Kapitel 9 Integration über Flächen

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Kapitel 9
Integration über Flächen
Dieses Kapitel handelt von Flächenintegralen im IRn und von den Sätzen von Gauß und Stokes.
9.1
Untermannigfaltigkeiten des IRn
Definition. Sei k ∈ {1, ..., n}. Wir bezeichnen eine Teilmenge M ⊂ IRn als eine k-dimensionale
Untermannigfaltigkeit der Klasse C α , (wobei α ganz und ≥ 1 oder gleich ∞ sein soll ), wenn zu
jedem a ∈ M eine offene Umgebung und Funktionen f1 , ..., fn−k ∈ C α (U ) existieren, so dass
• M1) M ∩ U = {~x ∈ U | f1 (~x) = ... = fn−k (~x) = 0}
• M2) Der Rang der Jacobimatrix
∂fi
(a)
∂xj
1≤i≤n−k,1≤j≤n
gleich n − k ist.
Wir sehen uns ein paar Beispiele an:
1) Jeder k-dimensionale Untervektorraum des IRn ist eine k-dimensionale Untermannigfaltigkeit des IRn der Klasse C ∞
Beweis: Ü.A.
2) Die Sphäre M = S n−1 = ∂B(0, 1) = {~x ∈ IRn | k~xk = 1} ist eine (n − 1)-dimensionale C ∞
- Untermannigfaltigkeit des IRn . Man wähle f1 (~x) = k~xk2 − 1 und U = IRn . Dann sind M1) und
M2) in jedem Punkt ~a ∈ M erfüllt.
Wir kennzeichnen k-dimensionale Untermannigfaltigkeiten lokal als Graphen von Abbildungen.
1
2
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
9.1.1 Lemma. Sei M ⊂ IRn . Dann ist M genau dann eine k-dimensionale C α -Untermannigfaltigkeit,
wenn es zu jedem ~a ∈ M nach eventueller Umnummerierung der Koordinaten offene Umgebungen U 0 3 ~a0 := (a1 , ..., ak ) im IRk und U 00 3 ~a00 := (ak+1 , ..., an ) im IRn−k und eine C α -Abbildung
g : U 0 −→ U 00 gibt, so dass
M ∩ (U 0 × U 00 ) = {(~y 0 , g(~y 0 )) | ~y 0 ∈ U 0 }
Beispiel. Die ”Helix”. Das ist die durch c(t) = (r cos t, r sin t, at) definierte Kurve (hierbei
sind a und r positive Zahlen).
Nun wird n = 3 und k = 1. Wir vertauschen: y1 = x3 , y2 = x1 , y3 = x2 . Die Funktion g ist
definiert durch g(y1 ) = (r cos(y1 /a), sin(y1 /a) ).
2
1
0
-1
0
1
2
-1
-2
2
2
0
-2
Beweis. Angenommen, M sei eine k-dimensionale Untermannigfaltigkeit im IRn .
Sei ~a ∈ M und U eine offene Umgebung für ~a und f1 , ..., fn−k ∈ C α (U ) wie in M1) und M2).
Nummerieren wir die Koordinaten um, so erreichen wir
∂fi
det
(~a)
6= 0
∂xk+j
i,j=1,...,n−k
Der Satz über implizite Funktionen ist nun anwendbar und liefert uns offene Umgebungen U 0 ⊂
IRk und U 00 ⊂ IRn−k von ~a 0 bezw. ~a 00 und eine C α Abbildung g : U 0 −→ U 00 mit
M ∩ (U 0 × U 00 ) = {(~y 0 , g(~y 0 )) | ~y 0 ∈ U 0 }
9.1. UNTERMANNIGFALTIGKEITEN DES IRN
3
Umgekehrt setzen wir nun voraus, dass zu jedem ~a ∈ M nach eventueller Umnummerierung
der Koordinaten offene Umgebungen U 0 3 ~a0 := (a1 , ..., ak ) im IRk und U 00 3 ~a00 := (ak+1 , ..., an )
im IRn−k und eine C α -Abbildung g : U 0 −→ U 00 existieren, so dass
M ∩ (U 0 × U 00 ) = {(~y 0 , g(~y 0 )) | ~y 0 ∈ U 0 }
Dann werden die Bedingungen M1) und M2) mit fj (~x) := xk+j − gj (~x 0 ) erfüllt.
Beispiele. a) Sei wieder M = S
~x nahe bei ~a, wenn
n−1
. Ist ~a ∈ M und ai0 =
6 0, so so gilt genau dann ~x ∈ M für
q
xi0 = sign(ai0 ) 1 − x21 − ... − x2i0 −1 − x2i0 +1 − ... − x2n
Die Umnummerierung der Koordinaten, von der im obigen Satz die Rede war, ist nun
τ (~x) := (x1 , ..., xi0 −1 , xn , xi0 +1 , ...., xn−1 , xi+0 )
Es gilt dann
g(τ (~x) 0 ) =
p
1 − kτ (~x) 0 k2
b) Sei M ein k-dimensionaler Untervektorraum. Schreiben wir M als Lösungsmenge eines
linearen Gleichungssystems A · = vx = ~0, mit einer (n − k) × n-Matrix A vom Rang n −
k, so wählen wir Indizes i1 , ..., in−k ∈ {1, 2, ..., n} so dass die Spalten A ~e i1 , ...., A ~e in−k linear
unabhängig sind. Ist dann J = {i1 , ..., in−k }, so gehört der Punkt ~x genau dann zu M , wenn
X
X
(A ~e ` )x` = −
(A ~e j )xj
`∈J
j ∈J
/
Die Matrix B = A ~e i1 , ...., A ~e in−k ist invertierbar. Genau dann gilt ~x ∈ M , wenn


xi1
X
 .. 
B −1 (A ~e j )xj
 . =−
j ∈J
/
xin−k
Nach der Umnummerierung
(x1 , ..., xn ) 7−→ {xj }j ∈J
/ , xi1 , ...., xin−k
ist M Graph einer Abbildung g : IRk −→ IRn−k , wobei jede Komponentenfunktion eine Linearform auf IRk ist.
Karten und Parametrisierungen
Folgende Betrachtungen kennzeichnen eine Untermannigfaltigkeit dadurch, dass man sie durch
eine differenzierbare Abbildung in eine offene Teilmenge des IRk bijektiv abbilden kann.
4
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
9.1.2 Lemma (Karten). Genau dann ist eine Menge M ⊂ IRn eine k-dimensionale Untermannigfaltigkeit, wenn zu jedem ~a ∈ M offene Mengen U 3 ~a und V 3 ~0 und ein Diffeomorphismus
ϕ : U −→ V existieren, so dass ϕ(~a) = ~0 und
ϕ(M ∩ U ) = {~y ∈ V | yk+1 = ... = yn = 0}
Wir nennen dann das Tripel (U, ϕ, V ) eine lokale Karte für M in ~a.
R n-k
a
U
ϕ
V
U
0
Rk
Beweis. Sei also M ⊂ IRn eine k-dimensionale Untermannigfaltigkeit. Ist ~a ∈ M , so gibt es
offene Umgebungen U 0 3 ~a0 := (a1 , ..., ak ) im IRk und U 00 3 ~a00 := (ak+1 , ..., an ) im IRn−k und
eine C α -Abbildung g : U 0 −→ U 00 (wobei wir die etwa nötige Koordinatenvertauschung beiseite
lassen wollen), so dass
M ∩ (U 0 × U 00 ) = {(~y 0 , g(~y 0 )) | ~y 0 ∈ U 0 }
Setzen wir dann
ϕ(~x) :=
~x 0
~x 00 − g(~x 0 )
− ~a
9.1. UNTERMANNIGFALTIGKEITEN DES IRN
5
so ist ϕ von der Klasse C α und die Jacobimatrix lautet
Ek
o
Jϕ (~x) =
−Jg (~x 0 ) En−k
Also ist ϕ in jedem Punkt lokal invertierbar. Weiter haben wir ϕ(~a) = ~0 und
ϕ(M ∩ (U 0 × U 00 )) ⊂ U 0 × {~0 00 }
Nun benutzen wir, dass ϕ bei ~a lokal invertierbar ist und erhalten offene Umgebungen U von ~a
und V von ~0, zwischen denen ϕ diffeomorph abbildet. Ferner ist
ϕ(U ∩ M ) = {~y ∈ V | yk+1 = ... = yn = 0}
Zur Umkehrung: Angenommen, das Kriterium des Lemmas sei erfüllt. Gegeben sei ein Punkt
~a ∈ M . Wir wählen offene Mengen U 3 ~a und V 3 ~0 und einen Diffeomorphismus ϕ : U −→ V ,
so dass ϕ(~a) = ~0 und
ϕ(M ∩ U ) = {~y ∈ V | yk+1 = ... = yn = 0}
Dann betrachten wir die Funktionen
f1 = ϕk+1 , f2 = ϕk+2 , ...., fn−k = ϕn
Dann erfüllen diese Funktionen die Forderungen M1) und M2).
Die sogenannten Parameterdarstellungen sind die geeigneten Verallgemeinerungen der Parametrisierungen bei Kurven, die in vielen Fällen 1-dimensionale Untermannigfaltigkeiten des IRn
darstellen.
9.1.3 Satz (Parametrisierung). Genau dann ist eine Menge M ⊂ IRn eine k-dimensionale C α
- Untermannigfaltigkeit, wenn zu jedem ~a ∈ M offene Mengen U 3 ~a in IRn und T 3 ~0 0 in IRk
und eine homeomorphe Abbildung f : T −→ M ∩ U der Klasse C α mit rg Jf (~t) = k für alle
~t ∈ T existieren. Wir nennen eine derartige Abbildung f eine lokale Parametrisierung von M bei
~a.
Beweis. Angenommen, M sei eine k-dimensionale C α - Untermannigfaltigkeit. Ist dann ~a ∈
M , so finden wir eine lokale Karte (U, ϕ, )V in ~a. Nun sehen wir, dass die Abbildung
f (t1 , .., tk ) := ϕ−1 (t1 , ..., tk , 0, ..., 0)
das Gewünschte mit T := {~t ∈ IRk | (~t, ~0 00 ) ∈ V } leistet.
Umgekehrt nehmen wir jetzt an, die Menge M erfülle das im Lemma angegebene Kriterium.
Sei nun ~a ∈ M ein Punkt und f : T −→ M ∩ U eine lokale Parametrisierung von M bei ~a,
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KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
mit einer offenen Nullumgebung T im IRk und einer offenen Umgebung U von ~a. Wir dürfen
annehmen, es seien die ersten k Zeilen von Jf (~0 0 ) bereits linear unabhängig. Dann ist auch die
Abbildung


0
 .. 
 . 


 0 
F (t1 , ..., tn ) := f (t1 , ..., tk ) + 

 tk+1 
 . 
 .. 
tn
bei ~0 0 lokal invertierbar, denn ihre Jacobimatrix lautet

JF (~t) =  Jf (~t 0 )
0


En−k
Weiter bedenken wir, dass die ersten k Zeilen von Jf (~0 0 ) linear unabhängig sein sollten.
Als Karte kann uns nun eine lokale Inverse von F bei ~a dienen.
Beispiele. a) Sei M ein k-dimensionaler Unterraum von IRn . Ist dann ~b1 , ..., ~bk eine Basis für
M , so definiert
k
X
f (t1 , ..., tk ) :=
tj~bj
j=1
eine (globale) Parametrisierung für M .
b) Die Sphäre M = S n−1 . Ist B 0 die Einheitskugel im IRn−1 , so sei
rθ
p
f (r, θ) =
r 1 − kθk2
auf IR+ × B 0 . Dann parametrisiert f die ”obere Hemisphäre” M ∩ {xn > 0}.
c) Der Fall n = 3. Sei T = (−π, π) × (0, π) und


cos φ sin θ
f (φ, θ) =  sin φ sin θ 
cos θ
9.1. UNTERMANNIGFALTIGKEITEN DES IRN
7
liefert eine Parametrisierung von M ∩ {x2 6= 0}
θ
φ
Der nächste Hilfssatz sagt, dass 2 Parametrisierungen auseinander durch Einsetzen eines
Diffeomorphismus hervorgehen.
9.1.4 Lemma(Parametertransformation). Angenommen, es sei M eine k-dimensionale Untermannigfaltigkeit des IRn und f : T −→ V ∩ M und g : S −→ W ∩ M seien 2 lokale Parameterdarstellungen für M , so dass V ∩ W ∩ M 6= ∅. Sei X = V ∩ W . Dann sind T1 = f −1 (X) und
S1 = g −1 (X) offene Teilmengen von T bezw. von S und
h := g −1 ◦ f : T1 −→ S1
ein Diffeomorphismus.
Beweis. Da f und g stetig sind, sind T1 und S1 offene Mengen, weiter ist h : T1 −→ S1
homeomorph. Es bleibt die Differenzierbarkeit von h zu zeigen. Dazu sei ~c1 ∈ T1 und ~a1 =
f (~c1 ) ∈ X und ~c2 = h(~c1 ). Wir wählen nun einen Diffeomorphismus F : U −→ U 0 zwischen 2
offenen Mengen U und U 0 im IRn , wobei ~a1 ∈ U so dass
F (U ∩ M ) = {~x ∈ U 0 | xk+1 = ... = xn = 0}
Dann gilt
F ◦ f (t1 , .., tk ) = (fe1 (~t), ..., fek (~t), 0, ..., 0)
auf f −1 (U ) und
F ◦ g(t1 , .., tk ) = (e
g1 (~t), ..., gek (~t), 0, ..., 0)
8
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
auf g −1 (U ) mit geeigneten stetigen Funktionen fe1 , ..., gek . Da aber F sowohl auch als f und g von
der Klasse C α sind, gilt das auch für die Funktionen fe1 , ..., gek . Aus der Kettenregel erhalten wir,
das F ◦ f und F ◦ g eine Jacobimatrix vom Rang k haben. Dann sind aber die Abbildungen
fe = (fe1 , ..., fek ) und e
g = (e
g1 , ..., gek ) lokal invertierbar bei ~c1 bezw. ~c2 . Ferner haben wir
h = (F −1 ◦ e
g )−1 ◦ (F −1 ◦ fe) = ge−1 ◦ fe
nahe bei ~c1 . Also ist h in ~c1 differenzierbar von der Klasse C α .
Hier ist ein Diagramm der Abbildungen f, g und h.
U
X M
U
V M
U
W M
g
f
h
S
T
1
1
Beispiel: Die Sphäre S . Sei etwa ~a = 13 (2, 2, 1) und
2

t1
,
f (t1 , t2 ) =  p t2
2
1 − t1 − t2


cos ϕ sin ϑ
g(ϕ, ϑ) =  sin ϕ sin ϑ 
cos ϑ

Dann ist


h(t1 , t2 ) = g −1 ◦ f (t1 , t2 ) = 
arcsin( √ t22
t1 +t22
)
p
arcsin( t21 + t22 )



9.2. KOMPAKTE MENGEN MIT GLATTEM RAND
9.2
9
Kompakte Mengen mit glattem Rand
Zur Erinnerung
Ist M eine Menge, so nennen wir ~a ∈ M einen inneren Punkt von M , wenn ein Radius
R > 0 so gefunden werden kann, dass B(~a, R) ⊂ M . Die Menge aller inneren Punkte wird mit
◦
M bezeichnet. Mit M bezeichnen wir die aus M durch Hinzunehmen aller Häufungspunkte von
M zu M entstehende Menge. Sie ist die kleinste M enthaltende abgeschlossene Menge und heißt
die abgeschlossene Hülle von M .
Schließlich nennen wir einen Punkt ~a einen Randpunkt von M , wenn in jeder (noch so kleinen)
Kugel um ~a Punkte aus M und solche aus IRn \ M gelegen sind.
Unter einer kompakten Menge verstehen wir eine Menge K, für die jede in K liegende Folge
auch einen wieder in K gelegenen Häufungspunkt hat. Wir wissen schon, dass eine Menge genau
dann kompakt ist, wenn sie abgeschlossen und beschränkt ist und dass Kompaktheit gleichwertig
mit der Eigenschaft ist, dass bei gegebener Überdeckung von K durch offene Mengen endlich viele
dieser offenen Mengen bereits ausreichen um K zu überdecken.
Definition. Wir nennen eine kompakte Menge A ⊂ IRn ein Kompaktum mit C α -glattem Rand,
wenn zu jedem ~a0 ∈ ∂A eine offene Umgebung U 3 ~a0 und eine Funktion ψ ∈ C α (U ) existieren,
so dass
1) A ∩ U = {~x ∈ U | ψ(~x) ≤ 0}
und
2) Für alle ~x ∈ (∂A) ∩ U ist ∇ψ(~x) 6= ~0
Im Bild:
U
U
A
A
U
U
A
{ψ ≤ 0}
10
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
Wir nennen die Funktion ψ auch definierende Funktion für A. Auch der Rand von A lässt
sich durch die Funktion ψ beschreiben:
9.2.1 Lemma. Ist A ein Kompaktum mit C α -glattem Rand und ~a0 ∈ ∂A und U und ψ wie in
der Definition, so ist schon
(∂A) ∩ U = {~x ∈ U | ψ(~x) = 0}
Beweis. 00 ⊂00 : Ist ~x0 ∈ (∂A) ∩ U , so gilt ψ(~x0 ) ≤ 0. Wäre ψ(~x0 ) < 0, so wäre ψ auch auf einer
kleinen offenen Umgebung von ~x0 noch negativ, welche dann ganz in A gelegen wäre, entgegen
der Annahme, es sei ~x0 ∈ ∂A.
00
⊃00 : Ist umgekehrt ~x0 ∈ U und ψ(~x0 ) = 0, so gilt wegen ∇ψ(~x0 ) 6= ~0 für t nahe bei 0 schon
ψ(~x0 + t∇ψ(~x0 ) ) > 0, wenn t > 0, und ψ(~x0 + t∇ψ(~x0 ) ) < 0, wenn t < 0. Dann ist aber ~x0 kein
innerer Punkt von A, also ~x0 ∈ ∂A.
Damit haben mitbewiesen:
Folgerung. Hat ein Kompaktum A einen C α -glatten Rand, so ist ∂A eine (n−1)-dimensionale
C α - Untermannigfaltigkeit im IRn .
Der Tangentialraum
Wir erinnern uns an die Definition des Tangentialraumes an eine Fläche im IRn .
Definition. Ist M eine (n − 1)-dimensionale Untermannigfaltigkeit in IRn und ~a ∈ M , und
ist weiter f ∈ C α (U ), (U ⊂ IRn offene Umgebung von ~a) eine Funktion mit M ∩ U = {x ∈
U | f (~x) = 0}, so setzen wir
T~a M := {~v ∈ IRn | (~v − ~a) · ∇f (~a) = 0}
(Da ∇f (~a) 6= ~0, ist T~a M ein affiner Unterraum der Dimension n − 1).
Folgende alternative Beschreibung des Tangentialraumes zeigt die Wohldefiniertheit von T~a M ,
d.h. die Unabhängigkeit der Definition von der Wahl von f .
9.2.2 Lemma. Sind M und ~a ∈ M wie oben und φ : T −→ M eine lokale Parametrisierung
von M nahe ~a, so gilt, wenn wir ~t0 := φ−1 (~a) setzen:
T~a M = {~v | ~v − ~a ∈ SR(Jφ (~t0 ))}
Beweis. Dazu sei f : U −→ IR eine C α -Funktion auf einer offenen Umgebung von ~a und
φ(T ) ⊂ U . Dann gilt f ◦ φ = 0. Ist jetzt j ∈ {1, ..., n − 1}, so haben wir f (φ(~t0 + s~e j )) = 0, also
(Differenziation)
∇f (φ(~t0 + s~e j )) · Jφ (~t0 + s~e j ) = 0
9.2. KOMPAKTE MENGEN MIT GLATTEM RAND
11
Setzten wir dann s = 0, so finden wir, dass alle Spalten, also der ganze Spaltenraum S von
Jφ (~t0 ), senkrecht auf ∇f (~a) stehen. Da nun S und der Orthogonalraum zu IR∇f (~a) diegleiche
Dimension haben, also übereinstimmen müssen, folgt die Behauptung.
Der Rand eines glatt berandeten Kompaktums kann mit einer Orientierung versehen werden.
9.2.3 Satz. Ist A kompakt mit glattem Rand, so gibt es genau eine stetige Abbildung ν∂A :
∂A −→ S n−1 , so dass (für eine genügend kleine Zahl t0 > 0) gilt
~x + tν∂A (~x) ∈
/ A,
wenn ~x ∈ A, 0 < t < t0
Wir bezeichnen ν∂A als das äußere Normalenfeld an ∂A.
ν
A
T
a
M
A
Beweis. Existenz: Sei ~a ∈ A und U 3 ~a offen, ψ ∈ C α (U ) eine definierende Funktion für A
auf U . Dann setzen wir
∇ψ(~a)
ν∂A (~a) :=
k∇ψ(~a)k
e noch eine Umgebung von ~a und ψe ∈ C α (U
e)
Dann ist ν∂A konsistent definiert, denn ist etwa U
e
e , so stehen ∇ψ(~a) und ∇ψ(~a) beide senkrecht
eine weitere definierende Funktion für A auf U
e a)k
k∇ψ(~a)k
k∇ψ(~
auf dem Tangentialraum T~a M und sind normiert. Beide stimmen also bis auf das Vorzeichen
e x) ≤ 0} kann nur erfüllt sein, wenn
e = {~x ∈ U ∩ U
e | ψ(~x), ψ(~
überein. Die Forderung A ∩ U ∩ U
beide Einheitsvektoren einander gleich sind. Somit ist ν∂A überall auf ∂A definiert und stetig, da
α ≥ 1.
Für spätere Zwecke (Definition des Flächenintegrals) wollen wir das Feld ν∂A mit Hilfe einer
lokalen Parametrisierung von ∂A darstellen. Dazu dient das folgende Lemma aus der Linearen
Algebra
12
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
9.2.4 Lemma. Sind ~v1 , .., ~vn−1 ∈ IRn Vektoren, so gibt es genau einen Vektor ~v0 mit
~v0 · ~x = det(~v1 , .., ~vn−1 , ~x)
für alle ~x ∈ IRn . Insbesondere steht ~v0 auf allen Vektoren ~v1 , .., ~vn−1 senkrecht.
n
Beweis.
Durch

 λ(~x) := det(~v1 , .., ~vn−1 , ~x) wird auf IR eine Linearform erklärt. Setzen wir
λ(~e 1 )
 .. 


~v0 :=  .  so wird die Forderung erfüllt. Für jedes j ∈ {1, ..., n} wird die j.Komponente


λ(~e n )
von ~v0 durch


v1,1 . . . . . . v1,n−1
..

 ..
.

 .


 vj−1,1 . . . . . . vj−1,n−1 
n+j
v0,j = det(~v1 , ..., ~vn−1 , ~e j ) = (−1)
det 

 vj+1,1 . . . . . . vj+1,n−1 

 .
..

 ..
.
vn,1 . . . . . . vn,n−1
gegeben. Das zeigt, dass ~v0 durch ~v1 , .., ~vn−1 eindeutig festgelegt ist.
Die zweite Behauptung ist jetzt klar.
Im Falle n = 3 wird ~v0 = ~v1 × ~v2 , weshalb wir ab jetzt auch für allgemeine Dimension n den
Vektor ~v0 als
~v0 = ~v1 × · · · × ~vn−1
schreiben.
Beispiel. Im IR4 sei


1
−1
 2 
 −3


~v1 = 
 3  , ~v2 =  4
4
2


w1
 w2 

Dann ist ~v1 × ~v2 × ~v3 = 
 w3 , mit
w4
1 −1 0 1 1 −1 0
2 −3 1 0 = 26, w2 = 2 −3 1
w1 = 3 4 1
3 4 1 0 4 2 0 0 4 2 0



,

0
1
0
0

0
 1 

~v3 = 
 1 
0

1 −1 0 0 2 −3 1 0 = −6, w3 = 3 4 1 1 = 6,
4 2 0 0 9.2. KOMPAKTE MENGEN MIT GLATTEM RAND
und w4 = 
1 −1 0 0 26

2 −3 1 0 −6
= −8. Damit wird ~v1 × ~v2 × ~v3 = 
 6
3 4 1 0 4 2 0 1 −8
13


.

Für technische Zwecke benötigen wir weiter
9.2.5 Lemma. Für zwei n × d-Matrizen A , B gilt ( wobei d ≤ n):
det(A T B) =
X
(det(Ai1 i2 ...id ))(det(Bi1 i2 ...id )),
1≤i1 <...<id ≤n
wobei mit Ai1 i2 ...id die aus den Zeilen mit den Nummern i1 , ..., id gebildete Matrix bedeuten soll.
Beweis. Wir sehen uns die folgende d-fachen Multilinearformen λ und µ an:
λ(~v1 , .., ~vd ) = det(A T · (~v1 , ..., ~vd )))
X
µ(~v1 , .., ~vd ) =
(det(Ai1 i2 ...id ))(det(Vi1 i2 ...id )),
1≤i1 <...<id ≤n
wobei V die aus ~v1 , ..., ~vd gebildete Matrix sein soll. Offenbar sind λ und µ alternierend. Wir
wollen feststellen, dass λ und µ übereinstimmen. Dazu muss nur die Gleichheit beider Formen
auf d-Tuplen von kanonischen Einheitsvektoren überprüft werden. Nehmen wir also j1 , ..., jd ∈
{1, ..., n} her, wobei j1 < ... < jd . Dann wird
λ(~e j1 , .., ~e jd ) = det(Aj1 j2 ...jd )
und
µ(~e j1 , .., ~e jd ) =
X
(det(Ai1 i2 ...id ))(det((~e j1 , .., ~e jd )i1 i2 ...id ))
1≤i1 <...<id ≤n
Aber (det((~e j1 , .., ~e jd )i1 i2 ...id )) = δi1 j1 ...δid jd . Damit stimmen λ und µ auf einer Basis von IRn ×
... × IRn (d-mal) überein, also gilt λ = µ allgemein.
Das Normalenfeld in Parameterdarstellung
9.2.6 Lemma. Angenommen, A sei ein glatt berandetes Kompaktum und φ : T −→ M ∩ U ,
sei eine lokale Parametrisierung für ∂A nahe eines Punktes ~a ∈ ∂A. Dann gilt
∂φ
1
∂φ
ν∂A ◦ φ(~t) = q
× ··· ×
∂tn−1
det(JφT Jφ )(~t) ∂t1
14
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
Das ergibt sich aus dem vorstehenden Hilfssatz.
Beispiel. 1) Für a, b, c > 0 sei A das Ellipsoid
A = {~x |
Dann stellt die Abbildung
x21 x22 x23
+ 2 + 2 = 1}
a2
b
c


a cos α sin ϑ
φ(α, ϑ) :=  b sin α sin ϑ 
c cos ϑ
eine auf T := (−π, π) × (0, π) erklärte lokale Parametrisierung von ∂A \ {x3 = 0} dar. Nun wird






−a sin α sin ϑ
a cos α sin ϑ
−bcd cos α sin ϑ
∂φ 
∂φ 
∂φ ∂φ
b cos α sin ϑ  ,
b sin α cos ϑ  ,
=
=
×
= sin ϑ  ac sin α sin ϑ 
∂α
∂ϑ
∂α ∂ϑ
0
−c sin ϑ
ab cos ϑ
Zusammen mit
k
∂φ ∂φ
×
k = sin ϑ
∂α ∂ϑ
q
c2 sin2 ϑ (a2 sin2 α + b2 cos2 α) + a2 b2 cos2 ϑ
folgt ein expliziter Ausdruck für ν∂A ◦ φ.
2) Ist weiter ∂A in der Nähe von ~a als Graph einer Funktion g : T −→ IR dargestellt, also
~
φ(t) := (~t, g(~t) ) eine Parametrisierung für ∂A (nahe ~a), dann haben wir
1
−∇g(~t)
~
ν∂A (φ(t)) = q
1
1 + k∇g(~t)k2

1
 ..
 .
Dazu beachten wir, dass Jφ (~t) = 
 0
∂g
∂t1
...
...
...
...
0
..
.
1



, also JφT · Jφ (~t) = En−1 + ∇g · (∇g)T

∂g
∂tn−1
Hieraus folgt (vgl. frühere Ü.A.) det(JφT ·Jφ (~t) = 1+k∇g(~t)k2 . Ferner steht der Vektor
−∇g(~t)
1
auf allen Spalten von Jφ senkrecht.
9.3
Flächenintegrale
Wir überlegen zuerst, welche Funktionen wir über eine Untermannigfaltigkeit M ⊂ IRn (der
Klasse C α ) integrieren können sollten.
9.3. FLÄCHENINTEGRALE
15
Definition. Mit Cc (M ) bezeichnen wir die Menge der stetigen Funktionen auf M , welche
außerhalb einer kompakten Teilmenge von M verschwinden und mit Cc↑ (M ) die Menge derjenigen
Funktionen, die man monoton von unten durch Funktionen aus Cc (M ) approximieren kann,
entsprechend wird die Funktionenmenge Cc↓ (M ) definiert.
Ehe wir das Flächenintegral einführen können, sind ein paar technische Vorbereitungen nötig.
Zu allererst vereinbaren wir, dass wir ab jetzt nur noch solche Untermannigfaltigkeiten der
Dimension n − 1 zulassen wollen, zu denen es eine endliche Überdeckung (Vi )m
i=1 durch offene
Mengen gibt, welche Bildbereich einer Parametrisierung von M sind, also: Es soll zu jedem
i ∈ {1, .., m} eine offene Menge Ti ⊂ IRn−1 und eine Parametrisierung φi : Ti −→ M ∩ Vi geben.
Wir nennen die Mengen Vi kurz Parameterumgebungen.
Jede kompakte Untermannigfaltigkeit hat diese Eigenschaft.
9.3.1 Lemma. Ist (Vi )m
i=1 eine Überdeckung von M durch Parameterumgebungen, so gibt es
ein Familie von stetigen Funktionen αj mit Werten in [0, 1] und supp(αj ) ⊂ Vj für j = 1, .., m, so
dass α1 + ... + αm = 1. Eine solche Familie von Funktionen nennen wir eine (Vi )m
i=1 untergordnete
Teilung der Eins.
Beweis. Wir können offene Teilmengen Wj ⊂ Vj so wählen, dass W j ⊂ Vj kompakt ist und
auch (Wj )m
j=1 eine Überdeckung von M wird. Nun setzen wir
dist(~z , Vjc )
βj (~z) =
,
dist(~z, Wj ) + dist(~z , Vjc )
wenn ~z ∈ Wj und βj (~z) = 0, wenn ~z ∈
/ Wj . Dann haben alle βj Werte in [0, 1], und es ist
β := β1 + ... + βm > 0 auf M . Nun leisten die Funktionen αj := βj /β das Gewünschte.
Nun kommen wir zur Definition der Flächenintegrale
Definition. Ist M eine Fläche (d.h. eine (n − 1)-dimensionale Untermannigfaltigkeit) des IRn ),
und ist V eine offene Parameterumgebung, also Bild einer Parametrisierung φ : T −→ V ∩ M ,
so setzen wir für eine Funktion f ∈ Cc (V ∩ M )
Z
Z
q
~
f (~z )dS(~z) :=
f (φ(t)) det JφT Jφ (~t)dn−1 t
M
T
Diese Definition hängt von der Wahl der Parametrisierung φ nicht ab.
Ist nämlich ψ : Tb −→ Vb ∩ M eine weitere Parametrisierung von M mit f ∈ Cc (M ∩ Vb ), so
folgt ψ = φ ◦ h, wobei h : Tb −→ T die Parametertransformation h = φ−1 ◦ ψ ist, von der wir
16
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
früher gesehen haben, dass sie Tb diffeomorph nach T abbildet. Dann erhalten wir Jψ = Jφ ◦ h · Jh ,
also
JψT Jψ = JhT (Jφ ◦ h)T · (Jφ ◦ h) · Jh
Das ergibt aber
det(JψT Jψ ) = det(Jφ )T · (Jφ )) ◦ h · (det Jh )2
Der Transformationssatz liefert jetzt
Z
Z
q
q
n−1
T
f (ψ(~s)) det Jψ Jψ (~s)d s =
f (φ ◦ h(~s)) det JφT Jφ (h(~s))| det(Jh (~s))|dn−1 s
b
b
T
ZT
q
~
=
f (φ(t)) det JφT Jφ (~t)dn−1 t
T
Von der Einschränkung, dass der Träger in einer Parameterumgebung enthalten sein muss,
befreien wir uns so: Angenommen, es sei f ∈ Cc (M ). Ist dann (Vj )m
j=1 eine Überdeckung von M
m
durch Parameterumgebungen, und (αj )j=1 eine untergordnete Teilung der Eins, so setzen wir
Z
m Z
X
f (~z )dS(~z) :=
(αj f )(~z )dS(~z)
M
j=1
M
Auch diese Definition ist konsistent, hängt also von der Wahl der Überdeckung (Vj )∞
j=1 und
der Teilung der Eins nicht ab.
Dies prüfen wir nach:
Ist etwa (Vej )kj=1 noch eine Überdeckung von M durch Parameterumgebungen und (e
αj )kj=1
eine untergeordnete Teilung der Eins, so gilt
Z
(αj f )(~z )dS(~z) =
M
k Z
X
`=1
(e
α` αj f )(~z)dS(~z )
M
Summieren wir das über alle j ∈ {1, ..., m}, so kommt heraus
m Z
m X
k Z
X
X
(αj f )(~z)dS(~z ) =
(e
α` αj f )(~z )dS(~z)
j=1
M
=
j=1 `=1
M
`=1 j=1
M
k X
m Z
X
(e
α` αj f )(~z )dS(~z) =
k Z
X
`=1
(e
α` f )(~z )dS(~z)
M
Beispiele. a) n = 2. Ist γ : [0, 1] −→ IR2 eine doppelpunktfreie Kurve mit γ̇(t) 6= 0, so
wird M = {γ(t) | 0 < t < 1} eine 1-dimensionale Untermannigfaltigkeit mit γ als (globaler)
Parametrisierung. Es wird dann
Z
Z 1
f dS =
f (γ(t))kγ̇(t)kdt
M
0
9.3. FLÄCHENINTEGRALE
17
für jedes f ∈ Cc↑ (M ). Für f = 1 erhalten wir die Weglänge von γ.
b) Drehflächen: Sei etwa g : [a, b] −→ IR+ eine positive Funktion. Dann ist
φ(θ, s) := s, g(s) cos θ, g(s) sin θ
eine auf T := (a, b) × (0, 2π) definierte Parametrisierung einer Fläche M , die durch Drehung des
Graphen von g um die x-Achse entsteht. (Hierbei fehlt jedoch die Mantellinie {(s, g(s), 0) | a <
s < b}).
Hier ist das Bild für g(s) = cosh(s), a = −1.5, b = 1.5
2
1
0
-1
-2
2
1
0
-1
-2
-1
0
1

1
0
Jφ (s, θ)  g 0 (s) cos θ −g(s) sin θ 
g 0 (s) sin θ g(s) cos θ

Nun wird
und damit
2
det(JφT Jφ )(s, θ) = g(s)2 (1 + g 0 (s) )
Ist wieder f ∈ Cc↑ (M ), so folgt
Z bZ
Z
f (~z )dS(~z) =
M
2π
q
f (s, g(s) cos θ, g(s) sin θ )g(s) 1 + g 0 (s)2 dθds
0
a
Für f = 1 erhalten wir den Flächeninhalt von M , also
Z
Z
dS = 2π
M
a
b
q
g(s) 1 + g 0 (s)2 ds
18
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
√
Im Falle der Halbkugeloberfläche wählen wir g(s) = R2 − s2 und a = 0, b = R. Dann errechnen
wir
s
2
q
√
−s
2
0
2
2
g(s) 1 + g (s) = R − s 1 + √
=R
R 2 − s2
R
und damit M dS = 2πR2 .
9.4
Der Satz von Gauss
Wir wollen nun eine feinsinnige Verallgemeinerung des Fundamentalsatzes der Differential - und
Integralrechnung behandeln. Dazu sehen uns das Beispiel eines Quaders an.
Sei Q = [a1 , b1 ] × ... × [an , bn ] ein kompakter Quader und die Funktion g : U −→ IR stetig
differenzierbar auf einer offenen Umgebung U von Q.
Q
Der Einfachheit halber schreiben wir
Z
c` ...dxn ,
h(x1 , ..., xb` , ..., xn )dx1 ...dx
wenn wir eine Funktion h über n − 1 Variable integrieren wollen, die übrig bleiben, wenn wir aus
x1 , ..., xn die Variable x` fortlassen. Dann sehen wir zuerst, dass
Z b1 Z b`−1 Z b`+1 Z bn
Z
∂g
n
c` ...dxn
(~x)d x =
···
···
(g(x1 , ..., b` , ..., xn ) − g(x1 , ..., a` , ..., xn )) dx1 ...dx
Q ∂x`
a1
a`−1
a`+1
an
9.4. DER SATZ VON GAUSS
19
Weiter hat auch ∂Q \ K ein Einheitsnormalenfeld νQ , wobei K aus den Randpunkten besteht,
die auf mindestens 2 der Randflächen liegen, also
K = {~x ∈ ∂Q | xi ∈ {ai , bi }, für mindestens 2 Indizes i}
Es ist nämlich, wenn ~z ∈ ∂Q \ K ist, νQ (~z ) = ~e i , wenn zi = bi und νQ (~z) = −~e i , wenn zi = ai .
Für festes ` ist aber die rechte Seite gerade
Z
g(~z )~e ` · νQ (~z )dS(~z)
∂Q
Wenn wir jetzt eine vektorwertige Funktion f = (f1 , ..., fn ) hernehmen und g = f` setzen, so
finden wir einen Spezialfall des Gaußschen Satzes:
Z
Z
∂f`
n
(~x)d x =
f` (~z )~e ` · νQ (~z)dS(~z)
Q ∂x`
∂Q
Summieren wir das über alle ` = 1, ..., n, so folgt
Z
Z
n
∇ · f (~x)d x =
Q
f · νQ (~z )dS(~z)
∂Q
P ∂fi
Dabei setzen wir ∇ · f = ni=1 ∂x
.
i
Notation. Ist f eine stetig differenzierbare vektorwertige Funktion, so nennen wir den Ausdruck
n
X
∂fi
∇·f =
∂xi
i=1
auch die Divergenz von f .
Wir streben jetzt an, obige Integralformel zu beweisen, wenn der Quader durch ein glatt
berandetes Kompaktum A ersetzt wird. Dazu behandeln wir zuerst den Fall, dass f seinen
Träger innerhalb einer speziellen Parameterumgebung hat.
9.4.1 Lemma. Sei T ⊂ IRn−1 eine offene Menge und I = (a, b) ein Intervall. Weiter sei eine
Funktion g ∈ C 1 (T ) gegeben und D = {(~t, tn ) ∈ T × I | tn ≤ g(~t)}, M = {(~t, tn ) ∈ T × I | tn =
g(~t)}. Dann gilt für jede Funktion h ∈ Cc1 (T × I) die Integralformel
Z
Z
∂h
n
(~x)d x =
h(~z )νi (~z )dS(~z)
D ∂xi
M
Hierbei ist νi die i-te Koordinate des äußeren Normalenfeldes auf M .
20
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
Die Situation wird durch folgende Skizze veranschaulicht:
I
supp h
D
U
M
M
T
supp h
Beweis. Wir unterscheiden 2 Fälle. Zunächst sei i < n.
Vorab eine Anwendung der Kettenregel: Wir definieren für ζ ∈ I:
0
Z
ζ
F (~x , ζ) :=
h(~x 0 , t)dt
a
Da h stetig differenzierbar ist, wird
Z
∂F 0
(~x , ζ) =
∂xi
ζ
a
∂h 0
(~x , t)dt,
∂xi
∂F 0
(~x , ζ) = h(~x 0 , ζ)
∂ζ
Bedenken wir, dass
Z
a
g(~
x 0)
h(~x 0 , t)dt = F (~x 0 , g(~x 0 ) )
9.4. DER SATZ VON GAUSS
21
liefert uns die Kettenregel:
Z g(~x 0 )
∂
∂
0
0
F (~x , g(~x )) =
h(~x 0 , t)dt
∂xi
∂xi a
∂F 0
∂F 0
∂g 0
=
(~x , g(~x 0 ) )
(~x , g(~x 0 ) ) +
(~x )
∂xi
∂ζ
∂xi
Z g(~x 0 )
∂h 0
∂g 0
(~x , t)dt + h(~x 0 , g(~x 0 ))
(~x )
=
∂xi
∂xi
a
Oder, nach dem ersten Term auf der rechten Seite umgestellt:
Z g(~x 0 )
∂h 0
∂
∂g 0
(~x , t)dt =
F (~x 0 , g(~x 0 )) − h(~x 0 , g(~x 0 ))
(~x )
∂xi
∂xi
∂xi
a
(9.4.1)
Die Funktion ~x 0 7−→ F (~x 0 , g(~x 0 )) hat kompakten Träger in T , also wird
Z
∂
( F (~x 0 , g(~x 0 )) ) dn−1 x0 = 0
∂x
i
T
Integrieren wir jetzt (9.4.1) über T , so erhalten wir
!
Z
Z g(~x 0 )
Z
∂h
∂h
(~x)dn x =
(~x 0 , t)dt dn−1 x0
∂xi
a
D ∂xi
T
Z
∂g 0 n−1 0
= − h(~x 0 , g(~x 0 ))
(~x )d x
∂xi
T
Z
p
=
h(~x 0 , g(~x 0 )) 1 + k∇g(~x 0 )k2 νi (~x 0 , g(~x 0 ))dn−1 x0
ZT
=
h(~z)νi (~z)dS(~z )
M
Jetzt zum 2. Fall: i = n. Für jedes feste ~x 0 ∈ T hat die Funktion t 7−→ h(~x 0 , t) einen
kompakten Träger in I. Also erhalten wir
Z g(~x 0 )
∂h 0
(~x , t)dt = h(~x 0 , g(~x 0 )) − h(~x 0 , a) = h(~x 0 , g(~x 0 ))
∂x
n
a
Diese Gleichung integrieren wir bezgl. ~x 0 ∈ T und finden
Z
Z g(~x 0 )
Z
∂h
∂h 0
n
(~x)d x =
(~x , t)dt dn−1 x0
∂xn
0
D ∂xn
Z~x ∈T a
=
h(~x 0 , g(~x 0 )), dn−1 x0
0
Z~x ∈T
p
=
h(~x 0 , g(~x 0 )) 1 + k∇g(~x 0 )k2 νn (~x 0 , g(~x 0 ))dn−1 x0
0
Z~x ∈T
=
h(~z)νn (~z)dS(~z)
M
22
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
Damit ist alles vorbereitet für den Beweis des Integralsatzes von Gauß:
9.4.2 Satz (Gaußscher Integralsatz). Angenommen, es sei A ein Kompaktum mit glattem Rand
und U ⊃ A eine offene Umgebung von A, auf der eine stetig differenzierbare vektorwertige
Funktion f : U −→ IRn definiert sein soll. Dann gilt
Z
Z
n
∇ · f (~x)d x =
f · ν∂A (~z)dS(~z)
A
∂A
Beweis. Dazu überdecken wir A durch endlich viele Quader Q1 , ...., QL , so dass alle Qj in U
enthalten sind und für jedes j gilt
• Qj ⊂ A oder
• Qj ∩ ∂A 6= ∅, und (nach evtl. Umnummerierung der Koordinaten) ∂A ist Graph einer differenzierbaren Funktion gj : Q0j −→ IR, (so dass also die Situation des Lemmas hergestellt
werden kann)
Q
j
A
Wir können nun ähnlich wie im Kapitel über Integration eine der Überdeckung untergeordnete
Teilung der Eins wählen, also differenzierbare Funktionen αj mit Träger in Qj , so dass jede
Funktion nicht-negativ ist und ihre Summe α1 + ... + αL = 1 wird. Sei i ∈ {1, 2, ..., n}.
◦
Wenn Qj ∩ ∂A = ∅, dann ist αj fi ∈ Cc1 (A) also
Z
Z
∂(αj fi )
n
(~x)d x = 0 =
αj fi (~z)νi (~z)dS(~z)
∂xi
D
M
◦
Wenn Qj ∩ ∂A = ∅, so wenden wir das Lemma an mit h = fi αj und D = A und finden
Z
Z
∂(αj fi )
n
(~x)d x =
αj fi (~z)νi (~z)dS(~z)
∂xi
D
∂A
Summieren wir nun über alle i = 1, ..., n, so entsteht
Z
Z
n
∇ · (αj f )(~x)d x =
(αj f ) · ν∂A (~z)dS(~z)
A
∂A
9.4. DER SATZ VON GAUSS
23
Summieren wir über alle j = 1, ..., L, so folgt die Behauptung.
Anwendungen des Gaußschen Satzes
a) Die Oberfläche der Sphäre SRn−1 = {~x ∈ IRn | k~xk = R}. Setzen wir jetzt f (~x) := ~x, so
wird ∇ · f (~x) = n, also
Z
Z
Z
n
n Vol(B(0, R) ) =
∇ · f (~x)d x =
f (~z ) · (~z/R)dS(~z) = R
dS(~z)
n−1
SR
B(0,R)
n−1
SR
Aber links steht nRn Vol(B(0, 1)). Das ergibt
Z
2π n/2 n−1
R
dS(~z) = nRn−1 Vol(B(0, 1)) =
n−1
Γ(n/2)
SR
Für n = 2d (geradzahliges n) wird also
Z
dS(~z) =
d−1
SR
2π d
R2d−1
(d − 1)!
Für n = 2d + 1 (ungeradzahliges n) wird
√
Z
2π d π 2d
R
dS(~z ) =
d−1
Γ(d + 12 )
SR
b) Das Archimedische Prinzip. Angenommen, es sei A ein (glatt berandeter) Körper, der sich
innerhalb einer Flüssigkeit mit konstanter Dichte % > 0 befindet.
x
3
A
ν
A
Die Flüssigkeit übt an der Stelle ~z ∈ ∂A einen Druck cz3 ν∂A (~z ) aus, woraus für die Auftriebs~ welche A erfährt
kraft K,
Z
~ =
cz3 ν∂A (~z)dS(~z)
K
∂A
24
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
~ erhalten wir daher mit dem Gaußschen Satz (f =
resultiert. Für die i-te Komponente von K
x3~e i ):
Z
∂x3 3
d x = δi3 %Vol(A)
Ki = %
A ∂xi
So finden wir: Der Auftrieb den ein Körper in einer Flüssigkeit erfährt, ist gleich dem Gewicht
der von ihm verdrängten Flüssigkeitsmenge (Gesetz von Archimedes).
c) Das elektrische Feld und seine Quellen
Ist Q eine Ladung, welche in einem Kompaktum mit glattem Rand eingeschlossen ist, so ist
nach Gauß der Fluss des elektrischen Feldes durch die Oberfläche von A durch
Z
~ · ν∂A dS = 4πQ
E
∂A
gegeben. Haben wir allgemeiner eine Ladungsverteilung mit Dichtefunktion % ∈ Cc gegeben, so
modifiziert sich diese Gleichung zu
Z
Z
~
E · ν∂B(~x,R) dS = 4π
%d3 x
∂B(~
x0 ,R)
B(~
x0 ,R)
Da nun ~x0 und R beliebig wählbar sind, folgt mit dem Integralsatz von Gauß
∇ · E = 4π%
d) Impuls des elektromagnetischen Feldes
~ : IR3 × IR+ −→ IR3 und B
~ : IR3 × IR+ −→ IR3 ein (zeitabhängiges)
Angenommen, es seien E
0
0
elektrisches und magnetisches Feld (verbunden über die Maxwellgleichungen), welches von einer
Ladungsverteilung % und einer Stromdichte ~j erzeugt werden: wenn letztere beiden Funktionen
kompakte Träger ( etwa innerhalb B(~0, R)) haben, erfüllen sie die folgenden Wachstumsbedingungen im Unendlichen: (das werden wir später noch sehen)
~ x, t)k | k~xk = R} = 0, lim R sup{kB(~
~ x, t)k | k~xk = R} = 0
lim R sup{kE(~
R−→∞
R−→∞
für alle t ≥ 0. Dann gilt für den Impuls P~ des elektromagnetischen Feldes die Beziehung
Z
1
~ × B(~
~ x, t)d3 x
P~ (t) =
E
4π IR3
Dazu beachten wir, dass das Newtonsche Kraft-Gesetz hier lautet
Z
dP~
1~ ~
~
=
% E + j × B d3 x
dt
c
~
B(0,R)
9.4. DER SATZ VON GAUSS
25
Nun benutzen wir die Maxwellgleichungen
~ = 4π%,
∇·E
~ = ~0,
∇·B
~
~ = 4π ~j + 1 ∂ E
∇×B
c
c ∂t
~ =−
∇×E
und erhalten
1
~
%=
∇ · E,
4π
Das setzen wir ein in die Gleichung für
dP~
1
=
dt
4π
Das kombinieren wir mit
1∂ ~
~ =1
(E × B)
c ∂t
c
Z
B(~0,R)
∂ ~
E
∂t
~j = c
4π
~
dP
dt
~
1 ∂B
c ∂t
~
~ − 1 ∂E
∇×B
c ∂t
!
und erhalten
!
~
∂
E
1
~ −B
~ × (∇ × B)
~ d3 x
~ ·E
~+
×B
E∇
c ∂t
~ + 1E
~× ∂B
~ =1
×B
c
∂t
c
∂ ~
E
∂t
~−E
~ ×∇×E
~
×B
~ = 0)
und erhalten (wegen ∇ · B
dP~
dt
1
=
4π
Z
B(~0,R)
1 ∂
−
4π ∂t
Z
Z
1
3
~
~ ·B
~
~
~
~ −B
~ ×∇×B
~ d3 x
E∇ · E − E × ∇ × E d x +
B∇
4π B(~0,R)
B(~0,R)
~ × B)d
~ 3x
(E
∂
Die Vertauschung von ∂t
mit der Integration ist erlaubt. Ist nun h eine vektorwertige stetig
differenzierbare Funktion, so gilt aber
(h∇ · h − h × ∇ × h)i = ∇ · (hi h) −
1 ∂khk2
2 ∂xi
Das liefert
Z
Z
1
1
1
3
2
~ ·E
~ −E
~ ×∇×E
~ dx =
~ − kEk
~ ~e i d3 x
E∇
∇ · (Ei E)
4π B(~0,R)
4π B(~0,R)
2
i
Z
1
1 ~ 2
~
=
(Ei E · ~z) − kEk zi dS(~z)
4πR ∂B(~0,R)
2
2
~ x, t)k | k~xk = R} −→ 0
≤ R2 sup{kE(~
26
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
wenn R −→ ∞.
Genauso folgt
1
4π
Z
B(~0,R)
~ ·B
~ −B
~ ×∇×B
~
B∇
Damit gilt also
dP~
1 ∂
=
dt
4π ∂t
Z
IR
3
i
d3 x −→ 0, R −→ ∞
~ × B)d
~ 3x
(E
Das ergibt die Behauptung.
Die Greensche Formel
In der Potenzialtheorie wird gezeigt, dass bei gegebener ”Ladungsverteilung” % ∈ Cc (IRn ) die
Gleichung ∆U = % durch
Z
U (~x) =
En (~x − ~y )%(~y )dn y
IRn
gelöst wird, wobei


En (~z) =

1
(n−2)ωn
k~zk2−n
wenn
wenn
1
log k~zk wenn
2π
n≥3
n=2
Dazu benötiget man die folgende aus dem Gaußschen Satz leicht zu gewinnende Formel von
Green
9.4.3 Satz (Greensche Formel). Ist A eine glatt berandete kompakte Menge im IRn und U ⊃ A
eine offene Umgebung von A, auf der 2 stetig differenzierbare Funktionen f und g definiert sein
sollen, so gilt
Z
Z
n
(f ∆g − g∆f )d x =
(f ∇g − g∇f ) · ν∂A dS
A
∂A
Beweis. Zum Beweis wenden wir den Gaußschen Satz mit der Abbildung F = (f ∇g − g∇f )
an und beachten, dass
∇ · F = f ∆g − g∆f
9.5. DER SATZ VON STOKES IN DIMENSION 2 UND 3
9.5
27
Der Satz von Stokes in Dimension 2 und 3
Der Fall n = 2.
2
Wir behandeln zuerst den
Satzvon Stokes für Rechtecke im IR . Es sei also A = [a, b]×[c, d] ⊂
f1
IR2 ein Rechteck und f =
eine vektorwertige Funktion auf einer offenen Umgebung U
f2
von A. Dann integrieren wir f längs des positiv durchlaufenen Randes γ von A, wir bilden also
Z
Z b
Z d
Z b
Z d
f (~s) · d~s =
f1 (t, c)dt +
f2 (b, s)ds −
f1 (t, d)dt −
f2 (a, s)ds
γ
Z
a
c
b
Z
a
c
d
(f1 (t, c) − f1 (t, d))dt +
( f2 (b, s) − f (a, s) )ds
c
Z d Z b
Z b Z d
∂f2
∂f1
=
dt ds −
ds dt
c
a ∂x1
a
c ∂x2
Z ∂f2
∂f1
=
−
(~x)d2 x
∂x1 ∂x2
A
Z
=
Rotf (~x)d2 x
=
a
A
Der Fall der Flächen im IR3
Gegeben sei wieder eine 2-dimensionale Untermannigfaltigkeit im IR3 , welche durch endlich
viele Parameterumgebungen überdeckbar ist.
Definition. Sei A ⊂ M eine kompakte Teilmenge. Dann bezeichnen wir mit ∂M A die Menge
derjenigen Punkte aus A, für welche jede offene Umgebung sowohl Punkte aus A als auch aus
M \ A enthält.
Wir sagen, A sei glatt berandet, wenn zu jedem ζ ∈ ∂M A eine Parameterumgebung U 3 ζ
und eine Parametrisierung φ : (−a, a) × (c, d) −→ IR3 für M so gewählt werden können, dass
A ∩ U = {φ(t1 , t2 ) | t1 ∈ (−1, 0]}
∂M A ∩ U = {φ(0, t2 ) | t2 ∈ (c, d)}
Wir nennen dann die Parametrisierung φ randadaptiert .
28
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
Hier ist eine Skizze
M
A
A
M
ζ
φ
d
-a
a
c
9.5.1 Lemma. Ist A ⊂ M ein Kompaktum mit glattem Rand, so kann es durch endlich viele
Parameterumgebungen der Form Uj = φj (Rj ) überdeckt werden, wobei Rj ein Rechteck der
Form (−aj , aj ) × (cj , dj ) und φj eine Parametrisierung für A ist.
b) Der Rand ∂M A von A besteht aus endlich vielen geschlossenen glatten Kurven.
Beweis. a) Klar.
b) (Skizze) Sei Z eine Zusammenhangskomponente von ∂M A. Ist ζ ∈ Z , so gilt für eine
randadaptierte Parametrisierung φj von ∂M A in ζ, dass ∂M A ∩ Uj = {ϕj (0, t2 ) | cj < t < dj }.
∂φ
Da rg (Jφ ) überall gleich 2 ist, kann ∂t2j (0, t2 ) keine Nullstelle haben, also liegt ζ lokal auf einer
glatten Kurve. Man kann Z mit endlich vielen solcher glatter Kurven überdecken. Da ∂M A glatt
9.5. DER SATZ VON STOKES IN DIMENSION 2 UND 3
29
ist, setzen sich diese Kurven zu einer glatten Kurve zusammen. Diese Kurve ist sogar geschlossen,
denn sonst könnten wir zu dem Endpunkt von γ eine randadaptierte Parametrisierung φ : R −→
M ∩ U wählen. Nach Verkleinerung von U könnten wir erreichen, dass je 2 verschiedene Punkte
aus U \ (∂M A) durch einen innerhalb U \ (∂M A) verlaufenden Weg verbindbar wären. Auf der
◦
anderen Seite aber zerfällt U \ (∂M A) in die (relativ zu M ) offenen Mengen A und ((U ∩ M ) \ A)◦ ,
◦
und ein Punkt aus A ist nicht durch einen in U \ (∂M A) verlaufenden Weg mit einem Punkt
◦
aus ((U ∩ M ) \ A)◦ verbindbar. Also muss eine der Mengen A oder ((U ∩ M ) \ A)◦ schon leer
gewesen sein. Offenbar bleibt nur der Fall ((U ∩ M ) \ A)◦ = ∅ übrig. Nun kann man aber wegen
der Randadaptiertheit von φ in R einen Weg c : (−ε, ε) −→ R so wählen, dass φ(c(0)) ∈ ∂M A,
aber φ(c(t)) ∈
/ U ∩ A, wenn ε > t > 0, während aber φ(c(t)) in U ∩ A liegt, wenn −ε < t < 0.
Das ist ein Widerspruch.
Schließlich bemerken wir noch, dass ∂M A aus endlich vielen Zusammenhangskomponenten
besteht.
Hier ist eine Illustration zu dieser Argumentation
U
A
U
U
φ (c)
A
M
φ
-1
(A
U
φ
U)
c
Das nächste Lemma enthält die Hauptidee zum Beweis des Stokesschen Satzes.
9.5.2 Lemma. Sei M wie bisher und A ⊂ M ein Kompaktum mit glattem Rand ∂M A. Angenommen, A werde durch die endlich vielen Parameterumgebungen der Form Uj = φj (Rj )
30
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
überdeckt, wobei j = 1, ..., L sei, Rj ein Rechteck der Form (−aj , aj ) × (cj , dj ) und φj eine
Parametrisierung für A sei. Sind dann die Parametrisierungen φ1 , ...., φ`0 randadaptiert, so gilt:
Ist f : V −→ IR3 eine stetig differenzierbare Abbildung (V ⊃ A offen) und supp(f ) ∩ M in
einer der offenen Mengen Uj enthalten so haben wir
Z
∇ × f (~z ) · νM (~z)dS(~z) = 0, wenn j > `0
A
und
Z
Z
∇ × f (~z ) · νM (~z)dS(~z) =
A
f (~s) · d~s, wenn j ≤ `0
γj
wobei γj (τ ) := φj (0, τ ), für cj ≤ τ ≤ dj positiv durchlaufen wird.
M
A
A
M
M
A
A
M
supp ( f )
U
U
j
γ
supp ( f )
Der Fall j > `0
j
j
Der Fall j ≤ `0 .
Beweis. A) Sei j > `0 . Da supp(f ) ⊂ φj (Rj ) kompakt gelegen ist, gibt es ein Rechteck
Bj ⊂ Rj , dass mitsamt seinem Rand in Rj enthalten ist. Sein Rand ∂Bj wird unter φj auf einen
stückweise glatten Weg Γj abgebildet, der aus 4 glatten Teilwegen besteht und eine stückweise
stetig differenzierbare Parametrisierung, nämlich φj ◦ ηj besitzt, wobei ηj : [0, 1] −→ Rj eine
9.5. DER SATZ VON STOKES IN DIMENSION 2 UND 3
31
Parametrisierung von ∂Bj sein soll. Nun rechnen wir
Z
Z
Γj
f (~s) · d~s =
1
0
Z
f (φj (ηj (t))) · (φj (ηj (t)))0 dt
1
=
0
0
gj,1 (ηj (t))ηj,1
(t)
+
0
gj,2 (ηj (t))ηj,2
(t)
Z
gj (~s) · d~s
dt =
∂Bj
wobei
gj,i
∂φj
= (f ◦ φj ) ·
, i = 1, 2, und gj =
∂ti
gj,1
gj,2
Aber der Satz von Stokes für Rechtecke in der Ebene sagt jetzt, dass
Z
Z
gj (~s) · d~s =
∂Bj
Bj
∂g2 ∂g1
−
∂t1
∂t2
(~t)d2 t
Mit der Kettenregel rechnen wir jetzt aus, dass
3
3
X
X
∂g2 ~
∂ 2 φj,`
∂φj,` ∂f`
∂φj,k ~
~
(t) =
f` (φj (t)) +
(φj (~t))
(t)
∂t1
∂t1 ∂t2
∂t2 ∂xk
∂t1
`=1
`,k=1
3
3
X
X
∂g1 ~
∂ 2 φj,`
∂φj,` ∂f`
∂φj,k ~
~
(t) =
f` (φj (t)) +
(φj (~t))
(t)
∂t2
∂t1 ∂t2
∂t1 ∂xk
∂t2
`=1
`,k=1
Durch Subtrahieren dieser beiden Gleichungen erhalten wir
32
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
3 X
∂g2 ~
∂g1 ~
∂φj,` ∂φj,k ~
∂f`
∂φj,` ∂φj,k ~
(t) −
(t) =
(t) −
(t )
(φj (~t))
∂t1
∂t2
∂t
∂t
∂t
∂x
2 ∂t1
1
2
k
`,k=1
X ∂φj,` ∂φj,k
∂f`
∂φ
j,` ∂φj,k
=
(~t) −
(~t)
(φj (~t))
∂t
∂t
∂t
∂x
2 ∂t1
1
2
k
`6=k
X ∂φj,` ∂φj,k
∂f`
∂φ
j,` ∂φj,k
=
(~t) −
(~t)
(φj (~t))
∂t
∂t
∂t
∂x
2 ∂t1
1
2
k
`<k
X ∂φj,` ∂φj,k
∂φ
∂f`
j,` ∂φj,k
+
(~t) −
(~t)
(φj (~t))
∂t
∂t
∂t
∂x
2 ∂t1
1
2
k
`>k
X ∂φj,` ∂φj,k
∂f`
∂φj,` ∂φj,k ~
~
=
(t ) −
(t)
(φj (~t))
∂t
∂t
∂t
∂x
2 ∂t1
1
2
k
`<k
X ∂φj,k ∂φj,`
∂fk
∂φ
j,k ∂φj,`
+
(~t) −
(~t)
(φj (~t))
∂t
∂t
∂t
∂x
2 ∂t1
1
2
`
`<k
X ∂φj,k ∂φj,` ∂φj,k ∂φj,` ∂f
∂f
`
k
=
−
−
(~t)
(φj (~t))
∂t
∂t
∂t
∂x
∂x
1
2
2 ∂t1
k
`
`<k
∂φ
∂φ
j
j
= ∇ × f (φj (~t)) ·
×
(~t)
∂t1
∂t2
q
= ∇ × f (φj (~t)) · νM (ϕj (~t)) det(JφTj Jφj )(~t)
Setzen wir das in die zu Beginn angeschriebenen Formeln ein, erhalten wir (da supp(f ◦ φj ) ⊂
Bj )
Z
Z Z
Z
∂g2 ∂g1 ~ 2
∇ × f (~z ) · νM (~z)dS(~z ) =
−
gj (~s) · d~s =
f (~s) · d~s = 0,
(t)d t =
∂t1
∂t2
A
Bj
∂Bj
Γj
da j > `0 sein sollte, also supp(f ) ∩ Γj = ∅.
B) Nun nehmen wir an, es sei j ≤ `0 und die Parametrisierung (Rj , ϕj , Uj ) randadaptiert.
Jetzt wählen wir Bj von der Form Bj = [−a0j , 0] × [c0j , d0j ], wobei 0 < a0j < aj , cj < c0j < d0j < dj
so gewählt werden, dass wieder supp(f ◦ φj ) ⊂ Bj allenfalls die Seite {0} × [c0j , d0j ] trifft. Mit
Γj = φj (∂Bj ) errechnen wir genauso wie unter A), dass
Z
Z
Z
Z
∇ × f (~z ) · νM (~z )dS(~z) =
f (~s) · d~s =
f (~s) · d~s =
f (~s) · d~s
A∩Uj
Γj
∂M A∩Uj
γj
(in den Punkten, welche auf γj aber nicht in ∂M A ∩ Uj liegen nimmt f den Wert ~0 an!)
9.5. DER SATZ VON STOKES IN DIMENSION 2 UND 3
33
Damit können wir jetzt den Satz von Stokes in der physikalische Anwendungen relevanten
Form aufstellen:
9.5.3 Satz ( Stokesscher Satz). Sei M ⊂ IR3 eine 2-dimensionale Untermannigfaltigkeit wie
bisher und A ⊂ M ein Kompaktum mit glattem Rand ∂M A. Ist dann V ⊃ A eine offene Menge
und f : V −→ IR3 stetig differenzierbar, so gilt
Z
Z
f (~s) · d~s =
∇ × f (~z ) · νM (~z )dS(~z)
γ
A
Dabei ist γ der parametrisierte Rand ∂M A von A.
Beweis. Wir wählen eine Überdeckung (Rj , ϕj , Uj )Lj=1 für A durch Parameterumgebungen,
wobei die ersten `0 von diesen Parameterumgebungen randadaptiert sein sollen. Dann wählen
wir eine untergeordnete Teilung (hj )Lj=1 der Eins (ähnlich wie beim Satz von Gauß) dazu und
wenden das Lemma auf die Felder hj f an. Das ergibt uns
Z
Z
(hj f )(~s) · d~s =
∇ × (hj f )(~z ) · νM (~z)dS(~z)
γ
A
Summieren wir über alle j, folgt die Integralformel.
Erste Anwendungen
a) Sei γ : [0, 1] −→ IR2 eine doppelpunktfreie geschlossene Kurve. Dann hat die von γ
eingeschlossene Fläche den Inhalt
Z 1
F (γ) =
γ1 (t)γ̇2 (t)dt
0
Wir wählen M =
0} und A als das 
von γberandete Kompaktum 
in M
. Dann gilt für das
 {x3 =
−x2
0
0
Vektorfeld f =  x1 , dass ∇ × f =  0 . Zusammen mit νM =  0  folgt
0
2
1
Z
Z
2
Z
∇ × f (~z ) · νM (~z)dS(~z) =
dS =
A
A
Z
f (~s) · d~s = −
γ
Z
1
0
γ2 (t)γ̇1 (t)dt +
Beachten wir nun noch, dass
Z
1
0
Z
γ2 (t)γ̇1 (t)dt = −
1
0
γ1 (t)γ̇2 (t)dt
1
0
γ1 (t)γ̇2 (t)dt
34
KAPITEL 9. INTEGRATION ÜBER FLÄCHEN
folgt die Behauptung.
R
b) Was ist der Wert des Integrals Iα = Kα x3 dS, wobei Kα die Kugelkappe oberhalb des
”Breitengrades” α bedeutet, wie im folgenden Bild gezeigt ist?
Kα
α



(R cos α) cos(2πt)
−x2
Wir wählen wieder f =  x1 . Jetzt sei weiter γ(t) =  (R cos α) sin(2πt) .
R sin α
0
Dann wird
Z
Iα = R
(∇ × f ) · νS 2 dS
Kα
Z
= R f (~s) · d~s
γ

 

Z 1 −(R cos α) sin(2πt)
−(R cos α) sin(2πt)
 (R cos α) cos(2πt)  ·  (R cos α) cos(2πt)  dt
= 2πR
0
0
R sin α

= 2πR3 cos α
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