Seminar „Unemployment and Public Health“

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Modell beruflicher Gratifikationskrisen
(J. Siegrist, 1996)
Extrinsische Komponente
Anforderungen
- Verpflichtungen
-
Verausgabung
Erwartung
(‘übersteigerte
Verausgabungsneigung‘)
Lohn, Gehalt
- Aufstiegsmöglichkeiten
Arbeitsplatzsicherheit
- Wertschätzung
-
Belohnung
Erwartung
(‘übersteigerte
Verausgabungsneigung‘)
Intrinsische Komponente
Warum werden berufliche Gratifikationskrisen über einen
längeren Zeitraum erfahren?
ƒ Abhängigkeit
Der Beschäftigte findet auf dem Arbeitsmarkt keine
Alternative und zieht ein unfaires Beschäftigungsverhältnis
dem Arbeitsplatzverlust vor.
ƒ Strategische Entscheidung
Der Beschäftigte akzeptiert ein Ungleichgewicht
aus Verausgabung und Belohnung, um seine zukünftigen
Karrierechancen zu verbessern (‚antizipatorisches
Investment‘).
ƒ Übersteigerte Verausgabungsneigung
Der Beschäftigte weist ein motivationales Muster exzessiver
Leistungsbereitschaft auf, wodurch die investierte
Verausgabung die erhaltene Belohnung häufig übersteigt.
Erfassung von Globalisierungsfolgen durch
das Modell beruflicher Gratifikationskrisen
Erhöhte Verausgabung
Æ
Æ
Æ
Æ
Intensität; Leistungsdichte; Termindruck
Ausdehnung der Arbeitszeit; Kürzung von Erholungszeit
Zunahme irregulärer Arbeitszeiten
Rascher Wechsel von Arbeitsaufgaben, Arbeitskollegen und umgebung
Geringere Belohnung
Æ
Æ
Æ
Æ
Zunahme von Arbeitsplatzunsicherheit
Risiken von beruflichem Abstieg, Versetzung, unfreiwilliger
Frühberentung
Reduzierte Aufstiegschancen, Lohneinbussen, Wegfall von
Vergünstigungen
Verschlechterung von Betriebsklima, Fairness/
Verfahrensgerechtigkeit und Respekt in Organisationen
Messung
beruflicher Gratifikationskrisen
ƒ Skala ‚Verausgabung‘
Verausgabung (6 Likert-skalierte Items)
= wahrgenommene Anforderungen (Cronbach‘s α = .72)
ƒ Skala ‚Belohnung‘
Belohnung (11 Likert-skalierte Items)
= erfahrene oder zugesicherte Gratifikationen (α = .83)
- 3 Subskalen: (a) Gehalt und beruflicher Aufstieg,
(b) Wertschätzung, (c) Arbeitsplatzsicherheit
‚Verausgabung-Belohnungs-Quotient ‘
= Summe ,Verausgabung‘ / (Summe ,Belohnung‘ × 6/11)
ƒ Skala ‚berufliche Verausgabungsneigung‘
Verausgabungsneigung (6 Lik.-skal. Items)
= psychisches Muster der Bewertung und Bewältigung von
Anforderungen und Belohnungen (α = .76)
nähere Angaben s. http://www.uni-duesseldorf.de/medicalsociology
Evidenzquellen
ƒ Goldstandard: prospektive Kohortenstudie bei initial
gesunden Beschäftigten
ƒ Beurteilungskriterium: Relatives Risiko der Neuerkrankung
bei Exponierten im Vergleich zu Nicht-Exponierten
ƒ Statistische Kontrolle von Störgrößen
(z.B. Zigarettenrauchen, Übergewicht etc.)
ƒ Weitere Evidenzquellen:
- Fall-Kontrollstudie
- Querschnittstudie
- Ambulante Registrierverfahren / Laborexperimente
- Interventionsstudien
Berufliche Gratifikationskrisen / Kontrolle über
Arbeitsaufgabe und Neuerkrankung an KHK
Whitehall II-Studie (N=9.095 Männer und Frauen)
OR
3
*
2,5
*
2
OR
3
2,5
1,5
1
1
0,5
keine
Belastung
hohe
hohe
Verausg. +
Verausg.
oder geringe geringe
Belohn.
Belohn.
*
2
1,5
0,5
*
keine
Belastung
mittlere
Kontrolle
geringe
Kontrolle
adjustiert für Alter, Geschlecht, Zeitraum bis Nachuntersuchung
+ jeweils alternatives Arbeitsstressmodell
+ Berufsstatus, koronare Risikofaktoren, negative Affektivität
Quelle: J. Bosma et al. (1998), Am J Publ Health, 88: 68–74.
Mortalitätsrisiko (Herz-Kreislauf-Krankheiten)
in Abhängigkeit von psychosozialen Arbeitsbelastungen
Nmax=812 (73 Todesfälle); Zeitraum: 25,6 Jahre
Hazard ratio#
2,5
*
*
2
#adj.
für Alter,
Geschlecht,
Berufsgruppe,
Rauchen,
körperliche Aktivität,
systol. Blutdruck,
Cholesterin, BMI
1,5
1
0,5
Terzile (Belastung):
1 = keine;
2 = mittlere;
3 = hohe
1
2
3
Anforderungs-KontrollModell
1
2
3
Modell beruflicher
Gratifikationskrisen
Quelle: M. Kivimäki et al. (2002), BMJ, 325: 857.
Erhöhtes Herzinfarktrisiko
bei psychosozial belasteten Beschäftigten
nach dem AnforderungsKontroll-Modell
(18 prospektive Studien)
12
6
nach dem Modell beruflicher
Gratifikationskrisen
(8 prospektive Studien)
7
Die Relativen Risiken (RR) variieren zwischen:
RR: 4.9-1.3
RR: 6.1-1.3
= Bestätigung des Zusammenhangs
= keine Bestätigung des Zusammenhangs
1
Direkte und indirekte Effekte von chronischem
beruflichen Distress auf die koronare Herzkrankheit
KHK-Inzidenz
beruflicher Distress
somatische kardiovaskuläre
Risikofaktoren*
* z.B.
gesundheitsschädigendes
Verhalten
ƒ Hypertonie
ƒ Hyperlipidämie
ƒ erhöhtes Fibrinogen
ƒ metabolisches Syndrom
ƒ C-reaktives Protein
ƒ Homozystein
Arbeitsstress (Anforderungs-Kontroll-Modell)
und metabolisches Syndrom
(Whitehall II-Studie; N=7.034)
Odds ratio
*
2,5
2
1,5
1
0,5
0
1
2
3 or 4
Number of measures of job strain (demand-control-support)
Source: T. Chandola et al. (2006), BMJ, 332: 521-525.
Zunahme von Körpergewicht (BMI) (10 Jahre)
nach Ausmaß beruflicher Stressbelastung (ERI)*
N=902 Industriearbeiter in Finnland
BMI
25,5
Tertile ERI
1 = niedrig;
2 = mittel;
3 = hoch
25,25
25
*adj. für Alter,
Geschlecht u.
Ausgangswert
24,75
p = .002
24,5
1
2
3
Quelle: M. Kivimäki et al. (2002), BMJ, 325: 857
Berufliche Gratifikationskrise und Ko-Manifestation
verhaltensbezogener Risikofaktoren der KHK
(N=28.844 Frauen u. 7233 Männer, öffentlicher Dienst, Finnland)
Risikofaktoren (RF): BMI ≥ 25, Raucher, schwerer Alkoholkonsum,
körperliche Inaktivität; Odds ratios, adj. für Alter, berufliche Stellung,
Familienstand
1,5
*
Frauen
1,4
*
1,3
1,5
1,3
1,2
1,1
1,1
1
1
0,9
0,9
2 vs. 0 RF
*
1,4
1,2
1 vs. 0 RF
Männer
3 vs. 0 RF
Berufliche Gratifikationskrise
*
1 vs. 0 RF
keine
Quelle: Kouvonen et al. (2006), BMC Publ Health, 6: 24.
2 vs. 0 RF
mittel
3 vs. 0 RF
hoch
Arbeitsstress und Hypertonie
bei berufstätigen Frauen in Peking
(n = 421 ♀; 38,8 +/- 8,1 Jahre)
Multivariate odds ratio für
Auftreten von Hypertonie
ƒ
ƒ
ƒ
Niedrige Belohnung
Wenig Abwechslung
Konflikt zwischen Arbeit
und Familie
ƒ Rauchen
ƒ BMI ≥ 25
3.09 (1.21 - 7.92)
3.05 (1.49 - 6.27)
3.79
2.17
7.29
Quelle: L.Y.Xu et al. (2000), Int J Behav Med, 7, S1: 10.
(1.19 - 3.95)
(1.19 - 3.90)
(3.71 - 14.37)
Mittlerer systolischer Blutdruck (mmHg) bei Männern
im Tagesverlauf nach beruflicher Verausgabungsneigung
und sozialem Status
140
hohe
Verausgabungsneig. /
niedrige berufl. Pos.
mmHg
135
hohe
Verausgabungsneig. /
hohe berufl. Pos.
130
125
niedrige
Verausgabungsneig. /
niedrige berufl. Pos.
s
nd
ab
e
gs
m
itt
a
na
ch
m
itt
ag
s
m
or
ge
ns
120
Quelle: Steptoe et al. (2004), Psychosomatic Medicine, 66: 323.
niedrige
Verausgabungsneig. /
hohe berufl. Pos.
Kontinuierlich registrierter Blutdruck, Herzfrequenz
und Herzfrequenz-Variabilität in Abhängigkeit von
beruflichen Gratifikationskrisen
berufliche Gratifikationskrise:
nein
ja
Quelle: Vrijkotte et al. (2000), Hypertension, 35: 880.
Koronare Herzkrankheit und Depression
„Bis zum Jahr 2020 werden
Depression und Koronare Herzkrankheit
weltweit die führenden Ursachen
vorzeitigen Todes und durch
Behinderung eingeschränkter
Lebensjahre sein.“
(Murray and Lopez 1996)
Berufliche Gratifikationskrisen und Auftreten
depressiver Störungen (GHQ): Whitehall II-Studie
(N=6110, Zeitraum: 5.3 Jahre)
OR# 3
*
Männer
*
2
1,5
1
1
kein Stress
hohe
hohe
Verausg. Verausg. UND
ODER niedr. niedr. Bel.
Bel.
*
2
1,5
0,5
Frauen
2,5
2,5
#
OR# 3
0,5
kein Stress
hohe
hohe
Verausg. Verausg. UND
ODER niedr. niedr. Bel.
Bel.
adjustiert für Alter, Angestelltengrad, Wert GHQ bei Eingangsuntersuchung;
Personen im affektiver Störung zu Studienbeginn nicht enthalten
* p < .05
Quelle: S.A. Stansfeld et al. (1999), OEM, 56: 302.
Arbeitsstress (Anforderungs Kontroll
Modell)
und Inzidenz schwerer depressiver
Symptome
(5 Jahre, N=4.133)
Multivariate Relative Risiken*folgender
Modellkomponenten:
Frauen
ƒ Geringer Entscheidungsspielraum RR 1.96
ƒ Geringer sozialer Rückhalt
RR 1.92
CI 1.10;3.47
CI 1.33;3.26
Männer
ƒ Hohe Arbeitsplatzunsicherheit
CI 1.04;4.20
RR 2.09
*adj. für Alter, Depression bei Baseline und weitere confounder
Quelle: R. Rugulies et al. (2006), Am J Epidemiol, 163: 877.
Arbeitsstress und Depression
bei japanischen Arbeitern
mit Arbeitsplatzunsicherheit
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Hohe Anforderung
Niedrige Kontrolle
+Anf./-Kontrolle
Gratifikationskrise
Verausgabungsneigung
OR*
95 % KI
p
0,83
4.71
2.16
4.13
2.56
0.32 – 2.15
1.16 – 13.72
0.85 – 5.51
1.39 – 12.28
1.01 – 6.47
.70
.00
.10
.01
.05
* Kontrolliert für Alter, Geschlecht, berufliche Position, Berufsgruppe
und Arbeitsplatzmerkmale
Quelle: Tsutsumi et al., Scand J Work Environ Health 2001, 27: 146-153
Arbeitsstress, SES und Depression (HNR
Studie, Basiserhebung, N=1811 Männer
und Frauen zwischen 45-65 Jahre alt)
8
7
Odds ratio
6
*
Synergie index - 1.99 [1.02-3.85]
5
4
*
3
2
1
0
low ERI / high
position
low ERI / low high ERI / high high ERI / low
position
position
position
Source: N. Wege et al. (2008), JECH (62):338-341
Arbeitsstress (berufliche Gratifikationskrise)
und ärztlich diagnostizierte Depression
2 prospektive Kohortenstudien, Finnland, follow up 2-4
Jahre
10 Town-Study (N=18.066)
OR#
Hospital Personnel-Study (N=4803)
OR#
2
2
1,75
1,75
*
1,5
1,5
1,25
1,25
1
1
0,75
0,75
1
2
niedrig
3
4
hoch
*
*
1
2
niedrig
3
4
hoch
Arbeitsstress (berufliche Gratifikationskrise) - Quartile
# adj. für Alter, Geschl., berufl. Stellung
Quelle: M. Kivimäki et al. (2007), Occup Environ Med (in press).
Entzündungsparameter (CRP) während experimentell
induziertem mentalen Stress bei Beschäftigten mit
unterschiedlichem Ausmaß an chronischem Arbeitsstress (berufliche
Gratifikationskrise) (N=92)
Veränderung CRP#
(µg/ml) als Funktion
beruflicher
Gratifikationskrise
0.12
p < .05
0.10
0.08
0.06
0.04
0.02
0.00
# adjustiert für Alter,
BMI, baseline
keine
mittel
stark
berufliche Gratifikationskrise
Quelle: M. Hamer et al. (2006), Psychosom Med, 68: 408-413.
Berufliche Gratifikationskrisen und neu
aufgetretene Alkoholabhängigkeit: Whitehall IIStudie
(odds ratios#; N=7372, follow-up: 5.3 Jahre)
2
Männer
2
*
1,5
1,5
1
1
0,5
#
*
kein Stress
hohe
hohe
Verausg. Verausg. UND
ODER nied. niedr. Bel.
Bel.
0,5
Frauen
keine Stress
hohe
hohe
Verausg. Verausg. UND
ODER niedr. niedr. Bel.
Bel.
adjustiert für Alter, berufliche Position, GHQ, chronische Erkrankung, Körpergröße,
Rauchen, Alkoholkonsum zu t1, negative Affektivität, soziale Unterstützung, soziales
Netzwerk, alternatives Arbeitsstressmodell
Quelle: J. Head et al. (2004), Occup Environ Med, 61: 219.
Auswirkungen von chronischem
Arebeitsstress:
Überblick über empirische Evidenz
Gesundheitsgefahren
Stressassoziierte Krankheiten (v.a. Herz-KreislaufKrankheiten u. affektive Störungen)
Æ Psycho-biologische Mechanismen
Æ Gesundheitschädigende Verhaltensweisen
Æ
Disengagement
Æ
Æ
Æ
Absentismus
Innere Kündigung
Berufsausstieg
Obstruktion
Æ
Æ
Verstoß gegen soziale Normen
Gewaltanwendung
Berufliche Gratifikationskrisen und Bereitschaft,
den Pflegeberuf aufzugeben
Europäische Studie (NEXT), N=25.853 Pflegekräfte
100%
Ich denke über
einen
Berufswechsel
nach:
80%
nie
selten
gelegentlich
oft
täglich
60%
40%
20%
0%
0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6
Quotient aus Verausgabung und Belohnung
Quelle: H.W. Hasselhorn et al. (2003).
Wunsch nach Frühberentung in Abhängigkeit
von beruflicher Stressbelastung
(Gratifikationskrisen)
10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%
Wunsch nach Frühberentung
SHARE-Projekt in 10 europäischen Ländern, N=6.244
ES
FR
IT
AT
GR
hohe Stressbelastung
DE
SE
DK
CH
NL
mittlere Stressbelastung
geringe Stressbelastung
Quelle: A. Börsch-Supan et al. (2005). SHARE First Results Book. Mannheim.
Langjährige Arbeit (Ø 16 Jahre) in Berufen mit hoher
psychosozialer Belastung und Risiko der Erwerbsunfähigkeit im Alter von 40 bis 59 Jahren
(N= 298.520 ; BfA, LVA, KnV)
Männer
0.79
1.00
Frauen
1.26
1.58
2.00
Effekt (Odds Ratio und 95% KI)
2.51
0.79
1.00
1.26
1.58
2.00
Effekt (Odds Ratio und 95% KI)
Kontrolle für Alter, Zeit unter Risiko, RV-Träger, Bildung, Einkommen,
körperliche Arbeitsbelastungen, Schichtarbeit
Quelle: N. Dragano, Arbeit, Stress u. krankheitsbedingte Frührente. VS 2007
2.51
Wann ist Arbeit gesund?
Folgerungen aus wissenschaftlicher Evidenz
• Anspruchsvolles, nicht überforderndes Arbeitsaufgabenprofil
(hohe Autonomie, reichhaltige Lern- und Entwicklungschancen)
• Angemessene Erfahrungen von Erfolg und sozialer
Anerkennung sowie materielle Gratifikationen für erbrachte
Leistungen
• Vertrauensvolles Klima der Zusammenarbeit sowie des fairen
und gerechten Umgangs
• Sinnerfüllte und gesicherte Perspektive der Leistungserbringung
aus Sicht der Arbeitenden
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