Warum Menschen krank in die Arbeit gehen

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Die Nase rinnt, der Kopf dröhnt, die Glieder schmerzen - und man fährt trotzdem ins Büro. Fachleute nennen das Phänomen „Präsentismus".
Warum Menschen krank in die Arbeit gehen
Viele Arbeitnehmer schleppen sich krank ins Büro,
weder gut für sie selbst noch für den Arbeitgeber.
Die Gründe für sogenannten „Präsentismus" sind
vielfältig: Stress, Angst um den Arbeitsplatz - aber
auch überdurchschnittliche Begeisterung für den Job.
Lisa Breit
Wien - Mindestens jeder Dritte
geht hierzulande krank in die
Arbeit, wie Umfragen der Arbeiterkammer Oberösterreich zeigen.
Für dieses Phänomen gibt es einen
Begriff, „Präsentismus" (von Präsenz = Anwesenheit), seit einigen
Jahren wird es intensiv beforscht.
So etwa von Mariella Miraglia,
einer Wissenschafterin der University of East Anglia in Großbritannien, die untersuchte, warum
Menschen sich krank ins Büro
schleppen - und dafür gemeinsam
mit ihren Kollegen Daten von
mehr als 175.000 Arbeitnehmern
in 34 Ländern auswertete.
„Wir konnten zeigen, dass Präsentismus mit Stress zusammenhängt", sagt Miraglia über die Ergebnisse. „Gefördert wird er durch
hohe Anforderungen,
straffe
Deadlines, zu wenig Personal für
die Arbeit, die getan werden muss.
Diese Rahmenbedingungen verlangen, dass jemand krank arbei-
tet, damit sich alles ausgeht." Eine
Rolle dürfte auch die Angst um
den Arbeitsplatz spielen, die bei
vielen durch die Wirtschaftskrise
gestiegen ist: „Wer um seinen Job
fürchtet, geht eher krank ins Büro,
wie wir feststellen konnten. Besonders negativ wirken sich befristete Verträge aus", so die Wissenschafterin.
Auch Motivierte betroffen
Ein weiterer Katalysator ist
ihrer Studie zufolge eine strenge
Abwesenheitspolitik in Unternehmen. „Wenn Mitarbeiter für jedes
Fernbleiben einen medizinischen
Nachweis erbringen
sollen."
Ebenso Mobbing am Arbeitsplatz:
„Menschen, die das betrifft, sind
meist in Positionen, in denen sie
über nicht viel Macht verfügen,
und meinen folglich, täglich ins
Büro kommen zu müssen."
Aber auch vermeintlich positive Faktoren dürften Präsentismus
zutage fördern. „Personen, die
sehr zufrieden mit ihrem Beruf
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sind und dort hohes Engagement
zeigen, wollen möglichst viel Zeit
und Energie dafür aufwenden selbst wenn sie krank sind", erklärt Miraglia.
Für den Einzelnen ist Präsentismus aber gefährlich, „er zermürbt
auf längere Frist", sagt Erich Pospischil, Ärztlicher Leiter des Arbeits- und Sozialmedizinischen
Zentrums (AMZ) Mödling. Pospischil beruft sich dabei auf eine
Studie der Johannes-Kepler-Uni
und der Fachhochschule Krems
aus dem Jahr 2013. Krank zur
Arbeit zu gehen sei demnach eine
„Zeitbombe", was den Betroffenen
vielfach nicht bewusst wäre.
„Harmlose Krankheiten können
schnell zu chronischen Erkrankungen werden und so zu längeren Ausfällen führen."
Daher profitiert letztendlich
auch die Firma nicht davon, wenn
Mitarbeiter krank ins Büro kommen, selbst wenn es zunächst
paradox klingen mag. Die Unternehmensberatung Booz & Company hat 2011 im Auftrag der deutschen Felix-Burda-Stiftung die
durch Präsentismus entstehenden
Kosten geschätzt: auf rund 2400
Euro pro Jahr und Mitarbeiter. Die
durch Fehlzeiten entstehenden
Kosten belaufen sich demgegenüber auf rund 1200 Euro - also die
Hälfte.
Präsentismus ist schließlich
nicht nur für den Einzelnen und
die Firma schlecht - sondern auch
ein „ernstzunehmendes Problem"
für die Volkswirtschaft als Ganzes, wie die Schweizer Wissenschafter Fred Henneberger und
Michael Gämperli vom For-
schungsinstitut für Arbeit und
Arbeitsrecht an der Universität St.
Gallen in einem Paper zu dem
Thema schreiben. Zu diesem Ergebnis kam auch Booz & Company: Insgesamt schmälern Arbeitnehmer, die nicht völlig wiederhergestellt zur Arbeit gehen, das
Bruttoinlandsprodukt
offenbar
um fast ein Zehntel (neun Prozent) pro Jahr.
Was Arbeitgeber tun können,
um Präsentismus in ihrem Unternehmen entgegenzuwirken? „Sie
müssen Gesundheitschecks einführen und Stressmanagementprogramme schaffen", sagt Miraglia. „Vor allem müssen sie aber
auch Strukturen beseitigen, die
Präsentismus fördern".
Eine andere mögliche Maßnahme seien flexible Arbeitszeitmodelle. „Damit würden Arbeitnehmer im Falle einer Erkältung
vielleicht zu Hause arbeiten, anstatt sich ins Büro zu schleppen."
Krankheiten aufspüren
Pospischil rät zum Einsatz von
Befragungsinstrumenten, die in
wenigen Minuten erfassen können, ob Mitarbeiter ausreichend
fit für die Arbeit sind, wie etwa
den Health and Work Performance
Questionnaire (HPQJ, den Work
Limitations Questionnaire (WLQ
oder das Work and Health Interview (WHI). Dabei werden Mitarbeiter beispielsweise gefragt, ob
es ihnen in der letzten Zeit
schwer- oder leichtgefallen ist,
unterschiedliche Tätigkeiten auszuführen. Die Ergebnisse sollen
ein Bild über den Gesundheitszustand des Mitarbeiters abgeben.
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