DER JESUS-SKANDAL DER JESUS-SKANDAL Ein Liebermann-Bild im Kreuzfeuer der Kritik Herausgegeben von Martin Faass Bearbeitet von Petra Wandrey Mit Beiträgen von Inka Bertz, Martin Faass, Jenns E. Howoldt, Anna Sophie Howoldt, Ezra Mendelsohn, Henrike Mund, Chana Schütz und Petra Wandrey Dieses Buch erscheint im Rahmen der Sonderausstellung Der Jesus-Skandal – Ein Liebermann-Bild im Kreuzfeuer der Kritik Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin, 22. November 2009 bis 01. März 2010 Herstellung Max-Liebermann-Veranstaltungs GmbH Herausgeber Martin Faass Katalogredaktion Martin Faass und Petra Wandrey Gestaltung hawemannundmosch, Berlin Druck Reiter-Druck, Berlin Umschlag vorn: Max Liebermann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1879, Hamburger Kunsthalle Frontispiz: Max Liebermann, 1872 Foto: aus: Hans Rosenhagen, Liebermann Bielefeld / Leipzig 1900 Ausstellung Projektleitung Martin Faass Ausstellung Martin Faass und Petra Wandrey Konservatorische Betreuung Oliver Max Wenske Transporte Schenker, Berlin Öffentlichkeitsarbeit Sandra Köhler Technik Wulf Lakemeier und Wolfgang Bardehle Eine Ausstellung der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V. Die Ausstellung wurde gefördert von der © 2009 Max-Liebermann-Veranstaltungs GmbH und die Autoren Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany ISBN 978-3-9811952-3-1 Inhaltsverzeichnis Rolf Budde Grußwort Martin Faass Einführung ....................................................................................................................... 7 ...................................................................................................................... 9 Jenns E. Howoldt Der zwölfjährige Jesus im Tempel Das Bild und seine Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Anna Sophie Howoldt Komposition und Bedeutung der Bekleidung im Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Ute Haug »Es ist ein mächtiges Werk« Ein Gemälde findet seinen Weg ................................................................................. Martin Faass, Henrike Mund Sturm der Entrüstung Kunstkritik, Presse und öffentliche Diskussion Chana Schütz Max Liebermann vor Gericht Ein Essay im Berliner Börsen-Courier ....................................................... 59 ....................................................................... 79 Anonym Der Reporter Berliner Börsen-Courier, 3. August 1879 Inka Bertz Anatomie eines Kunstskandals 31 ................................................................. 83 ................................................................................... 89 Ezra Mendelsohn Max Liebermanns Zwölfjähriger Jesus im Tempel Einige Anmerkungen zum historischen und kulturellen Kontext ....................... 103 ...................................................... 133 Petra Wandrey Der zwölfjährige Jesus im Tempel Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark vom 5. Juni 1911 .............................. 144 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der bayerischen Kammer der Abgeordneten vom 15. Januar 1880 ..................................................... 150 ............................................................................. 152 .................................................................................................... 156 .............................................................................................................. 159 ................................................................................................................................ 162 Verzeichnis der ausgestellten Werke Ausgewählte Literatur Personenregister Dank Bild- und Fotonachweis .................................................................................................. Leihgeber Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett Kunsthalle Bremen – Kupferstichkabinett – Der Kunstverein in Bremen museum kunst palast, Düsseldorf Hamburger Kunsthalle Thomas LeClaire Kunsthandel, Hamburg Clemens-Sels-Museum, Neuss Saarlandmuseum, Saarbrücken Museum Georg Schäfer, Schweinfurt Kunsthaus Zürich sowie die Leihgeber, die namentlich ungenannt bleiben wollen 163 Rolf Budde Grußwort Es war ein besonderes Ereignis, als meine Frau und ich 2006 die große Liebermann-Ausstellung »From Realism to Impressionism« im Jüdischen Museum New York besuchten. Eines der Hauptbilder der damaligen Schau war das große Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel aus der Hamburger Kunsthalle, das aufgrund seiner Geschichte und der Auseinandersetzung, die es 1879 auslöste, vom Jüdischen Museum New York als Mittelpunkt eines eigenen Ausstellungskapitels inszeniert wurde. Das Bild war damals nur in New York zu sehen. Zur ersten Station der Ausstellung, Skirball Cultural Center in Los Angeles, durfte es aufgrund seines fragilen konservatorischen Zustandes nicht reisen. Die schiere Größe des Bildes, seine unglaublich durchgearbeitete Komposition und der goldene Ton der Farbe hinterließen in uns einen tiefen Eindruck. Damals befanden wir uns mitten in der Phase der Wiederherstellung der LiebermannVilla und ihrer Umwandlung zum Museum. Keiner von uns hätte zu hoffen gewagt, dass dieses so gut wie nie ausgeliehene Hauptbild des frühen Liebermann einmal darin hängen würde. Heute, dreieinhalb Jahre nach der Begegnung in New York haben wir die außerordentlich große Freude, das Bild hier bei uns am Wannsee wiederzusehen, und nicht nur das Bild selbst, sondern auch sämtliche erhaltenen Skizzen, Vorarbeiten und Studien dazu. Es ist eine solche Fülle von Arbeiten zum Thema, die, ergänzt um Dokumente und Bilder anderer Künstler, so noch nie zu sehen war. Im Namen der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin möchte ich allen, die am Gelingen dieser Ausstellung beteiligt waren, danken: den Museen und Sammlern für die Leihgaben ihrer Werke und der Ernst von Siemens Kunststiftung für die großzügige finanzielle Unterstützung. Ohne ihr Verständnis und ihre freundliche Hilfe wäre diese Ausstellung nicht möglich gewesen. Unser besonderer Dank gilt Herrn Prof. Hubertus Gaßner, Dr. Jenns Howoldt und Dr. An- 7 dreas Stolzenburg von der Hamburger Kunsthalle, die eine Ausleihe des Gemäldes Der zwölfjährige Jesus im Tempel und zahlreicher weiterer Werke aus dem Besitz der Kunsthalle möglich gemacht haben. Bei der Vorbereitung der Ausstellung hat die LiebermannGesellschaft erneut in hohem Maße von ihrem im Jahr 2000 gegründeten wissenschaftlichen Beirat profitiert. Mit Rat und Tat haben uns bei diesem Projekt neben Jenns Howoldt vor allem Inka Bertz (Jüdisches Museum Berlin) und Chana Schütz (Centrum Judaicum) zur Seite gestanden. Bei ihnen wie den übrigen Autoren dieses Kataloges möchten wir uns ganz herzlich bedanken. Sie haben es mit ihren fundierten Aufsätzen geschafft, diesen Katalog zu einem monografischen Standardwerk zu machen. Mein besonderer Dank gilt unserem Museumsleiter Dr. Martin Faass und seinem Museumsteam, denen es mit Der Jesus-Skandal – Ein Liebermann Bild im Kreuzfeuer der Kritik gelungen ist, die beeindruckende Reihe von Ausstellungen in der Liebermann-Villa um einen neuen Höhepunkt zu ergänzen. Prof. Dr. Rolf Budde 1. Vorsitzender 8 Der Jesus-Skandal Martin Faass Einführung Das Geschrei war groß: Der Sohn Gottes ein »naseweiser Judenbengel«? Unerhört! – Kaum ein Liebermann-Gemälde hat einen solchen Skandal hervorgerufen wie Der zwölfjährige Jesus im Tempel, das erstmals 1879 in der Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast zu sehen war. Grund hierfür war vor allem die realistische Darstellung des Jesusknaben, den Liebermann als barfüßigen Jungen mit schwarzen Locken malte. Man warf dem Berliner Künstler eine Verunglimpfung der christlichen Religion vor, nannte ihn einen Rhyparographen (Schmutzmaler) und war entrüstet, wie er als jüdischer Maler es überhaupt wagen konnte, sich diesem Sujet zuzuwenden. Durch seine Malerei habe er aus dem Sohn Gottes einen schmutzigen »naseweisen Juden-Jungen« gemacht und »die Scene in eine echt polnisch kleinstädtische Synagoge verlegt«. Die öffentliche, von antijüdischen Ressentiments genährte Empörung war so groß, dass sich sogar der Bayerische Landtag mit dem Fall beschäftigte. Tief getroffen wandte sich Liebermann von der Historienmalerei ab und sah sich später sogar zu einer Überarbeitung der Gestalt des Jesus genötigt. Im Unterschied zu Deutschland konnte das Werk 1881 in Den Haag und 1884 in Paris erfolgreich ausgestellt werden. Es erfüllt mich mit besonderer Freude, dass das Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, obwohl es aufgrund seines konservatorisch fragilen Zustandes eigentlich nicht mehr reisen darf, für unsere Ausstellung an den Wannsee kommen durfte – eine große Ausnahme, die zuletzt nicht einmal der Nationalgalerie Berlin gewährt wurde. Hierdurch ist es erstmals möglich, das Gemälde zusammen mit allen Vorarbeiten, Skizzen, Studien und Zeichnungen auszustellen. Die Arbeiten kommen zu einem großen Teil, wie das Bild selbst, aus der Sammlung der Hamburger Kunsthalle, ohne deren Kooperation das Projekt nie zustande gekommen wäre. Weitere Leihgeber sind die Staatlichen Museen zu Berlin, das Kunsthaus Zürich, das 9 Saarlandmuseum Saarbrücken, das museum kunstpalast Düsseldorf, die Galerie LeClaire Hamburg, die Kunsthalle Bremen, das ClemensSels-Museum, Neuss, das Museum Georg Schäfer, Schweinfurt, und private Leihgeber. Die Skizzen, Studien und Zeichnungen geben Aufschluss über die Herkunft der Motive, die Entstehungsgeschichte des Werkes und über Varianten, die Liebermann in Erwägung gezogen und schließlich doch verworfen hat. Darüber hinaus geht die Ausstellung mit Werken von Rembrandt, Menzel und anderen Künstlern der ikonografischen Tradition des Sujets nach. Ein weiteres Ausstellungskapitel veranschaulicht mit Faksimiles, Dokumenten und erläuternden Texttafeln die publizistische Kontroverse und die historischen Umstände der Münchener Ausstellung. Dabei können wir dank umfangreicher Recherchen in zahlreichen Archiven bisher völlig unbekanntes Material präsentieren. Die Ausstellung verbindet auf außergewöhnliche Art und Weise Kunst-, Kulturund Zeitgeschichte. Ausgehend von einem der prägnantesten Gemälde des Frühwerkes thematisiert sie Liebermanns Schwierigkeiten als Neuerer der Kunst und seine Stellung als deutsch-jüdischer Maler im Deutschen Kaiserreich. Im vorliegenden Katalog werden sowohl die kunsthistorischen als auch die historischen Aspekte des Themas vertiefend behandelt. Mit einer Reihe hochinteressanter Beiträge ist es dabei gelungen ein kleines monografisches Standardwerk über Liebermanns Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel zusammenzustellen. Den Beginn macht Jenns Howoldt, Kustos an der Hamburger Kunsthalle, der das Werk einer genauen kompositorischen Analyse unterzieht und auf Liebermanns Vorbilder verweist. Anna Sophie Howoldt ergänzt diese Ausführungen durch eine Untersuchung der dargestellten Kleidung, mit der Liebermann die im Bild agierenden Personen historisch und konfessionell definierte. Ute Haug, Provenienzforscherin der Hamburger Kunsthalle, geht der wechselvollen Geschichte des Bildes nach, das durch einen fatalen Bilderhandel in der Nazizeit und den damit verbundenen zwischenzeitlichen Verlust gleich zweimal von der Hamburger Kunsthalle angekauft wurde. Die Umstände der Ausstellung in München 1879 und die Hintergründe der publizistischen Empörung untersuchen in ihrem Beitrag Martin Faass und Henrike Mund, während Chana Schütz ein neu aufgefundenes Zeitungsdokument kommentiert, das im Kontext der historischen 10 Der Jesus-Skandal Kontroverse um das Liebermann-Bild als ein frühes Beispiel selbstbewusster, jüdischer Publizistik gelten kann. Inka Bertz vom Jüdischen Museum Berlin thematisiert den Antisemitismus im Jahrzehnt von 1874 – 84 und seinen Einfluss auf die Auseinandersetzung um Liebermanns Gemälde. Ezra Mendelsohn von der Hebrew University Jerusalem beleuchtet in seinem kenntnisreichen Text den historischen und kulturellen Kontext, der durch die Suche nach dem authentischen Jesus ebenso geprägt war wie durch die Versuche des Reformjudentums, dessen historische Rolle neu zu bewerten. Abschließend ordnet Petra Wandrey das Gemälde in die ikonografische Tradition des Motivs ein, die von ersten Darstellungen in der mittelalterlichen Kunst über Dürer und Rembrandt bis ins 19. Jahrhundert reicht, wo sich das Motiv des zwölfjährigen Jesus im Tempel größter Beliebtheit erfreute. Ausstellung und Katalog wären nicht zustande gekommen ohne die Großzügigkeit der Leihgeber, das große Engagement der Mitarbeiter der Liebermann-Villa am Wannsee und die Fachkompetenz der Autoren. Allen Beteiligten sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Besonders bedanken möchte ich mich bei Cosima Kristahn, die als Praktikantin in der Liebermann-Villa unermüdlich Bibliotheken und Archive nach zeitgenössischen Zeitungsberichten durchsuchte. Mein besonderer Dank gilt der Hamburger Kunsthalle und den dort tätigen Kollegen, die die Bedeutung der Ausstellung für unser Haus von Anfang an erkannt und das Projekt in jeder Hinsicht gefördert haben. Ihre freundschaftliche Unterstützung hat zum Gelingen der Ausstellung ganz entscheidend beigetragen. Danken möchte ich auch nicht zuletzt der Ernst von Siemens Kunststiftung, die uns bei der Finanzierung des Projektes unterstützt hat. Einführung 11 Jenns E. Howoldt Der zwölfjährige Jesus im Tempel Das Bild und seine Entstehung Die Geschichte des zwölfjährigen Jesus im Tempel aus dem Lukasevangelium (2, 42 – 50) war im 19. Jahrhundert eine sehr verbreitete Darstellung. Max Liebermann konzentrierte in seiner Wiedergabe des Motivs das Geschehen im Vordergrund eines aus verschiedenen Studien konstruierten Raums, der in seinen Elementen auf eine Synagoge anspielt.1 Mehrere stehende und sitzende Figuren sind dicht gedrängt um den redenden Jesusknaben gruppiert. Der vorne beengte Raum öffnet sich rechts in die Tiefe und verweist in seinen Details wie Leuchter, Lesepult und Bankreihen auf einen Ort der Versammlung und der Lehre. Drei Figuren in der Bildmitte formen einen nach vorne offenen Halbkreis: der Jesusknabe und die zwei Schriftgelehrten im Tallit, die ihm aufmerksam zuhören. Dieser innere, dem Gespräch des Kindes mit den Rabbinern gewidmete Kreis bildet das Zentrum der Komposition. Es ist die Stelle, auf die das meiste Licht fällt. Um den inneren Ring schließt sich ein zweiter, in den die Rahmenfiguren und die Betrachter vor dem Bild einbezogen sind: links der grün gekleidete Rabbiner, der sich auf ein mit Gebetsschals und Büchern drapiertes Lesepult stützt, und rechts die in einen schwarzen, gegürteten Mantel und Pelzmütze gekleidete Figur. In ihrer leichten Schrägstellung öffnet diese Rückenfigur einerseits den Kreis aus dem Bild hinaus zum Betrachter. Andererseits unterstützt sie wie auch die linke Rahmenfigur in Blickrichtung und Körperhaltung die Bewegung zum Bildzentrum. Beide Figuren wirken wie Klammern, die das Bild zusammenschließen. Während links oben ein weiterer Rabbiner mit Pelzmütze den Kreis der Zuhörer vervollständigt, wird eine in das Bild hineinführende Vertikalbewegung durch die auf der geschwungenen Treppe zu Josef herabeilende Maria ausgelöst. Ihr Gesicht wird vom Rahmen überschnitten, wodurch Liebermann die Eile ihres Kommens andeutet. Josef wendet sich ihr zu und ist im 13 verlorenen Profil zu sehen. Beide sind Hintergrundfiguren. Ebenfalls im Hintergrund sind auf der rechten Seite vier Juden zwischen den Bankreihen zu erkennen, nur schemenhaft beleuchtet von einem vom Bilderrahmen überschnittenen Fenster, durch das natürliches Licht strömt und mit dem ein heller Akzent gegen die dunkle Treppe und die schwarzen Flächen der rechten Rahmenfigur gesetzt wird. Bei der Komposition dieses Gruppenbildes hatte Liebermann eine andere Aufgabe zu lösen als bei seinen bisherigen Kompositionen mit mehreren Figuren. Ging es bei Bildern wie den Gänserupferinnen (1871/72) oder den Arbeitern im Rübenfeld (1876) um eine zunehmend strenger werdende Reihung, war hier eine von einem Zentrum beherrschte Komposition zu gestalten – inhaltlich wie formal. Liebermann konzentrierte das Thema – anders als etwa Dürer in seinem Holzschnitt (Abb. 77) – auf die Begegnung von Jesus mit den Juden, und er wählte für die Darstellung die Form des Kreises und von Kreisvariationen wie Halbkreis, Kurve, Spirale.2 Die Geschichte des Bildes Liebermann arbeitete – mit zeitweiliger Unterbrechung – über drei Jahre an der Bildkonzeption. Wenn auch von den vielen vorbereitenden Zeichnungen nur noch ein Teil nachzuweisen ist, erlauben die erhaltenen Skizzen, Ölstudien, Kompositionszeichnungen und Figurenstudien die Entstehung des Bildes nachzuvollziehen. In der großen Anzahl der Studien – davon sieben Figurenstudien und eine Kompositionszeichnung im Besitz der Hamburger Kunsthalle (Kat.Nr. 6,7, 11 –16) – wird darüber hinaus erkennbar, wie Liebermann um die endgültige Komposition gerungen hat. Die Bildidee geht auf das Jahr 1876 zurück und entstand während Liebermanns Hollandreise, auf der er mit dem Maler und späteren Amsterdamer Akademiedirektor August Allebé häufig das Amsterdamer Judenviertel besuchte. »Dabei kam ihm«, berichtet Erich Hancke, »die Idee, einen Christus im Tempel zu malen, um darin die Bilder, die sich ihm ringsum aufgedrängt hatten, zusammenzufassen. Die Amsterdamer Synagoge dachte er sich als Schauplatz.«3 Für seine Interieurstudie der Amsterdamer Synagoge (Abb. 10) wählte Liebermann einen unprätentiösen Ausschnitt, auf dem 14 Der Jesus-Skandal der Raum und seine Einrichtung nur fragmentarisch zu sehen sind. Auf der Studie stoßen links die Linien der Bänke im Vordergrund und die Ecke der Kanzel (Almemor) so aufeinander, dass der Eindruck eines unzugänglichen Raums entsteht. Das von rechts einfallende Licht hingegen verbreitet sich mit seinen Reflexen im ganzen Raum und schließt ihn zusammen. Die Raum- und Lichtverhältnisse der Amsterdamer Studie verwandte Liebermann im Bild des Zwölfjährigen Jesus auf der rechten Seite. Aus dem 1876 in Amsterdam geführten Skizzenbuch haben sich zwei Blätter erhalten, die wohl im Judenviertel oder in der Synagoge entstanden sind (Abb. 29, 30). Auf dem ersten Blatt sind vier Studien eines Kindes, das mitten unter Männern sitzt und mit ihnen spricht, zu sehen. Als Studien vor der Wirklichkeit begonnen, entwickelte sie Liebermann zu Kompositionsentwürfen weiter, die bildhaft gerahmt bereits auf das Hochformat mit sitzenden und stehenden Figuren des späteren Bildes vorausweisen. So hat er schon auf dem zweiten Blatt die breite sitzende Gestalt, die in jenem das Gegenüber von Jesus darstellt, als Zuhörer einprägsam erfasst. 1 Max Liebermann, Inneres der Synagoge in Venedig, 1878 (Eberle 1878/22), Verbleib unbekannt Aufenthalt und Einflüsse in Venedig Auf seiner Venedig-Reise im Herbst 1878 erhielt Liebermann neue Eindrücke, die für die Weiterentwicklung der Bildkonzeption entscheidend wurden. Während seines zweimonatigen Aufenthalts zeichnete der Künstler viel im alten jüdischen Ghetto.4 In der Scuola Levantina, der sephardischen Synagoge aus dem 16. Jahrhundert, entstand eine Interieur-Studie, aus der Liebermann das Motiv der geschwungenen Treppe übernahm und im finalen Bild zu einer Wendeltreppe ausarbeitete (Abb. 1). Auf der Studie sind auch Besucher der Synagoge mit Gebetsschals zu sehen. Von ihnen schuf Liebermann Einzelstudien, wie etwa die Kopfstudie eines sephardischen Juden (Abb. 9). Im vollendeten Gemälde verwandte Liebermann diese Studien jedoch nicht. In das Skizzenbuch seiner Italienreise zeichnete Liebermann auch einen Kompositionsentwurf des geplanten Bildes5 (Abb. 2). Hier sind die Zuhörer im Kreis um das sitzende Kind angeordnet, wobei erstmalig die stehende gebeugte Rückenfigur am rechten Rand einge- Der zwölfjährige Jesus im Tempel 2 Max Liebermann, Skizze zu Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 1878, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt · Kat.-Nr. 10 15 führt wird und eine rahmende Figur links angedeutet erscheint. Verläuft auf diesem Entwurf die Treppe mit der herabkommenden Mutter noch als eine Schräge, entschied sich Liebermann in seinen weiteren Kompositionsentwürfen für die geschwungene Treppe, die er in der Scuola Levantina vorgefunden hatte. Die zentrale Gruppe des sitzenden Jesusknaben und des zuhörenden Rabbiners im Skizzenbuch der Italienreise übernahm Liebermann in den nächsten, nur durch eine Reproduktion überlieferten Bildentwurf ebenso wie die stehende, näher an den Rand gerückte Figur rechts und die nun deutlicher ausgearbeitete, sich auf eine Bank aufstützende Figur links.6 Eine in der Hamburger Kunsthalle aufbewahrte Zeichnung gilt als zweiter Entwurf, mit dem die 3 Max Liebermann, Studie zu Der zwölfjährige Jesus im Tempel, o.J., Verbleib unbekannt Komposition entscheidend weiterentwickelt wird (Abb. 28). In der Studie wird der Ausschnitt enger gefasst, wodurch die Szene nach unten und nach vorn rückt. Die Gruppe der zuhörenden Rabbiner wird um eine Figur erweitert und Jesus ist zum ersten Mal stehend, den rechten Arm in Brusthöhe haltend im Kreis der Schriftgelehrten wiedergegeben. Die Anordnung der um Jesus gruppierten Rabbiner entspricht damit bereits weitgehend der des Gemäldes. Dagegen ließ Liebermann in der Berliner Kompositionsstudie (Abb. 27) die Rahmenfiguren weg und konzentrierte sich auf die zentrale Dreiergruppe. Die Zeichnung zeigt den Jesusknaben, wie er auch auf der ersten Fassung des Gemäldes bis zu seiner Übermalung wiedergegeben war.7 Die Vollendung des Bildes in München Liebermann setzte die in Venedig begonnenen Vorarbeiten für das Gemälde in München fort, wo er sich nach seinem Italienaufenthalt im Spätjahr 1878 niederließ. Erst im April 1879 hatte er das Bild vollendet. Im Münchener Atelier widmete er sich vor allem den Einzelstudien zu jeder Figur, wobei er, wie Hancke berichtet, jedesmal mit Aktstudien begann (Abb. 3). Die Modelle fand Liebermann nach eigener Aussage in den christlichen Spitälern Münchens. Juden erschienen ihm zu »charakteristisch«. »Sie verleiten zur Karikatur«, schrieb er in der Rückschau an Alfred Lichtwark.8 Den Jesusknaben malte er nach einem italienischen Modell. Auf der Hamburger Stu- 16 Der Jesus-Skandal die zum Jesus (Abb. 37) sind Name und Adresse des Modells überliefert. Mit den Studien wollte sich der Künstler über die Haltung der Figuren klar werden. Er probierte immer mehrere Möglichkeiten, bis er die endgültige Lösung gefunden hatte. Besonders häufig zeichnete Liebermann die rechte Rückenfigur.9 Allein drei Versionen bewahrt die Hamburger Kunsthalle. Sie zeigen als »Prototyp« die große schwere Gestalt eines bärtigen Mannes10, die Figur in Alltagskleidung mit rundem Hut und schließlich in einen langen Mantel gehüllt in der Haltung des Gemäldes (Abb. 31, 32, 34). Die verschiedenen Zeichnungen des Rabbiners, der Jesus im Gemälde gegenübersitzt, veranschaulichen, wie Liebermann die Figur zur endgültigen Fassung weiterentwickelte und wie dabei sein anfangs zarter Strich kräftiger und bestimmter wird (Abb. 35, 39). 4 Matthias Stom, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1640er Jahre, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek, München Liebermanns Vorbilder Wie Helmut Leppien zuerst bemerkt hat, ließ sich Liebermann bei der endgültigen Haltung dieses Rabbiners, der sich im Bild mit seiner Linken in den Bart fasst und die Finger seiner rechten Hand zwischen die Seiten eines aufgeschlagenen Buches steckt, durch ein Gemälde des niederländischen Caravaggisten Matthias Stom anregen. Dessen damals noch Gerrit van Honthorst zugeschriebenes Bild des zwölfjährigen Jesus im Tempel (Abb. 4), das in der Konfrontation des Jesusknaben mit zwei sitzenden und zwei stehenden Schriftgelehrten kompositorisch eng mit dem Entwurf Liebermanns verwandt ist, konnte der Künstler in der Alten Pinakothek gesehen haben.11 Auch der ungeschönte Realismus auf seinem Gemälde, der besonders in den Gesichtern der Rabbiner und in ihrer Kleidung zum Ausdruck kommt, ist bei Stom wie in den Werken der niederländischen Caravaggio-Nachfolge überhaupt zu finden. Mit Sicherheit kannte Liebermann darüber hinaus die Radierungen Rembrandts mit der Darstellung des zwölfjährigen Jesus, die 1652 und 1654 datiert sind (Abb. 78, 79). Liebermann orientierte sich in mehrfacher Hinsicht an Rembrandt. Schon bei diesem erscheint, wie dann wieder bei Liebermann, der Jesusknabe in seine Umgebung integriert und nicht erhöht, wie es in der christlichen Darstellungstra- Der zwölfjährige Jesus im Tempel 17 dition die Regel war. Daneben wird ihn die »ausdrucksvolle Gestensprache des Kindes und die Gestaltung des Zuhörens«12 inspiriert haben. Und sicherlich empfing Liebermann von der Figur des Stehenden in Rembrandts Radierung von 1654 eine Anregung für die rechte Rahmenfigur in seiner Darstellung des Themas. Die Herkunft des Lichts Wie bei keiner anderen großen Komposition gestaltete Liebermann den Aufbau des Gemäldes durch den Wechsel von Hell und Dunkel. 5 Giambattista Tiepolo, Joseph mit dem Jesuskind und Heiligen, um 1731, Galleria dell’ Accademia, Venedig 18 Dennoch unterscheidet sich Liebermanns Bild ganz wesentlich in der Art der Lichtführung von Rembrandt und den niederländischen Caravaggisten. Denn der Berliner Maler hat auf deren schlaglichtartige Beleuchtung und bühnenartige Inszenierung vor einem dunklen Hintergrund verzichtet. In seiner Komposition fällt das Licht von oben ein und verteilt sich fließend im Raum, so dass es zu einer Abstufung von Hell und Dunkel kommt, die etwa zwischen dem hellsten Licht auf dem Tallit des mittleren Schriftgelehrten und den tiefsten Schatten in der Kleidung des Rabbiners rechts am Rand und im Treppenbereich vermittelt. Eine sehr verwandte Lichtführung, die den Bildraum einerseits lebendig beleuchtet und andererseits vereinheitlicht, hatte Liebermann bei seinem Venedigaufenthalt an einem Gemälde von Tiepolo aufmerksam studiert, dessen Komposition er in seinem Skizzenbuch festhielt.13 Das Bild in der Galleria dell’ Accademia zeigt Joseph mit dem Jesuskind und Heiligen (Abb. 5). Wie die Zeichnung erkennen lässt, interessierte Liebermann vor allem die Licht- und Schattenverteilung der Komposition, die er in energischen Schraffen erfasste (Abb. 6). Betrachtet man das Bild selbst, fällt die senkrechte Lichtführung in der Bildmitte auf, die von weniger beleuchteten, sich nach innen wendenden Figuren gerahmt wird. Für Liebermanns Kompositionsproblem war die Begegnung mit dem Gemälde Tiepolos entscheidend. Tiepolos Bildaufbau, der die Figuren spiralförmig um eine beleuchtete Mitte gruppiert und das Licht dramaturgisch einsetzt, erwies sich als Lösung für sein eigenes Werk und dessen vielfigurige, um ein Zentrum kreisende Konzeption. Liebermann setzte die Elemente der Bildkonstruktion von Tie- Der Jesus-Skandal polo, mit deren Hilfe der Blick des Betrachters suggestiv auf die Bildmitte gelenkt wird, für seine Bildaussage ein. Er übernahm das transzendente Licht Tiepolos und verwandelte es in das Beleuchtungslicht eines real erscheinenden Raumes. Mit Hilfe des Lichts wird das formale und geistige Zentrum seines Bildes hervorgehoben und der wechselseitige Austausch, der Dialog zwischen den unterschiedlichen Partnern anschaulich gemacht. In seinem Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel entwickelte Max Liebermann auf der Grundlage zahlreicher Skizzen und Studien sowie unter Einbeziehung historischer Vorbilder eine komplexe Figurenkomposition. Anders als in seinen Bildern der holländischen Arbeitswelt sah er sich hier der Aufgabe gegenüber, eine Gruppenkomposition mit Hauptfigur zu gestalten. Während er im Realismus der Darstellung Eindrücke der Caravaggio-Nachfolge sowie Rembrandts verarbeitete, lässt sich die Lichtführung auf Darstellungen Tiepolos zurückführen. Auf diese Weise schuf Liebermann eine historisch fundierte Komposition, die den Beginn einer neuen Form der religiösen Historienmalerei markiert. 6 Max Liebermann, Kopie nach Tiepolo, um 1878, Skizzenbuch 17 B, fol. 20, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt 1 Seit den Veröffentlichungen von Katrin Boskamp, Die ursprüngliche Fassung von Max Liebermanns: Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Ein christliches Thema aus jüdischer Sicht, in: Das Münster, 46. Jg., Heft 1, 1993, S. 29 – 36, und dies., Studien zum Frühwerk von Max Liebermann, mit einem Katalog der Gemälde und Ölstudien von 1866 – 1899, Hildesheim 1994, ist bekannt, dass das Gemälde vor allem im Bereich des Jesusknaben durch den Künstler nach dem Münchener Skandal übermalt wurde. 2 Boskamp 1994, wie Anm. 1, S. 102. 3 Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1914, S. 20f. 4 In seinem Skizzenbuch 17 B im Museum Georg Schäfer, Schweinfurt sind zahlreiche Studien von Gassen, Details von Kircheninterieurs, Gemäldekopien usw. enthalten. 5 Max Liebermann, Skizzenbuch 17 B, fol. 112, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt. 6 Hans Wolff, Zeichnungen von Max Liebermann, Dresden 1922, T. 8. 7 Boskamp 1994, wie Anm. 1, S. 96, Katrin Boskamp sieht in dieser Zeichnung die Wiedergabe eines Zwischenzustands. 8 Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark, vom 15. Juli 1911, zit. n. Helmut R. Leppien, Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann, Hamburg 1989, S. 24. 9 Boskamp 1994, wie Anm. 1, S. 94 – 96. 10 Ebd., S. 94. Boskamp vermutet das Vorbild der Figur in der Malerei von Tizian, Veronese oder Rubens. 11 Leppien 1989, wie Anm. 8, S. 19 – 20. 12 Ebd., S. 19. 13 Max Liebermann, Skizzenbuch 17 B, fol. 20, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt. Der zwölfjährige Jesus im Tempel 19 7 Max Liebermann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1879 (ursprüngliche Fassung) 20 Der Jesus-Skandal 8 Max Liebermann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1879 (Eberle 1879/3), Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 3 Der zwölfjährige Jesus im Tempel 21 9 Max Liebermann, Kopfstudie eines sephardischen Juden mit Gebetsschal, 1878 (Eberle 1878/24), Kunsthaus Zürich · Kat-Nr. 2 22 Der Jesus-Skandal 10 Max Liebermann, Inneres der Synagoge von Amsterdam, 1876 (Eberle 1876/32), Privatbesitz · Kat-Nr. 1 Der zwölfjährige Jesus im Tempel 23 Anna Sophie Howoldt Komposition und Bedeutung der Bekleidung im Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann »Ein schielender Judenknabe im schmutzigen Kittel mit rothem Haar und mit Sommersprossen, verhandelt, ja handelt mit übelriechenden, gemeinen Schacherjuden in schmutzigen Säcken und Gebetsmänteln …«1 Das Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann erregte vor allem wegen der Kleidung und der Haartracht Anstoß, wodurch die dargestellten Personen eindeutig als Juden identifizierbar waren. Durch die Entscheidung für eine bestimmte, historisch und konfessionell zu verortende Tracht versetzte Liebermann die biblische Szene in die Gegenwart und verlieh damit der Thematik eine neue Dimension und Aktualität. Es war eine Interpretation, die mit den Erwartungen und der Darstellungskonvention seiner Zeit nicht in Einklang zu bringen war. Die antisemitisch gefärbte Kritik unterstellte dem Maler daher eine »absichtsvolle Verletzung des (christlichen) religiösen Gefühls«.2 Die Figuren im Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel sind für den ungeschulten Blick nicht ohne weiteres zu lesen. Daher soll in diesem Beitrag die vestimentäre Komposition untersucht und mit der genaueren Betrachtung der dargestellten Bekleidung ein weiterer Beitrag zum Verständnis des Bildgedankens und der zeitlichen Einordnung geliefert werden. In der zitierten Kritik heißt es, die Schriftgelehrten seien in »schmutzige Säcke und Gebetsmäntel« gekleidet. In dieser Beschreibung steckt sowohl der Verweis auf die religiöse Funktion der dargestellten Kleidung als auch der Versuch, die Personen durch die Unterstellung eines ungepflegten Zustandes ihrer Bekleidung herabzusetzen. Als bildrahmende Figur steht rechts eine männliche Rückenfigur. Der Mann trägt eine hohe Pelzmütze und einen langen dunklen Mantel, der mit einem verzierten Stoffband gegürtet ist. Es handelt sich hierbei um Elemente einer Tracht, die dem osteuropäischen, traditio- 11 Max Liebermann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1879, Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 3 25 nellen Judentum zugeordnet werden kann. Diese besteht aus einem langen dunklen Kaftan, einer pelzverbrämten Kopfbedeckung und einem Stoffgürtel. Ihren Ursprung hat die Tracht in der polnischen und russischen Herrenbekleidung des Mittelalters.3 Die Bekleidungselemente wurden ursprünglich aus der Alltagsmode übernommen und, gegenüber modischen Einflüssen resistent, in der Bewegung des Chassidismus tradiert. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts etablierte sich diese Tracht als typisches aschkenasisches Rabbinergewand.4 Der Kaftan ist ein Mantel, der vorne mittig geknöpft wird und einen kleinen Stehkragen bzw. einen weichen Schalkragen besitzt. Diese Mantelform, die in Liebermanns Gemälde mehrere Figuren tragen, ist in ähnlicher Form auch in dem Grisaille-Gemälde Moritz 12 Siegried Laboschin, Der Rabbi, ca. 1901– 25, Jüdisches Museum Berlin 13 Moritz Daniel Oppenheim, Der Segen des Rabbi, 1882, Aus der Mappe »Bilder aus dem altjüdischen Familienleben«, Jüdisches Museum Berlin 26 Daniel Oppenheims (Abb. 13) zu erkennen. Bei den Pelzmützen, wie sie in Liebermanns Gemälde die Rabbiner vorne rechts und hinten links tragen, handelt es sich um die hohe Form des Streimels, den Spodik. Beide Formen zählen zu den pelzbesetzten Kopfbedeckungen, wie sie bei den ostjüdischen Glaubensrichtungen üblich waren. Der Kopfbedeckung wird im Judentum allgemein besondere Bedeutung beigemessen aufgrund der Tradition, den Kopf stets bedeckt zu halten.5 Bei der Wahl der Pelze wurden, wenn möglich, kostbarste Felle verwendet. Erahnen lässt sich die edle, rotbraun glänzende Struktur des Zobels in der Darstellung des Spodiks der männlichen Figur hinten links im Bild. Im Hintergrund rechts ist eine sitzende Figur zu erkennen, die einen Streimel trägt. Der Stoffgürtel, der Gartl, über dem Obergewand hat seinen Ursprung in talmudischen Zeiten. Der Gürtel ist an den Enden mit Fransen verziert und wird mindestens zweimal um die Taille gelegt und vorne zu einem Knoten gebunden. Der Gürtel ermahnt den Träger an die Trennung des Körpers in die obere und untere Körperhälfte und die Trennung in Geist und Trieb.6 Die benannten textilen Zeichen werden ergänzt durch die charakteristische Haar- und Barttracht, bestehend aus Schläfenlocken und Vollbart. Im Zentrum von Liebermanns Gemälde steht der engere Gesprächskreis, bestehend aus dem Knaben und den zwei sitzenden Rabbinern. Die Schriftgelehrten haben ihren Gebetsschal, den Tallit, um die Schultern gelegt, was darauf hindeutet, dass Gebet oder Thorastudium bereits beendet oder unterbrochen sind. Denn zum Gebet wird der Tallit über den Kopf gelegt. Der Jesus-Skandal Der Tallit ist ein zeitüberdauerndes Textil, welches im jüdischen Gebetsritus eine wichtige Funktion innehat. Es wird seit dem Altertum von den Männern in der Synagoge getragen, so auch zu Liebermanns Zeit. Der Tallit kennzeichnet im Gemälde die Figuren als religiöse Juden, während andere Elemente von Kleidung und Haartracht untypisch sind: die genannten Personen tragen keine Schläfenlocken, genannt Peot oder Pejes, einer von ihnen ist sogar bartlos. Entgegen der jüdischen Tradition, den Kopf stets bedeckt zu halten, sehen wir im Bild drei Rabbiner ohne Kopfbedeckung. Das Fehlen der Kopfbedeckung und des Bartes im Zentrum des Bildes ist ein Hinweis auf die Abkehr vom traditionellen Judentum. Wie Karin Boskamp analysierte, brachte Liebermann »das christliche Thema mit dem gegenwärtigen Judentum, wie es die Rabbiner mit ihren unbedeckten Häuptern repräsentieren, in Zusammenhang«7. Jedoch kann auch der Moment des überraschten Innehaltens im Gebet und Studium gemeint sein, wofür der Gebetsschal soeben abgelegt wurde. Nun zur Hauptfigur des Bildes: dem Jesusknaben, über dessen Darstellung sich das eingangs zitierte Kunstblatt so vehement erregte. Dieser trug in der ursprünglichen Fassung des Bildes ein kurzes, unregelmäßig drapiertes Gewand, wodurch er wie ein Junge aus der Zeit Liebermanns wirkt, der seine Alltagskleidung gegen eine antikisierende Stoffdrapage eingetauscht hat. Seine Haare sind, wie in der Tradition des orthodoxen Judentums üblich, am Haupt gekürzt und an den Schläfen ungeschnitten, wodurch die Schläfenlocken entstehen. Diese haben wie der Bart des Mannes im Chassidismus eine religiös-mystische Bedeutung und gehören so zu den äußeren Erkennungsmerkmalen und Symbolen für den jüdisch-orthodoxen Glauben.8 Die heutige Fassung zeigt den Jesusknaben in ein wadenlanges, helles Gewand gekleidet. Das Hemdkleid ist hell und sauber, der gerade Faltenverlauf wirkt eher steif und zeigt keine Spur zufälliger oder kindlicher Bewegung und Unordnung. Auch die Haare sind übermalt. Der Ansatz der Peot ist verschwunden, die blonden Haare liegen gleichmäßig auf den Schultern auf. In der überarbeiteten Fassung passt sich Liebermann dem Darstellungskonsens der biblischen Figur seiner Zeit an und tilgt jeden Hinweis auf die jüdische Tradition. Komposition und Bedeutung der Bekleidung 14 Hermann Struck, Rabbi Eljaschar Chacham Baschi von Jerusalem, 1903 Aus der Mappe »Land Israel«, Jüdisches Museum Berlin 15 Herbert Sonnenfeld, Betender Mann im Tallit, Fotografie, Berlin 1938 27 Die Betrachtung der vestimentären Komposition zeigt, dass Liebermann in seinem Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel die Figuren durch Haartracht und Kleidung kennzeichnet und dass er durch die kompositorische Zusammenstellung die biblische Szene als zeitgenössischen Dialog zwischen Jesus und Juden unterschiedlicher Glaubensrichtungen interpretiert. 16 Max Liebermann, Entwurf zum zwölfjährigen Jesus im Tempel (Detail), 1879, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett 28 1 Heinrich Merz, Rückblick, in: Christliches Kunstblatt, 22. Jg. 1880, H. 1, S. 4. 2 Jenns Howoldt, Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Zwischen Kritik und Anerkennung, in: Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Max Liebermann. Der Realist und die Phantasie, Hamburg 1997, S. 105 –108, 107. 3 Alfred Rubens, A History of Jewish costume, London 1981, S. 104. 4 Ebd., S. 160. 5 Tamar Somogyi, Die Schejnen und die Prosten. Untersuchung zum Schönheitsideal der Ostjuden in Bezug auf Körper und Kleidung unter besonderer Berücksichtigung des Chassidismus, Berlin 1982, S. 144. 6 Ebd., S. 173 ff. 7 Katrin Boskamp, Die ursprüngliche Fassung von Max Liebermanns: Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Ein christliches Thema aus jüdischer Sicht, in: Das Münster. Zeitschrift für Christliche Kunst und Kunstwissenschaft, 46. Jg. H. 1, 1993, S. 29 – 36, 32. 8 Somogyi 1982, wie Anm. 5, S. 84 ff. Der Jesus-Skandal 17 Max Liebermann, Entwurf zum Zwölfjährigen Jesus im Tempel, um 1879, nach einer verschollenen Zeichnung Komposition und Bedeutung der Bekleidung 29 30 Der Jesus-Skandal Ute Haug »Es ist ein mächtiges Werk« 1 Ein Gemälde findet seinen Weg Zweimal wurde das Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann für die Sammlung der Hamburger Kunsthalle angekauft, zum ersten Mal 1911 und vor 20 Jahren ein zweites Mal. Davor und dazwischen erlebte das Werk eine wechselvolle Geschichte, die sich faktisch so darstellt: Sammlung Max Liebermann, München /Berlin, 1879 – 1883/1884; durch Professor Fritz von Uhde im Tausch erworben von Max Liebermann, der dafür von Uhde das Gemälde Der Leierkastenmann kommt erhielt, 1883/1884 – 25. 2.1911; Nachlass Fritz von Uhde, München, 25. 2.1911 – längstens 31.3.1911 ; Kunsthandlung Eduard Schulte, Berlin, mindestens 31.3. – 4.6.1911; Ankauf durch die Hamburger Kunsthalle, 5.6.1911 – 1941 (Inv. Nr. 1586); im Tausch abgegeben gemeinsam mit ehem. Inv. Nr. 1586, 1588 und 1589 gegen Hans Thomas Landschaft mit Regenbogen (ehem. Inv. Nr. 2762) an den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, Hamburg, März 1941; Sammlung Dr. Georg Glaubitz, Hamburg, Mai 1941 – 1979; Erben der Sammlung Dr. Georg Glaubitz, Hamburg, 1979 – 1989; als Leihgabe in der Hamburger Kunsthalle, 1979 – 1989; erworben 1989 mit Mitteln der Campe’schen Historischen Kunststiftung und der Kulturstiftung der Länder. 2 Hinter diesen Fakten verbergen sich Geschichten, die hier zusammengetragen und berichtet werden. 18 Fritz von Uhde, Der Leierkastenmann kommt, 1883, Hamburger Kunsthalle Ein erstes Tauschgeschäft Es ist eine tradierte Information, dass Max Liebermann und Fritz von Uhde einen Bildertausch vornahmen. Max Liebermann gab Fritz von Uhde seinen Zwölfjährigen Jesus im Tempel und erhielt im Gegenzug Der Leierkastenmann kommt (Abb. 18). Vermutlich fand 31 der Tausch vor Liebermanns Weggang aus München nach Berlin Ende 1883 oder zu Beginn des Jahres 1884 statt.3 Zu diesem Zeitpunkt war das Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel bereits überarbeitet.4 Von welchem der beiden Maler die Initiative für diesen Tausch ausgegangen ist, ist nicht dokumentiert, aber ein beiderseitiges Interesse ist vorauszusetzen. Die beiden Maler lernten sich nach Uhdes Rückkehr aus Paris 1880 in München kennen. Von dort reiste Uhde 1879/80 zu einer Kur nach Holland.5 Liebermann berichtete 1911 dem damaligen Direktor der Kunsthalle Bremen, Gustav Pauli, dass Uhde bei diesem Aufenthalt in Zandvoort die ersten Studien zu Der Leierkastenmann kommt schuf. Uhde hatte die Werke Liebermanns, die ihn nachhal- 19 Anonym, Fritz von Uhde, o. J., nach einer Kreidezeichnung von Max Liebermann 20 Fritz von Uhde, Lasset die Kindlein zu mir kommen, 1884, Museum der bildenden Künste, Leipzig 32 tig inspirierten, schon in München gesehen. Die beiden als Naturalisten bezeichneten Künstler waren gute Kollegen, die in Ausstellungen gemeinsam ihre Werke zeigten. Aber sie verstanden sich auch als Konkurrenten.6 Das Werk Liebermanns im Besitz von Uhde scheint vor allem ein Hinweis auf den Einfluss Liebermanns auf Uhdes Werk bzw. dessen künstlerische Entwicklung gewesen zu sein. 1908 bereits erkannte Otto Bierbaum: »Schon im Jahre 1882 ging ihm vor Liebermanns ›Schusterwerkstatt‹ im eigentlichsten Sinne das Licht auf. Die Jahre 1882 und 1883 sind seine fruchtbarsten Studienjahre gewesen. Damals konnte es wohl scheinen, als sei es sein Ehrgeiz, ein zweiter Liebermann zu werden, wenngleich die hervorstechendste Leistung aus diesen Jahren, die ›Trommelübung‹, in der Komposition bereits deutlich von Liebermanns Art abwich. […] Man kann sagen: Uhde hat in diesen Jahren Material für den begnadeten Winter 1883 – 1884 gesammelt, indem er sich selbst sammelte zu seinem ersten Bilde, das das erste in der Reihe seiner grossen deutschen Gedichte in Farben ist: zu der köstlichen Komposition »Lasset die Kindlein zu mir kommen.«7 Uhde begann in der zweiten Hälfe des Jahres 1883 sein erstes Gemälde mit einem biblischen Thema – Lasset die Kindlein zu mir kommen (Abb. 20).8 Es zeigt einen barfüßigen, in einer protestantischen Dorfkirche auf einem Stuhl sitzenden Christus, dem einfach gekleidete Kinder aus den unteren Schichten mit ihren Eltern im Hintergrund entgegentreten. Uhde versetzte die Szene in eine zeitge- Der Jesus-Skandal nössische Umgebung des 19. Jahrhunderts, was für einige Kritiker zum Stein des Anstoßes wurde, da sie darin einen unwürdigen Raum für eine derartig heilige Szene sahen. Das Werk erfuhr hohe Aufmerksamkeit und wurde durchaus kontrovers diskutiert, jedoch bei weitem nicht so negativ bewertet, wie der Zwölfjährige Jesus Liebermanns.9 Uhde schuf noch zahlreiche Gemälde mit religiösen Themen, allerdings befasste er sich nie mit dem Thema des zwölfjährigen Jesus im Tempel. Max Liebermann begann zu Beginn der 1890er Jahre Kunst zu sammeln, vor allem französische Impressionisten, Berliner Maler und Zeitgenossen, die ihm künstlerisch nahe standen. Daneben sammelte Liebermann Arbeiten von Rembrandt Harmensz. von Rijn und anfangs noch Ostasiatika. Und da sich Liebermann nur mit »solchen Werken [umgab], die ihn in der Auffassung oder in der Ausführung interessierten«10, sah er in Fritz von Uhdes Werk eine künstlerische Auffassung, die seiner ähnelte, aber sich auch von seiner unterschied. Nachweise für den Bildertausch finden sich einige, hier drei Beispiele: 1894 bildete Richard Muther in seiner Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert das Gemälde in seiner ursprünglichen Fassung ab. Im Abbildungsverzeichnis wird als Besitzer Fritz von Uhde, München, genannt.11 In der 1902 erschienenen Monografie über Uhde von Fritz von Ostini wird der Tausch wie folgt erwähnt: »Das Bild [›Der Leierkastenmann kommt!‹ von Fritz von Uhde, Anm. der Verf.] hat Professor Max Liebermann erworben. Uhde besitzt dafür von der Hand Max Liebermanns ein vielumstrittenes Jugendwerk, das meistumstrittene Bild des Berliner Intransigenten [= der Unversöhnliche, Anm. der Verf.] sogar, den ›Christus im Tempel‹«.12 1907 war das Liebermann-Bild zum ersten Mal seit seiner ersten Ausstellung 1879 wieder in Deutschland zu sehen, in der Ausstellung der Berliner Secession, diesmal in überarbeiteter Form. Im Katalog wird das Werk unter der Nr. 125 aufgeführt.13 Als Eigentümer wird ebenfalls »Prof. Fritz von Uhde, München« genannt. Fritz von Uhde verstarb am 25. Februar 1911 und sein künstlerischer Nachlass wurde am 11. Juni 1911 in der Galerie Hugo Helbing in München versteigert. Was aber mit seiner Sammlung von Werken anderer Künstler passierte, ist bislang nicht erforscht. »Es ist ein mächtiges Werk« 33 Die Berliner Kunsthandlung Eduard Schulte – Eine Galerie als Trendsetter Der zwölfjährige Jesus im Tempel jedenfalls kam unmittelbar nach Uhdes Tod aus seinem Nachlass zur Berliner Kunsthandlung Eduard Schulte. Dort befand es sich nachweislich ab dem 31. März 1911.14 Das Stammhaus der Kunsthandlung Eduard Schulte war in Düsseldorf ansässig.15 Am 14.2.1886 wurde Unter den Linden 4a die Berliner Filiale in den vormaligen Räumen des Auktionshauses Lepke eröffnet.16 In den ersten sechs Jahren war das Programm mit akademisch orientierten Künstlern konventionell und wie eine »langweilige Verkaufshalle«.17 Nach dem Umzug 1891 in das Erdgeschoß des Palais Redern, Unter den Linden 1 (wo heute das Hotel Adlon steht),18 setzte mit der ersten Ausstellung der Berliner Künstlergruppe »Vereinigung der XI« vom 2. bis zum 23. April 1892 eine inhaltliche Positionierung für zeitgenössische Kunst ein.19 Unter anderem zeigten dort Walter Leistikow, Franz Skarbina und auch Max Liebermann ihre Werke.20 Der gute Kontakt zu und das Interesse der Kunsthandlung Schulte an Liebermann gehen in das Jahr 1892 zurück. Zudem besaß die Galerie auch schon die 1877 entstandene Studie der Amsterdamer Synagoge, die das Ölgemälde Liebermanns vorbereitete. 21 Fritz von Uhdes Kontakt zur Kunsthandlung Schulte währte fast genauso lange, er geht in das Jahr 1893 zurück, als er als Mitglied der »24«, einer Gruppe der Münchener Sezessionisten, in der Berliner Filiale seine Werke ausstellte.22 1899 zeigte Uhde 16 Werke aus den Jahren 1894 bis 189823 und 1908 richtete die Kunsthandlung Uhde zum sechzigsten Geburtstag eine Einzelausstellung mit 65 Kunstwerken aus.24 Es ist nachvollziehbar, dass die Galerie, durch ihr langjähriges Interesse am Werk der beiden Protagonisten, großes Interesse an dem in Uhdes Nachlass befindlichen Werk Liebermanns hatte. Der rasche Ankauf nach dem Tod Uhdes scheint ein Resultat des jahrelangen Einsatzes für die moderne Kunst gewesen zu sein. Bei der Galerie Schulte erwarb schließlich der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, das Bild. 34 Der Jesus-Skandal »Wir müssen die Chance wahrnehmen«25 »In Berlin war die Hauptsache Liebermanns Christus im Tempel bei Schulte. Ich kannte das Bild sehr lange. Es hing bei Uhde im Atelier, und man konnte ihm ansehen, dass es sehr verstaubt war. Jetzt, wo es gereinigt ist, wirkt es unglaublich frisch und hat doch die Edelreife des Alters. Es kann jetzt nur immer noch schöner werden. Tschudi hat es mit blutendem Herzen aus München fortziehen lassen. Es würde kein anderer Liebermann so gut für die Pinakothek passen wie dieser, der ganz mit München verwachsen ist. Das Bild ist in München gemalt, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht. Es hat Liebermann aus München vertrieben durch Aerger, den er von der Ausstellung hatte: München tobte, wie Berlin bei Menzels Christus im Tempel getobt hatte. Dann schenkte Liebermann es Uhde und erhielt dafür den Drehorgelspieler, den er noch besitzt. Uhde hat den Christus nie verkaufen wollen. Schulte hat es jetzt von den Erben für M. 40.000 übernommen und verlangt erst einmal M. 70.000. Mit 50 wird er zufrieden sein. Wir müssen die Chance wahrnehmen. Es ist ein mächtiges Werk. München und Berlin scheiden als Concurrenten aus. Dresden kommt nicht in Betracht. Bleiben Frankfurt und Köln. Wir müssen uns das Bild in Hamburg mit aller Muße besehen. Ich habe es an die Hand genommen«26, schrieb Alfred Lichtwark an die Hamburger Kommission am 27. April 1911. Tags zuvor hatte er das Werk in der Kunsthandlung Eduard Schulte gesehen und sich nach seinem Preis erkundigt. Dabei hatte er den Betrag auf 60.000 Mark herunterhandeln können, doch bat die Kunsthandlung über dieses Angebot Stillschweigen zu bewahren, da sie auch mit anderen Interessenten verhandelte, jedoch zu anderen Konditionen.27 Gleich am 29. April bat Lichtwark Schulte um die Ansichtssendung des Kunstwerks, was ihm am selben Tag bereits bestätigt wurde.28 Am 1. Mai wurde es schließlich nach Hamburg versandt.29 Zwischenzeitlich bekam Schulte aufgrund seines niedrigen Angebotes an Lichtwark Bedenken30, so dass Lichtwark den Preis, anders als er es sich vorgestellt hatte, nicht weiter herunterhandeln konnte. Am 17. Mai teilte er der Kommission der Hamburger Kunsthalle mit: »Schulte will nicht. Es reut ihn, dass er sich gleich beim ersten Anhieb so weit zurückgezogen hat. Die Kunsthändler, denen er zu- »Es ist ein mächtiges Werk« 21 Alfred Lichtwark, um 1905 35 vorgekommen ist, haben an ihm herumgearbeitet. Er meint, und darin hat er Recht, glaube ich, Cassirer würde es nicht unter achtzigtausend hergegeben haben, und wäre es unter den großen deutschen Händlern zum Kampf auf einer Auction gekommen, so hätte jeder einzelne bis auf 50 oder 60.000 Mark mitgeboten. Ich hatte gehofft, es durch die üblichen Mittel auf 55, wenn nicht auf 50.000 Mark zu mindern. Aber nach den wiederholten Angriffen sehe ich heute ein, es muß bei M. 60.000 sein Bewenden haben. Schulte fühlt sich so absolut sicher, dass er auch heute fest geblieben ist. Auch die Studie will er nicht dreingeben. Nun; wir muthen dem Staat nichts außergewöhnliches zu. Leipzig hat für den kleinen Leibl, der nicht einmal ersten Ranges ist, auf 22 Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark vom 5.6.1911, Hamburger Kunsthalle Kat.-Nr. 26 (vollständiger Text S. 144 – 149) 36 der Auction Laroche-Ringwald mit allen Spesen gegen M. 90 000 bezahlt. Nun aber müssen wir versuchen, ob wir nicht auch den Uhde bekommen können, den Liebermann im Tausch empfangen hat. Ich habe mit Liebermann darüber gesprochen. Es ist nicht ganz aussichtslos.«31 Und am selben Tag konnte er ebenso mitteilen, dass auch Liebermann sehr glücklich sei, dass das Bild, dessen Ankauf zu diesem Zeitpunkt noch keine beschlossene Sache war, nach Hamburg komme.32 Lichtwark war sich seiner Sache sehr sicher, denn als er am 24. Mai Schulte mitteilte, dass die Sitzung bezüglich der Ankaufsentscheidung erst am 3. Juni stattfinden könne, gab er dem Händler den sicheren Ankauf zu verstehen.33 Diese Gewissheit Lichtwarks drückte sich auch darin aus, dass er Liebermann am 31. Mai bat, einige detaillierte Auskünfte über das Werk zu geben, damit er im kommenden Jahrbuch darüber berichten könnte.34 Liebermann kam dieser Bitte wenige Tage später nach (Abb. 22). Am 3. Juni konnte Lichtwark dann tatsächlich Schulte den Ankaufsbeschluss der Kommission übermitteln.35 Am 5. Juni wurde diese Nachricht von der Galerie bestätigt.36 Und am 8. Juni schließlich wurde durch die Ausstellung des Kaufbelegs dieser Erwerbungsvorgang abgeschlossen.37 Erst am 19. Juni teilte Lichtwark Liebermann den einstimmigen Beschluss mit und betonte, er wolle »den Schatz erst im Herbst zugänglich« machen, gemeinsam mit dem von Liebermann erstellten Porträt des Hamburger Bürgermeisters Burchard.38 Der Jesus-Skandal Lichtwarks Ankaufskonzept bestand nicht nur darin, den Zwölfjährigen Jesus im Tempel zu erhalten, sondern auch die Werke für die Hamburger Kunsthalle zu gewinnen, die inhaltlich mit diesem Bild verbunden sind, wie dies in seinem Brief vom 17. Mai bereits angeklungen war. 39 Es gelang Lichtwark, von Liebermann auch das Tauschbild Der Leierkastenmann kommt von Uhde zu kaufen.40 1912 wurden beide Werke in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt.41 Und noch im Jahr 1911 konnte Lichtwark auch das Pastell Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Abb. 24)42 von Adolf Menzel erstehen. Mit diesem Werk und einem Porträt der Schwester Menzels, Die Schwester Emilie im Schlaf, welches ebenfalls 1912 erworben werden konnte, richtete Lichtwark »eine Art Kapelle« ein, indem er die beiden flankierend neben den Zwölfjährigen Jesus im Tempel von Liebermann hängte, für Lichtwark: das »wahre Andachtsbild«.43 Abschließend teilte Lichtwark Liebermann mit: »Ihr Jesus im Tempel ist den ganzen Tag belagert. Aber niemand spricht ein Wort davor, es ist alles eitel Andacht und Versenkung. Heute knirschen keine Zähne mehr und keine Verwünschung wird laut. Ich habe meine großen Freudentage durch dies Bild und muß immer wieder daran denken, was es für uns Alle bedeutet hätte, wenn wir dies Bild schon vor zwanzig Jahren besessen hätten.«44 23 Rechnung über Max Liebermanns Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, vom 8.6.1911, Archiv Hamburger Kunsthalle Ein zweites Tauschgeschäft Mit der nationalsozialistischen Diktatur setzte auch die Diffamierung von Max Liebermann und seinem Werk ein. Im Gegensatz zu anderen Museen entgingen die Werke Liebermanns in der Hamburger Kunsthalle der Beschlagnahmung. 1935 hingen sie sogar in der Neuhängung der Sammlung von Harald Busch, darunter auch der Zwölfjährige Jesus im Tempel (Abb. 26).45 Dennoch waren kurz darauf die Werke Liebermanns zur Disposition freigegeben und 1936 gab die Hamburger Kunsthalle, unter dem damaligen Leiter Dr. Werner Kloos, das Landhaus bei Teufelsbrück46 im Tausch ab an den Sammler Hans Rappolt gegen das Porträt der Luise Henriette Wilhelmine von Anhalt-Dessau (1750 – 1811) als Diana von Charles Amédée Philippe van Loo.47 »Es ist ein mächtiges Werk« 24 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1851, Hamburger Kunsthalle 37 1939 gab es schließlich Bestrebungen des Gauwirtschaftsberaters Hamburg, die in der Kunsthalle befindlichen Kunstwerke von Liebermann ins Ausland zu verkaufen, im »Interesse der Devisenwirtschaft«. Hierfür sollte der Verkauf durch das Propaganda- und Erziehungsministerium genehmigt und Preislisten erstellt werden. Der damalige Leiter der Hamburger Kunsthalle, Werner Kloos, gab über die Verwaltung für Kunst- und Kulturangelegenheiten zu verstehen, dass die Angebote aus dem Ausland bislang zu geringfügig 25 Der Liebermann-Saal der Hamburger Kunsthalle, 1924, Archiv Hamburger Kunsthalle seien und deshalb abgelehnt worden waren. Im Erziehungsministerium sei man zwar nicht gegen die Verkäufe eingestellt, man warne aber vor einer »Verschleuderung«. Aufgrund der Auktion »Entartete Kunst« in Luzern seien die Preise sehr niedrig »und dass vor allem die für Liebermann zu erzielenden Devisenwerte in keinem Verhältnis zum wirklichen Werte dieser Bilder stehen, selbst wenn sie in Deutschland nicht mehr ausgestellt werden können«.48 Ende März 1940 wandte sich die Galerie Gurlitt bzw. Wolfgang Gurlitt an die Hamburger Kunsthalle mit der Bitte, Fotos von den Werken Liebermanns zu schicken, die man nicht mehr im Bestand haben wollte und erneuerte diesen Wunsch am 15. Mai. Werner Kloos antwortete Anfang Juni 1940, dass er die »Absicht« habe, »gelegentlich einige gute Bilder von Liebermann zu vertauschen«, aber »die Liebermann-Sache« sei »zur Zeit sehr schwer vorwärts zu treiben aus dem primitiven Grunde, dass man nicht an die Bilder heran kann, die in tiefen Kellern schlummern müssen«.49 Doch dies war nur eine Ausrede von Kloos, denn er stand diesbezüglich bereits seit August 1940 in Verhandlungen mit dem Hamburger Kunsthändler Dr. Hildebrand Gurlitt.50 Zunächst ging es um drei Liebermann-Ölstudien zum Porträt des Bürgermeisters Burchard. Sie kehrten jedoch nach kurzer Zeit in die Kunsthalle zurück, denn Hildebrand Gurlitt fand wider Erwarten in den Nachfahren der Familie Burchard keine Interessenten.51 Nach diesem Misserfolg unternahm Hildebrand Gurlitt einen zweiten Versuch Liebermann-Werke zu erstehen und bot am 31. August 1940 der Hamburger Kunsthalle 32.000,00 RM für insgesamt sieben Ölgemälde, sechs Pastelle, zwei Porträts und zwei Porträtskizzen. Doch auch mit diesem Vorstoß hatte Gurlitt zunächst keinen Erfolg. Die Korrespondenz brach ab.52 38 Der Jesus-Skandal Offenbar nahm Kloos den Vorstoß Hildebrand Gurlitts zum Anlass, sich darüber klar zu werden, wie er mit dem Verkauf von Werken Liebermanns umzugehen habe. So hegte er die Überlegung, Die Netzflickerinnen ins Ausland zu verkaufen.53 In einem Schreiben an die Verwaltung für Kunst- und Kulturangelegenheiten, z. Hd. Herrn Senator Dr. Becker, berichtete Kloos von Gurlitts Angebot. Kloos führte aus, dass die Kunsthalle 60 Gemälde und Ölstudien von Liebermann besitze und durch Veräußerung oder Tausch einiger dieser Werke »deutsche Kunstwerke« bekommen könne. Er schilderte weiter, dass der Markt für Werke Liebermanns eher schlecht sei. 26 Der Liebermann-Saal der Hamburger Kunsthalle, Neuhängung 1935, Archiv Hamburger Kunsthalle »Liebermann ist deshalb heute fast nicht zu verkaufen«, folgerte er und schilderte das Angebot von Gurlitt, das er als »ausserordentlich günstig« bewertete. »Die Preise« seien »hoch, wenn sie natürlich auch nicht im mindestens die Preise erreichen, die Liebermann einst dafür erzielte«.54 Schließlich kam es zu einer Tauschvereinbarung mit dem Händler im März 1941. Die Kunsthalle trennte sich dabei von den Liebermann-Werken Jesus im Tempel, Wagen in den Dünen55, Beim Tischgebet56 und Polospieler57 (insgesamt berechnet mit 14.400,00 RM) und von dem Gemälde Flusslandschaft58 von Oskar Kokoschka (4.000,00 RM). Im Gegenzug erhielt die Kunsthalle vom Kunsthändler Hans Thomas Landschaft mit Regenbogen59 (16.000,00 RM) und Leopold von Kalckreuths Landschaft mit Heuschober 60 (4.000,00 RM).61 »Menschengalerie« – Das Sammlerpaar Glaubitz, Hamburg Nur knapp zwei Monate später notierte der Sammler Dr. Georg Glaubitz in sein Tagebuch: »Bei Gurlitt 7.5.41 abends Übernahme des tadellos erhaltenen 12 jährigen Jesus im Tempel, für 12 M. Bild ist verstaubt, Firnis teilweise eingeschlagen. Der Rahmen ohne Fehl passt gut. Riesiges Bild; zeigt schon stellenweise Krakelüren. Das Bild kam aus dem Safe, der für die Bilder der Kunsthalle eingerichtet war. Wir machten voller Freude noch einen Gang an die im beginnenden Frühlingsgrün liegende Alster.«62 »Es ist ein mächtiges Werk« 39 Dr. Georg Glaubitz war Allgemeinarzt und praktizierte in HamburgAltona auf dem Schulterblatt. Gemeinsam mit seiner Frau Katharina sammelte er seit den dreißiger Jahren bis zu seinem Tode vornehmlich Kunst mit Menschendarstellungen in der Absicht, eine »Menschengalerie«63 aufzubauen. Hierzu besuchte das Ehepaar die Galerien und hielt schriftlich mit diesen Kontakt, vor allem mit Berliner Kunsthändlern oder Kunsthandlungen. Einige wenige Verbindungen gab es nach München und zu Hamburger Kunstgalerien. Dem Schriftverkehr ist zu entnehmen, dass sich das Ehepaar vornehmlich für Kunst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts interessierte, besonders für die Werke von Lovis Corinth, Leopold von Kalckreuth, Wilhelm Leibl, Hans von Marées, Adolf Menzel, Carl Schuch, Max Slevogt, Johann Sperl, Hans Thoma und Wilhelm Trübner. Allerdings gab es auch hin und wieder Angebote für Werke Alter Meister. Tatsächlich bildeten Werke von vier Künstlern die Eckpfeiler der Sammlung. Nach heutigem Wissensstand hatte das Ehepaar Glaubitz zehn Arbeiten von Lovis Corinth, acht von Max Slevogt, fünf von Max Liebermann und vier von Wilhelm Trübner zusammengetragen. Flankiert wurden diese Arbeiten von denen weiterer Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts. Einige wenige Alte Meister, wie zum Beispiel die Anbetung eines Frankfurter Meisters oder eine Pieta eines Flämischen Meisters gesellten sich dazu. Die Rückkehr in die Hamburger Kunsthalle Kurz nach Kriegsende bemühte sich der damalige Direktor der Hamburger Kunsthalle, Carl Georg Heise, um die Rückerwerbung des Liebermann-Gemäldes.64 Allerdings musste er zunächst den Besitzer des Kunstwerkes ausmachen und feststellen, ob das Werk den Krieg auch unbeschadet überstanden hatte. Hierzu wandte er sich noch 1945 an Hildebrand Gurlitt. Dieser antwortete aus Aschbach (Kreis Bamberg) am 4. November 1945, dass er »nicht der Meinung [war] vier der »allerbesten Liebermanns« der Kunsthalle« 1941 erworben zu haben. Er berichtete, an wen er jeweils die Kunstwerke verkauft hatte, jedoch nicht immer mit Namensnennung. Zudem gab er zu verstehen, dass er den Zwölfjährigen Jesus im Tempel 40 Der Jesus-Skandal nicht gemocht habe.65 Einen Tag später informierte er den Sammler Glaubitz über Heises Anfrage und bat ihn, mit Heise in Kontakt zu treten und ihm eventuell das Kunstwerk als Leihgabe für die Kunsthalle zur Verfügung zu stellen.66 Heise formulierte seine Einschätzung der gesamten Angelegenheit gegenüber Gurlitt Ende November so: »Ganz so harmlos, wie Sie alles darstellen, ist die Sache aber nicht. Dass Sie persönlich die Darstellung des ›Zwölfjährigen Christus im Tempel‹ nicht besonders mögen, verstehe ich und teile Ihre Auffassung. Trotzdem bleibt für den Entwicklungsgang Liebermanns gerade dies Bild von ausserordentlicher Bedeutung. Die Kunsthalle, die Liebermann von allen Museen am ausführlichsten repräsentiert, muß auch auf dieses Hauptwerk der Münchener Zeit das größte Gewicht legen.«67 Gurlitt verteidigte sein Verhalten. Damals hätte man seine »Liebermann-Verkäufe« nicht gerügt. Es gab lediglich Unmutsäußerungen, da mehr Interesse an Liebermann-Werken bestand als zum Verkauf standen. Gurlitt fragte Heise: »War das damals wirklich falsch? Wer konnte wissen, wohin die Entwicklung ging und was die Regierung noch vorhatte? Erscheint es heute nicht fast als Vergesslichkeit oder Inkonsequenz, wenn die Nazis die Bilder von Liebermann nicht zusammen mit den Juden verbrannten? In guter Privathand waren die Bilder vor Zugriffen des Staates sicherer als im Museum.«68 Heise ging auf Gurlitts »Dialektik« nicht ein, betonte, dass es ihm als Leiter der Hamburger Kunsthalle daran gelegen sei, die Liebermann-Werke zurückzuerhalten und bat Gurlitt um konstruktive Mitarbeit, da der politische Druck in dieser Hinsicht zunehme und die Sache in Ordnung gebracht werden sollte.69 Schon im November 1945 hatte Heise in Erfahrung gebracht, dass das Werk bei Glaubitz in Hamburg war.70 Am zweiten Tag des Jahres 1946 wandte sich Heise direkt an den Sammler. Heise äußerte seinen Wunsch, das Werk für die Kunsthalle zurückzugewinnen und erkundigte sich, ob »ein unverbürgtes Gerücht« stimme, dass der Sammler seine Werke in die damalige russische Zone ausgelagert habe und das Liebermann-Gemälde dort zerstört worden sei.71 Ein Antwortschreiben von Glaubitz ist nicht überliefert. Am selben Tag schrieb Heise an Gurlitt und teilte ihm mit, dass der »Es ist ein mächtiges Werk« 41 Zwölfjährige Jesus im Tempel vermutlich in der russischen Zone zerstört worden sei.72 Dieser Kenntnisstand herrschte auch noch Mitte 1947 vor.73 Auch dem Nachfolger Heises, Alfred Hentzen, war es trotz seiner Bemühungen in den sechziger Jahren nicht vergönnt, das Werk für die Hamburger Kunsthalle zurückzugewinnen.74 Im Archiv der Hamburger Kunsthalle hat sich diesbezüglich kein Schriftverkehr erhalten. Allerdings korrespondierte Glaubitz hierüber mit dem Kunsthändler Franz Resch. Hentzen hatte offenbar versucht, Glaubitz zu einer Stiftung des Gemäldes anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Hamburger Kunsthalle zu bewegen. Resch bezeichnete dieses Ansinnen als »ziemlich anmassend« und offenbar schätzte auch Glaubitz dieses so ein.75 Erst mit dem Tod des Sammlers und dem Übergang des Werkes in die Erbengemeinschaft Glaubitz konnte das Bild zunächst als Leihgabe und schließlich durch die finanzielle Unterstützung der Kulturstiftung der Länder 1989 dauerhaft in die Hamburger Kunsthalle zurückkehren.76 1 2 3 4 5 6 7 8 9 42 Alfred Lichtwark, Briefe an die Kommission für die Verwaltung der Kunsthalle, XIX. Band, 1911, Hamburg 1919, S. 67f. Vgl. Matthias Eberle, Max Liebermann 1847 – 1935. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien 1865 – 1899, 2 Bde, Bd. 1, München 1995, S. 159. Bettina Brand, Fritz von Uhde. Das religiöse Werk zwischen künstlerischer Intention und Öffentlichkeit, Diss. Heidelberg 1978, S. 236, Anm. 101; Katrin Boskamp, Die ursprüngliche Fassung von Max Liebermanns: Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Ein christliches Thema aus jüdischer Sicht, in: Das Münster, Heft 1, 1993, S. 29 – 36, hier S. 31 u. S. 35 Anm. 13; Ulf Küster, Fritz von Uhde – Biographie, in: Dorothee Hansen (Hg.), Fritz von Uhde. Vom Realismus zum Impressionismus, Ostfildern-Ruit 1999, S. 192. Bei Birgit Pflugmacher, Max Liebermann – sein Briefwechsel mit Alfred Lichtwark, Diss., Hamburg 2001, S. 10, heißt es, Uhde habe das Werk von Liebermann geschenkt bekommen, die Gegengabe findet keine Erwähnung. S. 135, Anm. 567. Boskamp 1993, wie Anm. 3, S. 31. Küster 1999, wie Anm. 3, S. 192; siehe auch: Ausst.-Kat. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Max Liebermann in seiner Zeit, Berlin 1979, S. 402. Vgl. ebd. Otto Julius Bierbaum, Fritz von Uhde, München, Leipzig 1908, S. 40f. 1844, Öl/Lwd., 188 × 290,5 cm, Museum für bildende Künste Leipzig, Inv. Nr. 550. Fritz von Uhde. Vom Realismus zum Impressionismus, wie Anm. 3, S. 90 – 93. Der Jesus-Skandal 10 Karl-Heinz und Annegret Janda, Max Liebermann als Kunstsammler, in: Staatliche Museen zu Berlin. Forschungen und Berichte 15, 1973, S. 105 – 149, S. 108. 11 Richard Muther, Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert, München 1894, S. 633 und 703. 12 Fritz von Ostini, Uhde, Bielefeld u. a. 1902, (Künstler-Monographien, Bd. 61), S. 28. 13 Vgl. Helmut R. Leppien, Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann, Hamburg 1989, S. 22. 14 Archiv Hamburger Kunsthalle (AHK): Liebermann-Akte. Schreiben von Schulte an Pauli, Kunsthalle Bremen, 31.3.1911. Diese Akte entstand bei der Erstellung der Publikation »Max Liebermann. Des Meisters Gemälde« (Klassiker der Kunst, Bd. 19), Stuttgart 1911 durch Gustav Pauli. 15 Zur Kunsthandlung vgl. Sabine Meister, Die Vereinigung der XI – die Künstlergruppe als Keimzelle der organisierten Moderne in Berlin. Freiburg 2007, S. 101 – 107. 16 Nicolaas Teeuwisse, Vom Salon zur Secession, Berlin 1986, S. 126 und Verena Tafel, Kunsthandel in Berlin vor 1945, in: kunst konzentriert. Berliner Kunstblatt, Sonderheft 1987, S. 195 – 225, hier S. 197 und 200. 17 Richard Graul, die XI, in: Pan 2, 1896/97, Heft 1, S. 50, zitiert nach Meister 2007, wie Anm. 15, S. 94. 18 Teeuwisse 1986, wie Anm. 16, S. 288; Tafel 1987, S. 200. 19 Meister 2007, wie Anm. 15, S. 92. 20 Walter-Ris 2000, S. 27f. Ausführlich zur Künstlergruppe vgl. Meister 2007, wie Anm. 15. 21 Pflugmacher 2001, wie Anm. 3, S. 331 und 334. Brief von Lichtwark an Liebermann, 31.5.1911 und Brief von Liebermann an Lichtwark vom 5.6.1911. 22 Küster 1999, wie Anm. 3, S. 194. 23 Brand-Claussen 1999, S. 28; Küster 1999, wie Anm. 3, S. 195. 24 Fritz von Uhde. Vom Realismus zum Impressionismus 1999, S. 6, und Küster 1999, S. 197, wie Anm. 3. 25 Alfred Lichtwark, Brief an die Kommission für die Verwaltung der Kunsthalle, XIX. Band, 1911, Hamburg 1919, S. 67f. 26 Ebd. 27 AHK: Lichtwark Briefe. Kasten 114. Brief von Schulte an Lichtwark, 26.4.1911. 28 Ebd., Brief von Lichtwark an Schulte, 29.4.1911; Lichtwark 1919, wie Anm. 25, S. 73. 29 Ebd., Brief von Schulte an Lichtwark, 1.5.1911. 30 Lichtwark 1919, wie Anm. 25, S. 79. 31 Ebd., S. 83. Bei der genannten Auktion handelte es sich um die Sammlung von L. Laroche-Ringwald aus Basel, die Gemälde neuzeitlicher Meister umfasste und am 29.11.1910 in der Kunsthandlung Eduard Schulte in Berlin stattfand. 32 Ebd., S. 81f. 33 AHK: Lichtwark Briefe. Kasten 114. Brief von Lichtwark an Schulte, 24.5.1911. 34 Pflugmacher 2001, wie Anm. 3, S. 370. 35 AHK: Lichtwark Briefe. Kasten 114. Brief von Lichtwark an Schulte, 3.6.1911. 36 Ebd., Brief von Schulte an Lichtwark, 5.6.1911. 37 AHK: 1911 Ausbildung und Vermehrung der Sammlungen, Bl. 7. Vgl. Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1923, S. 139. Hancke irrt wenn er meint, Lichtwark habe das Bild direkt aus dem Nachlass Uhdes erworben. 38 Pflugmacher 2001, wie Anm. 3, S. 336, 338, Lichtwark, Brief an Liebermann, 19.6.1911 und 22.6.1911. »Es ist ein mächtiges Werk« 43 39 Lichtwark 1919, wie Anm. 25, S. 83. 40 Der Ankauf wurde durch Gustav Diedrichsen ermöglicht. Pflugmacher 2001, wie Anm. 3, S. 373, Lichtwark an Liebermann, 21.3.1912; ebd., S. 376, Lichtwark an Liebermann, 28.3.1912; ebd., S. 380, Liebermann an Lichtwark 5.4.1912. 41 Ebd., S. 370. Lichtwark an Liebermann, 17.3.1912. Liebermanns Antwort, S. 371, Liebermann an Lichtwark, 17.3.1912; ebd., S. 373, Lichtwark an Liebermann, 21.3.1912. 42 1851, Pastell und Gouache auf Papier, 43 × 58 cm, Inv. Nr. 1265, Provenienz: Sammlung Otto Krigar-Menzel, Berlin, 1911. AHK: 1911 Ausbildung und Vermehrung der Sammlungen, Bl. 2. 43 Pflugmacher 2001, wie Anm. 3, S. 381, Lichtwark an Liebermann, 6.4.1912. 44 Ebd., Lichtwark an Liebermann, 7.4.1912. 45 Hans-Werner Schmidt, Die Hamburger Kunsthalle in den Jahren 1933 – 1945, in: Verfolgt und Verführt. Kunst unterm Hakenkreuz in Hamburg, Hamburg 1983, S. 50 – 67, S. 54. Leppien 1989, wie Anm. 13, S. 25. 46 Altes Landhaus in Hamburg, 1902, Öl/Lwd., 71 × 66 cm, ehem. Inv. Nr. 1599. Kartothek der ausgeschiedenen und getauschten Bilder; Eberle 1996, 1902/10, S. 592. 47 1765, Öl /Lwd., 146 × 112,2 cm, Inv. Nr. 676. 48 AHK: Slg. 622, Verkäufe von Gemälden 1929 – 1944, Bl. 7 – 13, 15, 17 – 20, hier besonders 20. 49 Galerie Gurlitt an Kloos, 27.3.1941. Aus AHK: Slg 1 – Ankäufe für die Galerie 1940/45, Bl. 143; Slg. 18, Erwerbung v. Sammlungsgegenständen durch Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 97, 98, 103 – 106. Wolfgang Gurlitt, Leiter der Galerie Gurlitt, war der Cousin von Dr. Hildebrand Gurlitt. 50 AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 118. 51 Ebd., Bl. 114 – 117. 52 Ebd., Bl. 113. Es handelt sich um die Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, Wagen in Dünen, Beim Tischgebet, Polospieler, Bei Jacob, Uhlenhorster Fährhaus und Wannseelandschaft im Frühling, die sechs Pastelle und kleineren Ölbilder Zimmer bei Jacob, Kirchenallee in Hamburg, Holländische Dorfecke, Polospieler, Regen an der Elbe nach eigener Wahl und Holländische Dorfecke, die zwei Porträts Richard Dehmel und Petersen und schließlich zwei Porträtskizzen nach eigener Wahl. 53 AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 111. 54 Ebd., Bl. 108 – 110. Das Schreiben ist vollständig zitiert bei Carl-Wolfgang Schümann: Max Liebermann in seiner Zeit. Zu der in Berlin, München und Den Haag gezeigten Ausstellung, in: Kunstchronik, Jg. 33, Heft 11, 1980, S. 414 – 418, 44 Der Jesus-Skandal 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 hier S. 417 – 418. Schümann vergaß das Zitat zu belegen. Auch datiert Schümann das Schreiben auf den 1.2.1941, dies ist das Datum für die Wiedervorlage. Das Originalschreiben, in der Akte sind nur zwei Abschriften erhalten, muss vor dem Februar 1941 verfasst worden sein. 1899, Öl/Lwd., 49,5 × 64,6 cm, Inv. Nr. 1588. Das Werk wurde im Januar 1951 von Dr. Hildebrand Gurlitt zurück geschenkt. AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 86. Ostfriesische Bauern beim Tischgebet, 1890, Öl/Lwd., 1890, 93 × 11 cm, ehem. Inv. Nr. 1581. Siehe Eberle, Bd. 1, 1995, S. 356. 1903, Öl/Lwd., 1903, 71 × 102 cm, ehem. Inv. Nr. 1584. Siehe Eberle, Bd. 2, 1996, S. 606. Alternativer Titel: Blick auf Florenz, Florenz, Arno-Ufer, 1925, Öl/Lwd., 69,5 × 99 cm, ehem. Inv. Nr. 2381. 1916, Öl/Holz/Malpappe, 51 × 60,5 cm, ehem. Inv. Nr. 2762. Die Hamburger Kunsthalle versteigerte das Werk am 30.10.1956 beim Stuttgarter Kunstkabinett Ketterer. 1900, Öl/Lwd., 117,5 × 165 cm, Inv. Nr. 2763. Schriftverkehr zum Tausch in AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 × 17, 1940 – 1949, Bl. 87 – 93, 95, 103; Kartothek der ausgeschiedenen und getauschten Bilder; Bundesarchiv Koblenz B 323, 369. Privatarchiv Erben Glaubitz. AHK: NL Glaubitz, Briefwechsel div. Kunsthändler, Bl. 47. Leppien 1989, wie Anm. 13, S. 26. AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8-17, 1940 – 1949, Bl. 86. AHK: NL Glaubitz, Briefwechsel div. Kunsthändler, Bl. 31. AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 81, Heise an Gurlitt, 26.11.1945. Ebd., Bl. 80, Gurlitt an Heise, 29.2.1945. Ebd., Bl. 75, Heise an Gurlitt, 9.1.1946. Ebd., Bl. 81, Heise an Gurlitt, 26.11.1945. AHK: NL Glaubitz, Briefwechsel Nicolai, Teil I, div. Kunsthändler & Museen, Bl. 46; Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 81, Heise an Gurlitt, 26.11.1945. AHK: Slg. 18, Tausch Nr. 8 – 17, 1940 – 1949, Bl. 97. Ebd., Bl. 68. Leppien 1989, wie Anm. 13, S. 26. AHK: NL Glaubitz, Mappe Resch. Resch an Glaubitz, 16. Juni 1969. Leppien 1989, wie Anm. 13, S. 26. »Es ist ein mächtiges Werk« 45 27 Max Liebermann, Entwurf zum zwölfjährigen Jesus im Tempel, 1879, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 17 46 Der Jesus-Skandal 28 Max Liebermann, Kompositionsskizze in etwas anderer Fassung als die ausgeführte (Studie zum Gemälde Jesus im Tempel), 1878, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 7 »Es ist ein mächtiges Werk« 47 29 Max Liebermann, Studien und Skizzen zum Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, o. J. (1876), Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken · Kat-Nr. 4 30 Max Liebermann, Skizzen zu dem Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, o. J. (1876), Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken · Kat-Nr. 5 48 Der Jesus-Skandal 31 Max Liebermann, Vorstudie zu dem stehenden Alten auf der Kompositionsskizze, 1878 – 1879, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 13 »Es ist ein mächtiges Werk« 49 32 Max Liebermann, Studie zu dem stehenden Mann auf der Kompositionsskizze, 1878 – 1879, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 11 50 Der Jesus-Skandal 33 Max Liebermann, Studie zu dem Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1878, Düsseldorf, museum kunst palast, Graphische Sammlung · Kat.-Nr. 9 »Es ist ein mächtiges Werk« 51 34 Max Liebermann, Studie zu einem Schriftgelehrten, 1879, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 16 52 Der Jesus-Skandal 35 Max Liebermann, Vorstudie zu dem Jesus gegenüber sitzenden Alten, 1878 – 1879, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 12 »Es ist ein mächtiges Werk« 53 36 Max Liebermann, Studie zum Jesusknaben, 1878, Thomas LeClaire Kunsthandel, Hamburg · Kat.-Nr. 8 54 Der Jesus-Skandal 37 Max Liebermann, Studie zum Jesusknaben, 1879, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 15 »Es ist ein mächtiges Werk« 55 38 Max Liebermann, Studie zu einem Mann mit Gebetsschal, 1878 – 1879, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 14 56 Der Jesus-Skandal 39 Max Liebermann, Studie zu dem Jesus gegenüber sitzenden alten Mann, 1878, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 6 40 Max Liebermann, Studie zu Der zwölfjährige Jesus im Tempel, o.J., Verbleib unbekannt 00 BU folgt 41 Max Liebermann, Studie zu Der zwölfjährige Jesus im Tempel, o.J., Verbleib unbekannt »Es ist ein mächtiges Werk« 42 Max Liebermann, Studie zu Der zwölfjährige Jesus im Tempel, o.J., Verbleib unbekannt 57 Martin Faass und Henrike Mund Sturm der Entrüstung Kunstkritik, Presse und öffentliche Diskussion »Daß der deutsche Kaiser bei seiner jüngsten Durchreise nicht einen kurzen Abstecher in die Kunstausstellung gemacht hat, ist allgemein aufgefallen; nun, vielleicht holt Se. Majestät den Besuch bei der Gelegenheit der Rückreise nach, …«1 Dabei hätte der Monarch als Leihgeber wichtiger Bilder guten Grund gehabt, die Ausstellung zu besuchen. Doch ließen ihm seine Reisepläne, die ihn von Lindau über München nach Salzburg führten, offensichtlich keine Zeit, die feierliche Eröffnung der zweiten Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast mit seiner Gegenwart zu beehren. Es waren auch so genügend Ehrengäste, die am 19. Juli 1879 zur Eröffnung in das prachtvoll ausgestattete Ausstellungshaus kamen: die bayerischen Minister, die Mitglieder des diplomatischen Corps und die Mitglieder beider Kammern des Landtages, die Chefs der obersten Hofund Landesstellen sowie die Spitzen der Militär- und Zivilbehörden, »alle in großer Uniform«.2 Nach einer kurzen Rede über die Bedeutung und Aufgabe der Ausstellung richtete Akademieprofessor Wilhelm Lindenschmit das Wort an den Prinzregenten Luitpold und bat ihn, in Stellvertretung des Königs, des eigentlichen Schirmherrn und Förderers, die Ausstellung zu eröffnen, was seine Königliche Hoheit mit kurzen Worten des Dankes tat. Das Ereignis ging durch alle regionalen und überregionalen Tageszeitungen des Deutschen Reiches,3 denn bei der Ausstellung im Münchener Glaspalast handelte es sich um den ehrgeizigen zweiten Versuch Münchens, an die großen Weltausstellungen in London und Paris anzuknüpfen und sich durch eine erfolgreiche Durchführung der Veranstaltung in den vordersten Rängen der internationalen Kunstszene zu platzieren. Für 80.000 Reichsmark hatte man in nur wenigen Wochen in den kahlen, schmucklosen Räumen des Glaspalastes »ein geweihtes Inneres geschaffen, wie es die Würde der Kunst erheischt«.4 Als zentraler Raum empfing den Besucher eine monu- 43 Münchener Glaspalast, um 1860 – 70 59 44 Internationale Kunstausstellung, Hauptvestibül, München 1879 45 Internationale Kunstausstellung, Das Vestibül, München, 1879 60 mentale Kuppelhalle im Stile der Renaissance, deren Kuppelwände mit Brustbildern der berühmtesten Künstler verziert waren. In der Mitte stand ein prächtiger Brunnen, um ihn herum ein aufwendiges Arrangement aus Ziersträuchern, Palmen und Skulpturen, aus dem eine kolossale Büste König Ludwigs II. hervorragte. Große SäulenPortale mit gesprengten Giebeln und Wappenkartuschen führten zu den angrenzenden Ausstellungshallen, die ihrerseits mit Brunnen, Skulpturen und Gobelins reich geschmückt waren. Sinn und Zweck der von König Ludwig II. zum ersten Mal 1869 ins Leben gerufenen Ausstellung war es, die aktuelle deutsche bzw. Münchener Kunst im internationalen Vergleich zu präsentieren, ihren gegenwärtigen Stand zu ermitteln und sie in dem für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts so charakteristischen Wettbewerb der Nationen zu fördern und zu stärken. Was die Künstler angeht, so war eine Teilnahme an der Internationalen Kunstausstellung bei den meisten sehr begehrt, denn sie konnte sowohl Ruhm – vor allem in Form der von der bayerischen Staatsregierung verliehenen goldenen Medaille – als auch ein lukratives Der Jesus-Skandal Geschäft durch den Verkauf des eingereichten Werkes bedeuten. Für eine Teilnahme mussten die Künstler zunächst vom Ausstellungskomitee, das von der Münchener Künstlergenossenschaft und der Akademie der bildenden Künste für die gesamte Organisation der Veranstaltung einberufen wurde, zur Bewerbung eingeladen werden. Erst dann wurden die Teilnehmer von einer Jury ausgewählt.5 Die unglaubliche Menge der ausgestellten Bilder, es waren allein 1157 Gemälde zu sehen, macht es heute schwer, ein klares Ausstellungsprogramm zu erkennen, dennoch ist anhand des Ausstellungskataloges ein deutliches Übergewicht von monumentalen Werken mit historischen Themen und nationaler Tendenz zu erkennen. Eines der »Sensationsbilder«6 der Ausstellung war Die Proklamation des Deutschen Kaisers von Anton von Werner (Abb. 48), das den Gründungsakt des Deutschen Kaiserreiches nach Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges 1871 in der Spiegelgalerie des Versailler Schlosses darstellt. Das kolossale Bild mit den Ausmaßen 4,3 × 7,3 Metern war vom preußischen Kronprinzen und dem Herzog von Baden als Geschenk zum 80. Geburtstag des Kaisers in Auftrag gegeben und für den weißen Saal des Berliner Schlosses konzipiert worden. Von dort kam es als Leihgabe seiner Majestät in die Ausstellung nach München und wurde im Saal IV als Mittelpunkt eines regelrechten Schlachtensaales inszeniert, umgeben von Werken von Wilhelm Camphausen, Emil Hünten, Franz Adam und anderen, die die deutschen Siege im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und seine Protagonisten feierten. Camphausen war mit einem überlebensgroßen Reiterporträt Kaiser Wilhelms I. vertreten, das ebenfalls aus kaiserlichem Besitz stammte, während von Franz Adam ein Bild der Sedan-Schlacht und Das 1. bayerische Armee-Corps bei der Einnahme von Orleans zu sehen waren. Der Saal IV mit seinem künstlerischen Säbelrasseln war so national ausgerichtet, dass liberale Kommentatoren wie Max Nordau darin einen Affront gegen die eingeladenen französischen Künstler sahen.7 Sowohl durch die Auswahl der Werke als auch durch die Beteiligung fürstlicher Leihgeber hatte die deutsche Abteilung, die etwa die Hälfte der gesamten Ausstellungsfläche einnahm, eine deutlich nationalkonservative und akademische Prägung. In diesen Kontext hätte auch ein anderes Sensationsbild gepasst, um das sich das Komitee lange bemüht hatte: das Wand füllende, seinerzeit vielbesprochene Gemälde Das Einreiten von Karl Sturm der Entrüstung 46 Katalog der Internationalen KunstAusstellung zu München, Titelblatt, 1879 47 Internationale Kunstausstellung in München, Innenraum, 1879 61 48 Anton von Werner, Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles, 1877, ehemals Berliner Stadtschloss, Kriegsverlust V. in Antwerpen von Hans Makart. Doch da es der Ausstellung nur gegen einen Mietpreis von 5.000 Mark zur Verfügung gestanden hätte, entschied man sich schließlich schweren Herzens gegen eine Ausleihe. In diesem Zusammenhang musste Liebermanns Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel einfach auffallen. Liebermanns Gemälde fand seinen Platz im Saal VI, der in dem vom Ausstellungsführer vorgeschlagenen Rundgang der vierte in einer schier endlosen Folge von insgesamt 64 Sälen war. Hier hing es zusammen in einer bunten Mischung von Gemälden unterschiedlicher Genres, bayerischen und holländischen Landschaften, Seestücken, bäuerlichen Genreszenen, Porträts, Veduten italienischer Städte und Historienbilder, die in zwei Reihen, dicht an dicht die Wände pflasterten. Doch schon der Ausstellungsführer macht deutlich, dass Liebermanns Werk aus der Vielzahl der Bilder hervorstach. Ihm widmete er eine halbe Seite, während von den übrigen Gemälden in der Regel nur der Titel genannt ist. Zu Liebermanns Werk heißt es unter anderem: »Das Bild hat nicht wenig von sich reden gemacht, – nicht etwa ob seines Kunstwerthes.«8 Wie Max Liebermann später in einem Brief an Alfred Lichtwark schrieb (siehe S. 144 – 149), machte das Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel ihn bei einer Reihe Münchener Künstler sofort 62 Der Jesus-Skandal 49 Max Liebermann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1879 (Eberle 1879/3), Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 3 berühmt. Noch am selben Tag, an dem das Werk von der Jury akzeptiert worden war, hatte er abends in der Künstlergesellschaft Allotria, zu der die damals führenden Künstler Lorenz Gedon, Franz von Lenbach und Michael Wagmüller gehörten, herzliche Aufnahme gefunden. Heinrich von Zügel, der an der Ausstellung mit zwei Tierstücken beteiligt war, habe zu ihm gesagt, »daß seit 50 Jahren kein solch’ Meisterwerk in München gemalt sei«9, und Lorenz Gedon habe ausgerufen: »Hier kommens her! Einer der so ein Bild gemalt hat wie Sie, gehört zu uns!«10 Eine solche Anerkennung sollte ihm durch die breite Öffentlichkeit und die Presse allerdings nicht zuteil werden. Tatsächlich erregte das Werk bereits auf der Ausstellungseröffnung großes Aufsehen. Zu den Vorkommnissen am Eröffnungstag liegen zwei Berichte vor. Von Erich Hancke wissen wir, dass der Prinzregent das Werk bei einem ersten Rundgang durch die Ausstellung von seinem ursprünglich guten Platz in ein Nebenkabinett hängen ließ.11 Hans Ostwald hingegen hat überliefert, dass das Werk Sturm der Entrüstung 63 aufgrund des Missfallens der katholischen Geistlichen höher, in der zweiten Reihe, angebracht wurde.12 Beide Liebermann-Biografen bezogen ihre Informationen vom Künstler selbst, sodass die Abweichung unverständlich bleibt. Welche der Versionen zutreffend ist und ob das Bild überhaupt umgehängt wurde, lässt sich heute nicht mehr sagen. Sicher ist nur, dass das Werk in der Ausstellung verblieb und in allen heute noch erhaltenen Katalogen zur Ausstellung im Saal VI verzeichnet ist.13 Die Ablehnung des Gemäldes durch den Prinzregenten und die königliche Familie mag insbesondere die bayerischen Blätter zu negativer Berichterstattung angefeuert haben. Aber auch die überregionale Presse war fast einhellig entsetzt von Liebermanns Bild und widmete ihm ausführliche Verrisse. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die moderne, realistische Bildauffassung Liebermanns und ließ in ihren Argumenten immer wieder Antisemitismus offen zu Tage treten. Zum besseren Verständnis der damaligen Kritik gilt es zu bedenken, dass sie in einer Zeit formuliert wurde, als der moderne Realismus die überkommene »idealistische« Kunstauffassung radikal in Frage stellte. Die neue, vom französischen Realismus beeinflusste Kunstrichtung fand ihre Themen in der Natur und der Alltagswelt und setzte den riesigen Cartons und Zeichnungen zu Historien- und Schlachtengemälden eine an der Alltagswirklichkeit orientierte Kunst entgegen. Daher wurde den Malern des modernen Realismus, die es in die GlaspalastAusstellung geschafft hatten, mit dem allergrößten Unverständnis begegnet: »Die große Masse der Künstler […] ist ohne höheren Schwung der Phantasie; bloß das Alltägliche zieht sie an und nur dieses stellen sie dar ohne jegliche ideale Auffassung, in der abschreckendsten Gewöhnlichkeit«.14 Mit dieser kritischen Meinung stand der Bayerische Landbote keineswegs allein dar. Selbst Reinhold Schlingmann vom Berliner Tageblatt, der der neuen Kunstrichtung aufgeschlossen gegenüberstand, warnte vor dem Einzug der »Versimpelung«, »Trivialität« und »Rohheit«15. Ablehnung gegenüber der neuen realistischen Kunst hatte der junge Liebermann schon einige Jahre zuvor erfahren, als er 1872 mit dem Gemälde Die Gänserupferinnen (Abb. 50) an die Öffentlichkeit trat. Das Gemälde, an dem Liebermann über Monate gearbeitet hatte, zeigt eine Gruppe Gänse rupfender Frauen in einem dunklen Schuppen. Der einfache Raum mit rohem Dielenboden ist 64 Der Jesus-Skandal 50 Max Liebermann, Gänserupferinnen, 1872 (Eberle 1872/1), Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie nur durch ein kleines Fenster und eine Stalllaterne erleuchtet. Es war das erste Bild, in dem Liebermann so dezidiert das harte und entbehrungsreiche Leben auf dem Lande zum Thema gemacht und dabei auf historische oder literarische Bezüge vollkommen verzichtet hatte. Schon damals reagierte die Kritik empört: »Liebermann’s Gänserupferinnen, ein Gemälde, worin die abschreckendste Häßlichkeit in unverhüllter Abscheulichkeit thront, kann durch die virtuose Technik nicht für die gänzlich unberücksichtigt gebliebene, nicht durch den leisesten Anflug von Humor vertretende Ästhetik entschädigen.«16 Auch in einer anderen Besprechung wurde der Künstler vor allem für die Motivwahl gerügt: »Das Aufsuchen des widerlichst Abscheulichen, was es an rohen, verkümmerten, durch angeborene, von Arbeit und Alter großgezogene Häßlichkeit entstellten und verhuntzen Menschenbildern, speziell alten Dorfweibern in aller Welt nur geben mag, ist eine ganz eigentümliche Neigung.«17 Nach der damals herrschenden Vorstellung hatten die schönen Künste sich dem Schönen, Idealen und historisch Bedeutsamen zu- Sturm der Entrüstung 65 zuwenden. Es war eine auf Motiv- und Darstellungsform bezogene Ästhetik, die das Schöne, d. h. die durch Ebenmaß, Proportion und ikonografische Muster geadelte Erscheinung, als das Wahre verstand und die Mühsal des Lebens oder den Alltag mit der Kunst nicht in Verbindung bringen konnte. In dieser Auffassung befangen war es für Kritik und Ausstellungspublikum unmöglich, die künstlerische Leistung unabhängig von Motivwahl und klassizistischer Form zu denken. Es bedurfte noch fast eines ganzen Künstlerlebens, um dem radikalen Gedanken Liebermanns: »die gut gemalte Rübe ist ebenso gut wie die gut gemalte Madonna« zum Durchbruch zu verhelfen. Daher konnte 1872 das Gemälde der Gänserupferinnen nur als Herabwürdigung des vom Künstler nicht beachteten Schönen und Wahren, d. h. letztlich der Kunst an sich aufgefasst werden. Diesem Reaktionsmuster folgend, sollte sieben Jahre später die Kritik an Liebermanns Der zwölfjährige Jesus im Tempel um Vieles schärfer ausfallen, da die Darstellung des im Verständnis der Zeit AlltäglichHässlichen sich hier in unerhörter Weise mit einem christlichen Bildsujet verband. Hier war nicht mehr nur das Schöne und Wahre Gegenstand der respektlosen Herabwürdigung, hier stand die christliche Religion selbst auf dem Spiel. Man bedenke, dass die Darstellung von orthodoxen Juden im liturgischen Gewand, insbesondere solcher, die man mit den aus dem Osten zuwandernden Juden in Verbindung bringen konnte, damals für mindestens ebenso unwürdig gehalten wurde wie die Darstellung der von Alter und Arbeit gezeichneten Frauen. Im Grunde genommen standen sie in der Skala der sozialen Achtung sogar noch deutlich unter diesen. In seiner Rückschau auf die Internationale Kunstausstellung fasste Adolf Rosenberg zusammen: »Die heilige Geschichte ist für die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts ein für alle Male aus dem Dogmatischen und Uebersinnlichen in das rein Menschliche übersetzt worden; doch ist das religiöse Gefühl der großen Menge noch nicht so weit abgestumpft […], als daß das schmähliche Pasquill des Münchener Rhyparographen [Schmutzmaler, Anm. d. Verf.] Max Liebermann ›Christus im Tempel‹ […] nicht allseitig mit Entrüstung zurückgewiesen worden wäre.«18 Tatsächlich sahen viele Kritiker in Liebermanns Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel die Grenze zur Blasphemie deutlich überschritten. Die Verrisse waren zahlreich. Eine der ersten schrift- 66 Der Jesus-Skandal 51 Grundriss der Internationalen Kunstausstellung in München, 1879 lichen Schmähungen war die des damals berühmten Kunstkritikers Friedrich Pecht, der in der Allgemeinen Zeitung schrieb: »gibt uns Liebermann in Christus den häßlichsten, naseweisen Juden-Jungen, den man sich denken kann, und die Rabbiner, die doch als echte Orientalen sicher ihre Haltung zu wahren wußten, als ein Pack der schmierigsten Schacherjuden wieder. Das Bild beleidigt nicht nur unser Gefühl, sondern selbst unsere Nase, indem es ihr alle möglichen widrigen Erinnerungen hervorruft.«19 Pecht sah auf Liebermanns Gemälde nicht nur jeden idealistischen Zug weggelassen, sondern auch den Realismus so weit getrieben, dass jedes christlichreligiöse Gefühl beim Anblick der Darstellung nicht nur unmöglich, sondern sogar verletzt werden musste. Seinem »beleidigten Gefühl« machte er dabei in einer Reihe abwertender Äußerungen Luft, die einen nicht zu überhörenden antisemitischen Unterton hatten. Dass Pechts Vokabular – von »häßlich« über »naseweis« bis zum »Pack der schmierigsten Schacherjuden« – nicht nur beschreibend, sondern geradezu judenfeindlich war, wird deutlich, wenn man sich die Kritik von Max Nordau, dem späteren Begründer der Zionistischen Weltorganisation, ansieht. In vergleichsweise milden Worten beschrieb er Jesus und die Schriftgelehrten: »ein ungewaschenes, rothaariges Judenjüngelchen, das spitzfindig disputiert und die halb überraschten, halb entzückten, aus der erstbesten Börse geholten, Sturm der Entrüstung 67 52 Durchschnitt der Ausstellungsräume der Internationalen Kunstausstellung in München, 1879 und antik verkleideten Alten durch seine frühreife Klugheit in Atem hält.«20 Mal mehr, mal weniger hart in der Wortwahl griffen die Kritiker damals Liebermanns Darstellungsweise an.21 Die meisten waren sich im Urteil der Verletzung des religiösen Anstands einig und scheuten auch nicht davor zurück, den Künstler persönlich anzugreifen. Von »Ryparograph«22 bis »Stümper«23 wurde Liebermann beschimpft, und sogar der von den Gebrüdern Reichel in Augsburg gedruckte Ausstellungsführer, der den Besuchern als Leitfaden durch die Ausstellung an die Hand gegeben wurde, sparte nicht mit Kritik: »Den Unterschied zwischen wissenschaftlicher Kritik und künstlerischer Darstellung, zwischen philosophischer Deduction und frecher Verhöhnung zu begreifen, dazu gehört eben mehr feines Tactgefühl (von künstlerischem Sinne gar nicht zu reden), als der Maler ›auf Lager zu haben scheint‹.«24 Nicht unerwähnt bleiben darf, dass es eine Reihe an Stimmen gab, die den Künstler wegen seiner Religionszugehörigkeit beleidigten. So bemerkte ein anonymer Leserbriefschreiber des Bayerischen Landboten: »Sie dürfen nicht vergessen, daß der Maler ein Jude ist und die Juden durch die karrikaturhafte Darstellung das zu ersetzen suchen, was ihnen an Sinn für Farben und wirkliche Schönheit mangelt.«25 Vor allem von katholischer Seite wurde laut angeprangert: »daß ein Jude gewagt hat, seinen christlichen Mitbürgern solche Verhöhnung ihres Heilands öffentlich ins Gesicht zu schleudern.«26 68 Der Jesus-Skandal Die geifernde Kritik sollte während der gesamten Laufzeit der Ausstellung nicht verstummen, und noch im Januar 1880 befasste sich der Bayerische Landtag in einer zweitägigen Debatte mit der Angelegenheit, als er den Staatsbeitrag zur Ausstellungsfinanzierung von 8.600 Mark bewilligte (siehe S. 150f.). In der Diskussion über diesen Beitrag ergriff der Abgeordnete Dr. Daller das Wort, um ausführlich über das Ärgernis mit dem Liebermann-Bild zu berichten, über das er schon im Ausschuss Kunstförderung gesagt habe, dass »von einer künstlerischen Bedeutung nicht die Rede sein könne, dass dagegen der erhabene göttliche Gegenstand dieses Bildes in einer so gemeinen und niedrigen Weise dargestellt ist, dass jeder positiv gläubige Christ sich durch dieses blasphemische Bild auf’s Tiefste beleidigt fühlen mußte«.27 Am Ende seiner Rede drückte er die Hoffnung aus, »dass die Künstlergenossenschaft [die für die Bildauswahl verantwortlich war, Anm. d. Verf.] die religiöse Überzeugung des Volkes künftighin achtet und nicht mehr so rücksichtslos beleidigt«. Andere Abgeordnete forderten, »den Herren Juroren eine Geschäftsordnung oder Instruction aufzuoctruieren«28, um solche Ärgernisse zukünftig zu verhindern. Jüdische Zeitungen wie die Allgemeine Zeitung des Judenthums schalteten sich offensichtlich nicht in die publizistische Auseinandersetzung um das Liebermann-Bild ein, gehörte doch die Berichterstattung über bildende Kunst und deren Ausstellungen nicht in ihr Ressort. Erst als die antisemitische Diskussion mit Heinrich von Sturm der Entrüstung 69 Treitschkes Rede Unsere Aussichten vom 15. November 1879 auf die universitäre Ebene gehoben wurde und damit eine neue politische Qualität erreichte, sahen sich auch die jüdischen Zeitungen zu Reaktionen herausgefordert. Die einzige jüdische Stimme im Zusammenhang mit dem Liebermann-Bild scheint neben dem Artikel von Max Nordau eine Glosse im Berliner Börsen Courier vom 3. 8.1879 zu sein, worin ein anonymer Autor unter der Rubrik »Der Reporter« einen Gerichtsprozess schildert, in dem sich Max Liebermann für sein Gemälde verantworten muss. Dabei überspitzt er Argumente der Kritik bis zur Karikatur und entlarvt den Prozess, den so mancher Eiferer sich gewünscht haben dürfte, als bierseligen Traum eines bayerischen Wirtshausbesuchers (Text siehe S. 78, 83 – 87). Nach Einschätzung von Chana Schütz handelt es sich bei diesem bisher unbekannten Dokument um ein frühes Beispiel selbstbewusster jüdischer Publizistik, die in ihrer Brillanz nahezu Tucholsky’sche Qualität hat (siehe hierzu S. 79 – 82). Der Artikel war in seiner Tendenz so provozierend, dass sich der Hofprediger Adolf Stöcker in seiner antisemitischen Rede vom 19. September 1879, in der er gegen den vermeintlichen Hass der »Judenpresse«29 eiferte, dazu äußerte.30 Dabei erregte sich sein Zorn vor allem an der Beschreibung des Jesusknaben als jüdischem Israeliten. »Bedenken Sie meine Herren von Israel«, rief er zeternd dem Autor und seinen Kollegen zu, »dass uns Christus gerade so heilig ist, wie Ihnen Jehova, und Sie müssen unseren Zorn, anstatt zu verdammen, ehren und anerkennen. Wie aber die Berliner Witzblätter, lauter jüdisches Geschmeiß, die christlichen Dinge verhöhnen und verspotten, oft in einer einzigen Nummer drei, vier Mal, weiß jeder, der die verderblichen Blätter liest.«31 Es scheint wegen dieses Artikels tatsächlich ein Gerichtsverfahren gegen den Berliner Börsen Courier angestrengt worden zu sein, was insbesondere in Bayern mit großer Genugtuung registriert wurde: »Die Kränkung unseres religiösen Gefühls scheint gesühnt zu werden. Gegen den Berliner Börsen Courier, der das cynische Bild des Juden Liebermann, welches die hiesige Ausstellung schändet, in fast noch cynischerer Weise besprochen hatte, ist [...] eine Untersuchung wegen Gotteslästerung eingeleitet worden. Das Bild selbst, nichts anderes als eine gemalte Gotteslästerung, hängt noch immer zum Ekel und Widerwillen aller Beschauer [...] zudringlich an seinem Platz.«32 70 Der Jesus-Skandal Und Prinzregent Luitpold? Der scheint sich nach seinem Rundgang für den Schöpfer des Skandalbildes interessiert zu haben. Jedenfalls berichtet Liebermann, dass er kurz nach der Eröffnung hohen Besuch bekam: »Nach der Eröffnung der Ausstellung kommt meine Wirtin zu mir und sagt, ein vornehmer Herr wolle mich sprechen. Ich gehe raus. Da stellt sich der Herr vor als Adjutant vom Prinzregenten Luitpold. Der Prinzregent warte unten vor der Haustür und ließe fragen, ob er heraufkommen dürfe. Ich bat ihn natürlich herauf. Er sagte: ›Ja – offen gesagt –, mir gefällt ja ihr Bild nicht. Aber Ihre Kollegen sagen, das ist das beste Bild der Ausstellung. Da muß ich eben noch bei Ihnen lernen, wie man solche Bilder versteht. Darf ich öfter kommen?‹ [...] Der Prinz Luitpold kam dann öfter, und wir wurden gute Freunde.«33 Weiter heißt es: »Meinen Eltern war das fürchterliche Geschrei um das Bild, das natürlich bis Berlin gedrungen war, höchst unsympathisch. Auf einer Reise kamen sie nach München und ließen sich so weit wie möglich nichts von ihrer schlechten Laune über mich anmerken. Ich zeigte Ihnen die Stadt. Und so bummelten wir auch die Maximilianstraße entlang. Da kommt plötzlich einer von hinten, kriegt mich unter dem Arm und sagt: ›Warum arbeiten Sie nicht?‹ Das war der Prinz Luitpold [...] Ich sagte ihm nun, dass ich meinen Eltern München zeigen wollte, worauf er mich bat, ihm meine Eltern vorzustellen. Und die ganze Maximilianstraße entlang tat er nichts weiter, als meinen Eltern erzählen, wie meine Kollegen von mir dächten und dass ich zu den größten Künstlern Deutschlands gehörte. Man kann sich denken, welchen Eindruck die Worte des liebenswürdigen Prinzen auf meine Eltern machten.«34 53 Prinzregent Luitpold von Bayern, um 1870 Doch trotz dieser königlichen Rückenstärkung sollte Max Liebermann die Ereignisse so schnell nicht vergessen. Er nahm sich die Kritik so zu Herzen, dass er das Gemälde übermalte35 und sich für die nächsten dreißig Jahre von religiösen Themen fernhielt. Erst 1911 konnte er mit einiger Genugtuung rückblickend feststellen, dass sein »Jesus der Anlaß der neureligiösen Malerei«36 geworden war. 1 Neueste Münchener Nachrichten, 31. Juli 1879, 3. Jg., Nr. 172, S. 2. 2 Bayerischer Landbote, Jg. 55, Nr. 165, 22. 7. 1879, S. 2. 3 Vgl. z. B. Bayerischer Landbote, Jg. 55, Nr. 165, 22. 7. 1879, S. 2; Neueste Nach- Sturm der Entrüstung 71 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 72 richten, Jg. 32, Nr. 201 & 202, 20. 7. 1879, S. 3; Germania. Zeitung für das deutsche Volk, Jg. 9, Nr. 164, 21. 7. 1879, S. 3. Bayerischer Landbote, Jg. 55, Extrabeilage zu Nr. 176, 3. 8. 1879, S. 1. Vgl. Andrea Grösslein, Die internationalen Kunstausstellungen der Münchner Künstlergenossenschaft im Glaspalast in München von 1869 bis 1888, Miscellanea Bavarica Monacensia CXXXVII, München 1987, S. 29 – 33. Frankfurter Zeitung, Nr. 204, 23. 7. 1879, S. 3. So z. B. Max Nordau in der Frankfurter Zeitung vom 23. 7. 1879. »War es überhaupt nötig, einen Schlachtensaal in der Münchener Ausstellung zu haben? Es galt hier, einen Akt internationaler Höflichkeit zu üben oder vielmehr nur zu erwidern und den Franzosen nicht den Ruhm zu lassen, die unerreicht artigste Nation der Welt zu sein.« Führer durch die internationale Ausstellung in München. Mit einem Plan der Ausstellung, einer photographischen Ansicht des Vestibuls und einem illustrierten Wegweiser durch die Residenzstadt München, 2. Aufl. Augsburg 1879, S. 19 f. Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark vom 5. 6. 1911, in: Ernst Volker Braun (Hrsg.), Max Liebermann, Briefe. Auswahl von Franz Landsberger, Korrespondenzen V, Stuttgart 1994, S. 42. Hans Ostwald, Das Liebermann-Buch, Berlin 1930, S. 130. Vgl. auch Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1923 (2. Aufl.), S. 132. Ebd., S. 132 f. Ostwald 1930, wie Anm. 10, S. 130. Siehe Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung im Kgl. Glaspalaste zu München, München 1879 (ohne Angabe /2./3./5. Aufl.), S. 24. Zum Problem der Platzierung und Hängung vgl. Gudrun Kimmich, Max Liebermann »Der zwölfjährige Jesus im Tempel«. Das christliche Bildthema eines »jüdischen« Malers im Spiegel der Kritik (Mag.), Tübingen 1994, S. 24 ff. Bayerischer Landbote, Jg. 55, Nr. 176, 3. 8. 1879, S. 3. Reinhold Schlingmann, in: Berliner Tageblatt, Nr. 374, 13. 8. 1879, S. 2. A. J. M., Die Hamburger Kunstausstellung, in: Beiblatt zur Zeitschrift für Bildende Kunst, JG. VII Nr. 17, 31. 5. 1872, S. 312, zit. n. Matthias Eberle, Max Liebermann 1847 – 1935. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien, Bd. 1, München 1995, Bd. 2, 1996, hier Bd. 1, S. 44. Ludwig Pietsch, Die Kunstausstellung im Akademiegebäude XIV, in: Vossische Zeitung, Nr. 259, 5. 11. 1872, Beilage, zit. n. Eberle 1995, wie Anm. 16, S. 44. Adolf Rosenberg, Der gegenwärtige Stand der deutschen Kunst nach den Ausstellungen in Berlin und München, in: Zeitschrift für Bildende Kunst. Mit dem Beiblatt Kunst-Chronik, Bd. 15, 1880, S. 41 – 48, hier S. 43. Friedrich Pecht, Die Münchener Ausstellung II. Die religiöse und die Historienmalerei, in: Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 216, 4. 8. 1879. Max Nordau, Internationale Kunst-Ausstellung in München III, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 210, 29. 7. 1879, S. 3. Der Jesus-Skandal 21 Ludwig Pietsch schrieb am 8. 8. 1879 in der Vossischen Zeitung: »Er verlegte die Scene in eine echt polnisch kleinstädtische Synagoge. Sein Jesusknabe, ein plumper, nacktbeiniger, schmutziger Junge, in, drücken wir’s zart aus, isabellafarbendem Hemde, verräth durch nichts eine höhere Intelligenz. Wie ihn die mit Kaftans und Pelzmützen bekleideten Schriftgelehrten, die sonderbarer Weise viel mehr gemeinen Russen, als Juden ähnlich sahen, diesen Gast unter sich dulden, erscheint unerklärlich.« Ludwig Pietsch, Von der internationalen Kunst-Ausstellung in München VII., in: Vossische Zeitung (Morgenausgabe), Nr. 220, 8. 8. 1879 (2. Beilage). Ein anonymer Autor mit dem Kürzel »E. F.« hingegen formulierte im Bayerischen Landboten vom 3. 8. 1879: »Vollends aber die Schriftgelehrten sind weiter nichts als die nächstbesten Börsenjuden, die von einer Schriftgelehrsamkeit über das Einmaleins hinaus nicht die leiseste Spur verrathen; und der ungewaschene Bube im schmutzigen Hemde, der Frag und Antwort steht, ist Ekel erregend. Der ordinäre Schacherzug im Gesichte, die krummen geldgierigen Finger sind von so widerlichem Eindrucke«, in: Bayerischer Landbote, Jg. 55, Beilage zu Nr. 176, 3. 8. 1879, S. 2. 22 Rosenberg in: Zeitschrift für Bildende Kunst, wie Anm. 18, S. 43. 23 Reinhold Schlingmann, Die Münchener Internationale Kunst-Ausstellung V, in: Berliner Tageblatt, Nr. 366, 8. 8. 1879, S. 2. 24 Führer durch die internationale Kunstausstellung in München. Wie Anm. 8, S. 20. 25 Briefkasten, in: Bayerischer Landbote, J. 55, Nr. 192, 23. 8. 1879, S. 3. 26 Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus, H. Merz und C. G. Pfannschmid (Hrsg.), Jg. 22, Nr. 1, 1. 1. 1880, S. 4. 27 Stenographischer Bericht über die Verhandlung der bayerischen Kammer der Abgeordneten, 136. Öffentliche Sitzung, Nr. 163, Bd. IV, München den 15. 1. 1880, S. 595. 28 Ebd. 29 Adolf Stöcker: Unsere Forderung an das moderne Judentum. Rede gehalten am 19. September 1879 in der christlichen Arbeiterpartei, in: ders., Christlich-soziale Reden und Aufsätze, Berlin 1890, S. 366. 30 Stöcker nennt fälschlicherweise das Berliner Tageblatt als Quelle, ebd. S. 375. 31 Ebd. S. 377. 32 Bayerischer Landbote, Jg. 55, Nr. 194, 26. 8. 1879, S. 3. 33 Max Liebermann, zit. n. Hans Ostwald 1930, wie Anm. 10, S. 132. 34 Ebd. 35 Vgl. Katrin Boskamp, Die ursprüngliche Fassung von Max Liebermanns: Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Ein christliches Thema aus jüdischer Sicht, in: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft (Sonderdruck), Heft 1, 1993, S. 29 – 36, hier S. 29 – 31. 36 Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark, 5. 6. 1911, in: Ernst Volker Braun (Hrsg.), Max Liebermann, Briefe, wie Anm. 9, S. 42. Sturm der Entrüstung 73 54 Ausschnitt aus: Führer durch die internationale Ausstellung in München, 2. Auflage Augsburg 1879 55 Auschnitt aus: Max Nordau, Internationale Kunst-Ausstellung in München III. Die deutsche Kunst (Fortsetzung), Frankfurter Zeitung, 29. 7. 1879 74 Der Jesus-Skandal 56 Ausschnitt aus: E. F., Die internationale Kunstausstellung in München 1879, Bayerischer Landbote, 3. 8. 1879 57 Ausschnitt aus: Friedrich Pecht, Die Münchener Ausstellung II. Die religiöse und die Historienmalerei, Augsburger Allgemeine Zeitung, 4. 8. 1879 Sturm der Entrüstung 75 58 Ausschnitt aus: Reinhold Schlingmann, Die Münchener internationale KunstAusstellung, Berliner Tageblatt, 8. 8. 1879 76 Der Jesus-Skandal 59 Ausschnitt aus: Ludwig Pietsch, Von der internationalen Kunstausstellung in München, Vossische Zeitung, 8.8.1879 Sturm der Entrüstung 77 Chana Schütz Max Liebermann vor Gericht Ein Essay im Berliner Börsen-Courier Die Präsentation von Max Liebermanns Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel hat auf der zweiten Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast im Juli 1879 so etwas wie einen »Sturm der Entrüstung« ausgelöst. Martin Faass und Henrike Mund widmen in diesem Katalog den verschiedenen Reaktionen in der deutschen Tages- und Kunstpresse einen eigenen Beitrag. Wie von beiden bemerkt, gibt es nur wenige zeitgenössische Stimmen, die nicht von eindeutig antisemitischer Tendenz waren und die sich dabei gleichwohl mit dem jüdischen Inhalt des Bildes auseinandergesetzt haben. Eine dieser Stimmen ist ein anonymer Essay, der am 3. August 1879 in der Rubrik Der Reporter im Berliner Börsen-Courier erschienen war.1 Worum geht es? Der Autor macht den Leser zum Beobachter einer Gerichtsverhandlung. Angeklagt ist der Maler M. Liebermann, der sich hier wegen seines Jesus-Bildes gegen den Vorwurf der Blasphemie zu verantworten hat. Die Anklage fährt dabei alle nur erdenklichen antijüdischen Argumente auf und bedient sich so gut wie aller antisemitischen Klischees der Zeit. Der Maler verteidigt sich mit klaren Worten. Doch es kommt – wie nicht anders erwartet – zu einer lächerlichen Verurteilung, bis sich schließlich das Ganze »als bierseliger Traum eines bayerischen Wirtshausbesuchers« erweist.2 Es handelt sich bei diesem Text um ein frühes Beispiel jüdischer Publizistik. In lustvoller Detailtreue werden antisemitische Stereotypen aneinandergereiht, um den Kleingeist der gegnerischen Agitation ad absurdum zu führen. Rezipiert werden dabei auch die Attacken, wie sie seit 1875 vor allem in der Schlesischen Volkszeitung gegen die deutschen Juden geritten wurden und die 1879 auch die Reaktionen auf das Liebermann-Gemälde in der Münchener und Augsburger Presse bestimmt haben. 79 Inka Bertz wird sich in diesem Band insbesondere auf die Auswirkungen des Skandals auf die antisemitische Bewegung in Deutschland konzentrieren. Mir geht es im Besonderen darum, über den Essay im Berliner Börsen-Courier, der ohne Zweifel aus dem Berliner jüdischen Milieu stammt, Einblicke in die Befindlichkeit der Berliner Juden zu erhalten. In dem Beitrag des anonymen Autors, in dem man fast den Maler selbst in einer Verteidigungsrede vermuten könnte, wird Satire zur gesellschaftspolitischen Waffe. Über die Ziele und Argumente der Gegner sehr gut informiert, fehlt jedoch jegliche Apologetik, die so oft die jüdische Argumentationsweise späterer Jahre bestimmen sollte. Hier im Berliner Börsen-Courier haben wir es mit reiner Satire zu tun, die selbstbewusst ihren Stoff aus der Welt des Theaters oder der Kleinkunst bezog. Doch auf einen anderen Aspekt sollte hingewiesen werden: Verdeckte nicht diese humoristische Reaktion, die auch die Züge eines gewissen intellektuellen Hochmuts trug, tatsächlich die eigenen Verletzungen, die diese unerhört gemeine Debatte um ein Bild unter den deutschen Juden ausgelöst hatte? Denn: Waren nicht die deutschen Juden schutzlos diesen Angriffen ausgesetzt, mit denen wohl keiner, am allerwenigsten der Künstler selbst, gerechnet hatte? Wie mag Max Liebermann sich selbst zu den Angriffen geäußert haben? Wir wissen es leider nicht, doch musste ihm in den Julitagen des Jahres 1879 eines klar geworden sein: War er bisher nur der Maler des Hässlichen, wurde er nun für einen bestimmten Teil Deutschlands zum hässlichen Juden. Und, wie wir heute wissen, die damalige antisemitische Kampagne hatte Folgen. Der Maler schwor sich, nie wieder ein religiöses Bild zu malen. Tatsächlich war Liebermann durch diesen Vorfall so erschüttert, dass er das Bild später – ohne viel Aufhebens davon zu machen – in Teilen übermalte und den jüdischen Gassenjungen zu einem adretten blonden Knaben mutieren ließ. War dies sein persönliches Eingeständnis, dass man in einem christlichen Staat den Religionsstifter nicht als Judenjungen darstellen durfte?3 Verdeckt durch den Sturm der Entrüstung, den das Bild in der deutschen Presse auslöste, blieben die Fragen nach den Motiven, die Liebermann ursprünglich verfolgt hatte, jedoch völlig im Dunkeln. Da war zum einen der Realismus. Er bestimmte unbestritten Bild- 80 Der Jesus-Skandal und Formensprache. Doch Liebermann wollte mit dem Zwölfjährigen Jesus »ein religiöses Bild«4 malen, ein religiöses Bild, gemalt von einem Juden, von einem deutschen Juden. So drängt sich die Frage auf: Wie reagierten eigentlich die Juden auf die Darstellung eines originär christlichen Themas? Bekannt ist eine Stellungnahme von Max Nordau zu dem Zwölfjährigen Jesus. In der Frankfurter Zeitung vom 29. Juli 1879 schrieb der Autor, der selbst aus einer jüdisch-orthodoxen Familie stammte: »Das ist eine Rebellion gegen alle Herkunft, gegen langweilige Übernatürlichkeit, gegen Schulzwang und Nachahmung, das ist selbstgesehen und selbstgedacht, das steht ganz und gar auf eigenen Füßen.«5 Und so bleibt die Frage stehen: Was hatte den Maler zu einer Szene veranlasst, in der nach den Worten Max Nordaus ein »rothhaariges Judenjüngelchen« mit jüdischen Schriftgelehrten disputiert, die aussehen, als kämen sie aus der »erstbesten Börse«? Lag nicht darin eine Verhöhnung jüdischer Gelehrsamkeit? Und: Wie muss die Darstellung einer engen, überfüllten jüdischen Betstube aus irgendeinem osteuropäischen Stetl eigentlich auf die etablierte jüdische Bürgerschaft Berlins gewirkt haben, die sich nur ein paar Jahre früher mit der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße ein stolzes, weithin sichtbares Wahrzeichen gesetzt hatten? Es ist nicht auszuschließen, dass die Eltern von Max Liebermann nicht nur »das fürchterliche Geschrei um das Bild, das natürlich bis Berlin gedrungen war, höchst unsympathisch« fanden,6 sondern sich seine Mutter auch wegen des Bildinhalts schämte, »über die Straße zu gehen«.7 Alle diese Fragen mussten jedoch durch die antisemitischen Ausbrüche, die das Tagesgeschehen bestimmten, in den Hintergrund treten. Vielleicht wurden sie in Gesprächen und Diskussionen erörtert, einen sichtbaren Niederschlag haben sie – meines Wissens – nicht gefunden. Und so bleibt dieser Essay im Berliner Börsen-Courier vom 3. August 1879 ein klares Bekenntnis zu dem Maler und zu seinem Bild, ein sichtbares Zeichen aus jüdischer Sicht und eine Kampfansage an alle diejenigen, die versuchten mit scheinheiligen Argumenten die Gleichberechtigung der Juden in Deutschland infrage zu stellen. Aus diesem Grunde hat er es verdient, hier vollständig abgedruckt zu werden. Max Liebermann vor Gericht 81 1 2 3 4 5 6 7 82 Ich danke Martin Faass, der mich für diesen Band um eine Einschätzung dieses Essays gebeten hat. Martin Faass / Henrike Mund in diesem Katalog, S. 59 – 73 Vgl. Chana Schütz, Hermann Simon, »Max Liebermann: German Painter and Berlin Jew«, in: Barbara Gilbert (Hg.), Max Liebermann: From Realism to Impressionism, Skirball Cultural Center, Los Angeles 2005, S. 151 – 165. Max Liebermann, in: Günther Busch (Hg.), Max Liebermann. Die Phantasie in der Malerei. Schriften und Reden, Frankfurt am Main 1978, S. 28 Max Nordau, Internationale Kunst-Ausstellung in München, III. Die deutsche Kunst (Fortsetzung), in: Frankfurter Zeitung, 29.7.1879. Hans Ostwald, Das Liebermann-Buch, Berlin 1930, S. 132. Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, 2. Aufl. Berlin 1923, S. 133. Der Jesus-Skandal Der Reporter Berliner Börsen-Courier vom 3. 8. 1879, S. 2 ** . . . . . . . . . . . . . . . Der Präsident erhob sich mit Würde und mit einem gewissen Nachdruck, die beiden Beisitzer hörten auf in den Acten zu blättern und Tabak zu schnupfen, die Verhandlung war eröffnet. „Angeklagter“, begann der Vorsitzende voll Hoheit, „erheben Sie sich. Sie heißen M. Liebermann. * Sie sind aus Berlin gebürtig und halten sich zur Zeit nach den Acten Malens und Ausstellens halber in München auf. Sie sind bisher unbestraft, aber Sie haben Sich durch Verkehr mit anrüchig-realistischen Persönlichkeiten, beispielsweise mit einem gewissen Courbet in Paris, der ein Communard und ein Vendomesäulen-Umstürzler war, schon früher verdächtig gemacht. Da Sie nicht widersprechen, werden diese Daten als zutreffend angenommen.“ „Es ist nun laut Beschluß des Anklagerats hiesigen Königlichen Gerichts Anklage wider Sie erhoben auf Grund der folgenden Thatsachen. Wie Sie in der Voruntersuchung nicht bestritten haben, stellen Sie in der Internationalen Kunstausstellung zu München unter der Katalogs-Nummer 609 ein Gemälde aus. Daß Sie als verantwortlicher Urheber des Gemäldes anzugeben sind, ergibt sich aus der Thatsache, daß sich in der Ecke desselben Ihr deutliches Facsimile befindet. Auch bestreiten Sie die Thatsache der Urheberschaft nicht. Um nun den Sachverhalt klarzustellen, bemerke ich nach der Anklage Folgendes: Besagtes Bild stellt einen jüdischen Israelitenknaben mosaischen Antlitzes in einem weißen, nicht ganz reinlichen Kittel dar. Selbiger Israelitenknabe hat rothes Haar und wahrscheinlich Sommersprossen. Darüber, ob er schielt, sind die Ansichten geteilt. Besagter mosaischer Israelitenknabe scheint mehreren älteren Gentlemen von mehr hebräischem als respektablem Aeußeren irgend etwas zu erklären. Er bewegt dabei die Hände – so was man etwa im Berliner Jargon „er mauschelt mit den Händen“ nennt. Die Gentlemen Max Liebermann vor Gericht 83 um ihn herum sind meistentheils in Gebet-Mäntel, aber wie der technisch-israelitisch synagogale Ausdruck lautet, in „Tallissim“ gehüllt und zwar in solche mit breiten goldenen und silbernen Borten … wie sie etwa die Vorbeter wohlhabender polnisch-jüdischer Chassidim-Gemeinden tragen. Der Gesichtsausdruck der Herren in den langen Röcken und den Gebetsmänteln ist ein sehr verschiedener. Er schwankt zwischen drei Jahren Zuchthaus, bis herab zu vier Monaten Gefängniß wegen leichterer Vergehen gegen das Eigenthum. Man hat den ungefähren Eindruck, daß diese Herren in Uschilug am Bug oder in Tarnow in Galizien zu Hause seien und selbst in diesen gesegneten Ortschaften wegen ihrer körperlichen und moralischen Reinlichkeits-Verhältnisse nicht sehr gesucht als Umgangs-Objecte sind. Man hat ferner den vagen Eindruck; als ob sie Schmele, Jekend, Jizchok, Awrohim, Szimche und Leibel hießen, während der kleine rothhaarige Knabe, der nun um ein Weniges weniger schlecht zu riechen scheint, als seine Umgebung sich ohne Frage in den officiellen Geburtsregistern Leiser nennt, in der holden Intimität des Privatlebens aber sicher „Leiserche“, oder auch „Leiserleben“ gerufen wird. Seine Beschäftigung auf dem Bilde ist ersichtlich die, den alten Gentlemen zu erklären, auf welche Art er, der kleine Tausendsasa mit den rothen Haaren einen Profit zu machen gedenke. Ein Theil der alten Herren scheint recht erfreut, während Einer augenscheinlich zu sich selber sagt: „Mah, heißt e Narrischkeit!“ und ein Anderer die geflügelten Worte zu sprechen scheint: „Will der Jung schon schmussen von’s Geschäft!“ . . . . . “ „Die Anklage constatirt, daß sie von ihrem Standpunkte aus sich mit dem Gemälde nicht zu befassen gehabt hätte, sofern es thatsächlich betitelt gewesen wäre: „Wie Leisersleben von’s Geschäft schmusste.“ Dem ist aber nicht so. Ausweislich des Katalogs Nummer 609, Seite 24, nennen Sie, Angeklagter, Ihr Bild „Christus im Tempel“. Darin erblickt denn nun die Anklage eine flagrante Verletzung des Paragraphs 166 des Strafgesetzbuches, welcher von der Beleidigung der Religion durch Wort, Schrift, oder Bild handelt. Hier liegt eine Beleidigung des Stifters der christlichen Religion durch den Pinsel vor. Die Anklage erklärt von der Verfolgung wegen Beleidigung der Israelitischen Religion, deren Hohe-Priester und deren hohe Priester als Pferdehändler mit durchaus nicht reinlichen Antecedentien dargestellt sind, absehen zu wollen. Auch soll die Ent- 84 Der Jesus-Skandal schuldigung des Inculpaten in dieser Beziehung, er habe lediglich Vorfahren des bekannten „Jüdischen Referendars“ gemalt, wie sie nach den Auffassungen eines bekannten Artikels der „Schlesischen Volkszeitung“ ungefähr ausgesehen haben müssen, angenommen werden. „Angeklagter, haben Sie auf diese Erörterungen der Anklage etwas anzuführen?“ Der Angeklagte, ein noch ziemlich junger Mann mit intelligentem Gesichtsausdruck und in tadelloser Toilette nach allerneuster Pariser Mode, erhebt sich: „Hoher Gerichtshof! Ich bin mir der Schwere der gegen mich gerichteten Anklage wohl bewußt. Nicht etwa der ideellen Schwere. Darum kümmere ich mich nicht. Wohl aber kenne ich die Strafen, um die es sich hier handelt. Bis drei Jahre, wenn ich nicht irre. Hoher Gerichtshof – ich bin ein moderner Maler, ein moderner Mensch. Ich meine damit nicht den Schnitt meines Anzuges, sondern den Schnitt meiner Gesinnungen. Soll ein moderner Künstler den Schnickschnack immer wieder malen, den bereits vergangene Jahrhunderte sich selbst zum Ueberdruß gemalt haben? Etwa Heiligenbilder nach der alten Manier mit heiliger Attitude und Glorienschein? Oder Geschichtsbilder, wo es doch keinen viertelwegs anständigen Geschichts-Actus inclusive aller einigermaßen interessanten Brautwerbungen, Taufen und Beerdigungen giebt, der nicht schon gemalt wäre? Oder Elfenreigen im Mondschein, oder dergleichen? Nein, wir modernen Malersleute, das heißt, die wenigen, die sich zu wirklicher Modernität durchgearbeitet haben, wir sind von anderem Kaliber. Wir sind Vollblut-Realisten und darum kann nur der Unverstand behaupten, wir wären blutleere Klügler und unkünstlerische Skeptiker. Um Heiligenbilder nach der alten Manier zu malen, dazu fehlt uns freilich der Glaube. Den Wundern menschlich schöne Gestalt geben und sie menschlich den Menschen nahe bringen, das konnte vielleicht ein im Glauben befangener Rafael, aber wir halten, wie gesagt, von dem Krimskrams solcher Glaubens-Imaginationen nicht viel. Ich meinerseits komme über den halben Glauben nicht hinaus. Die eine Hälfte von den Wundern glaube ich gewöhnlich, die andere nicht. Daß Christus mit einem Brot fünftausend Hungrige gespeist hat, glaube ich, – daß sie dabei satt geworden sind, glaube ich nicht. Christus ist der Sohn Josephs, nicht wahr? Er ist also ein jüdischer Knabe gewesen. Da wir modernen Menschen an Wunder nicht glauben, kann ich mir nicht helfen, – er Max Liebermann vor Gericht 85 wird jüdisch ausgesehen haben. Jüdische Knaben haben häufig rothe Haare. Warum soll Christus nicht rothe Haare gehabt haben? Israeliten-Knaben tragen manchmal etwas schmutzige Kittel. Warum soll Christus einen ganz reinen angehabt haben? Jüdische Knaben mauscheln häufig mit den Händen; warum soll Christus, als er im Tempel mit den Priestern – die doch auch gewiß die Hände nicht still gehalten haben, nicht mit den vorderen Extremitäten gemauschelt haben? Hoher Gerichtshof, ich weiß nicht, ob es ein wahres Bild ist, denn ich bin nicht dabei gewesen. Aber ein realistisch wahrscheinliches Bild ist es und darum bitte ich um Freisprechung von der Anklage.“ Nach einigem Räuspern nimmt der Staatsanwalt das Wort: „Hier handelt es sich nicht nur um Verunglimpfung einer Religion“, meint er, „hier handelt es sich um Verunglimpfung des religiösen Gefühls überhaupt. Vielleicht möchte sich der Herr Angeklagte auf Menzel berufen, aber zwischen Voltairerianischer Ironie und brutaler Carricatur ist doch noch ein greifbarer Unterschied. Ob Christus etwa so ausgesehen haben kann, geht die Anklage nicht im Entferntesten an. Vielleicht hat er sogar auch eine hohe Schulter gehabt und am Ende bedauert der Herr Angeklagte, ihn nicht verwachsen gemalt zu haben. Christus ist eine Idealgestalt, nicht nur für Christen, sondern für jeden halbwegs richtig Empfindenden. Einer ausgeklügelt abschreckenden Figur seinen Namen zu geben, heißt ihn herabsetzen und jedes ihm zugewendete Gefühl verletzen. Dieser Christus hätte, groß geworden, keine andere Bergpredigt gehalten, als die: „S e l i g s i n d , d i e v i e l G e l d v e r d i e n e n.“ Entweder man geht an die Idealgestalt dessen, der die Liebe gepredigt und der der Welt zum Erlöser geworden, mit Ehrfurcht und mit Liebe heran, oder man lasse die Hand davon, ihm dem Volke zu zeigen, will man nicht Haß und Verachtung säen. Entweder sieht man in Christus den Gott, oder den erhabenen Menschen, oder den großen Glaubenslehrer, und dann malt man ihn, – oder man sieht nichts in ihm als einen jüdischen Mann aus Judäa, man hält nichts von ihm, man macht sich nichts aus ihm und dann malt man ihn nicht. Ein roothaariger Christus-Judenjunge ist ein Unsinn, das sagt schon das gesunde Gefühl, und sowohl von meinem amtlichen Standpunkte aus, als vom Standpunkte des guten Geschmacks bitte ich um Verurtheilung des Angeklagten.“ . . . . . . . 86 Der Jesus-Skandal Der Gerichtshof zieht sich zurück. Nach halbstündiger Abwesenheit erscheint er wieder, und der Präsident verkündet das Resultat der Berathung: Der Angeklagte wird verurtheilt, zwei Jahre mit unverschlossenem Geruchs-Organ unter den Gestalten, die er selber malt, zuzubringen, ohne dieselben veranlassen zu dürfen, den Reinlichkeits-Zustand, in dem dieselben sich zur Zeit, als sie gemalt wurden, befanden, aufzugeben. Außerdem werden ihm auf zwei Jahre die künstlerischen Ehrenrechte – daß Recht, die Venus von Milo, die von Medici, den Apoll von Belvedere, die Sixtina, die Madonna della Sedia etc. etc. anzuschauen, sowie den Zauber einer Mondnacht mit voller Brust zu genießen etc. etc. – abgesprochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist das? Wie, was? Ein Diener im schwarzen, gelb geränderten Rock, eine Mütze auf dem Kopf, rüttelt mich lebhaft. „Es ist 6 Uhr, mein Herr; die Ausstellung wird geschlossen.“ . . . . O, über die Schwäche, inmitten dieser glänzenden auf und ab wogenden Menge einzuschlafen! Aber der Tag war so heiß und vorhin war das Bier beim Pschorr gar so süffig . . . . Ich schau mich, halb schlaftrunken noch einmal um; mein Blick fällt auf ein kleines Messingschild mit der Nummer 609 und auf die rothen Haare eines gemalten hässlichen Judenjungen, der von lauter unangenehmen Polnischen Israeliten umringt ist. . . . . . Max Liebermann vor Gericht 87 88 Der Jesus-Skandal Inka Bertz Anatomie eines Kunstskandals Kunstskandale Die Geschichte der Kunst wird begleitet von einer Geschichte der Kunstskandale, die in der Rückschau häufig mehr aussagen über die Mentalität, die Normen und Wertvorstellungen einer Gesellschaft – oder einzelner Gruppen in ihr, als die Kunstwerke, die ihn auslösten. Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts perfektionierten den Skandal zum Werkzeug ihrer Aufmerksamkeitsökonomie.1 Heute, nach dem Ende der Avantgarden, dient diese »Avantgarde-Routine« (Thomas Raab) der gezielten Provokationen in erster Linie der Stabilisierung des Betriebsystems »Kunst« und der Bestätigung des Künstlermythos.2 Auch Liebermann folgte diesem alten Topos der Künstlerpanegyrik, wenn er in Erinnerungen an den Münchener Kunstskandal die begeisterte Zustimmung seiner Künstlerkollegen der engstirnigen Ablehnung des Gemäldes durch die Kritiker gegenüberstellt.3 Die sensiblen Punkte, an denen sich Kunstskandale der Nachkriegszeit entzündeten, lagen in der nationalsozialistischen Vergangenheit: seit Anselm Kiefers Hitlergruß in der Badewanne von 1969 und Hans Haackes Siegessäule 1988 in Graz bis hin zu Santiago Sierras Kunstaktion mit Kohlenmonoxid-Gas in der Synagoge Stommeln 2008. Doch auch in der vermeintlich immer säkularer sich gebenden Gegenwart wurden Kunstwerke wegen ihrer Darstellung religiöser Inhalte zum Skandal: So stand die Gruppe SPUR 1962 wegen Gotteslästerung und Religionsbeschimpfung in München vor Gericht, Herbert Achternbuschs Film Das Gespenst von 1982 wurde in Österreich verboten, 1999 löste die im Brooklyn Museum of Art ausgestellte Holy Virgin Mary Chris Ofilis einen Sturm der Entrüstung aus, ebenso wie im Jahr darauf in Warschau Maurizio 60 Chris Ofili, Holy Virgin Mary, 1996, Saatchi Collection, London 89 Cattelans durch einen Meteoriten niedergestreckter Papst (La Nona Ora). Bis in die internationalen Beziehungen reichte der Skandal um die 2005 von der dänischen Zeitung Jyllands-Posten veröffentlichten Mohammed-Karikaturen. Betrachtet man den Skandal um Liebermanns Der zwölfjährige Jesus im Tempel in dieser Reihe der Kunstskandale, so fällt zuerst auf, dass er sich 1879/80 zutrug, in jenen Schlüsseljahren in der Geschichte des modernen Antisemitismus. Ob der Antisemitismus bei der Entstehung des Gemäldes eine Rolle spielte, ist eine Frage, die schon Liebermanns Biografen Erich Hancke beschäftigte: »Als ich Liebermann einst fragte,« schrieb Hancke in seiner 1914 bei Bruno Cassirer erschienenen großen 61 Max Liebermann, Bildnis Erich Hancke – Kopfstudie, 1929, Kunstkreis Berlin GbR 90 Monografie, »wie er auf diesen Stoff gekommen sei, antwortete er, der damals anwachsende Antisemitismus habe ihn darauf gebracht« – um den verehrten Maler sogleich zu dementieren: »Ich glaube aber, daß der Anstoß ein vorwiegend malerischer war.«4 Auf den folgenden Seiten beschrieb er die Entstehung des Gemäldes und sah darin den »Abschluß von Liebermanns erster Epoche, in der er bei aller Natürlichkeit nach Schönheit der Malerei im Sinne von Frans Hals strebt«.5 Ausführlich zitierte er die deutlich antisemitischen Kunstkritiken und dokumentierte die Debatte im Bayerischen Landtag. Dass der Künstler nach der Erfahrung dieser Angriffe »nie wieder einen ähnlichen Stoff behandelt«6 hätte, wurde fortan zum Topos der Liebermann-Biografien. Während Liebermann gegenüber Hancke den – seit der Gründerkrise 1873 grassierenden – Antisemitismus als Anstoß für seine Komposition behauptete, schrieb er am 5. Juni 1911 in einem Brief an seinen Freund Alfred Lichtwark, nachdem dieser das Gemälde für die Hamburger Kunsthalle erworben hatte: »Stoecker behauptete, daß das Bild ihn zu seiner Judenhetze veranlaßt hätte«7 (vollständiger Text S. 144 – 149). Ob hier tatsächlich ein Zusammenhang von Ursache und Wirkung bestand, lässt sich wohl kaum feststellen. Tatsache ist jedoch, dass für Liebermann das Gemälde enger mit der Geschichte des Antisemitismus verknüpft war, als sein Biograf es wahrhaben wollte. Schließlich erinnerte sich der Künstler noch an seine Umarbeitung der Jesus-Figur, eine Tatsache, die er weder Hancke noch seinem Freund Lichtwark mitteilte, obgleich er ihm ausführlich über den Der Jesus-Skandal Entstehungsprozess, etwa die Wahl seiner Modelle, berichtete – und davon, dass er das Menzel’sche Blatt zum gleichen Thema von 1852 nicht gekannt hätte. Der Antisemitismus im Jahrzehnt von 1874 bis 1884 In der historischen Rückschau auf das Jahrzehnt zwischen 1874 und 1884, von der ersten Welle des Antisemitismus im Gefolge der Gründerkrise bis zur Überarbeitung des Gemäldes und seiner zweiten Ausstellung in Paris, verschlingen sich die Ereignisse und Debatten um das Gemälde selbst mit denen um den Antisemitismus. Diese zeitliche Koinzidenz lässt uns die Debatte um das Gemälde heute als Symptom – im medizinischen Sinne – verstehen und die Frage nach Ursache oder Wirkung hintanstellen. Zu Beginn des Jahrzehnts steht im Sommer 1874 Otto Glagaus in der weit verbreiteten Zeitschrift Gartenlaube erschienene Artikelserie über den »Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin«. Im Jahr darauf erschienen in der Zeitung der Zentrumspartei, der Germania, und in der katholischen Provinzpresse ähnliche Artikel, in denen dem »jüdischen Liberalismus« die Schuld für Kulturkampf und Gründerkrise zugeschoben wurde und die auf einen Boden fielen, der schon in den Jahren zuvor von den Pamphleten August Rohlings (Der Talmudjude, 1871) fruchtbar gemacht worden war. Das protestantische Milieu stand dem nicht nach. In der Neuen Preußischen Zeitung (»Kreuzzeitung«) erschienen im Juni und Juli 1875 die fünf »Ära-Artikel« mit ebenfalls antisemitisch durchtränktem anti-liberalem und anti-kapitalistischem Tenor. So war in den beiden Jahren, bevor Liebermann 1876 die Skizzen der Synagogen in Amsterdam und Venedig anfertigte, die später in das Gemälde vom Zwölfjährigen Jesus im Tempel einflossen, der Antisemitismus bereits ein Thema der öffentlichen Auseinandersetzung gewesen.8 Die Heftigkeit des im November 1879 ausgebrochenen Antisemitismusstreits ist nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass ihm diese etwa fünf Jahre währende Inkubationszeit vorausgegangen war. In den folgenden Jahren bis zur Fertigstellung des Gemäldes verschärfte sich diese Situation: Durch die im Januar 1878 vom Ber- Anatomie eines Kunstskandals 91 liner Hofprediger Adolf Stoecker gegründete Christlich-Soziale Arbeiterpartei erhielt der Antisemitismus ein politisches Sprachrohr. Der Begriff selbst entstand wohl im Herbst 1879 in Berlin im Umkreis des Journalisten Wilhelm Marr und breitete sich schnell aus. Er gab den diffusen Ressentiments einen Namen, was nicht wenig zu ihrer Durchsetzungskraft beitrug.9 Am 19. Juli 1879 wird die zweite Internationale Kunstausstellung im Münchener Glaspalast eröffnet. Regionale und überregionale Zeitungen berichten darüber und ereifern sich besonders über Liebermanns Gemälde und seine unbotmäßige Darstellung des Heilands. Im Berliner Börsen Courier erscheint am 3. August eine Glos- 62 Karikatur Adolf Stoecker 63 Richard Wagner, Das Judentum in der Musik, Leipzig 1869 92 se, die die Kritiker tüchtig auf die Schippe nimmt und der Zeitung ein Untersuchungsverfahren wegen Gotteslästerung einbringt.10 Währenddessen sitzt in Berlin der Historiker Heinrich v. Treitschke an seinem Schreibtisch und liest zur Vorbereitung des zweiten Bandes seiner Deutschen Geschichte den gerade erschienenen elften Band von Heinrich Graetz’ Jüdischer Geschichte.11 Er missverstand, weil er missverstehen wollte, dass Graetz seine Geschichte mit einem ähnlichen Stolz geschrieben hatte wie Treitschke die seine. Statt dessen sah er, wie er an den ehemaligen Präsidenten des Oberkirchenrates in Preußen, Emil Hermann, schrieb, nur »Todhaß gegen ›den Erzfeind‹, das Christenthum und gegen die deutsche Nation«12. Während Treitschke sich in Italien aufhält, findet in Preußen der Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus statt. Als Kandidat für den Wahlkreis Minden hält der Hofprediger Adolf Stoecker am 19. September seine erste dezidiert antisemitische Rede mit dem Titel Unsere Forderungen an das moderne Judentum, eine Woche später folgt die zweite, überschrieben Notwehr gegen das moderne Judentum, in der er die im Berliner Börsen-Courier erschienene Glosse gegen Liebermanns Kritiker als Beispiel für den angeblichen Hass gegen das Christliche in der Berliner »Judenpresse« anführt.13 Die Reden finden breite Resonanz und Zustimmung, unter anderem bei einem der frühen Brandstifter: Am 11. Oktober 1879 sitzen Richard und Cosima Wagner in der Villa Wahnfried. Cosima liest ihrem Gatten eine »sehr gute Rede des Pfarrers Stoecker über das Judentum« vor.14 »R. ist für völlige Ausweisung. Wir lachen darüber, dass wirklich, wie es scheint, sein Aufsatz über die Juden den Anfang dieses Kampfes gemacht hat.«15 Sein Pamphlet Das Der Jesus-Skandal Judentum in der Musik, 1850 unter dem Pseudonym »K. Freigedank« erschienen, wurde 1869 von dem inzwischen berühmten Komponisten erneut publiziert, diesmal unter seinem eigenen Namen und um ein Nachwort erweitert, sowie 1872/73 auch in den ersten Band seiner Gesammelten Schriften und Dichtungen aufgenommen. Einige Wochen nach der Lesestunde bei Wagners kehrt Treitschke nach Berlin zurück, nimmt hier Ende Oktober seine Kollegien wieder auf und beendet seinen Aufsatz Unsere Aussichten, der am 15. November 1879 in den Preußischen Jahrbüchern erscheint. Mit dieser Wortmeldung des prominenten Historikers erreichte der Antisemitismus eine neue Qualität. Nun war er nicht mehr eine Sache von halbseidenen Journalisten und querulantischen Pamphletisten wie Otto Glagau, August Rohling und Wilhelm Marr oder der sektiererischen, im Herbst 1879 gegründeten »Antisemitenliga«. Mit Stoecker und Treitschke hatte der Antisemitismus in den vermeintlichen Eliten Einzug gehalten und war hof- und salonfähig geworden. Doch geschah dies nicht ohne Widerspruch. An Treitschkes Artikel entzündete sich der bis zum Januar 1881 andauernde »Berliner Antisemitismusstreit«, der bald eine Flut von Zeitungsartikeln und Broschüren hervorbrachte. Im März 1880 griff Theodor Mommsen zum ersten Mal öffentlich in die Debatte ein und bezog gegen seinen Historikerkollegen Treitschke Position. Nach einigen relativ ruhigen Monaten im Sommer kursierte im Herbst 1880 die sogenannte Antisemitenpetition, deren Forderungen auf eine Aufhebung der rechtlichen Gleichstellung hinausliefen. Verfasst von dem Publizisten Max Liebermann von Sonnenberg und dem Schwager Friedrich Nietzsches, dem Gymnasiallehrer Bernhard Förster, zählte Adolf Stoecker zu den ersten der insgesamt fast 250.000 Unterzeichner. Im November fand eine Aussprache darüber im preußischen Abgeordnetenhaus statt, die so niederschmetternd war, dass sie den Dichter der Schwarzwälder Dorfgeschichten, Berthold Auerbach, zu dem Ausspruch provozierte »vergebens gelebt und gearbeitet!«.16 64 Prof. Heinrich von Treitschke vor seinen Hörern in der Berliner Universität, Holzstich 1879 65 »Eine deutsche Sieben, die die Juden nicht lieben«, Postkarte mit den Porträts sieben antisemitischer Anführer, 1880er Jahre Am 12. November trat schließlich eine Gruppe von 75 »Notablen« aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, darunter Rudolf Virchow, Max Weber, Georg und Werner von Siemens, sowie Anatomie eines Kunstskandals 93 Treitschkes Historikerkollegen Mommsen und Droysen mit einer Gegenpetition an die Öffentlichkeit. Dies war der politische Höhepunkt der Debatte, die sich noch bis Anfang des Jahres 1881 fortsetzte. In den Jahren danach verlor der Antisemitismus als politische Bewegung zunächst an Einfluss. Währenddessen verlagerte sich die Agitation in ländliche Regionen; insgesamt gesehen jedoch sedimentierte sich das antisemitische Gedankengut in der deutschen Gesellschaft. Die Kritik an Liebermanns Gemälde und ihr Kontext Die Debatte im Bayerischen Landtag17 zeigt exemplarisch, wie sich die unterschiedlichen antisemitischen Argumentationslinien miteinander verschlingen und mit einem kulturpolitischen Interesse verbinden. Im Hintergrund der Debatte stand nämlich der Versuch vonseiten der Politik, Einfluss auf das Kunstleben zu nehmen und dazu – voller Misstrauen gegen die Künstler und gegen die Freiheit der Kunst – das Geld der Subventionen als Druckmittel zum Einsatz zu bringen.18 »… ich kann nur wünschen, dass von künstlerischer Seite es uns nicht erschwert oder gar unmöglich gemacht werde einem solchen gerechten Verlangen [nach finanzieller Unterstützung der Kunst, Anm. d. Verf.] Befriedigung zu Teil werden zu lassen«, so der Abgeordnete Josef Völk.19 Der Abgeordnete Max Haushofer,20 obgleich Sohn eines Landschaftsmalers, misstraute den Selbstverwaltungs-Gremien der Künstler. Er verlangte nach einem transparenteren Verfahren und drohte, der Jury eine Geschäftsordnung aufzuoktroyieren. Der längste und schärfste Redebeitrag kam vom Abgeordneten der katholischen Bayerischen Patriotenpartei, Balthasar Daller.21 Auch seine Angriffe richten sich gegen die Künstlergenossenschaft. »Es wäre Sache der ganzen Künstlerschaft gewesen, dieses Ärgernis zu entfernen.« Und weiter: »dass diese Art und Weise, ein so blasphemisches Bild auszustellen eigentliche Freunde an und für sich nicht gewinnen kann, für weitere Ausstellungen Geld zu bewilligen.« Hinter all dem kristallisiert sich ein zentrales Skandalon heraus: dass Jesus als Jude unter Juden von einem Juden gemalt wurde, 94 Der Jesus-Skandal sowie die Themenfelder, die auch im Antisemitismusstreit eine zentrale Rolle spielten: der Zusammenhang von Emanzipation und Assimilation, die angeblich notwendige Selbstverteidigung der christlichen Religion und die Rolle der Juden im kulturellen Leben. Der Skandal wird zunächst in ästhetischen Kategorien beschrieben, die jedoch schnell in ethnisch-rassistische Stereotypen übergehen: So endet die Frage, wie weit man gehen dürfe, in der Übersetzung des Heiligen aus dem Übersinnlichen in den Bereich des Menschlichen,22 in der Rede vom »übelriechenden, gemeinen Schacherjuden«.23 In die Debatte eingeführt wurde das olfaktorische Ressentiment von Friedrich Pecht, der schrieb: »Das Bild beleidigt nicht nur unser Gefühl, sondern selbst unsere Nase, in dem es ihr alle möglichen widrigen Erinnerungen hervorruft.«24 Im Unterschied dazu konstatiert Georg Hermann gelassen: Liebermann »vermenschlicht den Vorgang vollkommen, nimmt moderne Juden von etwas russischem Typ, Riesengestalten mit erstaunten Gesichtern«.25 Die Tatsache, dass Juden als Juden dargestellt werden, ist ihm kein Ärgernis, ebenso wenig wie Max Nordau, der sie zwar als »aus der erstbesten Börse« geholt beschreibt,26 dies aber halb amüsiert, halb zustimmend als Teil der von ihm geschätzten »modernen« Auffassung des Themas versteht. Doch verbirgt sich hinter dem physischen Stereotyp, das übrigens auch im Antisemitismusstreit auftaucht,27 und dem Skandal, dass Juden als solche erkennbar sind, ein historischer Kontext, der bis in die Emanzipationsdebatten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Heinrich von Treitschke brachte es im Antisemitismusstreit auf die Formel: »Was wir von unseren israelitischen Mitbürgern zu fordern haben, ist einfach: sie sollen Deutsche werden.«28 »Unser [sic !] Staat […] hat ihnen die bürgerliche Gleichberechtigung nur zugestanden, in der Erwartung, dass sie sich bestreben würden, ihren Mitbürgern gleich zu sein.«29 Die Forderung nach Dankbarkeit für das »Geschenk« der bürgerlichen Gleichstellung30 ist das Mantra der Debatte. Darin folgt sie dem Emanzipationskonzept des Liberalismus, mit der Erwartung nämlich, dass die Juden, als Gegenleistung zu den ihnen gewährten bürgerlichen Rechten, ihr Judentum aufgeben, sich völlig anpassen und als Juden verschwinden müssten. Als Begründung dafür fungiert die angebliche »nationale Anatomie eines Kunstskandals 66 Max Nordau, o. J. 95 Absonderung«.31 Das Emanzipations-Angebot wird mit der Assimilations-Forderung verbunden. Die Polemik um Liebermanns Gemälde folgt somit einem zentralen Motiv der deutschen Emanzipationsdebatte.32 Sucht man nach einer Verbindungsperson zwischen dem Liberalismus der Jahrhundertmitte, der sich in den folgenden Jahrzehnten nationalistisch wendete, so stößt man schnell auf Friedrich Pecht: Aus dem Kontext der 1848er Revolution stammend, für ein liberales Traditionsblatt schreibend, wandelte er sich, ähnlich wie sein Freund aus Pariser Tagen, Richard Wagner, zum anti-liberalen Verteidiger »deutscher« Kulturwerte gegen vermeintliche jüdische feindliche 67 Friedrich Pecht, um 1860 68 Ludwig Pietsch, o. J. 96 Übernahmen.33 Auch in der Beschreibung des Jesusknaben erscheint das ideologische Argument in ästhetischer Verkleidung: Sein Jesusknabe, so Ludwig Pietsch, sei »ein plumper, nacktbeiniger, schmutziger Junge«, er »verrät durch nichts eine höhere Intelligenz«.34 Der Katalog der Ausstellung charakterisierte ihn als »gemeine[n] schmutzige[n] Junge[n], der vor ebenso charakterisierten Juden mit den Fäusten agirt« und »eher einen künftigen Judas als einen Christus ahnen« lässt.35 Dieser biblischen Anspielung folgte eine damals wesentlich brisantere, da das Gemälde als »malerischer Beitrag zu dem ›Leben Jesu‹« bezeichnet wurde. Hier öffnete sich der Horizont in die bis in die 1860er und 1870er Jahre nachhallende heftige Debatte um die gleichnamigen Bücher von Ernest Renan und David Friedrich Strauss, deren historisch-positivistische Darstellung das überlieferte Bild des Heilands erschüttert hatte. Doch was die Zeitgenossen wirklich provozierte war, dass Jesus als Jude dargestellt wurde. Er steht im verlorenen Profil, fast mit dem Rücken zum Betrachter, der hingegen gezwungen ist, sich mit den Reaktionen der umstehenden Gelehrten auseinanderzusetzen. Der Jesusknabe erscheint hier als gleichberechtigter Dialogpartner und nicht als zukünftiger Heiland. Damit reflektierte Liebermann ein zeitgenössisches jüdisches Interesse an der Gestalt Jesu und »gab einem jüdischen Jesus-Bild künstlerische Gestalt, wie es wenige Jahre zuvor die Historiker Abraham Geiger und Heinrich Graetz wissenschaftlich vorgezeichnet hatten«.36 Diese Historiker stellten Jesus in den Kontext seiner Zeit, den des pharisäischen Judentums.37 Sie lösten ihn durch Histori- Der Jesus-Skandal sierung aus der Theologie, während Liebermann ihn durch Aktualisierung säkularisierte. Diese selbstbewusste Haltung war es, auf die Treitschke sich in seinen Invektiven gegen Graetz bezog, wenn er behauptete, dass »in neuester Zeit ein gefährlicher Geist der Überhebung in jüdischen Kreisen erwacht ist«38 und er »mehr Toleranz« und »mehr Bescheidenheit« forderte. Ebenso tat dies Stoecker und sprach im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um das Liebermann-Gemälde gar von »Kirchenschändung, Christentumshetze, Pastorenverfolgung« und »Notwehr gegen das moderne Judentum«.39 Doch zeugen diese Äußerungen weniger von der Stärke des Judentums als von der »Ohnmacht des evangelischen Geistes«. Dieser suchte sich durch die Liaison mit dem Antisemitismus und durch eine aggressive Behauptung der Einheit von Deutschtum und Christentum zu erneuern.40 Die Vorstellung von Jesus als Arier, wie sie Houston Stewart Chamberlain dann um die Jahrhundertwende propagierte, scheint als die konsequente Fortführung dieses Gedankenganges. Der dritte Skandal bestand in der Tatsache, dass ein Jude dieses christliche Thema bearbeitet hatte. Die Forderung nach »Anstand«, die etwa der Abgeordnete Völk im bayerischen Landtag vorbrachte,41 vermischte sich mit sarkastischen Bemerkungen über die Herkunft des Malers: »Ich will damit der religiösen Überzeugung des Malers; der ja bekannt nicht der christlichen Konfession angehört, nicht zu nahe treten, ich will ihn nicht zwingen, dass er den Gegenstand des Bildes, des göttlichen Erlösers, an den wir glauben, auch so betrachtet wie wir.«42 Helmut Leppien beobachtete 1989 selbst in jüngeren Reaktionen auf das Gemälde eine negative »sittliche Wertung«, mit der dem Künstler »ehrliche Empfindung« und »warmes Gefühl« abgesprochen wird.43 Was Leppien diskret im Raum stehen lässt, hat durchaus einen historischen Kontext, für den wiederum Friedrich Pecht den Kronzeugen abgibt. Er sieht in dem Gemälde den »zersetzende[n] Geist der nüchternsten und kältesten Betrachtung, für die ein Mysterium nicht existirt«.44 Dass ein Jude nicht in der Lage sei »tief empfundene« Kunst zu schaffen, ist eine der zentralen und wirkungsmächtigsten Ideen aus Wagners Text über Das Judentum in der Musik. Pecht verband mit Wagner nicht nur eine Freundschaft aus der gemeinsamen Pariser Zeit,45 sondern auch die ästhetische Anatomie eines Kunstskandals 69 Lesser Ury, Porträt Abraham Geiger, um 1907, Jüdisches Museum Berlin 97 Vorstellung über die illusionistische Inszenierung historischer Stoffe sowie, wie diese Äußerung zeigt, die Auffassung über die Rolle von Juden in der Kultur. Einen Schritt weiter geht dann das Diktum von der »Zersetzung«, das im Zusammenhang mit seiner zu Beginn seines Artikels vorgebrachten Ablehnung »einer neuen demokratischen Kunst« gesehen werden muss und bereits auf spätere Diskurse weist. Rückblick Rückblickend wurde diese Debatte häufig als ein Konflikt zwischen »süddeutschem Katholizismus« und »berlinischem Rationalismus« interpretiert,46 wobei den »Pfaffen« die Rolle der »unduldsamen Eiferer« zugeschrieben wurde.47 Doch waren ihre Töne und Untertöne keinesfalls nur regional oder konfessionell geprägt. Aus ihnen sprachen die Ambivalenzen des liberalen Emanzipationskonzepts. Dessen Wurzeln liegen eher in Preußen denn in Bayern, und seine religiösen Elemente weisen gleichermaßen in das protestantische wie in das katholische Milieu. Doch stellt sich dennoch die Frage, warum Liebermann von diesen Reaktionen so völlig überrascht wurde, sie nicht antizipiert hatte, warum er die »Aufnahmebereitschaft für diese Form jüdischer Selbstbehauptung im Publikum«48 so derart überschätzte. Heinrich Strauss beobachtete schon 1957, dass Liebermann der Frage, was seine Malerei mit Religion zu tun habe, auch 1911, als er den Brief an Lichtwark schrieb, mit völligem Unverständnis begegnete.49 Diese Haltung ist nur verständlich vor dem Hintergrund eines damals noch unerschütterten Glaubens an die Kraft der Vernunft, die Neutralität des Staates in Religionsdingen und an einen gleichberechtigten Dialog zwischen Christen und Juden, kurzum das Credo des Liberalismus, der im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur »eigentlichen Religion des Besitz- und Bildungsbürgertums« geworden war.50 Von ihm hatte sich das nichtjüdische Bürgertum gerade zu entfernen begonnen, während ihre jüdischen Landsleute dieser »Religion« ihrer Emanzipationszeit weiter anhingen.51 Als das Gemälde 1907 zu Liebermanns sechzigstem Geburtstag in der Berliner Secession ausgestellt wurde, blieb der »Radau« aus. 98 Der Jesus-Skandal Doch ist dies wohl nicht allein auf den Ort – Berlin statt München – oder auf die Umarbeitung des Jesusknaben zurückzuführen, sondern ebenso auf das veränderte künstlerische, geistige und politische Umfeld. Ein Grund zur Entwarnung war dies, wie wir wissen, nicht. 1 Thomas Raab, Avantgarde-Routine, Berlin 2008. 2 Symptomatisch: Ute Schüler, Rita A. Täuber, Skandal: Kunst! schockierend – packend – visionär, Stuttgart 2008; Heinz Peter Schwerfel, Kunst-Skandale. Über Tabu und Skandal, Verdammung und Verehrung zeitgenössischer Kunst, Köln 2000. 3 Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark vom 5. Juni 1911, zit. nach: Max Liebermann, Briefe. Auswahl von Franz Landsberger. Ergänzte Neuausgabe von Ernst Volker Braun, Stuttgart 1994, S. 41 – 44, sowie die Darstellung bei Erich Hanke, Max Liebermann, sein Leben und seine Werke, Berlin 1923, S. 129 – 142. 4 Hancke, wie Anm. 3, S. 131. 5 Hancke, wie Anm. 3, S. 136. 6 Hancke, wie Anm. 3, S. 139. 7 Max Liebermann, Brief an Lichtwark, wie Anm. 3, ähnlich bei Hans Ostwald, Das Liebermann-Buch, Berlin 1930, S. 128 – 130. 8 Der Historiker Harry Breßlau rekapitulierte diese Entwicklung in seinem Diskussionsbeitrag im Antisemitismusstreit: Zur Judenfrage. Sendschreiben an Herrn Professor Dr. Heinrich von Treitschke, zit. nach Walter Boehlich (Hg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt 1988, S. 54 – 78, S. 57 – 60. 9 Im Februar 1879 erschien Marrs Schrift Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum, in der dieser Begriff jedoch nicht explizit auftaucht. Norbert Kampe, Von der »Gründerkrise« zum »Berliner Antisemitismusstreit«: Die Entstehung des modernen Antisemitismus in Berlin 1875 – 1881, in: Reinhard Rürup (Hg.), Jüdische Geschichte in Berlin. Essays und Studien, Berlin 1995, S. 85 – 100. 10 Vgl. die Beiträge von Martin Faass und Henrike Mund sowie Chana Schütz in diesem Katalog. 11 Walter Boehlich, Nachwort, in: wie Anm. 8, S. 239 – 266, hier S. 255. 12 Heinrich von Treitschke, Brief an Emil Hermann vom 25. August 1879, zit. nach: Der »Berliner Antisemitismsstreit« 1879 – 1881. Eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation. Kommentierte Quellenedition. Im Auftrag des Zentrums für Antisemitismusforschung bearbeitet von Karsten Krieger. 2 Bde, München 2003, Bd. 1, S. 2 – 5, hier: 4. Danach auch alle folgenden Daten. 13 Adolf Stoecker, Notwehr gegen das moderne Judentum. Rede, gehalten am 26. September 1879, in: ders, Christlich-soziale Reden und Aufsätze, Berlin 1890, S. 369 – 382, S. 375 – 377; über die Presse bereits in der ersten Rede, S. 366. 14 Am 26. folgte Stoeckers zweite Rede Notwehr gegen das moderne Judentum und darauf erst am 5. Januar 1880 die Dritte. Das Ehepaar Wagner muss also eine der beiden ersten Reden gelesen haben. Die Abgeordneten des bayrischen Landtags hingegen konnten auch die Dritte kennen. 15 Cosima Wagner, Die Tagebücher. Ediert und kommentiert von Martin GregorDellin und Dietrich Mack, München, Zürich 1977, Bd. II, S. 424, zit. nach Jens Malte Fischer, Richard Wagners Das Judentum in der Musik. Entstehung – Kontext Anatomie eines Kunstskandals 99 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 100 – Wirkung, in: Dieter Borchmeyer (Hg.), Richard Wagner und die Juden, Stuttgart, Weimar, 2000, S. 35. Zit. nach Hermann Greive, Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland, Darmstadt 1983, S. 63. Zit. nach Hancke, wie Anm. 3, S. 139 – 142. Zur Organisation der Ausstellung, ihrer Kosten und dem Verfahren der Jury vgl. den Beitrag von Martin Faass und Henrike Mund. Josef Völk, erste Auftritte 1848/49 als Redner für Paulskirchenverfassung und für die kleindeutsche, später Abgeordneter der nationalliberalen Partei im Reichstag und bayrischen Landtag, Anhänger Bismarcks im Kulturkampf, in der SchutzzollPolitik und dem deutsch-französischen Krieg. Max Haushofer, Sohn des Landschaftsmalers Maximilian Haushofer, Nationalökonom an der TH München und Schriftsteller, neben nationalökonomischen und statistischen Schriften Publikation früher Science Fiction Romane und 1886 ein »dramatisches Gedicht« Der ewige Jude. Balthasar (seit 1891: Ritter von) Daller, katholischer Theologe, Gymnasialdirektor und Vorsitzender der parlamentarischen Vertretung des politischen Katholizismus in Bayern. Über den Antisemitismus in dem von Daller mit begründeten Tuntenhausener Bauernverein, vgl. Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1999, S. 162 – 163. Adolf Rosenberg, Der gegenwärtige Stand der deutschen Kunst nach den Ausstellungen in Berlin und München, in: Zeitschrift für bildende Kunst, 15, 1880, S. 41 – 48, hier: 43, auch bei Hanke, wie Anm. 3, S. 134. Heinrich Merz im Christlichen Kunstblatt 1880, zit. nach Helmut R. Leppien, Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann, Hamburg 1989, S. 27. Friedrich Pecht in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, zit. nach Hancke, wie Anm. 3, S. 133. Georg Hermann, Max Liebermann, in: Ost und West, 3.1903, Sp. 377 – 398, Sp. 391. Max Nordau in der Frankfurter Zeitung vom 23. Juli 1879. Ich danke Martin Faass für den Hinweis auf diesen Artikel. Wilhelm Endner, Zur Judenfrage. Offene Antwort auf das offene Sendschreiben des Herrn Dr. Harry Breßlau an Herrn von Treitschke, zit. nach Boehlich, wie Anm. 8, S. 109f: »dass der echte Jude dem deutschen natürlichen Gefühl nicht bloß fremdartig, sondern widerwärtig erscheint«. Treitschke, nach Boehlich, wie Anm. 8, S. 10. Treitschke, nach Boehlich, wie Anm. 8, S. 46. Treitschke, nach Boehlich, wie Anm. 8, S. 14. Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur »Judenfrage« in der modernen Gesellschaft, Göttingen 1975, Jakob Katz, Vom Vorurteil zur Vernichtung, München 1989, S. 147 – 193. Der Jesus-Skandal 32 Katrin Boskamp, Studien zum Frühwerk von Max Liebermann mit einem Katalog der Gemälde und Ölstudien 1866 – 1889, Hildesheim u.a., 1994, S. 112. 33 Michael Bringmann, Friedrich Pecht (1814 – 1903). Maßstäbe der deutschen Kunstkritik zwischen 1850 – 1900, Berlin 1982, v.a. S. 162, Anm. 637, in der er Pechts Antisemitismus herunterspielt. Auch die politische Einordnung stellt er späterer Forschung anheim stellt. 34 Ludwig Pietsch, zit. nach dem Beitrag von Martin Faass und Henrike Mund in diesem Band, Anm. 23. 35 Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung im Kgl. Glaspalaste zu München, München 1879, S. 20. 36 Michael Brenner, Propheten des Vergangenen. Jüdische Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert, München 2006, S. 80. 37 Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, Berlin 2001; Markus Pyka, Jüdische Identität bei Heinrich Graetz, Göttingen 2009. Vgl. den Beitrag von Ezra Mendelsohn in diesem Katalog. 38 Treitschke, zit. nach Boehlich, wie Anm. 8, S. 10. 39 Stoecker, wie Anm. 13, S. 377. 40 Werner Jochmann, Stoecker als nationalkonservativer Politiker und antisemitischer Agitator, in: Günter Brakelmann, Martin Greschat, Werner Jochmann, Protestantismus und Politik. Werk und Wirkung Adolf Stoeckers, Hamburg 1982, S. 123 – 198, S. 128f. 41 »Dass gerade ein Mann seiner Konfession am allerwenigsten den Gegenstand in der Weise hätte behandeln sollen, wenn er einiges Gefühl für Anstand gehabt hätte. (Rufe: Sehr richtig!).« Zit. nach Hancke, S. 141, ähnlich: Heinrich Merz im Christlichen Kunstblatt, zit. nach Leppien, wie Anm. 23, S. 27. 42 Daller, zit. nach Hancke, wie Anm. 3, S. 140. 43 Leppien, wie Anm. 23, S. 36. 44 Friedrich Pecht, Die Münchener Ausstellung, II. Die religiöse und die HistorienMalerei, in: Augsburger Allgemeine Zeitung, v. 4. August 1879, S. 3162 – 3164, S. 3162. 45 Bringmann, wie Anm. 33, S. 29, 63, 98, 112, 164. 46 Max J. Friedländer 1924, zit. nach Leppien, wie Anm 23, S. 31 47 Ostwald, wie Anm. 7, S. 130. Ähnlich Leopold Schönhoff, Max Liebermann, in: Sozialistische Monatshefte, 1897, S. 269 – 274, S. 272. 48 Boskamp, wie Anm. 32, S. 114 49 Heinrich Strauss, On Jews and German Art, Leo Baeck Institute, Year Book 2.1957, S. 255 – 269, S. 266. 50 Jochmann, wie Anm. 40, S. 125. 51 George L. Mosse, German Jews beyond Judaism, Bloomington, Ind. 1985. Anatomie eines Kunstskandals 101 102 Der Jesus-Skandal Ezra Mendelsohn Max Liebermanns Zwölfjähriger Jesus im Tempel Einige Anmerkungen zum historischen und kulturellen Kontext Dieser Essay möchte zum Verständnis von Liebermanns Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, dem Gegenstand dieser Ausstellung, beitragen, indem er die historischen und kulturellen Hintergründe des Werks beleuchtet, sowohl aus allgemeiner wie auch aus jüdischer Perspektive. Ich beginne mit ein paar Anmerkungen zum allgemeinen Kontext, um anschließend gewisse Entwicklungen in der jüdischen Welt zu untersuchen, die für Liebermanns Werk relevant gewesen sein dürften. Lassen Sie mich zunächst das Offenkundige konstatieren: Für einen aufstrebenden jungen Künstler im Deutschland der späten 1870er Jahre war es gang und gäbe, ja, beinah schon ein Muss, Motive aus dem Leben Christi, wie es in der Bibel berichtet wird, zu bearbeiten. Zwar kamen dem religiösen Leben im Allgemeinen und biblischen Themen im Besonderen als Sujets der bildenden Kunst im säkularisierten 19. Jahrhundert nicht mehr die gleiche Bedeutung zu wie in früheren Epochen, aber sie waren immer noch weit verbreitet und wurden von Künstlern, die ihren Weg in der Welt machen wollten, auch erwartet. Einige namhafte Künstlergruppen im Europa des 19. Jahrhunderts waren auf »christliche Kunst« spezialisiert, so etwa die deutschen Nazarener Anfang des 19. Jahrhunderts und, ein paar Jahrzehnte später, die Präraffaeliten in England. Ein bedeutendes Mitglied der letzteren, William Holman Hunt, schuf in den 1850er Jahren ein für unser Thema äußerst wichtiges Werk, Die Auffindung Jesu im Tempel, das die gleiche Szene wie Liebermanns ein paar Jahrzehnte später entstandenes Bild zum Gegenstand hat (Abb. 70). Von Hunt stammt auch eines der berühmtesten modernen Jesus-Gemälde überhaupt, Das Licht der Welt (1853), das zu seiner Zeit beim Publikum auf ein überwältigendes Echo stieß und den bekannten englischen Komponisten Arthur Sullivan sogar zu einem Oratorium inspirierte. In den frühen 1880er Jahren malte der 103 70 William Holman Hunt, Die Auffindung Jesu im Tempel, 1854 – 55, 1856 – 60, Birmingham Museum and Art Gallery einst gefeierte, aber heute (zumindest außerhalb Ungarns) nahezu vergessene Mihály Munkácsy zwei große Gemälde, die die letzten Tage Christi darstellen – Christus vor Pilatus und Christus auf Golgatha. Auch diese Bilder machten zu ihrer Zeit großen Eindruck, vor allem im fernen Amerika, wo sie in New York ausgestellt wurden und auf enormes Interesse und Begeisterung stießen.1 In Deutschland malten so namhafte Künstler wie Adolf Menzel und Fritz von Uhde religiöse Szenen (Menzels Darstellung des Knaben Jesu im Tempel (Abb. 71) war natürlich ein direkter Vorläufer von Liebermanns Werk). Der französische Maler James Tissot erlangte mit einer Serie von Szenen aus dem Leben Jesu Berühmtheit.2 In den 1860er Jahren kamen Gustave Dorés Bibelillustrationen heraus und fanden großen Anklang. Ostrussische und polnische Künstler verbanden das Interesse an heroischen Darstellungen ihrer Nationalgeschichte mit Szenen aus der zeitgenössischen Geistlichkeit, dem Leben Christi und der Geschichte des Christentums. Jan Matejko, Polens bedeutendster Künstler des 19. Jahrhunderts, thematisierte die Christianisierung Polens und Litauens in einem Zyklus von Historiengemälden mit dem Titel Die Geschichte der Zivilisation in Polen, die heute die Wände des wiederaufgebauten Warschauer 104 Der Jesus-Skandal 71 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1851, Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 22 Königsschlosses schmücken.3 Ein berühmtes russisches Beispiel ist Ivan Kramskoys humanistisch inspiriertes Porträt von Christus in der Wüste (Abb. 72). Der russische Historienmaler Wassili Surikow schuf 1875 ein Tableau, das den Apostel Paulus bei der Verteidigung der christlichen Glaubenslehre vor König Agrippa, seiner Schwester Berenice und dem Statthalter Festus darstellt,4 und Ilja Repin malte 1871 Die Wiedererweckung der Tochter des Jaïrus. In Amerika machte sich am Ende des Jahrhunderts der gefeierte Künstler John Singer Sargent an das ehrgeizige Projekt, für die Boston Public Library die Geschichte der Religion und ihre Klimax im Triumph des Christentums in einer Serie von Wandgemälden darzustellen.5 Die meisten der erwähnten Künstler hatten keine Verbindung zu den neuen, revolutionären Künstlervereinigungen, die den grundlegenden Wandel in der europäischen Malerei des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts einläuteten, aber es wäre falsch, daraus den Schluss zu ziehen, Darstellungen aus dem Leben Jesu seien nur eine Zum historischen und kulturellen Kontext 105 Domäne mehr oder weniger »traditioneller« oder »akademischer« Maler und Bildhauer gewesen. Tatsächlich schufen auch führende Vertreter der verschiedenen modernen Stilrichtungen religiöse Werke, darunter große Maler wie Manet, Cézanne, van Gogh, Gauguin, Munch, Matisse, Corinth und Picasso. Einer der originellsten Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der Belgier James Ensor, legte 1888 sein vielleicht berühmtestes Werk vor, Der Einzug Christi in Brüssel im Jahre 1889, das eindrucksvoll belegt, wie ein ikonoklastischer Maler ein traditionelles Sujet in den Dienst seiner höchst unkonventionellen eigenen Zwecke stellen konnte.6 Mit anderen Worten: der weitgehende Triumph des Säkularismus und die wachsende Akzeptanz der wissenschaftlichen Methode und der Darwin’schen Theorie vermochten das Christentum nicht aus dem Herzen westlicher Hochkultur zu verdrängen. Es blieb ein bedeutender Topos, der die größten Künstler der Epoche, seien sie Maler, Bildhauer, Komponisten (man denke an Mendelssohn, Brahms und Dvorak) oder Schriftsteller, weiterhin beschäftigte, darunter natürlich auch diejenigen jüdischer Herkunft. Für letztere jedoch war, wie wir sehen werden, die Entscheidung, Szenen aus dem Leben Christi darzustellen, in der Regel weder einfach noch unproblematisch, handelte es sich doch um ein Thema, das in der Geschichte der westlichen Kunst zuweilen (nicht immer) unverhohlen antisemitische Bilder hervorbrachte, auf denen der christliche Messias von Juden verraten und gepeinigt wurde. All dies liegt auf der Hand. Eine Reihe anderer Aspekte aber, die für das Verständnis von Liebermanns Gemälde bedeutsam sind, müssen wir uns erst vergegenwärtigen. Einer davon ist das im Laufe des 19. Jahrhunderts erwachende Interesse des Westens an den Ländern des Ostens – unter anderem eine Folge der militärischen Expansion Großbritanniens und Frankreichs in Asien und Nordafrika. Auch das Osmanische Reich, welches das biblische Heilige Land einschloss, sah sich zunehmend westlichem Druck und Einfluss ausgesetzt. Die Öffnung des Ostens gegenüber dem Westen führte zu vermehrtem Kontakt zwischen Christentum und Islam und zu einer stetig zunehmenden Reisetätigkeit von West nach Ost; Soldaten, Priester, Lehrer, Wissenschaftler, Abenteuerreisende und eben auch bildende Künstler, Musiker und Schriftsteller konnten auf einmal relativ unkompliziert in die exotischen Länder reisen, die sie bislang 106 Der Jesus-Skandal nur aus der Lektüre der jüdischen und christlichen Bibel kannten. Die kulturellen Auswirkungen dieses Phänomens waren ebenso tiefgreifend wie kontrovers (wie die von Edward Said mit seinem berühmt-berüchtigten Buch angestoßene Debatte belegt, in dem er die verschlungenen Wege darlegt, auf denen die abendländische Welt zu ihrem Verständnis – und nicht selten Missverständnis – des Orients kam).7 Der für unser Thema wichtigste Aspekt des westlichen Vordringens in den Osten war das Aufkommen eines neuen Genres in der Malerei, des sogenannten Orientalismus. Der Begriff meint die Darstellung orientalischer Motive durch europäische Künstler, seien 72 Ivan Kramskoy, Christus in der Wüste, 1872, Tretjakov-Galerie, Moskau es Szenen aus dem religiösen Leben, seien es gesellschaftliche Gebräuche oder Institutionen (wie etwa die des exotischen und überdies erotischen Harems), seien es Landschaftsbilder von Wüsten oder orientalischen Städten, seien es Porträts orientalischer Typen. Die Bandbreite der Darstellungen war groß, mal wurden positive Seiten der Lebenswelt der »Anderen» hervorgehoben, mal lag der Akzent auf der Erotik oder auf anderen exotischen Aspekten des orientalischen Lebens. Es ist erstaunlich, wie viele Künstler auf der Suche nach Inspiration in den Orient reisten. Natürlich hatten diejenigen aus Großbritannien und Frankreich, den führenden Kolonialmächten der Region, einen gewissen Vorteil – Delacroix’ Reise nach Nordafrika als kulturelle Nachhut der französischen Eroberer ist hierfür beispielhaft. Aber auch Künstler aus Mittel- und Osteuropa reisten mit, unter ihnen einige Zeitgenossen Liebermanns aus Deutschland und Österreich. Weshalb ist das für uns von Interesse? Die beschriebene Annäherung an den Orient, und damit auch an die Region, in der die Wiege sowohl des Judentums als auch des Christentums stand, eröffnete die Möglichkeit, sehr viel mehr über die Ursprünge des christlichen Glaubens und seine Beziehung zum Judentum zu erfahren und die realen Orte, an denen Jesus geboren und aufgewachsen war, wo er gepredigt und gelitten hatte und wo er schließlich gekreuzigt wurde, mit eigenen Augen zu sehen. Waren die alten Meister, die derlei Reisen nur in Ausnahmefällen unternommen hatten, noch auf ihre Phantasie angewiesen, wenn sie Motive aus der Welt des Ostens malten, so konnten die Künstler des 19. Jahrhunderts bei Zum historischen und kulturellen Kontext 107 der Darstellung orientalischer Szenen auf Erfahrungen aus erster Hand zurückgreifen. Sie konnten mithin, sofern sie das wollten, auch bei der Darstellung biblischer Szenen und Gestalten authentischere Bilder schaffen – wenn man mit authentisch nicht das Bemühen meint, Personen aus der Bibel, also auch Jesus oder zumindest seine Zeitgenossen, so wiederzugeben, wie sie tatsächlich ausgesehen haben mögen, sondern es eher im Sinne eines reflektierenden Abbilds versteht, als Zeichnung von »Typen«, wie man ihnen zur damaligen Zeit im Nahen Osten begegnen konnte und von denen man annehmen durfte, dass sie nicht allzu anders aussahen als ihre biblischen Vorfahren (genauso wie man etwa in der Neuen Welt annahm, dass amerikanische Indianer des 19. Jahrhunderts ihren lang verstorbenen Vorfahren ähnelten). Der oben erwähnte Holman Hunt zum Beispiel lebte und arbeitete geraume Zeit im osmanischen Jerusalem. Man darf spekulieren, wie sich die Begegnung mit dem realen Nahen Osten bei ihm und anderen Künstlern auf die Gestaltung biblischer Figuren auswirkte, ob sie vielleicht den Anstoß dazu gab, sich von negativen Stereotypen von Juden, wie sie im Werk einiger alter Meister noch sehr verbreitet waren, zu verabschieden. Zur gleichen Zeit, als Europäer in großer Zahl den Orient bereisten und sich mit seinen Landschaften und Bauten, seinen Gebräuchen und seinen Menschen vertraut machten, hielt in der westlichen Wissenschaft eine neue Methode Einzug, die das Studium der Geschichte der Völker und Religionen des antiken Orients veränderte. Die hebräische Bibel wurde der wissenschaftlichen Durchleuchtung und Kritik durch so bahnbrechende Geister wie Julius Wellhausen unterzogen, die sich als Advokaten einer »historisch-kritischen Methode der Bibelexegese« verstanden (für welche der große jüdische Gelehrte Solomon Schechter das denkwürdige und zur stehenden Wendung geronnene Verdikt »Höherer Antisemitismus« prägte). Die gleiche Methode wurde auf die christliche Bibel angewandt, was die Wissenschaftler unter anderem auf die Frage nach dem »historischen Jesus« brachte und eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Biografie des Menschen Jesus unter Berücksichtigung seines historischen Kontexts auslöste. Dies wiederum zog natürlich ein näheres Studium – anhand der schriftlichen und archäologischen Quellen, die damals zugänglich waren – dessen nach sich, was gern als das »Spätjudentum« der Epoche des zweiten Tempels bezeichnet 108 Der Jesus-Skandal wurde (mit der Implikation, dass dieses ja, nach Meinung der meisten Christen, bald darauf durch den Triumph des christlichen Messias und des neuen, wahren Glaubens überwunden und verdrängt wurde). Die gelehrte Suche nach dem historischen Jesus war vorwiegend eine west- und mitteleuropäische Angelegenheit, mit einem Schwerpunkt in Deutschland und Frankreich. Ihr vielleicht prominentester Vertreter im 19. Jahrhundert war der französische Gelehrte Ernest Renan, ein herausragender Orientalist, der im Anschluss an eine Reise ins Heilige Land sein Hauptwerk Das Leben Jesu (1863) verfasste. Eine von Renans Kernthesen lautete, Jesus sei eine historische Gestalt, ein sterblicher Mensch gewesen, der in Galiläa in einem jüdischen Umfeld geboren und aufgewachsen war, aber diese Beschränkung überwinden konnte und durch eine irgendwie geartete Überschreitung der Grenzen seiner Herkunft fähig wurde, eine neue und vollkommenere Religion zu gründen.8 Die Frage nach dem historischen Jesus, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits ein Bestandteil des Zeitgeists und – zumindest teilweise – Gegenstand der Erörterung durch moderne Wissenschaftler, führte zu den verzweigtesten, häufig widersprüchlichen Schlussfolgerungen. Man hätte erwarten können, dass im Zuge ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung nicht nur die in der Frage implizierte Sterblichkeit Jesu thematisiert würde, sondern auch die Implikation seines Jüdischseins, seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft, und die Tatsache, dass er sich nie vom Judentum lossagen, sondern es lediglich reformieren und im Geiste der Propheten läutern wollte. Dies ist die Position, die heute von vielen zeitgenössischen Wissenschaftlern, jüdischen wie nichtjüdischen, eingenommen wird.9 Doch die verzweigte Debatte konnte auch zu der Auffassung führen, dass der sterbliche Jesus mitnichten ein Jude war, sondern vielmehr ein Nichtjude, ein Arier, was unter anderem durch seine Herkunft aus »der Heiden Galiläa« (»galil ha-gojim«, Jesaja 9,1) belegt sei. Diese Position machte sich der Teil der protestantischen Kirche in Deutschland zu Eigen, der sich in den 1930er und 1940er Jahren mit dem Naziregime identifizierte. Jedenfalls brachte die neue wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Menschen Jesus im Kontext seiner Zeit, namentlich dem Judentum in der Epoche des zweiten Tempels, in Verbindung mit der An- Zum historischen und kulturellen Kontext 109 näherung an den Orient und der persönlichen Erfahrung der vielen Orientreisenden, gerade auch der Künstler unter ihnen, ein Umfeld hervor, in dem es möglich wurde, Jesus samt seiner Gefährten und Gesprächspartner auf realistischere Weise zu porträtieren, d.h. als Menschen und Mann seiner Zeit, vielleicht sogar als jüdischen Mann, zumindest aber in einer jüdischen Umgebung, unter jüdischen Gefährten, die durch ihre Kleidung eindeutig als Juden gekennzeichnet sind und dennoch nicht das konventionelle antisemitische Stereotyp des Juden reproduzieren, wie es durch die konventionelle antijüdische Mentalität vieler europäischer christlicher Künstler geprägt war. Wir sehen dies in Hunts oben abgebildetem Gemälde und natürlich auch in Liebermanns Jesus im Tempel. Lassen Sie mich nun zu einer Reihe spezifisch jüdischer Aspekte kommen, die uns vielleicht helfen, Liebermanns Gemälde von 1879 besser zu verstehen und wertzuschätzen. Dieses Werk wäre vielleicht nicht möglich gewesen ohne gewisse tiefgreifende Veränderungen, die sich damals in der Welt des modernen europäischen Judentums vollzogen, dem Liebermann – wenn auch peripher – angehörte. Ich denke dabei insbesondere an einen Wandel in der jüdischen Haltung zu Jesus. Traditionell hatten jüdische Denker und Theologen zu dem Mann aus Nazareth gebührende Distanz gehalten, sei es aus Angst vor christlichen Repressalien, sei es aus Abneigung oder sogar Hass gegen all das, wofür Jesus und seine Kirche standen, sei es aus einer Mischung beider Motive. Im Hebräischen ist sein Name Jesch’u ein Akrostichon, dessen Buchstaben für den Satz »Sein Name und seine Erinnerung sollen ausgelöscht werden« stehen (»jimach schemo wesichro«). Zweifellos bringt die Mehrheit der orthodoxen und traditionellen Juden diesem Mann noch heute – ganz zu schweigen von früheren Zeiten – im besten Fall Desinteresse entgegen; wenn sie überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendet, sieht sie ihn eher in negativem oder sogar feindseligem Licht. Ausnahmen hat es immer gegeben, aber sie waren und blieben eine verschwindende Minderheit. Dies begann sich, zumindest bei bestimmten Juden, zu ändern, als mit dem Aufkommen der jüdischen Aufklärungsbewegung (Haskala) im späten 18. Jahrhundert eine Entwicklung einsetzte, die den Juden in den Ländern West- und Mitteleuropas schrittweise Emanzipation und Gleichberechtigung brachte. Es war offenkundig: Wenn 110 Der Jesus-Skandal die Gesellschaft insgesamt dem Prozess jüdischer Integration und Assimilation (der vor allem den Unterricht in der Landessprache an jüdischen Schulen bedeutete – kein gänzlich neues Phänomen, aber in manchen Regionen Mittel- und Osteuropas revolutionär) offen gegenüberstand, ihn sogar förderte, manchmal geradezu erzwang, und wenn zugleich die jüdische Aufklärungsbewegung das Programm der kulturellen Europäisierung energisch vorantrieb, dann musste dies zwangsläufig tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen. Juden wurden nun, im Laufe des späten 18. und des 19. Jahrhunderts, zu Franzosen, Deutschen und Amerikanern jüdischen Glaubens. Die Assimilation europäischer Juden an die umgebende Kultur hatte aber nicht nur zur Folge, dass Juden der Sprache verlustig gingen, die sie einst gesprochen hatten – etwa in den deutschsprachigen Ländern des Jiddischen – und sich in ihrer Sprache und Kleidung mehr oder weniger allen anderen anglichen, sondern darüber hinaus noch etwas anderes: Manche Juden eigneten sich nicht nur die Äußerlichkeiten der europäischen Kultur bis ins feinste Detail an, sondern auch ihre Essenz, ihren Wesenskern. Tatsächlich begannen Juden alsbald eine stetig wachsende Rolle in der europäischen Hochkultur zu spielen, vor allem in der Musik, später auch in der Literatur und der bildenden Kunst. Ihre Absorption europäischer Kultur schloss offenkundig das Christentum als kulturelle Kraft ein, wenn nicht sogar als bindendes religiöses Fundament. Im 19. Jahrhundert konvertierten zahlreiche Juden zum Christentum, die große Mehrheit tat es nicht. Aber diese Mehrheit war dennoch Teil einer Entwicklung, die zu Erscheinungen führte, wie ich sie aus meiner Kindheit im New York der 1940er Jahre erinnere, wo jüdische Jungen und Mädchen die Texte christlicher Weihnachtslieder weit besser beherrschten als die Texte der Chanukka-Lieder, auch wenn sie sehr genau wussten, dass sie nicht zur christlichen Welt gehörten. Angehörige der europäischen Hochkultur wie etwa Eduard Bendemann und einige Mitglieder der Familie Mendelssohn, die, wie manche Juden es ausdrücken würden, zur Welt des Christentums überliefen, waren eine Sache. Aber all die Kulturpersönlichkeiten, die nicht konvertierten, sondern zumindest formell im Schoß des Judentums und der jüdischen Identität verblieben, waren dem allmächtigen Einfluss des christlichen Europa unweigerlich ebenso ausgesetzt. Auch von ihnen konnte niemand erwarten, dass sie der Ver- Zum historischen und kulturellen Kontext 111 suchung widerstanden, sich mit christlichen Themen zu beschäftigen, und diese Tendenz wurde verstärkt durch einen anderen Aspekt der sich wechselseitig verstärkenden Tendenzen von Aufklärung und Emanzipation – nämlich der Tendenz mancher Juden Jesus (und den Kreis seiner nächsten Gefährten) für das Judentum und die jüdische Geschichte zurückzufordern. Wir sehen hier eine jüdische Version der christlichen Suche nach dem historischen Jesus, die mit radikalen Implikationen verknüpft ist. Die Neubewertung des Jesus von Nazareth innerhalb des Judentums, im weitesten Sinn eine Begleiterscheinung der jüdischen Integration und Emanzipation, muss im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Reformjudentums gesehen werden, das sich, von Mitteleuropa ausgehend, rasch nach Amerika und – in weit geringerem Maß – nach Ostmitteleuropa ausbreitete. Einer der wichtigsten Aspekte des Reformjudentums, wie es sich insbesondere in Deutschland und den Vereinigten Staaten herausbildete, war der Wunsch, das Judentum zu universalisieren – es weniger engstirnig, weniger rechtsgläubig, weniger Halacha-hörig (Halacha – das jüdische Gesetz) und damit in seiner Theologie und Ideologie weltoffener zu machen. Dieser neue Akzent rückte zwangsläufig die hebräischen Propheten in den Vordergrund, deren Forderung nach dem Ende gesellschaftlicher Unterdrückung von universaler Bedeutung war, und die zu sagen schienen, dass der Gott Israels der Gott aller Menschen sei – so Jesajas viel zitiertes und von progressiven Juden innig geliebtes Diktum: »Mein Haus wird heißen ein Bethaus allen Völkern« (Jes. 56,7). Die beträchtliche Spannung zwischen diesem neuen Universalismus mit seiner Betonung der prophetischen Vision und seiner moralischen Botschaft an die ganze Menschheit und dem konkurrierenden Wunsch nach der Bewahrung des Judentums als eigenständiger Religion und der Juden als eigenständiger ethnischer Gruppe oder eigenständigem Volk (im Sinne des deutschen und jiddischen Volk) blieb unaufgelöst und ist bis heute in liberalen jüdischen Kreisen präsent – womit meist Reformjudentum und konservatives Judentum sowie allerlei Spielarten des säkularen Jüdischseins gemeint sind. Wie dem auch sei, zweifellos hat diese neue Richtung im jüdischen Denken die Tür zu einer Neubewertung des Christentums im Allgemeinen und der Gestalt Jesu im Besonderen aufgestoßen. 112 Der Jesus-Skandal Diese Neubewertung erhielt aber auch noch aus einer anderen Richtung Nahrung: aus der florierenden wissenschaftlichen jüdischen Forschung in Europa, die unter dem Titel Wissenschaft des Judentums vor allem in den deutschsprachigen Ländern betrieben wurde. Die modernsten Forschungsmethoden wurden nunmehr von jüdischen Gelehrten zu einem neuen Blick auf die jüdische Vergangenheit benutzt, auf ihre Heiligen Schriften, namentlich die Bibel und den Talmud, auf ihre antike und mittelalterliche Literatur, auf ihre Gesetze und auf ihre Geschichte. Es war also diese Parallelität und teilweise Überlappung von Haskala-Bewegung, Wissenschaft und Reformjudentum, in der die Neubewertung von Jesus dem Juden aufkeimte und Gestalt anzunehmen begann. Es ist kein Zufall, dass der erste große jüdische Denker, der die Bedeutung des jüdischen Jesus betonte, einer der Wegbereiter des Reformjudentums in den deutschsprachigen Ländern war: Abraham Geiger (wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass Geiger nicht der erste jüdische Schriftgelehrte war, der über eine Neubewertung von Jesus nachdachte – neben einigen anderen hatte dies schon Moses Mendelssohn, der Großvater von Felix Mendelssohn, getan). Tatsächlich befand Geiger sich an der Schnittstelle zweier bedeutender jüdischer Projekte dieser Zeit: dem Reformjudentum und der Wissenschaft des Judentums. Auch reagierte Geiger auf christliche ebenso wie auf neue innerjüdische Denkansätze. Die Feinheiten dieser komplexen Entwicklung sollen uns hier nicht interessieren, aber ihre Implikationen sind für uns von Bedeutung. Wie eine ausgewiesene Kennerin seines Werks schrieb, war es »Geiger […], der als erster erklärte, Jesus habe seinem Glauben nach dem pharisäischen Judentum angehört, wogegen das Christentum eine Religion des Dogmas über Jesus sei, eine Verkehrung Jesu eigener Lehren«.10 Geiger sah, im Gegensatz zu den meisten christlichen Gelehrten und Publizisten, in der Religion der Phärisäer nicht die engstirnige, fanatische Doktrin der Christen, sondern eine positive religiöse Kraft. Weiter argumentierte Geiger, dass Jesu »außergewöhnliches religiöses Bewusstsein […] nicht einzigartig [war], sondern schlicht ein typisches Beispiel des religiösen Genius des jüdischen Volkes«.11 Geiger sah in Jesus einen außergewöhnlichen Vertreter der pharisäischen Tradition, deren berühmtester Schriftgelehrter Hillel war: »Er hob nicht im Entferntesten irgend etwas Zum historischen und kulturellen Kontext 113 vom Judenthum auf, er war ein Pharisäer, der auch in den Wegen Hillels ging, nicht auf jedes einzelne Äußerliche Werth legte, aber andererseits sprach er es auch aus, dass nicht ein Titelchen vom Gesetze weggenommen werden soll, die Pharisäer sitzen auf dem Stuhle Mosis, und was sie sprechen, das sollt ihr befolgen.«12 Kurzum, Geiger stellte »Jesus als frommen Juden, als Rabbi [dar] und setzte seine Lehren mit jenen des klassischen rabbinischen Judentums« gleich.13 Er war also definitiv nicht der Erbauer der christlichen Kirche, die die Juden so viele Jahrhunderte hindurch verfolgt hatte. Nach Geiger hoben auch andere reformjüdische Interpreten an Jesus vor allem seine Liberalität und Offenheit, seine moralische Autorität sowie seinen prophetischen Zug hervor – mithin seine Übereinstimmung mit den wichtigsten Grundsätzen des prophetischen Judentums, wie sie es verstanden, möglicherweise sogar mit dem modernen Reformjudentum. Für viele jüdische Kommentatoren war der eigentliche Gründer des Christentums als einer eigenständigen Religion nicht Jesus, der Jude, sondern vielmehr der hellenisierte Paulus, der die Halacha abschaffen wollte, um das Judentum für die nichtjüdischen Massen zu öffnen. Es war Paulus, der von der »Beschneidung des Herzens« sprach, nicht Jesus. Ein besonders wichtiger jüdischer Gelehrter, der in seinem Werk Jesus als frommen Juden lobte, war der Historiker Heinrich Graetz, dessen elfbändige Geschichte der Juden, die von den 1850er Jahren an erschien, in jüdischen Kreisen in Deutschland weit verbreitet war. Für unser Thema bleibt festzuhalten, dass die Frage, wer Jesus wirklich war – die Suche nach dem historischen Jesus –, sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Zankapfel zwischen Juden und Christen entwickelte, zumindest zwischen einigen Juden und einigen Christen. Geiger und seine Anhänger reagierten insofern auf christliche Thesen über Jesus, die zugleich Thesen über das Judentum im Allgemeinen waren. Jesus war alles mögliche für alle möglichen Menschen – für die Nazis war er ein arischer Rassist, für liberale Juden eine Art Reformrabbiner, für manche Schwarze ein Afrikaner und so weiter und so fort. Für unsere Zwecke von Bedeutung ist der Aspekt, dass um 1870 die Frage der Identität des Jesus von Nazareth eine besondere Brisanz hatte; die einen sahen in ihm einen frommen Juden, die anderen einen Mann, der seine jüdische Herkunft transzendiert hatte 114 Der Jesus-Skandal und so zum Gründer einer neuen, geläuterten Religion geworden war, die das Judentum abgelöst und obsolet gemacht hatte. Liebermann, so dürfen wir annehmen, war über die Details dieser Kontroverse zwischen jüdischen und christlichen Theologen und Gelehrten nicht im Bilde. Aber es ist schwierig, sein Gemälde zu betrachten, ohne sich diesen Kontext zu vergegenwärtigen. Für Künstler, die in ihren Werken Jesus (oder Christus) abbildeten, egal, ob sie jüdischer Herkunft oder nichtjüdisch waren, spielten die hier erörterten Koordinaten allesamt eine Rolle: der Orientalismus, der Kolonialismus, die Annäherung an den Orient, die neue wissenschaftliche Beschäftigung mit dem »Spätjudentum« und den Anfängen des Christentums, die Suche nach einer authentischeren Kulisse für den christlichen Messias und die Frage nach der wahren religiösen Identität des Jesus von Nazareth. Nun stellt sich die Frage: Bezogen diese Künstler, in unserem Fall Max Liebermann, einen Standpunkt in dieser Kontroverse? Hatten sie eine Meinung zu der Frage, ob Jesus ein loyaler Jude war oder nicht? Ob er überhaupt ein Jude war? Oder zu der Frage, ob die Passion Christi, sein Verrat und sein Tod am Kreuz, hinterhältigen Juden anzulasten war? Und, wenn ja: War an dieser verhängnisvollen Entscheidung irgendetwas jüdisch? Anders gefragt: Lässt sich das, was sie schufen, als »jüdische Kunst« bezeichnen? Es gibt keine einfache Antwort auf diese Frage, und viel hängt davon ab, wie wir diesen schwammigen Begriff definieren. Was unter »jüdischer Kunst« zu verstehen sei, ist eine uralte Debatte, für deren oft langweilige und stets fruchtlose Erörterung schon viele Bäume gefällt und zu Papier verarbeitet wurden. Wir könnten es uns leicht machen und behaupten, jede Kunst, die sich mit jüdischen Themen befasst, sei jüdische Kunst. Doch dem widersprechen schon die vielen nichtjüdischen Künstler, die seit Jahrhunderten jüdische Szenen gemalt haben, bis hin zu detailgetreuen Darstellungen betender Juden. Ebenso unhaltbar wäre die These, jedes Werk, das von einem Mann oder einer Frau jüdischer Herkunft geschaffen wurde, sei automatisch »jüdische Kunst«. Sollte man etwa Pissarros Landschaften als »jüdische Kunst« bezeichnen, oder Modiglianis Porträts? Mein Lösungsvorschlag für dieses unlösbare Problem ist folgende These: Jüdische Kunst ist Kunst, die von Männern oder Frau- Zum historischen und kulturellen Kontext 115 en jüdischer Herkunft hergestellt ist, deren Intention oder Sinngehalt auf jüdische Fragestellungen verweist, oder deren Verständnis sich zumindest teilweise durch den Bezug auf jüdische Hintergründe erschließt. Ein klassisches Beispiel wäre der Bilderzyklus von Moritz Oppenheim über deutsch-jüdisches Familienleben, der unter anderem auf die Thematik des deutsch-jüdischen Patriotismus und des Stolzes auf jüdische religiöse Traditionen verweist.14 Ich hoffe, diese These wird sich als brauchbar für den letzten Abschnitt dieses Essays erweisen, der sich mit der Frage der Darstellung Jesu durch 73 Hieronymus Bosch, Die Kreuztragung, 1510 – 16, Museum der schönen Künste, Gent Künstler jüdischer Herkunft beschäftigt. Man kann davon ausgehen, dass Künstler jüdischer Herkunft, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Jesus als Sujet vornahmen, zumindest teilweise von all den geschilderten Aspekten beeinflusst waren, darin aber zugleich nach einem Weg suchten, ihre jüdische Identität auszudrücken – der eine mehr, der andere weniger – und eine Position zu den Themen ihrer Zeit zu beziehen, die mit ihrem Jüdischsein zu tun hatten. Wie aber soll man Jesus in einem jüdischen Kontext darstellen, als Teil jüdischer Geschichte, um damit eine Position zum eigenen Jüdischsein zu verdeutlichen? Eine naheliegende Möglichkeit ist die, ihm und den mit ihm dargestellten Figuren irgendwie jüdische Züge zu geben – gesetzt, es gibt überhaupt so etwas wie jüdische Züge – und ihn in Gewändern zu zeigen, wie Juden sie tragen (auch wenn wir nicht wissen, wie sich die Juden zur Zeit Jesu kleideten). Dies bedeutete bis zu einem gewissen Grad, sich von der traditionellen Ikonografie der Jesus- (oder Christus-) Darstellungen zu verabschieden, die ihn definitiv nicht als Juden – gemeint ist hier: als modernen Juden – kenntlich machten. Ebenso bedeutete es, sich gegen die bereits erwähnte traditionelle antisemitische Botschaft mancher europäischer Jesus-Darstellungen zu stellen, für die etwa Hieronymous Boschs Die Kreuztragung (1510 – 16) ein prägnantes Beispiel ist (Abb. 73).15 Dass diese unerfreuliche Tradition sich bis heute erhalten hat, belegt der kontroverse Film von Mel Gibson Die Passion Christi, dem von vielen jüdischen Zuschauern der Vorwurf gemacht wurde, er schüre das Feuer des Antisemitismus.16 Hunts Die Auffindung Jesu und Liebermanns Der zwölfjährige Jesus vermitteln mit Sicherheit ein vollkommen anderes, weitaus positiveres Bild der Juden, in deren Mitte Jesus dargestellt wird. 116 Der Jesus-Skandal Manche jüdischen Künstler kennzeichneten Jesus anhand seiner Kleidung als Juden, zumindest mit einigen wenigen Elementen, die an die Kleidungsgewohnheiten zeitgenössischer Juden erinnerten – beispielsweise dem Tallit (Gebetsschal, der in der Synagoge getragen wird) und der Kippa oder irgendeiner anderen Kopfbedeckung. Dies taten in den 1870er Jahren beispielsweise zwei bedeutende osteuropäische Künstler jüdischer Herkunft, der russisch-jüdische Bildhauer Mark Antokolski und der in Ostgalizien geborene polnisch-jüdische Maler Maurycy Gottlieb. Antokolski schuf in den Jahren 1874 – 76 einen Ecce Homo, der Jesus unverkennbar als Juden zeigt, was nach Antokolskis eigener Aussage auch seine Absicht war (Abb. 74). Wie ein Kunsthistoriker bestätigt, »stellt Antokolski Jesus mit stereotypen jüdischen (semitischen) Gesichtszügen, Schläfenlocken (Pejes), einer Kippa und in altertümlicher jüdischer Kleidung dar«.17 Noch wichtiger für unser Thema, da wir es mit einem Maler zu tun haben, ist Maurycy Gottlieb, der im gleichen Jahr, als Liebermann den Zwölfjährigen Jesus malte, an einem großen Gemälde mit dem Titel Jesus predigt in Kafarnaum (Abb. 75) arbeitete.18 Etwa um dieselbe Zeit malte Gottlieb noch ein weiteres Großbild mit einer JesusSzene, das den jungen Jesus vor dem jüdischen Gericht, dem Sanhedrin, zeigt – mit dem Titel Jesus vor seinen Richtern (Abb. 76). Auf beiden Gemälden wird Jesus (oder Christus) eindeutig als Jude dargestellt – er trägt eine Art Tallit und eine Kopfbedeckung. Seine Identität steht außer Zweifel, und stand auch für Gottliebs zeitgenössisches Publikum außer Zweifel. Nach Antokolski und Gottlieb malten viele weitere Künstler jüdischer Herkunft Jesus-Bilder, auf denen Christus als Jude dargestellt wurde; der bei weitem berühmteste unter ihnen war Chagall. Tatsächlich haben, beginnend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und fortgesetzt bis heute, die Figur des Jesus und ganz allgemein die christliche Metaphorik und Symbolik in die jüdische Kultur Einzug gehalten (wenn dieser Ausdruck treffend ist) – insbesondere in die bildende Kunst und die Literatur. Und dies geschah auf eine überraschende und auffällige Weise vor allem dadurch, dass jüdische Schriftsteller und Maler traditionelle jüdische Sichtweisen auf »jenen Mann« (»oto haish«, wie er im Hebräischen manchmal genannt wird) hinterfragten und ihn durch die Art ihrer Zeichnung in den Dienst ihrer eigenen modernen Aussagen stellten. Zum historischen und kulturellen Kontext 74 Mark Antokolsky, Ecce Homo (Christus vor den Richtern), 1874 – 76, Tretjakov-Galerie, Moskau 117 In meiner Arbeit über Maurycy Gottlieb habe ich versucht zu erklären, welche Motivation den Künstler veranlasste, Christus (oder Jesus) zu malen. Ich habe keinen Zweifel, dass eines seiner Motive der Wunsch war, sich selbst als einen echten europäischen und insbesondere polnischen Künstler zur Geltung zu bringen, indem er zeigte, dass auch er in der Lage war, den Helden des christlichen Kulturkreises in seinen Bildern darzustellen. Vor dem Hintergrund der extremen Religiosität Polens und der Sichtweise, Polen sei aufgrund seines langen Leidens und Märtyrertums der Christ unter den Nationen, hatte dies besondere Bedeutung. Gottlieb, dessen Muttersprache Deutsch war, strebte nach Ruhm und Anerkennung als 75 Maurycy Gottlieb, Jesus predigt in Kafarnaum, 1878 – 79, Nationalmuseum Warschau 118 jüdischer Künstler und errang tatsächlich hohes Ansehen in der weitläufigen Welt der polnischen Kunst. Dies ist also ein erster wichtiger Aspekt. Doch es ist nicht der einzige. Ich bin sicher, dass wir es hier mit einer »jüdischen Intention« zu tun haben, vielleicht sogar mit mehreren. Indem Gottlieb Jesus so eindeutig jüdisch zeichnete (ein Punkt, der allen auffiel, die über seine Werke schrieben), wollte er, so glaube ich, die Absurdität des Antisemitismus demonstrieren (mit dem er nur allzu vertraut war, wie so viele polnische Juden seiner Zeit). Wie können Christen Juden hassen, wenn das Objekt ihrer tiefen Verehrung selbst ein religiöser Jude ist, der in den Synagogen Galiläas zu seinen jüdischen Gefährten predigte? In dieser Wahrnehmung steht Jesus für das Gute und die Kirche für das Böse, da sie eine antijüdische Politik verfolgt, mit der sie ihren wahren Ursprung im Judentum verhöhnt. Zum Zweiten glaube ich, er bringt damit ein Gefühl des Stolzes darüber zum Ausdruck, dass Jesus, der große Lehrer der ganzen Menschheit, Jude war, womit er auf den ungeheuren Beitrag verweisen kann, den Juden zur Weltzivilisation geleistet haben (einen Beitrag, der mit Christi Tod nicht endete). Gleichzeitig bekundet er damit, so glaube ich, sein Bekenntnis zur Doktrin des Universalismus, die unter den Juden der modernen Zeit so viele Anhänger gefunden hat. Vieles deutet darauf hin, dass Gottlieb von der Notwendigkeit überzeugt war, die vielen ethnischen Gruppen und Religionen, die sich unter dem Dach der Monarchie versammelten, in der er lebte, miteinander zu versöhnen – und vor allem die Polen (gemeint sind die christlichen Polen) und die Juden zu versöhnen. Vielleicht versucht er hier anzudeuten, dass der reale, Der Jesus-Skandal authentische Jesus – also nicht der Jesus der katholischen Kirche, sondern der jüdische Jesus mit seiner Botschaft von Liebe und Versöhnung, einer Botschaft universaler Brüderlichkeit – das Symbol einer solchen Versöhnung darstellt, womit nicht etwa gemeint ist, dass alle Menschen Christen werden sollen (ein solcher Gedanke lag ihm sicher fern), sondern dass Jesu Lehren von der universellen Brüderlichkeit und Liebe, gegründet auf die jüdische Moral, wie sie von den Propheten entwickelt worden war, am Ende den Sieg davontragen würden über den Hass und die ethnischen und religiösen 76 Maurycy Gottlieb, Jesus vor seinen Richtern, 1877 – 79, Israel Museum, Jerusalem Vorurteile, die aus Unwissenheit und Missgunst geboren wurden. Wie schon mehrfach erwähnt, ist die traditionelle Ikonografie von Szenen aus dem Leben Christi und der Geschichte des Christentums, insbesondere von Darstellungen der Passion, oft nicht frei von einer antisemitischen Bildsprache. Es lässt sich nicht bestreiten, dass diese Tradition zum Antisemitismus in Europa beigetragen hat. In diesem Sinne markieren die Christus-Darstellungen und Szenen aus dem Leben Jesu einiger jüdischer Künstler tatsächlich einen Wendepunkt, da naturgemäß in den Werken jüdischer Künstler derlei antisemitische Metaphorik kaum zu finden sein dürfte und meiner Meinung nach auch nirgendwo anzutreffen ist. Aber noch ein anderer Punkt ist hier erwähnenswert. Man kann Gottliebs Jesus vor seinen Richtern und vielleicht noch andere Jesus-Darstellungen jüdischer Künstler nicht nur als eine Affirmation des jüdischen Jesus lesen, sondern darüber hinaus auch als einen Protest gegen das rigide, doktrinäre, ja fanatische Rabbinat, wie es in Gottliebs Werk Jesus vor seinen Richtern durch den zornigen Hohepriester verkörpert wird. Die Darstellung Jesu lässt sich nicht nur als Ausdruck der Kritik an der Kirche und ihrem Antisemitismus interpretieren, sondern auch als Kritik am traditionellen Judentum und an seinem Widerstand gegen äußere Einflüsse im Allgemeinen und die Errungenschaften der europäischen Kultur (vor allem der Kunst) im Besonderen. Das orthodoxe Rabbinat, zumal das osteuropäische, war kein Freund der Kunst, und die meisten jüdischen Künstler waren dem orthodoxen Judentum entfremdet. Jesus wurde von jüdischen Künstlern für viele Zwecke eingesetzt. Es gibt keinen Zweifel, dass er für manche jüdisches Leiden symbolisierte – wie es offenkundig bei Chagalls berühmtem Gemälde Die weiße Kreuzigung der Fall ist. Es ist möglich, dass Israels Zum historischen und kulturellen Kontext 119 berühmtester Künstler, Reuven Rubin, der eine Anzahl von Bildern des christlichen Messias malte, in Jesus ein Symbol für den unausweichlichen Triumph des Zionismus und die jüdische Wiedergeburt in Palästina als der Heimat seiner Vorfahren sah.19 Aber was ist mit Liebermann? Ein kurzer Vergleich mit Gottlieb, dessen Zeitgenosse er für eine kurze Zeitspanne war, ist angezeigt. Gottlieb war, seiner deutschen Muttersprache zum Trotz, ein »Ostjude«; er stammte aus der Vielvölkerregion Ostgalizien (er wurde in Drohobytsch geboren), wo die meisten Juden Jiddisch sprachen und orthodox waren und wo die Juden nicht nur eine Religionsgemeinschaft, sondern auch eine ethnische Gruppe bildeten, vielleicht sogar ein eigenes »Volk«. Liebermanns Hintergrund war natürlich vollkommen anders. Für Gottlieb war die Frage nach seiner Identität ein vielschichtiges Rätsel: Was war er – Pole, Jude, Österreicher oder eine Mischung aus allen dreien? Sogar in seinem Namen spiegelt sich diese Konfusion – Moyshe (Jiddisch) oder Mosche (Hebräisch) in den jüdischen Sprachen, Maurycy auf Polnisch, Moritz auf Deutsch. Solche komplexen Probleme waren Liebermann fremd, zumindest die meiste Zeit seines Lebens. Man muss fairerweise einräumen, dass jüdische Identität und jüdisches Bewusstsein für Gottlieb einen mächtigeren Antrieb darstellten als für Liebermann (obwohl ich ihre Bedeutung für letzteren nicht in Abrede stelle). Überdies ist uns von Gottlieb überliefert, dass er ein »jüdischer Künstler« sein wollte, eine Art jüdischer Matejko, was nicht heißt, dass er nicht zugleich ein polnischer Künstler und ein europäischer Künstler sein wollte (das wollte er ganz entschieden). Von Liebermann lässt sich gleiches natürlich nicht sagen; er hat sich nicht auf Darstellungen des jüdischen Lebens spezialisiert; und seine jüdische Identität war, auch wenn er sie nie zu verbergen suchte, wenig ausgeprägt – darin glich er den vielen anderen etablierten, bürgerlichen, erfolgreichen deutschen Juden seines gesellschaftlichen Standes und seiner Zeit.20 Dennoch möchte ich behaupten, dass sein Jesus etwas mit den Werken Gottliebs, Antokolskis, Chagalls und anderer Künstler jüdischer Herkunft gemeinsam hat. In jedem Fall ist die negative Resonanz auf Liebermanns Gemälde des Jesus im Tempel von 1879 ein Beleg für seine Angreifbarkeit als Jude, und hierin hat er eine große Gemeinsamkeit mit anderen jüdischen Künstlern, deren Jüdischsein stärker ausgeprägt war. Es ist eine in- 120 Der Jesus-Skandal teressante Tatsache, dass es vielen Künstlern jüdischer Herkunft, die es wagten, Jesus darzustellen, als Chuzpe (Frechheit) angekreidet wurde, wenn sie den christlichen Messias zu ihrem Sujet machten. Dieser Vorwurf traf beispielsweise Antokolski sowie einen anderen Bildhauer jüdischer Herkunft, den in Amerika geborenen Engländer Jacob Epstein, dessen Werk Der Auferstandene, 1920 in London ausgestellt, mit erbitterter Kritik überzogen wurde, bei der kein Hehl daraus gemacht wurde, dass sie auch auf die jüdische Identität seines Schöpfers zielte.21 In diesem Sinne teilte Liebermann mit seinen Künstlerkollegen jüdischer Herkunft ein gemeinsames Schicksal. Darüber hinaus ernteten manche Künstler jüdischer Herkunft (bildende Künstler, Musiker und Schriftsteller), die sich in ihrer schöpferischen Arbeit mit dem christlichen Messias befassten, auch in der jüdischen Welt negative Resonanz. Die Wahrheit ist, dass trotz der Bemühungen, Jesus für das Judentum zurückzugewinnen, den meisten Juden der Gedanke unbehaglich blieb, dass Jesus von Juden in der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik in ein günstiges Licht (oder überhaupt ins Licht) gerückt wurde. Ein frühes Beispiel hierfür ist Heinrich Heines ätzende Kritik an Felix Mendelssohns christlicher Kirchenmusik, an der er im Vergleich zu den authentischen Kompositionen des Katholiken Rossini kein gutes Haar ließ.22 Gottlieb wurde Anfang der 1930er Jahre von einem polnischen Zionistenführer für seinen Jesus in Kafarnaum scharf kritisiert, und von Liebermann wissen wir, dass er glaubte, seine deutschen Mitjuden durch sein Gemälde von 1879 und die Kontroverse, die es auslöste, todunglücklich gemacht zu haben.23 Wir wissen auch von der großen Ablehnung, die dem berühmten jiddischen Schriftsteller Schalom Asch vonseiten mancher Juden entgegenschlug, als er seine Trilogie über das Leben Christi publizierte; und ich wage zu behaupten, dass auch israelische Künstler, die den christlichen Heiland malen, sich diesem Risiko aussetzen.24 Dieses Thema wäre eine genauere Untersuchung wert. Man könnte sagen, dass erst Liebermanns Kritiker, die christlichen wie die jüdischen, aus seinem Zwölfjährigen Jesus ein »jüdisches Gemälde« gemacht haben, und aus seinem Schöpfer einen »jüdischen Künstler«. Was waren seine Absichten? Ich weiß es nicht. War Liebermann ein »jüdischer Künstler«? Wollte er als einer betrachtet werden? Ich glaube, man muss diese beiden Fragen, falls Zum historischen und kulturellen Kontext 121 man sie überhaupt beantworten kann, mit Nein beantworten – er selbst sah sich als deutschen Künstler, so wie er sich zuallererst als Deutschen sah. Aber verlangt das Verständnis seines Gemäldes Jesus im Tempel vom Betrachter, sich die mannigfaltigen jüdischen Hintergründe zu vergegenwärtigen? Hier glaube ich, dass die Antwort Ja ist. Man kann dieses Gemälde als ein Werk sehen, wie es für einen deutschen Künstler des späten 19. Jahrhunderts, der in den Fußstapfen von Menzel und anderen wandelte, gang und gäbe war; aber man sollte es auch im Kontext der jüdisch-christlichen Diskussion und der Debatte sehen, die in Deutschland und anderswo über die Bedeutung Jesu und des Judentums für die Juden wie die Nichtjuden geführt wird. Denn dieses Gemälde ist nolens volens Teil dieser Diskussion und dieser Debatte. Ob bewusst oder unbewusst – Liebermann hat seinem deutschen Publikum etwas zu sagen über die Natur der Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden in der gegenwärtigen Welt. Er macht Jesus, unter anderem, zu einem jüdischen Thema, und zugleich zu einem universellen Thema mit universeller Bedeutung. Ich weiß nicht und will mir dazu keine Meinung erlauben, ob Liebermann ein »jüdischer Künstler« oder eher ein deutscher Künstler jüdischer Herkunft war, aber um den Zwölfjährigen Jesus im Tempel zu verstehen, ist es hilfreich zu wissen – es ist sogar unerlässlich, das zu wissen –, dass er nicht nur ein deutscher und europäischer Künstler war, der in der Tradition deutscher Kunst arbeitete, sondern auch ein deutscher Jude, ein deutscher Bürger mosaischen Glaubens – und damit, wie er sehr genau wusste, ein Mitglied der Schicksalsgemeinschaft der deutschen Juden. Übersetzung aus dem Englischen: Edith Winnen 1 Laura Morowitz, A Passion for Business: Wannamaker’s, Munkácsy, and the Depiction of Christ, in: The Art Bulletin, Bd. XCI, Nr. 2, Juni 2009, S. 184 – 206. Ich danke Richard Cohen für den Hinweis auf diesen Artikel. 2 Vgl. die Anmerkungen von Walter Cahn, Max Liebermann and the Amsterdam Jewish Quarter, in: Barbara Kirshenblatt-Gimblett / Jonathan Karp (Hg.), The Art of Being Jewish in Modern Times, Philadelphia 2007, S. 208 – 27. 3 Vgl.: Szkice do dziejów cywilizacyi w Polsce, Warschau 1910. Die Gemälde sind abgebildet in Krystyna Skroczyńska (Hg.), Matejko. Obrazy olejne, Warschau 1993, S. 137, 142. 4 Abgebildet in: Vladimir Kemenov, Vasily Surikov, Bournemouth 1997, S. 13. 5 Sally M. Promey, Painting Religion in Public. John Singer Sargent’s Triumph of 122 Der Jesus-Skandal 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 Religion at the Boston Public Library, Princeton 1999. Sargents traditionelle Darstellung der Synagoge als liegende, bezwungene Frau mit verbundenen Augen erregte den Zorn der lokalen jüdischen Gemeinde und löste einen Skandal in Boston aus. Patricia G. G. Berman, James Ensor. Christ’s Entry into Brussels in 1889, Los Angeles 2002. Edward Said, Orientalism, New York 1978; deutsche Ausgabe: Orientalismus, Frankfurt am Main 1979. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton und Oxford 2008, S. 33 – 38. Vgl. zum Beispiel die Arbeit des amerikanischen Gelehrten E.P. Sanders, Jesus and Judaism, Philadelphia 1985, und von David Flusser, Jesus, Jerusalem 2001. Susannah Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus, Chicago und London 1998, S. 13; deutsche Ausgabe: Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, Berlin 2001. Ebd., S. 43; engl. Ausg. S. 19. Abraham Geiger, Das Judentum und seine Geschichte, Bd. I, Breslau 1910, S. 117f., zitiert nach Heschel 2001, S. 246.; engl. Ausg. S. 149. Ebd., S. 371, engl. Ausg. S. 229. Dazu: Ismar Schorsch, Art as Social History: Oppenheim and the German Jewish Vision of Emancipation, in: Moritz Oppenheim. The First Jewish Painter, Jerusalem 1987, S. 31 – 62. Allgemein dazu die grundlegende Arbeit von Richard Cohen, Jewish Icons. Art and Society in Modern Europe, Berkeley und London 1998. Es wird als mögliche Quelle für Ensors Gemälde angesehen von Berman, James Ensor, wie Anm. 6, S. 60 – 61. Vgl dazu: Peter Pettit, Mel Gibson’s The Passion of the Christ and its Ramifications, in: Jonathan Frankel / Ezra Mendelsohn (Hg.), The Protestant-Jewish Conundrum, Studies in Contemporary Jewry, Bd. 24, Veröffentlichung in 2010. Matthew Hoffman, From Rebel to Rabbi. Reclaiming Jesus and the Making of Modern Jewish Culture, Stanford 2007, S. 212. Für einen faszinierenden und innovativen Blick auf diese Statue vgl: Olga Litvak, Rome and Jerusalem. The Figure of Jesus in the Creation of Mark Antokol’skii, in: Kirshenblatt-Gimblett / Karp, wie Anm. 2, S. 228 – 254. Die Expertin zur Frage der Darstellung des Jesus in der »Jüdischen Kunst« ist Ziva Amishai-Maisels. Vgl. ihren Artikel: The Jewish Jesus, in: Jewish Art, 9, 1982, S. 85 – 104, und dies., Origins of the Jewish Jesus, in: Matthew Baigell / Milly Heyd (Hg.), Complex Identities: Jewish Consciousness and Modern Art, New Brunswick 2001, S. 51 – 86. Vgl. auch: Efraim Sicher, Jews in Russian Literature after the October Revolution. Writers and Artists Between Hope and Apostasy, Cambridge, et al. 1995, S. 40 – 70. Ich bespreche diese Arbeit in meinem Buch Painting a People. Maurycy Gottlieb and Jewish Art, Hanover und London 2002, und in einem früheren Artikel in hebräischer Sprache, Omanut vehistoriah yehudit: Yeshu doresh bekhfar nahum leMaurycy Gottlieb, in: Zion, Bd. 53, 1998, S. 173 – 191. Amitai Mendelsohn, Prophets and Visionaries: Reuven Rubin’s Early Years, 1914 – 23, Jerusalem 2007. Zwei wichtige, erst kürzlich erschienene Artikel zu Liebermann, die versuchen den Einfluss seiner jüdischen Herkunft auf sein Leben und Werk zu berücksichtigen sind: Peter Paret, Triumph and Disaster of Assimilation. The Painter Max Liebermann, in: Jewish Studies Quarterly , Bd. XV, No. 2, 2008, S. 130 – 147, und Walter Cahn, Max Liebermann and the Amsterdam Jewish Quarter, wie Anm. 2. Stephen Gardner, Epstein: Artist Against the Establishment, London 1992, Zum historischen und kulturellen Kontext 123 S. 207 – 214; June Rose, Demons and Angels. A Life of Jacob Epstein, New York 2002, S. 118 – 121. 22 Nach: S. S. Prawer, Heine’s Jewish Comedy, New York 1983, S. 523 (einen Brief Heinrich Heines von 1846 zitierend). 23 Mendelsohn, Painting a People, S. 181 – 183, wie Anm. 18; Paret, Triumph and Disaster of Assimilation. The Painter Max Liebermann, wie Anm. 20, S. 136f. 24 Die Rezeption Scholem Aschs durch die Juden diskutiert Anita Norich, Discovering Exile. Yiddish and American Jewish Culture During the Holocaust, Stanford 2008, S. 74 – 95. 124 Der Jesus-Skandal 77 Albrecht Dürer, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 1503, Privatbesitz · Kat.-Nr. 18 Zum historischen und kulturellen Kontext 125 78 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Jesus als Knabe unter den Schriftgelehrten, 1654, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 21 79 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Jesus lehrt im Tempel, 1652, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 20 126 Der Jesus-Skandal 80 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Die Beschneidung, 1630, Kunsthalle Bremen – Kupferstichkabinett – Der Kunstverein in Bremen Kat.-Nr. 19 Zum historischen und kulturellen Kontext 127 81 Heinrich Hofmann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1884, Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 25 128 Der Jesus-Skandal 82 Julius Schnorr von Carolsfeld, Jesus als zwölfjähriger Knabe, unter den Lehrern im Tempel, 1852 – 60, Clemens-Sels-Museum, Neuss · Kat.-Nr. 24 Zum historischen und kulturellen Kontext 129 83 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1852, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek · Kat.-Nr. 23 130 Der Jesus-Skandal 84 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1851, Hamburger Kunsthalle · Kat.-Nr. 22 Zum historischen und kulturellen Kontext 131 132 Der Jesus-Skandal Petra Wandrey Der zwölfjährige Jesus im Tempel Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs Als Bildmotiv hat Der zwölfjährige Jesus im Tempel eine lange Tradition in der bildenden Kunst und erfreute sich besonders im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit. Das Motiv geht zurück auf einen biblischen Bericht aus der Kindheit Jesu. Im Lukasevangelium (Lk 2,41 – 52) wird berichtet, dass Josef und Maria, so wie es Brauch war, mit dem zwölfjährigen Jungen zum Passahfest nach Jerusalem gingen. Dort verloren die Eltern ihren Sohn. Erst nach dreitägiger Suche fanden sie ihn im Tempel unter den Lehrern, zu denen er sprach. »Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten« (Lk 2,47). Dieser Bericht wird im apokryphen Thomasevangelium etwas erweitert dargestellt. Dort wird Maria von den Schriftgelehrten als Mutter des Knaben gepriesen: »Selig bist du unter den Weibern, denn der Herr hat die Frucht deines Leibes gesegnet. Denn solche Herrlichkeit, solches Vergnügen und solche Weisheit haben wir niemals gesehen noch gehört.«1 Aus frühchristlicher Zeit sind nur wenige Darstellungen des Motivs erhalten. Sie lassen sich in der Regel aus der antiken Gelehrtenikonografie herleiten. Ein Relief des Mailänder Elfenbeindiptychons aus dem 5. Jh. stellt den von einer hohen Kathedra herab sprechenden Jesus dar. Eine Miniatur des Lukasbildes im Evangeliar des hl. Augustinus in Cambridge (Ende des 6. Jhs.) ergänzt die Wiedergabe dieses Disputs um die Gestalt der Maria, die ihren vermissten Sohn wiederfindet. In einer Miniatur des Egbert-Codex (um 980) sitzt Jesus mit einer Schriftrolle in der Hand zwischen den Gelehrten. Er blickt auf die Rolle und hebt lehrend seine rechte Hand, was ihn als Ausleger der Schrift kennzeichnet. Dieser Lehrtypus hat sich als wegweisend erwiesen. Seltener ist dagegen der Diskussionstypus dargestellt, bei dem Jesus den zu einer Gruppe zusammengefassten Schriftgelehrten gegenüber sitzt bzw. steht und gestenreich mit ihnen disputiert (Abb. 87). 85 Der zwölfjährige Jesus im Tempel, Mitte rechts, 2. Hälfte 5. Jh., Diptychon, linker Flügel, Mailand, 86 Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 980, Egbert-Codex 133 Im Spätmittelalter erfährt der Lehrtypus, insbesondere in der italienischen Kunst, dadurch eine Erweiterung, dass die Beziehung zwischen Jesus und Maria hervorgehoben wird. Giotto behält in seiner Darstellung in der Arenakapelle (Abb. 88) die frontale Ansicht des Lehrtypus bei und verdeutlicht in der Darstellung der Eltern ein psychologisches Moment: Die zu ihrem Sohn hin ausgestreckten Arme der Maria zeigen die Sorge der Mutter um ihr verlorenes und nun wiedergefundenes Kind. Aus der Figur Josefs spricht gleichzeitig Erleichterung wie auch Verwunderung über den Ort, an dem Jesus sich befindet. Tilman Riemenschneider verlegt in seiner Darstellung des Motivs auf dem Creglinger-Altar den thematischen Schwerpunkt auf 87 Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 1270, Evangelistar der Ste. Chapelle, Paris, British Museum, London 88 Giotto di Bondone, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1304 – 05, Capella degli Scrovegni (Arenakapelle), Padua 134 Maria und macht sie dort zur Hauptfigur. Die Hände vor der Brust gekreuzt steht sie groß im Vordergrund, während Jesus lehrend hinter ihr thront. Ihr wendet sich der mit einem aufgeschlagenen Buch auf den Knien im Vordergrund sitzende Schriftgelehrte zu. Die beiden Darstellungen in der Predella des Altars, Die Anbetung der Könige und Der zwölfjährige Jesus im Tempel, symbolisieren die Unterwerfung der weltlichen und kirchlichen Mächte unter Jesus. Auch in vielen anderen Werken der frühen Neuzeit erhielt Maria größeres Gewicht, da das Suchen und Finden ihres Sohnes zu den damals häufig dargestellten sieben Schmerzen und sieben Freuden Marias zählte, die die Themenwahl verschiedener Marienaltäre bestimmten. Albrecht Dürer, dessen Werk Max Liebermann als »die Umgestaltung des ewig strömenden Seins der Seele in das moralische Gesetz«2 charakterisierte, setzte sich mehrfach mit dem Motiv auseinander, erstmals um 1495 – 98 auf der Altartafel der Sieben Schmerzen Mariens. Später stellte er in seiner Holzschnittfolge des Marienlebens den zwölfjährigen Jesus im Tempel (um 1503, Abb. 77) in einem perspektivisch gestalteten, tonnengewölbten Innenraum dar. Jesus sitzt auf der mit einem Baldachin überdachten Kathedra rechts im Hintergrund des Bildes, während die Schriftgelehrten großzügig in dem weiten Raum verteilt sind. Von links treten Josef und Maria hinzu. Es wird der Eindruck einer gelehrten Disputation erweckt. Nur einige Jahre später schuf Dürer in Venedig eines seiner Hauptwerke, sein »opus quinque dierum«, Christus unter den Schriftgelehrten (Abb. 90).3 In einem Brief an seinen Freund, den Huma- Der Jesus-Skandal nisten Willibald Pirckheimer, bezeichnete er das Bild als »des gleichen jch noch nie gemacht hab«.4 Dieses Werk, dessen kurze Entstehungszeit auf einem als Lesezeichen getarnten Cartellino genannt ist, wurde in der Kunstkritik häufig als ungewöhnlich charakterisiert. Dürer zeigt Jesus eng umringt von Schriftgelehrten, deren Physiognomien äußerst individuell gestaltet sind. Der Gelehrte links, dem Jesus sich zuneigt, hat sein Buch geschlossen und blickt erkennend zu dem Knaben auf. Ein anderer im rechten Vordergrund hält ihm dagegen ein aufgeschlagenes Buch entgegen, während der Alte neben Jesus versucht, die sachliche Argumentation des Knaben zu unterdrücken. Es sind die Hände dieser beiden, die eine zentrale Rolle in der Bilderzählung spielen. Das Bild ist auf das Wesentliche reduziert, weder ist der Raum gekennzeichnet, noch sind die herbeieilenden Eltern dargestellt. Der venezianischen Kunst ist die nahsichtige, devotionsfördernde Halbfigurendarstellung entliehen. Zentrales Thema ist der gelehrte Disput, dem im Humanismus außerordentliche Bedeutung zukam. Das Christentum soll die Menschen zu moralischem Handeln erziehen und der beste Lehrer christlicher Lebensführung ist Jesus selbst. Gleichzeitig manifestiert sich im Bild das komplizierte Verhältnis der Juden zu Christus und zum Christentum, das sich sowohl in Verständnis als auch Unverständnis und Ignoranz ausdrückt. Anregungen zu dieser Bildlösung bezog Dürer aus der nordalpinen Tradition, wo die Szene zumeist in Zyklen vorkam, sowie aus der italienischen Kunst. Neben Cima da Conegliano waren es wohl vor allem Werke Andrea Mantegnas und Giovanni Bellinis, den Dürer persönlich kannte, die den Deutschen beeinflussten. Von den beiden Letzteren sind Darstellungen des zwölfjährigen Jesus im Tempel nicht erhalten, sondern nur dokumentiert. Eine besondere ikonografische Ausformung des Bildthemas entwickelte sich seit Beginn des 16. Jahrhunderts in dem sogenannten niederländischen Typus, an den Max Liebermann sich in seiner Darstellung anlehnte. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass ein besonders hervorgehobener Schriftgelehrter auf einem Lehrstuhl sitzt, während Jesus inmitten der Schriftgelehrten sitzend oder stehend mit ihnen diskutiert, was als Überwindung des Alten Bundes durch Christus gedeutet wird. Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs 89 Tilman Riemenschneider, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 1505 – 08, Predella des Marienretabels, Herrgottskirche, Creglingen 90 Albrecht Dürer, Christus unter den Schriftgelehrten, 1506, Museo ThyssenBornemisza, Madrid 135 Rembrandt, von dem Max Liebermann sagte: »Nicht vor oder nach ihm ist ein Maler entstanden, der unserem Begriff vom Künstler in höherem Maße entspräche...« 5 und den er für den aktuellsten unter den alten Meistern hielt, hat das Motiv in drei Radierungen und mehreren Zeichnungen aufgegriffen, die diesen Typus anschaulich vermitteln. Die Rembrandtrezeption moderner Künstler, die in 91 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Jesus lehrt im Tempel, 1652, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett · Kat.-Nr. 20 Frankreich bereits um 1850 einsetzte, wurde in Deutschland in den 1870er Jahren von den Malern des Leibl-Kreises in München vorbereitet und von Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt wesentlich gefördert.6 In einer kleinen, hochformatigen Radierung von 16307 zeigt Rembrandt den Jesusknaben im Kreis orientalisch gewandeter Schriftgelehrter. Eindringlich stellt er den Unterschied zwischen dem zarten Kind und den behäbigen, mächtigen Schriftgelehrten heraus. Der Tempel ist bereits eine Ruine, der Alte Bund überwunden. Die rund zwanzig Jahre später entstandene Radierung von 1652 (Abb. 91, 79) zeichnet ein anderes Bild. Die im Tempel anwesenden Personen hören der Argumentation des im Zentrum stehenden Jesus aufmerksam zu. Wie später bei Liebermann ist Jesus nicht als triumphierender Sohn Gottes dargestellt, sondern überzeugt durch kindliche Natürlichkeit, was durch die Gestik seiner Hände noch unterstrichen wird. Die Schriftgelehrten reagieren nachdenklich auf seine Rede. Der am rechten Bildrand sitzende Gelehrte, den Jesus direkt anspricht und der in unmittelbarem Blickkontakt zu ihm steht, lenkt als Repoussoirfigur den Blick des Betrachters hinüber zu den hinter einer Brüstung stehenden Pharisäern. Von dort wandert er zu den hinter Jesus stehenden Anwesenden. So entsteht, obwohl die Figurengruppe in dem querrechtwinkligen Format fast isokephalisch angeordnet ist, eine konzentrisch anmutende Figurenkomposition um den Jesusknaben herum. Die Spannung des Dialogs wird greifbar. Diese Form der Gruppenkomposition, die »Zusammenordnung sich drängender Gestalten um ein Zentrum des Interesses«8, griff Rembrandt häufig auf, so auch in seiner Radierung Die kleine Beschneidung von 1630 (Abb. 80), deren Gruppenkonstellation starke Ähnlichkeiten zu Liebermanns Gemälde aufweist. Auch die Radierung von 1654 (Abb. 78), die das Geschehen nahsichtig wiedergibt, lebt von der Dialogsituation. Hier sitzt Jesus unter den Schriftgelehrten und spricht zu dem vor ihm sitzenden 136 Der Jesus-Skandal 92 Matthias Stom, Der zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten, 1640er Jahre, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek, München Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs 137 Gelehrten, wiederum eine Repoussoirfigur. Gleich zwei der hier dargestellten Figuren scheinen Liebermann als Anregung gedient zu haben: einerseits der Gelehrte hinter Jesus, der mit verschränkten Händen die Diskussion verfolgt, und andererseits der rechts stehende Gelehrte, der fast die gesamte Höhe des Blattes einnehmend mit dem Rücken zum Betrachter steht.9 Beide Blätter Rembrandts erzeugen den Eindruck von Spontaneität und Momenthaftigkeit. 93 Dirck van Baburen, Jesus unter den Schriftgelehrten, 1622, Steven and Dorothea Green Collection, USA Die Schriftgelehrten werden nicht negativ charakterisiert, sondern als zur Selbstkritik fähige, reflektierende Gesprächspartner wiedergegeben. Jedoch konnten nicht nur Radierungen und Zeichnungen von Rembrandt Max Liebermann zu seiner Darstellung inspirieren, sondern möglicherweise auch ein Gemälde des Zwölfjährigen Jesus im Tempel in der Alten Pinakothek in München, das damals noch als eigenhändiges Werk Rembrandts galt. Heute wird es Salomon Koninck zugeschrieben.10 Während seines München-Aufenthalts in den Jahren 1878 – 84 hat Liebermann es wahrscheinlich gesehen und studiert, ebenso wie ein weiteres Gemälde zum Thema, das ebenfalls in der Pinakothek hing. Es wurde damals Gerrit van Honthorst zugeschrieben und gilt heute als Werk Matthias Stoms (Abb. 92).11 Stom, in der Nähe von Utrecht geboren, lebte viele Jahre in Italien. Stilistisch den Utrechter Caravaggisten nahestehend, studierte er in Rom, Neapel und Sizilien die Originalwerke Caravaggios. Seine Bilder zeugen von bemerkenswerter psychologischer Intensität. Auf seinem Gemälde steht Jesus mit lehrend erhobenem Zeigefinger fünf Schriftgelehrten gegenüber. Die Gelehrten reagieren abweisend und disputieren mit dem Knaben, wobei der Zählgestus des einen an Dürers Gemälde gemahnt. Nur der außen sitzende Schriftgelehrte hält nachdenklich inne, das Kinn in die rechte Hand gestützt, während die Finger der linken Hand zwischen die Seiten eines aufgeschlagenen Buches greifen, das auf seinen Knien liegt. Diese Geste der Nachdenklichkeit erweckte Liebermanns Interesse ebenso wie die Hell-Dunkel-Darstellung des Caravaggisten.12 Auch Dirck van Baburen, einer der Begründer der Utrechter Caravaggisten, malte 1622 den zwölfjährigen Jesus im Tempel. Ähnlichkeiten zu der Darstellung Stoms sind vorhanden, wenn auch Baburen die Aufgeregtheit und Bestürzung der Schriftgelehrten viel drastischer darstellte (Abb. 93). 138 Der Jesus-Skandal Mit dem Aufkommen der Aufklärung wurde die Tempelszene häufig in der Art griechischer Akademien dargestellt. Besonders in Süddeutschland wurde das Thema mit der Pflicht zum Besuch des Sonntagsgottesdienstes verbunden, da auch Jesus sich der Pflicht unterwarf, den Tempel zu besuchen, um sich dort mit dem Wort Gottes auseinanderzusetzen. Der in München geborene Januarius Zick stellte, genau wie sein Vater, das Motiv in Freskenzyklen süddeutscher Kirchen dar (Abb. 94). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts strebte eine deutsche Künstlergruppe um Friedrich Overbeck, der Lukasbund, die Erneuerung der christlichen Malerei aus dem Geiste alter deutscher und italienischer Kunst an. Diese bis in die 1880er Jahre einflussreichen, als Nazarener bezeichneten Künstler dominierten um 1830 die Münchener Akademie. Einer ihrer Vertreter war Julius Schnorr von Carolsfeld, der sich intensiv mit niederländischer und deutscher Grafik um 1500 beschäftigt hatte. Er gab 1860 eine mit 240 Holzschnitten illustrierte Bibelausgabe heraus, die eine Darstellung des zwölfjährigen Jesus im Tempel enthielt (Abb. 82). Dort sitzt Jesus, antik gekleidet, vor einem Lesepult, durch ein zweistufiges Podest leicht erhöht und die Füße zusätzlich auf einer kleinen Fußbank, lehrend den Schriftgelehrten gegenüber. Die Gelehrten, die teils an Philosophentypen Raffaels, teils an Heiligenfiguren Martin Schongauers erinnern, reagieren abweisend auf die Worte des Knaben, sind schwerhörig oder konzentrieren sich vollkommen auf ihre Lektüre. Von rechts eilen Maria und Josef herbei. Es finden klare Gruppenbildungen statt, wobei Jesus als Einzelfigur räumlich von der Gruppe der Schriftgelehrten separiert ist. Die im Hintergrund herbeieilenden Eltern verstärken die Tiefenwirkung des Raumes. Die Bilderbibel erfreute sich über Konfessionsgrenzen hinweg großer Beliebtheit und bald galt Schnorr von Carolsfeld neben Gustave Doré als wichtigster Bibelillustrator des 19. Jahrhunderts. Der von Liebermann bewunderte Adolf Menzel hatte das Motiv fast zehn Jahre zuvor bereits als Transparentgemälde für die Weihnachtsausstellung der Berliner Akademie gemalt. Das Werk ist durch ein vorbereitendes Pastell Menzels von 1851 (Abb. 84, 95) und eine Lithographie (1852) überliefert (Abb. 83). Richard Muther bezeichnete Menzels Jesus als »gescheites israelitisches Bürschchen […], das eine Anzahl polnischer Juden durch seine klugen Antwor- Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs 94 Januarius Zick, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1784, Deckenfresko der Pfarrkirche St. Verena in Rot an der Rot 139 ten entzückt«13, Cornelius Gurlitt nannte es eine der ersten Darstellungen in Deutschland, die Jesus bewusst als »Juden unter Juden« auffassten.14 Da gerade diese Bildidee später für Liebermann wichtig werden sollte, wurde das Gemälde des Jüngeren stets als direkte Auseinandersetzung mit Menzel angesehen.15 Bei Menzel steht Jesus umringt von Schriftgelehrten im Zentrum der Darstellung und spricht zu dem ihm gegenüberstehenden, über 95 Adolf Menzel, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1851, Hamburger Kunsthalle Kat.-Nr. 22 ein Lesepult gebeugten Gelehrten. Am rechten Bildrand drängen Maria und Josef zu ihrem Kind. Die Schriftgelehrten sind individuell charakterisiert und deutlich als Juden gekennzeichnet. Das Momenthafte der Situation zeigt sich anschaulich an ihren Reaktionen, die äußerst theatralisch und dabei wie eingefroren wirken. Menzel wandte sich in seiner Darstellung gegen »das hohle Gefühlsgebaren der anerkannten religiösen Malerei« und nahm »eine implizite kritische Haltung gegen Akademie und Nazarenertum«16 ein. Er versuchte, dem Bild Authentizität zu verleihen, indem er dem zeitgenössischen Verständnis jüdischer Physiognomie Rechnung trug. Laut Überlieferung entlehnte er die Darstellung der Schriftgelehrten Modellen, die er unter den osteuropäischen Juden seiner Heimatstadt fand,17 überzeichnete sie jedoch, wodurch auch eine negative Konnotation erweckt wird. Zeitgenossen bewunderten hingegen besonders, die Art, in der der Künstler das historische Geschehen in die Gegenwart des modernen Judentums als realistische, lebenswahre Qualität des Kunstwerks versetzt hatte.18 In der Folge gehörte die Lithographie zu den meist verbreiteten Blättern Menzels. Eine Darstellung, die von den Kritikern immer wieder im direkten Vergleich mit Liebermanns Werk genannt wurde, war Der zwölfjährige Christus im Tempel (1879) von Ernst Karl Georg Zimmermann. Das Bild wurde gleichfalls auf der Internationalen Kunstausstellung in München gezeigt und im Gegensatz zu Liebermanns naturalistischer Darstellung insgesamt positiv bewertet. Der für das Heiligenbild neue, rein menschliche Charakter des Bildes, der sich aus dem insgesamt »köstlichen Humor«19 der Szene speist, wurde als unterscheidend modernes Element gerühmt. Ein letztes, etwas später entstandenes Beispiel ist Der zwölfjährige Jesus im Tempel (1884) von Heinrich Hofmann (Abb. 81). Er stellt Jesus als idealisierten Gottessohn vor, dem die Schriftgelehrten aufmerksam und verwundert über seine Weisheit zuhören. Im Gegensatz zu Menzel und Zimmer- 140 Der Jesus-Skandal 96 Wilhelm Krauskopf, Radierung nach Ernst Karl Georg Zimmermann, Der zwölfjährige Christus im Tempel, 1879, Verbleib unbekannt mann erlangen diese hier, wie zuvor schon bei der Darstellung Max Liebermanns, ihre über die Jahrhunderte kanonisierte Form als würdevolle Philosophen zurück. Als Max Liebermann sich dem Thema des zwölfjährigen Jesus im Tempel zuwandte, konnte er auf eine lange Bildtradition zurückblicken. Von einigen Werken weiß man, dass er sie kannte, bei anderen, wie zum Beispiel den Werken Dürers, kann man es nur vermuten. Dabei fällt auf, dass für Liebermanns Komposition vor allem der niederländische Bildtypus, insbesondere das Werk Rembrandts, Pate stand. Die Darstellungsweise Adolf Menzels lieferte wichtige intellektuelle Stimulanzien. Aus den Anregungen seiner Vorgänger entwickelte Liebermann in seinem Bild eine ganz neue Darstellungsform und markierte damit den Beginn einer neuen Form religiöser Malerei, wie sie u. a. durch Fritz von Uhde fortgeführt wurde. Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs 141 1 Des israelitischen Philosophen Thomas Bericht über die Kindheit des Herrn, in: Wilhelm Schneemelcher (Hg.), von Edgar Hennecke begründete Sammlung, Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. I Evangelien, 6. Auflage Tübingen 1990, S. 353 – 359; 359. Grundlegende Literatur zu den folgenden Ausführungen: Volker Osteneck, Zwölfjähriger Jesus im Tempel, in: Engelbert Kirschbaum SJ. (Hg.), Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 4, Freiburg i. Br. 1994, Sp. 583 – 589; Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 1: Inkarnation, Kindheit, Taufe, Versuchung, Verklärung, Wirken und Wunder Christi, Gütersloh 1966 2 Max Liebermann, Rede zur Eröffnung der Dürer-Ausstellung, März 1928, in: Max Liebermann, Die Phantasie in der Malerei. Schriften und Reden, Berlin 1983, S. 233. 3 Albrecht Dürer, Christus unter den Schriftgelehrten, 1506, Malerei auf Pappelholz, 64,3 × 80,3 cm, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid. 4 Albrecht Dürer an Willibald Pirckheimer, 23. September 1506, zit. nach Ausst.Kat. Wien 2003, Klaus Albrecht Schröder / Marie Luise Sternath (Hg.), Albrecht Dürer, S. 338. Darin zu Dürers zwölfjährigem Jesus im Tempel: Martin Schawe, Albrecht Dürers »Opus quinque dierum«, Kat.-Nr. 106, S. 338 – 348. 5 Max Liebermann, Rede zur Eröffnung der Rembrandt-Ausstellung, Februar 1930, in: wie Anm. 2, S. 267. 6 Die unterschiedliche Rembrandtbegeisterung in Frankreich und Deutschland lag in den divergenten politischen Kulturen begründet. Demokratische Gedanken stießen in Frankreich nach den Revolutionen von 1830 und 1848 auf geringeren Widerstand als in Deutschland. Dazu: Johannes Stückelberger, Rembrandt und die Moderne. Der Dialog mit Rembrandt in der deutschen Kunst um 1900, München 1996. 7 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Der Jesusknabe unter den Schriftgelehrten, 1630, Radierung, 8,9 × 6,8 cm, Museum Het Rembrandthuis, Amsterdam. 142 Der Jesus-Skandal 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 Günter Busch, Max Liebermann. Maler, Zeichner, Graphiker. Frankfurt am Main 1986, S. 37. Zum Einfluss Rembrandts auf Liebermanns Jesus: Stückelberger 1996, wie Anm. 6, S. 80 – 91. Salomon Koninck, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 1646, Öl auf Eichenholz, 84,5 × 71,5 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek, München. Matthias Stom, Der zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten, 1640, Öl auf Leinwand, 200 × 146 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek, München. Dazu: Helmut R. Leppien, Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann, Hamburg 1989, S. 19f. Richard Muther, Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert, Bd. 3, München 1894, S. 636. Cornelius Gurlitt, zit. nach: Friedrich Gross, Jesus, Luther und der Papst im Bilderkampf 1871 bis 1918. Zur Malereigeschichte der Kaiserzeit, Marburg 1989, S. 142. Liebermann verglich die künstlerische Originalität in der Darstellung der Juden bei Menzel mit der Rembrandts mit den Worten: »Rembrandt sieht die Amsterdamer Juden durch die Brille der alttestamentlichen Darstellung; Menzel stellt im ›Jesus unter den Schriftgelehrten‹ Juden vom Mühlendamm dar.« Max Liebermann, Menzel, in: wie Anm. 2, S. 123f. Peter Dittmar, »Der zwölfjährige Christus im Tempel« von Adolph Menzel. Ein Beispiel für den Antijudaismus im 19. Jahrhundert, in: IDEA, Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle, VI, 1987, S. 81 – 96, 83. Ebd. S. 83; Anm. 4, S. 95. Edmond Duranty, zitiert nach Jenns E. Howoldt, Zwischen Dialog und Konflikt. Max Liebermann und Adolph Menzel, in: Ausst.-Kat. Hamburg, Max Liebermann. Der Realist und die Phantasie, Hamburg 1997, S. 32 – 40, 34. Gustav Floerke, Die internationale Kunstausstellung zu München 1879, Tl. V., in: Die Gegenwart, 1879, Bd. 16, Nr. 41, S. 237. Zur Ikonografie eines christlichen Bildmotivs 143 Max Liebermann: Brief an Alfred Lichtwark vom 5. Juni 1911 Wannsee 5/6. 11. Große Seestr. 24 Verehrtester Freund, Ihr Brief vom 31/5 hat mich ganz besonders erfreut u ich wollte ihn sofort Abends, nachdem ich ihn in der Früh erhalten, beantworten. Aber die Abende sind im Garten so schön, daß ich mich nicht ent_ schließen konte, mich an den Schreibtisch zu setzen u so gings die 8 Tage hindurch, sodaß ich die Stille des 2ten Feiertags benutze – selbst die brave Luise, »le coeur simple«, schläft noch – um Morgens zu thun, was mir Abends nur durch Sie (da Sie mir die Liebe zum Garten durch Ihre thätige Mitarbeiterschaft an ihm so vergrößert haben), unmöglich wird. Also, was den Christus oder richtig Jesus im Tempel betrifft, so habe ich ihn in München von Ende Dezember 1878 – April 1879 gemalt. Ich kam von Venedig, wo ich 2 Monate war, nach München, um ein paar Tage dort zu bleiben u aus den paar Tagen wurden – 6 Jahre! Die Idee zum Bilde reicht bis 1876 zurück, wie zahlreiche Zeichnungen in meinen Skizzenbüchern beweisen u die ich Ihnen mal zei_ _ _ gen werde, wen Sie nach Berlin komen. Dan malte ich 1877 die Studie in der Synagoge in Amsterdam – jetzt im Besitze von Schulte und während meines Aufenthaltes in Venedig die dortige (Synagoge aus _ dem XVI. Jahrh. – auf dem Bilde in der Treppe erkentlich). Das Bild fing ich, wie gesagt, in München an u zwar als erstes, was ich dort malte. Die Modelle nahm ich aus den münchener christlichen Spitälern, da Juden sehr wenig posiren u auch aus einem andern Grunde, der mir bei der Wahl der Modelle zeitlebens von Jugend an maßgebend geblieben ist. Die Juden schienen mir zu charakteristisch: Sie verleiten zur Carikatur – in welchen Fehler mir Menzel verfallen zu _ sein scheint. Vor vielen Jahren, als ich Momsen für Sie malen sollten, 144 Der Jesus-Skandal sagte ich Ihnen, glaub ich, dasselbe: Mommsen war zu sehr »der deutsche Professor« aus den fliegenden Blättern, der überall den Regenschirm stehen läßt. Der Jesus ist nach einem italienischen Modell gemalt. – Ich bin der Überzeugung, daß Rembrandt’s Modelle mei_ stens Christen waren: das Accentuieren des Seelischen hat zur Anahme geführt, daß er meistens Juden gemalt hätte, z. B. auf der soge_ nanten Judenbraut sind Hendrickje u sein Sohn Titus dargestellt. Rembrandt malte den Geist der Juden, während Menzel ihr Äußerliches wiedergab, grade so wie Leibl u Defregger mit dem Tiroler es _ machten, der erstere ihn malerisch d.h. inerlich, der andere, Defreg_ ger, ihn literarisch d.h. in diesem Sine äußerlich auffaßten. – Ich habe Ihnen wohl erzählt, wie ich durch das Bild, das um 10 Uhr in der Ausstellung der Jury unterlag, am Abend »berühmt« wurde, so daß ich mich in der Allotria zu Gedon, Lenbach, Wagmüller d. h. zu den »Göttern« setzen durfte; wie Zügel meinte, daß seit 50 Jahren kein solch’ Meisterwerk in München gemalt sei; daß der Brief an Lichtwark – Transkription 145 Prinz. Regent das Bild aus der Ausstellung entfernen wollte, daß sich eine 2tägige Debatte im bayrischen Abgeordnetenhaus dranschloß (u nur dem damaligen Conferenzführer habe ich zu danken, daß ich _ damals nicht gekreuzigt wurde); wie ich durch das Bild Leibl kenen lernte u, da mir Lenbach rieth, der Wuth des Pöbels mich durch die Flucht zu entziehn, wie ich wieder Dachau, wohin ich ging, für die Malerei »entdeckte«. Habent fata sua Tabulae. Stöcker befürchtete, daß das Bild nur ihn zu seiner Judenhetze veranlaßt hätte was meine Glaubensgenossen mich schwer büßen ließen indem es wohl 15 Jahre dauerte bis sie wieder meine Bilder kauften. Die eckelhaftesten Zeitungsfehden schlossen sich dran u während ich, von all’dem Radau, den man jetzt angesichts des Bildes kaum noch begreift, angeeckelt, mir vornahm, nie mehr ein biblisches Sujets zu malen, war der Jesus der Anlaß der neureligiösen Malerei geworden. Ich werde übrigens in nächster Zeit Herbst, der ein paar Wochen 146 Der Jesus-Skandal _ nach mir nach München kam u mit dem ich Tag und Nacht zusamen war, schreiben, da mich auch Hanke um näheres über die damalige Zeit bat, damit er mir aus seinem vortrefflichen Gedächtnisse das wohl auch »objektiver« sein wird – mittheilen möge, wie’s damals gewesen ist. Jedenfalls in der Kneipe war ich der »Herrgottschinder« u wohl auch für einen Theil der Künstlerschaft – zugleich war _ _ ein Bild »Jesus im Tempel« von Zimerman ausgestellt, das damals unendlich viel mehr Succes hatte, während er heut total vergessen _ _ ist. – N[eben].b[ei].Zimerman, der mich auf der Straße gesehn hatte _ ohne mich zu kenen, bat mich, ihm für sein Bild zu sitzen (was meine obigen Bemerkungen beweis’t) -: aber für die Lenbach, Leibl, Gedon war ich »auch einer« geworden, während man meine Erfolge in Paris bis dahin einfach ignorirt hatte u alles, was ich seit den Gän_ serupferinen gemalt hatte, (L[udwig]. P[ietsch]. pries mich bei meinem Auftreten, um mich später um so wilder anzugreifen, seit 10 Jahren bin ich wieder der »Meister«) einfach für Dreck natürlich Brief an Lichtwark – Transkription 147 den Jesus inclusive zu erklären. Ryparopgage war noch das gelindeste der Schimpfworte, die mir an den Kopf geworfen wurden. Ausdrücklich will ich noch bemerken, daß ich erst nach Vollendung des Bildes die Lithographie »Jesus im Tempel« zu Gesicht bekam u zwar schickte sie mir – Pächter, mit dem ich dadurch in Berührung kam; was um so weniger merkwürdig, als Menzel’s Jugendwerk erst _ in den 80er Jahren wieder bekant wurde. – Duranty, der Freund Zola’s u damals Redakteur des Beaux Arts illustrés – früher der Gazette des B[eaux]. A[rt]. – schrieb einen Artikel, der endete: L[iebermann]. est et sera un maitre u er schenkte die Zeichnung, die ich für seinen Artikel machte, einem seiner Freunde Proust, bei dem sie Degas sah. Und als ich vor 12 oder 13 Jahren zum ersten u einzigen Male Degas mit Tschudi besuchte, empfing er [mich] mit Worten des höchsten Lobes über den Jesus u sagte, durch die Zeichnung wäre er angeregt worden, überall nach meinen Arbeiten zu spähn! 148 Der Jesus-Skandal _ Ich bin ins Erzählen gekomen: das Alter ist geschwätzig, sodaß ich mir die Beantwortung Ihrer Bemerkungen über meinen Garten auf nächstens aufheben muß. Sonst ginge der Brief heut auch noch nicht ab. Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihr Interesse, ohne das mein Garten nie so schön geworden wäre. Die Hitze ist übrigens sehr schädlich, da nichts so rasch wächst u das Sprengen nur ein sehr schwaches Surrogat für den fehlenden Regen ist. _ _ Gestern beehrte mich Hodler auf der Reise nach Hanover, er kömt vielleicht auch nach Hamburg, mit einem Herrn Siems (glaub’ ich). Mit b[esten] Grüßen Ihr sehr erg[ebener] M Liebermann Brief an Lichtwark – Transkription 149 97 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der bayerischen Kammer der Abgeordneten vom 15. Januar 1880 150 Der Jesus-Skandal Bayerische Landtagsakten 151 Verzeichnis der ausgestellten Werke Erläuterungen Maßangaben (Höhe vor Breite) und Angaben 2 Max Liebermann: Kopfstudie eines sephardischen zu Material, Technik und Datierung sind größtenteils den Verzeichnissen der entsprechenden Juden mit Gebetsschal, 1878 Öl auf Karton, 31 × 24 cm Sammlungen entnommen. Kunsthaus Zürich, Legat Richard Schwarzenbach Abkürzungen: Eberle Matthias Eberle, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien, Bd. I: 1865 – 1899, München 1995, Bd. II: 1900 – 1935, München 1996 Göres Ruth Göres, Die Handzeichnungen Max Liebermanns. Ihr Verhältnis zu seiner Malerei, ihr Beitrag zum Realismus, Berlin 1971 (Diss. Humboldt-Universität zu Berlin) Bartsch Adam von Bartsch, Le Peintre Graveur, 21 Bde., Wien 1803 – 1821 (Reprint Leipzig 1854 – 1876; Reprint Würzburg 1920/1922; Reprint Hildesheim u. a. bzw. Nieuwkoop 1970 sowie 1971; Reprint Nieuwkoop 1982) Gemälde 1 Max Liebermann: Inneres der Synagoge von Amsterdam, 1876 Öl auf Leinwand, 58 × 46 cm Privatbesitz Eberle 1876 /32 Abb. S. 23 152 Eberle 1878/24 Abb. S. 22 3 Max Liebermann: Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1879 Öl auf Leinwand, 149,6 × 130,8 cm Inv.-Nr. HK-5424 Hamburger Kunsthalle Eberle 1878/3 Abb. S. 21 Zeichnungen 4 Max Liebermann: Studien und Skizzen zum Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel (verso), o. J. (1876), Bleistift auf Skizzenbuchblatt, 23,2 × 30,4 cm Inv.-Nr. KW 437 Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken Aus der Sammlung Kohl-Weigand Abb. S. 48 Der Jesus-Skandal 5 9 Max Liebermann: Skizzen zu dem Gemälde Max Liebermann: Studie zum Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel (recto), o. J. (1876) Bleistift und Feder in Braun auf Skizzen- Der zwölfjährige Jesus im Tempel (verso), 1878, Bleistiftzeichnung, 15,8 × 9,8 cm buchblatt, 23,1 × 30,4 cm Inv.-Nr. K 1924 – 148 Inv.-Nr. KW 529 Düsseldorf, museum kunst palast, Graphische Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Sammlung Saarlandmuseum Saarbrücken Aus der Sammlung Kohl-Weigand Abb. S. 51 Abb. S. 48 10 Max Liebermann: Skizzenbuch, um 1878 6 68 Doppelseiten, fünf Seiten herausgeschnitten, Max Liebermann: Studie zu dem Jesus gegenüber sitzenden alten Mann, 1878 Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 22,7 cm Inv.-Nr. 1916 – 169 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Göres 301 Abb. S. 57 etwas höher als DIN A 6 Inv.-Nr. MGS SKB 17B Darin: Skizze zu Der zwölfjährige Jesus im Tempel, fol. 112 Museum Georg Schäfer, Schweinfurt Abb. S. 15 7 Max Liebermann: Kompositionsskizze in etwas anderer Fassung als die ausgeführte (Studie zum Gemälde Jesus im Tempel), 1878 Kreidezeichnung, Blatt: 23,6 × 21 cm Inv.-Nr. 1916 – 170 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Göres 302 Abb. S. 47 8 Max Liebermann: Studie zum Jesusknaben, 1878 Kreidezeichnung auf bräunlichem Velin, Blatt: 29,8 × 22,7 cm Thomas LeClaire Kunsthandel, Hamburg Abb. S. 54 Verzeichnis der ausgestellten Werke 11 Max Liebermann: Studie zu dem stehenden Mann auf der Kompositionsskizze, 1878 – 79 Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm Inv.-Nr. 1916 – 171 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Göres 303 Abb. S. 50 12 Max Liebermann: Vorstudie zu dem Jesus gegenüber sitzenden Alten, 1878 – 79 Kreidezeichnung, 29,5 × 23,5 cm Inv.-Nr. 1916 – 172 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Abb. S. 53 153 13 17 Max Liebermann: Vorstudie zu dem stehenden Max Liebermann: Entwurf zum zwölfjährigen Alten auf der Kompositionsskizze (recto), 1878 – 79 Jesus im Tempel, 1879 Kreide über Bleistift auf Papier, 43,4 × 30,4 cm Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm Inv.-Nr. SZ 43 Inv.-Nr. 1916 – 168 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Göres 43 Abb. S. 49 Abb. S. 46 14 Max Liebermann: Studie zu einem Mann mit Werke anderer Künstler Gebetsschal (verso), 1878 – 79 18 Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm Inv.-Nr. 1916 – 168 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Abb. S. 56 Albrecht Dürer: Der zwölfjährige Jesus im Tempel, um 1503 Holzschnitt, 29,5 × 20,8 cm Privatbesitz Bartsch 91 Abb. S. 125 15 Max Liebermann: Studie zum Jesusknaben (recto), 1879 Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm Inv.-Nr. 1916 – 167 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Göres 299 Abb. S. 55 16 Max Liebermann: Studie zu einem Schriftgelehrten (verso), 1879 Kreidezeichnung, Blatt: 30 × 23,5 cm Inv.-Nr. 1916 – 167 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Abb. S. 52 154 19 Rembrandt Harmensz. van Rijn: Die Beschneidung, 1630 Radierung, 8,8 × 6,4 cm Inv.-Nr.: 7313 Kunsthalle Bremen, – Kupferstichkabinett – Der Kunstverein in Bremen Bartsch 48 Abb. S. 127 20 Rembrandt Harmensz. van Rijn: Jesus lehrt im Tempel, 1652 Radierung, 12,6 × 21,4 cm Inv.-Nr.: 6175 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Bartsch 65 I Abb. S. 126 Der Jesus-Skandal 21 25 Rembrandt Harmensz. van Rijn: Jesus als Knabe Heinrich Hofmann: Der zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten (Der zwölfjährige Jesus im Tempel), 1654 im Tempel, 1884 Öl auf Leinwand, 67 × 90,5 cm Radierung , 9,5 × 14,4 cm Inv.-Nr. HK – 3199 Inv.-Nr.: 253 – 128 Hamburger Kunsthalle Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett Abb. S. 128 Bartsch 64 Abb. S. 126 Briefe und Dokumente 22 26 Adolf Menzel: Der zwölfjährige Jesus im Max Liebermann: Brief an Alfred Lichtwark Tempel, 1851 Pastell Hamburger Kunsthalle Abb. S. 131 vom 5. 6. 1911 Dierektorenarchiv, zwei Briefbögen Hamburger Kunsthalle Abb. S. 144 – 149 23 Adolf Menzel: Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1852 Lithographie, 43,5 × 57,7 cm Inv.-Nr.: 1898, 549 Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek Abb. S. 130 27 u. 28 Kataloge der internationalen Kunstausstellung im königlichen Glaspalast zu München, 1879 Broschur Privatbesitz 24 Julius Schnorr von Carolsfeld, Jesus als zwölfjähriger Knabe, unter den Lehrern im Tempel, 1852 – 60 Holzschnitt, 33,6 × 41,3 cm Inv.-Nr.: 1982.146, 1 – 3 Blatt 173 aus: Die Bibel in Bildern – Bilderbibel des Alten und Neuen Testaments Clemens-Sels-Museum, Neuss Abb. S. 129 Verzeichnis der ausgestellten Werke 155 Ausgewählte Literatur Zeitgenössische Literatur: Zeitungen/Zeitschriften Anonym 1879 Pietsch 1879 Der Reporter, in: Berliner Börsen-Courier, 3. 8. 1879, S. 2 Ludwig Pietsch, Von der Internationalen Kunstausstellung zu München (VII), in: Vossische Billing 1879 Hermann Billing, Die Internationale KunstAusstellung zu München II., in: Kunst-Chronik, Jg. XIV, 1879, Nr. 43, Sp. 713 – 719 Duranty 1879 Edmond Duranty, L’exposition internationale de Munich, in: Les beaux-arts illustrés, Jg. III, 1879. 2. série, S. 299 – 301 Floerke 1879 Gustav Floerke, Die Internationale Kunstausstellung zu München 1879, VI, in: Die Gegenwart, Bd. 16, Nr. 41, 11. 10. 1879, S. 237, 253 Merz 1880 Heinrich Merz, Rückblick, in: Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus, 22, 1880, S. 4 f. Zeitung, Nr. 220, 2. Beilage, 8. 8. 1879 Rosenberg 1880 Adolf Rosenberg, Der gegenwärtige Stand der deutschen Kunst nach den Ausstellungen in Berlin und München, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, Jg. XV, 1880, S. 41– 48; 43 Schlingmann 1879 Reinhold Schlingmann, Die Kunstausstellung in München (V), in: Berliner Tageblatt, Nr. 366, 8. 8. 1879, S. 2 Stöcker 1879 Adolf Stöcker, »Notwehr gegen das moderne Judentum«, Rede vom 28. 9. 1879, in: Christlich-Sozial, Reden und Aufsätze, Berlin 1890, S. 375 ff. Sonstige: Führer durch die Internationale Kunstausstellung in München 1879 Katalog zur Internationalen Kunstausstellung in München 1879 Pecht 1879 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen Friedrich Pecht, Die Münchener Ausstellung II, Die der bayerischen Kammer der Abgeordneten, Religiöse- und die Historienmalerei, in: Augsburger Einhundertundsechsunddreißigste öffentliche Allgemeine Zeitung, Nr. 216, Sitzung. Nr. 136. Bd. IV. München, den 4. 8. 1879 15.1. 1880, S. 595 f. Nordau 1879 Dr. Max Nordau, Internationale Kunstausstellung in München (III. Die deutsche Kunst, Fortsetzung), in: Frankfurter Zeitung, Nr. 210, 29. 7. 1879, S. 3 156 Der Jesus-Skandal Sekundärliteratur Amishai-Maisels 1982 Friedländer 1924 Ziva Amishai-Maisels, The Jewish Jesus, in: Journal of Jewish Art, Vol IX, 1982, S. 84 –104 Max J. Friedländer, Max Liebermann, Berlin 1924, S. 55 – 60 Boskamp 1993 Katrin Boskamp, Die ursprüngliche Fassung von Max Liebermanns: Der zwölfjährige Jesus im Gross 1983 Tempel. Ein christliches Thema aus jüdischer Sicht, in: Das Münster. Zeitschrift für christliche die Folgen für die Kunst, Hamburg 1983, S. 552 f. Kunst und Kunstwissenschaft, 46. Jg., Heft 1, 1993, S. 29 – 36 Boskamp 1994 Katrin Boskamp, Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Zur Geschichte eines ungeliebten Bildes, in: dies., Studien zum Frühwerk von Max Liebermann, mit einem Katalog der Gemälde und Ölstudien von 1866 – 1889, Hildesheim 1994, S. 75 – 115 Busch 1986 Günter Busch, Max Liebermann. Maler, Zeichner, Graphiker, Frankfurt am Main 1986, S. 36 ff., 162 Dittmar 1987 Peter Dittmar, Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Adolph Menzel. Ein Beispiel für den Antijudaismus im 19. Jahrhundert, in: Werner Hofmann/Martin Warnke (Hg.), IDEA. Werke, Theorien, Dokumente. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle, VI, 1987, S. 89 f. Eberle 1979 Matthias Eberle, Max Liebermann, zwischen Opposition und Tradition in: Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin, Max Liebermann in seiner Zeit, Berlin 1979, S. 11– 40 Ausgewählte Literatur Friedrich Gross, Ein Christus der Armen und Sünder, in: Hamburger Kunsthalle (Hg.), Luther und Gross 1989 Friedrich Gross, Jesus, Luther und der Papst im Bilderkampf 1871 bis 1918. Zur Malerei der Kaiserzeit, Marburg 1989, S. 342 – 356; bes. 347 ff. Hancke 1923 Erich Hancke, Max Liebermann, sein Leben und seine Werke, 2. Aufl. Berlin 1923, S. 131–142 Howoldt 1997 Jenns Howoldt, Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Zwischen Kritik und Anerkennung, in: Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Max Liebermann, der Realist und die Phantasie, Hamburg 1997, S. 105 –108 Kimmich 1994 Gudrun Kimmich, Max Liebermann »Der zwölfjährige Jesus im Tempel«. Das christliche Bildthema eines »jüdischen« Malers im Spiegel der Kritik, Mag.Arbeit. Tübingen 1994, S. 61– 63 Leppien 1989 Helmut R. Leppien, Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Liebermann, Hamburg 1989 Meißner 1974 Günther Meißner, Max Liebermann. Leipzig 1974, S. 16 f. 157 Muther 1894 Kunstkritik, in: Ausst.-Kat. Hamburger Kunst- Richard Muther, Geschichte der Malerei im XIX. halle, Max Liebermann, der Realist und die Jahrhundert, Bd. 3, München 1894, S. 414 f.; 636 f. Phantasie, Hamburg 1997, S. 58 – 63 Ostwald 1930 Rosenthal 1988 Hans Ostwald, Das Liebermann-Buch. Mit 270 Bildern von Max Liebermann, Berlin 1930, Malka Rosenthal, Max Liebermann und der Antisemitismus. Ein Bild und der soziale Konflikt, in: S. 128 –134 Bildende Kunst, Heft 6, 1988, S. 243 – 246 Pucks 1997 Stefan Pucks, Schmutzig, aber talentiert. Max Stückelberger 1996 Johannes Stückelberger, Rembrandt und die Liebermanns Frühwerk im Spiegel der deutschen Moderne, München 1996, S. 80 – 82 158 Der Jesus-Skandal Personenregister Achternbusch, Herbert (*1938): S. 89 Adam, Franz (1815 – 1886): S. 61 Daller, Balthasar (1835 – 1911): S. 69, 94, 100 Defregger, Franz (1835 – 1921): S. 145 Allebé, August (1838 – 1927): S. 14 Antokolsky, Mark (1843 – 1902): S. 117, 120f. Degas, Hilaire Germain Edgar (1834 – 1917): S. 148 Asch, Sholem (1880 – 1957): S. 121, 124 Auerbach, Berthold, eig. Moses Baruch Auerbacher (1812 – 1882): S. 93 Delacroix, Ferdinand Victor Eugène (1798 – 1863): S. 107 Doré, Gustave (1832 – 1883): S. 104, 139 Droysen, Johann Gustav(1808 – 1884): S. 94 Dürer, Albrecht (1471 – 1528): S. 14, 134f. 141 Duranty, Edmond (1833 – 1863): S. 148 Dvorák, Antonin Leopold (1841 – 1904): S. 106 Baburen, Dirck van (1595 – 1624): S. 138 Bellini, Giovanni (um 1430 – 1516): S. 135 Bendemann, Eduard (1811 – 1889): S. 111 Bierbaum, Otto Julius (1865 – 1910): S. 31,42 Bosch, Hieronymus (um 1450 – 1516): S. 116 Brahms, Johannes (1833 – 1897): S. 106 Burchard, Johann Heinrich (1852 – 1912): S. 36f. Busch, Harald (1904 – 1983): S. 37 Camphausen, Wilhelm (1818 – 1885): S. 61 Caravaggio, eig. Michelangelo Merisi (1571 – 1610): S. 17, 19, 138 Cassirer, Bruno (1872 – 1941): S. 90 Cassirer, Paul (1871 – 1926): S. 36 Cattelan, Maurizio (*1960): S. 89f. Cézanne, Paul (1839 – 1906): S. 106 Chagall, Marc (1887 – 1985): S. 117, 119f. Chamberlain, Houston Stewart (1855 – 1927): S. 97 Cima da Conegliano, Giovanni Battista (um 1460 – zwischen 1517 und 1518): S. 135 Corinth, Lovis (1858 – 1925): S. 40, 106, 136 Courbet, Gustave (1819 – 1877): S. 83 Personenregister Ensor, James (1860 – 1949): S. 106 Epstein, Jacob (1880 – 1959): S. 121 Förster, Bernhard (1843 – 1889): S. 93 Friedrich I., Großherzog von Baden (1826 – 1907): S. 61 Friedrich Wilhelm Nikolaus Karl von Preußen (1831 – 1888): S. 61 Gauguin, Eugène Henri Paul (1848 – 1903): S. 106 Gedon, Lorenz (1843 – 1883): S. 63, 145, 147 Geiger, Abraham (1810 – 1874): S. 96, 113f. Gibson, Mel (*1956): S. 116 Giotto di Bondone (1266 – 1337): S. 134 Glagau, Otto (1834 – 1892): S. 91, 93 Glaubitz, Georg (1890 – 1979): S. 31, 39f., 41 Glaubitz, Katharina, geb. Weyer (1896 – 1972): S. 40 Gogh, Vincent Willem van (1853 – 1890): S. 106 159 Gottlieb, Maurycy (1856 – 1879): S. 117ff., 120f. Graetz, Heinrich (1817 – 1891): S. 92, 96f., 114 Gurlitt, Cornelius (1850 – 1938): S.140 Gurlitt, Hildebrand (1895 – 1956): S. 31, 38f., 40f. Gurlitt, Wolfgang (1888 – 1965): S. 38f. Lichtwark, Alfred (1852 – 1914): S. 16, 34ff., 62, 90, 98, 144 Liebermann von Sonnenberg, Max (1848 – 1911): S. 93 Liebermann, Louis (1819 – 1894): S. 71, 81 Liebermann, Philippine, geb. Haller (1822 – 1892): S. 71, 81 Haacke, Hans (*1936): S. 89 Hals, Frans (zw. 1580/85 – 1666): S. 90 Hancke, Erich (1871 – 1954): S. 14, 16, 43, 63, 90, 147 Haushofer, Max (1840 – 1907): S. 94, 100 Heine, Heinrich (1797 – 1856): S. 121 Heise, Carl Georg (1890 – 1979): S. 40ff. Herbst, Thomas (1848 – 1915): S. 146f. Hentzen, Alfred (1903 – 1985): S. 42 Hermann, Emil (1812 – 1885): S. 92 Hermann, Georg (1871 – 1943): S. 95 Hodler, Ferdinand (1853 – 1918): S. 149 Hofmann, Heinrich (1824 – 1911): S. 140 Honthorst, Gerrit van (1592 – 1656): S. 17, 138 Hunt, William Holman (1827 – 1910): S. 103, 108, 110, 116 Hünten, Emil (1827 – 1902): S. 61 Kalckreuth, Leopold Graf von (1855 – 1928): S. 39f. Kiefer, Anselm (*1945): S. 89 Kloos, Werner (1909 – 1990): S. 37f. Kokoschka, Oskar (1886 – 1980): S. 39 Koninck, Salomon (1609 – 1656): S. 138 Kramskoy, Ivan (1837 – 1887): S. 105 Leibl, Wilhelm (1844 – 1900): S. 40, 136, 145f., 147 Leistikow, Walter (1865 – 1908): S. 34 Lenbach, Franz von (1836 – 1904): S. 63, 145f., 147 Leppien, Helmut (1933 – 2007): S. 17, 43, 97 160 Lindenschmit, Wilhelm (1829 – 1895): S. 59 Loo, Charles Amédée Philippe van (1719 – 1795): S. 37 Ludwig II., König von Bayern (1845 – 1886): S. 60 Luise Henriette Wilhelmine von Anhalt-Dessau (1750 – 1811): S., 37 Luitpold, Prinzregent von Bayern (1821 – 1912): S. 59, 63f., 70f., 146 Makart, Hans (1840 – 1884): S. 62 Manet, Édouard (1832 – 1883): S. 106 Mantegna, Andrea (1431 – 1506): S. 135 Marées, Hans von (1837 – 1887): S. 40 Marr, Wilhelm (1819 – 1904): S. 92f., 99 Matejko, Jan (1838 – 1893): S. 104, 120 Matisse, Henri (1869 – 1954): S. 106 Mendelssohn, Felix (1809 – 1847): S. 106, 113, 121 Mendelssohn, Moses (1729 – 1786): S. 113 Menzel, Adolf (1815 – 1905): S. 35, 37, 40, 91, 104, 139ff., 143, 148 Merz, Heinrich (1816 – 1893): S. 73 Mommsen, Theodor (1817 – 1930): S. 93f., 145 Munch, Edvard (1863 – 1944): S. 106 Munkácsy, Mihály (1844 – 1900): S. 104 Muther, Richard (1860 – 1909): S. 33, 139f. Nietzsche, Friedrich (1844 – 1900): S. 93 Nordau, Max, eig. Maximilian Simon Südfeld (1849 – 1923): S. 61, 67, 70, 72, 74, 81, 95 Ofili, Chris (*1968): S. 89 Oppenheim, Moritz Daniel (1800 – 1882): Der Jesus-Skandal S. 26, 116 Skarbina, Franz (1849 – 1910): S. 34 Ostini, Fritz von (1861 – 1927): S. 33, 34 Slevogt, Max (1868 – 1932): S. 40, 136 Ostwald, Hans (1873 – 1940): S. 63 Overbeck, Friedrich (1789 – 1869): S. 139 Sperl, Johann (1840 – 1914): S. 40 Stöcker, Adolf (1835 – 1909): S. 70, 90, 92f., Pauli, Gustav (1866 – 1938): S. 32, 43 Pecht, August Friedrich (1814 – 1903): S. 67, 75, 95f., 97, 101 Picasso, Pablo (1881 – 1973): S. 106 Pietsch, Ludwig (1824 – 1911): S. 65, 72, 77, 96, 147 Pirckheimer, Willibald (1470 – 1530): S. 135 Raffael, eig. Raffaello Santi (1483 – 1520): S. 139 Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606 – 1669): S. 17f., 19, 33, 136ff., 141, 143, 145 Renan, Ernest (1823 – 1892): S. 96, 109 Repin, Ilja (1844 – 1930): S. 105 Riemenschneider, Tilman (um 1460 – 1531): S. 134 Rohling, August (1839 – 1931): S. 91, 93 Rosenberg, Adolf (1850 – 1906): S. 66 Rossini, Gioacchino Antonio (1792 – 1868): S. 121 Rubin, Reuven (1893 – 1974): S. 120 Said, Edward (1935 – 2003): S. 107 Schechter, Solomon (1847 – 1915): S. 108 Schlingmann, Reinhold (1864 – 1898): S. 64, 76 Schnorr von Carolsfeld, Julius (1794 – 1872): S. 139 Schongauer, Martin (um 1445/50 – 1491): S. 139 Schuch, Carl Eduard (1846 – 1903): S. 40 Schulte, Eduard (1817-1890): S. 31, 34ff., 144 Siemens, Georg von (1839 – 1901): S. 93 Siemens, Werner von (1816 – 1892): S. 93 Sierra, Santiago (*1966): S. 89 Singer Sargent, John (1856 – 1925): S. 105 Personenregister 97, 99, 146 Stom, Matthias (um 1600 – nach 1650): S. 17, 138 Strauss, David Friedrich (1808 – 1874): S. 96 Sullivan, Arthur (1842 – 1900): S. 103 Surikow, Wasili (1848 – 1916): S. 105 Thoma, Hans (1839 – 1924): S. 31, 39f. Tiepolo, Giovanni Battista (1696 – 1770): S. 18ff. Tissot, James (1836 – 1902): S. 104 Treitschke, Heinrich Gotthardt von (1834 – 1896): S. 69, 92ff., 95, 97 Tschudi, Hugo von (1851 – 1911): S. 35, 148 Trübner, Wilhelm (1851 – 1917): S. 40 Uhde, Fritz von (1848 – 1911): S. 31ff., 104, 141 Virchow, Rudolf (1821 – 1902): S. 93 Völk, Josef (1819 – 1882): S. 94, 97, 100 Wagmüller, Michael (1839 – 1881): S. 63, 145 Wagner, Cosima, geb. de Flavigny (1837 – 1930): S. 92f., 99 Wagner, Richard (1813 – 1883): S. 92f., 96f., 99 Weber, Max (1864 – 1920): S. 93 Wellhausen, Julius (1844 – 1918): S. 108 Werner, Anton von (1843 – 1915): S. 61 Wilhelm I. (1797 – 1888): S. 59, 61 Zick, Johann Rasso Januarius (1730 – 1797): S. 139 Zimmermann, Ernst Karl Georg (1852 – 1901): S. 140f., 147 Zola, Émile (1840 – 1902): S. 148 Zügel, Heinrich Johann von (1850 – 1941): S. 63, 145 161 Dank Diese Ausstellung wäre nicht möglich gewesen Für die finanzielle Förderung der Ausstellung ohne die großzügige Unterstützung der Leihgeber: danken wir der allen voran die Hamburger Kunsthalle sowie Kunstbibliothek und Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin; Kunsthalle Bremen, Kupferstichkabinett; museum kunst palast, Graphische Sammlung, Düsseldorf; Thomas LeClaire Kunsthandel, Hamburg; Clemens-SelsMuseum, Neuss; Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken; Museum Georg Schäfer, Schweinfurt; Kunsthaus Zürich und jene Leihgeber, die namentlich ungenannt bleiben wollen. Ernst von Siemens Kunststiftung Ihnen allen gilt unser herzlichster Dank. Für Rat und Unterstützung bedanken wir uns bei: Anne Bartz, Inka Bertz, Julia Ewald, Jenns Howoldt, Wolfgang Immenhausen, Hanns Kirchner, Cosima Kristahn, Wanda Löwe, Marga Quiring, Ute Seyfarth, Johanna Schüller, Chana Schütz, Hermann Simon, Andreas Stolzenburg, Ursula Trieloff, Burger Wanzek, Meike Wenck, Dr. Dietrich Wesemann, Angelika Wesenberg sowie den Mitarbeitern der Staatsbibliothek Berlin, der Universitätsbibliothek Heidelberg, der Bayerischen Staatsbibliothek und Elisabeth Angermair vom Stadtarchiv München. 162 Die Renovierung der Liebermann-Villa am Wannsee und der Ausbau der Ausstellungsräume wurden ermöglicht durch die Unterstützung von: Adolf Würth GmbH & Co. KG, Commerzbank, Cornelsen Kulturstiftung, Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Hermann Reemtsma Stiftung, Landesdenkmalamt Berlin, Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, Weberbank Berlin, Tischlerei Schäfer und Kemps sowie von vielen privaten Spendern. Bild- und Fotonachweis Die Bildvorlagen wurden uns freundlicherweise von den in den Bildunterschriften genannten Leihgebern zur Verfügung gestellt; des Weiteren stammen sie aus den Archiven der im Folgenden genannten Museen, Galerien und Fotoateliers. Hier nicht aufgeführte Abbildungen wurden uns von den Autoren und Leihgebern zur Verfügung gestellt. Trotz intensiver Bemühungen ist es nicht in allen Fällen gelungen, Urheberschaft und Herkunft der Abbildungen zu klären. Berechtigte Ansprüche werden bei entsprechendem Nachweis im Rahmen der üblichen Honorarvereinbarungen abgegolten. Artothek, München: S. 17, 132, 137 Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz: S. 31, 32, 35, 59, 62, 65, 71, 93 o., 96 u. Jüdisches Museum, Berlin, Foto Jens Ziehe: S. 26, 27, 92 o.; Foto Hans Joachim Bartsch: S. 97 Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., Foto: Julia Jungfer: S. 15 o., 16, 57o. re und unten Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: S. 76, 77, 78; Abb. S. 141 aus: Zeitschrift für bildende Kunst, 15, 1880, S. 185 Stadt- und Landesbibliothek Dortmund: S. 75 Hamburger Kunsthalle, Foto Christoph Irrgang: S. 21, 25, 36, 47, 49 , 50, 52 , 53, 55, 56, 63, 126 u., 136 Universitätsbibliothek Heidelberg: S. 75 aus: Allgemeine Zeitung, 4. 8. 1879, Die Münchener Ausstellung Bayerische Staatsbibliothek, München: S. 67, 74, 150, 151 Landeshauptstadt München, Stadtarchiv: S. 60, 61 Clemens-Sels-Museum, Neuss, Foto Martin Langenberg: S. 129 Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarlandmuseum Saarbrücken, Foto Raphael Maass, Dillingen: S. 48 Kunsthaus Zürich: S. 22 Über Land und Meer. Allgemeine Illustrierte Zeitung, Nr. 41, 1879, S. 808: S. 60; S. 809: S. 68, 69 Richard Muther, Geschichte der Malerei im neunzehnten Jahrhundert, Bd. III, München 1894, Abb. auf S. 633: S. 20 Hans Rosenhagen, Liebermann, Bielefeld und Leipzig 1900 (Künstler-Monographien, Bd. XLV): S. 29 Abb. S. 12: Detail aus Kat.-Nr. 3 Abb. S. 24: Detail aus Kat.-Nr. 14 Abb. S. 31: Detail aus Abb. 20 Abb. S. 58: Detail aus Abb. 44 Abb. S. 89: Detail aus Frontispiz Abb. S. 102: Detail aus Kat.-Nr. 22 Abb. S. 132: Detail aus Abb. 92 163