Möller-Leimkühler.Psychische Gesundehit von Männern

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Neue Perspektiven für die Jungen- und Männergesundheit?
Stuttgart, 10. Juni 2013
Psychische Gesundheit von Männern –
Bedeutung und Handlungsbedarf
Prof. Dr. rer.soc.
Anne Maria Möller-Leimkühler
Psychiatrische Klinik der
Ludwig-Maximilians-Universität
München
Was ist psychische Gesundheit ?
Individuelle Ressource für Lebensqualität und
Produktivität
„Zustand des Wohlbefindens, der es einem erlaubt, seine Fähigkeiten
auszuschöpfen und die normalen Belastungen des Lebens zu bewältigen.
Ein psychisch gesunder Mensch kann produktiv und fruchtbar arbeiten und
ist im Stande, etwas zum Wohle seiner Gemeinschaft beizutragen.“
(WHO, Grünbuch 2005)
Gesellschaftliche Ressource
für wirtschaftlichen Wohlstand
und sozialen Zusammenhalt
Psychische Gesundheit unterschätzt
Jeder vierte ist von psychischen Störungen betroffen.
Psychische Störungen implizieren ein hohes Suizidrisiko.
Psychische Störungen verursachen erhebliche Kosten
und belasten das Wirtschafts, Sozial- und Bildungssystem
sowie das Justizsystem.
Psychische Störungen sind unterdiagnostiziert und
unterbehandelt. Dies hat erhebliche gesundheitliche
und ökonomische Auswirkungen.
Gesellschaftliche Stigmatisierung ist einer der wichtigsten
Gründe für die Unterdiagnostizierung und Unterbehandlung.
Prävalenz psychischer Störungen
nach Geschlecht
Störung
Gesamt
%
Frauen
%
Männer
%
Prävalenz
14,5
19,8
9,2
12-Monate
Affektive Störungen 1
11,9
15,4
8,5
12-Monate
Somatoforme Störungen 1
11,0
15,0
7,1
12-Monate
Schmerz-Störung 1
8,1
11,4
4,9
12-Monate
Alkoholmissbrauch/abhängigkeit 1
4,1
1,3
6,8
12-Monate
Illegale Substanzen,
Missbrauch/Abhängigkeit
0,7
0,5
1,0
12-Monate
10,0
3,6
10,3
1,9
9,6
5,5
Lebenszeit
Angststörungen
1
1
Persönlichkeitsstörungen 2
Dissoziale Persönlichkeitsstörung 3
1
2
3
Bundesgesundheitssurvey 1998/9, Zusatzsurvey „Psychische Störungen“ (nach Jakobi et al. 2004)
Maier et al. 1992
Compton et al. 2005
Steigender Behandlungsbedarf
Steigender Behandlungsbedarf
Unterversorgung bei Depression
Unterversorgung
bei Alkoholabhängigkeit
80% in Praxen niedergelassener Ärzte
35% in Allgemeinkrankenhäuser
10% in suchttherapeutischen Einrichtungen (Mann 2008)
0,5 – 1% in ambulanter Psychotherapie (Wittchen, Jacobi 2001)
Niedrige
Niedrige Behandlungsquote
Behandlungsquote ––
hohe
hohe Kosten
Kosten
höhere Behandlungsquote:
noch höhere Kosten???
positive Kosten-Nutzen-Relation !!!
Durch 1 in Psychotherapie investierten Euro
können im Jahr 2 bis 5 Euro eingespart werden
Wunsch et al. 2013
Margraf 2009
Wittmann et al. 2011
Folgen der Unterversorgung
Chronifizierung (vom Symptom bis zur Behandlung > 7 Jahre)
Fehlversorgung durch stationäre Behandlungen in
somatischen Kliniken (insb. Männer!)
hohe Kosten durch Präsentismus, Krankschreibung,
„Doktorshopping“
psychische und somatische Komorbidität
100,0
80,0
60,0
40,0
Männer
Frauen
20,0
0,0
10 - 14
15 - 19
20 - 24
25 - 29
30 - 34
35 - 39
40 - 44
45 - 49
50 - 54
55 - 59
60 - 64
65 - 69
70 - 74
75 - 79
80 - 84
85 - 89
90+
je 100.000 der Altersgruppe
Suizid
Suizide nach Alter und Geschlecht,
Deutschland, 2011
Komorbidität –
Versorgungsbedarf bei Komorbidität
Keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit
Bis zu 50% der Patienten in der somatischen Versorgung
weisen psychische Störung auf (Arolt et al. 1998)
88% - 99% aller Versicherten mit einer psychischen Störung weist
behandlungsbedürftige somatische Erkrankung auf
(Gaebel 2012, DGPPN-Studie)
Anteil der sich in Behandlung befindenden chronisch körperlich
kranken Patienten, deren psychische Störung nicht diagnostiziert
und behandelt wird: 50% bis 70% (Kapfhammer 2011)
Risiko für psychische Komorbidität bei chronisch körperlichen
Erkrankungen liegt zwischen 40% und 60%
Bei Männern evtl. höheres Risiko für komorbide Depression
Schlechtere med. Versorgung bei psychisch Kranken mit
somatischer Komorbidität
Erheblich reduzierte Lebenserwartung bei psychisch Kranken mit som.
Komorbidität (20 Jahre bei M, 15 Jahre bei F, Thornicroft 2011)
Ursachen der Unterversorgung
Gesellschaftliche Wertsysteme
geringer Stellenwert der psychischen Gesundheit, Strukturwandel der Arbeitswelt, ausgeprägte
Leistungsnormen, individuelle Autonomie
Soziale Stigmatisierung psych. Störungen
Negativere Einstellungen bei Männern, betroffene Männer stärker stigmatisiert als Frauen
Strukturelle Merkmale des Versorgungssystems
Angebote eher auf Frauen zugeschnitten, lange Wartezeiten, Genderbias in Diagnostik
Personenbezogene Merkmale der Inanspruchnahme
Selbststigmatisierung, Männlichkeitsideologien, Gesundheitskonzepte
Gute Nachricht:
Risikofaktoren sind modifizierbar!
niedrige
Bildung
arbeitsbezogene
Stressoren
niedriger
sozioökonomischer Status
Psychische
Störungen
soziale
Desintegration
Krisen infolge
Trennung/Scheidung
Handlungsbedarf
1. Gesundheitsverhalten von Männern
2. Ärztliche Diagnostik, Kommunikation und Therapie
3. Chronische Belastungen am Arbeitsplatz
4. Gewaltverhalten
5. Soziale Integration
6. Sensibilisierungs- und Entstigmatisierungskampagnen
7. Männergesundheitsforschung im Bereich
psychischer Störungen
1. Gesundheitsverhalten von Männern
Maschinenmodell von Gesundheit
gering ausgeprägte Selbstfürsorge
Inanspruchnahme med. Hilfe 2F:1M
Inanspruchnahme verhaltenspräventiver Maßnahmen
GBE Kompakt 5/2012
1. Gesundheitsverhalten von Männern
mehr Eigenverantwortung
Abbau selbstschädigender Stressverarbeitung
Förderung individueller Ressourcen
Förderung des Hilfesuchverhaltens
Vermittlung lebensphasen- und settingspezifischer
Gesundheitsinformationen (untere Sozialschichten!)
Entwicklung, Implementierung und Evaluierung
jungen- und männerspezifischer
Gesundheitsprogramme
2. Diagnostik, Kommunikation
und Therapie
Gender-Bias in ärztlicher Diagnostik
überwiegend somatische Diagnostik,
Nichtberücksichtigung männertypischer Symptomatik
bei Depression
Maskuliner Kommunikationsstil
Arzt autoritär, redet mehr, stellt geschlossene Fragen,
unterbricht häufiger, weniger einfühlsam,
kurze Gesprächsdauer – schlechtere Compliance bei M
Gesundheitsangebote auf weibliche
Bedürfnisse zugeschnitten
Präventionsmaßnahmen, Suizidprävention, Psychotherapie
2. Diagnostik, Kommunikation
und Therapie
männergerechtere Depressionsdiagnostik
männersensible Arzt-Patient-Kommunikation
Verbesserung des Zugangs für Männer
Entwicklung männerspezifischer Therapie(module)
Implementation der Genderperspektive in
Aus- und Weiterbildung von Medizinern
Männersprechstunden
Männergesundheitszentren
Männergruppen in stat. Versorgung
3. Arbeitsplatz
Männer stärker als Frauen von arbeitsplatzbezogenen Stressoren betroffen
Gratifikationskrisen, Schicht- und Mehrarbeit (Siegrist 2013)
höhere Rate an Depression
und Alkoholabhängigkeit
(Stansfeld et al. 1999, Head et al. 2004 )
Angst vor Stigmatisierung
31% glauben, dass die Kollegen wenig Verständnis dafür haben,
wenn ein Mitarbeiter wegen psychischer Probleme fehlt.
Für 56% wäre es unangenehmer, wegen psychischer Probleme
arbeitsunfähig zu sein als wegen körperlicher Probleme.
49% glauben, dass die verbreitete Angst um den Arbeitsplatz das
Auftreten von psychischen Erkrankungen begünstigt.
(DAK Gesundheitsbarometer 2005)
Präsentismus am Arbeitsplatz
häufiger aufgrund psychischer als somatischer
Erkrankungen!
3. Arbeitsplatz
Reduktion psychosozialer Belastungen
Früherkennung von psychischen Störungen
koordinierte berufliche Reintegration
Personenbezogene Interventionen (Resourcenorientiert)
Strukturelle Interventionen (Arbeitsbedingungen)
Früherkennung bei Risikogruppen
Weiterbildung der Betriebsärzte über psychische Störungen
mehr Betriebspsychologen
Erleichterung der beruflichen Rehabiliation
Arbeitgeber als Zielgruppe für Anti-StigmaInterventionen
4. Gewaltverhalten
Physische Gewalt = männliches Phänomen
nicht nur Täter, sondern auch Opfer !
meist auf Adoleszenz beschränkt
zu 90% kollektive Gewalt
Wichtigster psychosozialer Prädiktor:
Gewalterfahrungen in der Kindheit
Anteil der Männer
Mord/Totschlag:
86%
Vergewaltigung:
99%
Körperverletzung: 91%
Sachbeschädigung: 88%
Bundeskriminalamt 2008
Funktionen:
• Männlichkeit
• Macht, Kontrolle
• Gruppenkohäsion
• Grenzüberschreitung
• Lustgewinn
• Angstmanagement
Pfeiffer et al. 1998
4. Gewaltverhalten
Verhinderung der Entstehung von Gewalt
Reduktion von Gewaltverhalten
WHO:
ökologisches Modell der Gewaltprävention
Erziehung und Bildung zentral:
jungenbezogene Gewaltprävention
(Konfliktkompetenz, Selbstwirksamkeit), am besten Schule
in Kooperation mit Schulsozialarbeit
Veränderung gewaltfördernder Verhältnisse:
z.B. Reduktion familiärer Belastungen,
Langzeitarbeitslosigkeit, ethnischer Segregation
Gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Schaffung einer Kultur
des Friedens und der sozialen Verantwortung
5. Soziale Integration
Soziale Desintegration
Psychische Störungen
• strukturschwache urbane
Regionen,
• Bevölkerungsdichte,
• Merkmale des Wohnumfelds
• soziale Unsicherheit
• Depression
• Angststörungen
• psychosomatische Störungen
• antisoziale Persönlichkeitsstör.
• Gewaltverhalten
Risikogruppen
Junge Männer mit Migrantionshintergrund: kum. Gesundheitsrisiken
Alte Männer: Statusverlust, höchstes Suizidrisiko
5. Soziale Integration
Vermeidung bzw. Reduktion sozialer Desintegration
Ziel bei Behandlung und Rehabilitation psychich
Kranker
Männliche Jugendliche mit
Migrationshintergrund
Ältere Männer
Angebote zur Sucht- und Gewaltprävention (Jugendsozialarbeit)
Beschäftigungsangebote
schulische, berufliche Förderung
Ehrenämter
Integration über Sportangebote
Medien: ressourcenorientiertes
Altersbild, Aktivität gegen Depression
(„Men´s Sheds)
6. Entstigmatisierung
Basale Voraussetzung für:
• Wirksamkeit von Prävention
• adäquate Behandlungsquoten
• soziale (Re)Integration
Negativstereotyp des
psychisch Kranken
selten
gefährlich
unberechenbar
selbst verantwortlich
schwer zu behandeln
„gespaltene Persönlichkeit“
Männer haben deutlich negativere Einstellungen
zu psychischen Störungen und ihrer Behandlung
(Jorm et al. 2006, Sarkisian et al. 2003, Ng, Chang 2000; Cook, Wang 2010)
Psychich kranke Männer erfahren stärkere Diskriminierung
(Holzinger et al. 2012)
Bisherige Anti-Stigma-Kampagnen
• nicht nachhaltig erfolgreich
• keine Genderperspektive
• Medien, Gesundheitspersonal, Arbeitgeber keine Zielgruppe
6. Entstigmatisierung
Verbesserung des Wissensstandes
Abbau von Vorurteilen
Entstigmatisierung der Hilfesuche
Prävention psychischer Störungen in MännergesundheitsKampagnen stärker berücksichtigen
Kampagnen müssen multimedial konzipiert sein
Kampagnen müssen kontinuierlich durchgeführt werden
Defizitmodell von Männlichkeit …
… durch Ressourcenmodell ersetzen!
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