DiMelli: mehr Diabetes

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VERBÄNDE
– Die Diabetes-Kliniken
Für die Juni- Ausgabe des Diabetes-Forums möchten wir das Thema „Diabetes mellitus bei Kindern und Jugendlichen“ aufgreifen.
Werden die etablierten Klassifikationssysteme unseren Patienten heute noch gerecht? Gibt es neue wissenschaftliche Erkenntnisse,
die diese Frage beantworten und die zukünftige Diagnostik- und Therapiestrategie verändern?
Wir freuen uns, Frau Dr. Katharina Warncke als Autorin für einen Beitrag zu diesem Thema gewonnen zu haben. Sie arbeitet am Institut für Diabetesforschung des Helmholtz Zentrums München und wird uns die Ergebnisse der dort durchgeführten DiMelli- Studie vorstellen. Unter Leitung von Frau Professor Ziegler wurde in Bayern ein großes Register aufgebaut, in welchem jugendliche Diabetiker
erfasst und untersucht werden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse zeigen eine große Heterogenität der untersuchten Patientenpopulation. Es gibt Patienten, die Charakteristika von Typ- und Typ-2-Diabetes teilen und daher eine besondere Behandlung benötigen.
Außerdem steht uns Frau Dr. Warncke zur Beantwortung einer Expertenfrage zur Verfügung. Sie gibt dabei eine Empfehlung, welche Laborparameter bei der Differentialdiagnose von Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter kontrolliert werden sollen. Außerdem stellen wir das Helmholtz Zentrum und die dort laufenden Forschungsprojekte in einer Infobox vor.
Dr. med. Thomas Werner, Dr. med. Johannes Huber
DiMelli: mehr Diabetesformen als vermutet
Text:
Katharina Warncke1,2,3,
Andreas Beyerlein1 und
Anette-G. Ziegler1,2.
Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München, und Forschergruppe Diabetes,
Klinikum rechts der Isar,
Technische Universität
München, Neuherberg.
1
2
Forschergruppe Diabetes
e. V., Neuherberg.
3 Kinderklinik München
Schwabing, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinikum
Schwabing, StKM GmbH
und Klinikum rechts der
Isar (AÖR), Technische
Universität München,
München.
D
iabetes ist die häufigste chronische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. Die
meisten Patienten in dieser Altersklasse erkranken an Typ-1-Diabetes.
In Deutschland liegt die Prävalenz
derzeit bei etwa 15 000-20 000 Kindern und Jugendlichen bis zum 20.
Lebensjahr. Weltweit wird ein durchschnittlicher Anstieg der Inzidenz
beobachtet, von dem am stärksten
Kleinkinder unter 5 Jahren betroffen
sind. Der Typ-2-Diabetes tritt im Kindesalter noch nicht auf, wird aber bei
Jugendlichen aufgrund der sich ausbreitenden Adipositas immer häufiger diagnostiziert. Zunehmend findet
man auch „Mischformen“ aus Typ-1und Typ-2-Diabetes und die sehr seltenen monogenen Diabetesformen.
46 | Diabetes-Forum 6/2014
© Helmholtz Zentrum München
Diabetesformen In der DiMelli-Studie
werden Daten über Diabetes-Charakteristika bei jungen Patienten gesammelt.
Erste Ergebnisse liegen nun vor.
In der DiMelli-Studie werden auch Blutproben untersucht.
Die DiMelli-Studie (Diabetes
Mellitus Incidence Cohort Registry)
ist ein einzigartiges Register für Kinder und Jugendliche mit Diabetes in
Bayern. Sie existiert seit 2009 und
hat das Ziel, Häufigkeit und Charakteristika von Diabetes bei Kindern,
Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Bayern genau zu analysieren.
Im Vergleich zu anderen Registern
werden nicht nur epidemiologische
Daten erhoben, sondern auch Blutproben untersucht und gesammelt.
Das Wissenschaftlerteam um Professor Dr. Anette-Gabriele Ziegler, Dr.
Katharina Warncke und Dr. Andreas
Beyerlein wertete nun erste Daten
der DiMelli-Studie aus.
www.diabetologie-online.de
Was ist die DiMelli Studie?
fahrungsgemäß auch die meisten
Patienten. Rechnet man die Anzahl teilnehmender Patienten auf
die aufgrund einer Inzidenz von
15/100 000/Jahr zu erwartende
Gesamtzahl an bis zu 20-jährigen
Patienten mit neu manifestiertem
Diabetes mellitus in Bayern hoch,
so werden aktuell bereits über 50 %
aller Patienten in das Register eingeschlossen.
Ziel des Registers ist es, unterschiedliche Diabetes-Phänotypen anhand
klinischer, immunologischer, metabolischer und genetischer Marker
zu charakterisieren. Neue Instrumente zur Klassifikation, die über
die klassische Einteilung Typ-1- und
Typ-2-Diabetes hinausgehen, sollen
etabliert werden.
In das Register können alle Patienten eingeschlossen werden, die Autoantikörper und IS-Score
zum Zeitpunkt der Diabetesmanifestation unter 20 Jahre alt sind, Traditionell wird das Vorhandensein
nicht länger als 6 Monate an Di- von Autoantikörpern als ein weabetes mellitus erkrankt sind und
sentliches Charakteristikum zur Unin Bayern leben. Die Analysen er- terscheidung von Patienten mit Typfolgen anhand ei1- und Typ-2-Dianes Fragebogens
betes verwendet.
„Es scheint doch
mit Erfassung von
522 (82,9 %) Stueher ein Kontinuum
demographischen
dienteilnehmer
und anthropometwiesen zwei oder
an Diabetesformen
rischen Daten und
mehr Typ-1-Diazu geben als klar
Fragen zur Krankbetes-spezifische
voneinander abAutoantikörper
heitsgeschichte.
grenzbare Typen.“
auf, 64 (10,2 %)
In einer Blutprobe
werden Typ-1-DiaTeilnehmer einen
betes-assoziierte Autoantikörper be- Autoantikörper und bei 44 Teilnehstimmt, Gene, c-Peptid als Ausdruck
mern (7 %) ließen sich keine Autoder Restfunktion der Betazelle, Blut- antikörper nachweisen. Die Grupfettwerte und der HbA1c-Wert un- pe mit multiplen Autoantikörpern
tersucht. Die Laboruntersuchungen wurde als „autoimmun“ klassifiwerden zentral durchgeführt – dies ziert, die Patienten mit einem Augewährleistet eine hohe Qualität toantikörper als „intermediär“ und
und Vergleichbarkeit.
die Gruppe ohne Autoantikörper als
„non-autoimmun“. Diese drei Gruppen wurden anhand klinischer und
Große Resonanz
laborchemischer Parameter miteinbei Ärzten und Patienten
ander verglichen.
Erste Daten der DiMelli-Studie wurNeben diesen Parametern wurden nun drei Jahre nach Beginn der de die Anwendbarkeit eines neuStudie ausgewertet und publiziert en Insulinsensitivitäts-Scores (ISund zeigen interessante Ergebnis- Score) auf die Kohorte untersucht.
se (*). Zwischen April 2009 und Dieser Score wurde im Rahmen der
Juni 2012 wurden 630 Personen SEARCH-Studie in den USA entwi(davon 54,4 % männlich) in das Re- ckelt. Mit Hilfe einfach zu bestimgister aufgenommen.
mender Parameter (HbA1c-Wert, TriDie Studie fand sehr große Re- glyceride und Hüftumfang) wird die
sonanz bei Patienten, deren Eltern Insulinsensitivität bestimmt: Dabei
und behandelnden Ärzten: Die Re- sprechen hohe Werte für eine hökrutierungszahlen blieben seit Be- here Sensitivität, während niedrige
ginn der Studie gleichbleibend hoch
Werte auf eine Insulinresistenz hinmit ca. 200 rekrutierten Patienten weisen. Der Score ist insofern intepro Jahr. Die meisten Patienten wur- ressant, als die eingehenden Variabden jeweils in den Frühjahrs- und len in der Regel vorhanden sind und
Herbstmonaten eingeschlossen. In nicht wie beim HOMA-Index extra
diesen Jahreszeiten erkranken er- bestimmt werden müssen.
www.diabetologie-online.de
Folgende signifikante Unterschiede wurden zwischen der autoimmunen, intermediären und
non-autoimmunen Gruppe gefunden: Non-autoimmune Patienten
waren signifikant älter, hatten höhere nüchtern c-Peptidwerte, weniger Gewichtsabnahme vor der Manifestation, höhere Triglyceride und
eine ausgeprägtere Acetonurie. Die
autoimmune Gruppe wies zwar am
häufigsten einen der Hoch-RisikoHLA-Typen (HLA DR 3/3, HLA DR
4/4, DR 4/8, DR 3/3) auf. Dieser
Hochrisiko-Genotyp wurde aber
auch bei der autoimmunen Gruppe nur bei einem Drittel der Fälle
nachgewiesen. Patienten mit einem
oder multiplen Autoantikörpern hatten signifikant höhere IS-Scores und
damit eine höhere Insulinsensitivität als Patienten mit non-autoimmunen Diabetesformen.
Auch wenn die Zahl der Autoantikörper mit bestimmten klinischen
und laborchemischen Parametern
assoziiert war, bleibt es letztlich unbeantwortet, ob Diabetes im Kindesund Jugendalter nur zwei oder drei
verschiedene Ätiologien und Phänotypen aufweist oder ob es eine deutlich größere Anzahl an Diabetesformen gibt. In einer Hauptkomponentenanalyse wurden die Parameter, die
am besten zwischen der Autoantikörperanzahl differenzieren konnten
(BMI-Perzentile, IS-Score, c-Peptid
und Gewichtsverlust) noch genauer analysiert. Hier zeigten sich keine
klar voneinander zu unterscheidenden Patientengruppen. Dies spricht
dafür, dass es doch eher ein „Kontinuum“ an Diabetesformen zu geben scheint als zwei oder drei klar
voneinander abgrenzbare „Typen“.
i
© Helmholtz Zentrum München
– Die Diabetes-Kliniken VERBÄNDE
Als Analyseverfahren
wird in der DiMelliStudie auch die
Elektrophorese angewandt.
*Originalpublikation:
Warncke K, Krasmann
M, Puff R, Dunstheimer
D, Ziegler AG, Beyerlein
A. Does diabetes appear in distinct phenotypes in young people?
Results of the diabetes
mellitus incidence Cohort Registry (DiMelli).
PLoS One. 2013; 8(9):
e74339. doi: 10.1371/
journal.pone.0074339.
Fazit der DiMelli- Studie für die Praxis
nostik auf monogene Dia1. B
ei den meisten Patienten
betesformen erfolgen (siehe
in Bayern unter 20 Jahren
auch „Expertenfrage“, S. 45).
besteht ein autoimmuner
Diabetes.
3. D
ie DiMelli-Studie wird bisher sehr gut angenommen
2. Die Anzahl an Autoantikörund stellt eine exzellenper-negativen Patienten ist
te Plattform zur Untersuhöher als erwartet – diese
chung der Phänotypen dar.
Patientengruppe sollte kliEs können weiterhin und
nisch genau evaluiert werlaufend Patienten eingeden. Bei positiver Familienschlossen werden.
anamnese sollte ggf. DiagDiabetes-Forum 6/2014 | 47
VERBÄNDE
– Die Diabetes-Kliniken
Ein besonderes Augenmerk sollte noch den Autoantikörper-negativen Patienten gelten. Deren Anteil
war mit 7 % überraschend hoch.
www.helmholtzmuenchen.de/idf1
Porträt
Diese Patientengruppe war signifikant älter, hatte höhere Body Mass
Indices, höhere Triglyceridwerte und höhere IS-Score-Werte. Sicherlich handelt es sich hier nicht
ausschließlich um Typ-2-Diabetiker, sondern diese Gruppe beinhaltet mit großer Wahrscheinlichkeit
auch autoantikörper-negative Patienten mit autoimmunem Diabetes
oder MODY-Diabetes.
Zusammenfassung
Bei den meisten Patienten mit Diabetes unter 20 Jahren liegt eindeutig ein „autoimmuner Diabetes“ mit
zwei oder mehr Autoantikörpern
vor. Patienten mit einem Autoantikörper verhalten sich bezüglich
anderer Parameter wie c-Peptid als
Spiegel der Insulinrestsekretion ähnlich wie die „autoimmunen“ Patien-
ten. Patienten mit einem oder multiplen Autoantikörpern entsprechen
daher am ehesten der Klassifikation
„Typ-1-Diabetes“.
In der Hauptkomponentenanalyse wurde aber deutlich, dass es
sich auch hier um eine heterogene
Population handelt, und im Einzelfall muss sicherlich geprüft werden,
ob es sich um „echte“ Typ-1-Diabetespatienten handelt oder um Patienten, die Charakteristika von Typ1- und Typ-2-Diabetes teilen und
daher eine besondere Behandlung
benötigen.
Das Institut für Diabetesforschung
Unter Federführung der international anerkannten Diabetesforscherin
Prof. Anette-Gabriele Ziegler wurde
das Institut für Diabetesforschung
im Jahr 2010 auf dem Campus Neuherberg
des Helmholtz Zentrums München errichtet.
Die Institutsgründung war verknüpft mit einer
Berufung der Direktorin an den Lehrstuhl für
Diabetes und Gestationsdiabetes der Technischen Universität München,
dem auch die Forschergruppe Diabetes der TUM angegliedert ist. Frau Prof. Ziegler praktiziert desweiteren
als Diabetologin in der Diabetesambulanz am Klinikum
rechts der Isar.
Die Forschungstätigkeit von
Frau Prof. Ziegler und ihrem
Team richtet sich auf die Entstehung und Prävention von
Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen mit einem erhöhten Risiko für diese
chronische Stoffwechselerkrankung. Dies
betrifft Kinder, die einen Verwandten mit
Typ-1-Diabetes und/oder selbst DiabetesRisikogene besitzen. Ein vorrangiges Projekt
ist hierbei die Entwicklung einer Impfung gegen Diabetes bei Kindern im Alter von zwei
bis sieben Jahren.
Ein weiteres wichtiges Projekt ist „DiMelli“,
ein Diabetesregister für Bayern. In dem Register werden seit 2009 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes erfasst. Das Besondere
im Vergleich zu anderen Registern ist, dass
nicht nur epidemiologische Daten erfasst,
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sondern auch Blutproben von allen Teilnehmern analysiert und gesammelt werden. DiMelli bietet damit eine optimale Plattform
zur Erforschung von Diabetes im Kindes- und
Jugendalter.
Den Zusammenhang von Genen, Umweltfaktoren und dem Immunsystem für die Entwicklung von Autoantikörpern gegen die
Insulin-bildenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse untersuchen die Münchner Forscher in groß angelegten Typ-1-DiabetesStudien. Hierzu zählen die einzigartigen Kohorten BABYDIET und BABYDIAB, welche die
Teilnehmer von Geburt an einschließen. BABYDIAB wurde 1989 als weltweit erste prospektive Diabetes-Geburtskohorte etabliert
und beobachtet die Krankheitsentwicklung der Probanden
seit mittlerweile zwei
Jahrzehnten. Anhand
der langen Beobachtungsdauer konnte
das Team um AnetteGabriele Ziegler Risikogene sowie Antikörperprofile identifizieren, die Vorhersagen
über die Entwicklung
und den Ausbruch der
Erkrankung zulassen.
Mit Hilfe dieser Daten
werden sich künftig
sowohl die Klassifizierung als auch der
Diagnosezeitpunkt
von Typ-1-Diabetes
verändern. Dies wird
dazu beitragen, dass die Therapie frühzeitig aufgenommen und optimiert oder dass
im günstigsten Fall der Autoimmunprozess
durch eine Insulin-Impfung noch vor Manifestation der Erkrankung gestoppt werden kann.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt des Instituts für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München, ist der Gestationsdiabetes.
Frauen mit Gestationsdiabetes haben ein
sehr hohes Risiko, innerhalb von zehn Jahren nach der Entbindung einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Ziel des Instituts für
Diabetesforschung ist daher, bei den Betroffenen durch medikamentöse Therapie und
Lebensstilintervention die Entwicklung des
Typ-2-Diabetes zu verhindern.
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