt
zu ergänzen.
Prof. Dr. Rolf Budde
1. Vorsitzender
8
Der Jesus-Skandal
Martin Faass
Einführung
Das Geschrei war groß: Der Sohn Gottes ein »naseweiser Judenbengel«? Unerhört! – Kaum ein Liebermann-Gemälde hat einen solchen
Skandal hervorgerufen wie Der zwölfjährige Jesus im Tempel, das
erstmals 1879 in der Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast zu sehen war. Grund hierfür war vor allem die realistische Darstellung des Jesusknaben, den Liebermann als barfüßigen
Jungen mit schwarzen Locken malte. Man warf dem Berliner Künstler eine Verunglimpfung der christlichen Religion vor, nannte ihn
einen Rhyparographen (Schmutzmaler) und war entrüstet, wie er als
jüdischer Maler es überhaupt wagen konnte, sich diesem Sujet zuzuwenden. Durch seine Malerei habe er aus dem Sohn Gottes einen
schmutzigen »naseweisen Juden-Jungen« gemacht und »die Scene in
eine echt polnisch kleinstädtische Synagoge verlegt«. Die öffentliche,
von antijüdischen Ressentiments genährte Empörung war so groß,
dass sich sogar der Bayerische Landtag mit dem Fall beschäftigte.
Tief getroffen wandte sich Liebermann von der Historienmalerei ab
und sah sich später sogar zu einer Überarbeitung der Gestalt des
Jesus genötigt. Im Unterschied zu Deutschland konnte das Werk
1881 in Den Haag und 1884 in Paris erfolgreich ausgestellt werden.
Es erfüllt mich mit besonderer Freude, dass das Gemälde Der
zwölfjährige Jesus im Tempel, obwohl es aufgrund seines konservatorisch fragilen Zustandes eigentlich nicht mehr reisen darf, für unsere Ausstellung an den Wannsee kommen durfte – eine große Ausnahme, die zuletzt nicht einmal der Nationalgalerie Berlin gewährt
wurde. Hierdurch ist es erstmals möglich, das Gemälde zusammen
mit allen Vorarbeiten, Skizzen, Studien und Zeichnungen auszustellen. Die Arbeiten kommen zu einem großen Teil, wie das Bild selbst,
aus der Sammlung der Hamburger Kunsthalle, ohne deren Kooperation das Projekt nie zustande gekommen wäre. Weitere Leihgeber
sind die Staatlichen Museen zu Berlin, das Kunsthaus Zürich, das
9
Saarlandmuseum Saarbrücken, das museum kunstpalast Düsseldorf,
die Galerie LeClaire Hamburg, die Kunsthalle Bremen, das ClemensSels-Museum, Neuss, das Museum Georg Schäfer, Schweinfurt, und
private Leihgeber. Die Skizzen, Studien und Zeichnungen geben
Aufschluss über die Herkunft der Motive, die Entstehungsgeschichte
des Werkes und über Varianten, die Liebermann in Erwägung gezogen und schließlich doch verworfen hat. Darüber hinaus geht die
Ausstellung mit Werken von Rembrandt, Menzel und anderen
Künstlern der ikonografischen Tradition des Sujets nach. Ein weiteres Ausstellungskapitel veranschaulicht mit Faksimiles, Dokumenten und erläuternden Texttafeln die publizistische Kontroverse
und die historischen Umstände der Münchener Ausstellung. Dabei
können wir dank umfangreicher Recherchen in zahlreichen Archiven bisher völlig unbekanntes Material präsentieren. Die Ausstellung verbindet auf außergewöhnliche Art und Weise Kunst-, Kulturund Zeitgeschichte. Ausgehend von einem der prägnantesten
Gemälde des Frühwerkes thematisiert sie Liebermanns Schwierigkeiten als Neuerer der Kunst und seine Stellung als deutsch-jüdischer
Maler im Deutschen Kaiserreich.
Im vorliegenden Katalog werden sowohl die kunsthistorischen
als auch die historischen Aspekte des Themas vertiefend behandelt.
Mit einer Reihe hochinteressanter Beiträge ist es dabei gelungen ein
kleines monografisches Standardwerk über Liebermanns Gemälde
Der zwölfjährige Jesus im Tempel zusammenzustellen. Den Beginn
macht Jenns Howoldt, Kustos an der Hamburger Kunsthalle, der
das Werk einer genauen kompositorischen Analyse unterzieht und
auf Liebermanns Vorbilder verweist. Anna Sophie Howoldt ergänzt
diese Ausführungen durch eine Untersuchung der dargestellten Kleidung, mit der Liebermann die im Bild agierenden Personen historisch und konfessionell definierte. Ute Haug, Provenienzforscherin
der Hamburger Kunsthalle, geht der wechselvollen Geschichte des
Bildes nach, das durch einen fatalen Bilderhandel in der Nazizeit
und den damit verbundenen zwischenzeitlichen Verlust gleich zweimal von der Hamburger Kunsthalle angekauft wurde. Die Umstände
der Ausstellung in München 1879 und die Hintergründe der publizistischen Empörung untersuchen in ihrem Beitrag Martin Faass
und Henrike Mund, während Chana Schütz ein neu aufgefundenes
Zeitungsdokument kommentiert, das im Kontext der historischen
10
Der Jesus-Skandal
Kontroverse um das Liebermann-Bild als ein frühes Beispiel selbstbewusster, jüdischer Publizistik gelten kann. Inka Bertz vom Jüdischen Museum Berlin thematisiert den Antisemitismus im Jahrzehnt
von 1874 – 84 und seinen Einfluss auf die Auseinandersetzung um
Liebermanns Gemälde. Ezra Mendelsohn von der Hebrew University Jerusalem beleuchtet in seinem kenntnisreichen Text den historischen und kulturellen Kontext, der durch die Suche nach dem authentischen Jesus ebenso geprägt war wie durch die Versuche des
Reformjudentums, dessen historische Rolle neu zu bewerten. Abschließend ordnet Petra Wandrey das Gemälde in die ikonografische
Tradition des Motivs ein, die von ersten Darstellungen in der mittelalterlichen Kunst über Dürer und Rembrandt bis ins 19. Jahrhundert reicht, wo sich das Motiv des zwölfjährigen Jesus im Tempel
größter Beliebtheit erfreute.
Ausstellung und Katalog wären nicht zustande gekommen ohne
die Großzügigkeit der Leihgeber, das große Engagement der Mitarbeiter der Liebermann-Villa am Wannsee und die Fachkompetenz
der Autoren. Allen Beteiligten sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
Besonders bedanken möchte ich mich bei Cosima Kristahn, die als
Praktikantin in der Liebermann-Villa unermüdlich Bibliotheken und
Archive nach zeitgenössischen Zeitungsberichten durchsuchte.
Mein besonderer Dank gilt der Hamburger Kunsthalle und den
dort tätigen Kollegen, die die Bedeutung der Ausstellung für unser
Haus von Anfang an erkannt und das Projekt in jeder Hinsicht gefördert haben. Ihre freundschaftliche Unterstützung hat zum Gelingen der Ausstellung ganz entscheidend beigetragen. Danken möchte
ich auch nicht zuletzt der Ernst von Siemens Kunststiftung, die uns
bei der Finanzierung des Projektes unterstützt hat.
Einführung
11
Jenns E. Howoldt
Der zwölfjährige Jesus im Tempel
Das Bild und seine Entstehung
Die Geschichte des zwölfjährigen Jesus im Tempel aus dem Lukasevangelium (2, 42 – 50) war im 19. Jahrhundert eine sehr verbreitete
Darstellung. Max Liebermann konzentrierte in seiner Wiedergabe
des Motivs das Geschehen im Vordergrund eines aus verschiedenen
Studien konstruierten Raums, der in seinen Elementen auf eine Synagoge anspielt.1 Mehrere stehende und sitzende Figuren sind dicht
gedrängt um den redenden Jesusknaben gruppiert. Der vorne beengte Raum öffnet sich rechts in die Tiefe und verweist in seinen
Details wie Leuchter, Lesepult und Bankreihen auf einen Ort der
Versammlung und der Lehre. Drei Figuren in der Bildmitte formen
einen nach vorne offenen Halbkreis: der Jesusknabe und die zwei
Schriftgelehrten im Tallit, die ihm aufmerksam zuhören. Dieser innere, dem Gespräch des Kindes mit den Rabbinern gewidmete Kreis
bildet das Zentrum der Komposition. Es ist die Stelle, auf die das
meiste Licht fällt.
Um den inneren Ring schließt sich ein zweiter, in den die Rahmenfiguren und die Betrachter vor dem Bild einbezogen sind: links
der grün gekleidete Rabbiner, der sich auf ein mit Gebetsschals und
Büchern drapiertes Lesepult stützt, und rechts die in einen schwarzen, gegürteten Mantel und Pelzmütze gekleidete Figur. In ihrer leichten Schrägstellung öffnet diese Rückenfigur einerseits den Kreis aus
dem Bild hinaus zum Betrachter. Andererseits unterstützt sie wie
auch die linke Rahmenfigur in Blickrichtung und Körperhaltung die
Bewegung zum Bildzentrum. Beide Figuren wirken wie Klammern,
die das Bild zusammenschließen. Während links oben ein weiterer
Rabbiner mit Pelzmütze den Kreis der Zuhörer vervollständigt, wird
eine in das Bild hineinführende Vertikalbewegung durch die auf der
geschwungenen Treppe zu Josef herabeilende Maria ausgelöst. Ihr
Gesicht wird vom Rahmen überschnitten, wodurch Liebermann die
Eile ihres Kommens andeutet. Josef wendet sich ihr zu und ist im
13
verlorenen Profil zu sehen. Beide sind Hintergrundfiguren. Ebenfalls
im Hintergrund sind auf der rechten Seite vier Juden zwischen den
Bankreihen zu erkennen, nur schemenhaft beleuchtet von einem
vom Bilderrahmen überschnittenen Fenster, durch das natürliches
Licht strömt und mit dem ein heller Akzent gegen die dunkle Treppe
und die schwarzen Flächen der rechten Rahmenfigur gesetzt wird.
Bei der Komposition dieses Gruppenbildes hatte Liebermann
eine andere Aufgabe zu lösen als bei seinen bisherigen Kompositionen mit mehreren Figuren. Ging es bei Bildern wie den Gänserupferinnen (1871/72) oder den Arbeitern im Rübenfeld (1876) um eine
zunehmend strenger werdende Reihung, war hier eine von einem
Zentrum beherrschte Komposition zu gestalten – inhaltlich wie formal. Liebermann konzentrierte das Thema – anders als etwa Dürer
in seinem Holzschnitt (Abb. 77) – auf die Begegnung von Jesus mit
den Juden, und er wählte für die Darstellung die Form des Kreises
und von Kreisvariationen wie Halbkreis, Kurve, Spirale.2
Die Geschichte des Bildes
Liebermann arbeitete – mit zeitweiliger Unterbrechung – über drei
Jahre an der Bildkonzeption. Wenn auch von den vielen vorbereitenden Zeichnungen nur noch ein Teil nachzuweisen ist, erlauben
die erhaltenen Skizzen, Ölstudien, Kompositionszeichnungen und
Figurenstudien die Entstehung des Bildes nachzuvollziehen. In der
großen Anzahl der Studien – davon sieben Figurenstudien und eine
Kompositionszeichnung im Besitz der Hamburger Kunsthalle (Kat.Nr. 6,7, 11 –16) – wird darüber hinaus erkennbar, wie Liebermann
um die endgültige Komposition gerungen hat.
Die Bildidee geht auf das Jahr 1876 zurück und entstand während Liebermanns Hollandreise, auf der er mit dem Maler und späteren Amsterdamer Akademiedirektor August Allebé häufig das
Amsterdamer Judenviertel besuchte. »Dabei kam ihm«, berichtet
Erich Hancke, »die Idee, einen Christus im Tempel zu malen, um
darin die Bilder, die sich ihm ringsum aufgedrängt hatten, zusammenzufassen. Die Amsterdamer Synagoge dachte er sich als Schauplatz.«3 Für seine Interieurstudie der Amsterdamer Synagoge (Abb.
10) wählte Liebermann einen unprätentiösen Ausschnitt, auf dem
14
Der Jesus-Skandal
der Raum und seine Einrichtung nur fragmentarisch zu sehen sind.
Auf der Studie stoßen links die Linien der Bänke im Vordergrund
und die Ecke der Kanzel (Almemor) so aufeinander, dass der Eindruck eines unzugänglichen Raums entsteht. Das von rechts einfallende Licht hingegen verbreitet sich mit seinen Reflexen im ganzen
Raum und schließt ihn zusammen. Die Raum- und Lichtverhältnisse
der Amsterdamer Studie verwandte Liebermann im Bild des Zwölfjährigen Jesus auf der rechten Seite.
Aus dem 1876 in Amsterdam geführten Skizzenbuch haben sich
zwei Blätter erhalten, die wohl im Judenviertel oder in der Synagoge
entstanden sind (Abb. 29, 30). Auf dem ersten Blatt sind vier Studien eines Kindes, das mitten unter Männern sitzt und mit ihnen
spricht, zu sehen. Als Studien vor der Wirklichkeit begonnen, entwickelte sie Liebermann zu Kompositionsentwürfen weiter, die bildhaft gerahmt bereits auf das Hochformat mit sitzenden und stehenden Figuren des späteren Bildes vorausweisen. So hat er schon auf
dem zweiten Blatt die breite sitzende Gestalt, die in jenem das Gegenüber von Jesus darstellt, als Zuhörer einprägsam erfasst.
1 Max Liebermann, Inneres der Synagoge
in Venedig, 1878 (Eberle 1878/22),
Verbleib unbekannt
Aufenthalt und Einflüsse in Venedig
Auf seiner Venedig-Reise im Herbst 1878 erhielt Liebermann neue
Eindrücke, die für die Weiterentwicklung der Bildkonzeption entscheidend wurden. Während seines zweimonatigen Aufenthalts
zeichnete der Künstler viel im alten jüdischen Ghetto.4 In der Scuola
Levantina, der sephardischen Synagoge aus dem 16. Jahrhundert,
entstand eine Interieur-Studie, aus der Liebermann das Motiv der
geschwungenen Treppe übernahm und im finalen Bild zu einer Wendeltreppe ausarbeitete (Abb. 1). Auf der Studie sind auch Besucher
der Synagoge mit Gebetsschals zu sehen. Von ihnen schuf Liebermann Einzelstudien, wie etwa die Kopfstudie eines sephardischen
Juden (Abb. 9). Im vollendeten Gemälde verwandte Liebermann
diese Studien jedoch nicht.
In das Skizzenbuch seiner Italienreise zeichnete Liebermann auch
einen Kompositionsentwurf des geplanten Bildes5 (Abb. 2). Hier sind
die Zuhörer im Kreis um das sitzende Kind angeordnet, wobei erstmalig die stehende gebeugte Rückenfigur am rechten Rand einge-
Der zwölfjährige Jesus im Tempel
2 Max Liebermann, Skizze zu
Der zwölfjährige Jesus im Tempel,
um 1878, Museum Georg Schäfer,
Schweinfurt · Kat.-Nr. 10
15
führt wird und eine rahmende Figur links angedeutet erscheint.
Verläuft auf diesem Entwurf die Treppe mit der herabkommenden
Mutter noch als eine Schräge, entschied sich Liebermann in seinen
weiteren Kompositionsentwürfen für die geschwungene Treppe, die
er in der Scuola Levantina vorgefunden hatte.
Die zentrale Gruppe des sitzenden Jesusknaben und des zuhörenden Rabbiners im Skizzenbuch der Italienreise übernahm Liebermann in den nächsten, nur durch eine Reproduktion überlieferten Bildentwurf ebenso wie die stehende, näher an den Rand
gerückte Figur rechts und die nun deutlicher ausgearbeitete, sich auf
eine Bank aufstützende Figur links.6 Eine in der Hamburger Kunsthalle aufbewahrte Zeichnung gilt als zweiter Entwurf, mit dem die
3 Max Liebermann, Studie zu
Der zwölfjährige Jesus im Tempel,
o.J., Verbleib unbekannt
Komposition entscheidend weiterentwickelt wird (Abb. 28). In der
Studie wird der Ausschnitt enger gefasst, wodurch die Szene nach
unten und nach vorn rückt. Die Gruppe der zuhörenden Rabbiner
wird um eine Figur erweitert und Jesus ist zum ersten Mal stehend,
den rechten Arm in Brusthöhe haltend im Kreis der Schriftgelehrten
wiedergegeben. Die Anordnung der um Jesus gruppierten Rabbiner
entspricht damit bereits weitgehend der des Gemäldes. Dagegen ließ
Liebermann in der Berliner Kompositionsstudie (Abb. 27) die Rahmenfiguren weg und konzentrierte sich auf die zentrale Dreiergruppe. Die Zeichnung zeigt den Jesusknaben, wie er auch auf der ersten
Fassung des Gemäldes bis zu seiner Übermalung wiedergegeben
war.7
Die Vollendung des Bildes in München
Liebermann setzte die in Venedig begonnenen Vorarbeiten für das
Gemälde in München fort, wo er sich nach seinem Italienaufenthalt
im Spätjahr 1878 niederließ. Erst im April 1879 hatte er das Bild
vollendet. Im Münchener Atelier widmete er sich vor allem den Einzelstudien zu jeder Figur, wobei er, wie Hancke berichtet, jedesmal mit Aktstudien begann (Abb. 3). Die Modelle fand Liebermann
nach eigener Aussage in den christlichen Spitälern Münchens. Juden
erschienen ihm zu »charakteristisch«. »Sie verleiten zur Karikatur«,
schrieb er in der Rückschau an Alfred Lichtwark.8 Den Jesusknaben
malte er nach einem italienischen Modell. Auf der Hamburger Stu-
16
Der Jesus-Skandal
die zum Jesus (Abb. 37) sind Name und Adresse des Modells überliefert.
Mit den Studien wollte sich der Künstler über die Haltung der
Figuren klar werden. Er probierte immer mehrere Möglichkeiten,
bis er die endgültige Lösung gefunden hatte. Besonders häufig
zeichnete Liebermann die rechte Rückenfigur.9 Allein drei Versionen
bewahrt die Hamburger Kunsthalle. Sie zeigen als »Prototyp« die
große schwere Gestalt eines bärtigen Mannes10, die Figur in Alltagskleidung mit rundem Hut und schließlich in einen langen Mantel
gehüllt in der Haltung des Gemäldes (Abb. 31, 32, 34). Die verschiedenen Zeichnungen des Rabbiners, der Jesus im Gemälde gegenübersitzt, veranschaulichen, wie Liebermann die Figur zur endgültigen Fassung weiterentwickelte und wie dabei sein anfangs
zarter Strich kräftiger und bestimmter wird (Abb. 35, 39).
4 Matthias Stom, Der zwölfjährige
Jesus im Tempel, 1640er Jahre,
Bayerische Staatsgemäldesammlung,
Alte Pinakothek, München
Liebermanns Vorbilder
Wie Helmut Leppien zuerst bemerkt hat, ließ sich Liebermann bei
der endgültigen Haltung dieses Rabbiners, der sich im Bild mit seiner Linken in den Bart fasst und die Finger seiner rechten Hand zwischen die Seiten eines aufgeschlagenen Buches steckt, durch ein Gemälde des niederländischen Caravaggisten Matthias Stom anregen.
Dessen damals noch Gerrit van Honthorst zugeschriebenes Bild des
zwölfjährigen Jesus im Tempel (Abb. 4), das in der Konfrontation
des Jesusknaben mit zwei sitzenden und zwei stehenden Schriftgelehrten kompositorisch eng mit dem Entwurf Liebermanns verwandt
ist, konnte der Künstler in der Alten Pinakothek gesehen haben.11
Auch der ungeschönte Realismus auf seinem Gemälde, der besonders in den Gesichtern der Rabbiner und in ihrer Kleidung zum Ausdruck kommt, ist bei Stom wie in den Werken der niederländischen
Caravaggio-Nachfolge überhaupt zu finden.
Mit Sicherheit kannte Liebermann darüber hinaus die Radierungen Rembrandts mit der Darstellung des zwölfjährigen Jesus, die 1652
und 1654 datiert sind (Abb. 78, 79). Liebermann orientierte sich in
mehrfacher Hinsicht an Rembrandt. Schon bei diesem erscheint, wie
dann wieder bei Liebermann, der Jesusknabe in seine Umgebung integriert und nicht erhöht, wie es in der christlichen Darstellungstra-
Der zwölfjährige Jesus im Tempel
17
dition die Regel war. Daneben wird ihn die »ausdrucksvolle Gestensprache des Kindes und die Gestaltung des Zuhörens«12 inspiriert
haben. Und sicherlich empfing Liebermann von der Figur des Stehenden in Rembrandts Radierung von 1654 eine Anregung für die
rechte Rahmenfigur in seiner Darstellung des Themas.
Die Herkunft des Lichts
Wie bei keiner anderen großen Komposition gestaltete Liebermann
den Aufbau des Gemäldes durch den Wechsel von Hell und Dunkel.
5 Giambattista Tiepolo, Joseph mit
dem Jesuskind und Heiligen, um 1731,
Galleria dell’ Accademia, Venedig
18
Dennoch unterscheidet sich Liebermanns Bild ganz wesentlich in
der Art der Lichtführung von Rembrandt und den niederländischen
Caravaggisten. Denn der Berliner Maler hat auf deren schlaglichtartige Beleuchtung und bühnenartige Inszenierung vor einem dunklen Hintergrund verzichtet. In seiner Komposition fällt das Licht
von oben ein und verteilt sich fließend im Raum, so dass es zu einer
Abstufung von Hell und Dunkel kommt, die etwa zwischen dem
hellsten Licht auf dem Tallit des mittleren Schriftgelehrten und den
tiefsten Schatten in der Kleidung des Rabbiners rechts am Rand und
im Treppenbereich vermittelt.
Eine sehr verwandte Lichtführung, die den Bildraum einerseits
lebendig beleuchtet und andererseits vereinheitlicht, hatte Liebermann bei seinem Venedigaufenthalt an einem Gemälde von Tiepolo
aufmerksam studiert, dessen Komposition er in seinem Skizzenbuch
festhielt.13 Das Bild in der Galleria dell’ Accademia zeigt Joseph mit
dem Jesuskind und Heiligen (Abb. 5). Wie die Zeichnung erkennen
lässt, interessierte Liebermann vor allem die Licht- und Schattenverteilung der Komposition, die er in energischen Schraffen erfasste
(Abb. 6). Betrachtet man das Bild selbst, fällt die senkrechte Lichtführung in der Bildmitte auf, die von weniger beleuchteten, sich
nach innen wendenden Figuren gerahmt wird.
Für Liebermanns Kompositionsproblem war die Begegnung mit
dem Gemälde Tiepolos entscheidend. Tiepolos Bildaufbau, der die
Figuren spiralförmig um eine beleuchtete Mitte gruppiert und das
Licht dramaturgisch einsetzt, erwies sich als Lösung für sein eigenes
Werk und dessen vielfigurige, um ein Zentrum kreisende Konzeption. Liebermann setzte die Elemente der Bildkonstruktion von Tie-
Der Jesus-Skandal
polo, mit deren Hilfe der Blick des Betrachters suggestiv auf die
Bildmitte gelenkt wird, für seine Bildaussage ein. Er übernahm das
transzendente Licht Tiepolos und verwandelte es in das Beleuchtungslicht eines real erscheinenden Raumes. Mit Hilfe des Lichts
wird das formale und geistige Zentrum seines Bildes hervorgehoben
und der wechselseitige Austausch, der Dialog zwischen den unterschiedlichen Partnern anschaulich gemacht.
In seinem Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel entwickelte Max Liebermann auf der Grundlage zahlreicher Skizzen und
Studien sowie unter Einbeziehung historischer Vorbilder eine komplexe Figurenkomposition. Anders als in seinen Bildern der holländischen Arbeitswelt sah er sich hier der Aufgabe gegenüber, eine
Gruppenkomposition mit Hauptfigur zu gestalten. Während er im
Realismus der Darstellung Eindrücke der Caravaggio-Nachfolge sowie Rembrandts verarbeitete, lässt sich die Lichtführung auf Darstellungen Tiepolos zurückführen. Auf diese Weise schuf Liebermann
eine historisch fundierte Komposition, die den Beginn einer neuen
Form der religiösen Historienmalerei markiert.
6 Max Liebermann, Kopie nach Tiepolo,
um 1878, Skizzenbuch 17 B, fol. 20,
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
1 Seit den Veröffentlichungen von Katrin Boskamp, Die ursprüngliche Fassung von
Max Liebermanns: Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Ein christliches Thema aus
jüdischer Sicht, in: Das Münster, 46. Jg., Heft 1, 1993, S. 29 – 36, und dies., Studien zum Frühwerk von Max Liebermann, mit einem Katalog der Gemälde und Ölstudien von 1866 – 1899, Hildesheim 1994, ist bekannt, dass das Gemälde vor allem
im Bereich des Jesusknaben durch den Künstler nach dem Münchener Skandal
übermalt wurde.
2 Boskamp 1994, wie Anm. 1, S. 102.
3 Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1914, S. 20f.
4 In seinem Skizzenbuch 17 B im Museum Georg Schäfer, Schweinfurt sind zahlreiche
Studien von Gassen, Details von Kircheninterieurs, Gemäldekopien usw. enthalten.
5 Max Liebermann, Skizzenbuch 17 B, fol. 112, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt.
6 Hans Wolff, Zeichnungen von Max Liebermann, Dresden 1922, T. 8.
7 Boskamp 1994, wie Anm. 1, S. 96, Katrin Boskamp sieht in dieser Zeichnung die
Wiedergabe eines Zwischenzustands.
8 Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark, vom 15. Juli 1911, zit. n. Helmut R.
Leppien, Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann, Hamburg 1989,
S. 24.
9 Boskamp 1994, wie Anm. 1, S. 94 – 96.
10 Ebd., S. 94. Boskamp vermutet das Vorbild der Figur in der Malerei von Tizian,
Veronese oder Rubens.
11 Leppien 1989, wie Anm. 8, S. 19 – 20.
12 Ebd., S. 19.
13 Max Liebermann, Skizzenbuch 17 B, fol. 20, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt.
Der zwölfjährige Jesus im Tempel
19
7 Max Liebermann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1879 (ursprüngliche Fassung)
20
Der Jesus-Skandal
8 Max Liebermann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1879 (Eberle 1879/3), Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 3
Der zwölfjährige Jesus im Tempel
21
9 Max Liebermann, Kopfstudie eines sephardischen Juden mit Gebetsschal, 1878 (Eberle 1878/24), Kunsthaus Zürich · Kat-Nr. 2
22
Der Jesus-Skandal
10 Max Liebermann, Inneres der Synagoge von Amsterdam, 1876 (Eberle 1876/32), Privatbesitz · Kat-Nr. 1
Der zwölfjährige Jesus im Tempel
23
Anna Sophie Howoldt
Komposition und Bedeutung der Bekleidung
im Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel
von Max Liebermann
»Ein schielender Judenknabe im schmutzigen Kittel mit rothem Haar
und mit Sommersprossen, verhandelt, ja handelt mit übelriechenden,
gemeinen Schacherjuden in schmutzigen Säcken und Gebetsmänteln …«1 Das Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max
Liebermann erregte vor allem wegen der Kleidung und der Haartracht Anstoß, wodurch die dargestellten Personen eindeutig als
Juden identifizierbar waren. Durch die Entscheidung für eine bestimmte, historisch und konfessionell zu verortende Tracht versetzte
Liebermann die biblische Szene in die Gegenwart und verlieh damit
der Thematik eine neue Dimension und Aktualität. Es war eine Interpretation, die mit den Erwartungen und der Darstellungskonvention seiner Zeit nicht in Einklang zu bringen war. Die antisemitisch
gefärbte Kritik unterstellte dem Maler daher eine »absichtsvolle
Verletzung des (christlichen) religiösen Gefühls«.2
Die Figuren im Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel sind
für den ungeschulten Blick nicht ohne weiteres zu lesen. Daher soll
in diesem Beitrag die vestimentäre Komposition untersucht und mit
der genaueren Betrachtung der dargestellten Bekleidung ein weiterer
Beitrag zum Verständnis des Bildgedankens und der zeitlichen Einordnung geliefert werden.
In der zitierten Kritik heißt es, die Schriftgelehrten seien in
»schmutzige Säcke und Gebetsmäntel« gekleidet. In dieser Beschreibung steckt sowohl der Verweis auf die religiöse Funktion der dargestellten Kleidung als auch der Versuch, die Personen durch die
Unterstellung eines ungepflegten Zustandes ihrer Bekleidung herabzusetzen.
Als bildrahmende Figur steht rechts eine männliche Rückenfigur.
Der Mann trägt eine hohe Pelzmütze und einen langen dunklen Mantel, der mit einem verzierten Stoffband gegürtet ist. Es handelt sich
hierbei um Elemente einer Tracht, die dem osteuropäischen, traditio-
11 Max Liebermann, Der zwölfjährige
Jesus im Tempel, 1879, Hamburger
Kunsthalle · Kat.-Nr. 3
25
nellen Judentum zugeordnet werden kann. Diese besteht aus einem
langen dunklen Kaftan, einer pelzverbrämten Kopfbedeckung und
einem Stoffgürtel. Ihren Ursprung hat die Tracht in der polnischen
und russischen Herrenbekleidung des Mittelalters.3 Die Bekleidungselemente wurden ursprünglich aus der Alltagsmode übernommen
und, gegenüber modischen Einflüssen resistent, in der Bewegung des
Chassidismus tradiert. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts etablierte sich
diese Tracht als typisches aschkenasisches Rabbinergewand.4
Der Kaftan ist ein Mantel, der vorne mittig geknöpft wird und
einen kleinen Stehkragen bzw. einen weichen Schalkragen besitzt.
Diese Mantelform, die in Liebermanns Gemälde mehrere Figuren
tragen, ist in ähnlicher Form auch in dem Grisaille-Gemälde Moritz
12 Siegried Laboschin, Der Rabbi,
ca. 1901– 25, Jüdisches Museum Berlin
13 Moritz Daniel Oppenheim,
Der Segen des Rabbi, 1882, Aus der
Mappe »Bilder aus dem altjüdischen
Familienleben«, Jüdisches Museum Berlin
26
Daniel Oppenheims (Abb. 13) zu erkennen. Bei den Pelzmützen, wie
sie in Liebermanns Gemälde die Rabbiner vorne rechts und hinten
links tragen, handelt es sich um die hohe Form des Streimels, den
Spodik. Beide Formen zählen zu den pelzbesetzten Kopfbedeckungen, wie sie bei den ostjüdischen Glaubensrichtungen üblich waren.
Der Kopfbedeckung wird im Judentum allgemein besondere Bedeutung beigemessen aufgrund der Tradition, den Kopf stets bedeckt zu
halten.5 Bei der Wahl der Pelze wurden, wenn möglich, kostbarste
Felle verwendet. Erahnen lässt sich die edle, rotbraun glänzende
Struktur des Zobels in der Darstellung des Spodiks der männlichen
Figur hinten links im Bild. Im Hintergrund rechts ist eine sitzende
Figur zu erkennen, die einen Streimel trägt.
Der Stoffgürtel, der Gartl, über dem Obergewand hat seinen Ursprung in talmudischen Zeiten. Der Gürtel ist an den Enden mit
Fransen verziert und wird mindestens zweimal um die Taille gelegt
und vorne zu einem Knoten gebunden. Der Gürtel ermahnt den Träger an die Trennung des Körpers in die obere und untere Körperhälfte und die Trennung in Geist und Trieb.6 Die benannten textilen
Zeichen werden ergänzt durch die charakteristische Haar- und Barttracht, bestehend aus Schläfenlocken und Vollbart.
Im Zentrum von Liebermanns Gemälde steht der engere Gesprächskreis, bestehend aus dem Knaben und den zwei sitzenden
Rabbinern. Die Schriftgelehrten haben ihren Gebetsschal, den Tallit,
um die Schultern gelegt, was darauf hindeutet, dass Gebet oder Thorastudium bereits beendet oder unterbrochen sind. Denn zum Gebet
wird der Tallit über den Kopf gelegt.
Der Jesus-Skandal
Der Tallit ist ein zeitüberdauerndes Textil, welches im jüdischen
Gebetsritus eine wichtige Funktion innehat. Es wird seit dem Altertum von den Männern in der Synagoge getragen, so auch zu Liebermanns Zeit. Der Tallit kennzeichnet im Gemälde die Figuren als
religiöse Juden, während andere Elemente von Kleidung und Haartracht untypisch sind: die genannten Personen tragen keine Schläfenlocken, genannt Peot oder Pejes, einer von ihnen ist sogar bartlos. Entgegen der jüdischen Tradition, den Kopf stets bedeckt zu
halten, sehen wir im Bild drei Rabbiner ohne Kopfbedeckung. Das
Fehlen der Kopfbedeckung und des Bartes im Zentrum des Bildes ist
ein Hinweis auf die Abkehr vom traditionellen Judentum. Wie Karin
Boskamp analysierte, brachte Liebermann »das christliche Thema
mit dem gegenwärtigen Judentum, wie es die Rabbiner mit ihren
unbedeckten Häuptern repräsentieren, in Zusammenhang«7.
Jedoch kann auch der Moment des überraschten Innehaltens im
Gebet und Studium gemeint sein, wofür der Gebetsschal soeben abgelegt wurde.
Nun zur Hauptfigur des Bildes: dem Jesusknaben, über dessen
Darstellung sich das eingangs zitierte Kunstblatt so vehement erregte.
Dieser trug in der ursprünglichen Fassung des Bildes ein kurzes, unregelmäßig drapiertes Gewand, wodurch er wie ein Junge aus der
Zeit Liebermanns wirkt, der seine Alltagskleidung gegen eine antikisierende Stoffdrapage eingetauscht hat. Seine Haare sind, wie in der
Tradition des orthodoxen Judentums üblich, am Haupt gekürzt und
an den Schläfen ungeschnitten, wodurch die Schläfenlocken entstehen. Diese haben wie der Bart des Mannes im Chassidismus eine
religiös-mystische Bedeutung und gehören so zu den äußeren Erkennungsmerkmalen und Symbolen für den jüdisch-orthodoxen Glauben.8
Die heutige Fassung zeigt den Jesusknaben in ein wadenlanges,
helles Gewand gekleidet. Das Hemdkleid ist hell und sauber, der gerade Faltenverlauf wirkt eher steif und zeigt keine Spur zufälliger
oder kindlicher Bewegung und Unordnung. Auch die Haare sind
übermalt. Der Ansatz der Peot ist verschwunden, die blonden Haare
liegen gleichmäßig auf den Schultern auf. In der überarbeiteten Fassung passt sich Liebermann dem Darstellungskonsens der biblischen
Figur seiner Zeit an und tilgt jeden Hinweis auf die jüdische Tradition.
Komposition und Bedeutung der Bekleidung
14 Hermann Struck, Rabbi Eljaschar
Chacham Baschi von Jerusalem, 1903
Aus der Mappe »Land Israel«, Jüdisches
Museum Berlin
15 Herbert Sonnenfeld, Betender Mann
im Tallit, Fotografie, Berlin 1938
27
Die Betrachtung der vestimentären Komposition zeigt, dass Liebermann in seinem Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel die
Figuren durch Haartracht und Kleidung kennzeichnet und dass er
durch die kompositorische Zusammenstellung die biblische Szene
als zeitgenössischen Dialog zwischen Jesus und Juden unterschiedlicher Glaubensrichtungen interpretiert.
16 Max Liebermann, Entwurf zum
zwölfjährigen Jesus im Tempel (Detail),
1879, Staatliche Museen zu Berlin,
Kupferstichkabinett
28
1 Heinrich Merz, Rückblick, in: Christliches Kunstblatt, 22. Jg. 1880, H. 1, S. 4.
2 Jenns Howoldt, Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Zwischen Kritik und Anerkennung, in: Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Max Liebermann. Der Realist und
die Phantasie, Hamburg 1997, S. 105 –108, 107.
3 Alfred Rubens, A History of Jewish costume, London 1981, S. 104.
4 Ebd., S. 160.
5 Tamar Somogyi, Die Schejnen und die Prosten. Untersuchung zum Schönheitsideal
der Ostjuden in Bezug auf Körper und Kleidung unter besonderer Berücksichtigung
des Chassidismus, Berlin 1982, S. 144.
6 Ebd., S. 173 ff.
7 Katrin Boskamp, Die ursprüngliche Fassung von Max Liebermanns: Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Ein christliches Thema aus jüdischer Sicht, in: Das Münster. Zeitschrift für Christliche Kunst und Kunstwissenschaft, 46. Jg. H. 1, 1993,
S. 29 – 36, 32.
8 Somogyi 1982, wie Anm. 5, S. 84 ff.
Der Jesus-Skandal
17 Max Liebermann, Entwurf zum Zwölfjährigen Jesus im Tempel, um 1879, nach einer verschollenen Zeichnung
Komposition und Bedeutung der Bekleidung
29
30
Der Jesus-Skandal
Ute Haug
»Es ist ein mächtiges Werk«
1
Ein Gemälde findet seinen Weg
Zweimal wurde das Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel von
Max Liebermann für die Sammlung der Hamburger Kunsthalle angekauft, zum ersten Mal 1911 und vor 20 Jahren ein zweites Mal.
Davor und dazwischen erlebte das Werk eine wechselvolle Geschichte, die sich faktisch so darstellt:
Sammlung Max Liebermann, München /Berlin, 1879 – 1883/1884;
durch Professor Fritz von Uhde im Tausch erworben von Max Liebermann, der dafür von Uhde das Gemälde Der Leierkastenmann
kommt erhielt, 1883/1884 – 25. 2.1911; Nachlass Fritz von Uhde,
München, 25. 2.1911 – längstens 31.3.1911 ; Kunsthandlung Eduard
Schulte, Berlin, mindestens 31.3. – 4.6.1911; Ankauf durch die
Hamburger Kunsthalle, 5.6.1911 – 1941 (Inv. Nr. 1586); im Tausch
abgegeben gemeinsam mit ehem. Inv. Nr. 1586, 1588 und 1589 gegen Hans Thomas Landschaft mit Regenbogen (ehem. Inv. Nr. 2762)
an den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, Hamburg, März 1941;
Sammlung Dr. Georg Glaubitz, Hamburg, Mai 1941 – 1979; Erben
der Sammlung Dr. Georg Glaubitz, Hamburg, 1979 – 1989; als Leihgabe in der Hamburger Kunsthalle, 1979 – 1989; erworben 1989
mit Mitteln der Campe’schen Historischen Kunststiftung und der
Kulturstiftung der Länder. 2
Hinter diesen Fakten verbergen sich Geschichten, die hier zusammengetragen und berichtet werden.
18 Fritz von Uhde, Der Leierkastenmann
kommt, 1883, Hamburger Kunsthalle
Ein erstes Tauschgeschäft
Es ist eine tradierte Information, dass Max Liebermann und Fritz
von Uhde einen Bildertausch vornahmen. Max Liebermann gab
Fritz von Uhde seinen Zwölfjährigen Jesus im Tempel und erhielt im
Gegenzug Der Leierkastenmann kommt (Abb. 18). Vermutlich fand
31
der Tausch vor Liebermanns Weggang aus München nach Berlin
Ende 1883 oder zu Beginn des Jahres 1884 statt.3 Zu diesem Zeitpunkt war das Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel bereits
überarbeitet.4 Von welchem der beiden Maler die Initiative für diesen Tausch ausgegangen ist, ist nicht dokumentiert, aber ein beiderseitiges Interesse ist vorauszusetzen.
Die beiden Maler lernten sich nach Uhdes Rückkehr aus Paris
1880 in München kennen. Von dort reiste Uhde 1879/80 zu einer
Kur nach Holland.5 Liebermann berichtete 1911 dem damaligen Direktor der Kunsthalle Bremen, Gustav Pauli, dass Uhde bei diesem
Aufenthalt in Zandvoort die ersten Studien zu Der Leierkastenmann
kommt schuf. Uhde hatte die Werke Liebermanns, die ihn nachhal-
19 Anonym, Fritz von Uhde, o. J.,
nach einer Kreidezeichnung von Max
Liebermann
20 Fritz von Uhde, Lasset die Kindlein
zu mir kommen, 1884, Museum der
bildenden Künste, Leipzig
32
tig inspirierten, schon in München gesehen. Die beiden als Naturalisten bezeichneten Künstler waren gute Kollegen, die in Ausstellungen gemeinsam ihre Werke zeigten. Aber sie verstanden sich auch als
Konkurrenten.6
Das Werk Liebermanns im Besitz von Uhde scheint vor allem ein
Hinweis auf den Einfluss Liebermanns auf Uhdes Werk bzw. dessen
künstlerische Entwicklung gewesen zu sein. 1908 bereits erkannte
Otto Bierbaum:
»Schon im Jahre 1882 ging ihm vor Liebermanns ›Schusterwerkstatt‹ im eigentlichsten Sinne das Licht auf. Die Jahre 1882 und
1883 sind seine fruchtbarsten Studienjahre gewesen. Damals konnte
es wohl scheinen, als sei es sein Ehrgeiz, ein zweiter Liebermann
zu werden, wenngleich die hervorstechendste Leistung aus diesen
Jahren, die ›Trommelübung‹, in der Komposition bereits deutlich
von Liebermanns Art abwich. […] Man kann sagen: Uhde hat in
diesen Jahren Material für den begnadeten Winter 1883 – 1884
gesammelt, indem er sich selbst sammelte zu seinem ersten Bilde,
das das erste in der Reihe seiner grossen deutschen Gedichte in
Farben ist: zu der köstlichen Komposition »Lasset die Kindlein zu
mir kommen.«7
Uhde begann in der zweiten Hälfe des Jahres 1883 sein erstes
Gemälde mit einem biblischen Thema – Lasset die Kindlein zu mir
kommen (Abb. 20).8 Es zeigt einen barfüßigen, in einer protestantischen Dorfkirche auf einem Stuhl sitzenden Christus, dem einfach
gekleidete Kinder aus den unteren Schichten mit ihren Eltern im
Hintergrund entgegentreten. Uhde versetzte die Szene in eine zeitge-
Der Jesus-Skandal
nössische Umgebung des 19. Jahrhunderts, was für einige Kritiker
zum Stein des Anstoßes wurde, da sie darin einen unwürdigen Raum
für eine derartig heilige Szene sahen. Das Werk erfuhr hohe Aufmerksamkeit und wurde durchaus kontrovers diskutiert, jedoch
bei weitem nicht so negativ bewertet, wie der Zwölfjährige Jesus
Liebermanns.9 Uhde schuf noch zahlreiche Gemälde mit religiösen
Themen, allerdings befasste er sich nie mit dem Thema des zwölfjährigen Jesus im Tempel.
Max Liebermann begann zu Beginn der 1890er Jahre Kunst zu
sammeln, vor allem französische Impressionisten, Berliner Maler
und Zeitgenossen, die ihm künstlerisch nahe standen. Daneben
sammelte Liebermann Arbeiten von Rembrandt Harmensz. von Rijn
und anfangs noch Ostasiatika. Und da sich Liebermann nur mit
»solchen Werken [umgab], die ihn in der Auffassung oder in der
Ausführung interessierten«10, sah er in Fritz von Uhdes Werk eine
künstlerische Auffassung, die seiner ähnelte, aber sich auch von seiner unterschied.
Nachweise für den Bildertausch finden sich einige, hier drei Beispiele: 1894 bildete Richard Muther in seiner Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert das Gemälde in seiner ursprünglichen
Fassung ab. Im Abbildungsverzeichnis wird als Besitzer Fritz von
Uhde, München, genannt.11 In der 1902 erschienenen Monografie
über Uhde von Fritz von Ostini wird der Tausch wie folgt erwähnt:
»Das Bild [›Der Leierkastenmann kommt!‹ von Fritz von Uhde,
Anm. der Verf.] hat Professor Max Liebermann erworben. Uhde
besitzt dafür von der Hand Max Liebermanns ein vielumstrittenes
Jugendwerk, das meistumstrittene Bild des Berliner Intransigenten
[= der Unversöhnliche, Anm. der Verf.] sogar, den ›Christus im
Tempel‹«.12
1907 war das Liebermann-Bild zum ersten Mal seit seiner ersten
Ausstellung 1879 wieder in Deutschland zu sehen, in der Ausstellung der Berliner Secession, diesmal in überarbeiteter Form. Im Katalog wird das Werk unter der Nr. 125 aufgeführt.13 Als Eigentümer
wird ebenfalls »Prof. Fritz von Uhde, München« genannt.
Fritz von Uhde verstarb am 25. Februar 1911 und sein künstlerischer Nachlass wurde am 11. Juni 1911 in der Galerie Hugo
Helbing in München versteigert. Was aber mit seiner Sammlung von
Werken anderer Künstler passierte, ist bislang nicht erforscht.
»Es ist ein mächtiges Werk«
33
Die Berliner Kunsthandlung Eduard Schulte – Eine
Galerie als Trendsetter
Der zwölfjährige Jesus im Tempel jedenfalls kam unmittelbar nach
Uhdes Tod aus seinem Nachlass zur Berliner Kunsthandlung Eduard
Schulte. Dort befand es sich nachweislich ab dem 31. März 1911.14
Das Stammhaus der Kunsthandlung Eduard Schulte war in Düsseldorf ansässig.15 Am 14.2.1886 wurde Unter den Linden 4a die
Berliner Filiale in den vormaligen Räumen des Auktionshauses
Lepke eröffnet.16 In den ersten sechs Jahren war das Programm mit
akademisch orientierten Künstlern konventionell und wie eine
»langweilige Verkaufshalle«.17 Nach dem Umzug 1891 in das Erdgeschoß des Palais Redern, Unter den Linden 1 (wo heute das Hotel
Adlon steht),18 setzte mit der ersten Ausstellung der Berliner Künstlergruppe »Vereinigung der XI« vom 2. bis zum 23. April 1892 eine
inhaltliche Positionierung für zeitgenössische Kunst ein.19 Unter
anderem zeigten dort Walter Leistikow, Franz Skarbina und auch
Max Liebermann ihre Werke.20
Der gute Kontakt zu und das Interesse der Kunsthandlung
Schulte an Liebermann gehen in das Jahr 1892 zurück. Zudem besaß die Galerie auch schon die 1877 entstandene Studie der Amsterdamer Synagoge, die das Ölgemälde Liebermanns vorbereitete. 21
Fritz von Uhdes Kontakt zur Kunsthandlung Schulte währte fast
genauso lange, er geht in das Jahr 1893 zurück, als er als Mitglied
der »24«, einer Gruppe der Münchener Sezessionisten, in der Berliner Filiale seine Werke ausstellte.22 1899 zeigte Uhde 16 Werke aus
den Jahren 1894 bis 189823 und 1908 richtete die Kunsthandlung
Uhde zum sechzigsten Geburtstag eine Einzelausstellung mit 65
Kunstwerken aus.24
Es ist nachvollziehbar, dass die Galerie, durch ihr langjähriges
Interesse am Werk der beiden Protagonisten, großes Interesse an
dem in Uhdes Nachlass befindlichen Werk Liebermanns hatte. Der
rasche Ankauf nach dem Tod Uhdes scheint ein Resultat des jahrelangen Einsatzes für die moderne Kunst gewesen zu sein. Bei der
Galerie Schulte erwarb schließlich der Direktor der Hamburger
Kunsthalle, Alfred Lichtwark, das Bild.
34
Der Jesus-Skandal
»Wir müssen die Chance wahrnehmen«25
»In Berlin war die Hauptsache Liebermanns Christus im Tempel bei
Schulte. Ich kannte das Bild sehr lange. Es hing bei Uhde im Atelier,
und man konnte ihm ansehen, dass es sehr verstaubt war. Jetzt,
wo es gereinigt ist, wirkt es unglaublich frisch und hat doch die
Edelreife des Alters. Es kann jetzt nur immer noch schöner werden.
Tschudi hat es mit blutendem Herzen aus München fortziehen lassen. Es würde kein anderer Liebermann so gut für die Pinakothek
passen wie dieser, der ganz mit München verwachsen ist. Das Bild
ist in München gemalt, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht.
Es hat Liebermann aus München vertrieben durch Aerger, den er
von der Ausstellung hatte: München tobte, wie Berlin bei Menzels
Christus im Tempel getobt hatte. Dann schenkte Liebermann es
Uhde und erhielt dafür den Drehorgelspieler, den er noch besitzt.
Uhde hat den Christus nie verkaufen wollen. Schulte hat es jetzt von
den Erben für M. 40.000 übernommen und verlangt erst einmal
M. 70.000. Mit 50 wird er zufrieden sein. Wir müssen die Chance
wahrnehmen. Es ist ein mächtiges Werk. München und Berlin scheiden als Concurrenten aus. Dresden kommt nicht in Betracht. Bleiben Frankfurt und Köln. Wir müssen uns das Bild in Hamburg mit
aller Muße besehen. Ich habe es an die Hand genommen«26, schrieb
Alfred Lichtwark an die Hamburger Kommission am 27. April
1911. Tags zuvor hatte er das Werk in der Kunsthandlung Eduard
Schulte gesehen und sich nach seinem Preis erkundigt. Dabei hatte
er den Betrag auf 60.000 Mark herunterhandeln können, doch bat
die Kunsthandlung über dieses Angebot Stillschweigen zu bewahren, da sie auch mit anderen Interessenten verhandelte, jedoch zu
anderen Konditionen.27 Gleich am 29. April bat Lichtwark Schulte
um die Ansichtssendung des Kunstwerks, was ihm am selben Tag
bereits bestätigt wurde.28 Am 1. Mai wurde es schließlich nach Hamburg versandt.29 Zwischenzeitlich bekam Schulte aufgrund seines
niedrigen Angebotes an Lichtwark Bedenken30, so dass Lichtwark
den Preis, anders als er es sich vorgestellt hatte, nicht weiter herunterhandeln konnte. Am 17. Mai teilte er der Kommission der Hamburger Kunsthalle mit:
»Schulte will nicht. Es reut ihn, dass er sich gleich beim ersten
Anhieb so weit zurückgezogen hat. Die Kunsthändler, denen er zu-
»Es ist ein mächtiges Werk«
21 Alfred Lichtwark, um 1905
35
vorgekommen ist, haben an ihm herumgearbeitet. Er meint, und
darin hat er Recht, glaube ich, Cassirer würde es nicht unter achtzigtausend hergegeben haben, und wäre es unter den großen deutschen Händlern zum Kampf auf einer Auction gekommen, so hätte
jeder einzelne bis auf 50 oder 60.000 Mark mitgeboten. Ich hatte
gehofft, es durch die üblichen Mittel auf 55, wenn nicht auf 50.000
Mark zu mindern. Aber nach den wiederholten Angriffen sehe ich
heute ein, es muß bei M. 60.000 sein Bewenden haben. Schulte fühlt
sich so absolut sicher, dass er auch heute fest geblieben ist. Auch die
Studie will er nicht dreingeben.
Nun; wir muthen dem Staat nichts außergewöhnliches zu. Leipzig hat für den kleinen Leibl, der nicht einmal ersten Ranges ist, auf
22 Max Liebermann, Brief an Alfred
Lichtwark vom 5.6.1911, Hamburger
Kunsthalle Kat.-Nr. 26
(vollständiger Text S. 144 – 149)
36
der Auction Laroche-Ringwald mit allen Spesen gegen M. 90 000
bezahlt.
Nun aber müssen wir versuchen, ob wir nicht auch den Uhde
bekommen können, den Liebermann im Tausch empfangen hat. Ich
habe mit Liebermann darüber gesprochen. Es ist nicht ganz aussichtslos.«31
Und am selben Tag konnte er ebenso mitteilen, dass auch Liebermann sehr glücklich sei, dass das Bild, dessen Ankauf zu diesem
Zeitpunkt noch keine beschlossene Sache war, nach Hamburg
komme.32 Lichtwark war sich seiner Sache sehr sicher, denn als er
am 24. Mai Schulte mitteilte, dass die Sitzung bezüglich der Ankaufsentscheidung erst am 3. Juni stattfinden könne, gab er dem
Händler den sicheren Ankauf zu verstehen.33 Diese Gewissheit
Lichtwarks drückte sich auch darin aus, dass er Liebermann am
31. Mai bat, einige detaillierte Auskünfte über das Werk zu geben,
damit er im kommenden Jahrbuch darüber berichten könnte.34
Liebermann kam dieser Bitte wenige Tage später nach (Abb. 22).
Am 3. Juni konnte Lichtwark dann tatsächlich Schulte den Ankaufsbeschluss der Kommission übermitteln.35 Am 5. Juni wurde diese
Nachricht von der Galerie bestätigt.36 Und am 8. Juni schließlich
wurde durch die Ausstellung des Kaufbelegs dieser Erwerbungsvorgang abgeschlossen.37
Erst am 19. Juni teilte Lichtwark Liebermann den einstimmigen
Beschluss mit und betonte, er wolle »den Schatz erst im Herbst zugänglich« machen, gemeinsam mit dem von Liebermann erstellten
Porträt des Hamburger Bürgermeisters Burchard.38
Der Jesus-Skandal
Lichtwarks Ankaufskonzept bestand nicht nur darin, den Zwölfjährigen Jesus im Tempel zu erhalten, sondern auch die Werke für die
Hamburger Kunsthalle zu gewinnen, die inhaltlich mit diesem Bild
verbunden sind, wie dies in seinem Brief vom 17. Mai bereits angeklungen war. 39 Es gelang Lichtwark, von Liebermann auch das
Tauschbild Der Leierkastenmann kommt von Uhde zu kaufen.40
1912 wurden beide Werke in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt.41 Und noch im Jahr 1911 konnte Lichtwark auch das Pastell
Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Abb. 24)42 von Adolf Menzel erstehen. Mit diesem Werk und einem Porträt der Schwester Menzels,
Die Schwester Emilie im Schlaf, welches ebenfalls 1912 erworben
werden konnte, richtete Lichtwark »eine Art Kapelle« ein, indem er
die beiden flankierend neben den Zwölfjährigen Jesus im Tempel
von Liebermann hängte, für Lichtwark: das »wahre Andachtsbild«.43
Abschließend teilte Lichtwark Liebermann mit:
»Ihr Jesus im Tempel ist den ganzen Tag belagert. Aber niemand
spricht ein Wort davor, es ist alles eitel Andacht und Versenkung.
Heute knirschen keine Zähne mehr und keine Verwünschung wird
laut. Ich habe meine großen Freudentage durch dies Bild und muß
immer wieder daran denken, was es für uns Alle bedeutet hätte,
wenn wir dies Bild schon vor zwanzig Jahren besessen hätten.«44
23 Rechnung über Max Liebermanns Gemälde Der zwölfjährige Jesus im
Tempel, vom 8.6.1911, Archiv Hamburger Kunsthalle
Ein zweites Tauschgeschäft
Mit der nationalsozialistischen Diktatur setzte auch die Diffamierung von Max Liebermann und seinem Werk ein. Im Gegensatz zu
anderen Museen entgingen die Werke Liebermanns in der Hamburger Kunsthalle der Beschlagnahmung. 1935 hingen sie sogar in der
Neuhängung der Sammlung von Harald Busch, darunter auch der
Zwölfjährige Jesus im Tempel (Abb. 26).45 Dennoch waren kurz darauf die Werke Liebermanns zur Disposition freigegeben und 1936
gab die Hamburger Kunsthalle, unter dem damaligen Leiter Dr.
Werner Kloos, das Landhaus bei Teufelsbrück46 im Tausch ab an
den Sammler Hans Rappolt gegen das Porträt der Luise Henriette
Wilhelmine von Anhalt-Dessau (1750 – 1811) als Diana von Charles
Amédée Philippe van Loo.47
»Es ist ein mächtiges Werk«
24 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus
im Tempel, 1851, Hamburger Kunsthalle
37
1939 gab es schließlich Bestrebungen des Gauwirtschaftsberaters
Hamburg, die in der Kunsthalle befindlichen Kunstwerke von Liebermann ins Ausland zu verkaufen, im »Interesse der Devisenwirtschaft«. Hierfür sollte der Verkauf durch das Propaganda- und
Erziehungsministerium genehmigt und Preislisten erstellt werden.
Der damalige Leiter der Hamburger Kunsthalle, Werner Kloos, gab
über die Verwaltung für Kunst- und Kulturangelegenheiten zu verstehen, dass die Angebote aus dem Ausland bislang zu geringfügig
25 Der Liebermann-Saal der Hamburger
Kunsthalle, 1924, Archiv Hamburger
Kunsthalle
seien und deshalb abgelehnt worden waren. Im Erziehungsministerium sei man zwar nicht gegen die Verkäufe eingestellt, man warne
aber vor einer »Verschleuderung«. Aufgrund der Auktion »Entartete
Kunst« in Luzern seien die Preise sehr niedrig »und dass vor allem
die für Liebermann zu erzielenden Devisenwerte in keinem Verhältnis zum wirklichen Werte dieser Bilder stehen, selbst wenn sie in
Deutschland nicht mehr ausgestellt werden können«.48
Ende März 1940 wandte sich die Galerie Gurlitt bzw. Wolfgang
Gurlitt an die Hamburger Kunsthalle mit der Bitte, Fotos von den
Werken Liebermanns zu schicken, die man nicht mehr im Bestand
haben wollte und erneuerte diesen Wunsch am 15. Mai. Werner
Kloos antwortete Anfang Juni 1940, dass er die »Absicht« habe,
»gelegentlich einige gute Bilder von Liebermann zu vertauschen«,
aber »die Liebermann-Sache« sei »zur Zeit sehr schwer vorwärts zu
treiben aus dem primitiven Grunde, dass man nicht an die Bilder
heran kann, die in tiefen Kellern schlummern müssen«.49
Doch dies war nur eine Ausrede von Kloos, denn er stand diesbezüglich bereits seit August 1940 in Verhandlungen mit dem
Hamburger Kunsthändler Dr. Hildebrand Gurlitt.50 Zunächst ging
es um drei Liebermann-Ölstudien zum Porträt des Bürgermeisters
Burchard. Sie kehrten jedoch nach kurzer Zeit in die Kunsthalle zurück, denn Hildebrand Gurlitt fand wider Erwarten in den Nachfahren der Familie Burchard keine Interessenten.51
Nach diesem Misserfolg unternahm Hildebrand Gurlitt einen
zweiten Versuch Liebermann-Werke zu erstehen und bot am
31. August 1940 der Hamburger Kunsthalle 32.000,00 RM für
insgesamt sieben Ölgemälde, sechs Pastelle, zwei Porträts und
zwei Porträtskizzen. Doch auch mit diesem Vorstoß hatte Gurlitt
zunächst keinen Erfolg. Die Korrespondenz brach ab.52
38
Der Jesus-Skandal
Offenbar nahm Kloos den Vorstoß Hildebrand Gurlitts zum Anlass,
sich darüber klar zu werden, wie er mit dem Verkauf von Werken
Liebermanns umzugehen habe. So hegte er die Überlegung, Die
Netzflickerinnen ins Ausland zu verkaufen.53 In einem Schreiben an
die Verwaltung für Kunst- und Kulturangelegenheiten, z. Hd. Herrn
Senator Dr. Becker, berichtete Kloos von Gurlitts Angebot. Kloos
führte aus, dass die Kunsthalle 60 Gemälde und Ölstudien von
Liebermann besitze und durch Veräußerung oder Tausch einiger
dieser Werke »deutsche Kunstwerke« bekommen könne. Er schilderte
weiter, dass der Markt für Werke Liebermanns eher schlecht sei.
26 Der Liebermann-Saal der Hamburger
Kunsthalle, Neuhängung 1935, Archiv
Hamburger Kunsthalle
»Liebermann ist deshalb heute fast nicht zu verkaufen«, folgerte er
und schilderte das Angebot von Gurlitt, das er als »ausserordentlich
günstig« bewertete. »Die Preise« seien »hoch, wenn sie natürlich
auch nicht im mindestens die Preise erreichen, die Liebermann einst
dafür erzielte«.54
Schließlich kam es zu einer Tauschvereinbarung mit dem
Händler im März 1941. Die Kunsthalle trennte sich dabei von den
Liebermann-Werken Jesus im Tempel, Wagen in den Dünen55, Beim
Tischgebet56 und Polospieler57 (insgesamt berechnet mit 14.400,00
RM) und von dem Gemälde Flusslandschaft58 von Oskar Kokoschka (4.000,00 RM). Im Gegenzug erhielt die Kunsthalle vom Kunsthändler Hans Thomas Landschaft mit Regenbogen59 (16.000,00
RM) und Leopold von Kalckreuths Landschaft mit Heuschober 60
(4.000,00 RM).61
»Menschengalerie« – Das Sammlerpaar Glaubitz,
Hamburg
Nur knapp zwei Monate später notierte der Sammler Dr. Georg
Glaubitz in sein Tagebuch:
»Bei Gurlitt 7.5.41 abends Übernahme des tadellos erhaltenen
12 jährigen Jesus im Tempel, für 12 M. Bild ist verstaubt, Firnis teilweise eingeschlagen. Der Rahmen ohne Fehl passt gut. Riesiges Bild;
zeigt schon stellenweise Krakelüren. Das Bild kam aus dem Safe,
der für die Bilder der Kunsthalle eingerichtet war. Wir machten voller Freude noch einen Gang an die im beginnenden Frühlingsgrün
liegende Alster.«62
»Es ist ein mächtiges Werk«
39
Dr. Georg Glaubitz war Allgemeinarzt und praktizierte in HamburgAltona auf dem Schulterblatt. Gemeinsam mit seiner Frau Katharina sammelte er seit den dreißiger Jahren bis zu seinem Tode vornehmlich Kunst mit Menschendarstellungen in der Absicht, eine
»Menschengalerie«63 aufzubauen. Hierzu besuchte das Ehepaar die
Galerien und hielt schriftlich mit diesen Kontakt, vor allem mit Berliner Kunsthändlern oder Kunsthandlungen. Einige wenige Verbindungen gab es nach München und zu Hamburger Kunstgalerien.
Dem Schriftverkehr ist zu entnehmen, dass sich das Ehepaar vornehmlich für Kunst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts interessierte,
besonders für die Werke von Lovis Corinth, Leopold von Kalckreuth, Wilhelm Leibl, Hans von Marées, Adolf Menzel, Carl Schuch,
Max Slevogt, Johann Sperl, Hans Thoma und Wilhelm Trübner.
Allerdings gab es auch hin und wieder Angebote für Werke Alter
Meister.
Tatsächlich bildeten Werke von vier Künstlern die Eckpfeiler
der Sammlung. Nach heutigem Wissensstand hatte das Ehepaar
Glaubitz zehn Arbeiten von Lovis Corinth, acht von Max Slevogt,
fünf von Max Liebermann und vier von Wilhelm Trübner zusammengetragen. Flankiert wurden diese Arbeiten von denen weiterer
Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts. Einige wenige Alte Meister,
wie zum Beispiel die Anbetung eines Frankfurter Meisters oder eine
Pieta eines Flämischen Meisters gesellten sich dazu.
Die Rückkehr in die Hamburger Kunsthalle
Kurz nach Kriegsende bemühte sich der damalige Direktor der
Hamburger Kunsthalle, Carl Georg Heise, um die Rückerwerbung
des Liebermann-Gemäldes.64 Allerdings musste er zunächst den Besitzer des Kunstwerkes ausmachen und feststellen, ob das Werk den
Krieg auch unbeschadet überstanden hatte. Hierzu wandte er sich
noch 1945 an Hildebrand Gurlitt. Dieser antwortete aus Aschbach
(Kreis Bamberg) am 4. November 1945, dass er »nicht der Meinung
[war] vier der »allerbesten Liebermanns« der Kunsthalle« 1941 erworben zu haben. Er berichtete, an wen er jeweils die Kunstwerke
verkauft hatte, jedoch nicht immer mit Namensnennung. Zudem
gab er zu verstehen, dass er den Zwölfjährigen Jesus im Tempel
40
Der Jesus-Skandal
nicht gemocht habe.65 Einen Tag später informierte er den Sammler
Glaubitz über Heises Anfrage und bat ihn, mit Heise in Kontakt zu
treten und ihm eventuell das Kunstwerk als Leihgabe für die Kunsthalle zur Verfügung zu stellen.66 Heise formulierte seine Einschätzung der gesamten Angelegenheit gegenüber Gurlitt Ende November
so:
»Ganz so harmlos, wie Sie alles darstellen, ist die Sache aber nicht.
Dass Sie persönlich die Darstellung des ›Zwölfjährigen Christus im
Tempel‹ nicht besonders mögen, verstehe ich und teile Ihre Auffassung. Trotzdem bleibt für den Entwicklungsgang Liebermanns gerade dies Bild von ausserordentlicher Bedeutung. Die Kunsthalle, die
Liebermann von allen Museen am ausführlichsten repräsentiert,
muß auch auf dieses Hauptwerk der Münchener Zeit das größte Gewicht legen.«67
Gurlitt verteidigte sein Verhalten. Damals hätte man seine
»Liebermann-Verkäufe« nicht gerügt. Es gab lediglich Unmutsäußerungen, da mehr Interesse an Liebermann-Werken bestand als zum
Verkauf standen. Gurlitt fragte Heise:
»War das damals wirklich falsch? Wer konnte wissen, wohin die
Entwicklung ging und was die Regierung noch vorhatte? Erscheint
es heute nicht fast als Vergesslichkeit oder Inkonsequenz, wenn die
Nazis die Bilder von Liebermann nicht zusammen mit den Juden
verbrannten? In guter Privathand waren die Bilder vor Zugriffen
des Staates sicherer als im Museum.«68
Heise ging auf Gurlitts »Dialektik« nicht ein, betonte, dass es
ihm als Leiter der Hamburger Kunsthalle daran gelegen sei, die
Liebermann-Werke zurückzuerhalten und bat Gurlitt um konstruktive Mitarbeit, da der politische Druck in dieser Hinsicht zunehme
und die Sache in Ordnung gebracht werden sollte.69
Schon im November 1945 hatte Heise in Erfahrung gebracht,
dass das Werk bei Glaubitz in Hamburg war.70 Am zweiten Tag des
Jahres 1946 wandte sich Heise direkt an den Sammler. Heise äußerte seinen Wunsch, das Werk für die Kunsthalle zurückzugewinnen und erkundigte sich, ob »ein unverbürgtes Gerücht« stimme,
dass der Sammler seine Werke in die damalige russische Zone ausgelagert habe und das Liebermann-Gemälde dort zerstört worden
sei.71 Ein Antwortschreiben von Glaubitz ist nicht überliefert. Am
selben Tag schrieb Heise an Gurlitt und teilte ihm mit, dass der
»Es ist ein mächtiges Werk«
41
Zwölfjährige Jesus im Tempel vermutlich in der russischen Zone
zerstört worden sei.72 Dieser Kenntnisstand herrschte auch noch
Mitte 1947 vor.73
Auch dem Nachfolger Heises, Alfred Hentzen, war es trotz seiner
Bemühungen in den sechziger Jahren nicht vergönnt, das Werk für
die Hamburger Kunsthalle zurückzugewinnen.74 Im Archiv der Hamburger Kunsthalle hat sich diesbezüglich kein Schriftverkehr erhalten. Allerdings korrespondierte Glaubitz hierüber mit dem Kunsthändler Franz Resch. Hentzen hatte offenbar versucht, Glaubitz zu
einer Stiftung des Gemäldes anlässlich des 100-jährigen Bestehens
der Hamburger Kunsthalle zu bewegen. Resch bezeichnete dieses
Ansinnen als »ziemlich anmassend« und offenbar schätzte auch
Glaubitz dieses so ein.75
Erst mit dem Tod des Sammlers und dem Übergang des Werkes
in die Erbengemeinschaft Glaubitz konnte das Bild zunächst als
Leihgabe und schließlich durch die finanzielle Unterstützung der
Kulturstiftung der Länder 1989 dauerhaft in die Hamburger Kunsthalle zurückkehren.76
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Alfred Lichtwark, Briefe an die Kommission für die Verwaltung der Kunsthalle,
XIX. Band, 1911, Hamburg 1919, S. 67f.
Vgl. Matthias Eberle, Max Liebermann 1847 – 1935. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien 1865 – 1899, 2 Bde, Bd. 1, München 1995, S. 159.
Bettina Brand, Fritz von Uhde. Das religiöse Werk zwischen künstlerischer Intention und Öffentlichkeit, Diss. Heidelberg 1978, S. 236, Anm. 101; Katrin Boskamp,
Die ursprüngliche Fassung von Max Liebermanns: Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Ein christliches Thema aus jüdischer Sicht, in: Das Münster, Heft 1, 1993,
S. 29 – 36, hier S. 31 u. S. 35 Anm. 13; Ulf Küster, Fritz von Uhde – Biographie, in:
Dorothee Hansen (Hg.), Fritz von Uhde. Vom Realismus zum Impressionismus,
Ostfildern-Ruit 1999, S. 192. Bei Birgit Pflugmacher, Max Liebermann – sein Briefwechsel mit Alfred Lichtwark, Diss., Hamburg 2001, S. 10, heißt es, Uhde habe
das Werk von Liebermann geschenkt bekommen, die Gegengabe findet keine
Erwähnung. S. 135, Anm. 567.
Boskamp 1993, wie Anm. 3, S. 31.
Küster 1999, wie Anm. 3, S. 192; siehe auch: Ausst.-Kat. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Max Liebermann in seiner Zeit, Berlin 1979, S. 402.
Vgl. ebd.
Otto Julius Bierbaum, Fritz von Uhde, München, Leipzig 1908, S. 40f.
1844, Öl/Lwd., 188 × 290,5 cm, Museum für bildende Künste Leipzig, Inv. Nr. 550.
Fritz von Uhde. Vom Realismus zum Impressionismus, wie Anm. 3, S. 90 – 93.
Der Jesus-Skandal
10 Karl-Heinz und Annegret Janda, Max Liebermann als Kunstsammler, in: Staatliche
Museen zu Berlin. Forschungen und Berichte 15, 1973, S. 105 – 149, S. 108.
11 Richard Muther, Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert, München 1894,
S. 633 und 703.
12 Fritz von Ostini, Uhde, Bielefeld u. a. 1902, (Künstler-Monographien, Bd. 61), S. 28.
13 Vgl. Helmut R. Leppien, Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann,
Hamburg 1989, S. 22.
14 Archiv Hamburger Kunsthalle (AHK): Liebermann-Akte. Schreiben von Schulte an
Pauli, Kunsthalle Bremen, 31.3.1911. Diese Akte entstand bei der Erstellung
der Publikation »Max Liebermann. Des Meisters Gemälde« (Klassiker der Kunst,
Bd. 19), Stuttgart 1911 durch Gustav Pauli.
15 Zur Kunsthandlung vgl. Sabine Meister, Die Vereinigung der XI – die Künstlergruppe als Keimzelle der organisierten Moderne in Berlin. Freiburg 2007,
S. 101 – 107.
16 Nicolaas Teeuwisse, Vom Salon zur Secession, Berlin 1986, S. 126 und Verena
Tafel, Kunsthandel in Berlin vor 1945, in: kunst konzentriert. Berliner Kunstblatt,
Sonderheft 1987, S. 195 – 225, hier S. 197 und 200.
17 Richard Graul, die XI, in: Pan 2, 1896/97, Heft 1, S. 50, zitiert nach Meister 2007,
wie Anm. 15, S. 94.
18 Teeuwisse 1986, wie Anm. 16, S. 288; Tafel 1987, S. 200.
19 Meister 2007, wie Anm. 15, S. 92.
20 Walter-Ris 2000, S. 27f. Ausführlich zur Künstlergruppe vgl. Meister 2007, wie
Anm. 15.
21 Pflugmacher 2001, wie Anm. 3, S. 331 und 334. Brief von Lichtwark an Liebermann, 31.5.1911 und Brief von Liebermann an Lichtwark vom 5.6.1911.
22 Küster 1999, wie Anm. 3, S. 194.
23 Brand-Claussen 1999, S. 28; Küster 1999, wie Anm. 3, S. 195.
24 Fritz von Uhde. Vom Realismus zum Impressionismus 1999, S. 6, und Küster
1999, S. 197, wie Anm. 3.
25 Alfred Lichtwark, Brief an die Kommission für die Verwaltung der Kunsthalle,
XIX. Band, 1911, Hamburg 1919, S. 67f.
26 Ebd.
27 AHK: Lichtwark Briefe. Kasten 114. Brief von Schulte an Lichtwark, 26.4.1911.
28 Ebd., Brief von Lichtwark an Schulte, 29.4.1911; Lichtwark 1919, wie Anm. 25,
S. 73.
29 Ebd., Brief von Schulte an Lichtwark, 1.5.1911.
30 Lichtwark 1919, wie Anm. 25, S. 79.
31 Ebd., S. 83. Bei der genannten Auktion handelte es sich um die Sammlung von
L. Laroche-Ringwald aus Basel, die Gemälde neuzeitlicher Meister umfasste und
am 29.11.1910 in der Kunsthandlung Eduard Schulte in Berlin stattfand.
32 Ebd., S. 81f.
33 AHK: Lichtwark Briefe. Kasten 114. Brief von Lichtwark an Schulte, 24.5.1911.
34 Pflugmacher 2001, wie Anm. 3, S. 370.
35 AHK: Lichtwark Briefe. Kasten 114. Brief von Lichtwark an Schulte, 3.6.1911.
36 Ebd., Brief von Schulte an Lichtwark, 5.6.1911.
37 AHK: 1911 Ausbildung und Vermehrung der Sammlungen, Bl. 7. Vgl. Erich
Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1923, S. 139.
Hancke irrt wenn er meint, Lichtwark habe das Bild direkt aus dem Nachlass Uhdes erworben.
38 Pflugmacher 2001, wie Anm. 3, S. 336, 338, Lichtwark, Brief an Liebermann,
19.6.1911 und 22.6.1911.
»Es ist ein mächtiges Werk«
43
39 Lichtwark 1919, wie Anm. 25, S. 83.
40 Der Ankauf wurde durch Gustav Diedrichsen ermöglicht. Pflugmacher 2001, wie
Anm. 3, S. 373, Lichtwark an Liebermann, 21.3.1912; ebd., S. 376, Lichtwark an
Liebermann, 28.3.1912; ebd., S. 380, Liebermann an Lichtwark 5.4.1912.
41 Ebd., S. 370. Lichtwark an Liebermann, 17.3.1912. Liebermanns Antwort, S. 371,
Liebermann an Lichtwark, 17.3.1912; ebd., S. 373, Lichtwark an Liebermann,
21.3.1912.
42 1851, Pastell und Gouache auf Papier, 43 × 58 cm, Inv. Nr. 1265, Provenienz:
Sammlung Otto Krigar-Menzel, Berlin, 1911. AHK: 1911 Ausbildung und Vermehrung der Sammlungen, Bl. 2.
43 Pflugmacher 2001, wie Anm. 3, S. 381, Lichtwark an Liebermann, 6.4.1912.
44 Ebd., Lichtwark an Liebermann, 7.4.1912.
45 Hans-Werner Schmidt, Die Hamburger Kunsthalle in den Jahren 1933 – 1945, in:
Verfolgt und Verführt. Kunst unterm Hakenkreuz in Hamburg, Hamburg 1983,
S. 50 – 67, S. 54. Leppien 1989, wie Anm. 13, S. 25.
46 Altes Landhaus in Hamburg, 1902, Öl/Lwd., 71 × 66 cm, ehem. Inv. Nr. 1599. Kartothek der ausgeschiedenen und getauschten Bilder; Eberle 1996, 1902/10, S. 592.
47 1765, Öl /Lwd., 146 × 112,2 cm, Inv. Nr. 676.
48 AHK: Slg. 622, Verkäufe von Gemälden 1929 – 1944, Bl. 7 – 13, 15, 17 – 20, hier
besonders 20.
49 Galerie Gurlitt an Kloos, 27.3.1941. Aus AHK: Slg 1 – Ankäufe für die Galerie
1940/45, Bl. 143; Slg. 18, Erwerbung v. Sammlungsgegenständen durch Tausch Nr.
8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 97, 98, 103 – 106. Wolfgang Gurlitt, Leiter der Galerie
Gurlitt, war der Cousin von Dr. Hildebrand Gurlitt.
50 AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 118.
51 Ebd., Bl. 114 – 117.
52 Ebd., Bl. 113. Es handelt sich um die Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel,
Wagen in Dünen, Beim Tischgebet, Polospieler, Bei Jacob, Uhlenhorster Fährhaus
und Wannseelandschaft im Frühling, die sechs Pastelle und kleineren Ölbilder Zimmer bei Jacob, Kirchenallee in Hamburg, Holländische Dorfecke, Polospieler, Regen
an der Elbe nach eigener Wahl und Holländische Dorfecke, die zwei Porträts
Richard Dehmel und Petersen und schließlich zwei Porträtskizzen nach eigener
Wahl.
53 AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 111.
54 Ebd., Bl. 108 – 110. Das Schreiben ist vollständig zitiert bei Carl-Wolfgang
Schümann: Max Liebermann in seiner Zeit. Zu der in Berlin, München und Den
Haag gezeigten Ausstellung, in: Kunstchronik, Jg. 33, Heft 11, 1980, S. 414 – 418,
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Der Jesus-Skandal
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hier S. 417 – 418. Schümann vergaß das Zitat zu belegen. Auch datiert Schümann
das Schreiben auf den 1.2.1941, dies ist das Datum für die Wiedervorlage. Das
Originalschreiben, in der Akte sind nur zwei Abschriften erhalten, muss vor dem
Februar 1941 verfasst worden sein.
1899, Öl/Lwd., 49,5 × 64,6 cm, Inv. Nr. 1588. Das Werk wurde im Januar 1951 von
Dr. Hildebrand Gurlitt zurück geschenkt. AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17,
1940 – 1949, Bl. 86.
Ostfriesische Bauern beim Tischgebet, 1890, Öl/Lwd., 1890, 93 × 11 cm, ehem. Inv.
Nr. 1581. Siehe Eberle, Bd. 1, 1995, S. 356.
1903, Öl/Lwd., 1903, 71 × 102 cm, ehem. Inv. Nr. 1584. Siehe Eberle, Bd. 2, 1996,
S. 606.
Alternativer Titel: Blick auf Florenz, Florenz, Arno-Ufer, 1925, Öl/Lwd., 69,5 × 99
cm, ehem. Inv. Nr. 2381.
1916, Öl/Holz/Malpappe, 51 × 60,5 cm, ehem. Inv. Nr. 2762. Die Hamburger
Kunsthalle versteigerte das Werk am 30.10.1956 beim Stuttgarter Kunstkabinett
Ketterer.
1900, Öl/Lwd., 117,5 × 165 cm, Inv. Nr. 2763.
Schriftverkehr zum Tausch in AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 × 17, 1940 – 1949,
Bl. 87 – 93, 95, 103; Kartothek der ausgeschiedenen und getauschten Bilder; Bundesarchiv Koblenz B 323, 369.
Privatarchiv Erben Glaubitz.
AHK: NL Glaubitz, Briefwechsel div. Kunsthändler, Bl. 47.
Leppien 1989, wie Anm. 13, S. 26.
AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8-17, 1940 – 1949, Bl. 86.
AHK: NL Glaubitz, Briefwechsel div. Kunsthändler, Bl. 31.
AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 81, Heise an Gurlitt, 26.11.1945.
Ebd., Bl. 80, Gurlitt an Heise, 29.2.1945.
Ebd., Bl. 75, Heise an Gurlitt, 9.1.1946.
Ebd., Bl. 81, Heise an Gurlitt, 26.11.1945.
AHK: NL Glaubitz, Briefwechsel Nicolai, Teil I, div. Kunsthändler & Museen,
Bl. 46; Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 81, Heise an Gurlitt,
26.11.1945.
AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 97.
Ebd., Bl. 68.
Leppien 1989, wie Anm. 13, S. 26.
AHK: NL Glaubitz, Mappe Resch. Resch an Glaubitz, 16. Juni 1969.
Leppien 1989, wie Anm. 13, S. 26.
»Es ist ein mächtiges Werk«
45
27 Max Liebermann, Entwurf zum zwölfjährigen Jesus im Tempel, 1879, Staatliche Museen zu Berlin,
Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 17
46
Der Jesus-Skandal
28 Max Liebermann, Kompositionsskizze in etwas anderer Fassung als die ausgeführte (Studie zum Gemälde Jesus im
Tempel), 1878, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 7
»Es ist ein mächtiges Werk«
47
29 Max Liebermann, Studien und Skizzen zum Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, o. J. (1876),
Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken · Kat-Nr. 4
30 Max Liebermann, Skizzen zu dem Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, o. J. (1876), Stiftung
Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken · Kat-Nr. 5
48
Der Jesus-Skandal
31 Max Liebermann, Vorstudie zu dem stehenden Alten auf der Kompositionsskizze, 1878 – 1879, Hamburger Kunsthalle,
Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 13
»Es ist ein mächtiges Werk«
49
32 Max Liebermann, Studie zu dem stehenden Mann auf der Kompositionsskizze, 1878 – 1879, Hamburger Kunsthalle,
Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 11
50
Der Jesus-Skandal
33 Max Liebermann, Studie zu dem Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1878, Düsseldorf, museum
kunst palast, Graphische Sammlung · Kat.-Nr. 9
»Es ist ein mächtiges Werk«
51
34 Max Liebermann, Studie zu einem Schriftgelehrten, 1879, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 16
52
Der Jesus-Skandal
35 Max Liebermann, Vorstudie zu dem Jesus gegenüber sitzenden Alten, 1878 – 1879,
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 12
»Es ist ein mächtiges Werk«
53
36 Max Liebermann, Studie zum Jesusknaben, 1878, Thomas LeClaire Kunsthandel, Hamburg · Kat.-Nr. 8
54
Der Jesus-Skandal
37 Max Liebermann, Studie zum Jesusknaben, 1879, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 15
»Es ist ein mächtiges Werk«
55
38 Max Liebermann, Studie zu einem Mann mit Gebetsschal, 1878 – 1879, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 14
56
Der Jesus-Skandal
39 Max Liebermann, Studie zu dem Jesus gegenüber
sitzenden alten Mann, 1878, Hamburger Kunsthalle,
Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 6
40 Max Liebermann, Studie zu
Der zwölfjährige Jesus im Tempel,
o.J., Verbleib unbekannt
00 BU folgt
41 Max Liebermann, Studie zu Der zwölfjährige Jesus
im Tempel, o.J., Verbleib unbekannt
»Es ist ein mächtiges Werk«
42 Max Liebermann, Studie zu
Der zwölfjährige Jesus im Tempel,
o.J., Verbleib unbekannt
57
Martin Faass und Henrike Mund
Sturm der Entrüstung
Kunstkritik, Presse und öffentliche Diskussion
»Daß der deutsche Kaiser bei seiner jüngsten Durchreise nicht einen
kurzen Abstecher in die Kunstausstellung gemacht hat, ist allgemein
aufgefallen; nun, vielleicht holt Se. Majestät den Besuch bei der Gelegenheit der Rückreise nach, …«1 Dabei hätte der Monarch als
Leihgeber wichtiger Bilder guten Grund gehabt, die Ausstellung zu
besuchen. Doch ließen ihm seine Reisepläne, die ihn von Lindau
über München nach Salzburg führten, offensichtlich keine Zeit, die
feierliche Eröffnung der zweiten Internationalen Kunstausstellung im
Münchener Glaspalast mit seiner Gegenwart zu beehren. Es waren
auch so genügend Ehrengäste, die am 19. Juli 1879 zur Eröffnung in
das prachtvoll ausgestattete Ausstellungshaus kamen: die bayerischen
Minister, die Mitglieder des diplomatischen Corps und die Mitglieder beider Kammern des Landtages, die Chefs der obersten Hofund Landesstellen sowie die Spitzen der Militär- und Zivilbehörden,
»alle in großer Uniform«.2 Nach einer kurzen Rede über die Bedeutung und Aufgabe der Ausstellung richtete Akademieprofessor Wilhelm Lindenschmit das Wort an den Prinzregenten Luitpold und bat
ihn, in Stellvertretung des Königs, des eigentlichen Schirmherrn und
Förderers, die Ausstellung zu eröffnen, was seine Königliche Hoheit
mit kurzen Worten des Dankes tat.
Das Ereignis ging durch alle regionalen und überregionalen
Tageszeitungen des Deutschen Reiches,3 denn bei der Ausstellung im
Münchener Glaspalast handelte es sich um den ehrgeizigen zweiten
Versuch Münchens, an die großen Weltausstellungen in London und
Paris anzuknüpfen und sich durch eine erfolgreiche Durchführung
der Veranstaltung in den vordersten Rängen der internationalen
Kunstszene zu platzieren. Für 80.000 Reichsmark hatte man in nur
wenigen Wochen in den kahlen, schmucklosen Räumen des Glaspalastes »ein geweihtes Inneres geschaffen, wie es die Würde der Kunst
erheischt«.4 Als zentraler Raum empfing den Besucher eine monu-
43 Münchener Glaspalast, um 1860 – 70
59
44 Internationale Kunstausstellung, Hauptvestibül, München 1879
45 Internationale Kunstausstellung,
Das Vestibül, München, 1879
60
mentale Kuppelhalle im Stile der Renaissance, deren Kuppelwände
mit Brustbildern der berühmtesten Künstler verziert waren. In der
Mitte stand ein prächtiger Brunnen, um ihn herum ein aufwendiges
Arrangement aus Ziersträuchern, Palmen und Skulpturen, aus dem
eine kolossale Büste König Ludwigs II. hervorragte. Große SäulenPortale mit gesprengten Giebeln und Wappenkartuschen führten zu
den angrenzenden Ausstellungshallen, die ihrerseits mit Brunnen,
Skulpturen und Gobelins reich geschmückt waren.
Sinn und Zweck der von König Ludwig II. zum ersten Mal 1869
ins Leben gerufenen Ausstellung war es, die aktuelle deutsche bzw.
Münchener Kunst im internationalen Vergleich zu präsentieren, ihren gegenwärtigen Stand zu ermitteln und sie in dem für die zweite
Hälfte des 19. Jahrhunderts so charakteristischen Wettbewerb der
Nationen zu fördern und zu stärken.
Was die Künstler angeht, so war eine Teilnahme an der Internationalen Kunstausstellung bei den meisten sehr begehrt, denn sie konnte
sowohl Ruhm – vor allem in Form der von der bayerischen Staatsregierung verliehenen goldenen Medaille – als auch ein lukratives
Der Jesus-Skandal
Geschäft durch den Verkauf des eingereichten Werkes bedeuten. Für
eine Teilnahme mussten die Künstler zunächst vom Ausstellungskomitee, das von der Münchener Künstlergenossenschaft und der
Akademie der bildenden Künste für die gesamte Organisation der
Veranstaltung einberufen wurde, zur Bewerbung eingeladen werden.
Erst dann wurden die Teilnehmer von einer Jury ausgewählt.5 Die
unglaubliche Menge der ausgestellten Bilder, es waren allein 1157
Gemälde zu sehen, macht es heute schwer, ein klares Ausstellungsprogramm zu erkennen, dennoch ist anhand des Ausstellungskataloges ein deutliches Übergewicht von monumentalen Werken mit
historischen Themen und nationaler Tendenz zu erkennen. Eines der
»Sensationsbilder«6 der Ausstellung war Die Proklamation des Deutschen Kaisers von Anton von Werner (Abb. 48), das den Gründungsakt des Deutschen Kaiserreiches nach Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges 1871 in der Spiegelgalerie des Versailler Schlosses
darstellt. Das kolossale Bild mit den Ausmaßen 4,3 × 7,3 Metern
war vom preußischen Kronprinzen und dem Herzog von Baden als
Geschenk zum 80. Geburtstag des Kaisers in Auftrag gegeben und
für den weißen Saal des Berliner Schlosses konzipiert worden. Von
dort kam es als Leihgabe seiner Majestät in die Ausstellung nach
München und wurde im Saal IV als Mittelpunkt eines regelrechten
Schlachtensaales inszeniert, umgeben von Werken von Wilhelm
Camphausen, Emil Hünten, Franz Adam und anderen, die die deutschen Siege im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und seine Protagonisten feierten. Camphausen war mit einem überlebensgroßen
Reiterporträt Kaiser Wilhelms I. vertreten, das ebenfalls aus kaiserlichem Besitz stammte, während von Franz Adam ein Bild der Sedan-Schlacht und Das 1. bayerische Armee-Corps bei der Einnahme
von Orleans zu sehen waren. Der Saal IV mit seinem künstlerischen
Säbelrasseln war so national ausgerichtet, dass liberale Kommentatoren wie Max Nordau darin einen Affront gegen die eingeladenen
französischen Künstler sahen.7 Sowohl durch die Auswahl der Werke
als auch durch die Beteiligung fürstlicher Leihgeber hatte die
deutsche Abteilung, die etwa die Hälfte der gesamten Ausstellungsfläche einnahm, eine deutlich nationalkonservative und akademische
Prägung. In diesen Kontext hätte auch ein anderes Sensationsbild
gepasst, um das sich das Komitee lange bemüht hatte: das Wand
füllende, seinerzeit vielbesprochene Gemälde Das Einreiten von Karl
Sturm der Entrüstung
46 Katalog der Internationalen KunstAusstellung zu München, Titelblatt, 1879
47 Internationale Kunstausstellung in
München, Innenraum, 1879
61
48 Anton von Werner, Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles, 1877,
ehemals Berliner Stadtschloss, Kriegsverlust
V. in Antwerpen von Hans Makart. Doch da es der Ausstellung nur
gegen einen Mietpreis von 5.000 Mark zur Verfügung gestanden
hätte, entschied man sich schließlich schweren Herzens gegen eine
Ausleihe. In diesem Zusammenhang musste Liebermanns Gemälde
Der zwölfjährige Jesus im Tempel einfach auffallen.
Liebermanns Gemälde fand seinen Platz im Saal VI, der in dem
vom Ausstellungsführer vorgeschlagenen Rundgang der vierte in
einer schier endlosen Folge von insgesamt 64 Sälen war. Hier hing es
zusammen in einer bunten Mischung von Gemälden unterschiedlicher Genres, bayerischen und holländischen Landschaften, Seestücken, bäuerlichen Genreszenen, Porträts, Veduten italienischer Städte und Historienbilder, die in zwei Reihen, dicht an dicht die Wände
pflasterten. Doch schon der Ausstellungsführer macht deutlich, dass
Liebermanns Werk aus der Vielzahl der Bilder hervorstach. Ihm
widmete er eine halbe Seite, während von den übrigen Gemälden in
der Regel nur der Titel genannt ist. Zu Liebermanns Werk heißt es
unter anderem: »Das Bild hat nicht wenig von sich reden gemacht,
– nicht etwa ob seines Kunstwerthes.«8
Wie Max Liebermann später in einem Brief an Alfred Lichtwark
schrieb (siehe S. 144 – 149), machte das Gemälde Der zwölfjährige
Jesus im Tempel ihn bei einer Reihe Münchener Künstler sofort
62
Der Jesus-Skandal
49 Max Liebermann, Der zwölfjährige
Jesus im Tempel, 1879 (Eberle 1879/3),
Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 3
berühmt. Noch am selben Tag, an dem das Werk von der Jury akzeptiert worden war, hatte er abends in der Künstlergesellschaft Allotria, zu der die damals führenden Künstler Lorenz Gedon, Franz
von Lenbach und Michael Wagmüller gehörten, herzliche Aufnahme
gefunden. Heinrich von Zügel, der an der Ausstellung mit zwei Tierstücken beteiligt war, habe zu ihm gesagt, »daß seit 50 Jahren kein
solch’ Meisterwerk in München gemalt sei«9, und Lorenz Gedon
habe ausgerufen: »Hier kommens her! Einer der so ein Bild gemalt
hat wie Sie, gehört zu uns!«10 Eine solche Anerkennung sollte ihm
durch die breite Öffentlichkeit und die Presse allerdings nicht zuteil
werden.
Tatsächlich erregte das Werk bereits auf der Ausstellungseröffnung großes Aufsehen. Zu den Vorkommnissen am Eröffnungstag
liegen zwei Berichte vor. Von Erich Hancke wissen wir, dass der
Prinzregent das Werk bei einem ersten Rundgang durch die Ausstellung von seinem ursprünglich guten Platz in ein Nebenkabinett hängen ließ.11 Hans Ostwald hingegen hat überliefert, dass das Werk
Sturm der Entrüstung
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aufgrund des Missfallens der katholischen Geistlichen höher, in der
zweiten Reihe, angebracht wurde.12 Beide Liebermann-Biografen
bezogen ihre Informationen vom Künstler selbst, sodass die Abweichung unverständlich bleibt. Welche der Versionen zutreffend ist
und ob das Bild überhaupt umgehängt wurde, lässt sich heute nicht
mehr sagen. Sicher ist nur, dass das Werk in der Ausstellung verblieb
und in allen heute noch erhaltenen Katalogen zur Ausstellung im
Saal VI verzeichnet ist.13 Die Ablehnung des Gemäldes durch den
Prinzregenten und die königliche Familie mag insbesondere die bayerischen Blätter zu negativer Berichterstattung angefeuert haben.
Aber auch die überregionale Presse war fast einhellig entsetzt von
Liebermanns Bild und widmete ihm ausführliche Verrisse.
Die Kritik richtete sich vor allem gegen die moderne, realistische
Bildauffassung Liebermanns und ließ in ihren Argumenten immer
wieder Antisemitismus offen zu Tage treten. Zum besseren Verständnis der damaligen Kritik gilt es zu bedenken, dass sie in einer Zeit
formuliert wurde, als der moderne Realismus die überkommene
»idealistische« Kunstauffassung radikal in Frage stellte. Die neue,
vom französischen Realismus beeinflusste Kunstrichtung fand ihre
Themen in der Natur und der Alltagswelt und setzte den riesigen
Cartons und Zeichnungen zu Historien- und Schlachtengemälden
eine an der Alltagswirklichkeit orientierte Kunst entgegen. Daher
wurde den Malern des modernen Realismus, die es in die GlaspalastAusstellung geschafft hatten, mit dem allergrößten Unverständnis
begegnet: »Die große Masse der Künstler […] ist ohne höheren
Schwung der Phantasie; bloß das Alltägliche zieht sie an und nur
dieses stellen sie dar ohne jegliche ideale Auffassung, in der abschreckendsten Gewöhnlichkeit«.14 Mit dieser kritischen Meinung stand
der Bayerische Landbote keineswegs allein dar. Selbst Reinhold
Schlingmann vom Berliner Tageblatt, der der neuen Kunstrichtung
aufgeschlossen gegenüberstand, warnte vor dem Einzug der »Versimpelung«, »Trivialität« und »Rohheit«15.
Ablehnung gegenüber der neuen realistischen Kunst hatte der
junge Liebermann schon einige Jahre zuvor erfahren, als er 1872
mit dem Gemälde Die Gänserupferinnen (Abb. 50) an die Öffentlichkeit trat. Das Gemälde, an dem Liebermann über Monate gearbeitet hatte, zeigt eine Gruppe Gänse rupfender Frauen in einem
dunklen Schuppen. Der einfache Raum mit rohem Dielenboden ist
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Der Jesus-Skandal
50 Max Liebermann, Gänserupferinnen, 1872 (Eberle 1872/1), Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
nur durch ein kleines Fenster und eine Stalllaterne erleuchtet. Es war
das erste Bild, in dem Liebermann so dezidiert das harte und entbehrungsreiche Leben auf dem Lande zum Thema gemacht und dabei auf historische oder literarische Bezüge vollkommen verzichtet
hatte. Schon damals reagierte die Kritik empört: »Liebermann’s
Gänserupferinnen, ein Gemälde, worin die abschreckendste Häßlichkeit in unverhüllter Abscheulichkeit thront, kann durch die virtuose Technik nicht für die gänzlich unberücksichtigt gebliebene,
nicht durch den leisesten Anflug von Humor vertretende Ästhetik
entschädigen.«16 Auch in einer anderen Besprechung wurde der
Künstler vor allem für die Motivwahl gerügt: »Das Aufsuchen des
widerlichst Abscheulichen, was es an rohen, verkümmerten, durch
angeborene, von Arbeit und Alter großgezogene Häßlichkeit entstellten und verhuntzen Menschenbildern, speziell alten Dorfweibern in
aller Welt nur geben mag, ist eine ganz eigentümliche Neigung.«17
Nach der damals herrschenden Vorstellung hatten die schönen
Künste sich dem Schönen, Idealen und historisch Bedeutsamen zu-
Sturm der Entrüstung
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zuwenden. Es war eine auf Motiv- und Darstellungsform bezogene
Ästhetik, die das Schöne, d. h. die durch Ebenmaß, Proportion und
ikonografische Muster geadelte Erscheinung, als das Wahre verstand
und die Mühsal des Lebens oder den Alltag mit der Kunst nicht in
Verbindung bringen konnte. In dieser Auffassung befangen war es
für Kritik und Ausstellungspublikum unmöglich, die künstlerische
Leistung unabhängig von Motivwahl und klassizistischer Form zu
denken. Es bedurfte noch fast eines ganzen Künstlerlebens, um dem
radikalen Gedanken Liebermanns: »die gut gemalte Rübe ist ebenso
gut wie die gut gemalte Madonna« zum Durchbruch zu verhelfen.
Daher konnte 1872 das Gemälde der Gänserupferinnen nur als
Herabwürdigung des vom Künstler nicht beachteten Schönen und
Wahren, d. h. letztlich der Kunst an sich aufgefasst werden. Diesem
Reaktionsmuster folgend, sollte sieben Jahre später die Kritik an
Liebermanns Der zwölfjährige Jesus im Tempel um Vieles schärfer
ausfallen, da die Darstellung des im Verständnis der Zeit AlltäglichHässlichen sich hier in unerhörter Weise mit einem christlichen Bildsujet verband. Hier war nicht mehr nur das Schöne und Wahre Gegenstand der respektlosen Herabwürdigung, hier stand die christliche
Religion selbst auf dem Spiel. Man bedenke, dass die Darstellung
von orthodoxen Juden im liturgischen Gewand, insbesondere solcher, die man mit den aus dem Osten zuwandernden Juden in Verbindung bringen konnte, damals für mindestens ebenso unwürdig
gehalten wurde wie die Darstellung der von Alter und Arbeit gezeichneten Frauen. Im Grunde genommen standen sie in der Skala
der sozialen Achtung sogar noch deutlich unter diesen.
In seiner Rückschau auf die Internationale Kunstausstellung
fasste Adolf Rosenberg zusammen: »Die heilige Geschichte ist für
die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts ein für alle Male aus dem
Dogmatischen und Uebersinnlichen in das rein Menschliche übersetzt worden; doch ist das religiöse Gefühl der großen Menge noch
nicht so weit abgestumpft […], als daß das schmähliche Pasquill
des Münchener Rhyparographen [Schmutzmaler, Anm. d. Verf.]
Max Liebermann ›Christus im Tempel‹ […] nicht allseitig mit Entrüstung zurückgewiesen worden wäre.«18
Tatsächlich sahen viele Kritiker in Liebermanns Gemälde Der
zwölfjährige Jesus im Tempel die Grenze zur Blasphemie deutlich
überschritten. Die Verrisse waren zahlreich. Eine der ersten schrift-
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Der Jesus-Skandal
51 Grundriss der Internationalen Kunstausstellung in München, 1879
lichen Schmähungen war die des damals berühmten Kunstkritikers
Friedrich Pecht, der in der Allgemeinen Zeitung schrieb: »gibt uns
Liebermann in Christus den häßlichsten, naseweisen Juden-Jungen,
den man sich denken kann, und die Rabbiner, die doch als echte
Orientalen sicher ihre Haltung zu wahren wußten, als ein Pack der
schmierigsten Schacherjuden wieder. Das Bild beleidigt nicht nur
unser Gefühl, sondern selbst unsere Nase, indem es ihr alle möglichen widrigen Erinnerungen hervorruft.«19 Pecht sah auf Liebermanns Gemälde nicht nur jeden idealistischen Zug weggelassen,
sondern auch den Realismus so weit getrieben, dass jedes christlichreligiöse Gefühl beim Anblick der Darstellung nicht nur unmöglich,
sondern sogar verletzt werden musste. Seinem »beleidigten Gefühl«
machte er dabei in einer Reihe abwertender Äußerungen Luft, die
einen nicht zu überhörenden antisemitischen Unterton hatten. Dass
Pechts Vokabular – von »häßlich« über »naseweis« bis zum »Pack
der schmierigsten Schacherjuden« – nicht nur beschreibend, sondern
geradezu judenfeindlich war, wird deutlich, wenn man sich die
Kritik von Max Nordau, dem späteren Begründer der Zionistischen
Weltorganisation, ansieht. In vergleichsweise milden Worten beschrieb er Jesus und die Schriftgelehrten: »ein ungewaschenes, rothaariges Judenjüngelchen, das spitzfindig disputiert und die halb
überraschten, halb entzückten, aus der erstbesten Börse geholten,
Sturm der Entrüstung
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52 Durchschnitt der Ausstellungsräume der Internationalen Kunstausstellung in München, 1879
und antik verkleideten Alten durch seine frühreife Klugheit in Atem
hält.«20
Mal mehr, mal weniger hart in der Wortwahl griffen die Kritiker
damals Liebermanns Darstellungsweise an.21 Die meisten waren sich
im Urteil der Verletzung des religiösen Anstands einig und scheuten
auch nicht davor zurück, den Künstler persönlich anzugreifen. Von
»Ryparograph«22 bis »Stümper«23 wurde Liebermann beschimpft,
und sogar der von den Gebrüdern Reichel in Augsburg gedruckte
Ausstellungsführer, der den Besuchern als Leitfaden durch die Ausstellung an die Hand gegeben wurde, sparte nicht mit Kritik: »Den
Unterschied zwischen wissenschaftlicher Kritik und künstlerischer
Darstellung, zwischen philosophischer Deduction und frecher Verhöhnung zu begreifen, dazu gehört eben mehr feines Tactgefühl (von
künstlerischem Sinne gar nicht zu reden), als der Maler ›auf Lager
zu haben scheint‹.«24 Nicht unerwähnt bleiben darf, dass es eine
Reihe an Stimmen gab, die den Künstler wegen seiner Religionszugehörigkeit beleidigten. So bemerkte ein anonymer Leserbriefschreiber
des Bayerischen Landboten: »Sie dürfen nicht vergessen, daß der
Maler ein Jude ist und die Juden durch die karrikaturhafte Darstellung das zu ersetzen suchen, was ihnen an Sinn für Farben und wirkliche Schönheit mangelt.«25 Vor allem von katholischer Seite wurde
laut angeprangert: »daß ein Jude gewagt hat, seinen christlichen
Mitbürgern solche Verhöhnung ihres Heilands öffentlich ins Gesicht
zu schleudern.«26
68
Der Jesus-Skandal
Die geifernde Kritik sollte während der gesamten Laufzeit der Ausstellung nicht verstummen, und noch im Januar 1880 befasste sich
der Bayerische Landtag in einer zweitägigen Debatte mit der Angelegenheit, als er den Staatsbeitrag zur Ausstellungsfinanzierung von
8.600 Mark bewilligte (siehe S. 150f.). In der Diskussion über diesen
Beitrag ergriff der Abgeordnete Dr. Daller das Wort, um ausführlich
über das Ärgernis mit dem Liebermann-Bild zu berichten, über das
er schon im Ausschuss Kunstförderung gesagt habe, dass »von einer
künstlerischen Bedeutung nicht die Rede sein könne, dass dagegen
der erhabene göttliche Gegenstand dieses Bildes in einer so gemeinen und niedrigen Weise dargestellt ist, dass jeder positiv gläubige
Christ sich durch dieses blasphemische Bild auf’s Tiefste beleidigt
fühlen mußte«.27 Am Ende seiner Rede drückte er die Hoffnung aus,
»dass die Künstlergenossenschaft [die für die Bildauswahl verantwortlich war, Anm. d. Verf.] die religiöse Überzeugung des Volkes
künftighin achtet und nicht mehr so rücksichtslos beleidigt«. Andere Abgeordnete forderten, »den Herren Juroren eine Geschäftsordnung oder Instruction aufzuoctruieren«28, um solche Ärgernisse zukünftig zu verhindern.
Jüdische Zeitungen wie die Allgemeine Zeitung des Judenthums
schalteten sich offensichtlich nicht in die publizistische Auseinandersetzung um das Liebermann-Bild ein, gehörte doch die Berichterstattung über bildende Kunst und deren Ausstellungen nicht in ihr
Ressort. Erst als die antisemitische Diskussion mit Heinrich von
Sturm der Entrüstung
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Treitschkes Rede Unsere Aussichten vom 15. November 1879 auf
die universitäre Ebene gehoben wurde und damit eine neue politische Qualität erreichte, sahen sich auch die jüdischen Zeitungen zu
Reaktionen herausgefordert. Die einzige jüdische Stimme im Zusammenhang mit dem Liebermann-Bild scheint neben dem Artikel von
Max Nordau eine Glosse im Berliner Börsen Courier vom 3. 8.1879
zu sein, worin ein anonymer Autor unter der Rubrik »Der Reporter« einen Gerichtsprozess schildert, in dem sich Max Liebermann
für sein Gemälde verantworten muss. Dabei überspitzt er Argumente
der Kritik bis zur Karikatur und entlarvt den Prozess, den so mancher Eiferer sich gewünscht haben dürfte, als bierseligen Traum
eines bayerischen Wirtshausbesuchers (Text siehe S. 78, 83 – 87).
Nach Einschätzung von Chana Schütz handelt es sich bei diesem
bisher unbekannten Dokument um ein frühes Beispiel selbstbewusster jüdischer Publizistik, die in ihrer Brillanz nahezu Tucholsky’sche
Qualität hat (siehe hierzu S. 79 – 82). Der Artikel war in seiner Tendenz so provozierend, dass sich der Hofprediger Adolf Stöcker
in seiner antisemitischen Rede vom 19. September 1879, in der er
gegen den vermeintlichen Hass der »Judenpresse«29 eiferte, dazu äußerte.30 Dabei erregte sich sein Zorn vor allem an der Beschreibung
des Jesusknaben als jüdischem Israeliten. »Bedenken Sie meine
Herren von Israel«, rief er zeternd dem Autor und seinen Kollegen
zu, »dass uns Christus gerade so heilig ist, wie Ihnen Jehova, und
Sie müssen unseren Zorn, anstatt zu verdammen, ehren und anerkennen. Wie aber die Berliner Witzblätter, lauter jüdisches Geschmeiß, die christlichen Dinge verhöhnen und verspotten, oft in einer einzigen Nummer drei, vier Mal, weiß jeder, der die verderblichen
Blätter liest.«31 Es scheint wegen dieses Artikels tatsächlich ein Gerichtsverfahren gegen den Berliner Börsen Courier angestrengt
worden zu sein, was insbesondere in Bayern mit großer Genugtuung
registriert wurde: »Die Kränkung unseres religiösen Gefühls scheint
gesühnt zu werden. Gegen den Berliner Börsen Courier, der das cynische Bild des Juden Liebermann, welches die hiesige Ausstellung
schändet, in fast noch cynischerer Weise besprochen hatte, ist [...]
eine Untersuchung wegen Gotteslästerung eingeleitet worden. Das
Bild selbst, nichts anderes als eine gemalte Gotteslästerung, hängt
noch immer zum Ekel und Widerwillen aller Beschauer [...] zudringlich an seinem Platz.«32
70
Der Jesus-Skandal
Und Prinzregent Luitpold? Der scheint sich nach seinem Rundgang
für den Schöpfer des Skandalbildes interessiert zu haben. Jedenfalls
berichtet Liebermann, dass er kurz nach der Eröffnung hohen Besuch bekam: »Nach der Eröffnung der Ausstellung kommt meine
Wirtin zu mir und sagt, ein vornehmer Herr wolle mich sprechen.
Ich gehe raus. Da stellt sich der Herr vor als Adjutant vom Prinzregenten Luitpold. Der Prinzregent warte unten vor der Haustür
und ließe fragen, ob er heraufkommen dürfe. Ich bat ihn natürlich
herauf. Er sagte: ›Ja – offen gesagt –, mir gefällt ja ihr Bild nicht.
Aber Ihre Kollegen sagen, das ist das beste Bild der Ausstellung. Da
muß ich eben noch bei Ihnen lernen, wie man solche Bilder versteht.
Darf ich öfter kommen?‹ [...] Der Prinz Luitpold kam dann öfter,
und wir wurden gute Freunde.«33 Weiter heißt es: »Meinen Eltern
war das fürchterliche Geschrei um das Bild, das natürlich bis Berlin
gedrungen war, höchst unsympathisch. Auf einer Reise kamen sie
nach München und ließen sich so weit wie möglich nichts von ihrer
schlechten Laune über mich anmerken. Ich zeigte Ihnen die Stadt.
Und so bummelten wir auch die Maximilianstraße entlang. Da
kommt plötzlich einer von hinten, kriegt mich unter dem Arm und
sagt: ›Warum arbeiten Sie nicht?‹ Das war der Prinz Luitpold [...]
Ich sagte ihm nun, dass ich meinen Eltern München zeigen wollte,
worauf er mich bat, ihm meine Eltern vorzustellen. Und die ganze
Maximilianstraße entlang tat er nichts weiter, als meinen Eltern erzählen, wie meine Kollegen von mir dächten und dass ich zu den
größten Künstlern Deutschlands gehörte. Man kann sich denken,
welchen Eindruck die Worte des liebenswürdigen Prinzen auf meine
Eltern machten.«34
53 Prinzregent Luitpold von Bayern,
um 1870
Doch trotz dieser königlichen Rückenstärkung sollte Max Liebermann die Ereignisse so schnell nicht vergessen. Er nahm sich die
Kritik so zu Herzen, dass er das Gemälde übermalte35 und sich für
die nächsten dreißig Jahre von religiösen Themen fernhielt. Erst
1911 konnte er mit einiger Genugtuung rückblickend feststellen,
dass sein »Jesus der Anlaß der neureligiösen Malerei«36 geworden
war.
1 Neueste Münchener Nachrichten, 31. Juli 1879, 3. Jg., Nr. 172, S. 2.
2 Bayerischer Landbote, Jg. 55, Nr. 165, 22. 7. 1879, S. 2.
3 Vgl. z. B. Bayerischer Landbote, Jg. 55, Nr. 165, 22. 7. 1879, S. 2; Neueste Nach-
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richten, Jg. 32, Nr. 201 & 202, 20. 7. 1879, S. 3; Germania. Zeitung für das deutsche Volk, Jg. 9, Nr. 164, 21. 7. 1879, S. 3.
Bayerischer Landbote, Jg. 55, Extrabeilage zu Nr. 176, 3. 8. 1879, S. 1.
Vgl. Andrea Grösslein, Die internationalen Kunstausstellungen der Münchner
Künstlergenossenschaft im Glaspalast in München von 1869 bis 1888, Miscellanea
Bavarica Monacensia CXXXVII, München 1987, S. 29 – 33.
Frankfurter Zeitung, Nr. 204, 23. 7. 1879, S. 3.
So z. B. Max Nordau in der Frankfurter Zeitung vom 23. 7. 1879. »War es überhaupt nötig, einen Schlachtensaal in der Münchener Ausstellung zu haben? Es galt
hier, einen Akt internationaler Höflichkeit zu üben oder vielmehr nur zu erwidern
und den Franzosen nicht den Ruhm zu lassen, die unerreicht artigste Nation der
Welt zu sein.«
Führer durch die internationale Ausstellung in München. Mit einem Plan der Ausstellung, einer photographischen Ansicht des Vestibuls und einem illustrierten Wegweiser durch die Residenzstadt München, 2. Aufl. Augsburg 1879, S. 19 f.
Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark vom 5. 6. 1911, in: Ernst Volker Braun
(Hrsg.), Max Liebermann, Briefe. Auswahl von Franz Landsberger, Korrespondenzen V, Stuttgart 1994, S. 42.
Hans Ostwald, Das Liebermann-Buch, Berlin 1930, S. 130. Vgl. auch Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1923 (2. Aufl.), S. 132.
Ebd., S. 132 f.
Ostwald 1930, wie Anm. 10, S. 130.
Siehe Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung im Kgl. Glaspalaste zu München, München 1879 (ohne Angabe /2./3./5. Aufl.), S. 24. Zum Problem der Platzierung und Hängung vgl. Gudrun Kimmich, Max Liebermann »Der zwölfjährige
Jesus im Tempel«. Das christliche Bildthema eines »jüdischen« Malers im Spiegel
der Kritik (Mag.), Tübingen 1994, S. 24 ff.
Bayerischer Landbote, Jg. 55, Nr. 176, 3. 8. 1879, S. 3.
Reinhold Schlingmann, in: Berliner Tageblatt, Nr. 374, 13. 8. 1879, S. 2.
A. J. M., Die Hamburger Kunstausstellung, in: Beiblatt zur Zeitschrift für Bildende
Kunst, JG. VII Nr. 17, 31. 5. 1872, S. 312, zit. n. Matthias Eberle, Max Liebermann
1847 – 1935. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien, Bd. 1, München 1995,
Bd. 2, 1996, hier Bd. 1, S. 44.
Ludwig Pietsch, Die Kunstausstellung im Akademiegebäude XIV, in: Vossische Zeitung, Nr. 259, 5. 11. 1872, Beilage, zit. n. Eberle 1995, wie Anm. 16, S. 44.
Adolf Rosenberg, Der gegenwärtige Stand der deutschen Kunst nach den Ausstellungen in Berlin und München, in: Zeitschrift für Bildende Kunst. Mit dem Beiblatt
Kunst-Chronik, Bd. 15, 1880, S. 41 – 48, hier S. 43.
Friedrich Pecht, Die Münchener Ausstellung II. Die religiöse und die Historienmalerei, in: Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 216, 4. 8. 1879.
Max Nordau, Internationale Kunst-Ausstellung in München III, in: Frankfurter
Zeitung, Nr. 210, 29. 7. 1879, S. 3.
Der Jesus-Skandal
21 Ludwig Pietsch schrieb am 8. 8. 1879 in der Vossischen Zeitung: »Er verlegte die
Scene in eine echt polnisch kleinstädtische Synagoge. Sein Jesusknabe, ein plumper,
nacktbeiniger, schmutziger Junge, in, drücken wir’s zart aus, isabellafarbendem
Hemde, verräth durch nichts eine höhere Intelligenz. Wie ihn die mit Kaftans und
Pelzmützen bekleideten Schriftgelehrten, die sonderbarer Weise viel mehr gemeinen
Russen, als Juden ähnlich sahen, diesen Gast unter sich dulden, erscheint unerklärlich.« Ludwig Pietsch, Von der internationalen Kunst-Ausstellung in München VII.,
in: Vossische Zeitung (Morgenausgabe), Nr. 220, 8. 8. 1879 (2. Beilage). Ein anonymer Autor mit dem Kürzel »E. F.« hingegen formulierte im Bayerischen Landboten vom 3. 8. 1879: »Vollends aber die Schriftgelehrten sind weiter nichts als die
nächstbesten Börsenjuden, die von einer Schriftgelehrsamkeit über das Einmaleins
hinaus nicht die leiseste Spur verrathen; und der ungewaschene Bube im schmutzigen Hemde, der Frag und Antwort steht, ist Ekel erregend. Der ordinäre Schacherzug im Gesichte, die krummen geldgierigen Finger sind von so widerlichem
Eindrucke«, in: Bayerischer Landbote, Jg. 55, Beilage zu Nr. 176, 3. 8. 1879, S. 2.
22 Rosenberg in: Zeitschrift für Bildende Kunst, wie Anm. 18, S. 43.
23 Reinhold Schlingmann, Die Münchener Internationale Kunst-Ausstellung V, in:
Berliner Tageblatt, Nr. 366, 8. 8. 1879, S. 2.
24 Führer durch die internationale Kunstausstellung in München. Wie Anm. 8, S. 20.
25 Briefkasten, in: Bayerischer Landbote, J. 55, Nr. 192, 23. 8. 1879, S. 3.
26 Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus, H. Merz und C. G. Pfannschmid (Hrsg.), Jg. 22, Nr. 1, 1. 1. 1880, S. 4.
27 Stenographischer Bericht über die Verhandlung der bayerischen Kammer der Abgeordneten, 136. Öffentliche Sitzung, Nr. 163, Bd. IV, München den 15. 1. 1880,
S. 595.
28 Ebd.
29 Adolf Stöcker: Unsere Forderung an das moderne Judentum. Rede gehalten am
19. September 1879 in der christlichen Arbeiterpartei, in: ders., Christlich-soziale
Reden und Aufsätze, Berlin 1890, S. 366.
30 Stöcker nennt fälschlicherweise das Berliner Tageblatt als Quelle, ebd. S. 375.
31 Ebd. S. 377.
32 Bayerischer Landbote, Jg. 55, Nr. 194, 26. 8. 1879, S. 3.
33 Max Liebermann, zit. n. Hans Ostwald 1930, wie Anm. 10, S. 132.
34 Ebd.
35 Vgl. Katrin Boskamp, Die ursprüngliche Fassung von Max Liebermanns: Der
zwölfjährige Jesus im Tempel. Ein christliches Thema aus jüdischer Sicht, in: Das
Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft (Sonderdruck),
Heft 1, 1993, S. 29 – 36, hier S. 29 – 31.
36 Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark, 5. 6. 1911, in: Ernst Volker Braun
(Hrsg.), Max Liebermann, Briefe, wie Anm. 9, S. 42.
Sturm der Entrüstung
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54 Ausschnitt aus: Führer durch die
internationale Ausstellung in München,
2. Auflage Augsburg 1879
55 Auschnitt aus: Max Nordau, Internationale Kunst-Ausstellung in München
III. Die deutsche Kunst (Fortsetzung),
Frankfurter Zeitung, 29. 7. 1879
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Der Jesus-Skandal
56 Ausschnitt aus: E. F., Die internationale Kunstausstellung in München
1879, Bayerischer Landbote, 3. 8. 1879
57 Ausschnitt aus: Friedrich Pecht, Die
Münchener Ausstellung II. Die religiöse
und die Historienmalerei, Augsburger
Allgemeine Zeitung, 4. 8. 1879
Sturm der Entrüstung
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58 Ausschnitt aus: Reinhold Schlingmann,
Die Münchener internationale KunstAusstellung, Berliner Tageblatt, 8. 8. 1879
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Der Jesus-Skandal
59 Ausschnitt aus: Ludwig Pietsch, Von
der internationalen Kunstausstellung in
München, Vossische Zeitung, 8.8.1879
Sturm der Entrüstung
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Chana Schütz
Max Liebermann vor Gericht
Ein Essay im Berliner Börsen-Courier
Die Präsentation von Max Liebermanns Gemälde Der zwölfjährige
Jesus im Tempel hat auf der zweiten Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast im Juli 1879 so etwas wie einen
»Sturm der Entrüstung« ausgelöst. Martin Faass und Henrike Mund
widmen in diesem Katalog den verschiedenen Reaktionen in der
deutschen Tages- und Kunstpresse einen eigenen Beitrag. Wie von
beiden bemerkt, gibt es nur wenige zeitgenössische Stimmen, die
nicht von eindeutig antisemitischer Tendenz waren und die sich
dabei gleichwohl mit dem jüdischen Inhalt des Bildes auseinandergesetzt haben.
Eine dieser Stimmen ist ein anonymer Essay, der am 3. August
1879 in der Rubrik Der Reporter im Berliner Börsen-Courier erschienen war.1 Worum geht es?
Der Autor macht den Leser zum Beobachter einer Gerichtsverhandlung. Angeklagt ist der Maler M. Liebermann, der sich hier
wegen seines Jesus-Bildes gegen den Vorwurf der Blasphemie zu
verantworten hat. Die Anklage fährt dabei alle nur erdenklichen
antijüdischen Argumente auf und bedient sich so gut wie aller antisemitischen Klischees der Zeit. Der Maler verteidigt sich mit klaren
Worten. Doch es kommt – wie nicht anders erwartet – zu einer
lächerlichen Verurteilung, bis sich schließlich das Ganze »als bierseliger Traum eines bayerischen Wirtshausbesuchers« erweist.2
Es handelt sich bei diesem Text um ein frühes Beispiel jüdischer
Publizistik. In lustvoller Detailtreue werden antisemitische Stereotypen aneinandergereiht, um den Kleingeist der gegnerischen Agitation ad absurdum zu führen. Rezipiert werden dabei auch die Attacken, wie sie seit 1875 vor allem in der Schlesischen Volkszeitung
gegen die deutschen Juden geritten wurden und die 1879 auch die
Reaktionen auf das Liebermann-Gemälde in der Münchener und
Augsburger Presse bestimmt haben.
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Inka Bertz wird sich in diesem Band insbesondere auf die Auswirkungen des Skandals auf die antisemitische Bewegung in Deutschland konzentrieren. Mir geht es im Besonderen darum, über den
Essay im Berliner Börsen-Courier, der ohne Zweifel aus dem Berliner jüdischen Milieu stammt, Einblicke in die Befindlichkeit der
Berliner Juden zu erhalten.
In dem Beitrag des anonymen Autors, in dem man fast den Maler selbst in einer Verteidigungsrede vermuten könnte, wird Satire
zur gesellschaftspolitischen Waffe. Über die Ziele und Argumente
der Gegner sehr gut informiert, fehlt jedoch jegliche Apologetik, die
so oft die jüdische Argumentationsweise späterer Jahre bestimmen
sollte. Hier im Berliner Börsen-Courier haben wir es mit reiner Satire zu tun, die selbstbewusst ihren Stoff aus der Welt des Theaters
oder der Kleinkunst bezog.
Doch auf einen anderen Aspekt sollte hingewiesen werden:
Verdeckte nicht diese humoristische Reaktion, die auch die Züge
eines gewissen intellektuellen Hochmuts trug, tatsächlich die eigenen
Verletzungen, die diese unerhört gemeine Debatte um ein Bild unter
den deutschen Juden ausgelöst hatte? Denn: Waren nicht die deutschen Juden schutzlos diesen Angriffen ausgesetzt, mit denen wohl
keiner, am allerwenigsten der Künstler selbst, gerechnet hatte?
Wie mag Max Liebermann sich selbst zu den Angriffen geäußert
haben? Wir wissen es leider nicht, doch musste ihm in den Julitagen
des Jahres 1879 eines klar geworden sein: War er bisher nur der
Maler des Hässlichen, wurde er nun für einen bestimmten Teil
Deutschlands zum hässlichen Juden. Und, wie wir heute wissen, die
damalige antisemitische Kampagne hatte Folgen. Der Maler schwor
sich, nie wieder ein religiöses Bild zu malen.
Tatsächlich war Liebermann durch diesen Vorfall so erschüttert,
dass er das Bild später – ohne viel Aufhebens davon zu machen – in
Teilen übermalte und den jüdischen Gassenjungen zu einem adretten
blonden Knaben mutieren ließ. War dies sein persönliches Eingeständnis, dass man in einem christlichen Staat den Religionsstifter
nicht als Judenjungen darstellen durfte?3
Verdeckt durch den Sturm der Entrüstung, den das Bild in der
deutschen Presse auslöste, blieben die Fragen nach den Motiven, die
Liebermann ursprünglich verfolgt hatte, jedoch völlig im Dunkeln.
Da war zum einen der Realismus. Er bestimmte unbestritten Bild-
80
Der Jesus-Skandal
und Formensprache. Doch Liebermann wollte mit dem Zwölfjährigen Jesus »ein religiöses Bild«4 malen, ein religiöses Bild, gemalt
von einem Juden, von einem deutschen Juden.
So drängt sich die Frage auf: Wie reagierten eigentlich die Juden
auf die Darstellung eines originär christlichen Themas? Bekannt ist
eine Stellungnahme von Max Nordau zu dem Zwölfjährigen Jesus.
In der Frankfurter Zeitung vom 29. Juli 1879 schrieb der Autor, der
selbst aus einer jüdisch-orthodoxen Familie stammte: »Das ist eine
Rebellion gegen alle Herkunft, gegen langweilige Übernatürlichkeit,
gegen Schulzwang und Nachahmung, das ist selbstgesehen und
selbstgedacht, das steht ganz und gar auf eigenen Füßen.«5
Und so bleibt die Frage stehen: Was hatte den Maler zu einer
Szene veranlasst, in der nach den Worten Max Nordaus ein »rothhaariges Judenjüngelchen« mit jüdischen Schriftgelehrten disputiert,
die aussehen, als kämen sie aus der »erstbesten Börse«? Lag nicht
darin eine Verhöhnung jüdischer Gelehrsamkeit?
Und: Wie muss die Darstellung einer engen, überfüllten jüdischen Betstube aus irgendeinem osteuropäischen Stetl eigentlich auf
die etablierte jüdische Bürgerschaft Berlins gewirkt haben, die sich
nur ein paar Jahre früher mit der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße ein stolzes, weithin sichtbares Wahrzeichen gesetzt
hatten?
Es ist nicht auszuschließen, dass die Eltern von Max Liebermann
nicht nur »das fürchterliche Geschrei um das Bild, das natürlich bis
Berlin gedrungen war, höchst unsympathisch« fanden,6 sondern sich
seine Mutter auch wegen des Bildinhalts schämte, »über die Straße
zu gehen«.7
Alle diese Fragen mussten jedoch durch die antisemitischen
Ausbrüche, die das Tagesgeschehen bestimmten, in den Hintergrund
treten. Vielleicht wurden sie in Gesprächen und Diskussionen erörtert, einen sichtbaren Niederschlag haben sie – meines Wissens –
nicht gefunden. Und so bleibt dieser Essay im Berliner Börsen-Courier vom 3. August 1879 ein klares Bekenntnis zu dem Maler und zu
seinem Bild, ein sichtbares Zeichen aus jüdischer Sicht und eine
Kampfansage an alle diejenigen, die versuchten mit scheinheiligen
Argumenten die Gleichberechtigung der Juden in Deutschland infrage zu stellen. Aus diesem Grunde hat er es verdient, hier vollständig abgedruckt zu werden.
Max Liebermann vor Gericht
81
1
2
3
4
5
6
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82
Ich danke Martin Faass, der mich für diesen Band um eine Einschätzung dieses
Essays gebeten hat.
Martin Faass / Henrike Mund in diesem Katalog, S. 59 – 73
Vgl. Chana Schütz, Hermann Simon, »Max Liebermann: German Painter and Berlin Jew«, in: Barbara Gilbert (Hg.), Max Liebermann: From Realism to Impressionism, Skirball Cultural Center, Los Angeles 2005, S. 151 – 165.
Max Liebermann, in: Günther Busch (Hg.), Max Liebermann. Die Phantasie in der
Malerei. Schriften und Reden, Frankfurt am Main 1978, S. 28
Max Nordau, Internationale Kunst-Ausstellung in München, III. Die deutsche
Kunst (Fortsetzung), in: Frankfurter Zeitung, 29.7.1879.
Hans Ostwald, Das Liebermann-Buch, Berlin 1930, S. 132.
Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, 2. Aufl. Berlin 1923,
S. 133.
Der Jesus-Skandal
Der Reporter
Berliner Börsen-Courier vom 3. 8. 1879, S. 2
** . . . . . . . . . . . . . . . Der Präsident erhob sich mit Würde und
mit einem gewissen Nachdruck, die beiden Beisitzer hörten auf in
den Acten zu blättern und Tabak zu schnupfen, die Verhandlung war
eröffnet.
„Angeklagter“, begann der Vorsitzende voll Hoheit, „erheben Sie
sich. Sie heißen M. Liebermann. * Sie sind aus Berlin gebürtig und
halten sich zur Zeit nach den Acten Malens und Ausstellens halber
in München auf. Sie sind bisher unbestraft, aber Sie haben Sich
durch Verkehr mit anrüchig-realistischen Persönlichkeiten, beispielsweise mit einem gewissen Courbet in Paris, der ein Communard und
ein Vendomesäulen-Umstürzler war, schon früher verdächtig gemacht. Da Sie nicht widersprechen, werden diese Daten als zutreffend angenommen.“
„Es ist nun laut Beschluß des Anklagerats hiesigen Königlichen
Gerichts Anklage wider Sie erhoben auf Grund der folgenden Thatsachen. Wie Sie in der Voruntersuchung nicht bestritten haben, stellen Sie in der Internationalen Kunstausstellung zu München unter
der Katalogs-Nummer 609 ein Gemälde aus. Daß Sie als verantwortlicher Urheber des Gemäldes anzugeben sind, ergibt sich aus der
Thatsache, daß sich in der Ecke desselben Ihr deutliches Facsimile
befindet. Auch bestreiten Sie die Thatsache der Urheberschaft nicht.
Um nun den Sachverhalt klarzustellen, bemerke ich nach der Anklage Folgendes: Besagtes Bild stellt einen jüdischen Israelitenknaben
mosaischen Antlitzes in einem weißen, nicht ganz reinlichen Kittel
dar. Selbiger Israelitenknabe hat rothes Haar und wahrscheinlich
Sommersprossen. Darüber, ob er schielt, sind die Ansichten geteilt.
Besagter mosaischer Israelitenknabe scheint mehreren älteren Gentlemen von mehr hebräischem als respektablem Aeußeren irgend etwas
zu erklären. Er bewegt dabei die Hände – so was man etwa im Berliner Jargon „er mauschelt mit den Händen“ nennt. Die Gentlemen
Max Liebermann vor Gericht
83
um ihn herum sind meistentheils in Gebet-Mäntel, aber wie der
technisch-israelitisch synagogale Ausdruck lautet, in „Tallissim“ gehüllt und zwar in solche mit breiten goldenen und silbernen Borten … wie sie etwa die Vorbeter wohlhabender polnisch-jüdischer
Chassidim-Gemeinden tragen. Der Gesichtsausdruck der Herren in
den langen Röcken und den Gebetsmänteln ist ein sehr verschiedener. Er schwankt zwischen drei Jahren Zuchthaus, bis herab
zu vier Monaten Gefängniß wegen leichterer Vergehen gegen das
Eigenthum. Man hat den ungefähren Eindruck, daß diese Herren in
Uschilug am Bug oder in Tarnow in Galizien zu Hause seien und
selbst in diesen gesegneten Ortschaften wegen ihrer körperlichen
und moralischen Reinlichkeits-Verhältnisse nicht sehr gesucht als
Umgangs-Objecte sind. Man hat ferner den vagen Eindruck; als ob
sie Schmele, Jekend, Jizchok, Awrohim, Szimche und Leibel hießen,
während der kleine rothhaarige Knabe, der nun um ein Weniges
weniger schlecht zu riechen scheint, als seine Umgebung sich ohne
Frage in den officiellen Geburtsregistern Leiser nennt, in der holden
Intimität des Privatlebens aber sicher „Leiserche“, oder auch „Leiserleben“ gerufen wird. Seine Beschäftigung auf dem Bilde ist ersichtlich die, den alten Gentlemen zu erklären, auf welche Art er, der
kleine Tausendsasa mit den rothen Haaren einen Profit zu machen
gedenke. Ein Theil der alten Herren scheint recht erfreut, während
Einer augenscheinlich zu sich selber sagt: „Mah, heißt e Narrischkeit!“ und ein Anderer die geflügelten Worte zu sprechen scheint:
„Will der Jung schon schmussen von’s Geschäft!“ . . . . . “
„Die Anklage constatirt, daß sie von ihrem Standpunkte aus
sich mit dem Gemälde nicht zu befassen gehabt hätte, sofern es
thatsächlich betitelt gewesen wäre: „Wie Leisersleben von’s Geschäft
schmusste.“ Dem ist aber nicht so. Ausweislich des Katalogs Nummer 609, Seite 24, nennen Sie, Angeklagter, Ihr Bild „Christus im
Tempel“. Darin erblickt denn nun die Anklage eine flagrante Verletzung des Paragraphs 166 des Strafgesetzbuches, welcher von der Beleidigung der Religion durch Wort, Schrift, oder Bild handelt. Hier
liegt eine Beleidigung des Stifters der christlichen Religion durch den
Pinsel vor. Die Anklage erklärt von der Verfolgung wegen Beleidigung der Israelitischen Religion, deren Hohe-Priester und deren
hohe Priester als Pferdehändler mit durchaus nicht reinlichen Antecedentien dargestellt sind, absehen zu wollen. Auch soll die Ent-
84
Der Jesus-Skandal
schuldigung des Inculpaten in dieser Beziehung, er habe lediglich
Vorfahren des bekannten „Jüdischen Referendars“ gemalt, wie sie
nach den Auffassungen eines bekannten Artikels der „Schlesischen
Volkszeitung“ ungefähr ausgesehen haben müssen, angenommen
werden. „Angeklagter, haben Sie auf diese Erörterungen der Anklage
etwas anzuführen?“
Der Angeklagte, ein noch ziemlich junger Mann mit intelligentem Gesichtsausdruck und in tadelloser Toilette nach allerneuster
Pariser Mode, erhebt sich: „Hoher Gerichtshof! Ich bin mir der
Schwere der gegen mich gerichteten Anklage wohl bewußt. Nicht
etwa der ideellen Schwere. Darum kümmere ich mich nicht. Wohl
aber kenne ich die Strafen, um die es sich hier handelt. Bis drei
Jahre, wenn ich nicht irre. Hoher Gerichtshof – ich bin ein moderner Maler, ein moderner Mensch. Ich meine damit nicht den Schnitt
meines Anzuges, sondern den Schnitt meiner Gesinnungen. Soll ein
moderner Künstler den Schnickschnack immer wieder malen, den
bereits vergangene Jahrhunderte sich selbst zum Ueberdruß gemalt
haben? Etwa Heiligenbilder nach der alten Manier mit heiliger Attitude und Glorienschein? Oder Geschichtsbilder, wo es doch keinen
viertelwegs anständigen Geschichts-Actus inclusive aller einigermaßen interessanten Brautwerbungen, Taufen und Beerdigungen giebt,
der nicht schon gemalt wäre? Oder Elfenreigen im Mondschein,
oder dergleichen? Nein, wir modernen Malersleute, das heißt, die
wenigen, die sich zu wirklicher Modernität durchgearbeitet haben,
wir sind von anderem Kaliber. Wir sind Vollblut-Realisten und darum kann nur der Unverstand behaupten, wir wären blutleere Klügler und unkünstlerische Skeptiker. Um Heiligenbilder nach der alten
Manier zu malen, dazu fehlt uns freilich der Glaube. Den Wundern
menschlich schöne Gestalt geben und sie menschlich den Menschen
nahe bringen, das konnte vielleicht ein im Glauben befangener Rafael, aber wir halten, wie gesagt, von dem Krimskrams solcher Glaubens-Imaginationen nicht viel. Ich meinerseits komme über den halben Glauben nicht hinaus. Die eine Hälfte von den Wundern glaube
ich gewöhnlich, die andere nicht. Daß Christus mit einem Brot fünftausend Hungrige gespeist hat, glaube ich, – daß sie dabei satt geworden sind, glaube ich nicht. Christus ist der Sohn Josephs, nicht
wahr? Er ist also ein jüdischer Knabe gewesen. Da wir modernen
Menschen an Wunder nicht glauben, kann ich mir nicht helfen, – er
Max Liebermann vor Gericht
85
wird jüdisch ausgesehen haben. Jüdische Knaben haben häufig rothe
Haare. Warum soll Christus nicht rothe Haare gehabt haben? Israeliten-Knaben tragen manchmal etwas schmutzige Kittel. Warum soll
Christus einen ganz reinen angehabt haben? Jüdische Knaben mauscheln häufig mit den Händen; warum soll Christus, als er im Tempel mit den Priestern – die doch auch gewiß die Hände nicht still
gehalten haben, nicht mit den vorderen Extremitäten gemauschelt
haben? Hoher Gerichtshof, ich weiß nicht, ob es ein wahres Bild ist,
denn ich bin nicht dabei gewesen. Aber ein realistisch wahrscheinliches Bild ist es und darum bitte ich um Freisprechung von der Anklage.“
Nach einigem Räuspern nimmt der Staatsanwalt das Wort: „Hier
handelt es sich nicht nur um Verunglimpfung einer Religion“, meint
er, „hier handelt es sich um Verunglimpfung des religiösen Gefühls
überhaupt. Vielleicht möchte sich der Herr Angeklagte auf Menzel
berufen, aber zwischen Voltairerianischer Ironie und brutaler Carricatur ist doch noch ein greifbarer Unterschied. Ob Christus etwa so
ausgesehen haben kann, geht die Anklage nicht im Entferntesten an.
Vielleicht hat er sogar auch eine hohe Schulter gehabt und am Ende
bedauert der Herr Angeklagte, ihn nicht verwachsen gemalt zu haben. Christus ist eine Idealgestalt, nicht nur für Christen, sondern
für jeden halbwegs richtig Empfindenden. Einer ausgeklügelt abschreckenden Figur seinen Namen zu geben, heißt ihn herabsetzen
und jedes ihm zugewendete Gefühl verletzen. Dieser Christus hätte,
groß geworden, keine andere Bergpredigt gehalten, als die: „S e l i g
s i n d , d i e v i e l G e l d v e r d i e n e n.“ Entweder man geht
an die Idealgestalt dessen, der die Liebe gepredigt und der der Welt
zum Erlöser geworden, mit Ehrfurcht und mit Liebe heran, oder
man lasse die Hand davon, ihm dem Volke zu zeigen, will man nicht
Haß und Verachtung säen. Entweder sieht man in Christus den Gott,
oder den erhabenen Menschen, oder den großen Glaubenslehrer,
und dann malt man ihn, – oder man sieht nichts in ihm als einen
jüdischen Mann aus Judäa, man hält nichts von ihm, man macht
sich nichts aus ihm und dann malt man ihn nicht. Ein roothaariger
Christus-Judenjunge ist ein Unsinn, das sagt schon das gesunde Gefühl, und sowohl von meinem amtlichen Standpunkte aus, als vom
Standpunkte des guten Geschmacks bitte ich um Verurtheilung des
Angeklagten.“ . . . . . . .
86
Der Jesus-Skandal
Der Gerichtshof zieht sich zurück. Nach halbstündiger Abwesenheit
erscheint er wieder, und der Präsident verkündet das Resultat der
Berathung: Der Angeklagte wird verurtheilt, zwei Jahre mit unverschlossenem Geruchs-Organ unter den Gestalten, die er selber malt,
zuzubringen, ohne dieselben veranlassen zu dürfen, den Reinlichkeits-Zustand, in dem dieselben sich zur Zeit, als sie gemalt wurden,
befanden, aufzugeben. Außerdem werden ihm auf zwei Jahre die
künstlerischen Ehrenrechte – daß Recht, die Venus von Milo, die
von Medici, den Apoll von Belvedere, die Sixtina, die Madonna della Sedia etc. etc. anzuschauen, sowie den Zauber einer Mondnacht
mit voller Brust zu genießen etc. etc. – abgesprochen . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist das? Wie, was? Ein Diener
im schwarzen, gelb geränderten Rock, eine Mütze auf dem Kopf,
rüttelt mich lebhaft. „Es ist 6 Uhr, mein Herr; die Ausstellung wird
geschlossen.“ . . . . O, über die Schwäche, inmitten dieser glänzenden
auf und ab wogenden Menge einzuschlafen! Aber der Tag war so
heiß und vorhin war das Bier beim Pschorr gar so süffig . . . . Ich
schau mich, halb schlaftrunken noch einmal um; mein Blick fällt auf
ein kleines Messingschild mit der Nummer 609 und auf die rothen
Haare eines gemalten hässlichen Judenjungen, der von lauter unangenehmen Polnischen Israeliten umringt ist. . . . . .
Max Liebermann vor Gericht
87
88
Der Jesus-Skandal
Inka Bertz
Anatomie eines Kunstskandals
Kunstskandale
Die Geschichte der Kunst wird begleitet von einer Geschichte der
Kunstskandale, die in der Rückschau häufig mehr aussagen über die
Mentalität, die Normen und Wertvorstellungen einer Gesellschaft –
oder einzelner Gruppen in ihr, als die Kunstwerke, die ihn auslösten.
Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts perfektionierten den
Skandal zum Werkzeug ihrer Aufmerksamkeitsökonomie.1 Heute,
nach dem Ende der Avantgarden, dient diese »Avantgarde-Routine«
(Thomas Raab) der gezielten Provokationen in erster Linie der
Stabilisierung des Betriebsystems »Kunst« und der Bestätigung des
Künstlermythos.2
Auch Liebermann folgte diesem alten Topos der Künstlerpanegyrik, wenn er in Erinnerungen an den Münchener Kunstskandal
die begeisterte Zustimmung seiner Künstlerkollegen der engstirnigen
Ablehnung des Gemäldes durch die Kritiker gegenüberstellt.3
Die sensiblen Punkte, an denen sich Kunstskandale der Nachkriegszeit entzündeten, lagen in der nationalsozialistischen Vergangenheit: seit Anselm Kiefers Hitlergruß in der Badewanne von 1969
und Hans Haackes Siegessäule 1988 in Graz bis hin zu Santiago
Sierras Kunstaktion mit Kohlenmonoxid-Gas in der Synagoge Stommeln 2008.
Doch auch in der vermeintlich immer säkularer sich gebenden
Gegenwart wurden Kunstwerke wegen ihrer Darstellung religiöser
Inhalte zum Skandal: So stand die Gruppe SPUR 1962 wegen Gotteslästerung und Religionsbeschimpfung in München vor Gericht,
Herbert Achternbuschs Film Das Gespenst von 1982 wurde in
Österreich verboten, 1999 löste die im Brooklyn Museum of Art
ausgestellte Holy Virgin Mary Chris Ofilis einen Sturm der Entrüstung aus, ebenso wie im Jahr darauf in Warschau Maurizio
60 Chris Ofili, Holy Virgin Mary, 1996,
Saatchi Collection, London
89
Cattelans durch einen Meteoriten niedergestreckter Papst (La Nona
Ora). Bis in die internationalen Beziehungen reichte der Skandal um
die 2005 von der dänischen Zeitung Jyllands-Posten veröffentlichten Mohammed-Karikaturen.
Betrachtet man den Skandal um Liebermanns Der zwölfjährige
Jesus im Tempel in dieser Reihe der Kunstskandale, so fällt zuerst
auf, dass er sich 1879/80 zutrug, in jenen Schlüsseljahren in der Geschichte des modernen Antisemitismus.
Ob der Antisemitismus bei der Entstehung des Gemäldes eine
Rolle spielte, ist eine Frage, die schon Liebermanns Biografen Erich
Hancke beschäftigte: »Als ich Liebermann einst fragte,« schrieb
Hancke in seiner 1914 bei Bruno Cassirer erschienenen großen
61 Max Liebermann, Bildnis Erich
Hancke – Kopfstudie, 1929, Kunstkreis
Berlin GbR
90
Monografie, »wie er auf diesen Stoff gekommen sei, antwortete er,
der damals anwachsende Antisemitismus habe ihn darauf gebracht«
– um den verehrten Maler sogleich zu dementieren: »Ich glaube
aber, daß der Anstoß ein vorwiegend malerischer war.«4 Auf den
folgenden Seiten beschrieb er die Entstehung des Gemäldes und sah
darin den »Abschluß von Liebermanns erster Epoche, in der er bei
aller Natürlichkeit nach Schönheit der Malerei im Sinne von Frans
Hals strebt«.5 Ausführlich zitierte er die deutlich antisemitischen
Kunstkritiken und dokumentierte die Debatte im Bayerischen Landtag. Dass der Künstler nach der Erfahrung dieser Angriffe »nie
wieder einen ähnlichen Stoff behandelt«6 hätte, wurde fortan zum
Topos der Liebermann-Biografien.
Während Liebermann gegenüber Hancke den – seit der Gründerkrise 1873 grassierenden – Antisemitismus als Anstoß für seine
Komposition behauptete, schrieb er am 5. Juni 1911 in einem Brief
an seinen Freund Alfred Lichtwark, nachdem dieser das Gemälde
für die Hamburger Kunsthalle erworben hatte: »Stoecker behauptete, daß das Bild ihn zu seiner Judenhetze veranlaßt hätte«7 (vollständiger Text S. 144 – 149).
Ob hier tatsächlich ein Zusammenhang von Ursache und Wirkung bestand, lässt sich wohl kaum feststellen. Tatsache ist jedoch,
dass für Liebermann das Gemälde enger mit der Geschichte des Antisemitismus verknüpft war, als sein Biograf es wahrhaben wollte.
Schließlich erinnerte sich der Künstler noch an seine Umarbeitung
der Jesus-Figur, eine Tatsache, die er weder Hancke noch seinem
Freund Lichtwark mitteilte, obgleich er ihm ausführlich über den
Der Jesus-Skandal
Entstehungsprozess, etwa die Wahl seiner Modelle, berichtete – und
davon, dass er das Menzel’sche Blatt zum gleichen Thema von 1852
nicht gekannt hätte.
Der Antisemitismus im Jahrzehnt von 1874 bis 1884
In der historischen Rückschau auf das Jahrzehnt zwischen 1874 und
1884, von der ersten Welle des Antisemitismus im Gefolge der Gründerkrise bis zur Überarbeitung des Gemäldes und seiner zweiten
Ausstellung in Paris, verschlingen sich die Ereignisse und Debatten
um das Gemälde selbst mit denen um den Antisemitismus. Diese
zeitliche Koinzidenz lässt uns die Debatte um das Gemälde heute als
Symptom – im medizinischen Sinne – verstehen und die Frage nach
Ursache oder Wirkung hintanstellen.
Zu Beginn des Jahrzehnts steht im Sommer 1874 Otto Glagaus
in der weit verbreiteten Zeitschrift Gartenlaube erschienene Artikelserie über den »Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin«.
Im Jahr darauf erschienen in der Zeitung der Zentrumspartei, der
Germania, und in der katholischen Provinzpresse ähnliche Artikel,
in denen dem »jüdischen Liberalismus« die Schuld für Kulturkampf
und Gründerkrise zugeschoben wurde und die auf einen Boden fielen, der schon in den Jahren zuvor von den Pamphleten August Rohlings (Der Talmudjude, 1871) fruchtbar gemacht worden war. Das
protestantische Milieu stand dem nicht nach. In der Neuen Preußischen Zeitung (»Kreuzzeitung«) erschienen im Juni und Juli 1875
die fünf »Ära-Artikel« mit ebenfalls antisemitisch durchtränktem
anti-liberalem und anti-kapitalistischem Tenor.
So war in den beiden Jahren, bevor Liebermann 1876 die Skizzen der Synagogen in Amsterdam und Venedig anfertigte, die später
in das Gemälde vom Zwölfjährigen Jesus im Tempel einflossen, der
Antisemitismus bereits ein Thema der öffentlichen Auseinandersetzung gewesen.8 Die Heftigkeit des im November 1879 ausgebrochenen Antisemitismusstreits ist nicht zuletzt dadurch zu erklären,
dass ihm diese etwa fünf Jahre währende Inkubationszeit vorausgegangen war.
In den folgenden Jahren bis zur Fertigstellung des Gemäldes verschärfte sich diese Situation: Durch die im Januar 1878 vom Ber-
Anatomie eines Kunstskandals
91
liner Hofprediger Adolf Stoecker gegründete Christlich-Soziale Arbeiterpartei erhielt der Antisemitismus ein politisches Sprachrohr.
Der Begriff selbst entstand wohl im Herbst 1879 in Berlin im Umkreis des Journalisten Wilhelm Marr und breitete sich schnell aus.
Er gab den diffusen Ressentiments einen Namen, was nicht
wenig zu ihrer Durchsetzungskraft beitrug.9
Am 19. Juli 1879 wird die zweite Internationale Kunstausstellung im Münchener Glaspalast eröffnet. Regionale und überregionale Zeitungen berichten darüber und ereifern sich besonders über
Liebermanns Gemälde und seine unbotmäßige Darstellung des Heilands. Im Berliner Börsen Courier erscheint am 3. August eine Glos-
62 Karikatur Adolf Stoecker
63 Richard Wagner, Das Judentum in der
Musik, Leipzig 1869
92
se, die die Kritiker tüchtig auf die Schippe nimmt und der Zeitung
ein Untersuchungsverfahren wegen Gotteslästerung einbringt.10
Währenddessen sitzt in Berlin der Historiker Heinrich v. Treitschke an seinem Schreibtisch und liest zur Vorbereitung des zweiten
Bandes seiner Deutschen Geschichte den gerade erschienenen elften
Band von Heinrich Graetz’ Jüdischer Geschichte.11 Er missverstand,
weil er missverstehen wollte, dass Graetz seine Geschichte mit einem
ähnlichen Stolz geschrieben hatte wie Treitschke die seine. Statt dessen sah er, wie er an den ehemaligen Präsidenten des Oberkirchenrates in Preußen, Emil Hermann, schrieb, nur »Todhaß gegen ›den
Erzfeind‹, das Christenthum und gegen die deutsche Nation«12.
Während Treitschke sich in Italien aufhält, findet in Preußen
der Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus statt. Als Kandidat für
den Wahlkreis Minden hält der Hofprediger Adolf Stoecker am
19. September seine erste dezidiert antisemitische Rede mit dem
Titel Unsere Forderungen an das moderne Judentum, eine Woche
später folgt die zweite, überschrieben Notwehr gegen das moderne
Judentum, in der er die im Berliner Börsen-Courier erschienene
Glosse gegen Liebermanns Kritiker als Beispiel für den angeblichen
Hass gegen das Christliche in der Berliner »Judenpresse« anführt.13
Die Reden finden breite Resonanz und Zustimmung, unter anderem bei einem der frühen Brandstifter: Am 11. Oktober 1879 sitzen
Richard und Cosima Wagner in der Villa Wahnfried. Cosima liest
ihrem Gatten eine »sehr gute Rede des Pfarrers Stoecker über das
Judentum« vor.14 »R. ist für völlige Ausweisung. Wir lachen darüber, dass wirklich, wie es scheint, sein Aufsatz über die Juden
den Anfang dieses Kampfes gemacht hat.«15 Sein Pamphlet Das
Der Jesus-Skandal
Judentum in der Musik, 1850 unter dem Pseudonym »K. Freigedank« erschienen, wurde 1869 von dem inzwischen berühmten
Komponisten erneut publiziert, diesmal unter seinem eigenen Namen und um ein Nachwort erweitert, sowie 1872/73 auch in den
ersten Band seiner Gesammelten Schriften und Dichtungen aufgenommen.
Einige Wochen nach der Lesestunde bei Wagners kehrt Treitschke nach Berlin zurück, nimmt hier Ende Oktober seine Kollegien
wieder auf und beendet seinen Aufsatz Unsere Aussichten, der am
15. November 1879 in den Preußischen Jahrbüchern erscheint.
Mit dieser Wortmeldung des prominenten Historikers erreichte
der Antisemitismus eine neue Qualität. Nun war er nicht mehr eine
Sache von halbseidenen Journalisten und querulantischen Pamphletisten wie Otto Glagau, August Rohling und Wilhelm Marr oder der
sektiererischen, im Herbst 1879 gegründeten »Antisemitenliga«.
Mit Stoecker und Treitschke hatte der Antisemitismus in den vermeintlichen Eliten Einzug gehalten und war hof- und salonfähig geworden.
Doch geschah dies nicht ohne Widerspruch. An Treitschkes Artikel entzündete sich der bis zum Januar 1881 andauernde »Berliner
Antisemitismusstreit«, der bald eine Flut von Zeitungsartikeln und
Broschüren hervorbrachte. Im März 1880 griff Theodor Mommsen
zum ersten Mal öffentlich in die Debatte ein und bezog gegen seinen
Historikerkollegen Treitschke Position.
Nach einigen relativ ruhigen Monaten im Sommer kursierte
im Herbst 1880 die sogenannte Antisemitenpetition, deren Forderungen auf eine Aufhebung der rechtlichen Gleichstellung hinausliefen. Verfasst von dem Publizisten Max Liebermann von Sonnenberg und dem Schwager Friedrich Nietzsches, dem Gymnasiallehrer
Bernhard Förster, zählte Adolf Stoecker zu den ersten der insgesamt
fast 250.000 Unterzeichner. Im November fand eine Aussprache
darüber im preußischen Abgeordnetenhaus statt, die so niederschmetternd war, dass sie den Dichter der Schwarzwälder Dorfgeschichten, Berthold Auerbach, zu dem Ausspruch provozierte
»vergebens gelebt und gearbeitet!«.16
64 Prof. Heinrich von Treitschke vor
seinen Hörern in der Berliner Universität,
Holzstich 1879
65 »Eine deutsche Sieben, die die Juden
nicht lieben«, Postkarte mit den Porträts
sieben antisemitischer Anführer, 1880er
Jahre
Am 12. November trat schließlich eine Gruppe von 75 »Notablen« aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, darunter Rudolf
Virchow, Max Weber, Georg und Werner von Siemens, sowie
Anatomie eines Kunstskandals
93
Treitschkes Historikerkollegen Mommsen und Droysen mit einer
Gegenpetition an die Öffentlichkeit. Dies war der politische Höhepunkt der Debatte, die sich noch bis Anfang des Jahres 1881 fortsetzte.
In den Jahren danach verlor der Antisemitismus als politische
Bewegung zunächst an Einfluss. Währenddessen verlagerte sich die
Agitation in ländliche Regionen; insgesamt gesehen jedoch sedimentierte sich das antisemitische Gedankengut in der deutschen Gesellschaft.
Die Kritik an Liebermanns Gemälde und ihr Kontext
Die Debatte im Bayerischen Landtag17 zeigt exemplarisch, wie sich
die unterschiedlichen antisemitischen Argumentationslinien miteinander verschlingen und mit einem kulturpolitischen Interesse
verbinden. Im Hintergrund der Debatte stand nämlich der Versuch
vonseiten der Politik, Einfluss auf das Kunstleben zu nehmen und
dazu – voller Misstrauen gegen die Künstler und gegen die Freiheit
der Kunst – das Geld der Subventionen als Druckmittel zum Einsatz
zu bringen.18 »… ich kann nur wünschen, dass von künstlerischer
Seite es uns nicht erschwert oder gar unmöglich gemacht werde
einem solchen gerechten Verlangen [nach finanzieller Unterstützung
der Kunst, Anm. d. Verf.] Befriedigung zu Teil werden zu lassen«, so
der Abgeordnete Josef Völk.19 Der Abgeordnete Max Haushofer,20
obgleich Sohn eines Landschaftsmalers, misstraute den Selbstverwaltungs-Gremien der Künstler. Er verlangte nach einem transparenteren Verfahren und drohte, der Jury eine Geschäftsordnung
aufzuoktroyieren. Der längste und schärfste Redebeitrag kam vom
Abgeordneten der katholischen Bayerischen Patriotenpartei, Balthasar Daller.21 Auch seine Angriffe richten sich gegen die Künstlergenossenschaft. »Es wäre Sache der ganzen Künstlerschaft gewesen,
dieses Ärgernis zu entfernen.« Und weiter: »dass diese Art und
Weise, ein so blasphemisches Bild auszustellen eigentliche Freunde
an und für sich nicht gewinnen kann, für weitere Ausstellungen
Geld zu bewilligen.«
Hinter all dem kristallisiert sich ein zentrales Skandalon heraus:
dass Jesus als Jude unter Juden von einem Juden gemalt wurde,
94
Der Jesus-Skandal
sowie die Themenfelder, die auch im Antisemitismusstreit eine
zentrale Rolle spielten: der Zusammenhang von Emanzipation und
Assimilation, die angeblich notwendige Selbstverteidigung der christlichen Religion und die Rolle der Juden im kulturellen Leben.
Der Skandal wird zunächst in ästhetischen Kategorien beschrieben, die jedoch schnell in ethnisch-rassistische Stereotypen übergehen: So endet die Frage, wie weit man gehen dürfe, in der Übersetzung des Heiligen aus dem Übersinnlichen in den Bereich des
Menschlichen,22 in der Rede vom »übelriechenden, gemeinen Schacherjuden«.23 In die Debatte eingeführt wurde das olfaktorische
Ressentiment von Friedrich Pecht, der schrieb: »Das Bild beleidigt
nicht nur unser Gefühl, sondern selbst unsere Nase, in dem es ihr
alle möglichen widrigen Erinnerungen hervorruft.«24
Im Unterschied dazu konstatiert Georg Hermann gelassen: Liebermann »vermenschlicht den Vorgang vollkommen, nimmt moderne Juden von etwas russischem Typ, Riesengestalten mit erstaunten
Gesichtern«.25 Die Tatsache, dass Juden als Juden dargestellt werden, ist ihm kein Ärgernis, ebenso wenig wie Max Nordau, der sie
zwar als »aus der erstbesten Börse« geholt beschreibt,26 dies aber
halb amüsiert, halb zustimmend als Teil der von ihm geschätzten
»modernen« Auffassung des Themas versteht.
Doch verbirgt sich hinter dem physischen Stereotyp, das übrigens auch im Antisemitismusstreit auftaucht,27 und dem Skandal,
dass Juden als solche erkennbar sind, ein historischer Kontext,
der bis in die Emanzipationsdebatten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreicht.
Heinrich von Treitschke brachte es im Antisemitismusstreit auf
die Formel: »Was wir von unseren israelitischen Mitbürgern zu fordern haben, ist einfach: sie sollen Deutsche werden.«28 »Unser [sic !]
Staat […] hat ihnen die bürgerliche Gleichberechtigung nur zugestanden, in der Erwartung, dass sie sich bestreben würden, ihren
Mitbürgern gleich zu sein.«29 Die Forderung nach Dankbarkeit für
das »Geschenk« der bürgerlichen Gleichstellung30 ist das Mantra
der Debatte. Darin folgt sie dem Emanzipationskonzept des Liberalismus, mit der Erwartung nämlich, dass die Juden, als Gegenleistung zu den ihnen gewährten bürgerlichen Rechten, ihr Judentum aufgeben, sich völlig anpassen und als Juden verschwinden
müssten. Als Begründung dafür fungiert die angebliche »nationale
Anatomie eines Kunstskandals
66 Max Nordau, o. J.
95
Absonderung«.31 Das Emanzipations-Angebot wird mit der Assimilations-Forderung verbunden.
Die Polemik um Liebermanns Gemälde folgt somit einem zentralen Motiv der deutschen Emanzipationsdebatte.32 Sucht man
nach einer Verbindungsperson zwischen dem Liberalismus der
Jahrhundertmitte, der sich in den folgenden Jahrzehnten nationalistisch wendete, so stößt man schnell auf Friedrich Pecht: Aus dem
Kontext der 1848er Revolution stammend, für ein liberales Traditionsblatt schreibend, wandelte er sich, ähnlich wie sein Freund aus
Pariser Tagen, Richard Wagner, zum anti-liberalen Verteidiger
»deutscher« Kulturwerte gegen vermeintliche jüdische feindliche
67 Friedrich Pecht, um 1860
68 Ludwig Pietsch, o. J.
96
Übernahmen.33
Auch in der Beschreibung des Jesusknaben erscheint das ideologische Argument in ästhetischer Verkleidung: Sein Jesusknabe,
so Ludwig Pietsch, sei »ein plumper, nacktbeiniger, schmutziger Junge«, er »verrät durch nichts eine höhere Intelligenz«.34 Der Katalog
der Ausstellung charakterisierte ihn als »gemeine[n] schmutzige[n]
Junge[n], der vor ebenso charakterisierten Juden mit den Fäusten
agirt« und »eher einen künftigen Judas als einen Christus ahnen«
lässt.35 Dieser biblischen Anspielung folgte eine damals wesentlich
brisantere, da das Gemälde als »malerischer Beitrag zu dem ›Leben
Jesu‹« bezeichnet wurde. Hier öffnete sich der Horizont in die bis
in die 1860er und 1870er Jahre nachhallende heftige Debatte um
die gleichnamigen Bücher von Ernest Renan und David Friedrich
Strauss, deren historisch-positivistische Darstellung das überlieferte
Bild des Heilands erschüttert hatte.
Doch was die Zeitgenossen wirklich provozierte war, dass Jesus
als Jude dargestellt wurde. Er steht im verlorenen Profil, fast mit
dem Rücken zum Betrachter, der hingegen gezwungen ist, sich mit
den Reaktionen der umstehenden Gelehrten auseinanderzusetzen.
Der Jesusknabe erscheint hier als gleichberechtigter Dialogpartner
und nicht als zukünftiger Heiland.
Damit reflektierte Liebermann ein zeitgenössisches jüdisches
Interesse an der Gestalt Jesu und »gab einem jüdischen Jesus-Bild
künstlerische Gestalt, wie es wenige Jahre zuvor die Historiker Abraham Geiger und Heinrich Graetz wissenschaftlich vorgezeichnet
hatten«.36 Diese Historiker stellten Jesus in den Kontext seiner Zeit,
den des pharisäischen Judentums.37 Sie lösten ihn durch Histori-
Der Jesus-Skandal
sierung aus der Theologie, während Liebermann ihn durch Aktualisierung säkularisierte.
Diese selbstbewusste Haltung war es, auf die Treitschke sich in
seinen Invektiven gegen Graetz bezog, wenn er behauptete, dass »in
neuester Zeit ein gefährlicher Geist der Überhebung in jüdischen
Kreisen erwacht ist«38 und er »mehr Toleranz« und »mehr Bescheidenheit« forderte. Ebenso tat dies Stoecker und sprach im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um das Liebermann-Gemälde
gar von »Kirchenschändung, Christentumshetze, Pastorenverfolgung« und »Notwehr gegen das moderne Judentum«.39 Doch zeugen diese Äußerungen weniger von der Stärke des Judentums als von
der »Ohnmacht des evangelischen Geistes«. Dieser suchte sich durch
die Liaison mit dem Antisemitismus und durch eine aggressive
Behauptung der Einheit von Deutschtum und Christentum zu erneuern.40 Die Vorstellung von Jesus als Arier, wie sie Houston Stewart Chamberlain dann um die Jahrhundertwende propagierte,
scheint als die konsequente Fortführung dieses Gedankenganges.
Der dritte Skandal bestand in der Tatsache, dass ein Jude dieses
christliche Thema bearbeitet hatte. Die Forderung nach »Anstand«,
die etwa der Abgeordnete Völk im bayerischen Landtag vorbrachte,41 vermischte sich mit sarkastischen Bemerkungen über die
Herkunft des Malers: »Ich will damit der religiösen Überzeugung
des Malers; der ja bekannt nicht der christlichen Konfession angehört, nicht zu nahe treten, ich will ihn nicht zwingen, dass er den
Gegenstand des Bildes, des göttlichen Erlösers, an den wir glauben,
auch so betrachtet wie wir.«42
Helmut Leppien beobachtete 1989 selbst in jüngeren Reaktionen
auf das Gemälde eine negative »sittliche Wertung«, mit der dem
Künstler »ehrliche Empfindung« und »warmes Gefühl« abgesprochen wird.43 Was Leppien diskret im Raum stehen lässt, hat durchaus einen historischen Kontext, für den wiederum Friedrich Pecht
den Kronzeugen abgibt. Er sieht in dem Gemälde den »zersetzende[n]
Geist der nüchternsten und kältesten Betrachtung, für die ein
Mysterium nicht existirt«.44 Dass ein Jude nicht in der Lage sei »tief
empfundene« Kunst zu schaffen, ist eine der zentralen und wirkungsmächtigsten Ideen aus Wagners Text über Das Judentum in
der Musik. Pecht verband mit Wagner nicht nur eine Freundschaft
aus der gemeinsamen Pariser Zeit,45 sondern auch die ästhetische
Anatomie eines Kunstskandals
69 Lesser Ury, Porträt Abraham Geiger,
um 1907, Jüdisches Museum Berlin
97
Vorstellung über die illusionistische Inszenierung historischer Stoffe
sowie, wie diese Äußerung zeigt, die Auffassung über die Rolle von
Juden in der Kultur. Einen Schritt weiter geht dann das Diktum von
der »Zersetzung«, das im Zusammenhang mit seiner zu Beginn seines Artikels vorgebrachten Ablehnung »einer neuen demokratischen
Kunst« gesehen werden muss und bereits auf spätere Diskurse
weist.
Rückblick
Rückblickend wurde diese Debatte häufig als ein Konflikt zwischen
»süddeutschem Katholizismus« und »berlinischem Rationalismus«
interpretiert,46 wobei den »Pfaffen« die Rolle der »unduldsamen
Eiferer« zugeschrieben wurde.47 Doch waren ihre Töne und Untertöne keinesfalls nur regional oder konfessionell geprägt. Aus ihnen
sprachen die Ambivalenzen des liberalen Emanzipationskonzepts.
Dessen Wurzeln liegen eher in Preußen denn in Bayern, und seine
religiösen Elemente weisen gleichermaßen in das protestantische wie
in das katholische Milieu.
Doch stellt sich dennoch die Frage, warum Liebermann von diesen
Reaktionen so völlig überrascht wurde, sie nicht antizipiert
hatte, warum er die »Aufnahmebereitschaft für diese Form jüdischer
Selbstbehauptung im Publikum«48 so derart überschätzte. Heinrich
Strauss beobachtete schon 1957, dass Liebermann der Frage, was
seine Malerei mit Religion zu tun habe, auch 1911, als er den Brief
an Lichtwark schrieb, mit völligem Unverständnis begegnete.49
Diese Haltung ist nur verständlich vor dem Hintergrund eines
damals noch unerschütterten Glaubens an die Kraft der Vernunft,
die Neutralität des Staates in Religionsdingen und an einen gleichberechtigten Dialog zwischen Christen und Juden, kurzum das
Credo des Liberalismus, der im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur
»eigentlichen Religion des Besitz- und Bildungsbürgertums« geworden war.50 Von ihm hatte sich das nichtjüdische Bürgertum gerade
zu entfernen begonnen, während ihre jüdischen Landsleute dieser
»Religion« ihrer Emanzipationszeit weiter anhingen.51
Als das Gemälde 1907 zu Liebermanns sechzigstem Geburtstag
in der Berliner Secession ausgestellt wurde, blieb der »Radau« aus.
98
Der Jesus-Skandal
Doch ist dies wohl nicht allein auf den Ort – Berlin statt München
– oder auf die Umarbeitung des Jesusknaben zurückzuführen, sondern ebenso auf das veränderte künstlerische, geistige und politische
Umfeld. Ein Grund zur Entwarnung war dies, wie wir wissen,
nicht.
1 Thomas Raab, Avantgarde-Routine, Berlin 2008.
2 Symptomatisch: Ute Schüler, Rita A. Täuber, Skandal: Kunst! schockierend – packend – visionär, Stuttgart 2008; Heinz Peter Schwerfel, Kunst-Skandale. Über
Tabu und Skandal, Verdammung und Verehrung zeitgenössischer Kunst, Köln
2000.
3 Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark vom 5. Juni 1911, zit. nach: Max
Liebermann, Briefe. Auswahl von Franz Landsberger. Ergänzte Neuausgabe von
Ernst Volker Braun, Stuttgart 1994, S. 41 – 44, sowie die Darstellung bei Erich
Hanke, Max Liebermann, sein Leben und seine Werke, Berlin 1923, S. 129 – 142.
4 Hancke, wie Anm. 3, S. 131.
5 Hancke, wie Anm. 3, S. 136.
6 Hancke, wie Anm. 3, S. 139.
7 Max Liebermann, Brief an Lichtwark, wie Anm. 3, ähnlich bei Hans Ostwald, Das
Liebermann-Buch, Berlin 1930, S. 128 – 130.
8 Der Historiker Harry Breßlau rekapitulierte diese Entwicklung in seinem Diskussionsbeitrag im Antisemitismusstreit: Zur Judenfrage. Sendschreiben an Herrn Professor Dr. Heinrich von Treitschke, zit. nach Walter Boehlich (Hg.), Der Berliner
Antisemitismusstreit, Frankfurt 1988, S. 54 – 78, S. 57 – 60.
9 Im Februar 1879 erschien Marrs Schrift Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum, in der dieser Begriff jedoch nicht explizit auftaucht. Norbert Kampe,
Von der »Gründerkrise« zum »Berliner Antisemitismusstreit«: Die Entstehung
des modernen Antisemitismus in Berlin 1875 – 1881, in: Reinhard Rürup (Hg.),
Jüdische Geschichte in Berlin. Essays und Studien, Berlin 1995, S. 85 – 100.
10 Vgl. die Beiträge von Martin Faass und Henrike Mund sowie Chana Schütz in
diesem Katalog.
11 Walter Boehlich, Nachwort, in: wie Anm. 8, S. 239 – 266, hier S. 255.
12 Heinrich von Treitschke, Brief an Emil Hermann vom 25. August 1879, zit. nach:
Der »Berliner Antisemitismsstreit« 1879 – 1881. Eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation. Kommentierte Quellenedition. Im Auftrag
des Zentrums für Antisemitismusforschung bearbeitet von Karsten Krieger. 2 Bde,
München 2003, Bd. 1, S. 2 – 5, hier: 4. Danach auch alle folgenden Daten.
13 Adolf Stoecker, Notwehr gegen das moderne Judentum. Rede, gehalten am
26. September 1879, in: ders, Christlich-soziale Reden und Aufsätze, Berlin 1890,
S. 369 – 382, S. 375 – 377; über die Presse bereits in der ersten Rede, S. 366.
14 Am 26. folgte Stoeckers zweite Rede Notwehr gegen das moderne Judentum und
darauf erst am 5. Januar 1880 die Dritte. Das Ehepaar Wagner muss also eine der
beiden ersten Reden gelesen haben. Die Abgeordneten des bayrischen Landtags
hingegen konnten auch die Dritte kennen.
15 Cosima Wagner, Die Tagebücher. Ediert und kommentiert von Martin GregorDellin und Dietrich Mack, München, Zürich 1977, Bd. II, S. 424, zit. nach Jens
Malte Fischer, Richard Wagners Das Judentum in der Musik. Entstehung – Kontext
Anatomie eines Kunstskandals
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– Wirkung, in: Dieter Borchmeyer (Hg.), Richard Wagner und die Juden, Stuttgart,
Weimar, 2000, S. 35.
Zit. nach Hermann Greive, Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland, Darmstadt 1983, S. 63.
Zit. nach Hancke, wie Anm. 3, S. 139 – 142.
Zur Organisation der Ausstellung, ihrer Kosten und dem Verfahren der Jury vgl.
den Beitrag von Martin Faass und Henrike Mund.
Josef Völk, erste Auftritte 1848/49 als Redner für Paulskirchenverfassung und für
die kleindeutsche, später Abgeordneter der nationalliberalen Partei im Reichstag
und bayrischen Landtag, Anhänger Bismarcks im Kulturkampf, in der SchutzzollPolitik und dem deutsch-französischen Krieg.
Max Haushofer, Sohn des Landschaftsmalers Maximilian Haushofer, Nationalökonom an der TH München und Schriftsteller, neben nationalökonomischen und statistischen Schriften Publikation früher Science Fiction Romane und 1886 ein »dramatisches Gedicht« Der ewige Jude.
Balthasar (seit 1891: Ritter von) Daller, katholischer Theologe, Gymnasialdirektor
und Vorsitzender der parlamentarischen Vertretung des politischen Katholizismus
in Bayern. Über den Antisemitismus in dem von Daller mit begründeten Tuntenhausener Bauernverein, vgl. Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im
Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1999, S. 162 – 163.
Adolf Rosenberg, Der gegenwärtige Stand der deutschen Kunst nach den Ausstellungen in Berlin und München, in: Zeitschrift für bildende Kunst, 15, 1880,
S. 41 – 48, hier: 43, auch bei Hanke, wie Anm. 3, S. 134.
Heinrich Merz im Christlichen Kunstblatt 1880, zit. nach Helmut R. Leppien, Der
zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann, Hamburg 1989, S. 27.
Friedrich Pecht in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, zit. nach Hancke, wie
Anm. 3, S. 133.
Georg Hermann, Max Liebermann, in: Ost und West, 3.1903, Sp. 377 – 398, Sp.
391.
Max Nordau in der Frankfurter Zeitung vom 23. Juli 1879. Ich danke Martin
Faass für den Hinweis auf diesen Artikel.
Wilhelm Endner, Zur Judenfrage. Offene Antwort auf das offene Sendschreiben des
Herrn Dr. Harry Breßlau an Herrn von Treitschke, zit. nach Boehlich, wie Anm. 8,
S. 109f: »dass der echte Jude dem deutschen natürlichen Gefühl nicht bloß fremdartig, sondern widerwärtig erscheint«.
Treitschke, nach Boehlich, wie Anm. 8, S. 10.
Treitschke, nach Boehlich, wie Anm. 8, S. 46.
Treitschke, nach Boehlich, wie Anm. 8, S. 14.
Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur »Judenfrage« in
der modernen Gesellschaft, Göttingen 1975, Jakob Katz, Vom Vorurteil zur Vernichtung, München 1989, S. 147 – 193.
Der Jesus-Skandal
32 Katrin Boskamp, Studien zum Frühwerk von Max Liebermann mit einem Katalog
der Gemälde und Ölstudien 1866 – 1889, Hildesheim u.a., 1994, S. 112.
33 Michael Bringmann, Friedrich Pecht (1814 – 1903). Maßstäbe der deutschen Kunstkritik zwischen 1850 – 1900, Berlin 1982, v.a. S. 162, Anm. 637, in der er Pechts
Antisemitismus herunterspielt. Auch die politische Einordnung stellt er späterer
Forschung anheim stellt.
34 Ludwig Pietsch, zit. nach dem Beitrag von Martin Faass und Henrike Mund in
diesem Band, Anm. 23.
35 Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung im Kgl. Glaspalaste zu München,
München 1879, S. 20.
36 Michael Brenner, Propheten des Vergangenen. Jüdische Geschichtsschreibung im
19. und 20. Jahrhundert, München 2006, S. 80.
37 Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers
Herausforderung an die christliche Theologie, Berlin 2001; Markus Pyka, Jüdische
Identität bei Heinrich Graetz, Göttingen 2009. Vgl. den Beitrag von Ezra Mendelsohn in diesem Katalog.
38 Treitschke, zit. nach Boehlich, wie Anm. 8, S. 10.
39 Stoecker, wie Anm. 13, S. 377.
40 Werner Jochmann, Stoecker als nationalkonservativer Politiker und antisemitischer
Agitator, in: Günter Brakelmann, Martin Greschat, Werner Jochmann, Protestantismus und Politik. Werk und Wirkung Adolf Stoeckers, Hamburg 1982,
S. 123 – 198, S. 128f.
41 »Dass gerade ein Mann seiner Konfession am allerwenigsten den Gegenstand in
der Weise hätte behandeln sollen, wenn er einiges Gefühl für Anstand gehabt hätte.
(Rufe: Sehr richtig!).« Zit. nach Hancke, S. 141, ähnlich: Heinrich Merz im Christlichen Kunstblatt, zit. nach Leppien, wie Anm. 23, S. 27.
42 Daller, zit. nach Hancke, wie Anm. 3, S. 140.
43 Leppien, wie Anm. 23, S. 36.
44 Friedrich Pecht, Die Münchener Ausstellung, II. Die religiöse und die HistorienMalerei, in: Augsburger Allgemeine Zeitung, v. 4. August 1879, S. 3162 – 3164,
S. 3162.
45 Bringmann, wie Anm. 33, S. 29, 63, 98, 112, 164.
46 Max J. Friedländer 1924, zit. nach Leppien, wie Anm 23, S. 31
47 Ostwald, wie Anm. 7, S. 130. Ähnlich Leopold Schönhoff, Max Liebermann, in:
Sozialistische Monatshefte, 1897, S. 269 – 274, S. 272.
48 Boskamp, wie Anm. 32, S. 114
49 Heinrich Strauss, On Jews and German Art, Leo Baeck Institute, Year Book
2.1957, S. 255 – 269, S. 266.
50 Jochmann, wie Anm. 40, S. 125.
51 George L. Mosse, German Jews beyond Judaism, Bloomington, Ind. 1985.
Anatomie eines Kunstskandals
101
102
Der Jesus-Skandal
Ezra Mendelsohn
Max Liebermanns Zwölfjähriger Jesus im Tempel
Einige Anmerkungen zum historischen und kulturellen Kontext
Dieser Essay möchte zum Verständnis von Liebermanns Gemälde
Der zwölfjährige Jesus im Tempel, dem Gegenstand dieser Ausstellung, beitragen, indem er die historischen und kulturellen Hintergründe des Werks beleuchtet, sowohl aus allgemeiner wie auch aus
jüdischer Perspektive. Ich beginne mit ein paar Anmerkungen zum
allgemeinen Kontext, um anschließend gewisse Entwicklungen in
der jüdischen Welt zu untersuchen, die für Liebermanns Werk relevant gewesen sein dürften.
Lassen Sie mich zunächst das Offenkundige konstatieren: Für
einen aufstrebenden jungen Künstler im Deutschland der späten
1870er Jahre war es gang und gäbe, ja, beinah schon ein Muss,
Motive aus dem Leben Christi, wie es in der Bibel berichtet wird, zu
bearbeiten. Zwar kamen dem religiösen Leben im Allgemeinen und
biblischen Themen im Besonderen als Sujets der bildenden Kunst im
säkularisierten 19. Jahrhundert nicht mehr die gleiche Bedeutung zu
wie in früheren Epochen, aber sie waren immer noch weit verbreitet
und wurden von Künstlern, die ihren Weg in der Welt machen wollten, auch erwartet. Einige namhafte Künstlergruppen im Europa
des 19. Jahrhunderts waren auf »christliche Kunst« spezialisiert, so
etwa die deutschen Nazarener Anfang des 19. Jahrhunderts und, ein
paar Jahrzehnte später, die Präraffaeliten in England. Ein bedeutendes Mitglied der letzteren, William Holman Hunt, schuf in
den 1850er Jahren ein für unser Thema äußerst wichtiges Werk,
Die Auffindung Jesu im Tempel, das die gleiche Szene wie Liebermanns ein paar Jahrzehnte später entstandenes Bild zum Gegenstand
hat (Abb. 70). Von Hunt stammt auch eines der berühmtesten modernen Jesus-Gemälde überhaupt, Das Licht der Welt (1853), das zu
seiner Zeit beim Publikum auf ein überwältigendes Echo stieß und
den bekannten englischen Komponisten Arthur Sullivan sogar zu einem Oratorium inspirierte. In den frühen 1880er Jahren malte der
103
70 William Holman Hunt, Die Auffindung Jesu im Tempel, 1854 – 55, 1856 – 60, Birmingham Museum and Art Gallery
einst gefeierte, aber heute (zumindest außerhalb Ungarns) nahezu
vergessene Mihály Munkácsy zwei große Gemälde, die die letzten
Tage Christi darstellen – Christus vor Pilatus und Christus auf Golgatha. Auch diese Bilder machten zu ihrer Zeit großen Eindruck,
vor allem im fernen Amerika, wo sie in New York ausgestellt wurden und auf enormes Interesse und Begeisterung stießen.1 In
Deutschland malten so namhafte Künstler wie Adolf Menzel und
Fritz von Uhde religiöse Szenen (Menzels Darstellung des Knaben
Jesu im Tempel (Abb. 71) war natürlich ein direkter Vorläufer von
Liebermanns Werk). Der französische Maler James Tissot erlangte
mit einer Serie von Szenen aus dem Leben Jesu Berühmtheit.2 In den
1860er Jahren kamen Gustave Dorés Bibelillustrationen heraus und
fanden großen Anklang. Ostrussische und polnische Künstler verbanden das Interesse an heroischen Darstellungen ihrer Nationalgeschichte mit Szenen aus der zeitgenössischen Geistlichkeit, dem
Leben Christi und der Geschichte des Christentums. Jan Matejko,
Polens bedeutendster Künstler des 19. Jahrhunderts, thematisierte
die Christianisierung Polens und Litauens in einem Zyklus von Historiengemälden mit dem Titel Die Geschichte der Zivilisation in
Polen, die heute die Wände des wiederaufgebauten Warschauer
104
Der Jesus-Skandal
71 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1851, Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 22
Königsschlosses schmücken.3 Ein berühmtes russisches Beispiel ist
Ivan Kramskoys humanistisch inspiriertes Porträt von Christus in
der Wüste (Abb. 72). Der russische Historienmaler Wassili Surikow
schuf 1875 ein Tableau, das den Apostel Paulus bei der Verteidigung
der christlichen Glaubenslehre vor König Agrippa, seiner Schwester
Berenice und dem Statthalter Festus darstellt,4 und Ilja Repin malte
1871 Die Wiedererweckung der Tochter des Jaïrus. In Amerika
machte sich am Ende des Jahrhunderts der gefeierte Künstler John
Singer Sargent an das ehrgeizige Projekt, für die Boston Public Library die Geschichte der Religion und ihre Klimax im Triumph des
Christentums in einer Serie von Wandgemälden darzustellen.5
Die meisten der erwähnten Künstler hatten keine Verbindung zu
den neuen, revolutionären Künstlervereinigungen, die den grundlegenden Wandel in der europäischen Malerei des späten 19. und
frühen 20. Jahrhunderts einläuteten, aber es wäre falsch, daraus den
Schluss zu ziehen, Darstellungen aus dem Leben Jesu seien nur eine
Zum historischen und kulturellen Kontext
105
Domäne mehr oder weniger »traditioneller« oder »akademischer«
Maler und Bildhauer gewesen. Tatsächlich schufen auch führende
Vertreter der verschiedenen modernen Stilrichtungen religiöse Werke, darunter große Maler wie Manet, Cézanne, van Gogh, Gauguin,
Munch, Matisse, Corinth und Picasso. Einer der originellsten Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der Belgier James Ensor, legte
1888 sein vielleicht berühmtestes Werk vor, Der Einzug Christi in
Brüssel im Jahre 1889, das eindrucksvoll belegt, wie ein ikonoklastischer Maler ein traditionelles Sujet in den Dienst seiner höchst
unkonventionellen eigenen Zwecke stellen konnte.6
Mit anderen Worten: der weitgehende Triumph des Säkularismus und die wachsende Akzeptanz der wissenschaftlichen Methode
und der Darwin’schen Theorie vermochten das Christentum nicht
aus dem Herzen westlicher Hochkultur zu verdrängen. Es blieb ein
bedeutender Topos, der die größten Künstler der Epoche, seien sie
Maler, Bildhauer, Komponisten (man denke an Mendelssohn,
Brahms und Dvorak) oder Schriftsteller, weiterhin beschäftigte, darunter natürlich auch diejenigen jüdischer Herkunft. Für letztere
jedoch war, wie wir sehen werden, die Entscheidung, Szenen aus
dem Leben Christi darzustellen, in der Regel weder einfach noch unproblematisch, handelte es sich doch um ein Thema, das in der Geschichte der westlichen Kunst zuweilen (nicht immer) unverhohlen
antisemitische Bilder hervorbrachte, auf denen der christliche Messias von Juden verraten und gepeinigt wurde.
All dies liegt auf der Hand. Eine Reihe anderer Aspekte aber, die
für das Verständnis von Liebermanns Gemälde bedeutsam sind,
müssen wir uns erst vergegenwärtigen. Einer davon ist das im Laufe
des 19. Jahrhunderts erwachende Interesse des Westens an den Ländern des Ostens – unter anderem eine Folge der militärischen Expansion Großbritanniens und Frankreichs in Asien und Nordafrika.
Auch das Osmanische Reich, welches das biblische Heilige Land
einschloss, sah sich zunehmend westlichem Druck und Einfluss ausgesetzt. Die Öffnung des Ostens gegenüber dem Westen führte zu
vermehrtem Kontakt zwischen Christentum und Islam und zu einer
stetig zunehmenden Reisetätigkeit von West nach Ost; Soldaten,
Priester, Lehrer, Wissenschaftler, Abenteuerreisende und eben auch
bildende Künstler, Musiker und Schriftsteller konnten auf einmal relativ unkompliziert in die exotischen Länder reisen, die sie bislang
106
Der Jesus-Skandal
nur aus der Lektüre der jüdischen und christlichen Bibel kannten.
Die kulturellen Auswirkungen dieses Phänomens waren ebenso tiefgreifend wie kontrovers (wie die von Edward Said mit seinem berühmt-berüchtigten Buch angestoßene Debatte belegt, in dem er die
verschlungenen Wege darlegt, auf denen die abendländische Welt zu
ihrem Verständnis – und nicht selten Missverständnis – des Orients
kam).7
Der für unser Thema wichtigste Aspekt des westlichen Vordringens in den Osten war das Aufkommen eines neuen Genres in der
Malerei, des sogenannten Orientalismus. Der Begriff meint die
Darstellung orientalischer Motive durch europäische Künstler, seien
72 Ivan Kramskoy, Christus in der Wüste,
1872, Tretjakov-Galerie, Moskau
es Szenen aus dem religiösen Leben, seien es gesellschaftliche Gebräuche oder Institutionen (wie etwa die des exotischen und überdies erotischen Harems), seien es Landschaftsbilder von Wüsten
oder orientalischen Städten, seien es Porträts orientalischer Typen.
Die Bandbreite der Darstellungen war groß, mal wurden positive
Seiten der Lebenswelt der »Anderen» hervorgehoben, mal lag der
Akzent auf der Erotik oder auf anderen exotischen Aspekten des
orientalischen Lebens.
Es ist erstaunlich, wie viele Künstler auf der Suche nach Inspiration in den Orient reisten. Natürlich hatten diejenigen aus Großbritannien und Frankreich, den führenden Kolonialmächten der
Region, einen gewissen Vorteil – Delacroix’ Reise nach Nordafrika
als kulturelle Nachhut der französischen Eroberer ist hierfür beispielhaft. Aber auch Künstler aus Mittel- und Osteuropa reisten mit,
unter ihnen einige Zeitgenossen Liebermanns aus Deutschland und
Österreich.
Weshalb ist das für uns von Interesse? Die beschriebene Annäherung an den Orient, und damit auch an die Region, in der die
Wiege sowohl des Judentums als auch des Christentums stand, eröffnete die Möglichkeit, sehr viel mehr über die Ursprünge des
christlichen Glaubens und seine Beziehung zum Judentum zu erfahren und die realen Orte, an denen Jesus geboren und aufgewachsen
war, wo er gepredigt und gelitten hatte und wo er schließlich gekreuzigt wurde, mit eigenen Augen zu sehen. Waren die alten Meister, die derlei Reisen nur in Ausnahmefällen unternommen hatten,
noch auf ihre Phantasie angewiesen, wenn sie Motive aus der Welt
des Ostens malten, so konnten die Künstler des 19. Jahrhunderts bei
Zum historischen und kulturellen Kontext
107
der Darstellung orientalischer Szenen auf Erfahrungen aus erster
Hand zurückgreifen. Sie konnten mithin, sofern sie das wollten,
auch bei der Darstellung biblischer Szenen und Gestalten authentischere Bilder schaffen – wenn man mit authentisch nicht das Bemühen meint, Personen aus der Bibel, also auch Jesus oder zumindest
seine Zeitgenossen, so wiederzugeben, wie sie tatsächlich ausgesehen haben mögen, sondern es eher im Sinne eines reflektierenden
Abbilds versteht, als Zeichnung von »Typen«, wie man ihnen zur
damaligen Zeit im Nahen Osten begegnen konnte und von denen
man annehmen durfte, dass sie nicht allzu anders aussahen als ihre
biblischen Vorfahren (genauso wie man etwa in der Neuen Welt annahm, dass amerikanische Indianer des 19. Jahrhunderts ihren lang
verstorbenen Vorfahren ähnelten). Der oben erwähnte Holman
Hunt zum Beispiel lebte und arbeitete geraume Zeit im osmanischen
Jerusalem. Man darf spekulieren, wie sich die Begegnung mit dem
realen Nahen Osten bei ihm und anderen Künstlern auf die Gestaltung biblischer Figuren auswirkte, ob sie vielleicht den Anstoß dazu
gab, sich von negativen Stereotypen von Juden, wie sie im Werk einiger alter Meister noch sehr verbreitet waren, zu verabschieden.
Zur gleichen Zeit, als Europäer in großer Zahl den Orient bereisten und sich mit seinen Landschaften und Bauten, seinen Gebräuchen und seinen Menschen vertraut machten, hielt in der westlichen Wissenschaft eine neue Methode Einzug, die das Studium der
Geschichte der Völker und Religionen des antiken Orients veränderte. Die hebräische Bibel wurde der wissenschaftlichen Durchleuchtung und Kritik durch so bahnbrechende Geister wie Julius Wellhausen unterzogen, die sich als Advokaten einer »historisch-kritischen
Methode der Bibelexegese« verstanden (für welche der große jüdische Gelehrte Solomon Schechter das denkwürdige und zur stehenden Wendung geronnene Verdikt »Höherer Antisemitismus« prägte).
Die gleiche Methode wurde auf die christliche Bibel angewandt, was
die Wissenschaftler unter anderem auf die Frage nach dem »historischen Jesus« brachte und eine wissenschaftliche Beschäftigung mit
der Biografie des Menschen Jesus unter Berücksichtigung seines
historischen Kontexts auslöste. Dies wiederum zog natürlich ein
näheres Studium – anhand der schriftlichen und archäologischen
Quellen, die damals zugänglich waren – dessen nach sich, was gern
als das »Spätjudentum« der Epoche des zweiten Tempels bezeichnet
108
Der Jesus-Skandal
wurde (mit der Implikation, dass dieses ja, nach Meinung der meisten Christen, bald darauf durch den Triumph des christlichen Messias und des neuen, wahren Glaubens überwunden und verdrängt
wurde).
Die gelehrte Suche nach dem historischen Jesus war vorwiegend
eine west- und mitteleuropäische Angelegenheit, mit einem Schwerpunkt in Deutschland und Frankreich. Ihr vielleicht prominentester
Vertreter im 19. Jahrhundert war der französische Gelehrte Ernest
Renan, ein herausragender Orientalist, der im Anschluss an eine
Reise ins Heilige Land sein Hauptwerk Das Leben Jesu (1863) verfasste. Eine von Renans Kernthesen lautete, Jesus sei eine historische
Gestalt, ein sterblicher Mensch gewesen, der in Galiläa in einem
jüdischen Umfeld geboren und aufgewachsen war, aber diese Beschränkung überwinden konnte und durch eine irgendwie geartete
Überschreitung der Grenzen seiner Herkunft fähig wurde, eine neue
und vollkommenere Religion zu gründen.8
Die Frage nach dem historischen Jesus, in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts bereits ein Bestandteil des Zeitgeists und – zumindest teilweise – Gegenstand der Erörterung durch moderne Wissenschaftler, führte zu den verzweigtesten, häufig widersprüchlichen
Schlussfolgerungen. Man hätte erwarten können, dass im Zuge ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung nicht nur die in der Frage implizierte Sterblichkeit Jesu thematisiert würde, sondern auch die
Implikation seines Jüdischseins, seiner Zugehörigkeit zur jüdischen
Glaubensgemeinschaft, und die Tatsache, dass er sich nie vom Judentum lossagen, sondern es lediglich reformieren und im Geiste der
Propheten läutern wollte. Dies ist die Position, die heute von vielen
zeitgenössischen Wissenschaftlern, jüdischen wie nichtjüdischen,
eingenommen wird.9 Doch die verzweigte Debatte konnte auch zu
der Auffassung führen, dass der sterbliche Jesus mitnichten ein Jude
war, sondern vielmehr ein Nichtjude, ein Arier, was unter anderem
durch seine Herkunft aus »der Heiden Galiläa« (»galil ha-gojim«,
Jesaja 9,1) belegt sei. Diese Position machte sich der Teil der protestantischen Kirche in Deutschland zu Eigen, der sich in den 1930er
und 1940er Jahren mit dem Naziregime identifizierte.
Jedenfalls brachte die neue wissenschaftliche Beschäftigung mit
dem Menschen Jesus im Kontext seiner Zeit, namentlich dem Judentum in der Epoche des zweiten Tempels, in Verbindung mit der An-
Zum historischen und kulturellen Kontext
109
näherung an den Orient und der persönlichen Erfahrung der vielen
Orientreisenden, gerade auch der Künstler unter ihnen, ein Umfeld
hervor, in dem es möglich wurde, Jesus samt seiner Gefährten und
Gesprächspartner auf realistischere Weise zu porträtieren, d.h. als
Menschen und Mann seiner Zeit, vielleicht sogar als jüdischen
Mann, zumindest aber in einer jüdischen Umgebung, unter jüdischen
Gefährten, die durch ihre Kleidung eindeutig als Juden gekennzeichnet sind und dennoch nicht das konventionelle antisemitische Stereotyp des Juden reproduzieren, wie es durch die konventionelle antijüdische Mentalität vieler europäischer christlicher Künstler geprägt
war. Wir sehen dies in Hunts oben abgebildetem Gemälde und
natürlich auch in Liebermanns Jesus im Tempel.
Lassen Sie mich nun zu einer Reihe spezifisch jüdischer Aspekte
kommen, die uns vielleicht helfen, Liebermanns Gemälde von 1879
besser zu verstehen und wertzuschätzen. Dieses Werk wäre vielleicht
nicht möglich gewesen ohne gewisse tiefgreifende Veränderungen,
die sich damals in der Welt des modernen europäischen Judentums
vollzogen, dem Liebermann – wenn auch peripher – angehörte. Ich
denke dabei insbesondere an einen Wandel in der jüdischen Haltung
zu Jesus. Traditionell hatten jüdische Denker und Theologen zu dem
Mann aus Nazareth gebührende Distanz gehalten, sei es aus Angst
vor christlichen Repressalien, sei es aus Abneigung oder sogar Hass
gegen all das, wofür Jesus und seine Kirche standen, sei es aus einer
Mischung beider Motive. Im Hebräischen ist sein Name Jesch’u ein
Akrostichon, dessen Buchstaben für den Satz »Sein Name und seine
Erinnerung sollen ausgelöscht werden« stehen (»jimach schemo wesichro«). Zweifellos bringt die Mehrheit der orthodoxen und traditionellen Juden diesem Mann noch heute – ganz zu schweigen von
früheren Zeiten – im besten Fall Desinteresse entgegen; wenn sie
überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendet, sieht sie ihn eher
in negativem oder sogar feindseligem Licht. Ausnahmen hat es immer gegeben, aber sie waren und blieben eine verschwindende Minderheit.
Dies begann sich, zumindest bei bestimmten Juden, zu ändern,
als mit dem Aufkommen der jüdischen Aufklärungsbewegung (Haskala) im späten 18. Jahrhundert eine Entwicklung einsetzte, die den
Juden in den Ländern West- und Mitteleuropas schrittweise Emanzipation und Gleichberechtigung brachte. Es war offenkundig: Wenn
110
Der Jesus-Skandal
die Gesellschaft insgesamt dem Prozess jüdischer Integration und
Assimilation (der vor allem den Unterricht in der Landessprache an
jüdischen Schulen bedeutete – kein gänzlich neues Phänomen, aber
in manchen Regionen Mittel- und Osteuropas revolutionär) offen
gegenüberstand, ihn sogar förderte, manchmal geradezu erzwang,
und wenn zugleich die jüdische Aufklärungsbewegung das Programm
der kulturellen Europäisierung energisch vorantrieb, dann musste
dies zwangsläufig tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen. Juden wurden nun, im Laufe des späten 18. und des 19. Jahrhunderts,
zu Franzosen, Deutschen und Amerikanern jüdischen Glaubens.
Die Assimilation europäischer Juden an die umgebende Kultur
hatte aber nicht nur zur Folge, dass Juden der Sprache verlustig gingen, die sie einst gesprochen hatten – etwa in den deutschsprachigen
Ländern des Jiddischen – und sich in ihrer Sprache und Kleidung
mehr oder weniger allen anderen anglichen, sondern darüber hinaus
noch etwas anderes: Manche Juden eigneten sich nicht nur die
Äußerlichkeiten der europäischen Kultur bis ins feinste Detail an,
sondern auch ihre Essenz, ihren Wesenskern. Tatsächlich begannen
Juden alsbald eine stetig wachsende Rolle in der europäischen Hochkultur zu spielen, vor allem in der Musik, später auch in der Literatur und der bildenden Kunst. Ihre Absorption europäischer Kultur
schloss offenkundig das Christentum als kulturelle Kraft ein, wenn
nicht sogar als bindendes religiöses Fundament. Im 19. Jahrhundert
konvertierten zahlreiche Juden zum Christentum, die große Mehrheit tat es nicht. Aber diese Mehrheit war dennoch Teil einer Entwicklung, die zu Erscheinungen führte, wie ich sie aus meiner Kindheit im New York der 1940er Jahre erinnere, wo jüdische Jungen
und Mädchen die Texte christlicher Weihnachtslieder weit besser
beherrschten als die Texte der Chanukka-Lieder, auch wenn sie sehr
genau wussten, dass sie nicht zur christlichen Welt gehörten.
Angehörige der europäischen Hochkultur wie etwa Eduard Bendemann und einige Mitglieder der Familie Mendelssohn, die, wie
manche Juden es ausdrücken würden, zur Welt des Christentums
überliefen, waren eine Sache. Aber all die Kulturpersönlichkeiten,
die nicht konvertierten, sondern zumindest formell im Schoß des
Judentums und der jüdischen Identität verblieben, waren dem allmächtigen Einfluss des christlichen Europa unweigerlich ebenso ausgesetzt. Auch von ihnen konnte niemand erwarten, dass sie der Ver-
Zum historischen und kulturellen Kontext
111
suchung widerstanden, sich mit christlichen Themen zu beschäftigen,
und diese Tendenz wurde verstärkt durch einen anderen Aspekt
der sich wechselseitig verstärkenden Tendenzen von Aufklärung und
Emanzipation – nämlich der Tendenz mancher Juden Jesus (und den
Kreis seiner nächsten Gefährten) für das Judentum und die jüdische
Geschichte zurückzufordern. Wir sehen hier eine jüdische Version
der christlichen Suche nach dem historischen Jesus, die mit radikalen Implikationen verknüpft ist.
Die Neubewertung des Jesus von Nazareth innerhalb des Judentums, im weitesten Sinn eine Begleiterscheinung der jüdischen Integration und Emanzipation, muss im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Reformjudentums gesehen werden, das sich, von
Mitteleuropa ausgehend, rasch nach Amerika und – in weit geringerem Maß – nach Ostmitteleuropa ausbreitete. Einer der wichtigsten
Aspekte des Reformjudentums, wie es sich insbesondere in Deutschland und den Vereinigten Staaten herausbildete, war der Wunsch,
das Judentum zu universalisieren – es weniger engstirnig, weniger
rechtsgläubig, weniger Halacha-hörig (Halacha – das jüdische Gesetz) und damit in seiner Theologie und Ideologie weltoffener zu
machen.
Dieser neue Akzent rückte zwangsläufig die hebräischen Propheten in den Vordergrund, deren Forderung nach dem Ende gesellschaftlicher Unterdrückung von universaler Bedeutung war, und die
zu sagen schienen, dass der Gott Israels der Gott aller Menschen sei
– so Jesajas viel zitiertes und von progressiven Juden innig geliebtes
Diktum: »Mein Haus wird heißen ein Bethaus allen Völkern« (Jes.
56,7). Die beträchtliche Spannung zwischen diesem neuen Universalismus mit seiner Betonung der prophetischen Vision und seiner moralischen Botschaft an die ganze Menschheit und dem konkurrierenden Wunsch nach der Bewahrung des Judentums als eigenständiger
Religion und der Juden als eigenständiger ethnischer Gruppe oder
eigenständigem Volk (im Sinne des deutschen und jiddischen Volk)
blieb unaufgelöst und ist bis heute in liberalen jüdischen Kreisen
präsent – womit meist Reformjudentum und konservatives Judentum sowie allerlei Spielarten des säkularen Jüdischseins gemeint
sind. Wie dem auch sei, zweifellos hat diese neue Richtung im jüdischen Denken die Tür zu einer Neubewertung des Christentums
im Allgemeinen und der Gestalt Jesu im Besonderen aufgestoßen.
112
Der Jesus-Skandal
Diese Neubewertung erhielt aber auch noch aus einer anderen Richtung Nahrung: aus der florierenden wissenschaftlichen jüdischen
Forschung in Europa, die unter dem Titel Wissenschaft des Judentums vor allem in den deutschsprachigen Ländern betrieben wurde.
Die modernsten Forschungsmethoden wurden nunmehr von jüdischen Gelehrten zu einem neuen Blick auf die jüdische Vergangenheit benutzt, auf ihre Heiligen Schriften, namentlich die Bibel und
den Talmud, auf ihre antike und mittelalterliche Literatur, auf ihre
Gesetze und auf ihre Geschichte. Es war also diese Parallelität und
teilweise Überlappung von Haskala-Bewegung, Wissenschaft und
Reformjudentum, in der die Neubewertung von Jesus dem Juden
aufkeimte und Gestalt anzunehmen begann.
Es ist kein Zufall, dass der erste große jüdische Denker, der die
Bedeutung des jüdischen Jesus betonte, einer der Wegbereiter des
Reformjudentums in den deutschsprachigen Ländern war: Abraham
Geiger (wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass Geiger nicht der
erste jüdische Schriftgelehrte war, der über eine Neubewertung von
Jesus nachdachte – neben einigen anderen hatte dies schon Moses
Mendelssohn, der Großvater von Felix Mendelssohn, getan). Tatsächlich befand Geiger sich an der Schnittstelle zweier bedeutender
jüdischer Projekte dieser Zeit: dem Reformjudentum und der Wissenschaft des Judentums. Auch reagierte Geiger auf christliche ebenso wie auf neue innerjüdische Denkansätze. Die Feinheiten dieser
komplexen Entwicklung sollen uns hier nicht interessieren, aber ihre
Implikationen sind für uns von Bedeutung.
Wie eine ausgewiesene Kennerin seines Werks schrieb, war es
»Geiger […], der als erster erklärte, Jesus habe seinem Glauben
nach dem pharisäischen Judentum angehört, wogegen das Christentum eine Religion des Dogmas über Jesus sei, eine Verkehrung Jesu
eigener Lehren«.10 Geiger sah, im Gegensatz zu den meisten christlichen Gelehrten und Publizisten, in der Religion der Phärisäer nicht
die engstirnige, fanatische Doktrin der Christen, sondern eine positive religiöse Kraft. Weiter argumentierte Geiger, dass Jesu »außergewöhnliches religiöses Bewusstsein […] nicht einzigartig [war],
sondern schlicht ein typisches Beispiel des religiösen Genius des
jüdischen Volkes«.11 Geiger sah in Jesus einen außergewöhnlichen
Vertreter der pharisäischen Tradition, deren berühmtester Schriftgelehrter Hillel war: »Er hob nicht im Entferntesten irgend etwas
Zum historischen und kulturellen Kontext
113
vom Judenthum auf, er war ein Pharisäer, der auch in den Wegen
Hillels ging, nicht auf jedes einzelne Äußerliche Werth legte, aber
andererseits sprach er es auch aus, dass nicht ein Titelchen vom Gesetze weggenommen werden soll, die Pharisäer sitzen auf dem Stuhle
Mosis, und was sie sprechen, das sollt ihr befolgen.«12 Kurzum, Geiger stellte »Jesus als frommen Juden, als Rabbi [dar] und setzte seine
Lehren mit jenen des klassischen rabbinischen Judentums« gleich.13
Er war also definitiv nicht der Erbauer der christlichen Kirche, die
die Juden so viele Jahrhunderte hindurch verfolgt hatte.
Nach Geiger hoben auch andere reformjüdische Interpreten an
Jesus vor allem seine Liberalität und Offenheit, seine moralische
Autorität sowie seinen prophetischen Zug hervor – mithin seine
Übereinstimmung mit den wichtigsten Grundsätzen des prophetischen Judentums, wie sie es verstanden, möglicherweise sogar mit
dem modernen Reformjudentum. Für viele jüdische Kommentatoren
war der eigentliche Gründer des Christentums als einer eigenständigen Religion nicht Jesus, der Jude, sondern vielmehr der hellenisierte Paulus, der die Halacha abschaffen wollte, um das Judentum
für die nichtjüdischen Massen zu öffnen. Es war Paulus, der von der
»Beschneidung des Herzens« sprach, nicht Jesus. Ein besonders
wichtiger jüdischer Gelehrter, der in seinem Werk Jesus als frommen
Juden lobte, war der Historiker Heinrich Graetz, dessen elfbändige
Geschichte der Juden, die von den 1850er Jahren an erschien, in jüdischen Kreisen in Deutschland weit verbreitet war.
Für unser Thema bleibt festzuhalten, dass die Frage, wer Jesus
wirklich war – die Suche nach dem historischen Jesus –, sich im
Laufe des 19. Jahrhunderts zum Zankapfel zwischen Juden und
Christen entwickelte, zumindest zwischen einigen Juden und einigen
Christen. Geiger und seine Anhänger reagierten insofern auf christliche Thesen über Jesus, die zugleich Thesen über das Judentum im
Allgemeinen waren.
Jesus war alles mögliche für alle möglichen Menschen – für die
Nazis war er ein arischer Rassist, für liberale Juden eine Art Reformrabbiner, für manche Schwarze ein Afrikaner und so weiter und
so fort. Für unsere Zwecke von Bedeutung ist der Aspekt, dass um
1870 die Frage der Identität des Jesus von Nazareth eine besondere
Brisanz hatte; die einen sahen in ihm einen frommen Juden, die anderen einen Mann, der seine jüdische Herkunft transzendiert hatte
114
Der Jesus-Skandal
und so zum Gründer einer neuen, geläuterten Religion geworden
war, die das Judentum abgelöst und obsolet gemacht hatte. Liebermann, so dürfen wir annehmen, war über die Details dieser Kontroverse zwischen jüdischen und christlichen Theologen und Gelehrten
nicht im Bilde. Aber es ist schwierig, sein Gemälde zu betrachten,
ohne sich diesen Kontext zu vergegenwärtigen.
Für Künstler, die in ihren Werken Jesus (oder Christus) abbildeten, egal, ob sie jüdischer Herkunft oder nichtjüdisch waren, spielten die hier erörterten Koordinaten allesamt eine Rolle: der Orientalismus, der Kolonialismus, die Annäherung an den Orient, die neue
wissenschaftliche Beschäftigung mit dem »Spätjudentum« und den
Anfängen des Christentums, die Suche nach einer authentischeren
Kulisse für den christlichen Messias und die Frage nach der wahren
religiösen Identität des Jesus von Nazareth. Nun stellt sich die Frage: Bezogen diese Künstler, in unserem Fall Max Liebermann, einen
Standpunkt in dieser Kontroverse? Hatten sie eine Meinung zu der
Frage, ob Jesus ein loyaler Jude war oder nicht? Ob er überhaupt ein
Jude war? Oder zu der Frage, ob die Passion Christi, sein Verrat
und sein Tod am Kreuz, hinterhältigen Juden anzulasten war? Und,
wenn ja: War an dieser verhängnisvollen Entscheidung irgendetwas
jüdisch?
Anders gefragt: Lässt sich das, was sie schufen, als »jüdische
Kunst« bezeichnen? Es gibt keine einfache Antwort auf diese Frage,
und viel hängt davon ab, wie wir diesen schwammigen Begriff definieren. Was unter »jüdischer Kunst« zu verstehen sei, ist eine uralte
Debatte, für deren oft langweilige und stets fruchtlose Erörterung
schon viele Bäume gefällt und zu Papier verarbeitet wurden. Wir
könnten es uns leicht machen und behaupten, jede Kunst, die sich
mit jüdischen Themen befasst, sei jüdische Kunst. Doch dem widersprechen schon die vielen nichtjüdischen Künstler, die seit Jahrhunderten jüdische Szenen gemalt haben, bis hin zu detailgetreuen
Darstellungen betender Juden. Ebenso unhaltbar wäre die These, jedes Werk, das von einem Mann oder einer Frau jüdischer Herkunft
geschaffen wurde, sei automatisch »jüdische Kunst«. Sollte man
etwa Pissarros Landschaften als »jüdische Kunst« bezeichnen, oder
Modiglianis Porträts?
Mein Lösungsvorschlag für dieses unlösbare Problem ist folgende These: Jüdische Kunst ist Kunst, die von Männern oder Frau-
Zum historischen und kulturellen Kontext
115
en jüdischer Herkunft hergestellt ist, deren Intention oder Sinngehalt
auf jüdische Fragestellungen verweist, oder deren Verständnis sich
zumindest teilweise durch den Bezug auf jüdische Hintergründe erschließt. Ein klassisches Beispiel wäre der Bilderzyklus von Moritz
Oppenheim über deutsch-jüdisches Familienleben, der unter anderem auf die Thematik des deutsch-jüdischen Patriotismus und des
Stolzes auf jüdische religiöse Traditionen verweist.14 Ich hoffe, diese
These wird sich als brauchbar für den letzten Abschnitt dieses Essays erweisen, der sich mit der Frage der Darstellung Jesu durch
73 Hieronymus Bosch, Die Kreuztragung, 1510 – 16, Museum der schönen
Künste, Gent
Künstler jüdischer Herkunft beschäftigt.
Man kann davon ausgehen, dass Künstler jüdischer Herkunft,
die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Jesus als Sujet
vornahmen, zumindest teilweise von all den geschilderten Aspekten
beeinflusst waren, darin aber zugleich nach einem Weg suchten, ihre
jüdische Identität auszudrücken – der eine mehr, der andere weniger
– und eine Position zu den Themen ihrer Zeit zu beziehen, die mit
ihrem Jüdischsein zu tun hatten. Wie aber soll man Jesus in einem
jüdischen Kontext darstellen, als Teil jüdischer Geschichte, um damit eine Position zum eigenen Jüdischsein zu verdeutlichen? Eine
naheliegende Möglichkeit ist die, ihm und den mit ihm dargestellten
Figuren irgendwie jüdische Züge zu geben – gesetzt, es gibt überhaupt so etwas wie jüdische Züge – und ihn in Gewändern zu zeigen, wie Juden sie tragen (auch wenn wir nicht wissen, wie sich die
Juden zur Zeit Jesu kleideten). Dies bedeutete bis zu einem gewissen
Grad, sich von der traditionellen Ikonografie der Jesus- (oder Christus-) Darstellungen zu verabschieden, die ihn definitiv nicht als Juden – gemeint ist hier: als modernen Juden – kenntlich machten.
Ebenso bedeutete es, sich gegen die bereits erwähnte traditionelle
antisemitische Botschaft mancher europäischer Jesus-Darstellungen
zu stellen, für die etwa Hieronymous Boschs Die Kreuztragung
(1510 – 16) ein prägnantes Beispiel ist (Abb. 73).15 Dass diese unerfreuliche Tradition sich bis heute erhalten hat, belegt der kontroverse Film von Mel Gibson Die Passion Christi, dem von vielen jüdischen Zuschauern der Vorwurf gemacht wurde, er schüre das
Feuer des Antisemitismus.16 Hunts Die Auffindung Jesu und Liebermanns Der zwölfjährige Jesus vermitteln mit Sicherheit ein vollkommen anderes, weitaus positiveres Bild der Juden, in deren Mitte Jesus dargestellt wird.
116
Der Jesus-Skandal
Manche jüdischen Künstler kennzeichneten Jesus anhand seiner
Kleidung als Juden, zumindest mit einigen wenigen Elementen, die
an die Kleidungsgewohnheiten zeitgenössischer Juden erinnerten –
beispielsweise dem Tallit (Gebetsschal, der in der Synagoge getragen
wird) und der Kippa oder irgendeiner anderen Kopfbedeckung. Dies
taten in den 1870er Jahren beispielsweise zwei bedeutende osteuropäische Künstler jüdischer Herkunft, der russisch-jüdische Bildhauer
Mark Antokolski und der in Ostgalizien geborene polnisch-jüdische
Maler Maurycy Gottlieb. Antokolski schuf in den Jahren 1874 – 76
einen Ecce Homo, der Jesus unverkennbar als Juden zeigt, was nach
Antokolskis eigener Aussage auch seine Absicht war (Abb. 74). Wie
ein Kunsthistoriker bestätigt, »stellt Antokolski Jesus mit stereotypen jüdischen (semitischen) Gesichtszügen, Schläfenlocken (Pejes),
einer Kippa und in altertümlicher jüdischer Kleidung dar«.17 Noch
wichtiger für unser Thema, da wir es mit einem Maler zu tun haben,
ist Maurycy Gottlieb, der im gleichen Jahr, als Liebermann den
Zwölfjährigen Jesus malte, an einem großen Gemälde mit dem Titel
Jesus predigt in Kafarnaum (Abb. 75) arbeitete.18 Etwa um dieselbe
Zeit malte Gottlieb noch ein weiteres Großbild mit einer JesusSzene, das den jungen Jesus vor dem jüdischen Gericht, dem Sanhedrin, zeigt – mit dem Titel Jesus vor seinen Richtern (Abb. 76).
Auf beiden Gemälden wird Jesus (oder Christus) eindeutig als Jude
dargestellt – er trägt eine Art Tallit und eine Kopfbedeckung. Seine
Identität steht außer Zweifel, und stand auch für Gottliebs zeitgenössisches Publikum außer Zweifel.
Nach Antokolski und Gottlieb malten viele weitere Künstler
jüdischer Herkunft Jesus-Bilder, auf denen Christus als Jude dargestellt wurde; der bei weitem berühmteste unter ihnen war Chagall.
Tatsächlich haben, beginnend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und fortgesetzt bis heute, die Figur des Jesus und ganz allgemein die christliche Metaphorik und Symbolik in die jüdische
Kultur Einzug gehalten (wenn dieser Ausdruck treffend ist) – insbesondere in die bildende Kunst und die Literatur. Und dies geschah
auf eine überraschende und auffällige Weise vor allem dadurch, dass
jüdische Schriftsteller und Maler traditionelle jüdische Sichtweisen
auf »jenen Mann« (»oto haish«, wie er im Hebräischen manchmal
genannt wird) hinterfragten und ihn durch die Art ihrer Zeichnung
in den Dienst ihrer eigenen modernen Aussagen stellten.
Zum historischen und kulturellen Kontext
74 Mark Antokolsky, Ecce Homo
(Christus vor den Richtern), 1874 – 76,
Tretjakov-Galerie, Moskau
117
In meiner Arbeit über Maurycy Gottlieb habe ich versucht zu erklären, welche Motivation den Künstler veranlasste, Christus (oder
Jesus) zu malen. Ich habe keinen Zweifel, dass eines seiner Motive
der Wunsch war, sich selbst als einen echten europäischen und insbesondere polnischen Künstler zur Geltung zu bringen, indem er
zeigte, dass auch er in der Lage war, den Helden des christlichen
Kulturkreises in seinen Bildern darzustellen. Vor dem Hintergrund
der extremen Religiosität Polens und der Sichtweise, Polen sei aufgrund seines langen Leidens und Märtyrertums der Christ unter den
Nationen, hatte dies besondere Bedeutung. Gottlieb, dessen Muttersprache Deutsch war, strebte nach Ruhm und Anerkennung als
75 Maurycy Gottlieb, Jesus predigt in
Kafarnaum, 1878 – 79, Nationalmuseum
Warschau
118
jüdischer Künstler und errang tatsächlich hohes Ansehen in der
weitläufigen Welt der polnischen Kunst. Dies ist also ein erster wichtiger Aspekt.
Doch es ist nicht der einzige. Ich bin sicher, dass wir es hier mit
einer »jüdischen Intention« zu tun haben, vielleicht sogar mit mehreren. Indem Gottlieb Jesus so eindeutig jüdisch zeichnete (ein
Punkt, der allen auffiel, die über seine Werke schrieben), wollte er,
so glaube ich, die Absurdität des Antisemitismus demonstrieren
(mit dem er nur allzu vertraut war, wie so viele polnische Juden
seiner Zeit). Wie können Christen Juden hassen, wenn das Objekt
ihrer tiefen Verehrung selbst ein religiöser Jude ist, der in den Synagogen Galiläas zu seinen jüdischen Gefährten predigte? In dieser
Wahrnehmung steht Jesus für das Gute und die Kirche für das Böse,
da sie eine antijüdische Politik verfolgt, mit der sie ihren wahren
Ursprung im Judentum verhöhnt. Zum Zweiten glaube ich, er bringt
damit ein Gefühl des Stolzes darüber zum Ausdruck, dass Jesus, der
große Lehrer der ganzen Menschheit, Jude war, womit er auf den
ungeheuren Beitrag verweisen kann, den Juden zur Weltzivilisation
geleistet haben (einen Beitrag, der mit Christi Tod nicht endete).
Gleichzeitig bekundet er damit, so glaube ich, sein Bekenntnis zur
Doktrin des Universalismus, die unter den Juden der modernen Zeit
so viele Anhänger gefunden hat. Vieles deutet darauf hin, dass Gottlieb von der Notwendigkeit überzeugt war, die vielen ethnischen
Gruppen und Religionen, die sich unter dem Dach der Monarchie
versammelten, in der er lebte, miteinander zu versöhnen – und vor
allem die Polen (gemeint sind die christlichen Polen) und die Juden
zu versöhnen. Vielleicht versucht er hier anzudeuten, dass der reale,
Der Jesus-Skandal
authentische Jesus – also nicht der Jesus der katholischen Kirche,
sondern der jüdische Jesus mit seiner Botschaft von Liebe und Versöhnung, einer Botschaft universaler Brüderlichkeit – das Symbol
einer solchen Versöhnung darstellt, womit nicht etwa gemeint ist,
dass alle Menschen Christen werden sollen (ein solcher Gedanke lag
ihm sicher fern), sondern dass Jesu Lehren von der universellen
Brüderlichkeit und Liebe, gegründet auf die jüdische Moral, wie sie
von den Propheten entwickelt worden war, am Ende den Sieg davontragen würden über den Hass und die ethnischen und religiösen
76 Maurycy Gottlieb, Jesus vor seinen
Richtern, 1877 – 79, Israel Museum,
Jerusalem
Vorurteile, die aus Unwissenheit und Missgunst geboren wurden.
Wie schon mehrfach erwähnt, ist die traditionelle Ikonografie
von Szenen aus dem Leben Christi und der Geschichte des Christentums, insbesondere von Darstellungen der Passion, oft nicht frei von
einer antisemitischen Bildsprache. Es lässt sich nicht bestreiten, dass
diese Tradition zum Antisemitismus in Europa beigetragen hat. In
diesem Sinne markieren die Christus-Darstellungen und Szenen aus
dem Leben Jesu einiger jüdischer Künstler tatsächlich einen Wendepunkt, da naturgemäß in den Werken jüdischer Künstler derlei antisemitische Metaphorik kaum zu finden sein dürfte und meiner Meinung nach auch nirgendwo anzutreffen ist. Aber noch ein anderer
Punkt ist hier erwähnenswert. Man kann Gottliebs Jesus vor seinen
Richtern und vielleicht noch andere Jesus-Darstellungen jüdischer
Künstler nicht nur als eine Affirmation des jüdischen Jesus lesen,
sondern darüber hinaus auch als einen Protest gegen das rigide,
doktrinäre, ja fanatische Rabbinat, wie es in Gottliebs Werk Jesus
vor seinen Richtern durch den zornigen Hohepriester verkörpert
wird. Die Darstellung Jesu lässt sich nicht nur als Ausdruck der Kritik an der Kirche und ihrem Antisemitismus interpretieren, sondern
auch als Kritik am traditionellen Judentum und an seinem Widerstand gegen äußere Einflüsse im Allgemeinen und die Errungenschaften der europäischen Kultur (vor allem der Kunst) im Besonderen. Das orthodoxe Rabbinat, zumal das osteuropäische, war kein
Freund der Kunst, und die meisten jüdischen Künstler waren dem
orthodoxen Judentum entfremdet.
Jesus wurde von jüdischen Künstlern für viele Zwecke eingesetzt. Es gibt keinen Zweifel, dass er für manche jüdisches Leiden
symbolisierte – wie es offenkundig bei Chagalls berühmtem Gemälde Die weiße Kreuzigung der Fall ist. Es ist möglich, dass Israels
Zum historischen und kulturellen Kontext
119
berühmtester Künstler, Reuven Rubin, der eine Anzahl von Bildern
des christlichen Messias malte, in Jesus ein Symbol für den unausweichlichen Triumph des Zionismus und die jüdische Wiedergeburt
in Palästina als der Heimat seiner Vorfahren sah.19 Aber was ist mit
Liebermann? Ein kurzer Vergleich mit Gottlieb, dessen Zeitgenosse
er für eine kurze Zeitspanne war, ist angezeigt. Gottlieb war, seiner
deutschen Muttersprache zum Trotz, ein »Ostjude«; er stammte aus
der Vielvölkerregion Ostgalizien (er wurde in Drohobytsch geboren), wo die meisten Juden Jiddisch sprachen und orthodox waren
und wo die Juden nicht nur eine Religionsgemeinschaft, sondern
auch eine ethnische Gruppe bildeten, vielleicht sogar ein eigenes
»Volk«. Liebermanns Hintergrund war natürlich vollkommen anders. Für Gottlieb war die Frage nach seiner Identität ein vielschichtiges Rätsel: Was war er – Pole, Jude, Österreicher oder eine Mischung aus allen dreien? Sogar in seinem Namen spiegelt sich diese
Konfusion – Moyshe (Jiddisch) oder Mosche (Hebräisch) in den jüdischen Sprachen, Maurycy auf Polnisch, Moritz auf Deutsch. Solche komplexen Probleme waren Liebermann fremd, zumindest die
meiste Zeit seines Lebens. Man muss fairerweise einräumen, dass
jüdische Identität und jüdisches Bewusstsein für Gottlieb einen
mächtigeren Antrieb darstellten als für Liebermann (obwohl ich ihre
Bedeutung für letzteren nicht in Abrede stelle). Überdies ist uns von
Gottlieb überliefert, dass er ein »jüdischer Künstler« sein wollte,
eine Art jüdischer Matejko, was nicht heißt, dass er nicht zugleich
ein polnischer Künstler und ein europäischer Künstler sein wollte
(das wollte er ganz entschieden).
Von Liebermann lässt sich gleiches natürlich nicht sagen; er hat
sich nicht auf Darstellungen des jüdischen Lebens spezialisiert; und
seine jüdische Identität war, auch wenn er sie nie zu verbergen suchte, wenig ausgeprägt – darin glich er den vielen anderen etablierten,
bürgerlichen, erfolgreichen deutschen Juden seines gesellschaftlichen
Standes und seiner Zeit.20 Dennoch möchte ich behaupten, dass sein
Jesus etwas mit den Werken Gottliebs, Antokolskis, Chagalls und
anderer Künstler jüdischer Herkunft gemeinsam hat. In jedem Fall
ist die negative Resonanz auf Liebermanns Gemälde des Jesus im
Tempel von 1879 ein Beleg für seine Angreifbarkeit als Jude, und
hierin hat er eine große Gemeinsamkeit mit anderen jüdischen
Künstlern, deren Jüdischsein stärker ausgeprägt war. Es ist eine in-
120
Der Jesus-Skandal
teressante Tatsache, dass es vielen Künstlern jüdischer Herkunft, die
es wagten, Jesus darzustellen, als Chuzpe (Frechheit) angekreidet
wurde, wenn sie den christlichen Messias zu ihrem Sujet machten.
Dieser Vorwurf traf beispielsweise Antokolski sowie einen anderen
Bildhauer jüdischer Herkunft, den in Amerika geborenen Engländer
Jacob Epstein, dessen Werk Der Auferstandene, 1920 in London
ausgestellt, mit erbitterter Kritik überzogen wurde, bei der kein
Hehl daraus gemacht wurde, dass sie auch auf die jüdische Identität
seines Schöpfers zielte.21 In diesem Sinne teilte Liebermann mit seinen
Künstlerkollegen jüdischer Herkunft ein gemeinsames Schicksal.
Darüber hinaus ernteten manche Künstler jüdischer Herkunft
(bildende Künstler, Musiker und Schriftsteller), die sich in ihrer
schöpferischen Arbeit mit dem christlichen Messias befassten, auch
in der jüdischen Welt negative Resonanz. Die Wahrheit ist, dass
trotz der Bemühungen, Jesus für das Judentum zurückzugewinnen,
den meisten Juden der Gedanke unbehaglich blieb, dass Jesus von
Juden in der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik in ein
günstiges Licht (oder überhaupt ins Licht) gerückt wurde. Ein frühes Beispiel hierfür ist Heinrich Heines ätzende Kritik an Felix
Mendelssohns christlicher Kirchenmusik, an der er im Vergleich
zu den authentischen Kompositionen des Katholiken Rossini kein
gutes Haar ließ.22 Gottlieb wurde Anfang der 1930er Jahre von
einem polnischen Zionistenführer für seinen Jesus in Kafarnaum
scharf kritisiert, und von Liebermann wissen wir, dass er glaubte,
seine deutschen Mitjuden durch sein Gemälde von 1879 und die
Kontroverse, die es auslöste, todunglücklich gemacht zu haben.23
Wir wissen auch von der großen Ablehnung, die dem berühmten jiddischen Schriftsteller Schalom Asch vonseiten mancher Juden
entgegenschlug, als er seine Trilogie über das Leben Christi publizierte; und ich wage zu behaupten, dass auch israelische Künstler,
die den christlichen Heiland malen, sich diesem Risiko aussetzen.24
Dieses Thema wäre eine genauere Untersuchung wert.
Man könnte sagen, dass erst Liebermanns Kritiker, die christlichen wie die jüdischen, aus seinem Zwölfjährigen Jesus ein »jüdisches Gemälde« gemacht haben, und aus seinem Schöpfer einen
»jüdischen Künstler«. Was waren seine Absichten? Ich weiß es nicht.
War Liebermann ein »jüdischer Künstler«? Wollte er als einer betrachtet werden? Ich glaube, man muss diese beiden Fragen, falls
Zum historischen und kulturellen Kontext
121
man sie überhaupt beantworten kann, mit Nein beantworten – er
selbst sah sich als deutschen Künstler, so wie er sich zuallererst als
Deutschen sah. Aber verlangt das Verständnis seines Gemäldes Jesus
im Tempel vom Betrachter, sich die mannigfaltigen jüdischen Hintergründe zu vergegenwärtigen? Hier glaube ich, dass die Antwort
Ja ist. Man kann dieses Gemälde als ein Werk sehen, wie es für einen deutschen Künstler des späten 19. Jahrhunderts, der in den Fußstapfen von Menzel und anderen wandelte, gang und gäbe war; aber
man sollte es auch im Kontext der jüdisch-christlichen Diskussion
und der Debatte sehen, die in Deutschland und anderswo über die
Bedeutung Jesu und des Judentums für die Juden wie die Nichtjuden
geführt wird. Denn dieses Gemälde ist nolens volens Teil dieser Diskussion und dieser Debatte. Ob bewusst oder unbewusst – Liebermann hat seinem deutschen Publikum etwas zu sagen über die Natur der Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden in der
gegenwärtigen Welt. Er macht Jesus, unter anderem, zu einem jüdischen Thema, und zugleich zu einem universellen Thema mit universeller Bedeutung. Ich weiß nicht und will mir dazu keine Meinung
erlauben, ob Liebermann ein »jüdischer Künstler« oder eher ein
deutscher Künstler jüdischer Herkunft war, aber um den Zwölfjährigen Jesus im Tempel zu verstehen, ist es hilfreich zu wissen – es ist
sogar unerlässlich, das zu wissen –, dass er nicht nur ein deutscher
und europäischer Künstler war, der in der Tradition deutscher Kunst
arbeitete, sondern auch ein deutscher Jude, ein deutscher Bürger
mosaischen Glaubens – und damit, wie er sehr genau wusste, ein
Mitglied der Schicksalsgemeinschaft der deutschen Juden.
Übersetzung aus dem Englischen: Edith Winnen
1 Laura Morowitz, A Passion for Business: Wannamaker’s, Munkácsy, and the Depiction of Christ, in: The Art Bulletin, Bd. XCI, Nr. 2, Juni 2009, S. 184 – 206. Ich
danke Richard Cohen für den Hinweis auf diesen Artikel.
2 Vgl. die Anmerkungen von Walter Cahn, Max Liebermann and the Amsterdam
Jewish Quarter, in: Barbara Kirshenblatt-Gimblett / Jonathan Karp (Hg.), The Art
of Being Jewish in Modern Times, Philadelphia 2007, S. 208 – 27.
3 Vgl.: Szkice do dziejów cywilizacyi w Polsce, Warschau 1910. Die Gemälde sind
abgebildet in Krystyna Skroczyńska (Hg.), Matejko. Obrazy olejne, Warschau 1993,
S. 137, 142.
4 Abgebildet in: Vladimir Kemenov, Vasily Surikov, Bournemouth 1997, S. 13.
5 Sally M. Promey, Painting Religion in Public. John Singer Sargent’s Triumph of
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Religion at the Boston Public Library, Princeton 1999. Sargents traditionelle Darstellung der Synagoge als liegende, bezwungene Frau mit verbundenen Augen
erregte den Zorn der lokalen jüdischen Gemeinde und löste einen Skandal in Boston
aus.
Patricia G. G. Berman, James Ensor. Christ’s Entry into Brussels in 1889, Los Angeles 2002.
Edward Said, Orientalism, New York 1978; deutsche Ausgabe: Orientalismus,
Frankfurt am Main 1979.
Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi
Germany, Princeton und Oxford 2008, S. 33 – 38.
Vgl. zum Beispiel die Arbeit des amerikanischen Gelehrten E.P. Sanders, Jesus and
Judaism, Philadelphia 1985, und von David Flusser, Jesus, Jerusalem 2001.
Susannah Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus, Chicago und London
1998, S. 13; deutsche Ausgabe: Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham
Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, Berlin 2001.
Ebd., S. 43; engl. Ausg. S. 19.
Abraham Geiger, Das Judentum und seine Geschichte, Bd. I, Breslau 1910, S. 117f.,
zitiert nach Heschel 2001, S. 246.; engl. Ausg. S. 149.
Ebd., S. 371, engl. Ausg. S. 229.
Dazu: Ismar Schorsch, Art as Social History: Oppenheim and the German Jewish
Vision of Emancipation, in: Moritz Oppenheim. The First Jewish Painter, Jerusalem 1987, S. 31 – 62. Allgemein dazu die grundlegende Arbeit von Richard Cohen, Jewish Icons. Art and Society in Modern Europe, Berkeley und London 1998.
Es wird als mögliche Quelle für Ensors Gemälde angesehen von Berman, James
Ensor, wie Anm. 6, S. 60 – 61.
Vgl dazu: Peter Pettit, Mel Gibson’s The Passion of the Christ and its Ramifications, in: Jonathan Frankel / Ezra Mendelsohn (Hg.), The Protestant-Jewish Conundrum, Studies in Contemporary Jewry, Bd. 24, Veröffentlichung in 2010.
Matthew Hoffman, From Rebel to Rabbi. Reclaiming Jesus and the Making of
Modern Jewish Culture, Stanford 2007, S. 212. Für einen faszinierenden und innovativen Blick auf diese Statue vgl: Olga Litvak, Rome and Jerusalem. The Figure of
Jesus in the Creation of Mark Antokol’skii, in: Kirshenblatt-Gimblett / Karp, wie
Anm. 2, S. 228 – 254. Die Expertin zur Frage der Darstellung des Jesus in der
»Jüdischen Kunst« ist Ziva Amishai-Maisels. Vgl. ihren Artikel: The Jewish Jesus,
in: Jewish Art, 9, 1982, S. 85 – 104, und dies., Origins of the Jewish Jesus, in:
Matthew Baigell / Milly Heyd (Hg.), Complex Identities: Jewish Consciousness and
Modern Art, New Brunswick 2001, S. 51 – 86. Vgl. auch: Efraim Sicher, Jews in
Russian Literature after the October Revolution. Writers and Artists Between
Hope and Apostasy, Cambridge, et al. 1995, S. 40 – 70.
Ich bespreche diese Arbeit in meinem Buch Painting a People. Maurycy Gottlieb
and Jewish Art, Hanover und London 2002, und in einem früheren Artikel in
hebräischer Sprache, Omanut vehistoriah yehudit: Yeshu doresh bekhfar nahum
leMaurycy Gottlieb, in: Zion, Bd. 53, 1998, S. 173 – 191.
Amitai Mendelsohn, Prophets and Visionaries: Reuven Rubin’s Early Years, 1914
– 23, Jerusalem 2007.
Zwei wichtige, erst kürzlich erschienene Artikel zu Liebermann, die versuchen den
Einfluss seiner jüdischen Herkunft auf sein Leben und Werk zu berücksichtigen
sind: Peter Paret, Triumph and Disaster of Assimilation. The Painter Max Liebermann, in: Jewish Studies Quarterly , Bd. XV, No. 2, 2008, S. 130 – 147, und Walter
Cahn, Max Liebermann and the Amsterdam Jewish Quarter, wie Anm. 2.
Stephen Gardner, Epstein: Artist Against the Establishment, London 1992,
Zum historischen und kulturellen Kontext
123
S. 207 – 214; June Rose, Demons and Angels. A Life of Jacob Epstein, New York
2002, S. 118 – 121.
22 Nach: S. S. Prawer, Heine’s Jewish Comedy, New York 1983, S. 523 (einen Brief
Heinrich Heines von 1846 zitierend).
23 Mendelsohn, Painting a People, S. 181 – 183, wie Anm. 18; Paret, Triumph and
Disaster of Assimilation. The Painter Max Liebermann, wie Anm. 20, S. 136f.
24 Die Rezeption Scholem Aschs durch die Juden diskutiert Anita Norich, Discovering Exile. Yiddish and American Jewish Culture During the Holocaust, Stanford
2008, S. 74 – 95.
124
Der Jesus-Skandal
77 Albrecht Dürer, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 1503, Privatbesitz · Kat.-Nr. 18
Zum historischen und kulturellen Kontext
125
78 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Jesus als Knabe unter den Schriftgelehrten, 1654, Staatliche Museen zu Berlin,
Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 21
79 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Jesus lehrt im Tempel, 1652, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 20
126
Der Jesus-Skandal
80 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Die Beschneidung, 1630, Kunsthalle Bremen – Kupferstichkabinett – Der Kunstverein in Bremen
Kat.-Nr. 19
Zum historischen und kulturellen Kontext
127
81 Heinrich Hofmann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1884, Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 25
128
Der Jesus-Skandal
82 Julius Schnorr von Carolsfeld, Jesus als zwölfjähriger Knabe, unter den Lehrern im Tempel, 1852 – 60, Clemens-Sels-Museum,
Neuss · Kat.-Nr. 24
Zum historischen und kulturellen Kontext
129
83 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1852, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek · Kat.-Nr. 23
130
Der Jesus-Skandal
84 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1851, Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 22
Zum historischen und kulturellen Kontext
131
132
Der Jesus-Skandal
Petra Wandrey
Der zwölfjährige Jesus im Tempel
Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs
Als Bildmotiv hat Der zwölfjährige Jesus im Tempel eine lange Tradition in der bildenden Kunst und erfreute sich besonders im 19.
Jahrhundert großer Beliebtheit. Das Motiv geht zurück auf einen
biblischen Bericht aus der Kindheit Jesu. Im Lukasevangelium (Lk
2,41 – 52) wird berichtet, dass Josef und Maria, so wie es Brauch
war, mit dem zwölfjährigen Jungen zum Passahfest nach Jerusalem
gingen. Dort verloren die Eltern ihren Sohn. Erst nach dreitägiger
Suche fanden sie ihn im Tempel unter den Lehrern, zu denen er
sprach. »Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen
Verstand und seine Antworten« (Lk 2,47). Dieser Bericht wird im
apokryphen Thomasevangelium etwas erweitert dargestellt. Dort
wird Maria von den Schriftgelehrten als Mutter des Knaben gepriesen: »Selig bist du unter den Weibern, denn der Herr hat die Frucht
deines Leibes gesegnet. Denn solche Herrlichkeit, solches Vergnügen und solche Weisheit haben wir niemals gesehen noch gehört.«1
Aus frühchristlicher Zeit sind nur wenige Darstellungen des Motivs erhalten. Sie lassen sich in der Regel aus der antiken Gelehrtenikonografie herleiten. Ein Relief des Mailänder Elfenbeindiptychons aus dem 5. Jh. stellt den von einer hohen Kathedra herab
sprechenden Jesus dar. Eine Miniatur des Lukasbildes im Evangeliar
des hl. Augustinus in Cambridge (Ende des 6. Jhs.) ergänzt die Wiedergabe dieses Disputs um die Gestalt der Maria, die ihren vermissten Sohn wiederfindet. In einer Miniatur des Egbert-Codex (um
980) sitzt Jesus mit einer Schriftrolle in der Hand zwischen den Gelehrten. Er blickt auf die Rolle und hebt lehrend seine rechte Hand,
was ihn als Ausleger der Schrift kennzeichnet. Dieser Lehrtypus hat
sich als wegweisend erwiesen. Seltener ist dagegen der Diskussionstypus dargestellt, bei dem Jesus den zu einer Gruppe zusammengefassten Schriftgelehrten gegenüber sitzt bzw. steht und gestenreich
mit ihnen disputiert (Abb. 87).
85 Der zwölfjährige Jesus im Tempel,
Mitte rechts, 2. Hälfte 5. Jh., Diptychon,
linker Flügel, Mailand,
86 Der zwölfjährige Jesus im Tempel,
um 980, Egbert-Codex
133
Im Spätmittelalter erfährt der Lehrtypus, insbesondere in der italienischen Kunst, dadurch eine Erweiterung, dass die Beziehung zwischen Jesus und Maria hervorgehoben wird. Giotto behält in seiner
Darstellung in der Arenakapelle (Abb. 88) die frontale Ansicht des
Lehrtypus bei und verdeutlicht in der Darstellung der Eltern ein psychologisches Moment: Die zu ihrem Sohn hin ausgestreckten Arme
der Maria zeigen die Sorge der Mutter um ihr verlorenes und nun
wiedergefundenes Kind. Aus der Figur Josefs spricht gleichzeitig Erleichterung wie auch Verwunderung über den Ort, an dem Jesus sich
befindet.
Tilman Riemenschneider verlegt in seiner Darstellung des Motivs auf dem Creglinger-Altar den thematischen Schwerpunkt auf
87 Der zwölfjährige Jesus im Tempel,
um 1270, Evangelistar der Ste. Chapelle,
Paris, British Museum, London
88 Giotto di Bondone, Der zwölfjährige
Jesus im Tempel, 1304 – 05, Capella degli
Scrovegni (Arenakapelle), Padua
134
Maria und macht sie dort zur Hauptfigur. Die Hände vor der Brust
gekreuzt steht sie groß im Vordergrund, während Jesus lehrend hinter ihr thront. Ihr wendet sich der mit einem aufgeschlagenen Buch
auf den Knien im Vordergrund sitzende Schriftgelehrte zu. Die beiden Darstellungen in der Predella des Altars, Die Anbetung der Könige und Der zwölfjährige Jesus im Tempel, symbolisieren die Unterwerfung der weltlichen und kirchlichen Mächte unter Jesus. Auch
in vielen anderen Werken der frühen Neuzeit erhielt Maria größeres
Gewicht, da das Suchen und Finden ihres Sohnes zu den damals
häufig dargestellten sieben Schmerzen und sieben Freuden Marias
zählte, die die Themenwahl verschiedener Marienaltäre bestimmten.
Albrecht Dürer, dessen Werk Max Liebermann als »die Umgestaltung des ewig strömenden Seins der Seele in das moralische
Gesetz«2 charakterisierte, setzte sich mehrfach mit dem Motiv auseinander, erstmals um 1495 – 98 auf der Altartafel der Sieben
Schmerzen Mariens. Später stellte er in seiner Holzschnittfolge des
Marienlebens den zwölfjährigen Jesus im Tempel (um 1503, Abb.
77) in einem perspektivisch gestalteten, tonnengewölbten Innenraum dar. Jesus sitzt auf der mit einem Baldachin überdachten
Kathedra rechts im Hintergrund des Bildes, während die Schriftgelehrten großzügig in dem weiten Raum verteilt sind. Von links
treten Josef und Maria hinzu. Es wird der Eindruck einer gelehrten
Disputation erweckt.
Nur einige Jahre später schuf Dürer in Venedig eines seiner Hauptwerke, sein »opus quinque dierum«, Christus unter den Schriftgelehrten (Abb. 90).3 In einem Brief an seinen Freund, den Huma-
Der Jesus-Skandal
nisten Willibald Pirckheimer, bezeichnete er das Bild als »des
gleichen jch noch nie gemacht hab«.4 Dieses Werk, dessen kurze
Entstehungszeit auf einem als Lesezeichen getarnten Cartellino
genannt ist, wurde in der Kunstkritik häufig als ungewöhnlich charakterisiert.
Dürer zeigt Jesus eng umringt von Schriftgelehrten, deren Physiognomien äußerst individuell gestaltet sind. Der Gelehrte links, dem
Jesus sich zuneigt, hat sein Buch geschlossen und blickt erkennend
zu dem Knaben auf. Ein anderer im rechten Vordergrund hält ihm
dagegen ein aufgeschlagenes Buch entgegen, während der Alte neben Jesus versucht, die sachliche Argumentation des Knaben zu unterdrücken. Es sind die Hände dieser beiden, die eine zentrale Rolle
in der Bilderzählung spielen. Das Bild ist auf das Wesentliche
reduziert, weder ist der Raum gekennzeichnet, noch sind die herbeieilenden Eltern dargestellt. Der venezianischen Kunst ist die
nahsichtige, devotionsfördernde Halbfigurendarstellung entliehen.
Zentrales Thema ist der gelehrte Disput, dem im Humanismus außerordentliche Bedeutung zukam. Das Christentum soll die Menschen zu moralischem Handeln erziehen und der beste Lehrer christlicher Lebensführung ist Jesus selbst. Gleichzeitig manifestiert sich
im Bild das komplizierte Verhältnis der Juden zu Christus und zum
Christentum, das sich sowohl in Verständnis als auch Unverständnis
und Ignoranz ausdrückt.
Anregungen zu dieser Bildlösung bezog Dürer aus der nordalpinen Tradition, wo die Szene zumeist in Zyklen vorkam, sowie aus
der italienischen Kunst. Neben Cima da Conegliano waren es wohl
vor allem Werke Andrea Mantegnas und Giovanni Bellinis, den Dürer persönlich kannte, die den Deutschen beeinflussten. Von den beiden Letzteren sind Darstellungen des zwölfjährigen Jesus im Tempel
nicht erhalten, sondern nur dokumentiert.
Eine besondere ikonografische Ausformung des Bildthemas entwickelte sich seit Beginn des 16. Jahrhunderts in dem sogenannten
niederländischen Typus, an den Max Liebermann sich in seiner Darstellung anlehnte. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass ein besonders
hervorgehobener Schriftgelehrter auf einem Lehrstuhl sitzt, während
Jesus inmitten der Schriftgelehrten sitzend oder stehend mit ihnen
diskutiert, was als Überwindung des Alten Bundes durch Christus
gedeutet wird.
Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs
89 Tilman Riemenschneider, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 1505 – 08,
Predella des Marienretabels, Herrgottskirche, Creglingen
90 Albrecht Dürer, Christus unter den
Schriftgelehrten, 1506, Museo ThyssenBornemisza, Madrid
135
Rembrandt, von dem Max Liebermann sagte: »Nicht vor oder nach
ihm ist ein Maler entstanden, der unserem Begriff vom Künstler
in höherem Maße entspräche...« 5 und den er für den aktuellsten unter den alten Meistern hielt, hat das Motiv in drei Radierungen und
mehreren Zeichnungen aufgegriffen, die diesen Typus anschaulich
vermitteln. Die Rembrandtrezeption moderner Künstler, die in
91 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Jesus
lehrt im Tempel, 1652, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 20
Frankreich bereits um 1850 einsetzte, wurde in Deutschland in den
1870er Jahren von den Malern des Leibl-Kreises in München vorbereitet und von Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt
wesentlich gefördert.6 In einer kleinen, hochformatigen Radierung
von 16307 zeigt Rembrandt den Jesusknaben im Kreis orientalisch
gewandeter Schriftgelehrter. Eindringlich stellt er den Unterschied
zwischen dem zarten Kind und den behäbigen, mächtigen Schriftgelehrten heraus. Der Tempel ist bereits eine Ruine, der Alte Bund
überwunden. Die rund zwanzig Jahre später entstandene Radierung
von 1652 (Abb. 91, 79) zeichnet ein anderes Bild. Die im Tempel
anwesenden Personen hören der Argumentation des im Zentrum
stehenden Jesus aufmerksam zu. Wie später bei Liebermann ist Jesus
nicht als triumphierender Sohn Gottes dargestellt, sondern überzeugt durch kindliche Natürlichkeit, was durch die Gestik seiner
Hände noch unterstrichen wird. Die Schriftgelehrten reagieren
nachdenklich auf seine Rede. Der am rechten Bildrand sitzende
Gelehrte, den Jesus direkt anspricht und der in unmittelbarem
Blickkontakt zu ihm steht, lenkt als Repoussoirfigur den Blick des
Betrachters hinüber zu den hinter einer Brüstung stehenden Pharisäern. Von dort wandert er zu den hinter Jesus stehenden Anwesenden.
So entsteht, obwohl die Figurengruppe in dem querrechtwinkligen
Format fast isokephalisch angeordnet ist, eine konzentrisch anmutende Figurenkomposition um den Jesusknaben herum. Die Spannung des Dialogs wird greifbar.
Diese Form der Gruppenkomposition, die »Zusammenordnung
sich drängender Gestalten um ein Zentrum des Interesses«8, griff
Rembrandt häufig auf, so auch in seiner Radierung Die kleine Beschneidung von 1630 (Abb. 80), deren Gruppenkonstellation starke
Ähnlichkeiten zu Liebermanns Gemälde aufweist.
Auch die Radierung von 1654 (Abb. 78), die das Geschehen
nahsichtig wiedergibt, lebt von der Dialogsituation. Hier sitzt Jesus
unter den Schriftgelehrten und spricht zu dem vor ihm sitzenden
136
Der Jesus-Skandal
92 Matthias Stom, Der zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten, 1640er Jahre, Bayerische Staatsgemäldesammlung,
Alte Pinakothek, München
Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs
137
Gelehrten, wiederum eine Repoussoirfigur. Gleich zwei der hier
dargestellten Figuren scheinen Liebermann als Anregung gedient
zu haben: einerseits der Gelehrte hinter Jesus, der mit verschränkten
Händen die Diskussion verfolgt, und andererseits der rechts stehende Gelehrte, der fast die gesamte Höhe des Blattes einnehmend
mit dem Rücken zum Betrachter steht.9 Beide Blätter Rembrandts
erzeugen den Eindruck von Spontaneität und Momenthaftigkeit.
93 Dirck van Baburen, Jesus unter den
Schriftgelehrten, 1622, Steven and Dorothea Green Collection, USA
Die Schriftgelehrten werden nicht negativ charakterisiert, sondern
als zur Selbstkritik fähige, reflektierende Gesprächspartner wiedergegeben.
Jedoch konnten nicht nur Radierungen und Zeichnungen von
Rembrandt Max Liebermann zu seiner Darstellung inspirieren,
sondern möglicherweise auch ein Gemälde des Zwölfjährigen Jesus
im Tempel in der Alten Pinakothek in München, das damals noch
als eigenhändiges Werk Rembrandts galt. Heute wird es Salomon
Koninck zugeschrieben.10 Während seines München-Aufenthalts in
den Jahren 1878 – 84 hat Liebermann es wahrscheinlich gesehen und
studiert, ebenso wie ein weiteres Gemälde zum Thema, das ebenfalls
in der Pinakothek hing. Es wurde damals Gerrit van Honthorst
zugeschrieben und gilt heute als Werk Matthias Stoms (Abb. 92).11
Stom, in der Nähe von Utrecht geboren, lebte viele Jahre in Italien.
Stilistisch den Utrechter Caravaggisten nahestehend, studierte er in
Rom, Neapel und Sizilien die Originalwerke Caravaggios. Seine Bilder zeugen von bemerkenswerter psychologischer Intensität. Auf
seinem Gemälde steht Jesus mit lehrend erhobenem Zeigefinger fünf
Schriftgelehrten gegenüber. Die Gelehrten reagieren abweisend und
disputieren mit dem Knaben, wobei der Zählgestus des einen an Dürers Gemälde gemahnt. Nur der außen sitzende Schriftgelehrte hält
nachdenklich inne, das Kinn in die rechte Hand gestützt, während
die Finger der linken Hand zwischen die Seiten eines aufgeschlagenen Buches greifen, das auf seinen Knien liegt. Diese Geste der
Nachdenklichkeit erweckte Liebermanns Interesse ebenso wie die
Hell-Dunkel-Darstellung des Caravaggisten.12
Auch Dirck van Baburen, einer der Begründer der Utrechter Caravaggisten, malte 1622 den zwölfjährigen Jesus im Tempel. Ähnlichkeiten zu der Darstellung Stoms sind vorhanden, wenn auch Baburen die Aufgeregtheit und Bestürzung der Schriftgelehrten viel
drastischer darstellte (Abb. 93).
138
Der Jesus-Skandal
Mit dem Aufkommen der Aufklärung wurde die Tempelszene häufig
in der Art griechischer Akademien dargestellt. Besonders in Süddeutschland wurde das Thema mit der Pflicht zum Besuch des Sonntagsgottesdienstes verbunden, da auch Jesus sich der Pflicht unterwarf, den Tempel zu besuchen, um sich dort mit dem Wort Gottes
auseinanderzusetzen. Der in München geborene Januarius Zick
stellte, genau wie sein Vater, das Motiv in Freskenzyklen süddeutscher Kirchen dar (Abb. 94).
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts strebte eine deutsche Künstlergruppe um Friedrich Overbeck, der Lukasbund, die Erneuerung der
christlichen Malerei aus dem Geiste alter deutscher und italienischer
Kunst an. Diese bis in die 1880er Jahre einflussreichen, als Nazarener bezeichneten Künstler dominierten um 1830 die Münchener
Akademie. Einer ihrer Vertreter war Julius Schnorr von Carolsfeld,
der sich intensiv mit niederländischer und deutscher Grafik um 1500
beschäftigt hatte. Er gab 1860 eine mit 240 Holzschnitten illustrierte
Bibelausgabe heraus, die eine Darstellung des zwölfjährigen Jesus
im Tempel enthielt (Abb. 82). Dort sitzt Jesus, antik gekleidet, vor
einem Lesepult, durch ein zweistufiges Podest leicht erhöht und die
Füße zusätzlich auf einer kleinen Fußbank, lehrend den Schriftgelehrten gegenüber. Die Gelehrten, die teils an Philosophentypen Raffaels, teils an Heiligenfiguren Martin Schongauers erinnern, reagieren abweisend auf die Worte des Knaben, sind schwerhörig oder
konzentrieren sich vollkommen auf ihre Lektüre. Von rechts eilen
Maria und Josef herbei. Es finden klare Gruppenbildungen statt,
wobei Jesus als Einzelfigur räumlich von der Gruppe der Schriftgelehrten separiert ist. Die im Hintergrund herbeieilenden Eltern verstärken die Tiefenwirkung des Raumes.
Die Bilderbibel erfreute sich über Konfessionsgrenzen hinweg
großer Beliebtheit und bald galt Schnorr von Carolsfeld neben Gustave Doré als wichtigster Bibelillustrator des 19. Jahrhunderts.
Der von Liebermann bewunderte Adolf Menzel hatte das Motiv
fast zehn Jahre zuvor bereits als Transparentgemälde für die Weihnachtsausstellung der Berliner Akademie gemalt. Das Werk ist durch
ein vorbereitendes Pastell Menzels von 1851 (Abb. 84, 95) und
eine Lithographie (1852) überliefert (Abb. 83). Richard Muther bezeichnete Menzels Jesus als »gescheites israelitisches Bürschchen
[…], das eine Anzahl polnischer Juden durch seine klugen Antwor-
Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs
94 Januarius Zick, Der zwölfjährige
Jesus im Tempel, 1784, Deckenfresko der
Pfarrkirche St. Verena in Rot an der Rot
139
ten entzückt«13, Cornelius Gurlitt nannte es eine der ersten Darstellungen in Deutschland, die Jesus bewusst als »Juden unter Juden«
auffassten.14 Da gerade diese Bildidee später für Liebermann wichtig
werden sollte, wurde das Gemälde des Jüngeren stets als direkte
Auseinandersetzung mit Menzel angesehen.15
Bei Menzel steht Jesus umringt von Schriftgelehrten im Zentrum
der Darstellung und spricht zu dem ihm gegenüberstehenden, über
95 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus
im Tempel, 1851, Hamburger Kunsthalle
Kat.-Nr. 22
ein Lesepult gebeugten Gelehrten. Am rechten Bildrand drängen
Maria und Josef zu ihrem Kind. Die Schriftgelehrten sind individuell
charakterisiert und deutlich als Juden gekennzeichnet. Das Momenthafte der Situation zeigt sich anschaulich an ihren Reaktionen, die
äußerst theatralisch und dabei wie eingefroren wirken. Menzel
wandte sich in seiner Darstellung gegen »das hohle Gefühlsgebaren
der anerkannten religiösen Malerei« und nahm »eine implizite
kritische Haltung gegen Akademie und Nazarenertum«16 ein. Er
versuchte, dem Bild Authentizität zu verleihen, indem er dem zeitgenössischen Verständnis jüdischer Physiognomie Rechnung trug.
Laut Überlieferung entlehnte er die Darstellung der Schriftgelehrten
Modellen, die er unter den osteuropäischen Juden seiner Heimatstadt fand,17 überzeichnete sie jedoch, wodurch auch eine negative
Konnotation erweckt wird. Zeitgenossen bewunderten hingegen besonders, die Art, in der der Künstler das historische Geschehen in
die Gegenwart des modernen Judentums als realistische, lebenswahre Qualität des Kunstwerks versetzt hatte.18 In der Folge gehörte die
Lithographie zu den meist verbreiteten Blättern Menzels.
Eine Darstellung, die von den Kritikern immer wieder im direkten
Vergleich mit Liebermanns Werk genannt wurde, war Der zwölfjährige Christus im Tempel (1879) von Ernst Karl Georg Zimmermann.
Das Bild wurde gleichfalls auf der Internationalen Kunstausstellung
in München gezeigt und im Gegensatz zu Liebermanns naturalistischer Darstellung insgesamt positiv bewertet. Der für das Heiligenbild neue, rein menschliche Charakter des Bildes, der sich aus dem
insgesamt »köstlichen Humor«19 der Szene speist, wurde als unterscheidend modernes Element gerühmt. Ein letztes, etwas später entstandenes Beispiel ist Der zwölfjährige Jesus im Tempel (1884) von
Heinrich Hofmann (Abb. 81). Er stellt Jesus als idealisierten Gottessohn vor, dem die Schriftgelehrten aufmerksam und verwundert
über seine Weisheit zuhören. Im Gegensatz zu Menzel und Zimmer-
140
Der Jesus-Skandal
96 Wilhelm Krauskopf, Radierung nach Ernst Karl Georg Zimmermann, Der zwölfjährige Christus im Tempel,
1879, Verbleib unbekannt
mann erlangen diese hier, wie zuvor schon bei der Darstellung Max
Liebermanns, ihre über die Jahrhunderte kanonisierte Form als würdevolle Philosophen zurück.
Als Max Liebermann sich dem Thema des zwölfjährigen Jesus
im Tempel zuwandte, konnte er auf eine lange Bildtradition zurückblicken. Von einigen Werken weiß man, dass er sie kannte, bei anderen, wie zum Beispiel den Werken Dürers, kann man es nur vermuten. Dabei fällt auf, dass für Liebermanns Komposition vor allem
der niederländische Bildtypus, insbesondere das Werk Rembrandts,
Pate stand. Die Darstellungsweise Adolf Menzels lieferte wichtige
intellektuelle Stimulanzien. Aus den Anregungen seiner Vorgänger
entwickelte Liebermann in seinem Bild eine ganz neue Darstellungsform und markierte damit den Beginn einer neuen Form religiöser
Malerei, wie sie u. a. durch Fritz von Uhde fortgeführt wurde.
Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs
141
1 Des israelitischen Philosophen Thomas Bericht über die Kindheit des Herrn, in:
Wilhelm Schneemelcher (Hg.), von Edgar Hennecke begründete Sammlung, Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. I Evangelien, 6. Auflage
Tübingen 1990, S. 353 – 359; 359.
Grundlegende Literatur zu den folgenden Ausführungen:
Volker Osteneck, Zwölfjähriger Jesus im Tempel, in: Engelbert Kirschbaum SJ.
(Hg.), Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 4, Freiburg i. Br. 1994, Sp.
583 – 589; Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 1: Inkarnation, Kindheit, Taufe, Versuchung, Verklärung, Wirken und Wunder Christi,
Gütersloh 1966
2 Max Liebermann, Rede zur Eröffnung der Dürer-Ausstellung, März 1928, in:
Max Liebermann, Die Phantasie in der Malerei. Schriften und Reden, Berlin 1983,
S. 233.
3 Albrecht Dürer, Christus unter den Schriftgelehrten, 1506, Malerei auf Pappelholz,
64,3 × 80,3 cm, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid.
4 Albrecht Dürer an Willibald Pirckheimer, 23. September 1506, zit. nach Ausst.Kat. Wien 2003, Klaus Albrecht Schröder / Marie Luise Sternath (Hg.), Albrecht
Dürer, S. 338. Darin zu Dürers zwölfjährigem Jesus im Tempel: Martin Schawe,
Albrecht Dürers »Opus quinque dierum«, Kat.-Nr. 106, S. 338 – 348.
5 Max Liebermann, Rede zur Eröffnung der Rembrandt-Ausstellung, Februar 1930,
in: wie Anm. 2, S. 267.
6 Die unterschiedliche Rembrandtbegeisterung in Frankreich und Deutschland lag in
den divergenten politischen Kulturen begründet. Demokratische Gedanken stießen
in Frankreich nach den Revolutionen von 1830 und 1848 auf geringeren Widerstand als in Deutschland. Dazu: Johannes Stückelberger, Rembrandt und die Moderne. Der Dialog mit Rembrandt in der deutschen Kunst um 1900, München
1996.
7 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Der Jesusknabe unter den Schriftgelehrten, 1630,
Radierung, 8,9 × 6,8 cm, Museum Het Rembrandthuis, Amsterdam.
142
Der Jesus-Skandal
8
9
10
11
12
13
14
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16
17
18
19
Günter Busch, Max Liebermann. Maler, Zeichner, Graphiker. Frankfurt am Main
1986, S. 37.
Zum Einfluss Rembrandts auf Liebermanns Jesus: Stückelberger 1996, wie Anm. 6,
S. 80 – 91.
Salomon Koninck, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 1646, Öl auf Eichenholz,
84,5 × 71,5 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek, München.
Matthias Stom, Der zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten, 1640, Öl auf
Leinwand, 200 × 146 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek,
München.
Dazu: Helmut R. Leppien, Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann, Hamburg 1989, S. 19f.
Richard Muther, Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert, Bd. 3, München
1894, S. 636.
Cornelius Gurlitt, zit. nach: Friedrich Gross, Jesus, Luther und der Papst im Bilderkampf 1871 bis 1918. Zur Malereigeschichte der Kaiserzeit, Marburg 1989, S. 142.
Liebermann verglich die künstlerische Originalität in der Darstellung der Juden
bei Menzel mit der Rembrandts mit den Worten: »Rembrandt sieht die Amsterdamer Juden durch die Brille der alttestamentlichen Darstellung; Menzel stellt im
›Jesus unter den Schriftgelehrten‹ Juden vom Mühlendamm dar.« Max Liebermann,
Menzel, in: wie Anm. 2, S. 123f.
Peter Dittmar, »Der zwölfjährige Christus im Tempel« von Adolph Menzel. Ein
Beispiel für den Antijudaismus im 19. Jahrhundert, in: IDEA, Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle, VI, 1987, S. 81 – 96, 83.
Ebd. S. 83; Anm. 4, S. 95.
Edmond Duranty, zitiert nach Jenns E. Howoldt, Zwischen Dialog und Konflikt.
Max Liebermann und Adolph Menzel, in: Ausst.-Kat. Hamburg, Max Liebermann.
Der Realist und die Phantasie, Hamburg 1997, S. 32 – 40, 34.
Gustav Floerke, Die internationale Kunstausstellung zu München 1879, Tl. V., in:
Die Gegenwart, 1879, Bd. 16, Nr. 41, S. 237.
Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs
143
Max Liebermann:
Brief an Alfred Lichtwark
vom 5. Juni 1911
Wannsee 5/6. 11.
Große Seestr. 24
Verehrtester Freund,
Ihr Brief vom 31/5 hat mich ganz besonders erfreut u ich wollte ihn
sofort Abends, nachdem ich ihn in der Früh erhalten, beantworten.
Aber die Abende sind im Garten so schön, daß ich mich nicht ent_
schließen konte, mich an den Schreibtisch zu setzen u so gings die
8 Tage hindurch, sodaß ich die Stille des 2ten Feiertags benutze –
selbst die brave Luise, »le coeur simple«, schläft noch – um Morgens zu thun, was mir Abends nur durch Sie (da Sie mir die Liebe
zum Garten durch Ihre thätige Mitarbeiterschaft an ihm so vergrößert haben), unmöglich wird.
Also, was den Christus oder richtig Jesus im Tempel betrifft, so habe
ich ihn in München von Ende Dezember 1878 – April 1879 gemalt.
Ich kam von Venedig, wo ich 2 Monate war, nach München, um ein
paar Tage dort zu bleiben u aus den paar Tagen wurden – 6 Jahre!
Die Idee zum Bilde reicht bis 1876 zurück, wie zahlreiche Zeichnungen in meinen Skizzenbüchern beweisen u die ich Ihnen mal zei_
_
_
gen werde, wen Sie nach Berlin komen. Dan malte ich 1877 die Studie in der Synagoge in Amsterdam – jetzt im Besitze von Schulte und
während meines Aufenthaltes in Venedig die dortige (Synagoge aus
_
dem XVI. Jahrh. – auf dem Bilde in der Treppe erkentlich). Das Bild
fing ich, wie gesagt, in München an u zwar als erstes, was ich dort
malte. Die Modelle nahm ich aus den münchener christlichen Spitälern, da Juden sehr wenig posiren u auch aus einem andern Grunde,
der mir bei der Wahl der Modelle zeitlebens von Jugend an maßgebend geblieben ist. Die Juden schienen mir zu charakteristisch: Sie
verleiten zur Carikatur – in welchen Fehler mir Menzel verfallen zu
_
sein scheint. Vor vielen Jahren, als ich Momsen für Sie malen sollten,
144
Der Jesus-Skandal
sagte ich Ihnen, glaub ich, dasselbe: Mommsen war zu sehr »der
deutsche Professor« aus den fliegenden Blättern, der überall den Regenschirm stehen läßt. Der Jesus ist nach einem italienischen Modell
gemalt. – Ich bin der Überzeugung, daß Rembrandt’s Modelle mei_
stens Christen waren: das Accentuieren des Seelischen hat zur Anahme geführt, daß er meistens Juden gemalt hätte, z. B. auf der soge_
nanten Judenbraut sind Hendrickje u sein Sohn Titus dargestellt.
Rembrandt malte den Geist der Juden, während Menzel ihr Äußerliches wiedergab, grade so wie Leibl u Defregger mit dem Tiroler es
_
machten, der erstere ihn malerisch d.h. inerlich, der andere, Defreg_
ger, ihn literarisch d.h. in diesem Sine äußerlich auffaßten. –
Ich habe Ihnen wohl erzählt, wie ich durch das Bild, das um 10 Uhr
in der Ausstellung der Jury unterlag, am Abend »berühmt« wurde,
so daß ich mich in der Allotria zu Gedon, Lenbach, Wagmüller
d. h. zu den »Göttern« setzen durfte; wie Zügel meinte, daß seit
50 Jahren kein solch’ Meisterwerk in München gemalt sei; daß der
Brief an Lichtwark – Transkription
145
Prinz. Regent das Bild aus der Ausstellung entfernen wollte, daß sich
eine 2tägige Debatte im bayrischen Abgeordnetenhaus dranschloß
(u nur dem damaligen Conferenzführer habe ich zu danken, daß ich
_
damals nicht gekreuzigt wurde); wie ich durch das Bild Leibl kenen
lernte u, da mir Lenbach rieth, der Wuth des Pöbels mich durch die
Flucht zu entziehn, wie ich wieder Dachau, wohin ich ging, für die
Malerei »entdeckte«.
Habent fata sua Tabulae. Stöcker befürchtete, daß das Bild nur ihn
zu seiner Judenhetze veranlaßt hätte was meine Glaubensgenossen
mich schwer büßen ließen indem es wohl 15 Jahre dauerte bis sie
wieder meine Bilder kauften. Die eckelhaftesten Zeitungsfehden
schlossen sich dran u während ich, von all’dem Radau, den man
jetzt angesichts des Bildes kaum noch begreift, angeeckelt, mir vornahm, nie mehr ein biblisches Sujets zu malen, war der Jesus der
Anlaß der neureligiösen Malerei geworden.
Ich werde übrigens in nächster Zeit Herbst, der ein paar Wochen
146
Der Jesus-Skandal
_
nach mir nach München kam u mit dem ich Tag und Nacht zusamen
war, schreiben, da mich auch Hanke um näheres über die damalige
Zeit bat, damit er mir aus seinem vortrefflichen Gedächtnisse das
wohl auch »objektiver« sein wird – mittheilen möge, wie’s damals
gewesen ist. Jedenfalls in der Kneipe war ich der »Herrgottschinder« u wohl auch für einen Theil der Künstlerschaft – zugleich war
_
_
ein Bild »Jesus im Tempel« von Zimerman ausgestellt, das damals
unendlich viel mehr Succes hatte, während er heut total vergessen
_
_
ist. – N[eben].b[ei].Zimerman, der mich auf der Straße gesehn hatte
_
ohne mich zu kenen, bat mich, ihm für sein Bild zu sitzen (was
meine obigen Bemerkungen beweis’t) -: aber für die Lenbach, Leibl,
Gedon war ich »auch einer« geworden, während man meine Erfolge
in Paris bis dahin einfach ignorirt hatte u alles, was ich seit den Gän_
serupferinen gemalt hatte, (L[udwig]. P[ietsch]. pries mich bei
meinem Auftreten, um mich später um so wilder anzugreifen, seit
10 Jahren bin ich wieder der »Meister«) einfach für Dreck natürlich
Brief an Lichtwark – Transkription
147
den Jesus inclusive zu erklären. Ryparopgage war noch das gelindeste der Schimpfworte, die mir an den Kopf geworfen wurden.
Ausdrücklich will ich noch bemerken, daß ich erst nach Vollendung
des Bildes die Lithographie »Jesus im Tempel« zu Gesicht bekam u
zwar schickte sie mir – Pächter, mit dem ich dadurch in Berührung
kam; was um so weniger merkwürdig, als Menzel’s Jugendwerk erst
_
in den 80er Jahren wieder bekant wurde. –
Duranty, der Freund Zola’s u damals Redakteur des Beaux Arts
illustrés – früher der Gazette des B[eaux]. A[rt]. – schrieb einen Artikel, der endete: L[iebermann]. est et sera un maitre u er schenkte
die Zeichnung, die ich für seinen Artikel machte, einem seiner
Freunde Proust, bei dem sie Degas sah. Und als ich vor 12 oder 13
Jahren zum ersten u einzigen Male Degas mit Tschudi besuchte,
empfing er [mich] mit Worten des höchsten Lobes über den Jesus u
sagte, durch die Zeichnung wäre er angeregt worden, überall nach
meinen Arbeiten zu spähn!
148
Der Jesus-Skandal
_
Ich bin ins Erzählen gekomen: das Alter ist geschwätzig, sodaß ich
mir die Beantwortung Ihrer Bemerkungen über meinen Garten auf
nächstens aufheben muß. Sonst ginge der Brief heut auch noch nicht
ab. Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihr Interesse, ohne das mein Garten nie so schön geworden wäre. Die Hitze ist übrigens sehr schädlich, da nichts so rasch wächst u das Sprengen nur ein sehr schwaches
Surrogat für den fehlenden Regen ist.
_
_
Gestern beehrte mich Hodler auf der Reise nach Hanover, er kömt
vielleicht auch nach Hamburg, mit einem Herrn Siems (glaub’ ich).
Mit b[esten] Grüßen
Ihr sehr erg[ebener]
M Liebermann
Brief an Lichtwark – Transkription
149
97 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der bayerischen Kammer der Abgeordneten vom 15. Januar 1880
150
Der Jesus-Skandal
Bayerische Landtagsakten
151
Verzeichnis der ausgestellten Werke
Erläuterungen
Maßangaben (Höhe vor Breite) und Angaben
2
Max Liebermann: Kopfstudie eines sephardischen
zu Material, Technik und Datierung sind größtenteils den Verzeichnissen der entsprechenden
Juden mit Gebetsschal, 1878
Öl auf Karton, 31 × 24 cm
Sammlungen entnommen.
Kunsthaus Zürich, Legat Richard Schwarzenbach
Abkürzungen:
Eberle Matthias Eberle, Max Liebermann.
Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien,
Bd. I: 1865 – 1899, München 1995,
Bd. II: 1900 – 1935, München 1996
Göres Ruth Göres, Die Handzeichnungen Max
Liebermanns. Ihr Verhältnis zu seiner Malerei,
ihr Beitrag zum Realismus, Berlin 1971
(Diss. Humboldt-Universität zu Berlin)
Bartsch Adam von Bartsch, Le Peintre Graveur,
21 Bde., Wien 1803 – 1821 (Reprint Leipzig
1854 – 1876; Reprint Würzburg 1920/1922;
Reprint Hildesheim u. a. bzw. Nieuwkoop 1970
sowie 1971; Reprint Nieuwkoop 1982)
Gemälde
1
Max Liebermann: Inneres der Synagoge von
Amsterdam, 1876
Öl auf Leinwand, 58 × 46 cm
Privatbesitz
Eberle 1876 /32
Abb. S. 23
152
Eberle 1878/24
Abb. S. 22
3
Max Liebermann: Der zwölfjährige Jesus im
Tempel, 1879
Öl auf Leinwand, 149,6 × 130,8 cm
Inv.-Nr. HK-5424
Hamburger Kunsthalle
Eberle 1878/3
Abb. S. 21
Zeichnungen
4
Max Liebermann: Studien und Skizzen zum
Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel
(verso), o. J. (1876),
Bleistift auf Skizzenbuchblatt, 23,2 × 30,4 cm
Inv.-Nr. KW 437
Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken
Aus der Sammlung Kohl-Weigand
Abb. S. 48
Der Jesus-Skandal
5
9
Max Liebermann: Skizzen zu dem Gemälde
Max Liebermann: Studie zum Gemälde
Der zwölfjährige Jesus im Tempel (recto), o. J.
(1876) Bleistift und Feder in Braun auf Skizzen-
Der zwölfjährige Jesus im Tempel (verso), 1878,
Bleistiftzeichnung, 15,8 × 9,8 cm
buchblatt, 23,1 × 30,4 cm
Inv.-Nr. K 1924 – 148
Inv.-Nr. KW 529
Düsseldorf, museum kunst palast, Graphische
Stiftung Saarländischer Kulturbesitz,
Sammlung
Saarlandmuseum Saarbrücken
Aus der Sammlung Kohl-Weigand
Abb. S. 51
Abb. S. 48
10
Max Liebermann: Skizzenbuch, um 1878
6
68 Doppelseiten, fünf Seiten herausgeschnitten,
Max Liebermann: Studie zu dem Jesus gegenüber
sitzenden alten Mann, 1878
Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 22,7 cm
Inv.-Nr. 1916 – 169
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
Göres 301
Abb. S. 57
etwas höher als DIN A 6
Inv.-Nr. MGS SKB 17B
Darin: Skizze zu Der zwölfjährige Jesus im
Tempel, fol. 112
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Abb. S. 15
7
Max Liebermann: Kompositionsskizze in etwas
anderer Fassung als die ausgeführte (Studie zum
Gemälde Jesus im Tempel), 1878
Kreidezeichnung, Blatt: 23,6 × 21 cm
Inv.-Nr. 1916 – 170
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
Göres 302
Abb. S. 47
8
Max Liebermann: Studie zum Jesusknaben, 1878
Kreidezeichnung auf bräunlichem Velin, Blatt:
29,8 × 22,7 cm
Thomas LeClaire Kunsthandel, Hamburg
Abb. S. 54
Verzeichnis der ausgestellten Werke
11
Max Liebermann: Studie zu dem stehenden Mann
auf der Kompositionsskizze, 1878 – 79
Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm
Inv.-Nr. 1916 – 171
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
Göres 303
Abb. S. 50
12
Max Liebermann: Vorstudie zu dem Jesus
gegenüber sitzenden Alten, 1878 – 79
Kreidezeichnung, 29,5 × 23,5 cm
Inv.-Nr. 1916 – 172
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
Abb. S. 53
153
13
17
Max Liebermann: Vorstudie zu dem stehenden
Max Liebermann: Entwurf zum zwölfjährigen
Alten auf der Kompositionsskizze (recto),
1878 – 79
Jesus im Tempel, 1879
Kreide über Bleistift auf Papier, 43,4 × 30,4 cm
Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm
Inv.-Nr. SZ 43
Inv.-Nr. 1916 – 168
Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
Göres 43
Abb. S. 49
Abb. S. 46
14
Max Liebermann: Studie zu einem Mann mit
Werke anderer Künstler
Gebetsschal (verso), 1878 – 79
18
Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm
Inv.-Nr. 1916 – 168
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
Abb. S. 56
Albrecht Dürer: Der zwölfjährige Jesus im
Tempel, um 1503
Holzschnitt, 29,5 × 20,8 cm
Privatbesitz
Bartsch 91
Abb. S. 125
15
Max Liebermann: Studie zum Jesusknaben
(recto), 1879
Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm
Inv.-Nr. 1916 – 167
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
Göres 299
Abb. S. 55
16
Max Liebermann: Studie zu einem Schriftgelehrten (verso), 1879
Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm
Inv.-Nr. 1916 – 167
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
Abb. S. 52
154
19
Rembrandt Harmensz. van Rijn: Die Beschneidung, 1630
Radierung, 8,8 × 6,4 cm
Inv.-Nr.: 7313
Kunsthalle Bremen, – Kupferstichkabinett –
Der Kunstverein in Bremen
Bartsch 48
Abb. S. 127
20
Rembrandt Harmensz. van Rijn: Jesus lehrt im
Tempel, 1652
Radierung, 12,6 × 21,4 cm
Inv.-Nr.: 6175
Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett
Bartsch 65 I
Abb. S. 126
Der Jesus-Skandal
21
25
Rembrandt Harmensz. van Rijn: Jesus als Knabe
Heinrich Hofmann: Der zwölfjährige Jesus
unter den Schriftgelehrten (Der zwölfjährige Jesus
im Tempel), 1654
im Tempel, 1884
Öl auf Leinwand, 67 × 90,5 cm
Radierung , 9,5 × 14,4 cm
Inv.-Nr. HK – 3199
Inv.-Nr.: 253 – 128
Hamburger Kunsthalle
Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Abb. S. 128
Bartsch 64
Abb. S. 126
Briefe und Dokumente
22
26
Adolf Menzel: Der zwölfjährige Jesus im
Max Liebermann: Brief an Alfred Lichtwark
Tempel, 1851
Pastell
Hamburger Kunsthalle
Abb. S. 131
vom 5. 6. 1911
Dierektorenarchiv, zwei Briefbögen
Hamburger Kunsthalle
Abb. S. 144 – 149
23
Adolf Menzel: Der zwölfjährige Jesus im
Tempel, 1852
Lithographie, 43,5 × 57,7 cm
Inv.-Nr.: 1898, 549
Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek
Abb. S. 130
27 u. 28
Kataloge der internationalen Kunstausstellung
im königlichen Glaspalast zu München, 1879
Broschur
Privatbesitz
24
Julius Schnorr von Carolsfeld,
Jesus als zwölfjähriger Knabe, unter den Lehrern
im Tempel, 1852 – 60
Holzschnitt, 33,6 × 41,3 cm
Inv.-Nr.: 1982.146, 1 – 3
Blatt 173 aus: Die Bibel in Bildern – Bilderbibel
des Alten und Neuen Testaments
Clemens-Sels-Museum, Neuss
Abb. S. 129
Verzeichnis der ausgestellten Werke
155
Ausgewählte Literatur
Zeitgenössische Literatur: Zeitungen/Zeitschriften
Anonym 1879
Pietsch 1879
Der Reporter, in: Berliner Börsen-Courier,
3. 8. 1879, S. 2
Ludwig Pietsch, Von der Internationalen Kunstausstellung zu München (VII), in: Vossische
Billing 1879
Hermann Billing, Die Internationale KunstAusstellung zu München II., in: Kunst-Chronik,
Jg. XIV, 1879, Nr. 43, Sp. 713 – 719
Duranty 1879
Edmond Duranty, L’exposition internationale de
Munich, in: Les beaux-arts illustrés, Jg. III, 1879.
2. série, S. 299 – 301
Floerke 1879
Gustav Floerke, Die Internationale Kunstausstellung zu München 1879, VI, in: Die Gegenwart,
Bd. 16, Nr. 41, 11. 10. 1879, S. 237, 253
Merz 1880
Heinrich Merz, Rückblick, in: Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus, 22, 1880, S. 4 f.
Zeitung, Nr. 220, 2. Beilage, 8. 8. 1879
Rosenberg 1880
Adolf Rosenberg, Der gegenwärtige Stand der
deutschen Kunst nach den Ausstellungen in Berlin
und München, in: Zeitschrift für Bildende Kunst,
Jg. XV, 1880, S. 41– 48; 43
Schlingmann 1879
Reinhold Schlingmann, Die Kunstausstellung in
München (V), in: Berliner Tageblatt, Nr. 366,
8. 8. 1879, S. 2
Stöcker 1879
Adolf Stöcker, »Notwehr gegen das moderne
Judentum«, Rede vom 28. 9. 1879, in: Christlich-Sozial, Reden und Aufsätze, Berlin 1890,
S. 375 ff.
Sonstige:
Führer durch die Internationale Kunstausstellung
in München 1879
Katalog zur Internationalen Kunstausstellung in
München 1879
Pecht 1879
Stenographischer Bericht über die Verhandlungen
Friedrich Pecht, Die Münchener Ausstellung II, Die der bayerischen Kammer der Abgeordneten,
Religiöse- und die Historienmalerei, in: Augsburger Einhundertundsechsunddreißigste öffentliche
Allgemeine Zeitung, Nr. 216,
Sitzung. Nr. 136. Bd. IV. München, den
4. 8. 1879
15.1. 1880, S. 595 f.
Nordau 1879
Dr. Max Nordau, Internationale Kunstausstellung
in München (III. Die deutsche Kunst, Fortsetzung),
in: Frankfurter Zeitung, Nr. 210, 29. 7. 1879, S. 3
156
Der Jesus-Skandal
Sekundärliteratur
Amishai-Maisels 1982
Friedländer 1924
Ziva Amishai-Maisels, The Jewish Jesus, in:
Journal of Jewish Art, Vol IX, 1982, S. 84 –104
Max J. Friedländer, Max Liebermann, Berlin
1924, S. 55 – 60
Boskamp 1993
Katrin Boskamp, Die ursprüngliche Fassung von
Max Liebermanns: Der zwölfjährige Jesus im
Gross 1983
Tempel. Ein christliches Thema aus jüdischer
Sicht, in: Das Münster. Zeitschrift für christliche
die Folgen für die Kunst, Hamburg 1983, S. 552 f.
Kunst und Kunstwissenschaft, 46. Jg., Heft 1,
1993, S. 29 – 36
Boskamp 1994
Katrin Boskamp, Der zwölfjährige Jesus im
Tempel. Zur Geschichte eines ungeliebten Bildes,
in: dies., Studien zum Frühwerk von Max
Liebermann, mit einem Katalog der Gemälde
und Ölstudien von 1866 – 1889, Hildesheim
1994, S. 75 – 115
Busch 1986
Günter Busch, Max Liebermann. Maler, Zeichner,
Graphiker, Frankfurt am Main 1986, S. 36 ff.,
162
Dittmar 1987
Peter Dittmar, Der zwölfjährige Jesus im Tempel
von Adolph Menzel. Ein Beispiel für den Antijudaismus im 19. Jahrhundert, in: Werner
Hofmann/Martin Warnke (Hg.), IDEA. Werke,
Theorien, Dokumente. Jahrbuch der Hamburger
Kunsthalle, VI, 1987, S. 89 f.
Eberle 1979
Matthias Eberle, Max Liebermann, zwischen
Opposition und Tradition in: Ausst.-Kat.
Nationalgalerie Berlin, Max Liebermann in seiner
Zeit, Berlin 1979, S. 11– 40
Ausgewählte Literatur
Friedrich Gross, Ein Christus der Armen und Sünder, in: Hamburger Kunsthalle (Hg.), Luther und
Gross 1989
Friedrich Gross, Jesus, Luther und der Papst
im Bilderkampf 1871 bis 1918. Zur Malerei
der Kaiserzeit, Marburg 1989, S. 342 – 356;
bes. 347 ff.
Hancke 1923
Erich Hancke, Max Liebermann, sein Leben und
seine Werke, 2. Aufl. Berlin 1923, S. 131–142
Howoldt 1997
Jenns Howoldt, Der zwölfjährige Jesus im
Tempel. Zwischen Kritik und Anerkennung,
in: Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Max
Liebermann, der Realist und die Phantasie,
Hamburg 1997, S. 105 –108
Kimmich 1994
Gudrun Kimmich, Max Liebermann »Der
zwölfjährige Jesus im Tempel«. Das christliche
Bildthema eines »jüdischen« Malers im Spiegel
der Kritik, Mag.Arbeit. Tübingen 1994, S. 61– 63
Leppien 1989
Helmut R. Leppien, Der zwölfjährige Jesus im
Tempel von Max Liebermann, Hamburg 1989
Meißner 1974
Günther Meißner, Max Liebermann. Leipzig
1974, S. 16 f.
157
Muther 1894
Kunstkritik, in: Ausst.-Kat. Hamburger Kunst-
Richard Muther, Geschichte der Malerei im XIX.
halle, Max Liebermann, der Realist und die
Jahrhundert, Bd. 3, München 1894, S. 414 f.; 636 f.
Phantasie, Hamburg 1997, S. 58 – 63
Ostwald 1930
Rosenthal 1988
Hans Ostwald, Das Liebermann-Buch. Mit 270
Bildern von Max Liebermann, Berlin 1930,
Malka Rosenthal, Max Liebermann und der Antisemitismus. Ein Bild und der soziale Konflikt, in:
S. 128 –134
Bildende Kunst, Heft 6, 1988, S. 243 – 246
Pucks 1997
Stefan Pucks, Schmutzig, aber talentiert. Max
Stückelberger 1996
Johannes Stückelberger, Rembrandt und die
Liebermanns Frühwerk im Spiegel der deutschen
Moderne, München 1996, S. 80 – 82
158
Der Jesus-Skandal
Personenregister
Achternbusch, Herbert (*1938): S. 89
Adam, Franz (1815 – 1886): S. 61
Daller, Balthasar (1835 – 1911): S. 69, 94, 100
Defregger, Franz (1835 – 1921): S. 145
Allebé, August (1838 – 1927): S. 14
Antokolsky, Mark (1843 – 1902): S. 117, 120f.
Degas, Hilaire Germain Edgar (1834 – 1917):
S. 148
Asch, Sholem (1880 – 1957): S. 121, 124
Auerbach, Berthold, eig. Moses Baruch
Auerbacher (1812 – 1882): S. 93
Delacroix, Ferdinand Victor Eugène
(1798 – 1863): S. 107
Doré, Gustave (1832 – 1883): S. 104, 139
Droysen, Johann Gustav(1808 – 1884): S. 94
Dürer, Albrecht (1471 – 1528): S. 14, 134f. 141
Duranty, Edmond (1833 – 1863): S. 148
Dvorák, Antonin Leopold (1841 – 1904): S. 106
Baburen, Dirck van (1595 – 1624): S. 138
Bellini, Giovanni (um 1430 – 1516): S. 135
Bendemann, Eduard (1811 – 1889): S. 111
Bierbaum, Otto Julius (1865 – 1910): S. 31,42
Bosch, Hieronymus (um 1450 – 1516): S. 116
Brahms, Johannes (1833 – 1897): S. 106
Burchard, Johann Heinrich (1852 – 1912): S. 36f.
Busch, Harald (1904 – 1983): S. 37
Camphausen, Wilhelm (1818 – 1885): S. 61
Caravaggio, eig. Michelangelo Merisi
(1571 – 1610): S. 17, 19, 138
Cassirer, Bruno (1872 – 1941): S. 90
Cassirer, Paul (1871 – 1926): S. 36
Cattelan, Maurizio (*1960): S. 89f.
Cézanne, Paul (1839 – 1906): S. 106
Chagall, Marc (1887 – 1985): S. 117, 119f.
Chamberlain, Houston Stewart (1855 – 1927):
S. 97
Cima da Conegliano, Giovanni Battista
(um 1460 – zwischen 1517 und 1518): S. 135
Corinth, Lovis (1858 – 1925): S. 40, 106, 136
Courbet, Gustave (1819 – 1877): S. 83
Personenregister
Ensor, James (1860 – 1949): S. 106
Epstein, Jacob (1880 – 1959): S. 121
Förster, Bernhard (1843 – 1889): S. 93
Friedrich I., Großherzog von Baden
(1826 – 1907): S. 61
Friedrich Wilhelm Nikolaus Karl von Preußen
(1831 – 1888): S. 61
Gauguin, Eugène Henri Paul (1848 – 1903):
S. 106
Gedon, Lorenz (1843 – 1883): S. 63, 145, 147
Geiger, Abraham (1810 – 1874): S. 96, 113f.
Gibson, Mel (*1956): S. 116
Giotto di Bondone (1266 – 1337): S. 134
Glagau, Otto (1834 – 1892): S. 91, 93
Glaubitz, Georg (1890 – 1979): S. 31, 39f., 41
Glaubitz, Katharina, geb. Weyer (1896 – 1972):
S. 40
Gogh, Vincent Willem van (1853 – 1890): S. 106
159
Gottlieb, Maurycy (1856 – 1879): S. 117ff., 120f.
Graetz, Heinrich (1817 – 1891): S. 92, 96f., 114
Gurlitt, Cornelius (1850 – 1938): S.140
Gurlitt, Hildebrand (1895 – 1956): S. 31, 38f.,
40f.
Gurlitt, Wolfgang (1888 – 1965): S. 38f.
Lichtwark, Alfred (1852 – 1914): S. 16, 34ff.,
62, 90, 98, 144
Liebermann von Sonnenberg, Max (1848 – 1911):
S. 93
Liebermann, Louis (1819 – 1894): S. 71, 81
Liebermann, Philippine, geb. Haller
(1822 – 1892): S. 71, 81
Haacke, Hans (*1936): S. 89
Hals, Frans (zw. 1580/85 – 1666): S. 90
Hancke, Erich (1871 – 1954): S. 14, 16, 43, 63,
90, 147
Haushofer, Max (1840 – 1907): S. 94, 100
Heine, Heinrich (1797 – 1856): S. 121
Heise, Carl Georg (1890 – 1979): S. 40ff.
Herbst, Thomas (1848 – 1915): S. 146f.
Hentzen, Alfred (1903 – 1985): S. 42
Hermann, Emil (1812 – 1885): S. 92
Hermann, Georg (1871 – 1943): S. 95
Hodler, Ferdinand (1853 – 1918): S. 149
Hofmann, Heinrich (1824 – 1911): S. 140
Honthorst, Gerrit van (1592 – 1656): S. 17, 138
Hunt, William Holman (1827 – 1910): S. 103,
108, 110, 116
Hünten, Emil (1827 – 1902): S. 61
Kalckreuth, Leopold Graf von (1855 – 1928):
S. 39f.
Kiefer, Anselm (*1945): S. 89
Kloos, Werner (1909 – 1990): S. 37f.
Kokoschka, Oskar (1886 – 1980): S. 39
Koninck, Salomon (1609 – 1656): S. 138
Kramskoy, Ivan (1837 – 1887): S. 105
Leibl, Wilhelm (1844 – 1900): S. 40, 136,
145f., 147
Leistikow, Walter (1865 – 1908): S. 34
Lenbach, Franz von (1836 – 1904): S. 63, 145f.,
147
Leppien, Helmut (1933 – 2007): S. 17, 43, 97
160
Lindenschmit, Wilhelm (1829 – 1895): S. 59
Loo, Charles Amédée Philippe van (1719 – 1795):
S. 37
Ludwig II., König von Bayern (1845 – 1886): S. 60
Luise Henriette Wilhelmine von Anhalt-Dessau
(1750 – 1811): S., 37
Luitpold, Prinzregent von Bayern (1821 – 1912):
S. 59, 63f., 70f., 146
Makart, Hans (1840 – 1884): S. 62
Manet, Édouard (1832 – 1883): S. 106
Mantegna, Andrea (1431 – 1506): S. 135
Marées, Hans von (1837 – 1887): S. 40
Marr, Wilhelm (1819 – 1904): S. 92f., 99
Matejko, Jan (1838 – 1893): S. 104, 120
Matisse, Henri (1869 – 1954): S. 106
Mendelssohn, Felix (1809 – 1847): S. 106, 113, 121
Mendelssohn, Moses (1729 – 1786): S. 113
Menzel, Adolf (1815 – 1905): S. 35, 37, 40, 91,
104, 139ff., 143, 148
Merz, Heinrich (1816 – 1893): S. 73
Mommsen, Theodor (1817 – 1930): S. 93f., 145
Munch, Edvard (1863 – 1944): S. 106
Munkácsy, Mihály (1844 – 1900): S. 104
Muther, Richard (1860 – 1909): S. 33, 139f.
Nietzsche, Friedrich (1844 – 1900): S. 93
Nordau, Max, eig. Maximilian Simon Südfeld
(1849 – 1923): S. 61, 67, 70, 72, 74, 81, 95
Ofili, Chris (*1968): S. 89
Oppenheim, Moritz Daniel (1800 – 1882):
Der Jesus-Skandal
S. 26, 116
Skarbina, Franz (1849 – 1910): S. 34
Ostini, Fritz von (1861 – 1927): S. 33, 34
Slevogt, Max (1868 – 1932): S. 40, 136
Ostwald, Hans (1873 – 1940): S. 63
Overbeck, Friedrich (1789 – 1869): S. 139
Sperl, Johann (1840 – 1914): S. 40
Stöcker, Adolf (1835 – 1909): S. 70, 90, 92f.,
Pauli, Gustav (1866 – 1938): S. 32, 43
Pecht, August Friedrich (1814 – 1903):
S. 67, 75, 95f., 97, 101
Picasso, Pablo (1881 – 1973): S. 106
Pietsch, Ludwig (1824 – 1911): S. 65, 72, 77,
96, 147
Pirckheimer, Willibald (1470 – 1530): S. 135
Raffael, eig. Raffaello Santi (1483 – 1520): S. 139
Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606 – 1669):
S. 17f., 19, 33, 136ff., 141, 143, 145
Renan, Ernest (1823 – 1892): S. 96, 109
Repin, Ilja (1844 – 1930): S. 105
Riemenschneider, Tilman (um 1460 – 1531):
S. 134
Rohling, August (1839 – 1931): S. 91, 93
Rosenberg, Adolf (1850 – 1906): S. 66
Rossini, Gioacchino Antonio (1792 – 1868):
S. 121
Rubin, Reuven (1893 – 1974): S. 120
Said, Edward (1935 – 2003): S. 107
Schechter, Solomon (1847 – 1915): S. 108
Schlingmann, Reinhold (1864 – 1898): S. 64, 76
Schnorr von Carolsfeld, Julius (1794 – 1872):
S. 139
Schongauer, Martin (um 1445/50 – 1491): S. 139
Schuch, Carl Eduard (1846 – 1903): S. 40
Schulte, Eduard (1817-1890): S. 31, 34ff., 144
Siemens, Georg von (1839 – 1901): S. 93
Siemens, Werner von (1816 – 1892): S. 93
Sierra, Santiago (*1966): S. 89
Singer Sargent, John (1856 – 1925): S. 105
Personenregister
97, 99, 146
Stom, Matthias (um 1600 – nach 1650):
S. 17, 138
Strauss, David Friedrich (1808 – 1874): S. 96
Sullivan, Arthur (1842 – 1900): S. 103
Surikow, Wasili (1848 – 1916): S. 105
Thoma, Hans (1839 – 1924): S. 31, 39f.
Tiepolo, Giovanni Battista (1696 – 1770): S. 18ff.
Tissot, James (1836 – 1902): S. 104
Treitschke, Heinrich Gotthardt von
(1834 – 1896): S. 69, 92ff., 95, 97
Tschudi, Hugo von (1851 – 1911): S. 35, 148
Trübner, Wilhelm (1851 – 1917): S. 40
Uhde, Fritz von (1848 – 1911): S. 31ff., 104, 141
Virchow, Rudolf (1821 – 1902): S. 93
Völk, Josef (1819 – 1882): S. 94, 97, 100
Wagmüller, Michael (1839 – 1881): S. 63, 145
Wagner, Cosima, geb. de Flavigny (1837 – 1930):
S. 92f., 99
Wagner, Richard (1813 – 1883): S. 92f., 96f., 99
Weber, Max (1864 – 1920): S. 93
Wellhausen, Julius (1844 – 1918): S. 108
Werner, Anton von (1843 – 1915): S. 61
Wilhelm I. (1797 – 1888): S. 59, 61
Zick, Johann Rasso Januarius (1730 – 1797):
S. 139
Zimmermann, Ernst Karl Georg (1852 – 1901):
S. 140f., 147
Zola, Émile (1840 – 1902): S. 148
Zügel, Heinrich Johann von (1850 – 1941):
S. 63, 145
161
Dank
Diese Ausstellung wäre nicht möglich gewesen
Für die finanzielle Förderung der Ausstellung
ohne die großzügige Unterstützung der Leihgeber:
danken wir der
allen voran die Hamburger Kunsthalle sowie
Kunstbibliothek und Kupferstichkabinett der
Staatlichen Museen zu Berlin; Kunsthalle Bremen,
Kupferstichkabinett; museum kunst palast,
Graphische Sammlung, Düsseldorf; Thomas
LeClaire Kunsthandel, Hamburg; Clemens-SelsMuseum, Neuss; Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken; Museum
Georg Schäfer, Schweinfurt; Kunsthaus Zürich
und jene Leihgeber, die namentlich ungenannt
bleiben wollen.
Ernst von Siemens Kunststiftung
Ihnen allen gilt unser herzlichster Dank.
Für Rat und Unterstützung bedanken wir uns bei:
Anne Bartz, Inka Bertz, Julia Ewald, Jenns
Howoldt, Wolfgang Immenhausen, Hanns
Kirchner, Cosima Kristahn, Wanda Löwe, Marga
Quiring, Ute Seyfarth, Johanna Schüller, Chana
Schütz, Hermann Simon, Andreas Stolzenburg,
Ursula Trieloff, Burger Wanzek, Meike Wenck,
Dr. Dietrich Wesemann, Angelika Wesenberg
sowie den Mitarbeitern der Staatsbibliothek
Berlin, der Universitätsbibliothek Heidelberg,
der Bayerischen Staatsbibliothek und Elisabeth
Angermair vom Stadtarchiv München.
162
Die Renovierung der Liebermann-Villa am
Wannsee und der Ausbau der Ausstellungsräume
wurden ermöglicht durch die Unterstützung von:
Adolf Würth GmbH & Co. KG, Commerzbank,
Cornelsen Kulturstiftung, Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Deutsche Stiftung Denkmalschutz,
Hermann Reemtsma Stiftung, Landesdenkmalamt
Berlin, Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin,
Weberbank Berlin, Tischlerei Schäfer und Kemps
sowie von vielen privaten Spendern.
Bild- und Fotonachweis
Die Bildvorlagen wurden uns freundlicherweise von den in den Bildunterschriften genannten Leihgebern zur Verfügung gestellt; des Weiteren stammen sie aus den Archiven der im
Folgenden genannten Museen, Galerien und Fotoateliers. Hier nicht aufgeführte Abbildungen
wurden uns von den Autoren und Leihgebern zur Verfügung gestellt.
Trotz intensiver Bemühungen ist es nicht in allen Fällen gelungen, Urheberschaft und
Herkunft der Abbildungen zu klären. Berechtigte Ansprüche werden bei entsprechendem
Nachweis im Rahmen der üblichen Honorarvereinbarungen abgegolten.
Artothek, München: S. 17, 132, 137
Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz: S. 31, 32, 35, 59, 62, 65, 71, 93 o., 96 u.
Jüdisches Museum, Berlin, Foto Jens Ziehe: S. 26, 27, 92 o.; Foto Hans Joachim Bartsch: S. 97
Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., Foto: Julia Jungfer: S. 15 o., 16, 57o. re und unten
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: S. 76, 77, 78; Abb. S. 141 aus:
Zeitschrift für bildende Kunst, 15, 1880, S. 185
Stadt- und Landesbibliothek Dortmund: S. 75
Hamburger Kunsthalle, Foto Christoph Irrgang: S. 21, 25, 36, 47, 49 , 50, 52 , 53, 55, 56, 63,
126 u., 136
Universitätsbibliothek Heidelberg: S. 75 aus: Allgemeine Zeitung, 4. 8. 1879, Die Münchener
Ausstellung
Bayerische Staatsbibliothek, München: S. 67, 74, 150, 151
Landeshauptstadt München, Stadtarchiv: S. 60, 61
Clemens-Sels-Museum, Neuss, Foto Martin Langenberg: S. 129
Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken,
Foto Raphael Maass, Dillingen: S. 48
Kunsthaus Zürich: S. 22
Über Land und Meer. Allgemeine Illustrierte Zeitung, Nr. 41, 1879, S. 808: S. 60; S. 809:
S. 68, 69
Richard Muther, Geschichte der Malerei im neunzehnten Jahrhundert, Bd. III, München
1894, Abb. auf S. 633: S. 20
Hans Rosenhagen, Liebermann, Bielefeld und Leipzig 1900 (Künstler-Monographien,
Bd. XLV): S. 29
Abb. S. 12: Detail aus Kat.-Nr. 3
Abb. S. 24: Detail aus Kat.-Nr. 14
Abb. S. 31: Detail aus Abb. 20
Abb. S. 58: Detail aus Abb. 44
Abb. S. 89: Detail aus Frontispiz
Abb. S. 102: Detail aus Kat.-Nr. 22
Abb. S. 132: Detail aus Abb. 92
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