Zur Situation der Versorgung von psychisch auffälligen Kindern und

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Psychotherapeutenkammer Hamburg
Körperschaft des öffentlichen Rechts
Hamburgische Kammer der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und –psychotherapeuten
Zur Situation der Versorgung von
psychisch auffälligen Kindern und
Jugendlichen in Hamburg
Expertise im Auftrag der
Hamburgischen Kammer der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
sowie für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten
Dr. med., Dipl. Soz. Maria Albota
Mai 2004
Herausgeber:
Psychotherapeutenkammer Hamburg, Curschmannstraße 9, 20251 Hamburg
Tel. 040/42101234 - Fax 040/41285124
e-Mail: [email protected]
Internet: www.psychotherapeutenkammer-hamburg.de
© by Psychotherapeutenkammer Hamburg; Mai 2004
ISBN 3-00-014053-0
Nachdruck - auch Auszugsweise - nur mit Genehmigung des Herausgebers
Inhalt
Zusammenfassende Bewertung und politische Forderungen
Teil 1
Exkurs zum Thema
Problembeschreibung
Bevölkerungsstatistik
Prävalenz psychischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen
Versorgungsangebote in Hamburg
•
Psychotherapeuten/innen
•
Ambulante GKV-finanzierte Versorgung
•
Weitere GKV-finanzierte Versorgungsangebote
•
Steuerfinanzierte Angebote für Kinder und Jugendliche
•
Komplementäre Angebote in freier Trägerschaft
Bedarfsplanung
•
Bestehende Bedarfsplanungsvorgaben
•
Indikatoren einer bedarfsgerechten Versorgungsplanung
•
Einflussgröße komplementärer Beratungsstellen und Hilfsangebote
Abschließende Betrachtung
Literaturrecherche
Teil 2
Problemstellung des zweiten Teiles
Vorgehen
•
Falldefinition
•
Ambulante, psychotherapeutische Angebote
•
Komplementäre Angebote
•
Probleme der Datenbewertung
Ergebnisse
•
Psychotherapeutische
Abrechnungssystem
und
psychiatrische
Leistungen
im
KV-
•
Betreuungsumfang der Komplementären Angebote
•
Psychotherapeutische und psychiatrische Versorgungsdichte in Hamburg
Abschließende Überlegungen
Schlussfolgerungen
Teil 3
Anhang – Materialsammlung
Anhang zu Teil 1
A. Auszug: The Gobal burden of Disease - WHO-Bericht 2001
B. Bevölkerungsstatistik Hamburg
C. Liste psychologischer und ärztlicher Psychotherapeuten/innen
D. Auszug: Therapieführer, Psychiatrie und Psychotherapie, Diagnostische, therapeutische und rehabilitative Angebote in Hamburg 9.
überarbeitet Fassung 2002 (S. 89-112, 121-126), BUG
E. Heilpädagogische/ Frühförderstellen und sozialpädiatrische Zentren
F. Auszug: Gesundheitsmodernisierungsgesetz, Stand 8.9.2003
G. Auszug: Bedarfsrichtlinien- Ärzte
H. Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie
I.
Fragebogen zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung
der Kinder und Jugendlichen©, Zepf 2001
Anhang zu Teil 2
J. Einbezogene komplementären Einrichtungen
K. Sonderauswertung KV-Hamburg 2002
L. Auszug aus dem Krankenhausbericht für Hamburg 2002
2
Zusammenfassende Bewertung und politische Forderungen
Die folgende Expertise wurde von der Psychotherapeutenkammer Hamburg
zur Darstellung der ambulanten Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten und Erkrankungen in Hamburg in
Auftrag gegeben. Dabei sollten sowohl der Bereich der kassenärztlichen und
kassenpsychotherapeutischen Versorgung als auch der komplementäre Bereich - mit Beratungsstellen und sonstigen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten – berücksichtigt werden.
Zuerst erfolgte eine Schätzung der Anzahl (Prävalenz) psychisch auffälliger
Kinder und Jugendlicher in Hamburg (weite Falldefinition: Gruppe B) bzw. der
Anzahl von Kindern und Jugendlichen, die unter einer behandlungsbedürftigen
Störung (enge Falldefinition: Gruppe A) leiden. Diese Prävalenzschätzungen
erfolgten auf der Grundlage von Ergebnissen aus zuverlässigen wissenschaftlichen Studien aus anderen deutschen Ballungsgebieten und Regionen. Danach leiden 8%, das sind in Hamburg 22.000 Kinder und Jugendliche unter
einer psychischen Erkrankung (hierzu zählen u.a. dissoziale Verhaltensstörungen, Essstörungen, psychosomatische Störungen, Depressionen), die einer psychotherapeutischen und/oder psychiatrischen Behandlung dringend
bedürfen (Falldefinition: Gruppe A). Bei Anwendung der weiten Falldefinition
(Gruppe B) machen die psychischen Auffälligkeiten bei insgesamt 50.000 Kinder zwar nicht in jedem Fall eine psychotherapeutische Behandlung zumindest aber eine diagnostische Abklärung der Beschwerden und Symptome
durch einen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten oder einen Kinderund Jugendlichenpsychiater erforderlich.
In zweiten Schritt wurde die ambulante psychotherapeutische Versorgungsstruktur in Hamburg dargestellt. Insgesamt sind in Hamburg 88 Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten/innen und psychologische Psychotherapeuten/innen sowie 25 ärztliche Psychotherapeuten (23 Kinder- und Jugendpsychiater und 2 psychotherapeutisch qualifizierte Kinderärztinnen) für die Behandlung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher zu Lasten der Gesetzli-
3
chen Krankenkassen zugelassen. Mit einer Anzahl von 41 Therapeuten/innen
pro 100 000 Kinder und Jugendliche liegt die Versorgungsdichte deutlich unter
derjenigen im Erwachsenenbereich. Hinzu kommen zahlreiche staatliche und
private Beratungseinrichtungen des komplementären Bereichs. Die regionale
Verteilung der Versorgungsangebote in den Bezirken weist bedeutsame Unterschiede auf. Während die psychotherapeutische Versorgung in den innerstädtischen Bezirken wie Eimsbüttel und HH-Nord mit über 80 Leistungserbringern pro 100 Tsd. Kinder und Jugendliche weit gehend gesichert ist, ist sowohl im Gesamtgebiet Hamburgs, vor allem aber im Bezirk Wandsbek und in
den südlichen Bezirken Harburg und Bergedorf eine erhebliche Unterversorgung zu verzeichnen. Diese wird auch durch die Versorgungsangebote im
komplementären Bereich nicht kompensiert, welche ebenfalls vor allem in den
bereits gut versorgten Bezirken angesiedelt sind.
Im dritten Schritt wurde die Zahl derjenigen Kinder und Jugendlichen geschätzt, die sich im Jahr 2002 in psychotherapeutischer oder psychiatrischer
Behandlung befunden hatten oder in einer komplementären Einrichtung betreut wurden und der Prävalenz aus dem ersten Schritt gegenüber gestellt.
Aufgrund der KV-Daten ergab die Schätzung 12 000 Kinder und Jugendliche,
bei denen 2002 eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung
(Falldefinition: Gruppe A) abgerechnet wurde. Damit werden 10 000 Kindern
und Jugendliche, also etwas weniger als die Hälfte der wegen einer psychischen Erkrankung behandlungsbedürftigen Kinder und Jugendlichen, in Hamburg überhaupt nicht oder nicht angemessen behandelt. Dabei beteiligen sich
sogar Arztgruppen und Psychotherapeuten aus dem Erwachsenenbereich in
einem gewissen Umfang an der Versorgung von Kindern und Jugendlichen,
was als ein weiterer Hinweis auf die zu geringe Zahl von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gewertet werden kann. Der überwiegende Teil der
behandelten Kinder und Jugendlichen wird von Kinder- und Jugendpsychiatern behandelt, die ihre Patienten – wie die Statistiken zeigen - allerdings nur
einmal pro Quartal sehen. Das ist für die Behandlung psychischer Erkrankungen in den meisten Fällen zu selten. Und nur 21 % dieser überhaupt behandelten Kindern und Jugendlichen befinden sich in psychotherapeutischer Behandlung, viel zu viele Kinder erhalten trotz anders lautender Indikation lediglich Psychopharmaka oder z.B. nur eine Beschäftigungstherapie. Zu der generellen Unterversorgung kommt also auch noch eine Fehlversorgung hinzu.
4
Betrachtet man nun alle Kinder und Jugendlichen zusammen - die Kinder und
Jugendlichen, die sich 2002 im ambulanten KV-System in psychiatrischer oder
psychotherapeutischer Behandlung befanden, sowie die Kinder und Jugendlichen, die in komplementären Einrichtungen wegen einer abklärungsbedürftigen, psychischen Auffälligkeit betreut wurden – ergibt sich eine Fallzahlschätzung von rund 25 000 Kindern und Jugendlichen in Hamburg, die wegen psychischer Auffälligkeiten/Störungen in irgendeiner Form betreut oder behandelt
wurden. Bei dieser Zahl ist zu berücksichtigen, dass es zwischen dem ambulanten kassenärztlichen Versorgungssystem und den komplementären Einrichtungen erhebliche Überschneidungen dadurch gibt, dass dieselben Patienten zuerst in dem einen und anschließend im anderen Versorgungsbereich
erscheinen. Die Fallzahl von 25 000stelltsomit eine Überschätzung der betreuten Kinder und Jugendlichen dar. Verwendet man die weite Falldefinition
(Fallgruppe B), so werden von den 50 000 Kindern und Jugendlichen Hamburgs, deren psychische Auffälligkeiten zumindest diagnostisch abgeklärt und
in vielen Fällen auch behandelt werden müssten, also nur die Hälfte in den
komplementären Einrichtungen mit unterschiedlichen Unterstützungsmaßnahmen betreut oder im Kassensystem ärztlich oder psychotherapeutisch versorgt, die andere Hälfte, 25 000 Kinder und Jugendliche, werden weder betreut und schon gar nicht angemessen behandelt.
Somit zeigt sich auch bei der weiten Falldefinition, bei der 18 % der Kinder
und Jugendlichen eine abklärungsbedürftige psychische Auffälligkeit oder eine
behandlungsbedürftigen Störung aufweisen, eine 50 %ige Unterversorgung.
Fazit: Die Expertise der Psychotherapeutenkammer zeigt eindrucksvoll, was
Experten schon lange wissen:
−
Die psychotherapeutische Versorgung der rund 50 000 psychisch auffälligen Kinder und Jugendlichen in Hamburg ist unzureichend. Nur die
Hälfte dieser Kinder und Jugendlichen erhält eine professionelle Unterstützung und nur ein Fünftel erhält die psychotherapeutische Behandlung, die notwendig wäre.
5
−
Obwohl die Kassenärztliche Vereinigung sich auf die Behauptung einer
formalen Bedarfsdeckung zurückzieht, zeigt die Studie anhand von
wissenschaftlich anerkannten Prävalenzzahlen, dass die psychotherapeutische Versorgung in Hamburg, insbesondere in den kinderreichen
Stadtteilen Harburg, Bergedorf und Wandsbek nicht gesichert ist. Als
Folge sind die Wartezeiten zu lang und die Behandlungen richten sich
zumeist nicht nach dem Bedarf, sondern nach dem unzureichenden
Angebot.
−
Neben dieser Unterversorgung gibt es eine gravierende Fehlversorgung: Viele psychisch kranke Kinder- und Jugendliche werden wegen
des Versorgungsnotstandes allenfalls diagnostisch eingeschätzt, erhalten aber keine psychotherapeutische Behandlung. Sie werden dann
mit Psychopharmaka behandelt oder allenfalls von Heilpädagogen,
Bewegungs- oder Beschäftigungstherapeuten betreut.
−
Diese mangelhafte Versorgung bedeutet nicht nur großes Leid für die
direkt betroffenen Kinder und Jugendlichen. Die Hamburger Psychotherapeuten weisen insbesondere auf die erhöhten Risiken von Geschwistern von psychisch kranken Kindern hin. Die hohen Belastungen
für die betroffenen Familien sowie für Kindergärten und Schulen könnten bei einer bedarfsgerechten Versorgung vermieden werden.
−
Nicht zuletzt werden durch dieses Versorgungsdefizit erhebliche zusätzliche gesellschaftliche Kosten vor allem im Gesundheits- und Sozialsystems verursacht.
6
Die Psychotherapeutenkammer fordert die Hamburger Gesundheitspolitiker, die Krankenkassen, die Kassenärztliche Vereinigung sowie alle
Behandlergruppen auf, hier unbürokratisch Abhilfe zu schaffen. Sowohl
die Quantität, als die Qualität und nicht zuletzt die regionale Verteilung
der psychotherapeutischen Angebote in Hamburg müssen entscheidend
verbessert werden.
A. Die Psychotherapeutenkammer fordert den quantitativen Ausbau des
psychotherapeutischen Angebots.
1. Die Kassenärztlichen Vereinigung und die Krankenkassen werden
aufgefordert, weiteren Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen
eine Kassenzulassung zu erteilen. Nach den Ergebnissen der Expertise geht die Kammer bei vorsichtiger Schätzung von einem zusätzlichen Bedarf von 25 niedergelassenen Behandlern aus.
2. Die GesundheitspolitikerInnen werden aufgefordert, bestehende Behandlungsangebote im komplementären Bereich – z.B. Beratungsstellen und Jugendhilfeeinrichtungen - nicht zu streichen, sondern auszubauen.
3. Mit der geplanten Novellierung des SGB VIII sind große Einschränkungen für die psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu befürchten. So sollen etwa Beratungsangebote kostenpflichtig
werden. Die Psychotherapeutenkammer fordert die PolitikerInnen auf,
die entsprechenden Planungen zu korrigieren.
4. Nicht zuletzt sind alle betroffenen Behandlergruppen aufgefordert, ihre
psychotherapeutischen Angebote zu überprüfen und durch Klärung ihrer Arbeitsmodelle in einem notwendigen Maß an den Bedarf anzupassen. Auch sind die Zulassungsgremien gefordert, die strukturellen
Voraussetzungen zu schaffen.
B. Die Psychotherapeutenkammer fordert die Verbesserung der Qualität
der Versorgung.
5. In staatlich geförderten Beratungsstellen und Einrichtungen der Jugendhilfe wird ungeachtet des tatsächlichen Bedarfs häufig nur Diagnostik und Krisenintervention durchgeführt. Die Psychotherapeutenkammer fordert die Politik auf, sich hier für unbürokratische Lösungen
einzusetzen, die es approbierten PsychotherapeutInnen ermöglichen,
psychotherapeutische Kurzbehandlungen auch in staatlich geförderten
Beratungseinrichtungen anzubieten.
7
6. Psychisch kranke Kinder benötigen oftmals spezielle psychotherapeutische Behandlungen, die sich auch über längere Zeiträume erstrecken können. Die Kammer fordert die Kassen und die
KV auf, die entsprechenden sozialrechtlichen Voraussetzungen
zu schaffen.
7. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz ermöglicht neue Kooperationsmodelle, z.B. multidisziplinäre Teams und integrierte
Versorgungsmodelle z.B. zwischen stationären und ambulanten
Bereich. Die Psychotherapeutenkammer fordert die Krankenkassen auf, für die Versorgung psychisch kranker Kinder- und
Jugendlicher mit den verschiedenen Behandlergruppen funktionale Modelle zu entwickeln und zu realisieren.
C. Die Psychotherapeutenkammer fordert die Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung in den kinderreichen Bezirken
8. Die GesundheitspolitikerInnen werden aufgefordert, die Eröffnung der
geplanten kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz in Harburg zu
beschleunigen und die Möglichkeiten für eine entsprechende Einrichtung in Bergedorf zu prüfen.
9. Die Organe der Kassenärztlichen Vereinigung werden aufgefordert, die
Sicherstellung der psychotherapeutischen Versorgung insbesondere in
den kinderreichen Bezirken Harburg, Bergedorf und Wandsbek sicherzustellen.
10. Die GesundheitspolitikerInnen werden aufgefordert, in den schlecht
versorgten Bezirken gezielt komplementäre Behandlungsangebote
einzurichten.
Mai 2004
Für den Vorstand der Psychotherapeutenkammer Hamburg
Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident
Dipl.-Päd Petra Rupp, Vizepräsidentin
8
Zur Situation der Versorgung von
psychisch auffälligen Kindern und
Jugendlichen in Hamburg
Teil 1:
Einschätzende Übersicht
Expertise im Auftrag der
Hamburgischen Kammer der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
Dr. med., Dipl. Soz. Maria Albota
Mai 2003
9
Exkurs zum Thema
The Gobal burden of Disease - WHO-Bericht 20011
Introduction
The next two decades will see dramatic changes in the health needs of the
world's populations. In the developing regions where four-fifths of the planet's
people live, noncommunicable diseases such as depression and heart disease are fast replacing the traditional enemies, such as infectious diseases
and malnutrition, as the leading causes of disability and premature death. By
the year 2020, noncommunicable diseases are expected to account for seven
out of every ten deaths in the developing regions, compared with less than
half today. Injuries, both unintentional and intentional, are also growing in importance, and by 2020 could rival infectious diseases worldwide as a source of
ill health.
A Timely Assessment of Global Health Needs
Far from confirming what was already known, the study offers significant surprises. Overall, it shows that the epidemiological transition is already well advanced, suggesting that public health policy, with its traditional emphasis on
infectious disease, has not kept pace with events. In addition, it makes a number of startling individual observations. Just four examples are highlighted
here:
The burdens of mental illnesses, such as depression, alcohol dependence and schizophrenia, have been seriously underestimated by traditional approaches that take account only of deaths and not disability.
While psychiatric conditions are responsible for little more than one per
cent of deaths, they account for almost 11 per cent of disease burden
worldwide…. (Anhang Teil 1)
1
The Gobal burden of Disease - WHO-Bericht 2001 von Murray CJL, Lopez AD, eds.
www.who.int/msa/mnh/ems/dalys/intro.htm
10
Problembeschreibung
In der aktuellen Diskussion über das Gesundheitswesen ist die Objektivierbarkeit von Versorgungsbedarfen einzelner Fachgebiete eine zentrale Frage.
Angesichts der demografischen Veränderungen, einer zunehmenden Vielfalt
von Behandlungsmethoden bei eingeschränkten Finanzressourcen und bestehender Konkurrenz der Leistungserbringern gilt es letztendlich, Über-, Unter- und Fehlversorgung von Patienten/innen zu vermeiden.
Diese Fragestellungen betreffen auch die Versorgungslage von Kindern und
Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen. In der Praxis wird schon seit
den 90er Jahren eine Zunahme oder zumindest eine Unterschätzung der Prävalenz abklärungs- und behandlungsbedürftiger, psychischer Auffälligkeiten
und Störungen beschrieben. Parallel dazu werden auch in anderen sozialen
Bereichen, z.B. in Schulen, eine Zunahme von Disziplin- und Aufmerksamkeitsproblemen sowie Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen
beobachtet. In Hamburg kommen weitere für eine Großstadt typische sozialstrukturelle Problemfelder in Form einer ausgeprägten Drogenszene, größerer
sozialer Unterschiede in der Bevölkerung und eines hohen Ausländeranteils
dazu.
Die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen erfolgt
im dreigliedrigen deutschen Gesundheitssystem. Der Behandlungsschwerpunkt liegt bei den ambulanten und stationären Diagnose- und Behandlungsangeboten der kinder- und jugendpsychiatrischen stationären Fachabteilungen und den niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/
innen, den psychologischen Psychotherapeuten/innen sowie den Ärzten und
Ärztinnen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Ergänzt
werden diese Angebote in Hinblick auf Beratung, Diagnostik und Wohnortbezug durch den öffentlichen Gesundheitsdienst.
Die Jugendhilfe und der Schulbereich sind weitere wichtige Anbieter von Beratungs- und Hilfsangeboten bei psychosozialen Auffälligkeiten und Problemstellungen von Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern. Darüber hinaus gibt
es noch den großen Bereich der komplementären Beratungsstellen und ergänzenden Hilfsangebote von Freien Trägern, Kirchen, Selbsthilfe und zu-
11
nehmend auch einen Bereich der „kommerziellen“ Hilfs- und Therapieangebote, die nicht durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) finanziert werden.
Die ambulante GKV- finanzierte Versorgung von psychisch kranken Kindern
und Jugendlichen übernehmen zwei Leistungserbringergruppen. Dies sind
zum einen die approbierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/ innen2 und zum anderen die Fachärzte/innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und -psychotherapie sowie in begrenztem Ausmaß auch die Kinderärzte/innen. Sie erbringen ihre Leistungen in niedergelassenen Praxen oder im
Rahmen von sozialpädiatrischen Zentren oder Ambulanzen, die an Krankenhäusern oder Ausbildungsstätten angegliedert sind.
Die Zulassung der niedergelassenen Psychotherapeuten/innen und die damit
verbundene Abrechnungsmöglichkeit psychotherapeutischer Leistungen im
Rahmen der GKV regeln die regionalen kassenärztlichen Vereinigungen (KV)
bzw. die jeweiligen Zulassungsausschüsse (vgl. SGB V § 96). Diese richten
sich bei ihrer Bedarfsplanung nach den Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte3, in
denen nach einer definierten Raumgliederung des Bundesgebiets die Einwohner/Arzt-Relation für die einzelnen Arztgruppen festgelegt ist (vgl. SBG V
§§ 92-105). Mit dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes 1999 unterliegt auch die Zulassung der psychologischen Psychotherapeuten/innen diesen gesetzlichen Vorgaben. Dabei wird die Gruppe der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen bedarfsplanungstechnisch in die Gruppe der
psychologischen Psychotherapeuten/innen integriert und bildet keine eigene
Fachgruppe.
Kritikpunkte an einer so durchgeführten Bedarfsplanung kommen gleichermaßen von Experten/innen wie von Praktikern (Löcherbach et al. 2000, Zepf et
al. 2003). Dabei steht im Vordergrund, dass weder epidemiologische Angaben
zur Morbidität und Komorbidität, Prävalenz, Inzidenz, Erkrankungsdauer oder
zum Chronifizierungsrisiko von psychischen Erkrankungen bei Kindern und
2
3
Psychologen/innen, Pädagogen/innen, Sozial-Pädogogen/innen
Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Bedarfsplanung
sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte)* in der Fassung vom 9. März
1993, (BAnz. Nr. 110a vom 18. Juni 1993), zuletzt geändert am 17. April 2002, veröffentlicht
im Bundesanzeiger Nr. 118 (S. 14538) vom 29. Juni 2002 in Kraft getreten am 1. Juli 2002
12
Jugendlichen noch zur realen Inanspruchnahmeraten, zu den Arbeitszeitmodelle der Therapeuten/innen usw. in die Planung mit einfließen.
Diese Kritik an der Bedarfsplanung im ambulanten Bereich wird auch in Hamburg in bezug auf die psychotherapeutische Versorgungslage von Kindern und
Jugendlichen berichtet4. Daraus leitet sich die Fragestellung der hier vorliegenden Übersicht im Auftrag der Hamburger Psychotherapeutenkammer ab:
Welche Indikatoren werden derzeit für die Bedarfsplanung im kinder- und
jugendlichenpsychotherapeutischen Bereich herangezogen? Sind diese valide und epidemiologisch belastbar? Falls nicht, wie könnte ein Bedarfsplanung mit dem Ziel einer objektivierbaren Versorgungsplanung durchgeführt
werden, um eine ausreichende und qualitätsgesicherte psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten und Störungen zu gewährleisten?
4
Umfrage des beratenden Fachausschuss für Psychotherapie der KK-HH, Frühjahr 2002
13
Bevölkerungsstatistik Hamburg
Im Stadtgebiet Hamburg leben 1 728 806 Einwohner5. Davon sind 16 % d.h.
277 168 Einwohner jünger als 19 Jahre (Bundesgebiet 18,5 %). Das Geschlechterverhältnis liegt bei 51 % Jungen zu 49 % Mädchen in dieser Altersgruppe. 255 119 Einwohner sind Ausländer, d.h. 15 % der Gesamtbevölkerung (Bundesgebiet 9,7 %). Bei den unter 18 Jährigen liegt ihr Anteil bei 17,5
%. Dies sind 48 205 nicht-deutsche Kinder und Jugendliche in Hamburg (Jungen-/Mädchenverhältnis 52/48 % ). Zum Vergleich liegt dieser Anteil im Bundesgebiet bei 9,8 %. Bei 1 712413 Einwohner kann ein Wohnbezug zu einem
HH-Stadtteil hergestellt werden, bei den unter 19 Jährigen trifft dies bei 274
9026 Kindern und Jugendlichen zu (Anhang B).
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen betreuen auch ältere Heranwachsende. Setzt man hier die Grenze bei unter 21 Jahre, würde ein gewisser unbekannter Anteil der 32 0097 HH-Jungerwachsenen in der Altersgruppe der 18-20 Jährigen noch als potentielle Klientel von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen hinzukommen.
Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die geschätzte Bevölkerungsentwicklung für Hamburg bis zum Jahr 20108. Bis 2010 sinkt danach der
Anteil der Jugendlichen bis 15 Jahre in Hamburg. Dies überrascht nicht, da
sich auch in Hamburg als Großstadt der allerorts diskutierte Trend der Überalterung unserer Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten abzeichnet. Ob sich
diese Entwicklung beschleunigt oder verringert, bleibt abzuwarten. Sie ist jedoch für eine mittelfristige Bedarfsplanung im Kinder- und Jugendbereich mit
zu berücksichtigen.
5
Quelle: Statistische Berichte - Statistisches Landesamt Hamburg, Stand 31.12.2002
www.hamburg.de/fhh/behoerden/behoerde_fuer_inneres/statistisches_landesamt/Info/
publc.htm
6
ohne Kinder aus Neuwerk und Schiffsbevölkerung
7
Ein regionaler Bezug kann anhand der vorliegenden Statistiken nur für die Gruppe der 18-20
Jährigen erfolgen.
8
Kleinräumige Bevölkerungsvorausschätzung für Hamburg,
Statistisches Landesamt Hamburg, Stand 2001
www.hamburg.de/fhh/behoerden/behoerde_fuer_inneres/statistisches_landesamt/Info/
publc.htm
14
Tab.1: Geschätzte Bevölkerungsentwicklung in Hamburg
Hamburg ist in 7 Bezirke und kleinräumig in 104 Stadtteile aufgegliedert. Die
Wohnbevölkerung in den Bezirken und damit auch der Anteil der unter 18 Jährigen ist unterschiedlich verteilt. Zum Beispiel hat der Bezirk Wandsbek 407
604 Einwohner während in HH-Mitte nur 226 574 Einwohner leben. Von der
Altersstruktur sind die innerstädtischen Gebiete älter als die Randgebiete.
Dies liegt nahe, weil junge Familien aufgrund der Wohnungssituation hier eher
geeigneten Wohnraum finden. Kinderreiche Stadtteile, in denen prozentual9
und absolut10 viele Kinder leben, sind im Süden Hausbruch, NeugrabenFischbek, Wilhelmsburg, im Osten Horn, Billstedt, Jenfeld, Farmsen-Berne
und Rahlstedt, im Nordwesten Lurup, Osdorf, Schnelsen und im Südosten
Bergedorf und Allermöhe (Anhang B). Ohne dies im einzelnen hier vertiefen
zu wollen, weisen diese Stadtteile zum Teil auch sozial schwierige Strukturen
9
Über dem Stadtdurchschnitt von 16%
Mehr als 4000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre
10
15
auf, die im Zusammenhang mit einer Bedarfsplanung im kinder- und jugendlichenpsychotherapeutischen Bereich zu berücksichtigen sind11.
Grafik 1: Kinder und Jugendliche in HH-Stadtteilen
11
Stadtdiagnose 2 – Zweiter Gesundheitsbericht für Hamburg, Hrsg. Behörde für Arbeit,
Gesundheit und Soziales, 2001
16
Prävalenz psychischer Auffälligkeiten
bei Kindern und Jugendlichen
Bei der Beurteilung einer „Gesamt“prävalenz psychischer Auffälligkeiten und
Störungen bei Kindern und Jugendlichen besteht grundsätzlich die Problematik, dass unterschiedliche Störungsbilder auch unterschiedliche Prävalenzen
auch im Hinblick auf die Geschlechterverteilung aufweisen. In der hier durchgeführten Literaturrecherche schwanken die Angaben zur Prävalenz zwischen
2-22 %. Die Auswertung der einzelnen Studien zeigt, dass alters-, geschlechts- und wohnortabhängige, soziodemografische und krankheitsbezogene Unterschiede sowie die einzelnen unterschiedlichen Studiendesigns bei
Aussagen zur Prävalenz mit zu berücksichtigen sind. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die einzelnen hier einbezogenen Veröffentlichungen.
Fasst man die Ergebnisse der Studien und die Einschätzungen der Autoren
zusammen, kann von einer „Gesamt“prävalenz abklärungs- und behandlungsbedürftiger, psychischer Auffälligkeiten und Störungen bei Kindern und
Jugendlichen von 15-20 % ausgegangen werden.
Tab.2:
Studienüberblick zur Prävalenz psychischer Auffälligkeiten
im Kindes- und Jugendalter
Autor
Remschmidt,
Walter
Poustka,
Schmeck
Pannhuysen,
Lehmkuhl
Lehmkuhl,
Döpfner,
Plück, Berner
et al.
Ziegert,
Neuss, HerpertzDahlmann,
Kruse
Wittchen
Esser, Ihle,
Alter der untersuchten Kinder
6-17 Jährige
< 19 Jahre
< 19 Jahre
4 – 10 Jährige
Elternbefragung
Vergleich von 3
unterschiedlichen
Modellansätzen
zur Pävalenzeinschätzung
11-18 Jährige in
der allgemeinärztlichen Praxis,
Screeninguntersuchung
14-24
prospektivelongitudinale Studie
Ausgangsstich-
Auffälligkeiten
Behandlungsbedürftige
Auffälligkeiten
Psychische Auffälligkeiten
Psychische Auffälligkeiten
bei nicht - psychiatrischen
Ärzten/ Institutionen
Beratungs- oder Behandlungsbedürftige Auffälligkeiten
Übereinstimmung bei den
drei Modellen in bezug auf
Auffälligkeiten in der Altersgruppe
Prävalenz
in %
12,7
Jahr der Veröffentlichung
1990
22,3
1990
18-20
1997
13,1
1998
8,5
Psychische Auffälligkeiten
15-16
1999
Psychische Störungen
17,5
1994-199
•
2-10
2000
Chronisch psychisch
17
Schmidt,
Blanz
probe 8 Jährige
Verlaufsbeobachtung bis zum Alter
von 25 Jahren
Ihle, Esser
< 19 Jahre
Costello,
Mustillo, Erkanli, Keeler,
Angold
USA 9-13 Jährige • Durchschnittliche
VerlaufsbeobachPrävalenz
tung bis zum Alter • Diagnose unabhängige
von 16 Jahren
Stabilität psychischer
DSM-IV KlassifikaStörungen im Verlauf
tion
der Untersuchung
USA 4-18 Jährige Signifikante entwicklungs-,
emotionale oder verhaltensbezogene Probleme
< 19 Jahre
• Dringend behandlungsbedürftig Auffälligkeiten
• Diagnostische Maßnahmen und Beratung
angezeigt
4-10 Jährige ElKlinisch auffällige Kinder
ternfragebogen
• Nach Fallkriterien
11-18 Jährige
Remschmidt & Walter
Eltern- und Kin• Nach Fallkriterien Aderfragebögen
chenbach
• nach Fallkriterien Döpfner
Kazdin
Remschmidt,
Mattejat
Barkmann
krank
Diagnose unabhängige
Stabilität psychischer
Störungen im Verlauf
der Untersuchung
Studienvergleich
•
≈ 50
Mittlere
Prävalenzrate 18
2002
13,3
2003
≈ 36
17-22
2003
5
2003
10-13
2003
12,2
10
18
Neben der Prävalenz psychischer Auffälligkeiten ist auch die Inanspruchnahme der vorhandenen psychotherapeutischen Angebote durch die Kinder und
Jugendlichen ein wichtiger Indikator für eine bedarfsgerechte Versorgungsplanung. Remschmidt und Walter beschreiben in ihrer Studie von 1990, dass
von den 13 % der untersuchten Schulkinder, die einer Beratung oder Behandlung wegen einer psychischen Auffälligkeit bedurften, nur 3,3 % tatsächlich in
Behandlung waren. Pohl geht in seiner BDP-Stellungnahme (2002) von einer
Inanspruchnahmerate von 1,6 % aus. Lehmkuhl et al. (1997) zeigen ebenfalls
eine deutliche Diskrepanz bei Eltern zwischen der Wahrnehmung von Auffälligkeiten bei ihren Kindern und der Inanspruchnahme von Hilfsangeboten. Nur
22 % der Eltern, die ihre Kinder als auffällig einstuften, hatten eine Beratung
oder eine Behandlung ihres Kindes wegen dieser Probleme in den letzten
sechs Monaten in Anspruch genommen. Wittchen (2002) und Barkmann
(2003) gehen von einer Inanspruchnahmerate von ca. 20% bei klinisch auffälligen Kinder und Jugendlichen aus, während Löcherbach et al. (2000) eine
allgemeine Inanspruchnahmerate von Psychotherapieangeboten von 35 %
18
beschreibt, wobei hier keine Unterscheidung zwischen Erwachsenen- und
Kinder- und Jugendlichenbereich gemacht wird.
Geht man von einer weiter gefassten Prävalenzeinschätzung (ca. 18%) aus,
die Kinder und Jugendliche berücksichtigt, die abklärungsbedürftige psychische Auffälligkeit zeigen, hieße dies, dass in Hamburg ungefähr 50 000 Kinder
und Jugendliche unter 19 Jahren einer Beratung, Diagnose oder Behandlung
wegen einer psychischen Auffälligkeit bedürfen. In der Literatur wird davon
ausgegangen, dass die Hälfte dieser Kinder und Jugendlichen (ca. 8%) aktuell behandlungsbedürftig sind (Costello et al. 2003, Remschmidt et al. 1990,
Wittchen 2002, Barkmann 2003). Das wären auf Hamburg bezogen ca. 22
000 Kinder und Jugendliche. Unter Berücksichtigung einer Inanspruchnahme
von 3 % wären von den 49 000 Kinder 1500 tatsächlich in einer Beratung
oder Behandlung; bei einer 20 % Inanspruchnahmerate wären dies ca. 10 000
Kinder und Jugendliche.
19
Versorgungsangebote in Hamburg
Ambulante GKV-finanzierte Versorgung
Niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen, Kinderund Jugendpsychiater/innen
Zur Darstellung des ambulanten, psychotherapeutischen Versorgungsangebotes in Hamburg wurden in der vorliegenden Übersicht drei Quellen ausgewertet:
• Aktuelles KV-HH-Internetberatungsangebot für Bürger (Stand 2003)
• Therapieführer Psychiatrie und Psychotherapie (BUG, Stand 2002)
• Handbuch für das Gesundheitswesen Hamburg 2002
Im KV-Internetangebot werden 43 psychologische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen und 15 ärztliche Kinder- und Jugendpsychotherapeuten/innen und Psychiater/innen aufgeführt. Im Therapieführer sind hingegen 75 psychologische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen mit
KV-Zulassung aufgelistet. Diese Zahl und die Angaben zu den einzelnen Personen differieren wiederum mit der Auflistung im Gesundheitshandbuch. Dies
zeigt eine banale aber doch bedenkenswerte Problematik auch in Hinblick auf
eine
Bedarforientierung,
dass
z.Zt.
keine
aktuellen
Listen
der
KV-
zugelassenen psychologischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/
innen öffentlich zugänglich sind.
Gleicht man die Angaben der drei Quellen für die jeweilige Berufsgruppe ab,
haben 84 psychologische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen
danach eine reguläre KV-Zulassung oder eine Sonderbedarfszulassung und
23 Kinder- und Jugendpsychiater/innen, von denen 10 zusätzlich den Zusatztitel Psychotherapie führen . 2 Kinderärztinnen führen diesen ebenfalls.
Da die Angaben in den drei Quellen zum Teil zu denselben Personen differieren, sind folgende Angaben nur eingeschränkt zu bewerten. 34 psychologische Psychotherapeuten/innen sind auch im Kinder- und Jugendbereich abrechnungsberechtigt oder haben dafür eine KV-Zulassung. Obwohl sie in den
Quellen unter Kinder und Jugendlichenpsychotherapeut/in geführt werden, ist
ihr therapeutischer Schwerpunkt anhand der Angaben nicht eindeutig festlegbar. 23 weisen eine gemeinsame Adresse auf, so dass davon auszugehen ist,
20
dass es sich hier um Gemeinschaftspraxen oder Praxengemeinschaften handelt. 3 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/ innen haben eine gemeinsame Adresse mit Kinder- und Jugendpsychiater/innen (Anhang C).
Die regionale Verteilung der psychologischen wie ärztlichen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen mit KV-Zulassung stellt Grafik 2 für die 7
HH-Bezirke dar. Wegen der Übersichtlichkeit ist auf eine kleinräumigere Darstellung verzichtet worden. Eine Stadteilbezogene Auflistung der psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten/innen befindet sich im Anhang C.
Grafik 2: Regionale Verteilung des psychotherapeutischen/psychiatrischen
Angebotes für Kinder und Jugendliche
Verteilung der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen und Kinder- u.
Jugendpsychiater/innen in HH-Bezirken
Bevölkerung unter 19 J.:
39 652 abs.
16 % der Bevölkerung
241 179 abs.
Bevölkerung unter 19 J.:
33 611 abs.
12 % der Bevölkerung
276 288 abs.
Bevölkerung unter 19 J.:
69417 abs.
17 % der Bevölkerung
407 604 abs.
Bevölkerung unter 19 J.:
34 418 abs.
14 % der Bevölkerung
243 599 abs.
Ambulanz/stationäre Angebote
Wandsbek
Eimsbüttel
Kinder-u. Jugend. Psychotherapie m.
GKV Abrechnungsmög. (84)
Kinder- u. Jugendpsychiatrie
u.- psychotherapie (10)
Nord
Kinder- u. Jugendpsychiatrie (13)
Kinderheilkunde u.
Psychotherapie (2)
Altona
Bevölkerung unter 19 J.:
35 927 abs.
16 % der Bevölkerung
226 574 abs.
Mitte
Bevölkerung unter 19 J.:
38 278 abs.
19 % der Bevölkerung
198 924 abs.
Bevölkerung unter 19 J.:
23 599 abs.
20 % der Bevölkerung
116 904 abs.
Harburg
Bergedorf
Quellen:
Bevölkerungsstatistik 31.12.2002
Statistisches Landesamt Hamburg
Internet KV-Hamburg Stand 2003,
BUG-Therapieführer 2002,
Handbuch d. Gesundheitswesen HH 2002
21
Es zeigt sich eine Konzentrierung des Versorgungsangebotes in den Bezirken
HH-Nord und Eimsbüttel. Die kleinräumige Betrachtung auf Stadtteilebene im
Vergleich zum Anteil der < 19 Jährigen pro Stadtteil zeigt, dass die ambulanten Psychotherapieangebote schwerpunktmäßig in innerstädtischen, nördlich
der Alster gelegenen Stadtteilen anzutreffen sind. Diese Stadtteile weisen jedoch im Vergleich zu den HH-Randgebieten einen eher niedrigeren Kinderund Jugendlichenanteil auf. Es stellt sich hierbei allerdings die Frage, ob bei
ambulanten psychotherapeutischen Angeboten die Notwendigkeit besteht,
diese unter derselben Prämisse des KV-Sicherstellungsauftrags zu betrachten, wie dies vergleichsweise bei der ambulanten somatischen Versorgungsstruktur der Fall ist.
Eine differenzierte, weiterführende Aussage zum psychotherapeutischen Angebot ist anhand der vorliegenden Quellen in diesem Rahmen nicht möglich.
Für eine Angebots-Bedarfs-Analyse wären hier z.B. auch die realen Arbeitskapazitäten der einzelnen Psychotherapeuten/innen (Teil-/Vollzeit), Schwerpunkte bei Verfahren und Störungsbilder oder besondere Sprachkenntnisse
(auch in Hinblick auf den hohen Ausländeranteil in Hamburg) von Interesse.
Weitere GKV-finanzierte Versorgungsangebote
Ambulant
Niedergelassene Kinderärzte/innen
Im ambulanten Bereich übernehmen in Hamburg wie im gesamten Bundesgebiet auch die niedergelassenen Kinderärzte/innen einen Anteil der Betreuung
von psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen. Sie sind oft die ersten
Ansprechpartner für Eltern, deren Kinder psychische Auffälligkeiten zeigen.
Panhuysen und Lehmkuhl (1997) zeigen in einer eigenen Untersuchung und
im Vergleich mit anderen Studien auf, dass dieser Anteil bei 20-30 % der Gesamtklientel in der kinderärztlichen und hausärztlichen Praxis liegt. Vergleichbare Ergebnisse für Hamburg zeigte auch eine Verbundstudie zur psychosomatischen Grundversorgung in Hamburger Kinderarztpraxen (Qualitätssicherung in der Psychosomatik, Verbundstudie 1999). Dies unterstreicht die wichtige Funktion dieser Arztgruppen als „Screening-Agenten“ und qualifizierte
Überweiser bei diagnose- oder behandlungsbedürftigen psychischen Auffälligkeiten. In Hamburg werden von der KV im Internet 113 niedergelassene Kinderärztinnen und Kinderärzte aufgeführt.
22
Ambulanzen an Kliniken und Ausbildungsstätten (Anhang D)
Die Abteilung für Psychiatrie und -psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des Universitätsklinikums Hamburg hält im Rahmen ihrer Aufgaben und
Tätigkeit als psychiatrisches Krankenhaus und Hochschulklinik12
mehrere
ambulante, zum Teil spezialisierte, psychotherapeutische Angebote für Kinder
und Jugendliche bereit:
•
Allgemeine Institutsambulanz
•
Beratungsstelle für Kinder körperlich kranker Eltern
•
Ambulanz für Flüchtlingskinder und ihre Familien
•
Spezialambulanz
für
psychisch
kranke
Eltern
mit
Säuglin-
gen/Kleinkindern
Diese Angebote werden sowohl direkt durch die Eltern als auch im Überweisungsverfahren wahrgenommen.
Ein weiteres ambulantes psychosomatisch-/ psychotherapeutisches Angebot
im Rahmen einer Hochschulambulanz13 besteht in der Poliklinik für Kinderund Jugendpsychosomatik des Zentrums für Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Hamburg.
Das Katholische Kinderkrankenhaus Wilhelmstift mit einer kinder- und jugendpsychiatrischen Fachabteilung führt ebenfalls in seiner psychiatrischen Institutsambulanz14 kinder- und jugendpsychiatrische und psychologische Untersuchungen mit dem Schwerpunkt Diagnostik und Planung weiterführender
stationärer oder ambulanter Hilfen durch. Dort besteht darüber hinaus die
Möglichkeit zur ambulanten Krisenintervention, therapeutischen Begleitung
vor einer Behandlung oder poststationären Betreuung.
Eine weitere kinder- und jugendpsychiatrische Ambulanz ist am Allgemeinen
Krankenhaus Harburg in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im
Zusammenhang mit der Erweiterung des stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Angebotes im Süden Hamburgs Ende 2003 geplant.
12
13
14
SGB V, §§ 117, 118
SGB V, §117
SGB V, §118
23
Im Institut für Psychotherapie und Psychoanalyse Michael-Balint-Institut15 besteht auch ein ambulantes Angebot für Kinder und Jugendliche. Der Schwerpunkt liegt hier bei der Diagnostik von Störungen und Erkrankungen und der
gezielten Weiterleitung von Kindern und Jugendlichen in den niedergelassen
psychotherapeutischen Bereich.
Sozialpädiatrische Zentren (Anhang E)
In
Hamburg
bestehen
zwei
sozialpädiatrische
Zentren,
die
fachlich-
medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen und die Gewähr für eine
leistungsfähige und wirtschaftliche sozialpädiatrische Behandlung bieten16.
Dies ist das Werner-Otto Institut und das Institut für Kindesentwicklung (Flehmig-Institut). Der Schwerpunkt der sozialpädiatrischen Zentren liegt bei der
Frühförderung und Förderung von entwicklungsverzögerten und behinderten
Kindern.
Stationär (Anhang D)
In Hamburg übernehmen zum jetzigen Stand zwei stationäre Einrichtungen
der Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters (UKE,
Kath. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift) die Behandlung und Betreuung von
Kindern und Jugendlichen, bei denen ein stationärer Aufenthalt aufgrund ihrer
psychischen Erkrankung notwendig wird. Da die bestehenden Kapazitäten
nicht für die stationäre Versorgung ausreichen und eine Unterversorgung vor
allem für den Hamburger Süden allgemein17 anerkannt wird, ist eine zusätzliche stationäre Versorgungseinheit angegliedert an die psychiatrische Abteilung des AK-Harburg seit mehreren Jahren geplant, aber noch nicht umgesetzt. Für das 4. Quartal 2003 soll eine kinder- und jugendpsychiatrische Institutsambulanz dort als erster Schritt der Umsetzung eingerichtet werden (Senatsdrucksache 29.7.200318). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit stationärer Aufenthalte bei speziellen Fragestellungen in der psychosomatischen Abteilung der Kinderklinik des UKE und im Werner-Otto-Institut.
15
Ausbildungsstätte, SGB V §117
SGB V, § 119
17
Krankenhausplan 2005, Behörde für Umwelt und Gesundheit
18
Antwort des Senats auf die Große Anfrage zur psychiatrischen Versorgung in Hamburg v.
29.07.03 Drucksache 17/2986
16
24
GMG
Bei den GKV-finanzierten Angeboten stehen mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz19 Veränderungen auch für den psychotherapeutischen Bereich
an. Die geplante Einführung von interdisziplinären Versorgungszentren, hausärztlichen, primären Versorgungs- und Verteilerstrukturen (Hausarztmodelle),
Einzelverträge mit Leistungserbringern, die Öffnung von Krankenhäusern für
den ambulanten Bereich unter bestimmten Voraussetzungen sowie die Neugestaltung der Vergütungsregelung im ambulanten Bereich sind einige wesentliche Punkte, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind (Anhang F).
Steuerfinanzierte Angebote für Kinder und Jugendliche
Die steuerfinanzierten Angebote leiten sich aus den Fürsorge- und Betreuungspflichten des Staates gegenüber seinen Bürgern/innen ab. Diese sind in
drei übergeordnete Kategorien einzuteilen:
a. Hoheitliche Aufgaben
b. Beratend fördernde Angebote
c. Subsidiär ergänzende Angebote
Hoheitliche Aufgaben
Hierunter fallen gesetzlich festgelegte Aufgaben der Jugendhilfe sowie des
Schul- und Gesundheitsbereichs. Im Einzelnen sind dies folgende Aufgaben,
die den psychotherapeutischen Bereich betreffen:
Zum Wohle eines Kindes kann der Staat das elterliche Selbstbestimmungsrecht einschränken oder aufheben und eine Fremdunterbringung eines
Kindes auch gegen den Willen der Eltern durchsetzen. Entsprechende psychosoziale Betreuungsangebote werden in HH von der Behörde für Soziales und Familie (z.B. Kinder- und Jugendnotdienst) und den bezirklichen
Jugendämtern vorgehalten. Die Behörde für Bildung und Sport übernimmt
die Umsetzung von hoheitlichen Aufgaben bei der Umsetzung der Schulpflicht; die kinder- und jugendpsychiatrischen Dienste bei der geschlossenen Unterbringung bei Eigen- oder Fremdgefährdung von bzw. durch Kinder und Jugendliche.
19
Entwurf Stand: 8 September 2003
25
Beratend fördernde Angebote
Darüber hinaus bestehen in Hamburg weitere freiwillige staatliche Beratungsund Hilfsangebote für auffällige Kinder und Jugendliche und deren Eltern (z.B.
Regionale Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS), Jugendpsychiatrische Dienste, Jugendhilfeangebote, Mütterberatungsstellen, Erziehungsberatungsstellen, Behindertenberatungsstellen (Anhang D )
Subsidiär ergänzende Angebote
In den Bereichen, in denen der „freie Markt“ keine ausreichenden Angebote
zur Verfügung stellt, sieht das Subsidiaritätsprinizp die Verpflichtung des Staates zu ergänzenden Maßnahmen vor. Die meisten Angebote in diesem Bereich sind im Sucht- und Drogenbereich für unterschiedliche Zielgruppen meist
in Kooperation mit einem freien Träger zu finden. Ähnliches gilt auch für den
HIV-Bereich.
Komplementäre Angebote in freier Trägerschaft
Neben den bereits genannten Versorgungsangeboten besteht eine Vielzahl
weiterer Beratungs- und Hilfsangebote für psychosozial auffällige Kinder und
Jugendliche und ihre Eltern in freier Trägerschaft. Hier sind freie Trägervereine20, Kirchen, die Selbsthilfe und der Kinderschutzbund zu nennen. Da sie als
komplementäre Einrichtungen zum GKV-finanzierten Betreuungsangebot bei
der psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen wichtige Aufgaben übernehmen, werden sie zum überwiegenden Teil auch durch Zuwendungen der öffentlichen Hand mit finanziert. Zwar werden im engen GKV Sinne hier keine psychotherapeutischen Maßnahmen durchgeführt. Jedoch übernehmen diese Einrichtungen wichtige Screening-, Koordinierungs-/ Kooperationsfunktionen und Hilfestellungen bei der Betreuung psychisch auffälliger
Kinder und Jugendlichen sowie ihres gesamten sozialen Umfeldes (Anhang
D). Es stellt sich die Frage, wie diese Anbieter/Angebote bei einer Bedarfsplanung im psychotherapeutischen Bereich mit berücksichtigt werden können
und ob sich Defizite in dieser Angebotsstruktur oder in den Kooperationsformen mit anderen Bereichen zeigen. In diesem Zusammenhang werden Defizite z.B. bei der Betreuung nicht-deutschsprachiger Kinder, chronisch kranker
Kinder oder bei der Integration der Selbsthilfe diskutiert.
20
z.B. ein Schwerpunkt im Drogen- und Suchtbereich
26
Bereits klar benannte Defizite21 können bei der Versorgungsstruktur von Kindern im Vorschulalter ausgemacht werden. Dies zeigt sich auch bei der Diskussion um die interdisziplinären Frühförderstellen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des SGB IX. Nach der Verabschiedung der Verordnung zur
Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder22 soll die Umsetzung der Frühförderung von Kindern im Vorschulalter für Hamburg neu geregelt werden. Interdisziplinär vernetzte Frühförderstellen sollen mit erweiterten diagnostischen, therapeutischen und betreuenden
Ansätzen die Versorgung dieser Kinder verbessern. Ein Problem dabei ist die
Kostenaufteilung zwischen den Rehabilitationsträgern GKV und der Eingliederungshilfe (BSHG). Zur Zeit werden im Hamburg 7 Einrichtungen und die beiden bereits erwähnten sozialpädiatrischen Zentren von der Behörde für Familie und Soziales (BSF-Eingliederungshilfe) als Frühförderstellen anerkannt
(Anhang E). Zur weiteren Gestaltung der interdisziplinären Frühförderung sollen in der nächsten Zeit unter der Federführung der BSF Landesrahmenempfehlungen für Hamburg verabschiedet werden.
21
Erhebung des Beratenden Fachausschuss für Psychotherapie der kassenärztlichen Versorgung Hamburg (2002)
22
Frühförderungsverordnung – (FrühV) im Juni 2003
27
Bedarfsplanung
Bestehende Bedarfsplanungsvorgaben
Die Versorgung von behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen ist in
der BRD sektoral gegliedert. Es gibt eine klare Aufteilung zwischen dem stationären und ambulanten Diagnose- und Behandlungsbereich. Übergreifende
Modelle sind (noch) nicht vorgesehen, wenn gleich es sie z.B. im Bereich der
Ambulanzen an Kinder- und Jugendpsychiatrischen Kliniken in gewissen Formen schon gibt. Mit dem Inkrafttreten des GMG sind Ansätze für eine Veränderung in diesem Bereich denkbar.
Im ambulanten Bereich übernehmen die Selbstverwaltungsorgane der Leistungserbringer (KVen) die Aufgaben der Steuerung des Leistungsangebotes.
Zum einen gewährleisten sie der Bevölkerung einer Region eine gesetzlich
gesicherte, ausreichende Krankenversorgung entsprechend ihres Sicherstellungsauftrages. Des Weiteren übernehmen sie durch die Festlegung von Zulassungskriterien für Leistungserbringer die Qualitätssicherung der erbrachten
Leistungen. Durch die Zulassung bzw. die Nicht-Zulassung von Behandlern
besteht die Möglichkeit einer regionalen, zahlenmäßigen Steuerung des Behandlungsangebotes und damit der Leistungsmenge in der GKV-Regelversorgung.
Gesetzliche Grundlage ist dafür das SGB V. In den BedarfsplanungsRichtlinien-Ärzte23 werden die Umsetzungsmodalitäten der gesetzlichen Vorgaben festgelegt. Der Planungsrahmen beinhaltet als wesentliche Kriterien die
fachgruppenspezifische Arzt-Einwohner-Relation und die regionalen Unterschiede der Planungsregionen; d.h. das Verhältnis der Einwohnerzahl der
BRD zur Zahl der zugelassenen Ärzte der jeweiligen Arztgruppe sowie der
Psychotherapeuten unterschieden nach örtlichen Gegebenheiten bzw. Regionen (Anhang G).
Hamburg zählt als Großstadt zur 1. Kategorie der Großen Verdichtungsräume/Kernstädte. Analog zu den aktuellen Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte
wird für Hamburg von einem Psychotherapeut/Einwohner-Verhältnis von 2577
Einwohner pro Psychotherapeut/in ausgegangen (Anhang G und Tabelle 3).
23
Stand Juli 2002
28
Dies bedeutet bei einem Einwohnerstand von 1 730.154 Einwohner in Hamburg, der der KV-Berechnung zugrunde liegt, ein Bedarf von 671,4 Psychotherapeuten/innen. In Tabelle 3 wird von der KV der Grenzwert zur Überversorgung mit 110 % angegeben24 ; d.h. bei einer Zahl von 739 zugelassenen Psychotherapeuten/innen. Bei dieser Bedarfsplanungsgrundlage wird nicht zwischen Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen unterschieden - eine Vorgehensweise, die auch in der bereits erwähnten Antwort des Senats25 auf die
Anfrage zur psychotherapeutischen Versorgung in Hamburg als unzureichend
betrachtet wird.
Entsprechend dieser gesetzlichen Vorgaben leitet sich die aktuelle Bedarfsplanung der KV-HH ab, die in Tabelle 3 für alle Arztgruppen vorgestellt wird.
Da nach in Krafttreten des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) in einem
kurzen Zeitraum viele psychologische Psychotherapeuten/innen zugelassen
wurden, ist ihre Quote, die im SGB V festgelegt ist, im Verhältnis zu den zugelassenen ärztlichen Psychotherapeuten/innen ausgeschöpft,. Daraus folgt,
dass der Raum Hamburg für psychologische Psychotherapeuten/innen gesperrt ist, während für ärztliche Psychotherapeuten/innen in Hamburg noch
Niederlassungsmöglichkeiten bestehen.
Tab. 3 Bedarfsplanung der KV-HH für alle Arztgruppen Stand 2003
Bedarfsplanung zum 1. April 2003
Einwohnerstand vom 30.11.2002 = 1.730.154
Versorgungsstand
Arztgruppe
Allgemeine
Verhältniszahl
Grenze zur
Überversorg.
= 110 %
Summe
Ärzte incl.
ang. Ärzte
Versorgungsgrad
Einw. /Arzt
Anzahl
Anzahl
in Prozent
Anästhesisten
25.958
74
78
117,0
Augenärzte
13.177
145
145
110,4
Chirurgen
24.469
78
83
117,4
Facharzt Internisten
12.276
155
231
163,9
Frauenärzte
6.916
276
275
109,9
HNO-Ärzte
16.884
113
117
114,2
Hautärzte
20.812
92
92
110,7
24
25
671,4 Psychotherapeuten/innen zuzüglich 10 % ergibt eine Grenze zur Überversorgung von 739 Psychotherapeuten/innen
(vgl. S.15)
29
Kinderärzte
14.188
134
135
110,7
Nervenärzte
12.864
148
149
110,8
Orthopäden
13.242
144
146
111,7
2.577
739
877
130,6
Radiologen
25.533
75
79
116,6
Urologen
26.641
72
72
110,9
1.201
1.150
105,4
Psychotherapeuten*
Hausärzte
1.585
*
- Psychologische Psychotherapeuten gesperrt
- Ärztliche Psychotherapeuten noch 68 Zulassungen möglich
Quelle: KV-HH 2003
www.kvhh.de
Schließt man von der allgemeinen Verhältniszahl von 2577 Einwohnern pro
Psychotherapeut/in auf die Versorgungslage im Kinder- und Jugendbereich,
ergibt sich in Hamburg ein Bedarf von 107 Psychotherapeuten/innen für die
Versorgung der 274 902 Kinder und Jugendlichen unter 19 Jahre. Diese Zahl
wird rein rechnerisch mit den 84 psychologischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen und den 25 ärztlichen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten/innen sowie Kinder- und Jugendpsychiatern/innen erreicht. Ein
wesentliches Problem ergibt sich jedoch bei der bestehenden Bedarfsplanung.
In der jetzt praktizierten Form werden nur die regionalen strukturellen Unterschiede im Bundesgebiet sowie die Unterschiede in dem jeweiligen Arztgruppen/Einwohner-Verhältnis berücksichtigt. Bei einer solchen Herangehensweise fließen wichtige Aspekte des tatsächlichen Krankheits- und Versorgungsgeschehens wie die Prävalenz einzelner Erkrankungen, Komorbidität, Inzidenz, Erkrankungsdauer, Arbeitszeitmodelle von Psychotherapeuten/innen,
Behandlungsdauer, regionale Besonderheiten der Sozialstruktur usw. nicht
mit ein.
Hierbei
ist
zu
berücksichtigen,
dass
die
erstellte
Liste
der
HH-
Psychotherapeuten/ innen mit einer KV-Zulassung oder Sonderbedarfszulassung noch durch die zu aktualisierenden KV-Angaben mit den tatsächlichen
Zulassungszahlen sowie den Leistungsstatistiken der KV-ermächtigten Institutsambulanzen verifiziert werden muss.
Ein in diesem Sinne erweiterter Ansatz zur Bedarfsbestimmung liegt der Befragung im psychotherapeutischen Versorgungsbereich durch den beratenden
Fachausschuss für Psychotherapie der kassenärztlichen Versorgung (2002) in
Hamburg zugrunde. Hier wurden zum einen behandelnde Psychotherapeuten/
30
innen und Ambulanzen zum anderen Kliniken sowie komplementäre Hilfsangebote und Dienste zur Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen
befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass von diesen Anbietern allgemein ein Defizit bei der Versorgung von psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen
gesehen wird. Der Versorgungsengpass sei bei jüngeren Kindern im Vorschulalter größer als bei älteren. Es zeigt sich allerdings auch, dass das Behandlungsangebot durch die Übernahme von Behandlungen von Kindern und
Jugendlichen
durch
Erwachsenenpsychotherapeuten/innen
mit
Abrech-
nungsmöglichkeiten im Kinder- und Jugendlichenbereich vergrößert werden
könnte. Von Seiten der Einrichtungen wird schwerpunktmäßig ein Engpass im
diagnostischen und therapeutischen Bereich gesehen, so dass Kinder und
ihre Eltern nicht zeitnah in den ambulanten therapeutischen Bereich weitervermittelt werden könnten.
Indikatoren einer bedarfsgerechten Versorgungsplanung
Welche Indikatoren sollten nun einer objektivierbaren und angemessenen Bedarfsplanung zugrunde gelegt werden? Um sich der Beantwortung dieser Frage zu nähern, wird im Folgenden Bezug auf die für diese Arbeit durchgeführte
Literaturrecherche genommen. Die Untersuchung von Löcherbach et al.
(2000), Zepf et al. (2001/2003) sowie die Veröffentlichung von Pohl (BDP
2002) und die bereits genannte Erhebung des beratenden Fachausschuss für
Psychotherapie finden dabei besondere Berücksichtigung. In einer systematischen Übersicht werden die Indikatoren aufgezeigt, die dort erhoben und zur
Bedarfsbestimmung im Kinder- und Jugendlichenbereich herangezogen wurden. Des Weiteren werden Datenquellen und mögliche Erhebungsmodalitäten
benannt sowie bereits bestehende Aussagen bzw. Einschätzungen aus der
Literaturrecherche in Tabelle 4 aufgeführt.
Tab.4. Übersicht möglicher Indikatoren zur Bedarfsbestimmung in Hamburg
Indikator
Datenquelle und mögliche
Erhebungsfelder
Bereits vorhandene
Einschätzung/
Materialen
Bevölkerung
Altersbezogene regionale Bevölkerungsstruktur
Internet: regelhafte Veröffent- Siehe Anhang zu Teil 2
lichungen des Statistischen
Landesamtes HH (StaLa)
Direktansprache für Sonderauswertung
31
Anteil der GKV-Versicherten (unter
18-jährigen) in HH nach Stadtteilen
StaLa
Direktansprache für Sonderauswertung
Morbiditätsbezogene Angaben
Gesamtprävalenz des differentialdiagnostische Abklärungs- und Beratungsbedarfs mit psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen
Gesamtprävalenz behandlungsbedürftiger psychischer Störungen bei
Kindern und Jugendlichen
PT-Inanspruchnahme
Anwendungsbereiche von Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen
Literaturrecherche
10-13 %
Literaturrecherche
5 -8 %
Literaturrecherche
Wissenschaftlicher Beirat
Psychotherapie
nach § 11 PsychThG
1,6 - 35 %
Siehe Anhang H
Leistungserbringer
Aktualisierung der Liste der niederbzw. zugelassenen Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten/innen mit KV-Zulassung nach
anerkannten Verfahren
Aktualisierung der Liste niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen mit Sonderbedarfszulassung nach anerkannten Verfahren
Aktualisierung der Liste ärztlicher
Kinder- u. Jugendpsychiater/innen u.
Psychotherapeuten/innen
Anzahl sonstiger psychologischer
Psychotherapeuten/innen und Fachärzte/ärztinnen mit Abrechnungsberechtigung im kinder- und jugendlich
psychotherapeutischen Bereich
KV-HH
siehe Anhang C
KV-HH
KV-HH
Anhang C
KV-HH
Anzahl der ErstgesprächsanfraKV-HH; Mögl.: PPgen/pro niedergelassenen KinderTherapeutenbefragung
und Jugendlichenpsychotherapeuten/in
Anzahl der durchgeführten probatorischen Sitzungen pro niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/in
Anzahl der Indikationsstellungen für
eine psychotherapeutische Behandlung pro niedergelassenen Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten/in
Anzahl der in Behandlung genommenen pro niedergelassenen Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten/in und Kostenträger
Anzahl der nicht in Behandlung
genommenen pro niedergelassenen
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/in und Kostenträger
Mögl.: Fragebogen zur
Ambulanten Psychotherapeutischen Versorgung der Kinder
und Jugendlichen in
(bundesweit) Anhang I
Zepf et al.
Vorliegende bundesweite Ergebnisse aus
Zepf (2001) und Löcherbach et. al. (2000)
32
Durchschnittliche Wartezeit für ein
Erstgespräch nach Kostenträger
Durchschnittliche Wartezeit bis zum
Behandlungsstart
Schwerpunktsetzung sofern die
Abrechnungsmöglichkeiten sowohl
im Kinder- als auch im Erwachsenenbereich bestehen
Wochenarbeitsstunden
Möglichkeit der Arbeitszeiterweiterung
Einstellung zum Gutachterverfahren
Leistungsabrechnung
Abgerechnete EBM-Ziffern in einem
zu bestimmenden Zeitraum
KV-HH
Behandlungsdauer / Anzahl der
abgerechneten Sitzungen
KV-HH
EBM Ziffer:
1/ 3/ 5/ 42/ 44/ 72-75/
77/ 855858/ 860/ 861/ 866/
868/ 870-897 gemäß
Einheitlichen Bewertungsmaßstab
Stand: 1. 1. 2003
Hinweis Literatur:
Durchschnittlich 25
Sitzungen Pohl 2002
Als entscheidender Datenhalter zeichnet sich bei der Übersicht die KV-HH ab.
Aufgrund der Abrechnungsmodalitäten im ambulanten Bereich verfügt sie
über die Daten der entsprechenden psychotherapeutischen Abrechnungsziffern mit Therapeutenbezug sowie die aktuellen Zulassungszahlen. Vergleichbares trifft auch für den geleisteten Behandlungsaufwand bei psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen durch die Krankenhausambulanzen und Sozialpädiatrischen Zentren zu. Es ist im Einzelnen mit der KV zu klären, welche
Daten und wie die Daten aus den KV-Abrechnungsroutinen herauszuziehen
sind. Dabei sind datenschutzrechtliche Aspekte mit einzubeziehen. Einen erleichterten Zugang zu den KV-Daten könnte das Gesundheitsmodernisierungsgesetz mit sich bringen, da in ihm ausdrücklich die Förderung der Qualitätssicherung sowie die Transparenz des Informationsmanagements auch im
ambulanten Bereich zur Effizienzverbesserung im Gesundheitswesen vorgesehen sind. In einem weiteren Schritt ist anhand der bis dahin vorliegenden
Daten und der in Tabelle 4 aufgeführten Indikatoren zu klären, ob und in welchem Umfang eine mögliche Psychotherapeuten-/Ambulanzbefragung durchgeführt werden soll.
Die Daten der gesetzlichen Krankenkassen sind im ambulanten Versorgungsbereich nur wenig hilfreich. Sie erhalten von den KVen aggregierte Abrechnungsdaten in bezug auf die Leistungserbringer. Darüber hinaus besteht bei
33
der Nutzung der GKV als Datenquelle die Problematik, dass Kinder als Mitversicherte bei den Eltern nicht eigenständig aufgeführt werden. Außerdem ist
ein repräsentativer Überblick über die gesundheitliche Versorgungslage einer
Region durch die Vielfalt der gesetzlichen und privaten Krankenkassen nur mit
einem hohen Arbeitsaufwand möglich.
Eine weitere Datenquelle erschließt sich durch die Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Hier ist ein Gesamtbericht zur Psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland in Vorbereitung, der voraussichtlich Anfang 2004 veröffentlicht wird. Zur Zeit befindet er sich in der Abstimmung mit dem RobertKoch-Institut. In ihm werden auf Länderebene auch Aussagen zur Versorgungslage und Inanspruchnahme von psychotherapeutischen Angeboten gemacht.
Einflussgröße komplementärer Beratungsstellen und Hilfsangebote
Bei den Überlegungen zu einer bedarfsgerechten Versorgungsplanung im
niedergelassenen kinder-und jugendlichenpsychotherapeutischen Bereich
dürfen die ergänzenden Beratungs- und Hilfsangebote der Beratungsstellen
und sonstiger Einrichtungen in staatlicher oder freier Trägerschaft nicht außer
Acht gelassen werden. Es steht außer Frage, dass in diesem Bereich psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern Hilfestellungen
ermöglicht werden, die wichtige Ergänzungen zu den psychotherapeutischen
Interventionen im niedergelassen KV-Bereich darstellen. Hier sei beispielhaft
auf die Arbeit der REBUS-Beratungsstellen bei Schulauffälligkeiten oder –
versagen hingewiesen. Daher sollte bei einer weiterführenden Analyse zur
Bedarfssituation psychotherapeutischer Angebote auf eine Auswertung der
Leistungen dieses komplementären Bereiches nicht verzichtet werden. Da
diese Versorgungseinrichtungen keinen vergleichbaren Abrechnungsverfahren, wie das der KV-Abrechnung unterliegen, können vergleichbare abrechnungsbezogene Indikatoren bei ihrer Analyse nicht berücksichtigt werden. Zur
Orientierung stehen jedoch die jährlich obligatorisch zu erstellenden Leistungsberichte der Einrichtungen zur Verfügung, sofern diese staatliche Zuwendungen erhalten. Eine vergleichbare Berichtsverpflichtung besteht auch
bei den ausschließlich staatlich finanzierten Beratungsstellen.
34
Darüber hinaus ist zu überlegen, ob eine eigenständige Befragungen zur Versorgungslage von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten in
diesen Einrichtungen sinnvoll und umsetzbar ist. Um eine bessere Vergleichbarkeit der Befragungsergebnisse zu erhalten, sollten die Inhalte der Befragung sich an denen einer möglichen Psychotherapeutenbefragung im niedergelassenen Bereich orientieren. Wegen der Vielzahl der Einrichtungen ist es
nur schwer realisierbar, alle HH-Einrichtungen zu befragen. Um einen repräsentativen Überblick zu erhalten, könnte ein mögliches Vorgehen darin bestehen, Experten/innen sogenannte „Schlüsseleinrichtungen“ benennen zu lassen. Diese könnten aus den Bereichen der Vorschulangebote, der schulischen
Angebote, der legalen und illegalen Drogeneinrichtungen und der Essstörungsangebote ausgewählt werden.
Neben der internen Analysen der gesamten Ergebnisse durch die Psychotherapeutenkammer Hamburg ist zu überlegen, ob diese gemeinsam mit den
Akteuren aus der Praxis, der Selbstverwaltung, Politik und der Kostenträger in
Hamburg in ihren Konsequenzen diskutiert werden sollten. Vorstellbar wäre
dies z.B. im Rahmen eines Workshop oder einer Tagung, initiiert und durchgeführt durch die Psychotherapeutenkammer evt. in Kooperation mit anderen
Akteuren.
35
Abschließende Betrachtung
Hamburg ist eine Großstadt mit einer relativ alten Bevölkerung und einem hohen Ausländeranteil im Vergleich zum Bundesgebiet. Der Anteil der unter 18
Jährigen liegt bei 16 %; im Bundesgebiet liegt dieser bei 18,5 %. Vor allem
die innerstädtischen Bereiche weisen zum Gesamtdurchschnitt Hamburgs
einen unterdurchschnittlichen Anteil von Kindern und Jugendlichen auf. In der
Bevölkerungsvorausschätzung bis zum Jahr 2010 wird ein weiterer Rückgang
des Bevölkerungsanteils der unter 18 Jährigen vorhergesagt.
Geht man von einer in der Literatur übereinstimmend genannten Prävalenz
um die 15 % abklärungs- oder behandlungsbedürftiger psychischer Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter aus, weisen ca. 41 000 Kinder und Jugendliche in Hamburg einen beratungs- oder behandlungsbedürftigen psychischen
Befund auf. Der Anteil der bis 21 Jährigen, die sich noch in kinder- und jugendlichenpsychotherapeutischer Behandlung befinden, lässt sich nicht eindeutig klären. Die Anzahl dieser Kinder und Jugendlichen kann jedoch nur im
Zusammenhang mit der realen Inanspruchnahmerate betrachtet werden. Sie
wird in der Literatur unterschiedlich beschrieben. Dabei ist die Wechselbeziehung zwischen der Inanspruchnahmerate und den bestehenden bzw. nicht
ausreichend bestehenden Versorgungsangebot mit zu berücksichtigen.
In der Beurteilung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgungsstruktur für Kinder und Jugendliche in Hamburg besteht ein grundlegendes Problem. Nach den drei ausgewerteten Quellen sind 84 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen in Hamburg regulär oder durch Sonderbedarfszulassungen für die GKV-finanzierte Regelversorgung zugelassen. Diese Zahl
ist so in keiner anderen Veröffentlichung zu finden und bedarf daher der Verifizierung durch die KV-HH oder die Psychotherapeutenkammer.
Unabhängig davon zeichnet sich eine Zentrierung der Angebote in den innerstädtischen Bereichen der Bezirke Eimsbüttel und HH-Nord ab. Hier befindet
sich auch eines der beiden stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungsangebote (UKE) mit einer eigenen Institutsambulanz. Es ist zu klären, ob diese räumliche Zentrierung Auswirkungen auf die Versorgungslage in
anderen Stadtteilen - hier vor allem im Süden Hamburgs - hat oder diese davon unberührt ist.
36
Im stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungsangebot besteht von Seiten der Experten/innen und der Krankenhausplanung in Hamburg
ein anerkannter Versorgungsmangel, der durch eine Erweiterung des Angebotes im AK-Harburg begegnet werden soll.
Für eine bedarfsgerechte Bestimmung der Versorgungsstruktur anhand ausgewählter Indikatoren zeichnet sich die KV-HH als wichtigster Datenhalter.
Hier stößt man auf ein generelles Problem im ambulanten Bereich, dass Daten zu Behandlungsabläufe gar nicht oder nur schwer von den KVen zu erhalten sind. Als Interessensvertreter der Ärzteschaft wird diese Zurückhaltung als
begründetes Anliegen zum Schutz ihrer Klientel gegenüber den Kostenträgern
verstanden. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz tritt für eine größere
Transparenz des Leistungsgeschehens ein, so dass von Veränderungen mit
Inkrafttreten des Gesetzes in diesem Bereich ausgegangen werden kann.
Ein wichtiger zusätzlicher Aspekt ist die im SGB V geforderte Qualitätssicherung psychotherapeutischer/medizinischer Behandlungen. Auch das GMG
fordert eine Verbesserung des Qualitätsmanagements und mehr Transparenz
im Datenfluss auch im ambulanten Bereich. Dieser Aufgabe stellen sich zunehmend auch die KVen. In den Disease-Management-Programmen (DMP)
werden bereits Möglichkeiten eines sektorenübergreifenden Datenflusses zwischen den Leistungserbringern und den KVen auf der einen Seite und den
Kostenträgern auf der anderen Seite erprobt.
Die Hamburgische Psychotherapeuten Kammer ist durch das Hamburgische
Psychotherapeutenkammergesetz (§ 5 Abs. 1, Punkt 2 u. 3) verpflichtet, eine
aktive Qualitätssicherung der Berufsausübung ihrer Kammerangehörigen
durchzuführen sowie die Fortbildung in der Psychotherapie zu gestalten. Um
diesem gesetzlich festgelegten Auftrag nachzukommen, ist zu klären, wie ein
solches Qualitätsmanagement in der Psychotherapie aufzubauen ist. Zur Evaluation und Objektivierung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sind
psychotherapeutenbezogene Abrechnungsdaten26 wesentliche Indikatoren für
ein effizientes Qualitätsmanagement. Auf der Grundlage der hier vorgestellten
Indikatoren-Übersicht könnte von der Psychotherapeutenkammer geklärt wer26
Unter Berücksichtigung des Datenschutzes
37
den, wie die KV-HH einzubeziehen ist. Im Vorfeld sollten dabei folgende Fragestellungen bereits intern von den Mitgliedern/innen der Psychotherapeutenkammer geklärt werden:
•
Aktuelle Zahl der psychologischen Psychotherapeuten/innen mit KVZulassung oder Sonderbedarfszulassung
•
Auswirkungen der bestehenden regionalen Versorgungsstruktur
•
Festlegung der Auswertungs-Indikatoren
Nach der Analyse der erhaltenen KV-Daten wäre in weiteren Schritten zu klären, ob ergänzende Befragungen der niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen, der Ambulanzen und der komplementären
Einrichtungen durchgeführt werden sollten, um weitere Grundlagen zur Bedarfsplanung von psychotherapeutischen Angeboten zu erhalten.
Unabhängig von diesen konkreten Vorhaben, wäre zu überlegen, ob eine weiterführende Vernetzung von psychologischen psychotherapeutischen Behandlungsangeboten von Seiten der Psychotherapeutenkammer zu fördern ist.
Bestehende Kooperationsmodelle im In- und Ausland zeigen, dass Synergieeffekte im medizinischen Bereich genutzt und die Versorgung der Patienten/innen sowie die Transparenz der Behandlungsabläufe dadurch verbessert
werden können. Im kinder- und jugendlichenpsychotherapeutischen Bereich
wären solche Kooperationsmodelle untereinander aber auch mit dem kinderund jugendpsychiatrischen oder kinderärztlichen Bereich und/oder den komplementären Einrichtungen denkbar.
38
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Cambridge University Press
42
Zur Situation der Versorgung von
psychisch auffälligen Kindern und
Jugendlichen in Hamburg
Teil 2:
Abschätzung der Versorgungssituation in Hamburg
Expertise im Auftrag der
Hamburgischen Kammer der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
Dr. med., Dipl. Soz. Maria Albota
Mai 2004
43
Problemstellung des zweiten Teils der Expertise
Nachdem im ersten Teil der Expertise eine einschätzende Übersicht zur Prävalenz psychischer Auffälligkeiten und Störungen im Kindes- und Jugendalter
gegeben sowie die Versorgungsstruktur in Hamburg dargestellt wurden, erfolgt im zweiten Teil eine Abschätzung der tatsächlichen Versorgungssituation
dieser Kinder und Jugendlichen in den unterschiedlichen Hamburger Versorgungssektoren. In die Expertise mit eingeschlossen sind der GKV-finanzierte,
ambulante, psychotherapeutische Bereich sowie die Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, die im Teil 1 als ergänzende komplementäre Angebote
beschrieben wurden.
Ich möchte mich auch im Namen des Vorstands der Psychotherapeutenkammer Hamburg an dieser Stelle bei allen Beteiligten recht herzlich für Ihre tatkräftige Unterstützung und Ihre Beiträge bedanken.
44
Vorgehen
Falldefinitionen
Dem Vorgehen in der Untersuchung liegen zwei Falldefinitionen analog zu
den in der Literatur recherchierten und in Teil 1 vorgestellten Prävalenzzahlen
für psychische Störungen und Auffälligkeiten zugrunde :
Enge Falldefinition : Gruppe A
Kinder und Jugendliche mit einer psychischen Erkrankung/Störung (im
sozialrechtlichen Sinne)
Diese Kinder und Jugendlichen benötigen eine qualifizierte, psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlung.
Beispiele: Dissoziale Verhaltensstörung, Essstörungen, psychosomatische Störungen, Depressionen
Weite Falldefinition : Gruppe B
Kinder und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten
Diese Kinder und Jugendlichen bedürfen einer qualifizierten, psychiatrischen und/oder psychotherapeutischen diagnostischen Abklärung
und gegebenenfalls Behandlung.
Beispiele: Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, aggressives
Verhalten, auffälliges Sozialverhalten
Für die enge Falldefinition wird in der Literatur eine Prävalenz von 8 % bei
Kindern und Jugendlichen beschrieben. Für die weitere Falldefinition finden
sich dort eine Prävalenz von 18 % (vgl.: Band 1 der Expertise, S.10).
Ambulante, psychotherapeutische Angebote
Im Rahmen einer Sonderauswertung wurden von der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KV-HH) für das Jahr 2002 die EBM27-Ziffern 841-849 (kinder- und jugendpsychiatrische Ziffern), die EBM-Ziffern 850-858 (psychosomatische Ziffern) und die EBM-Ziffern 860-884 (psychotherapeutische Ziffern)
für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ausgewertet. Im einzelnen wurden die
behandelten Fälle, die Anzahl der erbrachten Leistungen und der Leistungsbedarf in Punkten für die vier Quartale 2002 erhoben. Dabei musste aufgrund
27
EBM: Einheitlicher Bewertungsmaßstab, Stand 1.1. 2002
45
edv-technischer Schwierigkeiten und des Aufwands für diese Extraauswertung
auf eine detailliertere Auswertung entsprechend der einzelnen Fachgruppen
verzichtet werden. In einem gewissen Umfang ergeben sich jedoch aus dem
Abrechnungsmodus der einzelnen EBM-Abschnitte Hinweise auf die jeweiligen abrechnungsberechtigten Fachgruppen. Die psychiatrischen Ziffern können nur von Kinder- und Jugendpsychiatern/innen in eingeschränkterem Maße auch von Pädiatern/innen abgerechnet werden. Die psychosomatischen
Ziffern werden überwiegend von Pädiatern/innen und Hausärzten/ärztinnen
mit der Zusatzqualifikation „Psychosomatische Grundversorgung“ abgerechnet. Die Psychotherapeutischen Ziffern sind für alle psychotherapeutisch tätigen Leistungserbringer mit KV-Zulassung abrechnungsrelevant.
Um eine reale Einschätzung der Anzahl der Kinder und Jugendlichen zu ermitteln, die sich hinter den Fallzahlen28 verbergen, wurden in einem weiteren
Schritt sogenannte „Indikatorenziffern“ bestimmt, die eine Aussage zu dieser
Problematik zulassen. Darüber hinaus wurden einzelne Fachgruppenvertreter
zu ihrer Einschätzung befragt, wie viele Behandlungen durch ihre Fachgruppe
durchschnittlich bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen/Störungen (Falldefinition: Gruppe A) durchgeführt werden und wie oft ein
Kind oder Jugendlicher über mehrere Quartale hinweg mit diesen „Indikatorenziffern“ abgerechnet wird.
Da die Ambulanzen der beiden Kinder- und Jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Abteilungen des Universitätsklinikums Hamburg und
des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift sowie die psychosomatische Abteilung der UKE-Kinderklinik anhand von Fallpauschalen mit den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) direkt abrechnen, wurden ihre erbrachten ambulanten Leistungen durch die KV-Daten nicht erfasst. Aufgrund
des zeitlichen Aufwandes wurde von einem Datentransfer mit den Krankenkassen verzichtet. Von der Ambulanz des Michael Balint-Instituts konnten die
Daten mit in die Untersuchung einbezogen werden.
28
Nicht jeder Fall bedeutet gleichzeitig ein Kind, da ein und dasselbe Kind in mehreren Quartalen behandelt werden kann und dann jeweils als einzelner Fall gezählt wird.
46
Komplementäre Angebote
In einem weiteren Schritt galt es zu klären, in welchem Umfang Beratungsstellen und sonstige Unterstützungseinrichtungen im Kinder- und Jugendbereich
die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten
übernehmen (Falldefinition: Gruppe B). Hinter dieser Überlegung stand die
Annahme, dass zur realistischen Einschätzung der Versorgungssituation in
Hamburg ein zu ermittelnder Anteil der Kinder und Jugendlichen aus diesem
Sektor den Fallzahlen des GKV-finanzierten Bereichs hinzuzuzählen ist.
Zur Klärung dieser Annahme wurden die Beratungs- und Unterstützungsstellen der Schulbehörde, der Jugendbehörde, der Gesundheitsbehörde und der
Bezirke angesprochen mit der Bitte, die Jahresstatistiken der jeweiligen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Im Bereich der nicht staatlichen Einrichtungen wurden die kirchlichen Erziehungsberatungsstellen, der Kinderschutzbund, die Einrichtungen zu Essstörungen und sexuellem Missbrauch sowie
die Heilpädagogischen-/Frühförderstellen angesprochen. Eine Übersicht der
einzelnen einbezogenen Beratungsstellen befindet sich im Anhang (Anhang
J).
Soweit keine Jahresstatistik der Einrichtungen zur Verfügung stand, wurde
eine Befragung zum Inhalt der Expertise telefonisch oder schriftlich bei diesen
Einrichtungen durchgeführt. Daraus ergeben sich eine sehr unterschiedliche
Darstellung und Datenlage für die einzelnen Einrichtungen, die eine einheitliche Bewertung der Fallzahlen nur eingeschränkt zu lassen.
Zur Vereinheitlichung der Ergebnisse wurden alle längeren persönlichen Kontakte29 wegen einer psychischen und psychosozialen Auffälligkeit bei Kindern
und Jugendlichen in einer Einrichtung in die Auswertung mit aufgenommen.
Da jedoch nicht bei jedem Kind, dass in einer Beratungsstelle betreut wird,
gleichzeitig auch ein psychotherapeutischer Abklärungs- oder Behandlungsbedarf besteht, wurden die Gründe für die Kontaktaufnahme ausgewertet,
soweit diese in der vorliegenden Statistik angegeben waren, um die erste
Auswahl der Kinder und Jugendlichen weiter einzugrenzen. Waren keine
Gründe in den vorliegenden Daten angegeben, wurden die Aussagen vergleichbarer Einrichtungen zur Bewertung der Fallzahlen herangezogen.
29
Telefonkontakte wurden nicht mit aufgenommen.
47
Ausschlusskriterien für angegebene Gründe:
Folgende Gründe wurden bei der Fallzahlermittlung nicht mit berücksichtigt:
Kinder und Jugendliche, bei denen die Gründe - Trennungssituation der Eltern, Gewalt zwischen den Eltern oder Wohnungsprobleme - als Anlass für
die Vorstellung in einer Beratungsstelle angegebenen wurden, wurden
nicht in die Untersuchung mit einbezogen, da diese Gründe nicht als primäre psychische Auffälligkeiten der Kinder angesehen wurden.
Des weiteren wurden eine Suchtproblematik bei Kindern und Jugendlichen
als Grund sowie die Suchtberatungsstellen allgemein bei der Expertise
nicht mit bewertet. Dieses Vorgehen erfolgte aus den Überlegungen heraus, dass in vielen Prävalenzstudien eine Drogenabhängigkeit ebenfalls
nicht mit berücksichtigt wird und in Hamburg spezielle Versorgungsangebote außerhalb der hier betrachteten allgemeinen Versorgungsstrukturen existieren. Ein gewisser Anteil dieser Jugendlichen wird dennoch bei der
Fallzahlermittlung in der Expertise mit berücksichtigt, wenn Mehrfachnennungen bei den aufgeführten Gründen erfolgten, die zu einem Kontakt mit
einer komplementären Einrichtung geführt haben; d.h. wurden bei einem
suchtabhängigen Jugendlichen z.B. auch Verhaltensauffälligkeiten oder
dissoziales Verhalten als weiterer Kontaktgrund benannt, wurden diese Jugendlichen in die Fallzahleinschätzung mit aufgenommen.
Probleme der Datenbewertung
Grundsätzlich besteht bei den hier vorgestellten Daten das Problem, dass zu
dem Anteil der Kinder und Jugendlichen, die mehrfach in den unterschiedlichen Versorgungssystemen auftauchen bzw. bei denen mehrere Gründe zum
Aufsuchen einer Beratungsstelle führten, keine Aussagen gemacht werden
können. Durch die Auswahl von Indikatoren-Ziffern bei den KV-Daten und der
Benennung von Ausschlusskriterien bei den komplementären Angeboten wurde versucht, sich einer konservativen Einschätzung der Fallzahlen zu nähern.
Bei den komplementären Angeboten wurde dem Problem der Mehrfachnennungen bei den Angaben von Gründen dahingehend begegnet, dass der Anteil der Fallzahlen, der über 100 % lag, von der Gesamtzahl abgezogen wurde.
48
Trotzdem muss davon ausgegangen werden, dass die hier ermittelten Zahlen
immer noch eine gewisse Überschätzung der im ambulanten KV-Bereich behandelten oder in den Beratungsstellen betreuten Kinder und Jugendlichen in
Hamburg darstellen.
Nicht-Teilnahme:
Beide Sozialpädiatrischen Zentren lehnten eine Teilnahme an der Expertise
grundsätzlich ab.
49
Ergebnisse
Psychotherapeutische und psychiatrische Leistungen im KV-Abrechnungssystem
In den vier Quartalen des Jahres 2002 wurden insgesamt 73 299 psychiatrische/psychosomatische/psychotherapeutische Behandlungsfälle (EBM-Ziffern
841-882) mit 116 986 durchgeführten Behandlungen und einem Leistungsbedarf von 96 939 112 Punkten bei der KV-HH abgerechnet (Anhang K). Laut
KV-HH wurden die Ziffern des psychiatrischen Abschnitts GII von 110 Ärztinnen und Ärzten30 bei Kindern und Jugendlichen unter 19 Jahren abgerechnet;
d.h. dass zu den hier in der Expertise ermittelten 23 Kinder- und Jugendpsychiatern/innen +2 Kinderärztinnen mit Zusatztitel Psychotherapie weitere 87
Ärztinnen und Ärzte kinder- und jugendpsychiatrische Ziffern abrechneten.
Dies erklärt sich aus einer Sonderregelung für Kinderärzte/innen in Hamburg,
die danach EBM-Ziffer 847 ebenfalls abrechnen dürfen. Dies spiegelt sich
auch in der hohen Fallzahl dieser Ziffer wider (Anhang K).
Die Ziffern des psychotherapeutischen EBM-Abschnitts GIV rechneten 49
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen (KJP), 47 psychologische
Psychotherapeuten/innen (PP) und 42 Ärztinnen und Ärzte ab. Vergleicht man
diese Zahlen mit den in der Expertise ermittelten Leistungserbringern, zeigt
sich bei den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen ein Unterschied zwischen 54 in der Expertise ermittelten und letztendlich bei der KVabrechenden 49 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen. 47 psychologische Psychotherapeuten/innen rechneten die EBM-Ziffern des Abschnitts GIV ab, obwohl nach Aussage der KV-HH nur 39 eine Doppelzulassung oder beide Bezeichnungen (PP/KJP) haben. In der Expertise konnten 34
mit doppelter/n Bezeichnung/Zulassung/Abrechnungsmöglichkeiten anhand
der ausgewerteten Datenquellen ermittelt werden. Bei den Ärzten/Ärztinnen
rechneten 42 die psychotherapeutischen Ziffern bei Kindern und Jugendlichen
ab, obwohl dazu entsprechend der vorliegenden Expertise nur 23 Kinder- und
Jugendpsychiater/innen und zwei Kinderärztinnen mit Zusatztitel Psychotherapie qualifiziert sind. Daraus folgt, dass 17 Ärzte/Ärztinnen aus anderen
Fachgruppen (vermutlich Erwachsenenpsychiater/innen) diese Leistungen
ebenfalls abrechnen. Diese Annahme konnte nicht weiter differenziert werden,
30
Eine genaue Fachgruppenbezeichnung erfolgte nicht.
50
da bei der KV-Auswertung eine weiterführende Aufgliederung der Ärztinnen
und Ärzte nach Fachgruppen aufgrund edv-technischer Probleme nicht möglich war. Abbildung 1 stellt die Verteilung der Fälle nach den einzelnen EBMFachleistungen dar.
Abb.1 Behandlungsfälle GKV
Anteil nach EBM-Fachleistungen
unter 19 Jahre, KV-Hamburg, 2002
35,0%
14,0%
51,0%
Kinder- und Jugendpsychiatrie GII (841-849)
Psychosomatik GIII (850-858)
Psychotherapie GIV (860-884)
Die Hälfte der ausgewerteten Fälle beziehen sich auf den psychiatrischen
EBM-Abschnitt. Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen werden im Rahmen
der psychosomatischen Grundversorgung und 14 % im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung versorgt.
Bei der Verteilung der Leistungsbedarfe nach Punkten zeigt sich ein umgekehrtes Verhältnis. Über die Hälfte der abgerechneten Punkte fallen für den
psychotherapeutischen Bereich, mehr als ein Drittel für den psychiatrischen
und 8 % für den psychosomatischen Bereich an.
51
Abb.2 Leistungsbedarf in Punkten
Anteil nach EBM-Fachleistungen
unter 19 Jahre, KV-Hamburg, 2002
55,9%
7,9%
36,2%
Kinder- und Jugendpsychiatrie GII (841-849)
Psychosomatik GIII (850-858)
Psychotherapie GIV (860-884)
Eine weitere Differenzierung der Ergebnisse erfolgte nach Absprache mit den
Experten aus den jeweiligen Fachbereichen anhand der von uns sogenannten
Indikatoren-EBM-Ziffern, um aus der Gesamtzahl der (Quartals-)Fälle die
Anzahl der im Laufe des Jahres 2002 behandelten Kinder und Jugendlichen
zu schätzen.
Bei den psychiatrischen Ziffern31 wurde die Ziffer 841 als Indikatorziffer im
Rahmen des Diskussionsprozesses ausgewählt. Sie beinhaltet die psychiatrische Statuserhebung bei einem Kind/Jugendlichen. Daneben darf die Ziffer
EBM 990 (Erhebung der biographischen Anamnese zur Psychopathologie
eines Kindes oder Jugendlichen) nicht gleichzeitig abgerechnet werden. Bei
den psychosomatischen Ziffern wird die Ziffer 851 als Indikatorziffer angesehen. Sie beschreibt die verbale Intervention bei einem Kind oder Jugendlichen
wegen psychosomatischer Krankheitszustände. Weitere Ziffern aus dem psychosomatischen Gebiet dürfen daneben nicht abgerechnet werden. Im psychotherapeutischen Bereich ist die Ziffer 870 (incl. Ziffer 870 B32) als Indikator
31
EBM 841-849
EBM-Ziffer 870 beinhaltet im Weiteren auch die Fallzahlen der Ziffer 870 B, deren Leistung
für Bezugspersonen erbracht wurde.
32
52
ausgewählt worden, da über sie die probatorische Sitzung als Voraussetzung
für eine psychotherapeutische Behandlung abgerechnet wird.
Insgesamt wurden über diese drei Ziffern 24 381 Fälle im Jahr 2002 abgerechnet. Um die Quartalsüberschneidungen bei ein- und demselben Kind herausnehmen zu können, wurden bei den weiteren Überlegungen die Annahmen der befragten Experten/innen zu diesem Problem übernommen. Für die
psychosomatische Ziffer 851 gilt die Annahme, dass die Behandlung eines
Kindes durchschnittlich zwei Quartale dauert. Bei der psychotherapeutischen
Ziffer 870 wird davon ausgegangen, dass bei 10 % der Kinder und Jugendlichen, bei denen probatorische Sitzungen durchgeführt werden, kein darüber
hinaus gehender psychotherapeutischer Behandlungsbedarf besteht. Die Fallzahl der psychiatrischen Indikatorziffer ist nach Angabe der Experten eins zu
eins zu übernehmen. Tabelle 1 stellt die Auswertungsergebnisse für die einzelnen Ziffern mit ihren Inhalten, Annahmen und sich daraus ergebenden Berechnungsszenarien dar.
53
Tab. 1 Abschätzung der Behandlungen von Kindern und Jugendlichen, 2002
Sonderauswertung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg
EBM-Inhalt
Fallzahlen
2002
Annahmen
Berechnungsszenario
Versorgungssituation
EBM-Ziffern
Psychiatrische
Ziffern
Abgerechnet von :
Kinder- und Jugendpsychiatern
841
Erhebung des vollständigen psychiatrischen Status bei einem Kind und
Jugendlichen, ggf. auch unter mehrfacher Einschaltung der Bezugsund/oder Kontaktperson(en) und
Berücksichtigung der entwicklungspsychologischen Gesichtspunkte,
einschl. schriftlicher ärztlicher Aufzeichnungen, ggf. einschl. Beratung
und Erhebung ergänzender neurologischer Befunde ggf. in mehreren
Sitzungen einmal im Behandlungsfall.... Die Leistung nach N841 ist
nicht neben den Leistungen nach den
Nrn. 60, 800, 801, 820, 821, 850,
860, 861 und 990 berechnungsfähig.
Psychosomatische
Ziffern
Abgerechnet überwiegend von:
Pädiatern
851
Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen
unter systematischer Nutzung der
Arzt-Patienten-Interaktion, je Sitzung
(Dauer mindestens 15 Minuten) ...
Neben der Leistung nach Nr. 851
sind die Leistungen nach den Nrn.
850 und 855 bis 858 nicht berechnungsfähig.
9197
9197
12422
Die Kinder werden
12422/2=6211
durchschnittlich über Berücksichtigte
zwei Quartale behan- Kinder 6211
delt.
Quelle: Befragung
niedergelassener
Kinderärzte
6211
2762
Nicht jede probatorische Sitzung führt zu
einer Psychotherapie.
Nach Abstimmung mit
Experten wird dieser
Anteil, der nicht in
Behandlung kommt
auf 10% geschätzt.
10% ~ 276 Kinder
Berücksichtigte Kinder 2486
Quelle: Befragung
Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeuten
2486
Psychotherapeutische Ziffern
Abgerechnet von:
Ärztlichen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
870
Probatorsche Sitzung, Dauer mindestens 50 Minuten, ggf. Unterteilung in
2 Einheiten von jeweils mindestens
25 Minuten Dauer ...
Summe
Gesamt
Näherungswert abzüglich der psychosomatischen Ziffer
851
24381
Psychiatrische/psychotherapeutische BehandlungsFälle 2002 ohne psychosomatische Ziffer
17 894
11 683
54
Legt man die Ergebnisse der Berechnungsszenarien, einschließlich der Einschränkungen durch die Experten/innen, den weiteren Überlegungen zugrunde, werden rund 18 000 Kinder und Jugendliche in Hamburg 2002 wegen einer psychischen/psychosomatischen Erkrankung/Störung im ambulanten KVSektor behandelt. Um sich der engen Prävalenzbeschreibung von 8 % psychisch behandlungsbedürftiger Kinder und Jugendlicher in der Bevölkerung
entsprechend der Literaturrecherche weiter zu nähern, werden bei der folgenden Betrachtung die Kinder und Jugendlichen mit einer psychosomatischen
Behandlung für die Beschreibung der psychotherapeutischen Versorgungssituation herausgenommen, da die Ziffer 851 keine psychiatrische/ psychotherapeutischen Behandlungsnotwendigkeit im engeren Sinne beinhaltet. Daraus
folgt, dass 2002 - konservativ eingeschätzt - etwa 12 000 Kinder und Jugendliche sich in einer psychotherapeutischen/psychiatrischen Behandlung (Falldefinition: Gruppe A) in Hamburg befanden.
Geht man jedoch von einer Prävalenz von 8 % psychisch behandlungsbedürftiger Störungen in dieser Bevölkerungsgruppe aus, wie dies in wissenschaftlichen Studien beschrieben wird, müssten ca. 22 000 Kinder und Jugendliche in
Hamburg behandelt werden; d.h. rund 10 000 Kinder und Jugendliche waren
2002 ebenfalls behandlungsbedürftig, tauchen aber nicht im KV-abgerechneten Behandlungssystem wegen einer psychischen Störung auf.
Tab. 2 Kinder und Jugendlichen mit psychischen Störungen
Expertise Psychotherapeutenkammer Hamburg, 2002
Konservative Prävalenzeinschätzung:
Es ist von einem Anteil von 8% behandlungsbedürftiger, psychischer Erkrankungen bei Kindern
und Jugendlichen auszugehen (vgl.: Teil 1 der Expertise, S.10).
Versorgungsbedarf/ Prävalenz
Bevölkerung HH < 19 J.: 274 902
davon: 8 % behandlungsbedürftig
Versorgungssituation/ Expertise
In psychiatrischer/psychotherapeutischer
Behandlung (EBM-Ziffer 841/ 870)
Falldefinition: Gruppe A
21 992
11 683 = 53 %
Davon in psychotherapeutischer Behandlung:
21 %
Bei diesen Überlegungen bleiben die behandelten Kinder und Jugendlichen in
den drei Ambulanzen der Kinder- und Jugendpsychiatrischen und -psycho55
therapeutischen Abteilungen des Universitätsklinikums Eppendorf, des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift und der Psychosomatik der Kinderklinik des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) ebenso unberücksichtigt wie
die 371 stationär behandelten Kinder und Jugendlichen33 (vgl Anlage L). Ebenfalls unberücksichtigt bleibt der Umfang der psychologischen Betreuung
der beiden Sozialpädiatrischen Zentren, Werner Otto-Institut und FlemigInstitut.
Um einen Überblick über die Größenordnung des ambulanten Versorgungsumfangs dieser Einrichtungen zu erhalten, wurde in der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Abteilung des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift, der größeren der beiden kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen
in Hamburg, telefonisch eine Einschätzung der ambulanten Fallzahlen abgefragt. Danach werden im Wilhelmstift ca. 900 Kinder und Jugendliche pro Jahr
zur diagnostischen Abklärung einer psychischen Auffälligkeit vorgestellt. Etwa
30 % dieser Kinder werden im Anschluss daran im Wilhelmstift ambulant weiterbehandelt. Die kinder- und jugendpsychiatrische Abteilung des UKE ist von
der stationären Bettenzahl her mehr als ein Drittel kleiner als die des Wilhelmstifts. Dementsprechend werden dort auch stationär weniger Kinder und Jugendliche behandelt (Anhang L). Überträgt man dies Überlegungen analog auf
die ambulanten Fallzahlen des UKE, ist von einer Zahl um die 600 Kinder und
Jugendliche auszugehen, die dort ambulant zur Abklärung vorgestellt werden.
Auch hier wird nur ein bestimmter Anteil dieser Kinder im Anschluss an eine
Diagnostik weiterhin ambulant betreut. Der Versorgungsaufwand der Psychosomatischen Kinderabteilung des UKE sowie der beiden sozialpädiatrischen
Zentren ist von den ambulanten Fallzahlen in bezug auf die Fragestellung der
Expertise deutlich geringer einzuschätzen als der der beiden kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen.
Geht man nun von einer Zahl von ca. 1600 - 1800 abklärungsbedürftigen Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten (Falldefinition: Gruppe
B), die in den hier betrachteten fünf Einrichtungen ambulant vorgestellt wer-
33
Es wird davon ausgegangen, dass diese Kinder und Jugendlichen vor ihrer Behandlung in
einer der psychiatrischen Ambulanzen und insbesondere vor einer stationären Aufnahme bereits als Fälle bei Kinderärzten und/oder Kinder-und Jugendpsychiatern gezählt wurden. Selbst
wenn dieses für einen gewissen Anteil dieser Fälle nicht zutreffen sollte, fielen die Absolutzahlen kaum ins Gewicht.
56
den, und von etwa 30 % dieser Kinder und Jugendlichen (ca. 450 - 600) aus,
die weiterhin ambulant in Behandlung bleiben (Falldefinition: Gruppe A), ändert sich auch unter Einbeziehung dieser Fallzahlen die generelle Aussage
nicht, dass eine Unterversorgung im ambulanten psychotherapeutischen/ psychiatrischen Bereich bei Kindern und Jugendlichen in Hamburg besteht.
57
Betreuungsumfang der Komplementären Angebote
Als komplementäre Einrichtung werden die Beratungsstellen und Einrichtungen in der Expertise bezeichnet, die in einem weiteren Sinne an der Versorgung psychisch auffälliger Kinder und Jugendlichen (Falldefinition: Gruppe B)
beteiligt sind. Diese wurden bereits im ersten Teil der Expertise mit ihren unterschiedlichen Aufgabenfeldern und Trägern vorgestellt.
Zunächst wird in der weiteren Betrachtung ihrer regionale Verteilung unter der
Annahme untersucht, dass sie sich gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilen.
Abb. 3 Regionale Verteilung der
befragten komplementären
Einrichtungen im Kinder- und
Jugendbereich Hamburg
Freie Träger
Kirchliche Erziehungsberatung (2)
Kinderschutzzentren (2)
Die Brücke/Esstörungen (1)
Beratungsstelle gegen sexuellen
Missbrauch (5)
Wandsbek
Eimsbüttel
Frühförderung (4)
Nord
Staatliche Träger
Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS 16)
Altona
Beratungsstelle Gewaltprävention (1)
Mitte
Beratungsstelle Beson.Begabung (1)
Kommunale Erziehungsberatung (16)
Kinder- und Jugendnotdienst (1)
Kinder und Jugendliche im Bezirk
12% -14 %
Harburg
Bergedorf
Beratungszentrum sehen,
hören,y bewegen (1)
Jugendpsychiatrische
Dienste (7)
15% -17 %
19% -´20 %
Abbildung 3 zeigt jedoch, dass sich diese Annahme nicht bestätigt, vielmehr
zeichnet sich ein zu den GKV-Angeboten vergleichbares Bild (vgl. Abb. 4) in
den Bezirken ab. Obwohl sich die Angebote in staatlicher Trägerschaft aus
ihrem Auftrag heraus an der Aufteilung Hamburgs in 7 Bezirke orientieren,
lässt sich trotzdem eine Konzentrierung der darüber hinaus bestehenden An58
gebote auf die nördlich der Elbe gelegenen, innerstädtischen Stadtteile Hamburgs erkennen. Von einem Ausgleich der schwierigen psychotherapeutischen/psychiatrischen Versorgungssituation vor allen in den kinderreicheren
Bezirken Harburg und Bergedorf kann daher nicht ausgegangen werden. Allein in diesen beiden Bezirken leben bei einer Prävalenzeinschätzung von 8 %
psychisch behandlungsbedürftiger Störungen ein Viertel der behandlungsbedürftigen Kinder und Jugendlichen (n=4950)
Bei der weiteren Auswertung der Befragungsergebnisse zu den einzelnen
komplementären Einrichtungen ist ein vergleichbares Vorgehen wie beim ambulanten GKV-Bereich gewählt worden. Tabelle 3 gibt einen Überblick über
die erhobenen Fallzahlen der jeweiligen Einrichtungen, die Annahmen und die
daraus abgeleiteten Berechnungsszenarien sowie die Quellen, aus denen die
Fallzahlen ermittelt wurden. Danach werden insgesamt 18 770 Kinder und
Jugendliche in die Expertise mit einbezogen, da bei ihnen von einer psychosozialen Betreuung oder therapeutischen Hilfestellung wegen einer psychischen Auffälligkeit ausgegangen werden kann. Dies entspricht in etwa zwei
Dritteln der für den KV-Bereich insgesamt ermittelten Zahlen von insgesamt
24 381 Fällen (EBM-Ziffern 841/851/870).
Tab. 3 Abschätzung der Betreuung von Kindern und Jugendlichen
in komplementären Einrichtungen 2002,
Expertise, Psychotherapeutenkammer Hamburg
Einrichtung
Fallzahlen
2002
Regionale Beratungs- und
Unterstützungsstellen (REBUS
N=16)
Quelle: Drucksache 17/2989 v.
29.07. 03
1895
Beratungsstelle Gewaltprävention (N=1)
Quelle: Tätigkeitsbericht 2002
Beratungsstelle besondere
2
Begabung (N=1)
Quelle: Drucksache 16/5993 v.
08.01.01 Förderung von Kindern
und Jugendlichen mit besonderen Begabungen
Annahmen
Angaben von Gründen:
121 % wg. Mehrfachmeldungen
davon:
1
26,5% Verhaltensauffälligkeit
13% psychische Probleme
9% Gewaltprobleme
3% Suchtprobleme
36% Schulversäumnisse
14 % Schullaufbahnberatung
3 % außerunterrichtliche Hilfe
17 % Sonstiges
209
482
Berechnungsszenario
Versorgungssituation
Kursiv= 48,5%
48% der Kinder (919)
- 21% Mehrfachmeldungen
(193)
Berücksichtigte Kinder 726
726
209
Diese Kinder und Jugendlichen
wurden bei dem Szenario Versorgungsbedarf nicht berücksichtigt,
da Sonderbegabung nicht als
psychische Auffälligkeit anzusehen ist.
59
Kommunale Erziehungsberatungsstellen (N=16)
Quelle: Profil der kommunalen
Erziehungsberatungsstellen
August 2003
Statistisches Landesamt Hamburg: Jugendhilfe 2001
4368
3
Kinder- und Jugendnotdienst
(N=1)
Quelle: Tätigkeitsbericht Statistischer Bericht (ambulante
Hilfen) 2003
Kinder- und Jugendpsychiatri4
scher Dienst (N=7)
Quelle: Drucksache 17/2986 v.
29.07.03 Psychiatrische Versorgung in Hamburg
Interne Angaben Bezirksamt
Eimsbüttel
Beratungszentrum se5
hen/hören/bewegen
Quelle: Interne Angaben des
Beratungszentrums
Michael Balint Institut
Quelle. Jahresstatistik 2002
WOI
6335
Kursiv = 82,7%
83% der Kinder (3625) –
60% Mehrfachmeldungen
( 2175)
Berücksichtigte Kinder
1450
1450
Fallzahlen nicht berücksichtigt, da
die weitere Betreuung dieser
Kinder und Jugendlichen von
anderen Versorgungsstrukturen
regelhaft übernommen wird.
3305
3305
191
191
125
125
Keine Angaben
Flehmig-Institut
Keine Angaben
Nicht staatliche Erziehungsberatung
Ev. Erziehungsberatungsstelle
Hauptstelle (N=1)
Quelle: Jahresbericht 2002
193
Kath. Erziehungsberatungsstelle
Caritas HH (N=1)
Quelle. Interne Angaben der
Beratungsstelle
Angabe von Gründen:
160 % wg. Mehrfachmeldung
davon:
30,3% Entwicklungsauffälligkeiten
48,4% Beziehungsprobleme
1,4% Straftaten des Jugendlichen
1,2% Anzeichen für Kindesmisshandlung
1,4% Anzeichen für sexuellen
Missbrauch
4,7% Suchtprobleme
22,3% Schul-/Ausbildungsprobleme
27,9% Trennung der Eltern
2% Wohnungsprobleme
20,4 % sonstige Probleme
224
Angaben von Gründen:
151,3 % wg. Mehrfachmeldung
davon:
63,7% Beziehungsprobleme
32,1% Entwicklungsauffälligkeiten
24,4% Schul-/Ausbildungsprobleme
24,4% Trennung der Eltern
3,6% Suchtprobleme
0,52% Wohnungsprobleme
2,6 % sonstige Probleme
Kursiv= 95,8%
96% der Kinder (185 ) 51% Mehrfachmeldungen
(95)
Berücksichtigte Kinder 90
Es liegen keine Angaben zu
Gründen vor.
Annahme: Vergleichbares Szenario wie Ev. Beratungsstelle
Kursiv = 95,8%
96% der Kinder (215) 51% Mehrfachmeldungen
(110)
Berücksichtigte Kinder 105
90
105
Kinderschutzzentrum
60
HH-Emilienstrasse
Quelle: Jahresbericht 2002
192
Angaben von Gründen:
Keine Angaben zu Mehrfachmeldungen
40 % SexuelleGewalt
20% Kindesmisshandlung
10% Kindesvernachlässigung
12 % schwere Konflikte/Gewalt
zwischen den Eltern
18 sonstige Probleme
213
Angaben von Gründen:
Kursiv= 97%
Keine Angaben zu Mehrfachmel- 97% der Kinder (207)
dungen
Berücksichtigte Kinder 207
46,5% Kindesvernachlässigung
28,6 % Sexueller Missbrauch
22,1% Kindesmisshandlung
2,8 sonstige Probleme
Harburg
Quelle: Jahresbericht 2002
Heilpädagogische /u. Frühförderstellen
Institut für ambulante Heilpädagogik und Psychotherapie
Quelle: Interne Angaben des
Instituts
Andere Frühförderstellen
97
Neu beantragte Therapien bzw.
beantragte Weiterführung von
Therapien in 2002
Kursiv = 70%
70% der Kinder (134)
Berücksichtigte Kinder 134
134
207
53
53
Keine Angaben
Essstörungen
7
Die Brücke e.V.
Quelle: Jahesstatistik 2003
13
Hamburger Zentrum für Essstörungen e.V.
13
Zur Zeit nur telefonische Beratung
Sexueller Missbrauch
8
303
Bei 27% der Klienten/-innen fand 27% ~ 82
eine Weitervermittlung/-betreuung Berücksichtigte Kinder 82
nach der Kontaktaufnahme statt.
82
144
Bei 30% der Klienten/-innen
fanden mehr als 4 Gespräche
statt.
43
Dolle Deerns
Quelle: Interne Angaben der
Beratungsstelle
55
Keine weiteren Angaben
30% ~ 17
Annahme: ca. 30 % der Klienten/- Berücksichtigte Kinder 17
innen sind zu berücksichtigen.
17
Dunkelziffer
Quelle: Interne Angaben der
Beratungsstelle
275
Keine weiteren Angaben
30% ~ 83
Annahme: ca. 30 % der Klienten/- Berücksichtigte Kinder 83
innen sind zu berücksichtigen.
83
Zornrot e.V.
Quelle: Interne Angaben der
Beratungsstelle
151
Keine weiteren Angaben
30% ~ 45
Annahme: ca. 30 % der Klienten/- Berücksichtigte Kinder 45
innen sind zu berücksichtigen.
45
Allerleirauh e.V.
Quelle: Sachbericht 2002
8
Zündfunke e.V.
Quelle: Sachbericht 2002
9
Opferhilfe e.V.
Summe
Gesamt
Näherungswert
30% ~ 43
Berücksichtigte Kinder 43
Keine Betreuung von Kindern und
Jugendlichen unter 19 Jahren
18770
6878
1. Kursiv: Wurde als psychisch auffällig
bewertet und für das Berechnungsszenario
benutzt.
2. Fallzahlen von 2000
3. Fallzahlen 2003
4. Für Bezirk Wandsbek geschätzt, da
keine Angaben vorlagen
5. Nur Angaben zu erbrachten psychologische Leistungen, Fallzahlen 2003
6. Fallzahlen 2003
7. Kinder und Jungerwachsene bis 21
Jahre, Fallzahlen 2003
8. Fallzahlen 2003
9. Fallzahlen bis 19 Jahre
61
Auch für den komplementären Bereich wurden Annahmen für die Berechnungsszenarien zugrunde gelegt, um eine realistische Einschätzung des Versorgungsaufwands von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten (Falldefinition: Gruppe B) zu erzielen.
Zählt man von den insgesamt festgestellten 18 770 Kindern und Jugendlichen
nur diejenigen, die wegen einer psychischen Auffälligkeit und unter Berücksichtigung der Annahmen in der Expertise zumindest diagnostisch abgeklärt
werden müssten, werden im Beobachtungszeitraum ca. 7000 Kinder und Jugendliche (Falldefinition: Gruppe B) in den befragten komplementären Einrichtungen betreut. Dies wäre ein Anteil von ca. 37 % der insgesamt ermittelten 18 770 Kinder und Jugendlichen.
Grundsätzlich finden im komplementären Bereich keine Krankenbehandlungen im Sinne des SGB V statt und werden deshalb von den Kassen nicht erstattet. Im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG, SGB VIII)
und der Aufgaben der schulischen Förderung sowie der kinder- und jugendpsychiatrischen Dienste bestehen in den entsprechenden Einrichtungen in
einem gewissen Umfang auch diagnostische und therapeutische Angebote,
die durch den Staat auf der Grundlage hoheitlicher Aufgaben und des Subsidiaritätsprinzips finanziert werden.
Will man die ermittelten Fallzahlannährungen für den Bereich der komplementären Einrichtungen mit Prävalenzeinschätzungen bei Kindern und Jugendlichen vergleichen, ist der Prävalenzbegriff zu differenzieren. Die konservative
Prävalenz behandlungsbedürftiger psychischer Störungen von 8 % bei Kindern und Jugendlichen, die der Falldefinition der Gruppe A zugrunde gelegt
wurde, ist hier zu eng gefasst. Nicht alle der 7000 aufgrund ihrer psychischen
Auffälligkeit ermittelten Kinder und Jugendlichen aus dem komplementären
Bereich sind zwangsläufig als behandlungsbedürftig einzustufen.
Daher wird in den nachfolgenden Überlegungen die in der Literatur beschriebene Prävalenz von 18 % abklärungsbedürftiger, psychischer Auffälligkeiten
im Kinder- und Jugendlichenbereich zugrunde gelegt. Danach weisen fast 50
000 Kinder und Jugendliche in Hamburg eine abklärungsbedürftige, psychische Auffälligkeit (Falldefinition: Gruppe B) auf. Knapp die Hälfte, 8 %, sind
62
auch behandlungsbedürftig (Falldefinition: Gruppe A). Betrachtet man die ermittelten Fallzahlen aus dem KV - und komplementären Bereich zusammen,
finden sich jedoch nur etwa die Hälfte dieser 50 000 Hamburger Kinder und
Jugendlichen in den beiden Versorgungssystemen wieder.
Tab. 4 Kinder und Jugendliche mit abklärungsbedürftigen,
psychischen Auffälligkeiten 2002
Expertise Psychotherapeutenkammer Hamburg
Prävalenzeinschätzung:
18% abklärungsbedürftige psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen (vgl.: Teil 1
der Expertise, S.10)
Versorgungsbedarf/ Prävalenz
Bevölkerung HH < 19 J.: 274 902
davon: 18 % abklärungsbedürftig
Versorgungssituation/ Expertise
GKV-finanzierten Sektor Komplementäre Einrichtungen
(EBM 841/870)
Falldefinition: Gruppe B
Falldefinition: Gruppe A +
Psychosomatischer EBMZiffer 851
17 894
49 482
6878
24 772 = 50 %
Bei der Diskussion mit Experten/innen aus den ambulanten Versorgungsbereichen, die während der Durchführung der Expertise parallel stattfand, wurde
darauf hingewiesen, dass ein großer Anteil von auffälligen Kindern und Jugendlichen in weiteren ergänzenden Angeboten mehr oder weniger indikationsbezogen behandelt würden. Vor allem Ergotherapeutische Praxen wären
in dieser ergänzenden Behandlungsform stark involviert. Es wurde geschätzt,
dass dort jährlich bis zu 30 000 Fälle - auch hier ist zu klären, wie viele Kinder
sich dahinter verbergen - betreut würden. Hauptüberweiser wären Kinderärzte/ärztinnen, die dies auch zum Teil aus der Not heraus täten, da zuwenig
psychotherapeutische/psychiatrische Versorgungsangebote zur Verfügung
ständen. Dieser zusätzliche Aspekt zur psychotherapeutischen Versorgungslage in Hamburg ist innerhalb der weiterzuführenden Diskussion sicher auch
unter dem Gesichtspunkt einer adäquaten und qualitätsgesicherten Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten in Hamburg weiter zu verfolgen.
63
Psychotherapeutische und psychiatrische Versorgungsdichte in HH
Ergänzend zur Analyse der ambulanten GKV-finanzierten Versorgungssituation im ersten Teil der Expertise wird hier noch einmal differenzierter auf die
psychotherapeutische Versorgungsdichte in Hamburg eingegangen. Dies erfolgt zur Klärung der Fragestellung, wie viele KV-abrechnungsberechtigte
Leistungserbringer sich an der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen letztendlich in Hamburg beteiligen. Diese Frage stellte
sich aufgrund der Differenzen, die sich aus den drei ausgewerteten Quellen im
ersten Teil und der Einschätzung der Experten/innen in der Diskussion ergaben. In Zusammenarbeit mit Vertretern/innen der einzelnen Fachgruppen
wurden die Ergebnisse zur Anzahl der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen und Kinder- und Jugendpsychiatern/innen überprüft. Aufgrund
dieser ergänzenden Analyse der einzelnen Leistungserbringergruppen wird im
weiteren von
•
88 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen - davon 34 psychologische Psychotherapeuten/innen
•
23 Kinder- und Jugendpsychiater/ innen und -psychotherapeuten/innen
•
2 Kinderärztinnen mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie
ausgegangen, die die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung
von Kindern und Jugendlichen in Hamburg übernehmen und im Kinder- und
Jugendbereich von der KV zugelassen oder abrechnungsberechtigt sind.
Bereits die Übersichtsgrafik zur regionalen Verteilung von psychotherapeutischen Angeboten im ersten Teil der Expertise zeigte deutliche Unterschiede
zwischen der psychotherapeutischen Versorgungssituation in den einzelnen
Bezirken. Diese werden nur eingeschränkt durch die staatlichen oder in freier
Trägerschaft befindlichen komplementären Einrichtungen ausgeglichen (vgl.
Abb.3).
64
Abb. 4 Regionale Verteilung der
psychotherapeutischen
Versorgungsangebote für Kinder
und Jugendliche in Hamburg
Ambulanz/stationäre
Angebote, Sozialpädiatrische
Zentren, Balint-Institut (5)
Wandsbek
Eimsbüttel
Kinder-u. Jugendlichen
Psychotherapie (88)
(Kinder- u. JugendlichenP/PP)
Nord
Ärztliche Psychotherapie (25)
(Kinder- u. Jugendpsychiater,
Pädiater)
Altona
Mitte
Kinder und Jugendliche im Bezirk
12% -14 %
15% -17 %
Harburg
19% -´20 %
Bergedorf
Quellen:
Bevölkerungsstatistik 31.12.2002, STALA HH
Internet KV-Hamburg Stand 2003
BUG-Therapieführer 2002
Handbuch d. Gesundheitswesen HH 2002
Psychotherapeutenkammer Hamburg
Mai 2004
Betrachtet man die regionale Versorgungsdichte, zählen vor allem die innerstädtischen Bezirke Eimsbüttel und HH-Nord zu den besser versorgten Gebieten, während die Randgebiete Hamburgs, dort insbesondere die kinderreicheren Bezirke südlich der Elbe, eine geringere Versorgungsdichte aufweisen. Im
Gesamtgebiet Hamburg versorgen 41 Psychotherapeuten/innen und Psychiater/innen 100 000 Kinder und Jugendliche. Wenn man die Versorgungsdichte
nach Leistungserbringergruppen betrachtet, sinkt die Versorgungsdichte bei
den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen auf 32 pro 100 000
Kinder und Jugendliche in Hamburg, in Bergedorf und Harburg sogar unter 20
pro 100 Tsd. Kinder.
Diese Ergebnisse zeigen, dass im Vergleich zur Versorgungsdichte bei Erwachsen mit psychisch behandlungsbedürftigen Störungen Kinder und Jugendliche in Hamburg auch unter der Annahme, dass die Grundlagen der KVBedarfsplanung der Prävalenz psychischer Störungen gerecht würde, was sie
65
aber de facto nicht tut (vgl. Teil 1, S.6), schlechter versorgt sind. Ausnahmen
zeigen sich in den Bezirken Eimsbüttel und HH-Nord. Dort dürfte der Bedarf
gedeckt sein, vorausgesetzt die hier niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen behandeln nur Kinder und Jugendliche aus
diesen beiden Bezirken, was sie vermutlich jedoch nicht tun, weil die Versorgung schon in den Nachbarbezirken deutlich schlechter ist.
Dass Kinder und Jugendliche aus weiter entfernten Bezirken wie Bergedorf
darüber hinaus Angebote in Eimsbüttel oder HH-Nord wahrnehmen würden,
davon kann entsprechend der Angaben der befragten Experten/innen nicht
ausgegangen werden. Deswegen muss von einer tatsächlichen deutlichen
regionalen Unterversorgung bei Kindern und Jugendlichen auch unter KVbedarfsplanerischen Aspekten ausgegangen werden.
Abb. 5 Psychotherapeutendichte nach Bezirken
Hamburg gesamt: Kinder+Jugendl.
Hamburg gesamt: Erwachsene
Wandsbek
HH-Nord
HH-Mitte
Harburg
Eimsbüttel
Bergedorf
Altona
0
0,00
20
2,00
40
4,00
60
6,00
80
8,00
100
10,00
Anzahl der Behandler pro 100 000 Kinder und Jugendliche
unter 19 Jahren
Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeuten
(N=88) bzw. für Erwachsene (N=576)
Kinder- und Jugendlichen Psychiater (N=25)
bzw. für Erwachsene (N=310)
66
Abschließende Überlegungen
Die Expertise wurde von der Psychotherapeutenkammer Hamburg zur Darstellung der Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten und Erkrankungen in Hamburg in Auftrag gegeben. Neben dem erfolgten Aufwand psychotherapeutischer Leistungen im KV-Abrechnungssystem sollte auch der Versorgungsumfang beschrieben werden, den
der komplementäre Bereich - mit Beratungsstellen und sonstigen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten - leistet.
In einem ersten Schritt der Expertise erfolgte eine Einschätzung der Prävalenz
psychischer Auffälligkeiten (Falldefinition: Gruppe B) und behandlungsbedürftiger Störungen (Falldefinition: Gruppe A) bei Kindern und Jugendlichen anhand einer Literaturrecherche. Die Ergebnisse zeigen zwei unterschiedliche
Ausgangspunkte. Eine Prävalenz von 8 % wird für behandlungsbedürftige
psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen (Falldefinition: Gruppe
Gruppe A) übereinstimmend in den vorliegenden wissenschaftlichen Studien
gefunden. 18 % der Kinder und Jugendliche weisen psychische Auffälligkeiten
auf (Falldefinition: Gruppe B), die aber nicht zwangsläufig eine psychotherapeutische Behandlung als Konsequenz nach sich ziehen, in jedem Fall aber
abklärungsbedürftig sind.
In einem nächsten Schritt wurden die KV-abrechnungsberechtigten Psychotherapeuten/innen und Psychiater/innen im Kinder- und Jugendbereich aus
unterschiedlichen Quellen ermittelt, um die vorhandene Versorgungsstruktur
in Hamburg darzustellen - was sich als ein zeitraubendes und nicht ganz einfaches Unterfangen herausstellte. Insgesamt sind aus den ausgewerteten
Quellen34 88 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen und psychologische Psychotherapeuten/innen mit Abrechnungsmöglichkeiten oder KVZulassung im Kinder und Jugendbereich sowie 25 ärztliche Psychotherapeuten/innen und Psychiater/innen identifiziert worden. Mit einer Anzahl von 41
Therapeuten/innen pro 100 000 Kinder und Jugendlichen liegt die Versorgungsdichte hier deutlich unter der im Erwachsenenbereich.
34
KV-Hamburg, Handbuch für das Gesundheitswesen Hamburg, Interne Angaben der Psychotherapeutenkammer, Expertenbefragung
67
Die regionale Verteilung der Versorgungsangebote in den Bezirken stellt sich
sehr unterschiedlich dar. Die größte Dichte weisen innerstädtische Gebiete
wie Eimsbüttel und HH-Nord auf mit über 80 Leistungserbringern pro 100 Tsd.
Kinder und Jugendliche. Aus Sicht der Versorgungsplanung zeigt sich hier die
Schwierigkeit, planerische Kategorien wie Fehl-, Unter- und Überversorgung
im Gesundheitsbereich anzuwenden. Obwohl für das Gesamtgebiet Hamburgs und vor allem für die südlichen Bezirke von einer deutlichen Unterversorgung auszugehen ist, zeichnet sich gleichzeitig eine Fehlversorgung in den
kinderärmeren nördlich der Elbe gelegenen Bezirken wie Eimsbüttel und HHNord ab.
In der Expertise wurden keine weiteren Angaben zu therapeutischen Verfahren, Arbeitszeit oder sonstigen zusätzlichen Qualifikationen der psychotherapeutischen Leistungserbringer erhoben, da der dazu notwendige Aufwand den
Rahmen der Untersuchung überschritten hätte.
Zur weiteren Bestimmung des Versorgungsbedarfes erfolgte eine Auswertung
der KV-Leistungsdaten für das Jahr 2002. Unter Voraussetzung von Annahmen, die mit Vertreter/innen der einzelnen Fachgruppen abgestimmt worden
waren, wurde die Zahl von rund 12 000 Kinder und Jugendliche ermittelt, bei
denen 2002 eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung (Falldefinition: Gruppe A) abgerechnet wurde.
Diese Ergebnisse entsprechen den Angaben der einzelnen Fachgruppenexperten/innen, die während der Expertisenerstellung in die Ergebnisdiskussion
einbezogen wurden. Für den kinder- und jugendlichenpsychotherapeutischen
Bereich wird von ihnen angegeben, dass ungefähr 30 Kinder pro Jahr und
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/in behandelt werden. Im kinderund jugendpsychiatrischen Bereich werden ungefähr 480 Kinder und Jugendliche pro Jahr und Leistungserbringer versorgt. Bei 88 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen und 25 Kinder- und Jugendpsychiatern/innen in
Hamburg würde dies ungefähr 13 000 Fälle pro Jahr bedeuten. Vorausgesetzt
wird bei dieser Überschlagsrechnung, dass alle Therapeuten/innen eine volle
Zeitauslastung aufweisen35. Dies entspricht nicht der Realität, vielmehr lassen
35
Bei der Betrachtung der Zahlen sei für „Fachunkundige“ darauf hingewiesen, dass sich die
Arbeit eines Psychotherapeuten/in von der eines Psychiaters/in grundlegend unterscheidet und
68
die allgemeinen Angaben der KV darauf schließen, dass auch Leistungserbringer aus anderen Fachgruppen (nicht psychotherapeutischen Fachgruppen,
z.B. Kinderärzte/innen, Hausärzte/ärztinnen oder Therapeuten/innen aus dem
Erwachsenenbereich) sich in einem gewissen Umfang an der Versorgung von
Kindern und Jugendlichen in Hamburg beteiligen. Da eine Auswertung der
erbrachten KV-Daten nach Fachgruppen nicht möglich war, konnte dieser
Fragestellung nicht weiter nachgegangen werden
Vergleicht man die Ergebnisse der KV-Auswertung mit der Anzahl der angenommen rund 20 000 Kinder und Jugendlichen unter 19 Jahren in Hamburg,
die aufgrund der wissenschaftlich belegten Prävalenz von 8 % behandlungsbedürftiger psychischer Störungen im Kinder- und Jugendbereich behandelt
werden müssten, zeigt sich, dass nur etwa die Hälfte der Hamburger Kinder
und Jugendlichen adäquat behandelt werden. Dabei ist die Anzahl der behandlungsbedürftigen Jugendlichen zwischen 18 und 20 Jahren (n=32 009)36,
die auch von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen und Kinderund Jugendpsychiater/innen zu einem gewissen Anteil mit versorgt werden,
noch nicht in diese Überlegungen mit einbezogen. Auch unter Berücksichtung,
dass die ambulanten Versorgungszahlen der entsprechenden 3 klinischen
Abteilungen aufgrund des anderen Abrechnungsmodus nicht durch die KVDaten erfasst werden, muss von einer deutlichen Unterversorgung in Hamburg von Kindern und Jugendlichen mit behandlungsbedürftigen, psychischen
Störungen (Falldefinition: Gruppe A) ausgegangen werden.
Ein wichtiger Ansatzpunkt, um das Geschehen zwischen den Fachgruppen für
eine effizientere Versorgungsplanung besser darstellen zu können, wäre eine
Erleichterung des Zugangs zum KV-Datenpool für weiterführende regelhafte
Planungsvorhaben. Möglichkeiten dazu eröffnen sich durch die Ausweitung
des Datentransfers zwischen den KVen und GKVen, die das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (§ 297 SGB V) ab Sommer 2004 vorsieht. Es ist anzuregen, dass diese Ausweitung eines regelhaften Datentransfers auch auf Inter-
sich aus den Inhalten der Arbeit die Unterschiede bei den Fallzahlen ergeben - zum Vergleich
eine gutgehende hausärztliche Praxis hat ca. 3000-4000 Fälle pro Jahr.
36
Eine regionale Bestimmung der Kinder und Jugendlichen bis 21 Jahren war aufgrund der
vorliegenden Statistik nicht möglich.
69
essensvertretungen mit gesetzlich festgelegtem Auftrag (z.B. Qualitätssicherung der Versorgung37) ausgeweitet wird.
In den weiteren Überlegungen zur Ermittlung des Versorgungsbedarfs von
psychotherapeutischen Angeboten in Hamburg wurden in die Expertise auch
komplementäre Einrichtungen einbezogen; d.h. staatliche und nicht staatliche
Beratungsstellen und Einrichtungen, die außerhalb des GKV-finanzierten KVVersorgungssektors Kindern und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten
Beratung und therapeutische Hilfestellungen anbieten.
Bei der Auswertung der Jahresberichte der einzelnen Einrichtungen bestand
das grundsätzliche Problem, dass nicht alle Kinder und Jugendliche, die in der
jeweiligen Einrichtung betreut wurden, als psychisch auffällig oder behandlungsbedürftig einzustufen und damit in die hier durchgeführte Versorgungsschätzung aufzunehmen waren. Viele Kinder tauchen auch mehrfach im komplementären Beratungssystem auf38, so dass das Problem der Überschätzung
der Fallzahlen in diesem Bereich in der Expertise schwierig und nur annäherungsweise gelöst werden konnte. 19 000 Fälle wurden aus den Jahresberichten der Einrichtungen als Kinder und Jugendliche ermittelt, bei denen psychische Auffälligkeiten zu mehreren Kontakten oder unterschiedlichen Unterstützungsmaßnahmen geführt haben.
Aus dieser Gruppe wurde versucht, anhand der bestehenden Informationen
über den Grund oder die Länge des Kontaktes eine Fallzahl von Kindern und
Jugendlichen zu schätzen, bei denen von einem psychisch abklärungsbedürftigen Befund auszugehen ist. Die in Tabelle 3 dargestellten Annahmen und
Berechnungsszenarien geben einen Überblick über die Schwierigkeiten einer
realistischen Annäherung für eine psychotherapeutische Bedarfseinschätzung
in diesem Bereich. Danach werden rund 7000 Kinder und Jugendliche (Falldefinition: Gruppe B) ermittelt, bei denen ein abklärungsbedürftiger, psychischer
Befund anzunehmen ist.
37
vgl. Psychotherapeutengesetz
Ein Problem, was sich auch zwischen dem komplementären Bereich und KVVersorgungsbereich ergibt.
38
70
Der deutliche Unterschied zu der anfänglich ermittelten Zahl von 19 000 Kindern und Jugendlichen kommt u.a. zustande, dass bei der Berechnung der
Szenarien die über 6000 Fälle des Kinder- und Jugendnotdienstes Hamburg
nicht mit berücksichtigt wurden. Dahinter stand die Annahme, dass es sich bei
diesen Kindern und Jugendlichen um eine notfallmäßige Aufnahme und
Betreuung handelt. Es liegt nahe, dass der Anteil der Kinder und Jugendlichen, bei denen abklärungsbedürftige, psychische Auffälligkeiten bestanden,
im Anschluss an die Betreuung durch den Notdienst an eine regelhaft zuständige Einrichtung weitergeleitet und dort in die Statistiken ebenfalls aufgenommen wurde.
Betrachtet man nun alle Kinder und Jugendlichen zusammen - die Kinder und
Jugendlichen die 2002 im ambulanten KV-System in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung waren, sowie die Kinder und Jugendlichen,
die in komplementären Einrichtungen mit der Annahme einer abklärungsbedürftigen, psychischen Auffälligkeit betreut wurden - ergeben sich für 2002
eine Fallzahlannäherung von rund 25 000 Kindern und Jugendlichen in Hamburg, die wegen psychischer Auffälligkeiten/Störungen in irgendeiner Form
betreut oder behandelt wurden. Bei dieser Zahl ist zu berücksichtigen, dass es
zwischen dem ambulanten KV-Versorgungssystem und den komplementären
Einrichtungen einen erheblichen Anteil an Überschneidungen gibt, so dass
diese Zahl eine Überschätzung der betreuten Kinder und Jugendlichen darstellt. Somit zeigt sich auch hier eine deutliche Unterversorgung von Kindern
und Jugendlichen mit psychisch abklärungsbedürftigen Auffälligkeiten und
behandlungsbedürftigen Störungen, wenn man von der Zahl rund 50 000 Kinder und Jugendlichen in Hamburg ausgeht, die sich aus der Prävalenz von 18
% für die erweiterte Falldefinition der Gruppe B ableiten lässt.
71
Schlussfolgerungen
Aus der sich deutlich abzeichnenden Unterversorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten und Störungen in Hamburg lassen
sich unterschiedliche Ansatzpunkte für eine bedarfsgerechte Versorgungsplanung erkennen. Folgende Fragen sollen dies abschließend verdeutlichen:
Wie kann die Zahl der psychotherapeutischen Leistungserbringer/innen
quantitativ an den Bedarf angepasst werden?
o
Anpassung der Berechnungsgrundlagen für die Bedarfsbestimmung unter Bezug auf die wissenschaftlich ermittelte Prävalenz psychischer Störungen und Auffälligkeiten im Kindesund Jugendalter
o
Erhöhung der Zahl zugelassener Leistungserbringer in der kassenärztlichen Versorgung
o
Eigenständige Bedarfsermittlung der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen getrennt vom Erwachsenenbereich
Können innerhalb der Gruppe der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen durch qualitative Maßnahmen Synergieeffekte erzielt werden?
o
Ausgeglichene regionale Verteilung
o
Klärung der Arbeitszeitmodelle innerhalb der Gruppe
Wie können durch eine qualitativ verbesserte Zusammenarbeit zwischen
den unterschiedlichen beteiligten Fachgruppen Synergieeffekte erreicht
werden ?
Sollten neue Kooperationsmodelle, die das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) ermöglicht, für den psychotherapeutischen Kinder- und Jugendbereich überprüft werden?
o
Versorgungszentren mit multidisziplinären Teams
o
Integrierte Versorgungsmodelle zwischen mehreren ambulanten Fachgruppen
o
Integrierte Versorgungsmodelle zwischen ambulantem und stationärem Bereich
72
o
Integrierte Versorgungsmodelle zwischen ambulantem/ stationärem und komplementärem Bereich
Können die Möglichkeiten neuer Finanzierungsmodelle, die das GMG bietet, zur Optimierung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit
psychischen Auffälligkeiten und Störungen genutzt werden?
o
Direkte Vertragsverhandlungen mit den Kostenträgern im Rahmen integrierter Versorgungsmodelle
o
Überprüfung des Nutzens ambulanter Fallpauschalen
o
Überprüfung des Nutzens von Gesamtbudgets
Können ein regelhafter Datentransfer und eine Datenerhebung zu einer
realitätsbezogeneren Versorgungsplanung und zur Qualitätssicherung der
psychotherapeutischen Versorgung beitragen?
o
Regelhafter Austausch von KV-Daten und Daten der Kostenträger mit der Psychotherapeuten- und Ärztekammer
o
Einrichtung eines internen Qualitätssicherungssystems innerhalb der Gruppe der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten/innen
o
Einrichtung eines externen Qualitätssicherungssystems zwischen den unterschiedlichen, involvierten Fachgruppen
Sollten zur Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen im kinder- und
jugendlichenpsychotherapeutischen und -psychiatrischen Bereich ein regionales oder auch überregionales Kompetenznetzwerk gegründet werden?
Dr. Maria Albota
Mai 2004
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Zur Situation der Versorgung von
psychisch auffälligen Kindern und
Jugendlichen in Hamburg
Teil 3:
Anhang - Materialsammlung
Die sehr umfangreiche Materialsammlung, die der Expertise zugrunde liegt,
kann bei der Geschäftsstelle der Psychotherapeutenkammer Hamburg,
Curschmannstraße 9, 20251 Hamburg, Tel. 040/421012234, Fax.
040/41285124, e-Mail: [email protected] angefordert werden.
Zusätzlich steht der Teil 3: Materialsammlung auch zum Download auf der
Internet-Seite der Psychotherapeutenkammer Hamburg
(www.psychotherapeutenkammer-hamburg.de/aktuelles zur Verfügung.
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Zugehörige Unterlagen
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