Große Forschung an kleinen Teilchen - KIT

Werbung
WAS WIR TUN
WAS WIR TUN
Große Forschung an kleinen Teilchen
Der Large Hadron Collider (LHC) des CERN in Genf ist weltweit der größte Beschleuniger für
Elementarteilchen. Aufsehenerregend war im letzten Jahr die Entdeckung des sogenannten HiggsBosons. Forschergruppen und -institutionen aus aller Welt tragen zum CERN und speziell dem
LHC bei. Einer der größten und vielfältigsten Beiträge kommt aus dem KIT. Von Anfang an dabei
war Professor Thomas Müller, der die Karlsruher Aktivitäten leitet.
Warum engagiert sich das KIT am LHC?
THOMAS MÜLLER: Wir waren immer an den großen
Experimenten der Teilchenphysik beteiligt, beispielsweise am Large Electron-Positron Collider (LEP),
dem Vorläuferexperiment des LHC am CERN, oder
am Tevatron des Fermilab in Chicago, das vor dem
LHC der energiereichste Teilchenbeschleuniger der
Welt war. Wir erhoffen uns von den leistungsfähigsten Beschleunigern den größten Erkenntnisgewinn zur Natur der kleinsten Teilchen.
Was sind unsere Beiträge zur Datenaufbereitung?
MÜLLER: Rechen- und Speicherleistung für die
Daten aus dem LHC sind weltweit verteilt und in
sogenannten Tier-Zentren angeordnet. Das zentrale
Zentrum (Tier-0) stellt das CERN selbst, hinzu kommen zwölf weltweit verteilte Tier-1-Zentren. Eines
davon ist GridKA hier am KIT, das für rund 15 Prozent der gesamten Datenmenge verantwortlich ist.
Diese Daten werden an nachgelagerte Tier-2-Zentren
in Zentraleuropa verteilt, von denen aus Wissenschaftler Zugriff für ihre Heiminstitute erhalten.
Welche Beteiligungen des KIT gibt es denn?
MÜLLER: Die Aktivitäten kann man in drei Kapitel
Bleibt noch der dritte Punkt: die Auswertung.
sortieren: Wir leisten Beiträge zum Bau und Betrieb
des großen CMS-Detektors. Dann sind wir für einen
wesentlichen Teil der Datenaufbereitung zuständig,
indem wir mit GridKa ein sogenanntes Tier-1-Zentrum betreiben. Der dritte große Beitrag sind die
Extraktion, Auswertung und Interpretation der wissenschaftlichen Messdaten.
MÜLLER: Hierzu gibt es am KIT fünf Gruppen, die
Fangen wir mal mit dem Detektor an …
MÜLLER: Am Ring des LHC sind vier große Experi-
THOMAS MÜLLER, Professor
am Institut für Experimentelle
Kernphysik und Institutsleiter,
wurde 1995 aus den USA nach
Karlsruhe berufen, um – unter anderem – die Karlsruher Aktivitäten
am LHC des CERN aufzubauen.
18 · KIT-Dialog · 03/2013
mente angeordnet: Detektoren, in
denen die gegenläufigen Protonenstrahlen des LHC gekreuzt werden
und Protonenkollisionen stattfinden. Eines davon ist das CMS-Experiment. So hat das KIT für CMS
rund 20 Prozent des zentralen Spurdetektors entwickelt und gebaut,
in dem die Teilchen nachgewiesen
werden, die bei der Kollision der
Protonen entstehen. Das sind etwa
3 Millionen Kanäle auf Basis von
Siliziumstreifen. Ein KIT-Mitarbeiter
ist außerdem für den kompletten
Spurendetektor verantwortlich.
Auch haben KIT-Mitarbeiter am
CMS einen Diamantdetektor für die
Überwachung der Teilchenstrahlen
eingebaut.
autonom an spezifischen physikalischen Fragen arbeiten, aber natürlich eng vernetzt sind. Die Wissenschaftler machen Simulationsstudien zum Ansprechverhalten des Detektors auf den gewählten Prozess
(beispielsweise die Erzeugung eines Higgs-Bosons)
und arbeiten an der Interpretation der Messdaten.
Experimente wie die am LHC liefern Teilchensignale
mit sehr komplexen Mustern. Diese Messgrößen
müssen mit theoretischen Vorhersagen verglichen
SCHALTZENTRALE: der Kontrollraum des CMS-Detektors
KIT-Dialog · 03/2013 · 19
WAS WIR TUN
WAS WIR TUN
der Rate, mit der die Kollisionen
stattfinden – soll ebenfalls deutlich gesteigert werden.
Das Higgs-Boson, das den
Teilchen ihre Masse verleiht, ist
ja nun wohl gefunden. Welcher
wissenschaftliche Output ist noch
zu erwarten?
MÜLLER: Das sogenannte Standardmodell, die grundlegende
physikalische Theorie der
Elementarteilchen und ihrer
DATEN UND DENKEN: Mit Rechner- und Speicherleistung, aber auch mit Auswertungen und der
Wechselwirkungen, ist mit der
Entwicklung theoretischer Modelle beteiligen sich KIT-Wissenschaftler an der Teilchenjagd.
Entdeckung des Higgs-Teilchens
nun vollständig. Aber nach unwerden, viele darunter wurden von Theoretikern
seren Kenntnissen ist das Standard-Modell nur eine
des KIT entwickelt. Wir untersuchen am KIT die
Approximation. Wir wissen zum Beispiel, dass es in
Eigenschaften des Higgs-Bosons, die Physik des Top- der frühesten Phase des Universums nicht gültig sein
Quarks, die sogenannte Starke Wechselwirkung und
konnte. Auf der anderen Seite liefert es beispielsAuswirkungen der Supersymmetrie auf das Higgsweise auch keine Hinweise auf die Ursprünge oder
Boson. Auch Ereignisse der kosmischen Höhenstrah- Beschaffenheit der Dunklen Materie. Von ihr scheint
lung wollen wir mit LHC-Daten besser erklären.
es im Universum fünfmal so viel zu geben wie von
der Materie, die wir kennen. Mit der höheren EnerWas macht der LHC in Zukunft?
gie des LHC und der höheren Luminosität erwarten
wir hier viele neue Erkenntnisse.
MÜLLER: Für die nächsten zwei Jahre ist der LHC
abgeschaltet. Danach soll er mit seiner vollen EnerInterview: Dr. Joachim Hoffmann
gie betrieben werden, die knapp doppelt so hoch
wie bisher ist. Und die Luminosität – das ist ein Maß Fotos: Markus Breig, CERN, CMS/CERN
TEAMARBEIT: Viele Wissenschaftler aus der ganzen
Welt sind am Erfolg des LHC
in Genf beteiligt, hier die
CMS-Kollaboration vor dem
Detektorbild in der oberirdischen Montagehalle.
Der Large Hadron Collider (LHC)
Ziel der Elementarteilchenphysik ist,
die grundlegenden Bausteine der Materie und ihre Wechselwirkungen zu
messen. Die wichtigsten Experimente
finden an großen Beschleunigeranlagen statt. Die Teilchenbeschleuniger
bringen geladene Teilchen auf möglichst hohe Energie. Bei Kollisionen
der Teilchen entstehen neue Teilchen,
die in Detektoren nachgewiesen werden. Je höher die Energie der Aus-
gangsteilchen, desto kleiner sind die
Strukturen, die dabei noch untersucht
werden können und desto mehr neue
Teilchen entstehen beim Aufeinandertreffen. Viele Teilchen entstehen
bei den Teilchenkollisionen äußerst
selten. Deshalb ist es wichtig, dass im
Beschleuniger möglichst viele Kollisionen stattfinden. Ein Maß dafür ist die
sogenannte Luminosität.
Der Large Hadron Collider (Großer
Hadronen-Speicherring, LHC) ist ein
knapp 27 Kilometer langer, ringförmiger Teilchenbeschleuniger des
europäischen Kernforschungszentrums CERN bei Genf in der Schweiz.
Der LHC beschleunigt in dem Ring
Protonen (die zur Teilchenfamilie der
Hadronen gehören) sowohl im als
auch gegen den Uhrzeigersinn auf
annähernd Lichtgeschwindigkeit. An
vier Stellen werden diese gegenläu-
20 · KIT-Dialog · 03/2013
figen Teilchenstrahlen gekreuzt
und zum Zusammenstoß gebracht.
An diesen vier Kollisionspunkten
befinden sich vier große Detektoren
(ATLAS, CMS, LHCb, ALICE) und
zwei kleinere Detektoren (TOTEM,
LHCf), um die bei den Zusammenstößen entstehenden Teilchenschauer zu untersuchen. Der LHC ist so
ausgelegt, dass die Endenergie der
Teilchen bis zu siebenmal höher
ist als bei den bisherigen Beschleunigeranlagen. Die Luminosität soll
sogar mehr als hundertmal höher
sein. Der LHC-Speicherring verläuft
in einem Tunnel unter der Grenze
zwischen Frankreich und der
Schweiz in einer Tiefe von 50 bis
175 Metern, wobei sich der Großteil der Anlage auf französischem
Staatsgebiet befindet.
Text: Dr. Joachim Hoffmann
KIT-Dialog · 03/2013 · 21
Herunterladen