1.4 ¨Aquivalenzrelationen

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1.4
Äquivalenzrelationen
Nachdem nun die axiomatische Grundlage gelegt ist, können wir uns — bis zur
Einführung der Kategorien — das Leben dadurch erleichtern, daß wir bis dorthin, also bis auf weiteres, voraussetzen, alle betrachteten Klassen seien Mengen.
Um dies deutlich zu machen, verwenden wir für die betrachteten Mengen Großbuchstaben wie L, M, N, . . . Darüberhinaus unterstellen wir, daß f : M → N
stets bedeute, M sei der Definitionsbereich von f.
1.4.1 Definition (Äquivalenzrelation) Sei R ⊆ M × M, kurz: eine Relation
auf M . Sie heißt genau dann Äquivalenzrelation, wenn sie reflexiv, symmetrisch
und transitiv ist, also wenn, für alle x, y, z ∈ M, folgendes gilt:
xRx (Reflexivität),
xRy ⇒ yRx (Symmetrie),
((xRy) ∧ (yRz)) ⇒ xRz (Transitivität).
Die zu einem Element m von M äquivalenten Elemente bilden die sogenannte
Äquivalenzklasse von m :
[m]R := {m0 | mRm0 }.
•
Die wichtigste Eigenschaft von Äquivalenzrelationen ist die folgende:
1.4.2 Satz Jede Äquivalenzrelation R auf einer Menge M ergibt eine Partition
von M, das heißt eine vollständige Zerlegung von M,
[
[m]R = M,
m∈M
in disjunkte Teilmengen:
([m]R 6= [m0 ]R ) ⇒ ([m]R ∩ [m0 ]R = ∅).
Beweis: Die Reflexivitätsbedingung garantiert, daß jedes m in mindestens einer
Äquivalenzklasse liegt, z.B. in [m]R . Mit Transitivität und Symmetrie folgt, daß
verschiedene Klassen disjunkt sind:
[m]R 6= [m0 ]R =⇒ [m]R ∩ [m0 ]R = ∅.
Wir beweisen die Kontraposition hiervon: Sei x ∈ [m]R ∩ [m0 ]R . Es gilt hierfür
nach der Definition der Äquivalenzklasse: mRx ∧ m0 Rx. Mit der Symmetrieeigenschaft von R folgt mRx ∧ xRm0 , was mit der Transitivität die Äquivalenz
von m und m0 liefert, mRm0 . Hieraus ergibt nochmalige Anwendung von Transitivität und Symmetrie die beiden Inklusionen [m]R ⊆ [m0 ]R und [m]R ⊇ [m0 ]R ,
woraus die Gleichheit der beiden Äquivalenzklassen folgt.
2
1.4. ÄQUIVALENZRELATIONEN
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1.4.3 Beispiele
• Die Gleichheit = ist eine Äquivalenzrelation (auf jeder Menge M ).
• Jede vollständige Zerlegung in disjunkte Teilmengen M =
.
S
Mi liefert
i∈I
eine Äquivalenzrelation R :
mRm0 :⇐⇒ ∃ i: m, m0 ∈ Mi .
• Jede Funktion f : M → N (bzw. kurz: f ∈ N M ) induziert auf ihrem Definitionsbereich M die folgende Relation Rf :
mRf m0 :⇐⇒ f (m) = f (m0 ).
Diese Äquivalenzrelation heißt auch die von f auf M induzierte Äquivalenzrelation.
3
Zu einer gegebenen Äquivalenzrelation R auf M bezeichnen wir mit MR die
Menge ihrer Äquivalenzklassen:
MR := {[m]R | m ∈ M }.
Viele Strukturen der Mathematik können als solche Äquivalenzklassenmengen
definiert werden, d.h. durch Wahl geeigneter Mengen M und geeigneter Äquivalenzrelationen auf diesen. Besonders prominente Beispiele sind die folgenden
1.4.4 Beispiele (Konstruktion von Z und Q)
• Die Konstruktion von Z aus N : Ihr liegt die Idee zugrunde, daß man jede ganze Zahl z als Differenz zweier natürlicher Zahlen n1 , n2 schreiben
kann: z = n1 − n2 . Dabei ist allerdings zu beachten ist, daß diese Darstellung nicht eindeutig ist, man faßt deshalb die Paare (n1 , n2 ), mit deren
Hilfe man z als solche Differenz darstellen kann zu einer Äquivalenzklasse
zusammen:
Wir betrachten N und setzen die Addition natürlicher Zahlen als bekannt voraus (die man auch als mengentheoretische Operation formulieren
kann: n + m := (n + (m − 1))+ ). Auf N × N betrachten wir die folgende
Äquivalenzrelation:
(n1 , n2 )R(n3 , n4 ) :⇐⇒ n1 + n4 = n2 + n3 .
Wir setzen dann
Z := (N × N)R ,
und anstelle von [(n1 , n2 )]R schreiben wir n1 − n2 , falls n1 > n2 bzw.
−(n2 − n1 ), falls n1 < n2 , und 0 sonst.
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• Die Konstruktion von Q aus Z : Hier liegt — dem vorigen Punkt ganz
entsprechend — die Idee zugrunde, daß jede rationale Zahl ja ein Quotient r = zz21 aus ganzen Zahlen ist, wobei der Nenner natürlich von Null
verschieden sein muß. Diese Darstellung ist ebenfalls nicht eindeutig, so
daß die entsprechende Äquivalenzrelation betrachtet wird:
Gegeben sei Z und die Multiplikation ganzer Zahlen (auch diese läßt sich
mengentheoretisch einführen, ähnlich wie die Addition!). Die Menge der
von Null verschiedenen ganzen Zahlen sei mit Z∗ bezeichnet, auf Z × Z∗
wird die folgende Äquivalenzrelation betrachtet:
(z1 , z2 )R(z3 , z4 ) :⇐⇒ z1 · z4 = z2 · z3 .
Wir setzen
Q := (Z × Z∗ )R
und bezeichnen die Äquivalenzklassen wie üblich in der folgenden Weise:
z1
:= [(z1 , z2 )]R .
z2
Für diese Brüche gilt infolgedessen:
z1
z3
=
⇐⇒ z1 · z4 = z2 · z3 .
z2
z4
• Viele Strukturen in Mathematik und Naturwissenschaften kann man bequem mit Hilfe von Äquivalenzrelationen auf Mengen von Abbildungen
definieren. Ein interessantes Beispiel bilden die (unnumerierten) Graphen,
die man als Äquivalenzklassen numerierter Graphen definiert, wie wir
gleich sehen werden. Numerierte Graphen kann man nicht vermeiden, denn
beispielsweise sind Computer “nur” zur Verarbeitung von Mengen in der
Lage, deren Elemente Nummern tragen.
Die numerierten Graphen mit n Punkten kann man wie folgt als Menge
Y X := {f | f : X → Y }
aller Abbildungen von einer geeigneten Menge X in eine geeignete Menge
Y definieren. Man numeriert zunächst die Punkte von 0 bis n − 1 und
identifiziert die Menge n = {0, . . . , n − 1} der Nummern der Punkte mit
der Punktemenge selbst. Dann betrachtet man die Menge der Punktepaare,
n
:= {{i, j} | i, j ∈ n, i 6= j}.
2
Für X nimmt man diese Menge, für Y die Menge 2 = {0, 1} und betrachtet
die Menge von Abbildungen
n
Y X := 2( 2 )
1.4. ÄQUIVALENZRELATIONEN
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von der Menge der Punktepaare in die Menge {0, 1}. Ist γ in dieser Menge,
dann interpretiert man den Wert γ({i, j}) = 1 als “die Punkte i und j sind
durch eine Kante verbunden”. Hier ist ein Beispiel:
3
r
2
r
r
0
r
1
Dieser Graph wird auf diese Weise mit der folgenden Abbildung identifiziert:

{0, 1} 7→ 0,



{0, 2} 7→ 0,



4
{0, 3} 7→ 1,
f:
→ {0, 1},
{1, 2} 7→ 1,

2




 {1, 3} 7→ 0,
{2, 3} 7→ 1.
Demnach kann die Menge der numerierten
Graphen mit n Punkten mit
dieser Menge von Abbildungen γ: n2 → {0, 1} gleichgesetzt werden.
Die unnumerierten Graphen mit n Punkten definiert man — weil es bei
ihnen auf die Nummern der Punkte nicht mehr ankommt — als die Äquivalenzklassen der folgenden Relation R : Zwei numerierte Graphen heißen
äquivalent oder isomorph, wie man auch sagt, wenn sie durch Umnumerierung auseinander hervorgehen. Hier sind zwei äquivalente Graphen mit
4 Punkten:
3
r
2
r
2
r
3
r
r
0
r
1
r
0
r
1
Da beliebiges Umnumerieren zugelassen wird, kann man eine solche Äquivalenzklasse numerierter Graphen durch einen Graphen repräsentieren,
den man durch Weglassen der Nummern aus irgendeinem Element der
Klasse bekommt. Hier ist der unserem Beispiel auf diese Weise entsprechende unnumerierte Graph:
r
r
r
r
Solche unnumerierten Graphen dienen als Wechselwirkungsmodelle in Chemie, Physik und Wirtschaftswissenschaften, zum Beispiel zur Beschreibung von Molekülen (ein bekanntes Beispiel ist der Benzolring) oder von
Schaltkreisen oder von Betriebsabläufen (Netzplantechnik) usw.
32
3
Es ist bereits erwähnt worden, daß Abbildungen ein wichtiges Werkzeug zur Untersuchung von algebraischen Strukturen sind. Oft sind diese Funktionen recht
kompliziert, und man sucht nach Wegen, ihre Anwendung in kleine, möglichst
übersichtliche Schritte zu zerlegen. Beispielsweise kann man oft eine gegebene
Funktion f : L → N in zwei Faktoren g: L → M und h: M → N zerlegen, sie
faktorisieren: f = h ◦ g, als Komposition zweier Abbildungen schreiben. Zur
Erinnerung:
f (x) = (h ◦ g)(x) = h(g(x)).
Man drückt das gerne in Form eines Diagramms aus:
g L
M
@
f@
h
@
R ?
@
N
Man sagt, dieses Diagramm sei kommutativ, wenn f = h ◦ g gilt, und bezeichnet
diesen Fall so:
g L
M
@
f@ h
@
R ?
@
N
Sehr wichtig ist die folgende Charakterisierung der Faktorisierbarkeit (d.h. die
Angabe einer notwendigen und hinreichenden Bedingung hierfür):
1.4.5 Der Abbildungssatz Ist L eine nicht leere Menge, f eine Abbildung
von L nach N, g eine Abbildung von L nach M, dann ist f genau dann über g
faktorisierbar, d.h. es gibt ein h: M → N mit f = h ◦ g,
g L
M
@
f@ h
@
R ?
@
N
,
wenn die induzierten Äquivalenzrelationen so ineinander liegen:
Rg ⊆ Rf .
Ist g surjektiv, dann ist h eindeutig bestimmt. Ist f surjektiv, dann ist auch h
surjektiv, und ist g surjektiv sowie Rf = Rg , dann ist h injektiv.
1.4. ÄQUIVALENZRELATIONEN
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Beweis:
i) Beweisen wir zunächst die Faktorisierbarkeit von f. Wegen L 6= ∅ sind M
und N ebenfalls nicht leer. Wir können deshalb ein n0 ∈ N auswählen
und damit die folgende Zuordnung treffen:
h: M → N, m 7→
n0 ,
falls m 6∈ Bild(g)
.
f (l), falls m = g(l).
Sie definiert eine Funktion, denn die Voraussetzung Rg ⊆ Rf liefert die
Implikation
g(l) = g(l0 ) =⇒ f (l) = f (l0 ).
Für diese Abbildung gilt ganz offensichtlich f = h ◦ g, sie faktorisiert also
f.
ii) Sei umgekehrt f = h ◦ g. Die Gleichheit g(l) = g(l0 ) impliziert dann
f (l) = h(g(l)) = h(g(l0 )) = f (l0 ),
also die Implikation Rg ⊆ Rf .
iii) Die übrigen Behauptungen sind ebenso leicht nachzuprüfen:
– Daß die Surjektivität von g die Abbildung h festlegt, ist klar (vgl.
die Definition von h), ebenso, daß die Surjektivität von f die von h
impliziert.
– Falls g surjektiv ist und Rf = Rg , dann ergibt sich die Injektivität
von h wie folgt: Sei h(m) = h(m0 ). Wegen der Surjektivität von g gibt
es l, l0 mit m = g(l) und m0 = g(l0 ). Die Faktorisierung f = h◦g liefert
f (l) = f (l0 ), was wegen der Gleichheit der Relationen die Identität
g(l) = g(l0 ), also auch m = m0 impliziert, wie behauptet.
2
Ein Beispiel hierfür ist gegeben, wenn R eine Äquivalenzrelation ist mit R ⊆ Rf ,
denn dann läßt sich f über
νR : L → M, l 7→ [l]R
faktorisieren:
L
νR -
M
@
f@ h
@
@
R ?
N
.
34
Betrachten wir als erste Anwendung die natürliche Faktorisierung einer Abbildung mit Hilfe der von ihr induzierten Äquivalenzrelation:
M
νRf-
MRf
@
f@ [m]Rf 7→ f (m)
@
R ?
@
N
Mit anderen Worten:jede Abbildung f : M → N läßt sich mit Hilfe von
νRf : M MRf , m 7→ [m]Rf
zerlegen:
1.4.6
M
m
MRf
7
→
[m]Rf
7→
Bild(f ) ,→
N
.
f (m)
7→ f (m)
(Dabei wird mit ,→ wie meist üblich die sogenannte Einbettung bezeichnet, das
ist, für M ⊆ N , die Abbildung m 7→ m.)
Insbesondere gilt
1.4.7
MRf Bild(f ),
d.h. MRf und Bild(f ) “sind im wesentlichen dasselbe”. Eine weitere Anwendung
ist
1.4.8 Der Satz über induzierte Abbildungen Ist f eine Abbildung von M
nach N und sind R und S zwei Äquivalenzrelationen auf M bzw. N, die mit f
wie folgt verträglich sind:
mRm0 =⇒ f (m)Sf (m0 ),
dann gibt es genau eine Abbildung h: MR → NS , die das folgende Diagramm
kommutativ ergänzt:
f - N
M
νR
?
MR
νS
?
- NS
.
Beweis: Übungsaufgabe!
Weitere Abbildungssätze werden wir bei Bedarf kennenlernen. Damit sind die
grundlegenden Definitionen, Axiome und Resultate der Mengenlehre zusammengestellt, so daß wir uns jetzt den algebraischen Strukturen zuwenden können.
Dabei werden wir über die bereits erwähnten Resultate hinaus die Grundeigenschaften von N, Z, Q, R und C als bekannt voraussetzen. N, Z und Q wurden
definiert, Konstruktionen von R und C werden Sie in der Analysis-Vorlesung
kennenlernen.
1.4. ÄQUIVALENZRELATIONEN
35
Aufgabe 1.4.1
Sei R eine Äquivalenzrelation auf der nichtleeren Menge M . Zeigen Sie, daß
durch
(x, y)S(u, v) :⇐⇒ (xRu ∧ yRw)
eine Äquivalenzrelation S auf M ×M definiert wird, und daß für die Äquivalenzklassen
gilt:
[(x, y)]S = [x]R × [y]R := {(u, v) ∈ M × M | u ∈ [x]R , v ∈ [y]R }.
Aufgabe 1.4.2
Beweisen Sie den Satz über induzierte Abbildungen.
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