AUSBLICK 2017 CHANCEN UND RISIKEN IN ZEITEN DES

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WIRTSCHAFT UND FINANZMÄRKTE
AU S B LI C K 2 0 1 7
CHANCEN UND RISIKEN
IN ZEITEN DES WANDELS
WIRTSCHAFT UND FINANZMÄRKTE
AU S B LI C K 2 0 1 7
CHANCEN UND RISIKEN
IN ZEITEN DES WANDELS
Autoren:
Till Budelmann, Telefon +41 44 284-2073, [email protected]
Dr. Florian Hense, Telefon +44 20 3207-7859, [email protected]
Wolf-Fabian Hungerland, Telefon +49 40 350 60-8165, [email protected]
Cornelia Koller, Telefon +49 40 350 60-198, [email protected]
Wolfgang Pflüger, Telefon +49 40 350 60-416, [email protected]
Dr. Jörn Quitzau, Telefon +49 40 350 60-113, [email protected]
Dr. Holger Schmieding, Telefon +44 20 3207-7889, [email protected]
Dirk Trochelmann, Telefon +49 40 350 60-8342, [email protected]
Abgeschlossen am 19. Dezember 2016
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Die gewerbliche Nutzung in Form eines Nachdrucks, der – auch teilweisen – Vervielfältigung sowie der Weitergabe der Studie ist ohne
unsere ausdrückliche schriftliche Genehmigung nicht gestattet. Stand: Dezember 2016.
INHALT
Teil 1 Ausblick in Kürze
1
Teil 2 Unruhige Zeiten
2
I.
Aufwärts trotz zunehmender Risiken
2
II. Blick zurück auf ein Jahr der Überraschungen
2
III. Wirtschaftsprognosen im Überblick
4
IV. Ein Blick auf die Risiken
7
V.
8
Märkte: Erst die Party …
Teil 3 Das Risiko des Jahres: Der Aufstieg der Populisten
Teil 4 Ausgewählte Regionen
I.
USA: Aufschwung kann Fahrt aufnehmen
9
12
12
II. Westeuropa: Trotz politischer Risiken weiter aufwärts
14
1. Eurozone: Brexit-Entscheidung gut umschifft
14
2. Großbritannien: Harter oder weicher Brexit?
18
3. Schweiz: Die Flucht in den Franken
20
III. Japan: Weiter in der Wachstumsfalle
21
IV. Große Schwellenländer: Strukturreformen bleiben unabdingbar
23
V.
1. China: Konjunkturspritzen statt neuer Reformen
23
2. Indien: Neue Mehrwertsteuer oder „Cash-Chaos“ –
was wiegt schwerer?
25
3. Brasilien: Auf zu neuen Ufern?
26
Osteuropa: Ade liberale Wirtschaftspolitik
27
1. Russland: Wie geschmiert aus der Rezession?
27
2. Türkei: Vor dem Abgrund
28
3. Polen: Nicht immun gegen politisches Risiko
29
Teil 5 Kapital-, Devisen- und Rohstoffmärkte
I.
Aktien: Positiver Ausblick für das Jahr 2017
II. Anleihen: Rückkehr der Inflation
30
34
1. „Endlich“ wieder etwas Inflation
34
2. Divergierende Geldpolitik
35
3. Zinsen: Sanfter Renditeanstieg
36
III. Währungen: Der US-Dollar gibt den Ton an
38
1. US-Dollar: Trump entfacht Zinsphantasie
38
2. Schweizer Franken: Same procedure as every year
40
3. Britisches Pfund: Unbekanntes Gelände
40
4. Japanischer Yen: Immer für eine Überraschung gut
41
IV. Rohstoffe: Zyklische Erholung verliert 2017 an Schwung
42
1. Öl: Ohne OPEC-Disziplin keine Preisstabilität
42
2. Gold: Finanzinvestoren entscheiden über den weiteren Trend
44
3. Industriemetalle: Verhaltene Aussichten nach teilweise
extremen Preissprüngen
45
Teil 6 Kapitalmarktstrategie
I.
30
Aktien: Weiterhin attraktive Anlageklasse
46
46
II. Anleihen: Geringe Rendite bei hohen Kursrisiken
48
III. Alternative Investments: Hohes Diversifikationspotenzial
50
IV. Liquidität: Taktische Manövriermasse
51
V.
52
Kapitalmarktprognosen
TEIL 1
AUSBLICK IN KÜRZE
Nicht zu heiß, nicht zu kalt. Seit mehr als sieben Jahren erlebt die westliche Welt einen
Aufschwung ohne Überschwang. Bisher zeigen sich keine größeren Übertreibungen,
die dereinst in einer neuen Rezession bereinigt werden müssten. So kann die Wirtschaft
unspektakulär und spannungsarm wachsen.
Bisher ein Aufschwung
ohne Überschwang
Mit Donald Trump droht uns jetzt die Rückkehr zum normalen Auf und Ab der Konjunktur. Offenbar wird der US-Kongress ihm ein umfangreiches Fiskalprogramm genehmigen. Für die nächsten zwei bis drei Jahre können wir uns auf einen kraftvolleren
Aufschwung in den USA einstellen, der langsam in einen echten Boom übergehen wird.
Auf Kosten künftiger Steuerzahler lädt Trump zur Party ein.
Aber jetzt lädt Trump
zur Party ein
Ausgehend von den USA zeichnet sich für die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren
insgesamt eine etwas lebhaftere Konjunktur ab. Über bessere Ausfuhrchancen bekommen auch wir in Europa ein wenig davon ab. Für die Eurozone erwarten wir ein
stetiges und breit abgestütztes Wachstum.
Ein Stimulus für die
Konjunktur
Leider hat die Sache einen Haken. Die USA brauchen Trumps künstlichen Fiskalstimulus
nicht. Im Überschwang werden sich Spannungen aufbauen, die sich auch in Fehlinvestitionen, übermäßiger Kreditaufnahme und einer steigenden Inflation zeigen werden.
Damit birgt der künstlich angeheizte Aufschwung bereits den Keim einer späteren Bereinigungskrise in sich. Wenn es dann so weit ist, werden wir uns dem auch in Europa
nicht ganz entziehen können. Aber das hat vermutlich noch einige Jahre Zeit.
Leider hat die Sache
einen Haken …
In China schwächt sich der Wachstumstrend langsam ab. Noch verfügt das Land allerdings über genügend Möglichkeiten, eine harte Landung zu vermeiden. Für andere
Schwellenländer in Asien und Lateinamerika ist der Ausblick dagegen durchwachsen.
Einige werden ihre Ausfuhren in die USA deutlich steigern können. Andere leiden jedoch mehr darunter, dass der starke Dollar es ihnen erschwert, ihre Dollar-Schulden zu
bedienen. In einige Ländern kommen politische Probleme dazu.
Durchwachsener Ausblick
für Schwellenländer
Der Aufschwung bringt viele Chancen mit sich. Leider drohen uns 2017 auch außergewöhnliche Risiken, die sich aus dem Aufstieg populistischer Strömungen auf beiden
Seiten des Atlantiks ergeben. Ein Handelskrieg zwischen den USA und China könnte
die Welthandelsordnung erschüttern. In Europa hat die Gefahr zugenommen, dass
Gegner des Euro in Italien oder sogar Frankreich an die Macht kommen könnten.
Auch wenn dies unwahrscheinlich bleibt, können wir es nicht ganz ausschließen.
Große Chancen,
außergewöhnliche Risiken
Erst die Party – bis zum Kater hat es noch Zeit. Der Finanzmarkt freut sich zu Recht
auf einen US-getriebenen Stimulus. Sofern die politischen Großrisiken nicht eintreten,
überwiegen die Chancen auf höhere Kurse an den Aktienmärkten. An den Anleihemärkten können die Renditen ihre Talsohle verlassen. Drei Zinsschritte der US-Fed in
2017 und ein geringeres Volumen der Anleihekäufe der EZB werden voraussichtlich
dazu beitragen. Allerdings müssen wir die politischen Risiken im Auge behalten.
Erst kommt die Party
1
TEIL 2
UNRUHIGE ZEITEN
(Dr. Holger Schmieding)
I. Aufwärts trotz zunehmender Risiken
Wirtschaftliche Chancen,
politische Risiken
Nach einem Jahr voller Überraschungen müssen wir uns auch für 2017 auf viele Unwägbarkeiten einstellen. Im Dezember 2015 hatten wir unserem Ausblick auf 2016 den
Titel „Wirtschaftliche Chancen, politische Risiken“ gegeben. Tatsächlich hat sich die
Konjunktur gerade in Deutschland und Europa erfreulich robust entwickelt. Der Aufschwung ohne Überschwang hält an, gestützt vor allem durch den privaten Verbrauch.
Eine Serie politischer Unfälle
Allerdings haben sich mit dem britischen Votum für einen Ausstieg aus der Europäischen Union („Brexit“), dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA und dem
Rücktritt des reformorientierten Premierministers Renzi in Italien einige der großen
politischen Risiken ereignet, die wir vor einem Jahr lediglich als Risiken beschrieben
hatten. Bei allen Unterschieden künden diese Ereignisse von einem weiteren Aufsteigen
populistischer Strömungen, die sich gegen die offene Gesellschaft und die liberal geprägte Welthandelsordnung wenden, denen wir Wohlstand und Frieden verdanken.
Wirtschaft und Finanzmärkte haben diese Risiken bisher gut überstanden. Das zeigt,
dass die wirtschaftlichen Wachstumskräfte heute robuster sind als vor einigen Jahren.
Das Jahr der Wahlen
in Europa
Erst in den kommenden Jahren werden wir langsam herausfinden, was der Brexit, der
Wahlsieg Trumps und die politischen Risiken innerhalb der Eurozone wirklich bedeuten.
Mit Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland kommen 2017 zusätzliche politische Themen dazu, die auch die Finanzmärkte berühren können. In Italien
sind vorgezogene Neuwahlen möglich, bei denen radikale Populisten mit der Forderung
nach einem Referendum über einen Austritt aus dem Euro antreten würden.
Völlig ausschließen können
wir die Extremszenarien
nicht
Mehr noch als im Jahr 2016 steht unser Ausblick für 2017 im Spannungsfeld zwischen
wirtschaftlichen Chancen, die sich eher vielversprechender präsentieren als vor einem
Jahr, und politischen Risiken, die bisher ebenfalls eher größer als kleiner werden. Wir
glauben nicht, dass uns globale Handelskriege drohen oder der Euro auseinanderbrechen könnte. Aber völlig ausschließen können wir es nicht. Wir werden uns 2017
vermutlich noch eingehender als bisher mit diesen Risiken befassen müssen.
II. Blick zurück auf ein Jahr der Überraschungen
USA: weniger Schwung
in 2016 als erwartet
2
Bevor wir die Aussichten für 2017 näher erläutern, lohnt sich ein Blick zurück. Mit
einem Plus von 2,2 % ist der Zuwachs der Wirtschaftsleistung der Welt in 2016 leicht
hinter unserer Prognose aus dem Dezember 2015 von 2,5 % zurückgeblieben. Wie
Tabelle 1 zeigt, hat vor allem die US-Konjunktur etwas enttäuscht. Die nach der großen
Finanzkrise von 2008/2009 vorsichtig gewordenen privaten Verbraucher haben dort
Ende 2015 und Anfang 2016 einen erheblichen Teil des Kaufkraftgewinns niedriger
Ölpreise gespart, statt das Geld gleich wieder auszugeben. Gleichzeitig hat der Ölpreisverfall einen kräftigen Rückgang der Investitionen im Energiesektor ausgelöst, ohne
dass Unternehmen in anderen Bereichen der US-Wirtschaft ihre Investitionen hochgefahren hätten. Erst im zweiten Halbjahr hat die US-Konjunktur wieder richtig Tritt
gefasst. Entsprechend hat die US-Notenbank lange gezögert, bis sie im Dezember 2016
schließlich ihre Zinsen um 0,25 Prozentpunkte angehoben hat.
Auch die ausgeprägte Wirtschaftskrise im benachbarten Lateinamerika trug Anfang
2016 zur kurzzeitigen Delle in der US-Konjunktur bei. Gerade in Brasilien ist die Wirtschaftsleistung zunächst stärker eingebrochen als erwartet. Allerdings hat sich die Lage
dort im Jahresverlauf ebenfalls stabilisiert.
Krise in Lateinamerika
läuft aus
Tab. 1: Wachstumsprognosen im Check – was hat sich geändert?
Prognose für 2016
Prognose für 2017
Dez. 2015
Aktuell
Dez. 2015
Aktuell
Welt
2,5
2,2
2,8
2,6
USA
2,6
1,6
2,6
2,4
China
6,5
6,7
6,1
6,4
Japan
0,8
0,9
1,1
0,9
Indien
7,5
7,0
7,1
7,5
Lateinamerika
0,5
-1,3
2,0
1,9
Europa
1,4
1,5
1,9
1,6
Eurozone
1,6
1,6
1,8
1,5
Deutschland
1,7
1,8
1,8
1,7
Frankreich
1,3
1,2
1,3
1,2
Italien
1,0
0,9
1,2
0,8
Spanien
2,9
3,2
2,6
2,6
Portugal
1,3
1,2
1,6
1,3
Großbritannien
2,4
2,1
2,5
1,5
Schweiz
1,2
1,5
2,0
1,6
Schweden
2,6
3,1
2,5
2,4
-1,4
-0,5
1,0
1,6
1,9
2,5
1,8
Anderes Westeuropa
Osteuropa
Russland
Türkei
2,1
Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: alte Prognosen aus „Wirtschaft und Finanzmärkte: Wirtschaftliche Chancen, politische
Risiken; Jahresausblick 2016“, Berenberg, 4. Dezember 2015.
In Europa haben sowohl Deutschland als auch die Eurozone im zu Ende gehenden
Jahr unsere Erwartungen voll erfüllt. Während Italien und Frankreich knapp hinter der
Vorgabe zurückblieben, konnte Spanien trotz einer langen Regierungskrise sogar erneut
ein Wachstum von mehr als 3 % erreichen.
Die Eurozone hat unsere
Erwartungen voll erfüllt
3
Großbritannien verliert
etwas an Schwung
Großbritannien ist zwar nach dem Brexit-Referendum nicht in eine unmittelbare Krise
gefallen. Allerdings hat das Land auch wegen der anhaltenden Unsicherheit über seinen
Status in Europa etwas an Dynamik verloren. Dagegen haben zwei andere Länder, die
nicht dem Euro angehören, Schweden und die Schweiz, von der robusten Binnennachfrage daheim und bei ihren europäischen Handelspartnern profitieren können. Sie
konnten ihre Wirtschaftsleistung stärker steigen, als wir es vor einem Jahr vermutet
hatten.
Keine harte Landung
in China
Nachdem Anfang 2016 mal wieder das Gerücht die Runde machte, Chinas Konjunktur
stünde eine Bruchlandung bevor, hat Peking wie üblich gehandelt. Es hat seine kurzzeitige Nachfrageschwäche durch ein staatliches Kredit- und Ausgabenprogramm ausgeglichen. Anders als entwickelte Länder mit geschützten Eigentumsrechten kann China
seine Investitionen auch kurzfristig nach Gutdünken hochfahren. So hat das offiziell
ausgewiesene Wachstum mit 6,7 % unsere Vorhersage sogar leicht übertroffen.
III. Wirtschaftsprognosen im Überblick
Der Aufschwung bisher:
nicht zu heiß, nicht zu kalt
Nicht zu heiß, nicht zu kalt. Seit mehr als sieben Jahren erlebt die westliche Welt einen
Aufschwung ohne Überschwang. Unterbrochen nur durch die Eurokrise 2011-2012, als
die Europäische Zentralbank sich erst spät auf ihre Pflicht besann, eine ausufernde
Finanzmarktpanik zu beenden, wächst die Wirtschaftsleistung auf beiden Seiten des
Atlantiks seit Mitte 2009 in einem angemessenen Tempo. Es reicht aus für einen stetigen
Anstieg der Beschäftigung. In den USA ebenso wie in Europa tragen mittlerweile vor
allem der private Verbrauch und der Wohnungsbau die Konjunktur.
Haushalte und Unternehmen
halten sich noch zurück
Geprägt durch den Schock der großen Finanzkrise von 2008/2009 halten Unternehmen sich seitdem bei Investitionen zurück. Auch Haushalte neigen dazu, mehr zu
sparen und weniger Kredite aufzunehmen. Selbst der Lohndruck bleibt bisher verhalten,
sogar in Ländern wie den USA, Großbritannien und Deutschland, in denen Vollbeschäftigung herrscht. Viele Beobachter klagen, die Konjunktur bleibe zu kraftlos.
Doch genau dies hat einen entscheidenden Vorteil: Es zeigen sich in der westlichen
Welt keine größeren Übertreibungen, die dereinst in einer neuen Rezession bereinigt
werden müssten. So kann die Wirtschaft unspektakulär und spannungsarm wachsen.
Mit Trump droht die
Rückkehr zu Boom
und Krise
Aber nichts dauert ewig. Mit Donald Trump droht uns jetzt die Rückkehr zur ganz
normalen Konjunktur. Auf und ab, erst der Boom, dann die Krise. Die Signale der
letzten Wochen aus Washington legen den Schluss nahe, dass der republikanisch geprägte Kongress dem neuen US-Präsidenten ein umfangreiches Konjunkturprogramm
genehmigen wird. Mehr Investitionen für die Infrastruktur, mehr Geld für einige Sozialleistungen, niedrigere Steuern für manche Bürger und Unternehmen. Für das Jahr 2018
könnte der Stimulus durchaus einen Umfang von etwa 1 % der US-Wirtschaftsleistung
erreichen. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass wir für die Weltwirtschaft insgesamt einen spürbaren Anstieg des Wirtschaftswachstums von 2,2 % im Jahr 2016 auf
2,6 % im neuen Jahr und sogar 2,7 % in 2018 prognostizieren.
4
USA: Erst die Party, dann der Kater
Für die nächsten zwei bis drei Jahre können wir uns auf einen gewissen Boom in den
USA einstellen. Auf Kosten künftiger Steuerzahler lädt Trump zur Party ein. Wir rechnen deshalb damit, dass sich das Wachstumstempo in den USA von relativ mageren
1,6 % in 2016 auf 2,4 % im neuen Jahr und auf 2,9 % in 2018 beschleunigt. Da die
anziehende Inflation den Zuwachs der real verfügbaren Einkommen begrenzen wird,
dürfte dabei der Zuwachs des privaten Verbrauchs die 2,6 % des Jahres 2016 nur wenig
überschreiten. Stattdessen wird das Wachstum vor allem von einer regeren Investitionstätigkeit sowie von zusätzlichen Staatsausgaben getragen.
Trump lädt ein zur Party –
auf Kosten der Zukunft
Der Finanzmarkt freut sich auf diese Trumpenomics. Die US-Konjunktur wird an
Fahrt gewinnen. Und über bessere Ausfuhrchancen bekommen auch wir in Europa ein
wenig davon ab. Leider hat die Sache einen Haken. Die USA brauchen diesen künstlichen Stimulus nicht. Ein Umschichten im Staatshaushalt hin zu mehr Investitionen,
ein wettbewerbsfreundlicheres Steuersystem und der Abbau einiger überzogener Regulierungen machen immer Sinn. Das wäre Angebotspolitik. Aber nach mehr als sieben
Jahren Aufschwung und bei Vollbeschäftigung brauchen die USA keinen kräftigen
Nachfrageimpuls, wie Trump ihn plant. Der Lohndruck zieht bereits jetzt langsam an.
Auch ohne Öleffekte strebt die Inflation nach oben.
Leider hat die Sache
einen Haken …
Im Überschwang werden sich Spannungen aufbauen, die sich auch in Fehlinvestitionen,
übermäßiger Kreditaufnahme und einer steigenden Inflation zeigen werden. Damit
birgt der künstlich angeheizte Aufschwung bereits den Keim einer späteren Bereinigungskrise in sich. Nach der Party kommt der Kater. Wenn es dann so weit ist, werden
wir uns dem auch in Europa nicht ganz entziehen können.
Im Überschwang werden
sich Spannungen aufbauen
Eurozone: Solides Wachstum
Für die Eurozone erwarten wir für die beiden kommenden Jahre ein solides Wachstum,
das ähnlich wie im Jahr 2016 etwa dem langfristigen Trend von rund 1,5 % entspricht.
Dabei werden die Staatsausgaben und Investitionen etwas schneller zulegen als zuvor,
während der private Verbrauch ein wenig an Schwung verliert. Denn der Rückenwind
des außerordentlich niedrigen Ölpreises, der dem Verbrauch vor einem Jahr Schwung
verliehen hatte, hat nachgelassen. Der Zuwachs der Einfuhr wird etwa dem Anstieg der
Ausfuhr entsprechen, sodass kein großer Impuls vom Außenbeitrag ausgehen wird. Bei
künstlich angefachter Binnennachfrage in den USA und einem Wechselkurs des Euro,
der weit unter seinem langfristig fairen Wert von 1,25 US-Dollar pro Euro notiert, kann
die Ausfuhr aber auch stärker zulegen. Sofern keine der politischen Großrisiken eintreten,
gäbe es damit beim Wirtschaftswachstum in 2017 und 2018 Spielraum nach oben.
Spielraum nach oben beim
Wachstum der Eurozone
Schwellenländer: Durchwachsener Ausblick
In China schwächt sich der Wachstumstrend langsam ab. Ein Land, das bereits einen
Teil seines Aufholpotenzials ausgenutzt hat, muss sich mehr anstrengen, um weiter
rasch zulegen zu können. Zudem nehmen die inneren Spannungen in China zu. Auch
wenn damit das Risiko einer Bereinigungskrise langsam etwas akuter wird, dürfte China
angesichts der hohen Sparquote seiner privaten Haushalte von über 40 % der verfügbaren Einkommen vorerst noch genügend Kapital einsetzen können, um seine Kon-
Schwellenländer:
Wem nützt und wem schadet
der starke Dollar?
5
junktur weitgehend auf Kurs zu halten. In Indien zeichnet sich nach einem Rückschlag
im Herbst 2016 durch eine äußerst ungeschickt umgesetzte Währungsreform für 2017
wieder ein solides Wachstum ab.
Hausgemachte politische
Probleme belasten einige
Schwellenländer
Andere Schwellenländer in Asien und Lateinamerika stehen im Spannungsfeld zweier
verschiedener Folgen der Trumpenomics in den USA. Zum einen eröffnen der starke
US-Dollar und die künstlich angeheizte Binnennachfrage in den USA ihnen neue
Chancen, ihre Ausfuhr in die USA zu steigern. Zum anderen fällt es den Staaten und
Unternehmen, die Schulden in Dollar aufgenommen haben, bei höheren Zinsen und
einem teuren US-Dollar deutlich schwerer, ihren Schuldendienst zu leisten. Gerade für
Länder, die wenig in die USA ausführen, aber hohe Dollar-Schulden angehäuft haben,
kann 2017 damit ungemütlich werden. Dazu kommen hausgemachte politische Probleme in einigen Ländern wie der Türkei. Je nach der Situation der einzelnen Länder
und Unternehmen bringt 2017 damit sowohl erhebliche Chancen als auch große
Risiken für Schwellenländer.
Tab. 2: Wirtschaftsprognosen im Überblick
BIP-Zuwachs
Gewicht
2016
2017
2018
Welt
100,0
2,2
2,6
2,7
USA
22,5
1,6
2,4
China
13,4
6,7
6,4
Japan
6,0
0,9
Indien
2,7
7,0
Lateinamerika
7,5
Europa
Eurozone
Inflation
Arbeitslosigkeit
Staatshaushalt
2016
2017
2018
2016
2017
2018
2016
2017
2018
2,9
1,2
2,2
2,4
4,9
4,7
4,5
-3,0
-3,2
-3,6
5,9
2,0
2,3
2,3
4,1
4,3
4,3
-3,0
-3,0
-3,0
0,9
1,1
-0,2
0,4
0,5
3,1
2,9
2,9
-6,3
-5,0
-4,0
7,5
7,8
4,5
4,5
4,7
-6,5
-4,0
-3,6
-1,3
1,9
2,7
28,3
20,8
9,3
-6,9
-6,2
-5,5
29,8
1,5
1,6
1,8
17,3
1,6
1,5
1,5
0,2
1,3
1,6
-1,9
-1,7
-1,5
Deutschland
5,0
1,8
1,7
1,6
0,3
1,4
Frankreich
3,7
1,2
1,2
1,3
0,3
1,2
Italien
2,8
0,9
0,8
1,1
0,0
Spanien
1,8
3,2
2,6
2,4
-0,4
Portugal
0,3
1,2
1,3
1,3
Großbritannien
3,8
2,1
1,5
Schweiz
0,9
1,5
1,6
Schweden
0,7
3,1
Russland
2,4
Türkei
1,0
10,1
9,6
9,3
1,7
4,2
4,4
4,5
0,6
0,3
0,1
1,5
10,3
9,5
9,0
-3,3
-3,1
-2,9
0,8
1,1
11,6
11,3
10,9
-2,6
-2,5
-2,3
1,2
1,6
19,7
18,0
16,3
-4,1
-3,4
-2,8
0,7
1,4
1,5
11,2
10,3
9,7
-2,9
-2,6
-2,4
1,5
0,6
2,5
2,4
4,9
5,1
5,3
-3,7
-3,2
-2,7
1,7
-0,4
0,3
0,6
3,4
3,4
3,3
-0,2
-0,1
0,4
2,4
2,1
1,0
1,6
1,8
6,9
6,7
6,5
-0,5
-0,5
0,4
-0,5
1,6
2,5
7,0
4,6
4,9
6,0
6,2
6,3
-3,9
-2,9
-1,9
1,9
1,8
2,8
8,0
8,7
8,8
11,0
11,3
11,2
-2,1
2,5
2,3
Anderes Westeuropa
Osteuropa
Staatshaushalt in % des BIP, Rest: Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Die US-Daten zum Staatshaushalt sind nicht direkt mit den europäischen Angaben zu vergleichen. Würde man für
die USA die gleiche Maastricht-Methode anwenden, die in Europa üblich ist, ergäbe sich für 2016 ein Defizit von 4,6 % statt 3 %. Quelle: Berenberg.
6
IV. Ein Blick auf die Risiken
Neben den außerordentlichen Chancen, die sich aus einem schnelleren Wachstumstempo ergeben, können uns 2017 auch außergewöhnliche Risiken drohen. Dabei müssen
wir zwischen den rein wirtschaftlichen und den politischen Risiken unterscheiden, die
dann allerdings erhebliche Folgen für Wirtschaft und Finanzmärkte haben könnten.
Außerordentliche Chancen,
außergewöhnliche Risiken
Wirtschaftliche Risiken: China, Kreditmärkte, Inflation
Wirtschaftlich müssen wir vor allem darauf achten, ob drei potenzielle Gefahren, die
uns langfristig drohen, schon früher als erwartet eintreten könnten.
Drei Gefahren
Erstens wird China auf Dauer seine Probleme nicht Jahr für Jahr unter Einsatz immer
neuer ‎Kredite in die Zukunft verschieben können. Entweder findet es einen Weg,
seinen Schuldenüberhang und seine Überkapazitäten in Teilen der Industrie langsam
abzubauen. Oder dem Land steht dereinst eine große Bereinigungskrise bevor. Ein
unerwarteter Anstieg der Inflation oder eine ausufernde Kapitalflucht könnten es dem
Land unmöglich machen, seine Binnennachfrage durch immer neue Kredite zu stützen.
Sollte China wider Erwarten bereits 2017 statt vielleicht in 2020 oder 2021 an die Grenzen
seiner jetzigen Politik stoßen, würde das auch den westlichen Ländern einen herben
Schlag versetzen. Neben einem Rückgang der Ausfuhren nach China dürfte sich eine
chinesische Krise auch über Finanzmarktturbulenzen und ein eingetrübtes Geschäftsklima auf Europa, Japan und die USA sowie auf viele Schwellenländer übertragen.
China wird sich dereinst
seinen Problemen stellen
müssen
Zweitens werden zwar viele Anleger nach einer langen Phase immer neuer Zinstiefs
einen Anstieg der Anleiherenditen begrüßen. Wir halten es ebenfalls für wenig wahrscheinlich, dass etwas höhere Finanzierungskosten die Investitionsneigung der Unternehmen in der westlichen Welt spürbar dämpfen oder sogar eine scharfe Korrektur an
Immobilienmärkten auslösen könnten. Aber als mögliches Risiko müssen wir dies
schon beobachten, zumal da Renditen auf dem Weg nach oben ja durchaus auch zeitweilig mal über das fundamental gerechtfertigte Niveau hinausschießen könnten.
Ein Anstieg der Renditen
kann auch Probleme nach
sich ziehen
Drittens könnte die Inflation stärker und schneller anziehen als gedacht. Ausgehend
von einem US-Nachfrageimpuls‎ rechnen wir mit einer lebhafteren Konjunktur, die ab
2018 in den USA allmählich in einen Boom übergeht. Dabei wird die Inflation langsam
wieder auf Raten ansteigen, die Zentralbanken für sinnvoll halten oder zu tolerieren
bereit sind. Sollte aber die US-Inflation weit über 3,5 % hinaus steigen, könnte die USNotenbank gezwungen sein, mit ihrer Zinspolitik die Konjunktur bewusst zu dämpfen,
statt den Aufschwung durch ein vorsichtiges Normalisieren der Zinsen auf Kurs zu
halten. Bei unerwartet starkem Inflationsdruck könnte die Party, die wir für die kommenden Jahre erwarten, vorzeitig enden. Auch der Kater käme dann früher als gedacht.
Kann die Inflation stärker
anziehen als erwartet?
Politische Risiken: Handelskriege, Euro in Gefahr?
Während wir diesen wirtschaftlichen Risiken für 2017 keine große Wahrscheinlichkeit
beimessen, machen wir uns mehr Gedanken über die politischen Risiken. Auf die Gefahren, die der Aufstieg populistischer Strömungen hervorgerufen hat, gehen wir im
folgenden Kapitel näher ein. Von unmittelbarer Bedeutung wäre ein denkbarer Handelskrieg zwischen den USA und China. Würde dies Nachahmer finden und das Vertrauen
Wie geht Trump mit
China um?
7
in die Welthandelsordnung untergraben, könnte dies das Wirtschaftsklima gerade in
weltmarktorientierten Ländern wie Deutschland erheblich belasten. Allerdings ist China
so sehr von der Ausfuhr in die USA abhängig, wie der US-Finanzminister China als
Käufer seiner Anleihen braucht, dass beide Seiten eigentlich kein Interesse an einem
echten Handelskrieg haben dürften. Zu mehr als ein paar Scharmützeln von der Art,
dass Präsident Trump einige Strafzölle verhängt und China im Gegenzug einige Flugzeuge bei Airbus statt bei Boeing bestellt, wird es hoffentlich nicht kommen.
Euro-Gegner an der
Schwelle zur Macht?
In Europa ist die Gefahr gestiegen, dass die Euro-Gegner in Frankreich oder Italien an
die Macht kommen könnten. Zwar zeichnet sich nach allen Umfragen nicht ab, dass die
Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, in den Pariser Élysée-Palast einziehen
und zudem ‎eine Mehrheit im Parlament erreichen könnte. Auch in Italien dürften selbst
bei vorgezogenen Neuwahlen die Gegner des Euros keine handlungsfähige Mehrheit
bekommen. Aber ganz ausschließen lassen sich diese Extremrisiken leider nicht.
V. Märkte: Erst die Party …
Märkte streben nach oben –
trotz mancher Risiken
Die Aktienmärkte haben 2016 eine Serie außergewöhnlicher politischer Risiken ohne
große Blessuren überstanden. Seit dem Wahlsieg Trumps freuen sie sich stattdessen auf
den erwarteten Konjunkturstimulus in den USA. Natürlich besteht die Gefahr, dass die
Vorfreude sich als überzogen herausstellt. Allerdings halten wir es für wahrscheinlicher,
dass sich die Aufwärtsbewegung an den Aktienmärkten auf beiden Seiten des Atlantiks
mit den üblichen Schwankungen vorerst fortsetzen wird. Eine bessere Weltkonjunktur
stützt die Stimmung. Für echte Inflationssorgen ist es wohl noch zu früh, gerade da die
Währungshüter nach Jahren besonders niedriger Inflationsraten bereit sein werden, ein
gewisses Überschießen der Inflation über die von den meisten Zentralbanken angestrebte Marke von 2 % hinzunehmen, in den USA und Großbritannien mehr noch als
in der Eurozone.
Ist es diesmal wirklich
die Zinswende?
Seit Jahren haben Volkswirte wie wir regelmäßig Prognosen für die Anleiherenditen
abgegeben, die sich anschließend als zu hoch gegriffen erwiesen haben. Deshalb ist die
weit verbreitete Prognose, dass die Renditen im Jahr 2017 jetzt wirklich spürbar nach
oben klettern werden, mit Vorsicht zu genießen. Allerdings sprechen diesmal besonders
gute Argumente dafür. Mit dem Fiskalstimulus in den USA und der im Aufschwung
zunehmenden Investitionsbereitschaft der Unternehmen nehmen das Angebot an
Staatsanleihen und die Nachfrage nach Krediten zu. Beides treibt den Realzins nach
oben. Zusätzlich dürfte eine etwas höhere Inflationsrate auch die Inflationserwartungen
prägen, die sich in den langfristigen Anleiherenditen ausdrückt. Zusammen mit vermutlich drei Zinsschritten der US-Fed von jeweils 0,25 Prozentpunkten und einem verringerten Umfang der Anleihekäufe der EZB sehen wir deshalb gute Gründe für die Annahme, dass im Jahr 2017 die Anleiherenditen tatsächlich insgesamt etwas nach oben
streben werden. Natürlich gilt, dass 2017 auch ganz anders kommen könnte, wenn
einige der oben beschriebenen politischen Risiken tatsächlich eintreten sollten.
8
TEIL 3
DAS RISIKO DES JAHRES: DER AUFSTIEG DER POPULISTEN
(Dr. Holger Schmieding)
Wir leben in spannenden Zeiten. Die Globalisierung und ein rascher technologischer
Wandel verändern die Welt. Allerdings sind die Fortschrittsgewinne ungleichmäßig
verteilt. Die größten Nutznießer sind die Abermillionen Menschen in einstmals nahezu
geschlossenen und rückständigen Ländern, denen in den vergangenen 20 Jahren der
Aufstieg aus Hunger und extremer Armut gelungen ist. Zu den Gewinnern zählen auch
die Menschen in den wirtschaftlich führenden Ländern, die Innovationen vorantreiben
oder zumindest in der Lage sind, sich an die neue globale Arbeitsteilung anzupassen.
Als Verlierer sehen sich dagegen viele Menschen in der westlichen Welt, denen die
Möglichkeit oder die Fähigkeit fehlt, sich entsprechend umzustellen. Ihre Probleme
werden noch durch übermäßige Regulierungen und durch Sozial- und Bildungssysteme
verschärft, die Flexibilität eher behindern denn fördern.
Leben in spannenden Zeiten
Wie in früheren Jahrhunderten lösen rascher Wandel und ein Zustrom neuer Einwanderer eine politische Gegenreaktion aus. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kosten
der Lehman-Rezession den politischen Handlungsspielraum der Länder massiv beschränkt haben. Der Anstieg der staatlichen Schuldenquoten seit 2007 um 41 Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung in den USA, um 46 Punkte in Großbritannien und um
26 Punkte in der Eurozone hat den Ländern kaum eine Möglichkeit gelassen, die echten
oder vermeintlichen Verlierer des Wandels zu unterstützen. Zudem haben die Finanzkrise und die Sondermaßnahmen, mit denen die Konjunktur vor einer noch tieferen
Abwärtsspirale bewahrt werden musste, die ohnehin verbreitete Abneigung gegen das
„Establishment“ weiter genährt.
Rascher Wandel löst eine
politische Gegenreaktion aus
Die Populisten vom linken und rechten Rand des politischen Spektrums erfreuen sich
deshalb großen Zulaufs. Ohne echte Argumente, aber mit vielen flotten Sprüchen nutzen sie auch die sozialen Medien, in denen sich Gruppen Gleichgesinnter oftmals gegenseitig in ihren Vorurteilen bestätigen. Die Globalisierungsgegner von links und rechts
unterscheiden sich durchaus. Aber in einem Punkt sind sie sich einig: Sie lehnen die
offene Gesellschaft und den weitgehend freien Handel ab, auf denen sowohl unser
Wohlstand als auch die Aufholchancen der Schwellenländer beruhen.
Die Gegner der offenen
Gesellschaft formieren sich
Der Vormarsch der Populisten stellt das größte Risiko für unseren ansonsten verhalten
positiven Ausblick auf Wirtschaft und Finanzmärkte dar. In den folgenden Abschnitten
erläutern wir, weshalb wir glauben, dass die Populisten sich letztlich nicht durchsetzen
werden. Aber die Risiken sind alles andere als trivial.
Vormarsch der Populisten
bedroht unseren Wohlstand
Es geht nicht um Europa
Populisten haben auf beiden Seiten des Atlantiks Hochkonjunktur, in den USA
(Donald Trump, Bernie Sanders) ebenso wie in Europa (Marine Le Pen, Beppe Grillo,
Jeremy Corbyn). Es gibt sie innerhalb der Eurozone (Geert Wilders, die FPÖ) ebenso
wie außerhalb (Schweden Demokraten). In den USA wettern viele Rechtsradikale gegen
Populisten erstarken auf
beiden Seiten des Atlantiks
9
das vermeintlich abgehobene Establishment in Washington, D.C. In Europa richtet
sich die gleiche Wut gegen einen imaginären europäischen „Superstaat“, der von Brüssel
oder Frankfurt gelenkt werde.
Es geht nicht
um vermeintliche
Defizite der EU
Dass sich der Rechts- und Linkspopulismus in den USA ebenso ausgebreitet hat wie in
Europa, zeigt auch, dass es nicht um echte oder vermeintliche Defizite der Europäischen Union oder des Euro geht. Entsprechend könnte keine magische „Reform“
europäischer Institutionen den Populisten das Wasser abgraben. Reformen wären nützlich, in den USA ebenso wie in der EU. Aber keine EU-Reform könnte den Populisten
den Wind aus den Segeln nehmen.
In Europa können
Populisten weit mehr
Schaden anrichten
als in den USA
Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den USA und Europa. Diesseits des Atlantiks können Populisten weit mehr Schaden anrichten als jenseits des
großen Teichs. Als Zweckbündnisse souveräner Staaten sind die EU und die Eurozone
zerbrechlicher als der gefestigte Nationalstaat USA. Auch ein Präsident Trump würde
im Weißen Haus residieren. Sollte er eine Serie von Handelskriegen anzetteln, bliebe
den USA immer noch ihr eigener großer Binnenmarkt. Aber sollten die Populisten
wesentliche Wahlen in Europa gewinnen, könnten sie Europas gemeinsamen Markt
zerstören, auf dem unser Wohlstand beruht.
Populismus tut weh
Bisher haben unsere Politiker
die großen Fehler vermieden
10
Nach dem Ausbruch der Megarezession im Herbst 2008 haben unsere verantwortlichen
Politiker zum Glück die zwei Riesenfehler vermieden, die einst aus der Krise von
1929/1930 eine lang anhaltende Depression gemacht hatten. Statt einen Einbruch der
Geldmenge zuzulassen, haben sie die Geldpolitik energisch gelockert, auch wenn die
Europäische Zentralbank bis zum Sommer 2012 gezögert hatte, bevor auch sie sich mit
letzter Konsequenz gegen die Turbulenzen stemmte. Zudem haben unsere Staatenlenker keinerlei echten Protektionismus zugelassen. Dennoch hat der Aufstieg der Populisten bereits einige nennenswerte Schäden angerichtet.
• Im rauen Meinungsklima der letzten Jahre ist der politische Spielraum für wachstumsfördernde Reformen in weiten Teilen der westlichen Welt enger geworden.
• Das Risiko, dass wirtschaftlich inkompetente Populisten an die Macht kommen oder
zumindest die Politik ihrer Länder maßgeblich beeinflussen können, zählt zu den
Gründen, warum die Investitionsneigung nahezu überall in der westlichen Welt in
den letzten Jahren verhalten geblieben ist. In vielen Ländern mag dies bisher noch
keine große Rolle spielen. In einigen Ländern wie Italien scheint das politische Risiko
jedoch zunehmend das Wirtschaftsklima zu belasten.
• Im kleinen Griechenland hat der Aufstieg der linksradikalen Syriza-Bewegung den
Aufschwung des Jahres 2014 abgewürgt. Anstatt dass sich Griechenland ebenso wie
Spanien endlich von der schweren Anpassungskrise erholen konnte, haben die Populisten ihr Land 2015 in die Rezession zurückgestoßen.
• Mit ähnlich unhaltbaren Versprechen wie denen der Athener Linksradikalen von
Anfang 2015 haben die britischen Populisten im Juni 2016 das Referendum über den
Austritt ihres Landes aus der EU gewonnen.
Die westliche Welt ist weit von der Finsternis der 1930er-Jahre entfernt, in der überbordender politischer und wirtschaftlicher Nationalismus große Teile der Welt ins Unglück gestürzt hatte. Aber im Brexit-Votum und einigen Wahlkampfsprüchen des neuen US-Präsidenten ist doch ein gewisses Echo dieser düsteren Zeit zu vernehmen.
Ein Echo der
1930er-Jahre?
Warum der Populismus sich letztlich nicht durchsetzen wird
Kein Trend dauert ewig. Ein einfaches Verlängern der jüngsten Entwicklung in die
Zukunft ergibt selten brauchbare Prognosen über den Tag hinaus. Fünf wesentliche
Gründe sprechen dafür, dass der Aufstieg gefährlicher Populisten vermutlich enden
wird, bevor diese noch mehr Schaden anrichten können, als es ohnehin der Fall ist.
1) In den meisten westlichen Ländern steigen die Beschäftigungsquoten. Bei vermehrter Nachfrage nach Arbeitskräften können die durchschnittlichen Reallöhne in
den kommenden Jahren etwas anziehen. Auch wenn es einige Jahre dauern wird,
bis viele Bürger dies wahrnehmen, dürfte das die Debatte über die ungleiche Verteilung der Globalisierungsgewinne im Zeitablauf etwas entschärfen.
2) Die harte Sparpolitik gehört in vielen Ländern der Vergangenheit an. Stattdessen
zeigen sich einige Erfolge. Deutschland hat bereits einen Überschuss im Staatshaushalt, einige andere Länder wie Spanien und Italien haben durch Reformen die
Weichen richtig gestellt. Viele Länder werden in den kommenden Jahren die Gewinne aus der rückläufigen Arbeitslosigkeit nutzen können, um die Globalisierungsverlierer besser zu unterstützen als bisher.
3) Europa ist langsam, aber es reagiert. Nach dem ungebremsten Flüchtlingszustrom
vom Herbst des vergangenen Jahres, zu dem Deutschland durch zeitweilig allzu
offene Grenzen mit beigetragen hat, funktioniert das Asylrecht in der EU mittlerweile wieder leidlich. Da Migranten, die in Griechenland oder Italien ankommen,
nicht mehr einfach gen Norden durchgewunken werden, hat die Zuwanderung
wieder einen Umfang erreicht, der verkraftbar ist. Dieses Reizthema könnte in den
kommenden Jahren damit etwas an Sprengkraft verlieren.
4) Selbst Populisten können lernen. Sogar der ein oder andere Schreihals wird durch
einen Realitätsschock zur Vernunft gebracht. Die „Wahren Finnen“ haben sich
gemäßigt, seit sie Juniorpartner in der Regierung in Helsinki sind. Selbst Griechenlands linksradikale Syriza-Partei hat bereits einige Schritte hin zur sozialdemokratischen Vernunft unternommen.
5) Populisten können nicht liefern. Dass Syriza in Athen das Land zunächst an den
Rand des Zusammenbruches gebracht hatte, bevor Premierminister Tsipras seinem
katastrophalen ersten Finanzminister Varoufakis Mitte 2015 endlich das Handwerk
gelegt hatte, hat den Linkspopulisten in anderen Ländern Europa nicht gerade Auftrieb gegeben. Auch der Kontrast zwischen den pompösen Versprechen der BrexitWortführer und ihrer Unfähigkeit, anschließend auch nur irgendeinen Plan vorzulegen, wie der britische Austritt aus dem größten Binnenmarkt der Welt denn vonstatten gehen könne, hat den Anti-EU Populisten andernorts eher geschadet.
Kein Trend dauert ewig
Letztlich werden die Populisten daran scheitern, dass sie zwar Sprüche klopfen, aber
keine Lösungen anbieten können. Im Laufe der Zeit wird dies immer sichtbarer werden.
Darauf beruht unsere Zuversicht, dass trotz aller drohenden Gefahren die Populisten
sich auf Dauer doch nicht durchsetzen werden.
Populisten können keine
Lösungen anbieten
11
TEIL 4
AUSGEWÄHLTE REGIONEN
I. USA: Aufschwung kann Fahrt aufnehmen
(Dr. Florian Hense)
Die Belebung der
US-Wirtschaft ist unter
den Erwartungen geblieben
Nicht nur um die Jahreswende 2015/2016, sondern auch in den Jahren davor blieb die
US-Konjunktur oft unter den Erwartungen. Während sich der private Verbrauch und
der Immobilienmarkt solide entwickelten, konnten Unternehmensinvestitionen und
Exporte wenig Impulse geben. Die Arbeitslosenquote halbierte sich seit der Finanzkrise, mit allerdings nur geringen Auswirkungen auf den Anteil der Erwerbstätigen an
der Gesamtbevölkerung, welcher weit unter dem Vorkrisenniveau liegt. Größere Lohnsprünge waren auch lange ausgeblieben. Gleichzeitig ließ der positive Effekt der Niedrigzinspolitik der Fed auf die Wirtschaft nach.
Trump plant radikal
neuen Kurs bei Steuern
und Regulierung
Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten leitet eine Trendwende ein. Zu der
verhaltenen Dynamik der US-Wirtschaft und für viele Amerikaner unzureichenden
Verbesserung ihrer Lebensumstände seit der Finanzkrise bot Trump mit seinem Wahlprogramm eine Alternative: Sie reicht von geringeren Steuern auf Einkommen und
einer Reform der Unternehmenssteuer über weniger beziehungsweise unternehmensfreundlichere Regulierungen bis hin zu Investitionen in die Infrastruktur und nationale
Sicherheit. Diese Alternative ist nun das Programm für die nächsten vier Jahre.
Breiter Konsens für
Infrastrukturausbau
Über Staatseinnahmen und -ausgaben entscheidet der US-Kongress, in dem Trump
auch unter Republikanern nicht nur Freunde hat. Einige darunter werden versuchen,
die mit Trumps Programm verbundene zusätzliche Schuldenaufnahme einzugrenzen.
Momentan herrscht in den USA allerdings über die Parteigrenzen hinweg weitgehend
Konsens, dass mehr Geld für die marode Infrastruktur ausgegeben werden muss und
Sozialleistungen für Veteranen steigen sollen. Der kreditfinanzierte Stimulus wird deswegen kommen und das staatliche Haushaltsdefizit in den kommenden Jahren um bis
zu einem Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung erhöhen.
Unternehmensinvestitionen
sollten aus dem
Dornröschenschlaf erwachen
Mit den Staatsausgaben wird sich auch die US-Konjunktur in den kommenden Jahren
beleben. Nach 1,6 % in 2016 rechnen wir mit einem Anstieg der Wachstumsrate auf
2,4 % in 2017 und 2,9 % in 2018 – vor der Wahl Trumps zum US-Präsidenten waren
wir für diese Jahre von 2,2 % beziehungsweise 2,0 % ausgegangen. Als wichtiger Treiber
für die Wirtschaft werden sich auch Unternehmensinvestitionen herausstellen. Die
geplante Reform der Unternehmenssteuer (geringere Sätze bei breiterer Bemessungsgrundlage und einer vereinfachten Besteuerung), die Deregulierung einiger Wirtschaftsbereiche sowie eine lebhaftere Konjunktur werden viele Unternehmen dazu veranlassen, ihre Aktivitäten auszubauen. Nach einem leichten Rückgang in 2016 könnten die
Investitionen in 2017 und 2018 um 3,6 % beziehungsweise 6,3 % jährlich steigen. Von
Exporten sind angesichts einer vermutlich anhaltenden Stärke des US-Dollars weiterhin
keine Impulse zu erwarten – im Gegenteil: Das Defizit in der Leistungsbilanz wird sich
weiter verstärken.
12
Auf den privaten Verbrauch als – jetzt nicht mehr alleinige – Stütze der Wirtschaft wird
nach wie vor Verlass sein. Der Konsum steigt und fällt in der Regel mit dem real verfügbaren Einkommen. Dieses sollte von anziehenden Lohnsteigerungen sowie voraussichtlichen Steuersenkungen profitieren. Die Arbeitslosenquote ist bereits unter 5 %
gesunken. Ob sie weiter fallen wird, hängt auch davon ab, inwieweit sich bislang nicht
in der Erwerbsstatistik erfasste US-Amerikaner künftig als erwerbssuchend melden. Die
Belebung der Wirtschaft und Trumps Pläne, die Einkommenssteuer für Durchschnittsverdiener zu reduzieren, könnte viele zu diesem Schritt motivieren. Positiv auf den
privaten Verbrauch wirkt sich auch die robuste Entwicklung des Immobilienmarktes
aus. Baubeginne privater Häuser haben sich seit dem Tief in 2009 verdoppelt und die
gestiegenen Immobilienpreise fördern die Ausgabenbereitschaft der Verbraucher.
Privater Verbrauch sendet
weiterhin positive Impulse
Das höhere Wachstumstempo wird sich auch verstärkt in anziehenden Preisen niederschlagen. Die Zeit immer weiter sinkender Inflationsraten ist vorbei (Abbildung 1).
Da der Lohndruck in den USA seit einem Jahr leicht zunimmt, wird sich die Kernrate
der Inflation ohne schwankungsanfällige Energie- und Nahrungsmittel von derzeit
2,2 % langsam Richtung 3 % bewegen. Angesichts dieser Entwicklung wird die Fed
nach dem Anheben der Zinsen um 25 Basispunkte im Dezember 2016 vermutlich 2017
drei weitere Schritte folgen lassen. Die Fed wird die Geldpolitik also straffen, aber auf
homöopathische Weise. Selbst nach drei weiteren Zinsschritten bis Ende 2017 würde
der Zins real negativ bleiben.
Fed wird auf zunehmende
Inflation reagieren
Abb. 1: USA – Inflation
6
6
Inflation
Kerninflation
4
4
2
2
0
0
-2
Jan 98
Jan 00
Jan 02
Jan 04
Jan 06
Jan 08
Jan 10
Jan 12
Jan 14
Jan 16
-2
Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Kerninflation entspricht der Inflation ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise.
Quelle: Bureau of Labor Statistics.
Die große Unbekannte für Trumps Präsidentschaft, und damit das größte Risiko, besteht darin, ob er tatsächlich seine protektionistischen Wahlkampfsprüche umsetzen
und Handelskriege mit China und Mexiko anzetteln wird. Dies würde zwar weitaus
mehr zu Lasten der ausfuhrabhängigen Länder Europas und Asiens gehen. Aber auch
die US-Wirtschaft würde unter den Folgen für Handelsströme, Geschäftsklima und
Verbraucherpreise leiden.
Risiko Handelspolitik:
Macht Trump Ernst
mit seinen Plänen?
13
II. Westeuropa: Trotz politischer Risiken weiter aufwärts
(Cornelia Koller)
1. Eurozone: Brexit-Entscheidung gut umschifft
Trotz Brexit:
stabiles Expansionstempo
Die Konjunktur der Eurozone hat im dritten Quartal 2016 ungeachtet der Unsicherheit
nach dem Brexit-Votum keinen Schwung verloren. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs
wie bereits im zweiten Quartal erneut um knapp 0,35 % gegenüber dem Vorquartal.
Verantwortlich für das stabile Wachstum war vor allem die konjunkturelle Belebung in
Frankreich und Italien, während das stark exportorientierte Deutschland kurzzeitig
etwas an Dynamik einbüßte.
Wirtschaft bleibt 2017
auf Wachstumskurs
Auch für Ende 2016 und den Start ins neue Jahr mehren sich die Zeichen, dass das
Brexit-Referendum und andere politische Ereignisse nur kurz für Unsicherheit gesorgt
haben. Das Industrievertrauen stabilisiert sich und das Verbrauchervertrauen hat sich
zuletzt spürbar aufgehellt (Abbildung 2). Sogar die Einkaufsmanagerindizes sind kräftig
gestiegen. Deshalb erwarten wir, dass die Eurozone trotz der Unsicherheit nach dem
Scheitern des italienischen Referendums und dem Regierungswechsel in den USA bis
Ende 2016 ihr Wachstumstempo halten und 2017 sogar etwas stärker zulegen wird.
Abb. 2: Eurozone – Stimmungsindikatoren
10
10
0
0
-10
-10
-20
-20
-30
-30
Verbrauchervertrauen
Industrievertrauen
-40
Jan 99
Jan 01
Jan 03
Jan 05
Jan 07
Jan 09
Jan 11
Jan 13
Jan 15
-40
In Punkten. Quelle: Europäische Kommission.
EZB sorgt weiter für
kräftigen Rückenwind,
Binnennachfrage bleibt
treibende Kraft
14
Unser verhaltener Optimismus stützt sich unverändert auf die extrem expansive Geldpolitik der EZB, die Banken, Unternehmen und Verbraucher großzügig mit Liquidität
zu historisch niedrigen Zinsen versorgt und der Konjunktur damit kräftigen Rückenwind verschafft. Wir erwarten unverändert, dass die Binnennachfrage – vor allem
der private Konsum bei weiter langsam abnehmender Arbeitslosigkeit – wesentliche
Konjunkturstütze sein wird. Darüber hinaus sollten die günstigen Finanzierungskosten
dazu beitragen, die Investitionstätigkeit der Unternehmen anzuregen. Zudem bleibt die
Finanzpolitik leicht expansiv ausgerichtet. Auch der schwache Euro und die im längerfristigen Vergleich noch immer relativ niedrigen Ölpreise wirken weiter stimulierend,
obwohl der Rückenwind nicht mehr so stark wie im Vorjahr bläst. Dafür haben sich die
Exportaussichten nach Abklingen der Schwellenlandkrise aufgehellt.
Wir erwarten, dass die Eurozone im Jahr 2017 um 1,5 % wachsen wird. Risiken für
unseren Ausblick sehen wir unverändert weniger auf der wirtschaftlichen denn auf der
politischen Seite. Hierzu zählt neben dem gescheiterten Verfassungsreferendum in
Italien vor allem der Aufstieg populistischer Parteien, insbesondere in Frankreich.
Die Eurozone wird 2017
um 1,5 % wachsen
1.1. Deutschland: Mit neuem Schwung ins Jahr 2017
Deutschland wird wichtiger Konjunkturmotor für den gesamten Euroraum bleiben,
auch wenn das Brexit-Votum und die dadurch entstandene Unsicherheit zuletzt zu
Bremsspuren geführt hatten. So ist das BIP im dritten Quartal 2016 lediglich um 0,2 %
gegenüber dem Vorquartal und damit nur noch halb so stark wie in den Monaten April
bis Juni gestiegen. Ein Blick auf die Frühindikatoren zeigt, dass die deutsche Wirtschaft
nach dieser Wachstumsdelle bereits zum Jahresende 2016 offenbar neuen Schwung
aufgenommen hat, der sich im nächsten Jahr fortsetzen sollte.
Deutschland: Brexit-Votum
sorgt nur vorübergehend für
Unsicherheit
Abzuwarten bleibt, wie weit der Regierungswechsel in den USA die Stimmung und
Investitionsentscheidungen vor allem der exportorientierten Unternehmen beeinflussen
wird. So sind die USA vor Frankreich und Großbritannien der wichtigste Absatzmarkt
für deutsche Produkte (Exportanteil: 9,5 %). Das umfangreiche Konjunkturprogramm
Trumps kann auch zu zusätzlichen Aufträgen für die Exportwirtschaft führen. Zumindest vorerst scheint die deutsche Wirtschaft von der Trump-Wahl relativ unbeeindruckt. Vor allem der ifo-Geschäftsklimaindex hat bisher auf die politischen Unwägbarkeiten reagiert. Er hat im November – nach einem dreimaligen Anstieg in Folge – den
Vormonatsstand verteidigt (Abbildung 3). Auch die zuletzt kräftig gestiegenen Auftragseingänge in der Industrie signalisieren, dass die deutsche Wirtschaft auf Wachstumskurs bleibt.
Stimmungsindikatoren
signalisieren Fortsetzung
des Wachstumskurses
Abb. 3: Deutschland – BIP-Wachstum und ifo-Geschäftsklimaindex
120
8
115
6
110
4
105
2
100
0
95
-2
90
85
80
Mrz 00
-4
ifo-Geschäftsklimaindex
BIP (rechte Skala)
-6
-8
Mrz 02
Mrz 04
Mrz 06
Mrz 08
Mrz 10
Mrz 12
Mrz 14
Mrz 16
BIP: Veränderung gegenüber Vorjahr in %; ifo-Index in Punkten. Quellen: Deutsches Bundesamt für Statistik, ifo Institut.
Treibende Kraft wird auch im nächsten Jahr der Konsum bleiben, der durch die weiter
zunehmende Beschäftigung, steigende Löhne und die noch immer geringe Inflation
sowie das extrem niedrige Zinsniveau gestützt wird. So haben sich das GfK-Konsumklima und die Anschaffungsneigung weiter als sehr robust erwiesen und sind im
November bei besseren Konjunkturerwartungen leicht gestiegen. Die Arbeitslosigkeit
dürfte trotz des anhaltenden Beschäftigungsaufbaus allerdings leicht zunehmen, da die
Robuste Binnennachfrage
federt externe Belastungen ab
15
nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge zunehmend auf den Arbeitsmarkt drängen
werden und die Integration langwierig sein wird. Wachstumsimpulse wird weiterhin die
Baukonjunktur, insbesondere der Wohnungsbau, liefern. Nachdem sich die Unsicherheit über die Entwicklung rund um den Brexit vorerst gelegt hat, sollten auch die Unternehmen wieder zuversichtlicher werden und in Maschinen und neue Anlagen investieren. So wirken die enorm günstigen Finanzierungsbedingungen stimulierend, zudem
ist der Sockel an zurückgestellten Investitionen hoch. Darüber hinaus wird die Fiskalpolitik expansiv bleiben. Nicht zuletzt sollte die nach Abklingen der Schwellenlandkrise
im nächsten Jahr wieder lebhaftere Weltkonjunktur mehr deutsche Exporte nach sich
ziehen.
Deutschland dürfte 2017
um 1,7 % wachsen
Wir erwarten daher, dass die deutsche Wirtschaft ungeachtet der bestehenden politischen Risiken dank ihrer robusten Binnennachfrage weiter auf einem soliden Wachstumskurs bleiben und 2017 um 1,7 % wachsen wird. Längerfristig birgt die künftige
Wirtschafts- und Außenpolitik Präsident Trumps allerdings Risiken für das exportorientierte Deutschland. So könnte ein Handelskrieg zwischen den USA und China die Welthandelsordnung erschüttern. Sollte es zudem zu einer Welle protektionistischer Maßnahmen der USA – und anderer Länder – kommen, würde dies die Wachstumschancen
Deutschlands einschränken.
1.2. Italien: Was kommt nach Renzi?
Italien durch Renzis
Reformpolitik zurück auf
dem Wachstumspfad
Nachdem Ministerpräsident Renzi die lange überfällige Arbeitsmarktreform 2015 in
Angriff genommen hatte, war Italien auf den Wachstumspfad zurückgekehrt. Auch hat
das Land zuletzt positiv mit einem Wachstum von 0,3 % im dritten Quartal 2016 überrascht. Im Schlussquartal dürfte sich die Unsicherheit vor dem Referendum Anfang
Dezember aber wieder wachstumsbremsend ausgewirkt haben.
Nach Scheitern des
Referendums neue Phase der
politischen Instabilität
Nachdem das Verfassungsreferendum gescheitert und Renzi zurückgetreten ist, hat
Italien die Chance auf weitere Reformen offenbar vorerst verspielt. Entscheidend wird
nun sein, ob der neue Premierminister Gentiloni bis zu den regulären Parlamentswahlen 2018 den Kurs Renzis weiter verfolgen kann. Oder kommt es bereits 2017 zu
vorgezogenen Neuwahlen mit dem Risiko der Rücknahme einiger Reformen und des
Erstarkens der Euro-kritischen Fünf-Sterne-Bewegung oder der rechtspopulistischen
Lega Nord? Selbst wenn ein Austritt Italiens aus der EU beziehungsweise dem Euro
derzeit noch wenig wahrscheinlich ist, könnte eine längere Phase der politischen Instabilität zu neuer Unruhe an den Finanzmärkten, einer Verschärfung der Bankenkrise
und einem Rückfall in die Rezession führen.
Italien dürfte 2017
um 0,8 % wachsen
Damit bleibt es für Italien vorerst bei unterdurchschnittlichem Wachstum: Aktuell erwarten wir, dass das BIP 2017 um 0,8 % zunehmen kann, wobei die Abwärtsrisiken
überwiegen. Risiken liegen neben der politischen Unsicherheit vor allem in der fragilen
Lage des italienischen Bankensektors mit seiner hohen Last an notleidenden Krediten.
16
1.3. Frankreich: Reformnachzügler mit neuer Wachstumschance
Das zweitgrößte Land der Eurozone bleibt Reform- und Wachstumsnachzügler. Allerdings hat die Wirtschaft zuletzt wieder an Schwung gewonnen und wies nach dem
Rückgang im zweiten Quartal 2016 im Herbst wieder einen Zuwachs auf (0,2 %). Nach
wie vor stehen der aufgeblähte Staatssektor und der überregulierte Arbeitsmarkt einem
breiter angelegten Aufschwung im Weg. Aufgrund der unzureichenden internationalen
Wettbewerbsfähigkeit dürfte der Außenhandel die Wirtschaft auch im nächsten Jahr
bremsen. Treibende Kraft bleibt damit auch im Jahr 2017 die Binnennachfrage mit
anziehendem privatem und öffentlichem Konsum sowie sich etwas erholenden Bauinvestitionen. Wir erwarten daher für 2017 ein BIP-Wachstum von 1,2 %.
Frankreich bleibt Reformund Wachstumsnachzügler
und wird 2017 wohl lediglich
um 1,2 % wachsen
Hoffnungen für ein Anschieben neuer Arbeitsmarktreformen und einer verbesserten
internationalen Wettbewerbsposition liegen für 2017 nun in einer konservativen MitteRechts-Regierung unter Fillon. So will der Präsidentschaftskandidat der Konservativen
die Wochenarbeitszeit von 35 auf 39 Stunden erhöhen, das Arbeitslosengeld kürzen
und das Rentenalter von 62 auf 65 Jahre anheben. Ferner sollen Sozialabgaben und
Steuern für die Unternehmen sinken und der Beamtenapparat drastisch verkleinert
werden. Das bislang größte politische Risiko für die Eurozone – ein Wahlsieg der
Rechtspopulisten unter Le Pen – ist aus unserer Sicht durch Fillon zudem wieder geringer
geworden.
Chancen, aber auch
Risiken liegen in den
Präsidentschaftswahlen
1.4. Spanien: Dem Aushängeschild für Reformen geht die Puste etwas aus
Wachstumsstar unter den großen Euroländern bleibt Spanien. Das anfängliche Sparprogramm der Regierung, die Reformen am Arbeitsmarkt sowie die Lohnzurückhaltung
haben sich ausgezahlt und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes deutlich verbessert.
Allerdings zeichnet sich inzwischen ab, dass der Wachstumshöhepunkt überschritten ist
und das überdurchschnittlich hohe Wachstum künftig etwas moderater ausfallen dürfte.
So betrug der BIP-Zuwachs im dritten Quartal 2016 „nur noch“ 0,7 % nach jeweils
0,8 % in den beiden Vorquartalen. Die größte Herausforderung für Spanien bleibt,
weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Zwar hat sich die Arbeitslosenquote seit 2013 um
etwa acht Prozentpunkte verringert (aktuell: 19 %). Gleichwohl bleibt die Erwerbslosigkeit, vor allem unter den jungen Menschen, immer noch erschreckend hoch
(aktuell: 43,6 %).
Spanien bleibt
Wachstumstreiber,
der Höhepunkt ist
aber überschritten
Wir erwarten, dass das viertgrößte Land der Eurozone 2017 um 2,6 % nach jeweils
3,2 % in den beiden Vorjahren wachsen wird. Auch in Spanien liegt das Risiko für den
weiteren Ausblick auf der politischen Seite. Es ist keineswegs gewährleistet, dass die
neu gebildete Minderheitsregierung unter Rajoy, der neue Arbeitsmarktreformen anstoßen beziehungsweise die bestehenden verbessern will, eine volle Amtsperiode halten
wird. Anders als in Italien würde eine mögliche Neuwahl aber kein Risiko eines Austritts aus dem Euro bedeuten.
Spanien könnte 2017
um 2,6 % wachsen
17
2. Großbritannien: Harter oder weicher Brexit?
BIP-Wachstum verändert
sich trotz Referendums kaum
Trotz des Brexit-Votums bleibt die britische Wirtschaft auf Wachstumskurs. Im dritten
Quartal 2016 legte das Bruttoinlandsprodukt um 0,5 % zu, nachdem es im Frühjahr um
0,7 % gestiegen war. Auf Jahresbasis wuchs die britische Wirtschaft um 2,3 % (zweites
Quartal: 2,1 %).
Anstieg von Konsum,
Bruttoanlageinvestitionen
und Nettoexport bremsen
negative Erwartungen
Kontinuierlich steigender Konsum und mehr Ausfuhren sorgten für das WirtschaftsPlus. Der private Konsum wuchs im dritten Quartal um 0,7 %. Aufgrund eines starken
Arbeitsmarktes, höherer Immobilienpreise und verbesserter Kreditbedingungen stiegen
die Haushaltsausgaben weiter, anstatt wegen der erhöhten Unsicherheit, ausgelöst
durch das Brexit-Votum, aufgeschoben zu werden. Darüber hinaus nahmen die Bruttoanlageinvestitionen zum zweiten Mal in Folge zu, nachdem diese im vierten Quartal
2015 und im ersten Quartal 2016 abgenommen hatten. Sowohl Unternehmen als auch
private Haushalte reagieren somit weniger negativ auf das Votum als erwartet. Zusätzlich trug der positive Außenbeitrag 0,7 Prozentpunkte zum BIP bei, da die Exporte im
dritten Quartal anstiegen und die Importe zurückgingen. Das Wachstum der Exporte
war in Verbindung mit dem schwachen Pfund Sterling zu erwarten. Der Rückgang der
Einfuhren übertraf aber alle Befürchtungen, denn die englischen Haushalte sind stark
von ausländischen Produkten abhängig. Allerdings sind diese Zahlen sehr volatil. Der
positive Außenbeitrag gleicht den negativen des zweiten Quartals aus.
Stimmung in der
Industrie erholt sich
Nachdem der Markit-Einkaufsmanagerindex sowohl für die Industrie als auch für
Dienstleistungen im Juli unmittelbar nach dem Brexit-Votum unter der 50-Punkte-Linie
lag, war zum Ende des Jahres wieder ein Anstieg über dieser Linie zu verzeichnen
(Abbildung 4). Dies deutet auf anhaltendes Wachstum hin.
Abb. 4: Großbritannien – Einkaufsmanagerindex
65
65
60
60
55
55
50
50
Industrie
Dienstleistungen
45
Dez 13
45
Jun 14
In Punkten. Quelle: Markit.
18
Dez 14
Jun 15
Dez 15
Jun 16
Die unerwartet positiven Wirtschaftsdaten seit dem Referendum sagen jedoch nichts
über Großbritanniens wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nach dem Austritt aus der EU
aus. Schließlich befindet sich das Land noch in der EU. Mittelfristig wird die BrexitUnsicherheit die Wachstumsprognosen stärker beeinflussen und der verursachte Angebotsschock das Trendwachstum verringern. Ein harter Brexit wird die Unternehmen
nervöser werden lassen und dadurch Investitionsentscheidungen verzögern. Zusätzlich
wird der Konsum nachlassen, da die Reallöhne wegen steigender Inflation (2017: 2,5 %)
sinken werden. Wir rechnen zudem mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote um je 0,2
Prozentpunkte in den Jahren 2017 und 2018. Die schwache Währung wird weiterhin
die Exporte fördern und die Importnachfrage schwächen. Deshalb ist mit kontinuierlichem, aber moderatem Wachstum von 1,5 % in 2017 und 2018 zu rechnen. Letztendlich jedoch hängt das Ausmaß des Angebotsschocks des EU-Austritts vom Ergebnis
der Verhandlungen über die künftigen Handels- und Investmentbedingungen sowie
von den Einwanderungsregelungen zwischen Großbritannien und der EU ab.
Wir erwarten für 2017 ein
BIP-Wachstum von 1,5 %
Großbritanniens Richtungsentscheidung wird also für die Zukunft eine große Rolle
spielen – vor allem in puncto Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Handelspolitik. Die zwei möglichen Szenarien: der weiche oder der harte Brexit. Einerseits könnten die Kosten des
Brexits relativ gering ausfallen, falls wachstumsorientierte Reformen beschlossen werden.
Dann könnte das langfristige Trendwachstum höher als 1,8 % ausfallen. Falls die Regierung aber strikt gegen Einwanderung vorgeht, sich für den harten Brexit entscheidet und
auf höhere Staatsausgaben, zunehmende Marktregulierungen in der Industrie und im
Arbeitsmarkt sowie höhere Mindestlöhne setzt, könnte das langfristige Trendwachstum
unter 1,8 % fallen. Noch ist alles möglich. Grundsätzlich aber gilt: Obwohl ein Austritt
aus der EU schlecht für das langfristige Wachstum Großbritanniens ist, ist es nicht das
Ende der Welt. Falls es aber zu einem harten Brexit kommt, werden wir unsere Prognosen wahrscheinlich senken müssen.
Wachsende
Brexit-Unsicherheit:
harter oder weicher Brexit?
Bank of England Gouverneur Carney schlug eine zweijährige Übergangsphase nach den
Austrittsverhandlungen vor. Dadurch hätte Großbritannien vollen Zugang zum EUBinnenmarkt bis 2021. Unserer Meinung nach würde eine solche Übergangsphase ein
besseres Ergebnis für Großbritannien herbeiführen als ein vollständiger Brexit bis 2019.
Dies gilt unter der Bedingung, dass die Möglichkeit besteht, während der Übergangsphase Handelsabkommen mit Drittländern zu verhandeln. So würde die Regierung den
langfristigen wirtschaftlichen Schaden für Großbritannien einschränken. Allerdings
könnte dieses Vorgehen die bereits hohe politische Spannung im Land anheizen, da die
britische Regierung weiter den von der EU bestimmten Regulierungen folgen müsste –
zum Beispiel hinsichtlich der Personenfreizügigkeit oder Budgetbeiträgen. BrexitBefürworter würden ein solches Abkommen als Versuch werten, den Brexit zu verlangsamen oder gar aufzuhalten.
Eine mögliche
Übergangslösung
19
3. Schweiz: Die Flucht in den Franken
Franken weiterhin zu stark
Der Franken steht weiter unter immensem Aufwertungsdruck und belastet das Wirtschaftswachstum. Nachdem sich der BIP-Zuwachs im zweiten Quartal gegenüber dem
Vorquartal auf 0,6 % verdoppelte, enttäuschte das dritte Quartal mit einem Wachstum
von null. Gründe hierfür waren unter anderem fehlende Impulse vom Konsum und
rückläufige Ausfuhren.
Positiver Ausblick für die
Konjunktur
Besser sehen die konjunkturellen Frühindikatoren aus. Der Frühindikator der Konjunkturforschungsstelle (KOF) fiel im November zwar um 1,7 auf 102,2 Punkte, bewegt
sich aber mit diesem Wert leicht über seinem langfristigen Mittelwert und signalisiert
somit noch immer Wachstumsraten nahe dem langfristigen Durchschnitt (Abbildung 5). Noch positiver sieht die Entwicklung des Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe aus, der mit 56,6 Punkten seinen höchsten Wert seit Februar 2014
erreicht hat. Das deutet darauf hin, dass das verarbeitende Gewerbe mit dem konstant
hohen Franken mittlerweile relativ gut zurechtkommt.
Abb. 5: Schweiz – BIP-Wachstum und KOF-Frühindikator
125
8
105
4
85
0
KOF-Frühindikator
BIP (rechte Skala)
65
Jan 05
-4
Jan 07
Jan 09
Jan 11
Jan 13
Jan 15
BIP: Veränderung gegenüber Vorjahr in %; KOF-Konjunkturbarometer in Punkten. Quellen: Staatssekretariat, KOF.
Außenhandel stottert,
Handelsbilanz aber
weiter positiv
Zum ersten Mal seit Februar dieses Jahres sanken die Schweizer Exporte im Oktober
(–1,1 %). Insbesondere für hochpreisige Warengruppen wie Uhren und Juwelierwaren
sowie Maschinen ging die Nachfrage zurück. Die steigende Nachfrage nach chemischpharmazeutischen Produkten dämpfte die Exportschwäche, da sie dem allgemeinen
Abwärtstrend trotzte und um 7 % zulegte. Insgesamt ergibt sich aber noch immer eine
positive Handelsbilanz, was für den Oktober einen Überschuss von 2,7 Mrd. Franken
bedeutet. Für das Jahr 2017 erwarten wir ein Wachstum von 1,6 %.
Deflation nimmt ab
Positiv ist, dass die Deflation allmählich abnimmt. Aktuell liegt die Inflationsrate bei
–0,3 %. Wir erwarten, dass der Preisauftrieb im Jahresdurchschnitt 2017 0,3 % betragen
und damit erstmals seit 2011 wieder positiv sein wird.
Keine Veränderung
in der Zinspolitik
Die SNB dürfte ihr Zielband für den Dreimonats-Libor zwischen –1,25 % und –0,25 %
beibehalten und den Zins auf Sichteinlagen gegebenenfalls weiter verringern. Zudem
wird die SNB am Devisenmarkt aktiv bleiben, wenn es der Wechselkurs verlangt.
20
III. Japan: Weiter in der Wachstumsfalle
(Wolfgang Pflüger)
Auch nach gut vier Jahren „Abenomics“ bleiben die wirtschaftspolitischen Erfolge des
Ministerpräsidenten Abe sehr überschaubar. Er war angetreten, das Land aus seiner
Deflationsspirale zu befreien und neue, nachhaltige Wachstumskräfte freizusetzen.
Die Notenbank hatte sich ein Inflationsziel von 2 %, erreichbar bis Ende 2014, gesetzt.
Sie legte ein Programm zum Ankauf von Anleihen auf und ergänzte es später um Aktienkäufe, um schließlich seit Anfang 2016 Negativzinsen auf Bankeinlagen einzuführen.
Doch abgesehen von wenigen Monaten nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer im
April 2014 konnten sich die Verbraucherpreise zu keinem Zeitpunkt überzeugend von
der Nulllinie absetzen. Der November 2016 markierte den achten Monat in Folge mit
abermals fallenden Preisen (Abbildung 6).
Bank of Japan verfehlt
Inflationsziel
Abb. 6: Japan – Einzelhandel und Inflation
4
3
12
Inflation
Einzelhandelsumsätze (rechte Skala)
9
2
6
1
3
0
0
-1
-3
-2
-6
-3
-9
-4
Jan 00
-12
Jan 02
Jan 04
Jan 06
Jan 08
Jan 10
Jan 12
Jan 14
Jan 16
Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quellen: Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie, Japan; Ministerium für innere Angelegenheiten und Kommunikation.
Eine nachdenklich stimmende Nebenwirkung der jahrelangen Wertpapierankäufe besteht
darin, dass die Notenbank mittlerweile circa 40 % aller umlaufenden Staatsanleihen erworben hat und auch bei 90 % der im Nikkei 225 Index enthaltenen Unternehmen zu
den jeweils zehn größten Aktionären zählt. Behält sie ihr Ankaufstempo bei, wäre sie
Ende 2017 in 55 Konzernen der größte Anteilshalter. Wie das die Wirtschaft beleben
oder zu mehr Inflation führen soll, bleibt das Geheimnis der Notenbank. Kritiker bezeichnen es als Verstaatlichung durch die Hintertür.
Verstaatlichung durch
die Hintertür?
Auch das Ziel, das Wachstum nachhaltig zu beschleunigen, hat Japan verfehlt. Während
der vergangenen acht Jahre ist die japanische Wirtschaft viermal geschrumpft. Das nominale BIP lag Mitte 2016 mit circa 5 100 Mrd. Yen noch immer knapp unter dem Niveau
von Anfang 2008 (5 132 Mrd. Yen). Das historische Hoch stammt sogar aus dem Jahr
1997 (5 245 Mrd. Yen). Unter Ausklammerung von Preisveränderungen wuchs die
Wirtschaft während Abes Regierungszeit jahresdurchschnittlich um etwa 0,6 %.
Ein ähnliches Ergebnis wird sich auch für 2016 einstellen. Denn einem unveränderten
Jahresauftakt folgten zwei Quartale, in denen das BIP um 0,1 beziehungsweise
Wachstum bleibt schwach
21
0,5 Prozentpunkte anstieg (Abbildung 7). Das ist angesichts rekordniedriger Zinsen,
einer immer expansiveren Notenbankpolitik und diverser vorangegangener Konjunkturprogramme der Regierung dürftig.
Abb. 7: Japan – BIP-Wachstum
12
12
6
6
0
0
-6
-6
-12
-12
-18
Mrz 05
-18
Mrz 07
Mrz 09
Mrz 11
Mrz 13
Mrz 15
Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: Wirtschafts- und Sozialforschungsinstitut Japan.
Verkrustete Strukturen
behindern Investitionen
Im Gegensatz zu den erfolgreichen Reformen Indiens und sogar Brasiliens sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen in Japan noch immer überwiegend verkrustet. Landwirtschaft, Energieerzeugung und viele Dienstleistungssektoren bleiben
abgeschottet. Am Arbeitsmarkt gibt es noch immer duale Tarifsysteme für gleiche
Arbeit. Entlassungen regulär Beschäftigter sind kaum möglich. Bei Neueinstellungen
weichen die Unternehmen daher auf den Niedriglohnsektor oder Teilzeitarbeiter aus.
Die Folge ist, dass die Reallöhne stagnieren und die Binnennachfrage nicht in Schwung
kommt. Das Verbrauchervertrauen bleibt schwach. Ab März 2016 sind die privaten
Konsumausgaben Monat für Monat gefallen. Zum Jahreswechsel war nicht erkennbar,
woher eine Wende zum Besseren in 2017 kommen sollte. Denn angesichts der vorherrschenden Situation investieren die Betriebe kaum in ihren eigenen Binnenmarkt. Hinderlich sind zudem relativ hohe effektive Unternehmenssteuersätze. Sie liegen bei 32,1 %
und sollen nun bis 2018 – ein „Reformfeuerwerk“ Abes – auf 29,7 % abgesenkt werden.
Yen-Aufwertung
gefährdet Exporte
Da erscheint es konsequent, dass der Fokus unverändert auf der Ausfuhr liegt. Aber
auch hier läuft es nicht mehr rund. Die auf eine Yen-Abwertung zielende massive
Geldmengenausweitung der Notenbank verliert an Wirkung. Trotz der Trump-Rallye
des US-Dollars hat sich der Yen gegenüber der US-Devise 2016 um 5,6 % aufgewertet.
Im Vergleich zum schwachen Chinesischen Yuan war der Zugewinn sogar noch deutlich höher. Darunter leiden die Ausfuhren. Der gesamtwirtschaftliche Wachstumsbeitrag schmolz.
Noch ein
Konjunkturprogramm
Wenn wir für 2017 dennoch eine leichte Wachstumsbelebung unterstellen, so liegt das
fast ausschließlich an einem weiteren Konjunkturprogramm. Mit umgerechnet etwa
32 Mrd. US-Dollar sollen Infrastrukturprojekte umgesetzt werden. Dies entspricht
ungefähr 0,4 % des BIP. Insgesamt könnte die Wirtschaftsleistung um 0,9 % zulegen.
22
IV. Große Schwellenländer: Strukturreformen bleiben unabdingbar
(Wolfgang Pflüger)
1. China: Konjunkturspritzen statt neuer Reformen
Der erste Fünfjahresplan der seit 2012 amtierenden politischen Führung läuft Ende
2017 aus. Ministerpräsident Li hatte durchschnittliche Wachstumsraten von 6,5 % bis
2020 bei einem gleichzeitigen marktwirtschaftlichen Umbau der Wirtschaft versprochen.
Staatsunternehmen sollten in ihrem Einfluss zurückgedrängt, Überkapazitäten in der
Grundlagenindustrie abgebaut und ein ökologischer Umbau vorangetrieben werden.
Vorgesehen war eine Förderung von Dienstleistungen und privatem Konsum sowie
eine Liberalisierung der Finanzmärkte.
Ministerpräsident
Lis Vorgaben
Als gegen Ende 2014 die chinesische Wirtschaft auch aufgrund verfallender Rohstoffpreise in Schwierigkeiten geriet, entschloss sich die Regierung jedoch, auf die alten,
traditionellen Konjunkturstützungsmaßnahmen zurückzugreifen. Im Laufe des Jahres
2015 und bis in den Sommer 2016 hinein hat sie mehrfach die Zinsen gesenkt, Liquidität angeboten Kreditprogramme aufgelegt, am Devisenmarkt eingegriffen und kreditfinanzierte staatliche Infrastrukturinvestitionen angeschoben.
Traditionelle
Konjunkturstützung
statt Reformen
Aus fallenden Immobilienpreisen bei hohen Leerständen wurde so ein neuer Bauboom.
Im Herbst 2016 lagen beispielsweise die Wohnraumpreise in Peking um 27,5 % über dem
Vorjahr, in Shanghai waren es 31,1 %. In manchen Regionen hatten sich die Landpreise
innerhalb von zwölf Monaten verdoppelt. Ein Quadratmeter Land war dort teurer als ein
Quadratmeter bebauten Raumes. Eine Blasenbildung bahnte sich an. Nun muss wieder
mit Kreditverknappungen und höherem Eigenfinanzierungsanteil abkühlend eingegriffen
werden. Das wird sich 2017 zeitlich verzögert als Wachstumsbremse auswirken.
Immobilienboom …
Aus rückläufigen Investitionsquoten wurde ein neuer Infrastrukturboom. Die Regierung
setzt seit Anfang 2016 ein riesiges Ausgabenprogramm um. Verteilt über einen Dreijahreszeitraum sollen mehr als 700 Mrd. US-Dollar in den Ausbau von Schienennetz,
Schnellstraßen, See- und Flughäfen gepumpt werden. Als Reflex dessen stiegen die
Staatsausgaben mit zweistelligen Jahresraten. Die Neuverschuldung nahm entsprechend
zu. Auf zentraler Ebene ist das unproblematisch. Was Rating-Agenturen allerdings bemängeln, ist ein generelles Verschuldungsproblem. Provinzregierungen und der Unternehmenssektor unter Führung der Staatsbetriebe stehen im Vordergrund. Deren Schuldenstand lag zuletzt bereits bei 175 % des BIP. Die Notenbank rechnet mit zunehmenden Insolvenzen. Denn der Abbau von Überkapazitäten in der von Staatsunternehmen
dominierten Grundlagenindustrie soll weiter vorangetrieben werden. Das bedeutet Arbeitsplatzverluste im Millionenbereich.
... und Infrastrukturboom
stabilisieren das Wachstum,
erhöhen aber auch die
Verschuldung
23
Wirtschaftspolitischer
Zielkonflikt
Es herrscht also ein Zielkonflikt zwischen mehr Marktwirtschaft, weniger Wachstum
und kurzfristig erhöhtem Staatsinterventionismus. Bislang war dieser Ansatz in dem
Sinne erfolgreich, als dass es gelang, die Wirtschaft mit Wachstumsraten – typisch chinesisch planwirtschaftlich – von exakt 6,7 % während der ersten drei Quartale 2016 zu
stabilisieren. Dabei hat sich die Qualität des Wachstums allerdings verschlechtert.
Der in der Regel weniger produktive Staatsanteil nahm wieder zu. Private Unternehmen
investierten so zurückhaltend wie seit 16 Jahren nicht mehr. Vor der zu erwartenden
Wiederwahl der amtierenden Führung im Herbst 2017 ist kaum mit einem Richtungswechsel zu rechnen. Den sich abzeichnenden Abkühlungstendenzen im Hausbausektor
und beim Autoabsatz – hier laufen steuerliche Kaufanreize aus – stehen die fortwirkenden staatlichen Infrastrukturmaßnahmen gegenüber.
Trump droht dem
chinesischen Außenhandel
Schwerer einzuschätzen ist die Entwicklung des Außenhandels. In den vergangenen
zwei Jahren haben chinesische Warenlieferungen in das In- und Ausland abgenommen.
Einerseits droht US-Präsident Trump mit Einfuhrzöllen auf Waren aus dem Reich der
Mitte und bezeichnet China als Währungsmanipulator. Beides könnte Chinas Exporte
abermals beeinträchtigen. Andererseits hat sich der Yuan seit Mitte 2015 gegenüber
dem US-Dollar um etwa 8 % abgewertet, was einem Achtjahrestief entsprach. Das
könnte die Ausfuhren begünstigen, wird jedoch vielfach zugleich als möglicher Unruheherd für die internationalen Kapitalmärkte betrachtet. Die Notenbank stemmt sich mit
Dollar-Verkäufen den beschleunigten Kapitalabflüssen entgegen. Eine Währungspanik
wie im Sommer 2015 oder Januar/Februar 2016 soll unbedingt vermieden werden.
Allerdings sind so die Währungsreserven seit Anfang 2015 um rund 800 Mrd. USDollar zusammengeschmolzen (Abbildung 8).
Abb. 8: China – Devisenreserven
4 000
4 000
3 500
3 500
3 000
3 000
2 500
2 500
2 000
Jan 10
Jan 12
Jan 14
Jan 16
2 000
In Mrd. US-Dollar. Quelle: China Economic Information Network.
Auch 2017 keine
harte Landung
24
2017 wird sich also wenig ändern. Es bleibt bei trendmäßig rückläufigen Wachstumsraten. Die Regierung bleibt expansiv. Der Reformprozess verzögert sich weiter. Die
Notenbank wird hingegen bremsen, um eine Überhitzung des Immobilienmarktes zu
verhindern. Dabei muss sie ihre Leitzinsen allerdings nicht anheben, denn die Teuerungsraten dürften abermals unter ihrer Zielvorgabe von 3 % verharren. Ein unkontrolliertes Abdriften der Wirtschaft wird verhindert. Für 2017 rechnen wir mit einem BIPWachstum von 6,4 % nach wohl 6,7 % in 2016.
2. Indien: Neue Mehrwertsteuer oder „Cash-Chaos“ – was wiegt schwerer?
Modis Regierung ist es während der ersten zwei Jahre nach ihrer Amtsübernahme tatsächlich gelungen, Indien in die erste Liga der globalen Wachstumskräfte zurückzuführen und dabei den innerasiatischen Konkurrenten China zu überholen. Das Wachstumstempo beschleunigte sich von 6,6 % (Jahr der Amtsübernahme) auf 7,2 % in 2015,
um dann sogar 7,9 % (erstes Quartal 2016) zu erreichen. Bis in den Herbst hinein kam
es danach aufgrund von Problemen in der Landwirtschaft (nach zwei Dürrejahren in
Folge) zu einer leichten Abschwächung. Hauptkonjunkturstützen waren bis dahin der
private Konsum und staatliche Infrastrukturausgaben. Den Unternehmen mangelte es
offensichtlich wegen des zuvor ausgebliebenen großen Reformwurfs an Investitionsmut.
Indien mit neuem Schwung
Dann kam im Sommer 2016 die ersehnte Einführung einer landeseinheitlichen Mehrwertsteuer. Sie soll am 1. April 2017 in Kraft treten und den bisherigen Flickenteppich
unüberschaubarer Umsatzsteuertarife der 29 Bundesstaaten ersetzen. Voraussichtlich
wird es vier Tarifstufen geben, die zwischen 5 und 28 % variieren. Es ist mit Effizienzgewinnen bei Steuererhebung und fiskalischem Aufkommen sowie Produktivitätssteigerungen in der Industrie zu rechnen. Gesamtwirtschaftlich könnte hieraus ein dauerhafter Wachstumsimpuls von bis zu 1 % des BIP resultieren. Die Reaktion war uneingeschränkt positiv. Das Verbrauchervertrauen nahm markant zu, die Stimmung der
Unternehmen war so zuversichtlich wie seit Ende 2014 nicht mehr. Vieles deutete auf
eine abermalige Wachstumsbeschleunigung in 2017 hin.
Meilensteinreform
„landeseinheitliche
Mehrwertsteuer“
Vielleicht hat dieser Reformerfolg Modi unvorsichtig werden lassen. Um illegale
Schwarzgeldbestände, die große Schattenwirtschaft, Korruption und Terrorismusfinanzierung zu treffen, ließ er im November die 500- und 1 000-Rupien-Scheine für ungültig
erklären. Davon waren unmittelbar 86 % des Bargeldumlaufs betroffen. Dies hat zu
spürbaren Friktionen im Wirtschaftsablauf geführt. Denn etwa 500 Mio. Inder haben
kein Konto, 90 % aller Arbeitnehmer erhalten ihren Lohn bar ausgezahlt. In vielen
Bereichen (Landwirtschaft, Handwerk, Einzelhandel, Schmuck) herrscht so etwas wie
Bargeldzwang. Hier ging für Wochen so gut wie gar nichts mehr.
„Cash-Chaos“ gefährdet
bisherige Erfolge
Die wirtschaftlichen Folgen sind zumindest kurzfristig verheerend und dürften bis in
das erste Halbjahr 2017 hineinreichen. Ein Rückfall unter die 7 %-Marke ist wahrscheinlich. Immerhin: Die Konjunkturabkühlung wird zusammen mit den guten Ernteerträgen nach endlich wieder ausreichendem Monsunregen die Verbraucherpreise beruhigen. Die Notenbank kann den Leitzins (aktuell 6,25 %) mit neuem Schwung um
weitere 50 bis 75 Basispunkte absenken. Die Schwäche der Landeswährung wird die
Exporte beflügeln. Beides stellt ein expansives Gegengewicht dar. Ob sich die von den
Unternehmen als dringlich eingestuften Arbeitsmarktreformen und der erleichterte
Landerwerb während Modis erster Amtsperiode noch realisieren lassen, hängt wesentlich vom Ausgang der 15 Regionalwahlen in 2017/2018 ab. Den Auftakt macht Uttar
Pradesh mit seinen 200 Mio. Bewohnern im Februar 2017. Gewinnt Modis Partei, würde
sein Reformfundament gehärtet. Das BIP-Wachstum könnte dann ab 2018 sogar die
8 %-Marke übertreffen. Niederlagen wären hingegen wohl gleichbedeutend mit nur
7 % Zuwachs. Das wäre zu wenig für das Potenzial der indischen Nation.
Gute Chancen bei
Wahlerfolgen und
weiterem Reformeifer
25
3. Brasilien: Auf zu neuen Ufern?
Schuldenbremse erhält
Verfassungsrang
Brasiliens neuer Ministerpräsident Temer, Nachfolger der am 31. August 2016 ihres
Amtes enthobenen Präsidentin Rousseff, gilt als gewiefter Taktiker. Ihm ist es schon
häufiger gelungen, nicht für möglich gehaltene politische Kompromisse herbeizuführen. So gelang ihm auch jetzt in nur wenigen Monaten ein erster, wichtiger Schritt bei
der Umsetzung seiner Reform-Agenda. Es geht um die Sanierung der Staatsfinanzen.
Inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seit mehr als 100 Jahren waren diese bei einer
jährlichen Neuverschuldung von 10 % des BIP völlig außer Kontrolle geraten. Die
staatliche Schuldenquote hat sich innerhalb weniger Jahre auf 80 % des BIP verdoppelt.
Die Bonitätseinstufung des Landes wurde von internationalen Kreditagenturen konsequenterweise auf „nicht mehr investmentwürdig“ herabgestuft. Nun soll ein Zusatz in
die Landesverfassung aufgenommen werden, der die jährliche Neuverschuldung über
einen Zeitraum von 20 Jahren an die Inflationsentwicklung bindet, real also einfriert.
Ergänzend hat sich die Regierung vorgenommen, die Beamtengehälter zu begrenzen,
Sozialhilfezahlungen zu kürzen, wichtige Staatsbetriebe zu privatisieren und die Ölindustrie für ausländische Investoren zu öffnen.
Gelingt die Rentenreform?
Als zweites Herzstück gilt die angestrebte Rentenreform. Im Mittelpunkt steht die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Derzeit können Brasilianer mit 55 Jahren bei vollen
Rentenanspüchen in den Ruhestand gehen. Deshalb muss der Staat jährlich umgerechnet
157 Mrd. US-Dollar oder 40 % aller Staatsausgaben in das faktisch bankrotte Rentensystem pumpen. Das ist unhaltbar. Der Widerstand gegen Änderungen dürfte allerdings
heftig ausfallen.
Stimmungsumschwung
nicht gefährden!
In Ansätzen führte der politische Richtungswechsel bereits zu einem ersten Stimmungsumschwung. Trotz hoher Arbeitslosigkeit und stagnierender Einkommen werden die
Konsumenten zuversichtlicher. Sie setzen auf weiter fallende Inflationsraten und sinkende Zinsen. Die schwere Rezession bewirkt genau dies. Die Teuerungsrate fiel auf
unter 8 %. Die Zentralbank erwartet für 2017 ein Einschwenken in ihr Zielband von
4 bis 6 %. Dadurch verfügte sie über einen erheblichen Zinssenkungsspielraum. Zuletzt
lagen ihre Leitsätze bei wachstumsfeindlichen 13,75 %.
Die Unternehmen
werden optimistischer
Die Unternehmen werden ebenfalls optimistischer. Angekündigte Reformprojekte,
stabilisierte Rohstoffpreise und die Abwertung der Landeswährung Real beflügeln vor
allem die wichtige Exportindustrie. Die Unternehmen produzieren langsam wieder
mehr. Auch das Ausland fasst neues Zutrauen. Sach- und Finanzanlagen erreichten
hohe zweistellige US-Dollar-Milliardenbeträge. Das traditionell hohe Leistungsbilanzdefizit schrumpfte in 2016 auf erträgliche 1,3 % des BIP.
Aus dem Rezessionstal
So könnte die Wirtschaft mit neuem Schwung in das Jahr 2017 gehen und nach drei
Dürrejahren um 1,2 % wachsen. Bei anhaltendem Reformeifer ist eine deutliche Beschleunigung auf 2,5 bis 3 % im Folgejahr realistisch. Mit einem Kursanstieg von über
50 % in 2016 hat der brasilianische Aktienmarkt allerdings bereits einiges an Vorschusslorbeeren verteilt. Rentenanlagen könnten dagegen demnächst interessanter werden.
26
V. Osteuropa: Ade liberale Wirtschaftspolitik
(Wolf-Fabian Hungerland)
1. Russland: Wie geschmiert aus der Rezession?
Die russische Wirtschaft kommt langsam wieder auf die Beine. Für 2016 rechnen wir
noch mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um etwa 0,5 %. Doch die Daten
verbessern sich stetig. Für 2017 zeichnet sich ein Zuwachs von rund 1,6 % ab. Dahinter
steht das nun wieder etwas teurer werdende Öl – der wichtigste Export Russlands.
Folglich gewann auch der Rubel seit Jahresbeginn nahezu 17 % gegenüber dem
US-Dollar (Abbildung 9). So erklärt sich auch Moskaus Deal mit der OPEC, vorerst
weniger Öl zu produzieren: Öl soll knapper und damit wieder teurer werden. Ob diese
Strategie aber aufgehen wird, ist unklar. Es ist nicht sicher, ob sich alle an den Deal
halten werden. Auch die USA könnten ihre Ölproduktion noch etwas hochfahren.
Nun wieder teureres Öl
kurbelt Russlands
Wirtschaft an
Abb. 9: Russland – Ölpreis und Russischer Rubel in US-Dollar
0
US-Dollar in Rubel
Ölpreis (Brent, rechte Skala)
150
20
120
40
90
60
60
80
30
100
Dez 11
Dez 12
Dez 13
Dez 14
Dez 15
0
Dez 16
Wechselkurs invertiert, Ölpreis in US-Dollar je Barrel. Quelle: Bloomberg.
Erfreulich entwickeln sich auch die Preise. Über die letzten zwei turbulenten Jahre hat
die russische Notenbank gute Arbeit geleistet: War die Inflation noch im März 2015 mit
16,9 % auf einem 15-Jahres-Hoch, steht die Preissteigerungsrate aktuell schon wieder
bei 5,8 %. Vor diesem Hintergrund wird die Notenbank den Leitzins von aktuell 10 %
wohl bereits zu Beginn des Jahres weiter senken.
Die Inflation fällt schneller
als erwartet
Doch Russland wird nicht zum Land, in dem – neben Öl – Milch und Honig fließen.
Innenpolitisch arbeitet der Kreml weiter daran, alles Liberale zu stutzen und einzugrenzen, und zwar nicht nur die Opposition. Die Festnahme von Wirtschaftsminister
Uljukajew wegen angeblicher Korruption im November passt in das Muster. So erwarten
wir keine wirtschaftspolitischen Reformen, auch wenn es die strukturschwache Wirtschaft dringend nötig hätte. Außenpolitisch sorgen Russlands Engagement in Syrien
und der Ukraine weiter für Unsicherheit. Nun könnte zwar US-Präsident Trump
freundlichere Töne gegenüber Moskau anschlagen und damit sogar ein Ende der Sanktionen einleiten. Doch die Wahrscheinlichkeit dafür sehen wir immer noch bei nur etwa
45 %. Denn die EU muss mitspielen. Und selbst wenn die Sanktionen 2017 enden,
wird es in einigen Sektoren außerhalb der Rohstoffverarbeitung wegen der dann wieder
einsetzenden ausländischen Konkurrenz Verwerfungen geben.
Aber: Russland wird seine
Strukturschwäche nicht los
27
2. Türkei: Vor dem Abgrund
Die türkische Wirtschaft
steht am Rande einer
Rezession
Es besteht Rezessionsgefahr in der Türkei. Nach dem Putschversuch im Juli ist die
Wirtschaft im dritten Quartal um 1,8 % geschrumpft. Dies war schlechter als die
schlimmsten Erwartungen. Auch die nächsten Quartale dürften mager ausfallen. Wir
senken unsere Wachstumsprognosen für 2016 auf nun nur noch 1,9 % und für 2017
auf 1,8 %. Dabei ist das Abwärtsrisiko höher denn je, genauso wie die Gefahr von sehr
hohen Kapitalabzügen. Präsident Erdogan und seine Regierung müssen schleunigst
vertrauensbildende Maßnahmen einleiten – sowohl bei heimischen Unternehmen und
Verbrauchern als auch bei ausländischen Investoren und Besuchern.
Der Putschversuch im Juli
hat Spuren hinterlassen
Die makroökonomischen Folgen des Putschversuchs sind überall sichtbar: fernbleibende Touristen, anhaltender Terror, gedämpfte Verbraucherstimmung und zehntausende
Entlassungen und Festnahmen, die sich in den Arbeitslosenzahlen spiegeln. Dazu hohe
Inflation (wir erwarten 8 % für 2016) sowie wachsender Druck der Regierung auf Banken und Notenbank, mehr Kredite unters Volk zu bringen. Höhere Ölpreise verschärfen
die Lage: Energie macht den größten Importposten aus. Dabei importiert das Land
chronisch mehr, als es exportiert. Um das zu finanzieren, besorgen sich die türkischen
Banken Kapital im Ausland. Das wiederum macht die Türkei anfällig für Stimmungsschwankungen von Investoren und Zinsbewegungen in den USA; der US-Dollar ist die
wichtigste Finanzierungswährung der Türkei. Steigen die US-Zinsen, werden TürkeiInvestitionen in US-Dollar schnell unattraktiver. Genau das ist jetzt der Fall. Deshalb
ist die Lira auf ein Allzeittief gefallen (Abbildung 10).
Abb. 10: US-Dollar in Türkischer Lira
3,7
3,7
3,3
3,3
2,9
2,9
2,5
2,5
2,1
2,1
1,7
Dez 11
Dez 12
Dez 13
Dez 14
Dez 15
1,7
Dez 16
Quelle: Bloomberg.
Die Politik dominiert das
volkswirtschaftliche Los
der Türkei
28
2017 stehen zwar wichtige politische Entscheidungen an. Kommt das Präsidialsystem?
Kommt die Todesstrafe? Werden die EU-Beitrittsverhandlungen abgebrochen? Wird der
Krieg gegen kurdische Organisationen im Südosten – und damit die Terroranschläge in
den großen Städten des Landes – weitergehen? Vertrauensbildende Maßnahmen sind
hier möglich. Aber sie werden die Politik Erdogans wohl kaum dominieren. Wir rechnen
mit einem Ja auf viele dieser Fragen. Die ersten drei dürften mittels eines Referendums
entschieden werden. Dabei wird Erdogan weiter auf den Nationalstolz seiner Landsleute
setzen und die Schuld für die aktuelle Misere bei Verschwörern und im Ausland suchen.
Wirtschaftspolitische Reformen und versöhnliche Töne werden nachranging bleiben.
Es sieht nicht gut aus für die Türkei.
3. Polen: Nicht immun gegen politisches Risiko
Nach zwölf Monaten unter der national-konservativen Regierung steht die Wirtschaft
etwas schwächer da. Nach 4,6 % im Jahr 2015 rechnen wir für 2016 mit etwa 2,8 %
Wachstum und 2017 mit rund 3 %. Dieses Jahr hatte Warschau weniger EU-Gelder zur
Verfügung, die dann in der relativ investitionsschwachen Volkswirtschaft fehlten. Zudem zeigt sich, dass die umgesetzten, fiskalisch expansiven Wahlversprechen wie das
drastisch erhöhte Kindergeld weniger bewirkten als erwartet. Nächstes Jahr erwarten
wir vor allem wegen wieder mehr EU-Investitionen auch wieder mehr Wachstum.
Etwas schwächer
als letztes Jahr
Derweil machen wir uns zunehmend Sorgen um den polnischen Haushalt, der immer
weniger nachhaltig wird. Viele liberale Reformen der Vorgängerregierung, so zum Beispiel das höhere Renteneintrittsalter, wurden oder sollen wieder zurückgedreht werden.
Sorge um den
polnischen Haushalt
So haben schrille politische Töne aus Warschau den Zloty Achterbahn fahren lassen.
In Summe verlor er seit Jahresbeginn 2016 etwa 3,5 % gegenüber dem Euro (Abbildung 11). Doch auch globale Faktoren spielten eine Rolle, seien es die BrexitEntscheidung – viele Polen arbeiten in Großbritannien und senden einen Teil ihres
Lohns nach Hause –, die Trump-Wahl oder die geldpolitischen Entscheidungen der USFed oder der EZB. Im kommenden Jahr wird sich daran wohl wenig ändern. Die größten
Risiken für den Zloty sind weiter politisch – sowohl innenpolitisch als auch extern: hier
vor allem die Wahlen in Deutschland und Frankreich. Diese werden richtungsweisend für
die zukünftige EU-Politik sein und damit eben auch für Polen und dessen von der EU
abhängigen Volkswirtschaft. Wenig spricht für einen stärkeren Zloty im nächsten Jahr.
Zloty-Kurs von politischen
und externen Faktoren
getrieben
Abb. 11: Euro in Polnischen Zloty
4,7
4,7
4,5
4,5
4,3
4,3
4,1
4,1
3,9
Dez 11
Dez 12
Dez 13
Dez 14
Dez 15
3,9
Dez 16
Quelle: Bloomberg.
Die wichtigste Konstante der polnischen Wirtschaft ist und bleibt die Notenbank.
Unter der neuen Regierung litt die Glaubwürdigkeit – und damit die Effektivität – der
Notenbank. Die Märkte fürchteten einen wachsenden Einfluss auf die polnischen Geldhüter. Heute kann man erfreulicherweise sagen, dass die Notenbank dem Druck der
Regierung standgehalten hat. Die polnische Inflation entwickelt sich langsam, aber sicher
aus der Deflationsphase heraus. Dabei hält die Notenbank den Zins still bei 1,5 %.
Daran wird sich auch zumindest in den ersten drei Quartalen 2017 nichts ändern.
Die Notenbank als
Stabilitätsanker
29
TEIL 5
KAPITAL-, DEVISEN- UND ROHSTOFFMÄRKTE
I. Aktien: Positiver Ausblick für das Jahr 2017
(Dirk Trochelmann und Till Budelmann)
Europäische Aktien gaben
zum Jahresbeginn 2016
deutlich nach, erholten sich
aber weitgehend
Zum Jahresbeginn 2016 gaben europäische Aktien deutlich nach. Maßgebliche Treiber
waren die Sorge um die Konjunktur in China, ein besonders scharfer Rückgang des
Ölpreises und Befürchtungen, es könnte zu einer Rezession in den USA kommen.
Im Jahresverlauf erholten sich die Notierungen zwar wieder, wiesen aber zeitweise eine
sehr hohe Volatilität auf. Vor allem politische Ereignisse wie der Brexit oder die USPräsidentschaftswahl waren hierbei wichtige Wegmarken.
Volkswirtschaftliche
Stimmungsindikatoren
deuten auf anhaltendes
Wirtschaftswachstum hin
Die volkswirtschaftlichen Stimmungsindikatoren der Europäischen Kommission deuten
mehrheitlich auf ein anhaltendes Wirtschaftswachstum im Jahr 2017 hin (Abbildung 12). Bemerkenswert ist die signifikante Stimmungsaufhellung in Großbritannien
nach dem Brexit-Votum. Eine gute Entwicklung verzeichneten seitdem auch Deutschland, Frankreich und Spanien. Der Indikator weist für Italien hingegen eine rückläufige
Entwicklung auf, verursacht durch die politische Unsicherheit. Für den Euroraum insgesamt zeichnet sich eine positive Entwicklung für die kommenden Monate ab.
Abb. 12: Europa – Stimmungsindkatoren
140
140
130
130
120
120
110
110
100
100
90
80
2011
Eurozone
Deutschland
2012
2013
2014
Frankreich
Großbritannien
2015
Italien
Spanien
90
80
2016
Index = 100 zu Beginn. Quelle: EU Kommission, Bloomberg.
Rückenwind für
Unternehmensergebnisse
30
In Europa erwarten wir auf Ebene der Unternehmen für das Jahr 2017 eine gute Umsatz- und Gewinnentwicklung mit Rückenwind durch die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Unterstützend kommen der schwache Euro und das noch immer sehr
niedrige Renditeniveau hinzu. In Summe erwarten wir eine Verbesserung der Unternehmensgewinne von etwa 13 %. Im Zuge der stabilen Konjunkturentwicklung werden
vor allem Konjunkturzykliker wie Titel aus den Bereichen Grundstoffe, Erdöl und Gas
sowie Technologie gefragt sein. Die Unternehmen der Branchen Verbrauchsgüter und
Verbraucherservices werden von der positiven Arbeitsmarktentwicklung durch zusätzliches Nachfragepotenzial profitieren. Hingegen werden Bereiche wie Telekommunikation und Versorger unter einem etwaigen Renditeanstieg leiden.
Nachdem der langfristige Aufwärtstrend in Europa nach unten verlassen wurde, befindet
sich der Stoxx 600 seit nunmehr fast drei Jahren in einer Seitwärtsphase. Aktuell liegt die
Spanne zwischen 315 und 350 Indexpunkten. Erst wenn diese Grenzen nachhaltig verlassen werden, kann der Index einen neuen Trend aufnehmen. Die Wahrscheinlichkeit
einer positiven Auflösung dieser Formation scheint zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlicher als die negative Alternative. Steigende Tiefpunkte, an denen der Index gedreht
hat, haben das gesamte Jahr über die Charttechnik verbessert. Dennoch zeigt sich das
längerfristige Bild für Europa angeschlagen, besonders im Vergleich zu den USA. Daher bedarf es eines neuen positiven Impulses, um den Deckel bei 350 zu heben und den
Abwärtstrend aus dem Jahr 2015 zu überwinden. Erst danach könnte auch in Europa
wieder über neue Höchststände, bei 400 Indexpunkten und mehr, diskutiert werden.
Bei einem erneuten Schwächeanfall stellt der Bereich von 300 bis 315 Indexpunkten
eine aus technischer Sicht gute Unterstützung dar.
Technik:
Europäische Aktien seit fast
drei Jahren in Seitwärtsphase
Abb. 13: Aktien - Stoxx Europe 600
450
450
400
400
350
350
300
300
250
250
200
Dez 11
Dez 12
Dez 13
Dez 14
Dez 15
200
Dez 16
In Punkten. Quelle: Bloomberg.
Das Investitionsverhalten hat den schwachen Trend in Europa bestätigt. Über das gesamte Jahr waren deutliche Mittelabflüsse zu beobachten. Der Brexit, die Wahl Trumps
zum 45. US-Präsidenten und das verlorene Referendum in Italien waren Gründe, weshalb viele Investoren sich zurückhaltend bei Engagements in Europa zeigten. Abnehmende Unsicherheiten und wiederkehrendes Vertrauen könnten im Jahr 2017 aber
das Nachholpotenzial von Europa endlich heben. Ansonsten droht ein weiteres verlorenes Jahr, in dem die US-Märkte davonlaufen.
2016: schwaches Sentiment,
2017: abnehmende
Unsicherheiten
Europäische Aktien bieten derzeit ein interessantes Chance-Risiko-Profil. Einerseits
lassen sowohl der makroökonomische Ausblick wie auch die unternehmensbezogene
Komponente der Gewinnprognosen eine gute Aktienmarktentwicklung für das Jahr
2017 erwarten. Andererseits erwarten wir eine positive Marktentwicklung auf Basis der
Charttechnik und des Sentiments. Die anhaltende Seitwärtsphase wird im Jahr 2017
wahrscheinlich nach oben verlassen werden. Somit kann sich ein neuer Aufwärtstrend
etablieren.
Fazit:
Europäische Aktien bieten
aktuell ein interessantes
Chance-Risiko-Profil
31
Positives Jahr 2016 für
den US-Aktienmarkt
Nach einem turbulenten Jahresstart 2016, bedingt durch anhaltende Sorgen um China,
konnten wir ein stetiges Kursplus der großen amerikanischen Indizes beobachten, welche
ihre Pendants in der entwickelten Welt weitestgehend dominierten. Selbst politische
Ereignisse wie der Beschluss zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union oder die Unsicherheit rund um die US-Wahlen konnten den Anstieg des USAktienmarktes nur kurzzeitig stören (Abbildung 14).
Abb. 14: USA – Aktienmarktentwicklung
116
108
116
NASDAQ Composite Index
Dow Jones Industrial Average
S&P 500 Index
108
100
100
92
92
84
Jan 16
Mrz 16
Mai 16
Jul 16
Sep 16
Nov 16
84
Index = 100 per 1. Januar 2016. Quelle: Bloomberg.
Trump-Sieg sorgte nur
kurz für Unsicherheit
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen wurden für den Fall eines Trump-Sieges und
die damit verbunden potenziellen Unsicherheiten massive Einbrüche an den Kapitalmärkten prognostiziert. Die Märkte reagierten jedoch nur sehr kurzzeitig den Erwartungen entsprechend und rückten schnell mögliche positive Aspekte des Wahlprogramms (Trumpenomics) in den Vordergrund. Bei einer guten Zusammenarbeit
von Präsident und Kongress könnten sich die geplante Steuerreform und die höheren
Investitionen in Infrastruktur positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Im Zuge
dessen haben wir unsere US-Wachstumsprognose für die kommenden Jahre angehoben
(siehe Seite 13-14).
Unternehmensgewinne
dürften weiter steigen und
könnten eine neue Art von
Bullenmarkt einleiten
Mit Blick auf die Unternehmensgewinne haben wir eine sehr positive, jedoch durch die
Wahlen in den Hintergrund gerückte Berichtsaison im dritten Quartal 2016 gesehen. Für
das Jahr 2017 erwarten wir weiter steigende Unternehmensgewinne, welche den fundamentalen Unterbau der langjährigen Aufwärtsbewegung festigen sollten (Abbildung 15).
Der bislang größtenteils durch niedrige Zinsen getriebene Bullenmarkt könnte sich in
einen Bullenmarkt zweiter Art verwandeln, in welchem die Unternehmensgewinne die
Kurse ankurbeln. Der erste Schritt für einen solchen Wandel ist durch das Ende der
Gewinnrezession und der positiven Marktreaktion auf einen weiteren Zinsschritt der
Fed im Dezember gemacht.
32
Abb. 15: Aktien – quartalsweiser Gewinn je Aktie des S&P 500
36
35,04
36
33,77
33
33
32,34
30,75
30,37
30
30
27,94
27
28,61
28,00
26,94
26,47
26,22
27
25,04
24
24
1Q15
2Q15
3Q15
4Q15
1Q16
2Q16
3Q16
4Q16e
1Q17e
2Q17e
3Q17e
4Q17e
In US-Dollar; e = Prognose. Quellen: Bloomberg, Berenberg.
Wir bewerten den amerikanischen Aktienmarkt nach wie vor als attraktiv und würden
trotz relativ hoher Kurs-Gewinn-Verhältnisse – gerade in Relation zur Bewertung anderer
Assetklassen – noch nicht von einer Überbewertung sprechen. Für die nächsten Monate
erwarten wir in etwa um den gleichen Faktor steigende Kurse und Gewinne, sodass sich
die Bewertung der Aktien kaum verändern sollte.
US-Aktienmarkt
weiterhin attraktiv
Auf Sektorebene konnte man in der zweiten Jahreshälfte den Beginn einer Rotation
beobachten, welche durch den Wahlsieg der Republikaner massiv beschleunigt wurde.
Relative Gewinner-Sektoren der letzten Jahre (Technologie und Titel mit tendenziell
hoher Dividendenrendite) verzeichneten Kursrückgänge, während bestimmte (relative)
Nachzügler-Sektoren – zyklische, vor allem Finanz- und Industriewerte – als Gewinner
hervorgingen. Diese Sektor-Rotation betrachten wir noch nicht als abgeschlossen und
erwarten in den nächsten Monaten eine anhaltende Aufholjagd der über die letzten
Jahre zurückgebliebenen Finanz-, Industrie- und Rohstoffaktien.
Massive Sektor-Rotation seit
der zweiten Jahreshälfte
Bei einer technischen Betrachtung konnten Ende des Jahres neue Allzeithochs im
S&P 500, Dow Jones Industrial Average und NASDAQ verzeichnet werden. Der seit
März 2009 anhaltende Bullenmarkt wurde formal erneut bestätigt. Die Widerstände, die
sich im Laufe des Jahres gebildet hatten, konnten durchbrochen werden und stellen
aktuell eine gute Unterstützung für weiter steigende Kurse dar.
Technische Widerstände
überwunden
Die positive Entwicklung von US-Aktien ist nach wie vor auch in fehlenden attraktiven
Anlagealternativen begründet. Wer im liquiden Bereich Rendite sucht, wird auch in
naher Zukunft kaum an den stabilen US-Aktien vorbeikommen. Gleichzeitig hat sich
die in der zweiten Jahreshälfte eingetrübte Stimmung der Investoren am amerikanischen Aktienmarkt nach den Präsidentschaftswahlen wieder deutlich gebessert.
Kaum Anlagealternativen
im liquiden Bereich
Die US-Wirtschaft entwickelt sich zufriedenstellend. Der private Verbrauch, der Arbeitsmarkt und der Wohnungsmarkt sind auf einem guten Weg. Als mögliche Dämpfer
sehen wir gewisse politische Risiken, einen womöglich zu stark werdenden US-Dollar
sowie die Gefahr eines erneut fallenden Ölpreises. Diesem Risiko wirkte die OPEC mit
ihrer Produktionsbegrenzung Ende November bereits entgegen. Insgesamt erwarten
wir für 2017 eine verhalten positive Entwicklung des amerikanischen Aktienmarktes.
Gute Aussichten für
eine Fortsetzung des
Bullenmarktes
33
II. Anleihen: Rückkehr der Inflation
(Cornelia Koller)
Rentenmärkte geprägt von
Rückkehr der Inflation und
divergierender Geldpolitik
Zwei Themen bestimmen derzeit die Entwicklung an den Rentenmärkten: die langsame
Rückkehr der Inflation und die divergierende Geldpolitik zwischen der amerikanischen
Notenbank Fed auf der einen Seite und den beiden großen europäischen Notenbanken
Großbritanniens und der Eurozone auf der anderen.
1. „Endlich“ wieder etwas Inflation
Deflation war gestern:
Die Inflation kehrt zurück
War der seit Mitte 2014 kräftige Rückgang der Ölpreise noch bis Jahresanfang 2016
globaler Disinflationstreiber und sorgte für Deflationsängste an den Rentenmärkten,
hat sich das Blatt inzwischen gewendet. Der Ölpreis ist mit aktuell über 50 US-Dollar
pro Barrel Nordseeöl der Sorte Brent längerfristig gesehen zwar immer noch relativ
niedrig, liegt damit aber etwa doppelt so hoch wie zu Jahresanfang. Dies spiegelt sich in
der Rückkehr positiver Teuerungsraten wider. Auch an den Märkten wird das Thema
Inflation – ablesbar anhand der gestiegenen marktbasierten Inflationserwartungen –
zunehmend gespielt.
1.1. Preisanstieg in der Eurozone bleibt gedämpft, …
Ölpreise dämpfen
nicht länger
In der Eurozone war die Inflationsrate noch zu Jahresbeginn 2016 in negatives Terrain
zurückgefallen (Januar: –0,6 %), hatte neue Deflationsängste an den Rentenmärkten
geschürt und die EZB im März zu einer weiteren Lockerung ihrer Geldpolitik veranlasst. Inzwischen wird die Preisentwicklung aber immer weniger durch die Ölpreise
gedämpft. Die Inflationsrate lag im November bei 0,6 % (Abbildung 16) und dürfte in
den nächsten Monaten weiter anziehen.
Abb. 16: Eurozone – Inflation
5
4
5
Inflation
Kerninflation
4
3
3
2
2
1
1
0
0
-1
Jan 99
-1
Jan 01
Jan 03
Jan 05
Jan 07
Jan 09
Jan 11
Jan 13
Jan 15
Veränderung gegenüber Vorjahr in %; Kernrate ohne Energie und Nahrungsmittel. Quelle: Eurostat.
Die Inflation in der
Eurozone dürfte 2017
auf 1,3 % steigen
34
Wir erwarten, dass sich der Preis für das Nordseeöl Brent trotz der jüngst angekündigten
Förderkürzung der OPEC auf einem Niveau von 55 bis 60 US-Dollar einpendeln wird.
Daher sollte von den Ölpreisen nur eine leicht preissteigernde Wirkung ausgehen. Zudem deckelt die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit eine stärkere Teuerung. Per Saldo
erwarten wir daher für 2017 einen Anstieg der Inflationsrate in der Eurozone auf 1,3 %
nach 0,2 % in 2016. In Deutschland wird der Verbraucherpreisanstieg (November:
0,8 %) aufgrund des höheren Lohndrucks bei geringer Arbeitslosigkeit mit einer Preissteigerungsrate von 1,4 % (2016: 0,3 %) erneut etwas darüber liegen.
1.2. … stärkerer Preisauftrieb in den USA und Großbritannien
In den USA und Großbritannien kehrt die Inflation dagegen deutlicher zurück als in
der Eurozone. Während die Teuerung in Großbritannien bereits aktuell unter dem
Einfluss des Brexits steht, macht in den USA das Stichwort der Trumpflation die Runde.
Was steckt dahinter? Zum einen die angekündigten Infrastrukturprogramme zur Ankurbelung der Konjunktur, die lediglich über eine zusätzliche Kreditaufnahme gestemmt werden können und die ohnehin hohe US-Verschuldung noch weitersteigen
lassen. Zum anderen würden protektionistische Schritte wie die angedrohten Strafzölle
auf chinesische Einfuhrwaren inflationstreibende Wirkung haben. Zudem könnte die
forcierte Ausweisung von illegalen Arbeitskräften zu einem Lohnschub führen.
Stärkerer Preisauftrieb
in den USA und
Großbritannien durch
Trumpflation und Brexit
Zuletzt lag der Anstieg der Teuerung in den USA bei 1,6 %. Bei stärkerem Wachstum,
Vollbeschäftigung und weiter steigenden Löhnen erwarten wir, dass die US-Inflation im
nächsten Jahr auf 2,2 % nach 1,3 % im Jahr 2016 anziehen wird. In Großbritannien
steigt die Inflation nach dem Brexit-Votum bereits deutlich. Im November kletterten
die Verbraucherpreise um 1,2 %. Wir erwarten, dass die massive Abwertung des Pfunds
als Folge des Brexits die Importpreise weiter kräftig steigen lässt und die Inflation kurzfristig deutlich anziehen wird. Für 2017 sehen wir daher einen Sprung der Teuerung auf
2,5 % (nach 0,6 % in 2016) voraus.
Wir erwarten für 2017 eine
US-Inflation von 2,2 % und
eine Inflation von 2,5 % in
Großbritannien
2. Divergierende Geldpolitik
2.1. EZB gibt weiter Gas
Die EZB bleibt bei ihrer extrem expansiven Geldpolitik. Um einem anhaltenden Preisrückgang auf breiter Front (Deflation) vorzubeugen, beschloss die Bank im März 2016
ein dickes Bündel geldpolitischer Maßnahmen: Sie senkte den Leitzins um fünf Basispunkte auf 0,00 % und den Einlagezins um weitere zehn Basispunkte auf –0,40 %.
Zudem stockte sie ihr Wertpapierankaufprogramm1 von 60 Mrd. Euro auf 80 Mrd. Euro
monatlich bis März 2017 auf, um ihr stabilitätspolitisches Ziel einer Inflation von „unter,
aber nahe 2 %“ zu verteidigen. Nachdem die Deflationsgefahren inzwischen abgeklungen
sind, ist die zusätzliche Liquiditätsspritze nun aber aus Sicht der EZB nicht länger nötig,
sodass die EZB das Volumen ihrer Wertpapierankäufe ab April 2017 wieder auf 60 Mrd.
Euro zurückführen will. Gleichzeitig hat sie das Wertpapierankaufprogramm aber um
EZB verlängert
Wertpapierankaufprogramm
mit reduziertem Volumen
1Aktuell werden monatlich 80 Mrd. Euro und ab April 2017 bis Dezember 2017 weitere 60 Mrd. Euro monatlich für
den Kauf von Kreditverbriefungen (ABS, Asset-Backed Securities) und gedeckten Schuldverschreibungen (Covered
Bonds) sowie öffentlichen Anleihen und Unternehmensanleihen ausgegeben. Die EZB hat inzwischen Vermögenswerte
des öffentlichen Sektors in Höhe von 1.211,7 Mrd. Euro und seit Anfang Juni 2016 Vermögenswerte des Unternehmenssektors in Höhe von 48,2 Mrd. Euro erworben. Im Rahmen des dritten Programms zum Ankauf von gedeckten
Schuldverschreibungen wurden 203,5 Mrd. Euro angekauft. ABS-Anleihen wurden in Höhe von 22,5 Mrd. Euro erworben (Stand: 2. Dezember 2016).
35
neun Monate bis Dezember 2017 verlängert. Die EZB setzt ihre expansive Geldpolitik
fort. Die Banken werden weiter mit reichlich Liquidität versorgt und die Leitzinsen
werden voraussichtlich bis mindestens 2018 auf diesem Niveau verharren.
2.2. Fed startet neuen Zinserhöhungszyklus
Die Fed wird die Zinsen
2017 voraussichtlich weiter
bis auf 1,5 % erhöhen
Die Fed hat ihren Leitzins im Dezember mit Blick auf die lebhafte Konjunktur, die gute
Entwicklung des Arbeitsmarktes und die anziehende Inflation um 25 Basispunkte auf
0,75 % angehoben. Unseres Erachtens nach hat sie damit einen neuen Zinserhöhungszyklus gestartet. So ist die Arbeitslosenquote zuletzt auf 4,6 % gefallen und die Stundenlöhne sind um 2,5 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Zudem rückt das Inflationsziel
der Fed von 2 % immer näher. Der Preisanstieg gemessen am Deflator der persönlichen Verbrauchsausgaben (Oktober: 1,4 %, Kernrate 1,7 %), der von der Fed als
Inflationsmaßstab herangezogen wird, liegt zwar weiterhin unterhalb der Zielgröße.
Fed-Präsidentin Yellen ist aber zuversichtlich, diesem Ziel mit anziehender Konjunktur
und stärker ausgelastetem Arbeitsmarkt immer näher zu kommen. Deshalb erwarten
wir, dass die Fed ihren Leitzins im nächsten Jahr noch dreimal um je 0,25 % anheben
wird, sodass er Ende 2017 bei 1,5 % liegen wird.
2.3. BoE nach Brexit-Votum im Wait-and-see-Modus
BoE senkt Zinsen nach
Brexit-Votum auf 0,25 %
und bleibt expansiv
Die Bank of England hat im Sommer auf das Brexit-Votum mit einer Zinssenkung um
25 Basispunkte auf 0,25 % reagiert und sogar noch einen weiteren Zinsschritt in Aussicht gestellt. Zudem nahm die BoE ihre quantitative Geldpolitik wieder auf und kauft
monatlich 10 Mio. Pfund Unternehmensanleihen und 60 Mio. Pfund Staatsanleihen an.
Da sich die Verunsicherung nach dem Brexit inzwischen weniger konjunkturbremsend
auszuwirken scheint als ursprünglich von den Währungshütern befürchtet, ist BoEGouverneur Carney von einer weiteren Zinssenkung wieder abgerückt und will nun erst
einmal die weitere Entwicklung von Konjunktur und Inflation abwarten. So konstatiert
der Inflationsbericht der BoE vom November, dass sich die kurzfristigen Konjunkturaussichten inzwischen besser darstellen als noch vor drei Monaten erwartet. Mit Blick
auf die massive Pfundabwertung nach der Brexit-Entscheidung sieht die BoE für Ende
2017 und das Folgejahr jeweils eine Inflation von 2,7 % voraus (zuvor: 2 % beziehungsweise 2,4 %; wir erwarten 2,5 % beziehungsweise 2,4 %). Da Carney ein „gewisses
Überschießen“ der Inflation tolerieren will, wird die BoE ihre Zinsen bis Ende 2018
voraussichtlich bei 0,25 % belassen. Sollte die Inflation aber wesentlich kräftiger steigen
als erwartet, könnte die BoE ihre Geldpolitik allerdings auch bereits früher straffen.
3. Zinsen: Sanfter Renditeanstieg
3.1. 2016: Negativzinsen
Rendite zehnjähriger
Bundesanleihen Mitte 2016
erstmals negativ
36
Nach der Entscheidung der EZB im März 2016, den Leitzins aufgrund der bestehenden Deflationsgefahren auf 0,00 % und den Einlagezins auf –0,40 % zu senken und ihr
Wertpapierankaufprogramm aufzustocken, gingen die Renditen immer weiter zurück.
Mitte Juni 2016 notierten zehnjährige Bundesanleihen erstmals im negativen Bereich
und fielen nach der Brexit-Entscheidung bis auf –0,2 %. Nachdem die EZB im Spätsommer dann aber zunächst keine Verlängerung ihres Wertpapierankaufprogramms
angekündigt hatte, konnten die Zinsen erstmals wieder die Nulllinie überspringen.
Bessere Konjunkturdaten, die Rückkehr der Inflation und die absehbare Zinserhöhung
der Fed kamen hinzu.
Nach der Trump-Wahl verließen die Zinsen auf beiden Seiten des Atlantiks ihr tiefes
Tal dann endgültig. Die von Trump angekündigten kreditfinanzierten Infrastrukturinvestitionen ließen Inflationserwartungen und Zinsen vor allem in den USA spürbar
steigen. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen stieg bis auf 2,45 %. Auch in der
Eurozone zogen die Inflationserwartungen und die Zinsen mit Blick auf die Ölpreise
und die anhaltende Aufwärtsbewegung der Konjunktur an. Die Zinsen zehnjähriger
Bundesanleihen koppelten sich zeitweise von diesem Trend ab, stiegen nach der angekündigten monatlichen Reduzierung des Anleiheankaufvolumens der EZB Anfang
Dezember aber wieder an und kletterten auf rund 0,40 % (Abbildung 17).
Seit Ende 2016
Trendwechsel im Zuge
von Trumpflation
Abb. 17: Deutschland und USA – Renditen zehnjähriger Staatsanleihen
7
7
Deutschland
USA
6
6
5
5
4
4
3
3
2
2
1
1
0
0
-1
Jan 99
Jan 01
Jan 03
Jan 05
Jan 07
Jan 09
Jan 11
Jan 13
Jan 15
-1
In %. Quelle: Bloomberg.
3.2. 2017: Moderat aufwärts
Die Zinsentwicklung dürfte auch 2017 im Spiegelbild der Inflationsentwicklung und
des politischen Geschehens in den USA und Europa stehen. In den USA sehen wir mit
Blick auf drei weitere Zinserhöhungen der Fed sowie den Einfluss der Trumpenomics
per Jahresende 2017 Renditen von 3,10 % für zehnjährige Staatsanleihen voraus. Da die
Präsidentschaft unter Trump aber auch ein hohes Unsicherheitspotenzial birgt, sollte
der Renditeanstieg gleichzeitig gedeckelt sein. Gänzlich werden sich die Zinsen diesseits
des Atlantiks trotz der divergierenden Geldpolitik nicht von den USA abkoppeln
können. Deutsche Staatsanleihen werden aber als sicherer Anlagehafen gerade in politisch unsicheren Zeiten gefragt bleiben. Wir erwarten daher, dass die Zinsen unter
Schwankungen nur moderat steigen werden, und sehen für Ende 2017 für zehnjährige
Bundesanleihen Renditen um 0,75 % voraus. Eine klare Wende hin zu deutlich höheren
Zinsen zeichnet sich damit auch angesichts der weiterhin expansiven Geldpolitik der
EZB vorerst nicht ab.
Wir erwarten für 2017 auf
beiden Seiten des Atlantiks
moderat steigende Zinsen
37
III. Währungen: Der US-Dollar gibt den Ton an
(Dr. Jörn Quitzau)
Brexit und US-Wahl als
Hauptereignisse 2016
Das Jahr 2016 war auch für die Devisenmärkte aufregend. Vor allem die zwei alles
überragenden Ereignisse – Brexit-Referendum und US-Präsidentschaftswahl – haben
deutliche Spuren bei den Wechselkursen hinterlassen. Sehr überraschend fiel die Reaktion des Devisenmarktes auf die Wahl Trumps aus: Bis zum Wahltag galt es vielen
Beobachtern als ausgemacht, dass ein Sieg des republikanischen Politikneulings zu erheblichen Kursausschlägen für den Dollar-Wechselkurs führen würde. Doch abgesehen
von einem kurzen Abtauchen des US-Dollars in den Stunden unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses war die Richtung für den Dollar klar: aufwärts.
1. US-Dollar: Trump entfacht Zinsphantasie
Geht die volatile
Seitwärtsbewegung zu Ende?
Der US-Dollar hatte zwischen Juni 2014 und März 2015 gegenüber den Währungen der
wichtigsten US-Handelspartner einen steilen Aufwärtstrend eingeschlagen. Grund dafür
war die Aussicht auf eine deutlich straffere Geldpolitik der amerikanischen Notenbank.
Als sich abzeichnete, dass der Zinserhöhungszyklus auf sich warten lässt, ging dem USDollar die Luft aus. Die volatile Seitwärtsbewegung geht nun möglicherweise zu
Ende (Abbildung 18). In jedem Fall stieg der handelsgewichtete US-Dollar in den zehn
Tagen nach der Wahl um gut 3 %. Lebt der Aufwärtstrend nun also wieder auf?
Abb. 18: Handelsgewichteter US-Dollar
100
100
90
90
80
80
70
70
60
Dez 06
60
Dez 08
Dez 10
Dez 12
Dez 14
In Punkten. Quelle: Bloomberg.
Inflation als Treiber
für die Zinsen
Getrieben wird der Wechselkurs durch die Aussicht auf höhere Zinsen in den USA.
Beobachter erwarten, dass die Wirtschaftspolitik der Marke Trump zu steigenden Inflationsraten und somit zu höheren Leit- und Kapitalmarktzinsen führen wird (siehe Seite
37). Der daraus resultierende amerikanische Zinsvorteil macht den US-Dollar für Investoren interessant. Im Gegenzug wird Kapital aus anderen Währungsräumen, insbesondere aus Schwellenländern, abgezogen. Die gesamtwirtschaftlichen Aussichten sprechen
also für einen weiterhin starken US-Dollar.
Rahmenbedingungen sprechen
für höhere Leitzinsen
Könnten die Erwartungen auf steigende Zinsen in den USA erneut enttäuscht werden?
Der erwähnte Aufwärtstrend des Dollars kam 2015 auch deshalb ins Stocken, weil die
Notenbank unter anderem aus Angst vor den konjunkturellen Folgen einer zu stark
38
werdenden Währung nur einen Zinsschritt machte und danach auf weitere Zinserhöhungen verzichtete. Kann sich die Geschichte wiederholen? Gänzlich auszuschließen
ist dies nicht, aber die Rahmenbedingungen sind diesmal anders: Die Konjunktur ist
robust, mit einer Arbeitslosenquote von 4,6 % herrscht Vollbeschäftigung und die
Preisentwicklung zeigt klar nach oben. Zudem dürften die negativen Auswirkungen
eines starken Dollars durch das in Aussicht stehende Konjunkturprogramm abgefedert
werden. Eine Notenbank, die sich selbst ernst nimmt, kann in einer solchen Gemengelage eigentlich nicht untätig bleiben und muss mit weiteren Zinserhöhungen die Geldpolitik normalisieren.
Der Anstieg des Dollars könnte prinzipiell auch dadurch gestoppt werden, dass andere
Notenbanken dem Vorbild der amerikanischen Fed folgen und ihre Geldpolitik ebenfalls straffen. Für das Währungspaar Euro/US-Dollar ist dies aber unwahrscheinlich.
Die EZB hat sich auf ihrer jüngsten Sitzung im Dezember weit aus dem Fenster gelehnt und keinen Spielraum für eine nennenswert straffere Geldpolitik im Jahr 2017
gelassen. Der Euro wird es deshalb schwer haben, vom jetzigen Niveau aus in größerem Umfang zuzulegen. Vielmehr könnten die Marktakteure ihre Idee von der „magischen Anziehungskraft der Parität“ wiederentdecken. Bei Kursen unterhalb von
1,05 US-Dollar je Euro könnte diese Diskussion erneut Fahrt aufnehmen.
Die EZB wird der Fed
vorerst nicht folgen
Fundamental orientierten Volkswirten erschließt sich nicht recht, worin die besondere,
magische Anziehungskraft der Parität liegen soll. Aber wenn nur genügend Marktteilnehmer daran glauben, dass der Wechselkurs zwischen Euro und US-Dollar auf 1:1
sinkt, dann kann es in einem Akt sich selbst erfüllender Prophezeiungen tatsächlich zu
diesem Austauschverhältnis kommen. Fakt ist aber auch, dass beim letzten Mal, als die
vermeintliche Anziehungskraft der Parität diskutiert wurde und deren Überschreiten
schon als beschlossene Sache galt, der Markt vorzeitig drehte. Der Euro setzte sich bei
einem Wechselkursniveau von 1,05 US-Dollar je Euro gegen eine weitere Abwertung
zur Wehr (Abbildung 19). Wir erwarten für das Jahr 2017, dass der Wechselkurs des
Euro zum US-Dollar unter größeren Schwankungen zunächst etwas stärker wird, zum
Jahresende 2017 aber etwa auf das gegenwärtige Niveau zurückkehrt.
Magische Anziehungskraft
der Parität?
Abb. 19: Euro in US-Dollar
1,4
1,4
1,3
1,3
1,2
1,2
1,1
1,1
1,0
Dez 11
Dez 12
Dez 13
Dez 14
Dez 15
1,0
Dez 16
Quelle: Bloomberg.
39
2. Schweizer Franken: Same procedure as every year
Für 2017 sind keine großen
Sprünge zu erwarten
Jahr für Jahr das gleiche Bild: Der Schweizer Franken ist sehr teuer und müsste perspektivisch eigentlich an Wert verlieren. Doch weil der Franken als sicherer Anlagehafen in
unruhigen Zeiten gesucht wird, sorgen die vielen Krisen und politischen Unwägbarkeiten immer wieder für neue Kapitalflüsse in die Schweiz. Im Ergebnis kommt der
Franken nicht von der Stelle. Er schwankte im Jahr 2016 zwischen 1,07 und
1,11 Franken je Euro (Abbildung 20). Wir erwarten auch für das Jahr 2017 keine großen
Abweichungen von dieser Bandbreite: Viel höhere Eurokurse sind wegen der weiter sehr
expansiven Geldpolitik der EZB unwahrscheinlich. Falls hingegen der Franken noch
stärker Richtung Parität aufzuwerten droht, würde die Schweizer Nationalbank (SNB)
voraussichtlich stärker am Devisenmarkt intervenieren, um dem entgegenzuwirken.
Auch 2016 war die SNB immer wieder am Devisenmarkt aktiv. Zum Jahresende 2017
sehen wir den Wechselkurs bei 1,10 Franken je Euro. Die Voraussetzungen dafür sind
jedoch im Jahresverlauf abnehmende Spannungen in der EU und zum Jahresende eine
ernstzunehmende Aussicht auf eine straffere EZB-Politik.
Abb. 20: Euro in Schweizer Franken
1,3
1,3
1,2
1,2
1,1
1,1
1,0
1,0
0,9
Dez 11
Dez 12
Dez 13
Dez 14
Dez 15
0,9
Dez 16
Quelle: Bloomberg.
3. Britisches Pfund: Unbekanntes Gelände
Pfund reagiert
erwartungsgemäß auf
Brexit-Votum
Konsumenten, Unternehmen sowie verschiedene Kapitalmarktsegmente haben sich überraschend wenig vom Brexit-Votum beeindrucken lassen (siehe Abschnitt zu Großbritannien). Dagegen erfüllte der Devisenmarkt die negativen Erwartungen: Das Britische
Pfund ging unmittelbar in den freien Fall über. Auf handelsgewichteter Basis verlor das
Pfund binnen zweier Handelstagen fast 10 % seines Wertes (Abbildung 21). Auch der
Euro profitierte von der Pfund-Schwäche: Vor dem Referendum gab es für einen Euro
nur rund 0,77 Pfund, am Tag danach bereits 0,83 Pfund je Euro. In den folgenden
Wochen und Monaten legte der Euro zum Pfund immer weiter zu, sodass ein Euro kurzzeitig 0,94 Pfund wert war. Wir hatten im schlimmsten Fall damit gerechnet, dass die
Gemeinschaftswährung gegenüber dem Pfund bis zum Spitzenwert während der globalen
Finanzkrise steigen könnte (rund 0,98 Pfund je Euro am 30. Dezember 2008).
Harter oder weicher Brexit?
Der Devisenmarkt spiegelte in den vergangenen Monaten die jeweiligen Erwartungen
über die Härte der Ausstiegskonditionen wider. Dies dürfte auch künftig einer der
Haupttreiber für das Britische Pfund sein. Seit der High Court entschieden hat, dass
40
Premierministerin May das Parlament bei den Brexit-Entscheidungen miteinzubeziehen
hat, wurde die Hoffnung auf einen weicheren Brexit genährt. Das Pfund konnte sich
stabilisieren und ein ganz kleines Comeback feiern. Für einen Euro gab es Mitte
Dezember nur noch rund 0,84 Pfund. Derzeit berät der Supreme Court, ob May das
Austrittsgesuch übergeben darf, ohne vorher das britische Parlament zu befragen. Sollte
es beim Mitspracherecht für das Parlament bleiben, wären es gute Nachrichten für das
Pfund. Das Urteil wird für Mitte Januar erwartet.
Abb. 21: Handelsgewichtetes Britisches Pfund
110
110
100
100
90
90
80
80
70
Dez 06
Dez 08
Dez 10
Dez 12
Dez 14
70
In Punkten. Quelle: Bloomberg.
Wir sehen in unserem Hauptszenario für das Jahr 2017 eine etwas schwächere britische
Währung. Der Euro dürfte wieder Richtung 0,90 Pfund je Euro steigen. Allerdings
bewegen wir uns auf weitgehend unbekanntem Gelände, denn es gab ja vorher noch
keinen Fall, in dem ein Land die EU verlassen hat. Die Unwägbarkeiten sind in Großbritannien und in Europa sehr hoch. Sollte sich beispielsweise doch ein harter Brexit
abzeichnen oder sollten in der EU/Eurozone weitere Risse sichtbar werden, dann
könnten die Ausschläge am Devisenmarkt im Jahr 2017 beträchtlich ausfallen.
Weiterhin außergewöhnlich
große Unwägbarkeiten
4. Japanischer Yen: Immer für eine Überraschung gut
Japan hat eine seltsame Währung. Fast alles spricht gegen den Yen: Das magere Wachstum wird mit laxer Geld- und Fiskalpolitik teuer erkauft, Strukturreformen kommen
nicht voran, bei den Staatsschulden ist Japan Weltmeister – und doch konnte der Yen
seinen Aufwärtstrend auch 2016 lange Zeit fortsetzen. Bis Mitte des Jahres legte der
Yen zum US-Dollar in der Spitze um gut 20 % und zum Euro um etwas mehr als 17 %
zu. Es folgte eine Seitwärtsbewegung. Erst seit der amerikanischen Präsidentschaftswahl ist der Yen unter Druck geraten. Per saldo bleibt aber noch ein Jahresgewinn.
Da sich die japanische Notenbank zum Ziel gesetzt hat, die Langfristzinsen zu kontrollieren und niedrig zu halten, dürfte der Yen gegenüber dem US-Dollar unter Druck
bleiben, denn für die USA werden steigende Zinsen erwartet. Da die Zinsen in der
Eurozone recht niedrig bleiben dürften, ist für den Wechselkurs Euro/Yen ein klarer
Trend dagegen weniger wahrscheinlich. Dennoch: Japan ist zwar auch von der Zinsseite her unattraktiv, gleichwohl sind zwischenzeitliche Kursgewinne nicht ausgeschlossen. Der Yen gilt trotz allem als sicherer Anlagehafen und steigt regelmäßig, sobald es
an den Märkten turbulent wird, weil Japaner dann Auslandsgelder repatriieren.
Trotz eigener struktureller
Probleme profitiert der Yen
von internationalen Krisen
41
IV. Rohstoffe: Zyklische Erholung verliert 2017 an Schwung
(Wolfgang Pflüger)
Erstmals seit fünf Jahren mit
positiver Wertentwicklung
Erstmals seit 2011 geht der Rohstoffsektor 2016 mit einer positiven Wertentwicklung
aus dem Jahr. Sie fällt mit knapp 20 % sogar recht deutlich aus, wie Chart und Tabelle
im Nachfolgenden nachzeichnen. Damit wird dennoch erst wieder das Niveau des
Herbstes 2014 erreicht. Folglich wird auch kein neuer Hausse-Trend begründet. Nach
unserer Einschätzung handelt es sich vielmehr um eine durchaus länger anhaltende
Aufwärtskorrektur innerhalb der vorherrschenden Mega-Baisse. Der Spielraum für
weitere Preissteigerungen wird enger.
Industriemetalle und
Öl mit Preissprüngen
Hauptstützen der anziehenden Notierungen waren die erholten Ölpreise, denen sich
wichtige Industriemetalle nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten anschlossen. Es
kam zu Preissprüngen von mehr als 40 % im Jahresvergleich. Ein uneinheitliches Bild
vermitteln die Edelmetalle. Bis in den Spätsommer hinein lagen sie an der Spitze. Dann
griff auch hier der Trump-Faktor, allerdings mit negativem Vorzeichen. Anziehende
Anleiherenditen und der starke Dollar führten zu spürbaren Abgaben. Der Trend kehrte
sich um.
Tab. 3: Entwicklung des Rohstoffsektors
Bloomberg Commodity Index
Preise per 19.12.2016
in US-Dollar
Jahresveränderung
in %
100,06
+14,9
Kupfer
5 561
+18,3
Aluminium
1 717
+13,9
Blei
2 185
+21,3
Nickel
10 850
+25,2
Zink
2 632
+64,5
Zinn
21 300
+46,0
Gold
1 138
+7,2
15,96
+15,2
679,13
+20,6
Silber
Palladium
Platin
Öl (Brent)
916
+2,6
54,92
+47,3
Quelle: Bloomberg.
1. Öl: Ohne OPEC-Disziplin keine Preisstabilität
Wichtige OPEC-Beschlüsse
42
Der Verlauf der Rohölnotierungen (hier des Nordseeöls Brent) gestaltete sich 2016 sehr
volatil. Der zyklische Tiefpunkt wurde im Februar mit 27 US-Dollar je Fass erreicht –
ein unauskömmliches Niveau für die meisten Produzentenländer. In der Folge sondierten
die Öl produzierenden und exportierenden Länder (OPEC) Möglichkeiten einer Förderkürzung unter Einbezug anderer Nationen wie Russland. Eine Preiserholung setzte ein,
die nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zu Notierungen oberhalb der
50-US-Dollar-Marke führte.
Abb. 22: Öl – Preis pro Fass der Sorte Brent
135
135
115
115
95
95
75
75
55
55
35
35
15
Jan 09
15
Jan 10
Jan 11
Jan 12
Jan 13
Jan 14
Jan 15
Jan 16
In US-Dollar. Quelle: Bloomberg.
Ende 2016 gestaltet sich die Marktlage wie folgt: Global werden etwa 96,1 Mio.
Fass/Tag (davon 33,8 Mio. Fass/Tag von der OPEC) gefördert. Auf diesem Stand
übertrifft das Angebot die Nachfrage um circa 1,8 Mio. Fass/Tag, wobei die Nachfrage
im Jahresdurchschnitt auf 94,3 Mio. Fass/Tag geschätzt wird. Für 2017 erwarten die
Internationale Energie Agentur und die OPEC einen Anstieg auf 95,4 Mio. Fass/Tag.
Ein Marktgleichgewicht wäre also möglich, wenn die OPEC-Beschlüsse tatsächlich
umgesetzt werden. Sie sehen eine Kürzung der zuletzt erreichten Tagesproduktion von
33,8 Mio. Fass/Tag auf 32,6 Mio. Fass/Tag vor. Der Löwenanteil entfällt auf SaudiArabien, das sich von etwa 10,5 Mio. Fass/Tag auf 10 Mio. Fass/Tag beschränken will.
Der Irak, Kuweit, Katar und die UAE steuern 510 000 Fass/Tag bei. Iran, Nigeria und
Libyen bleiben ausgenommen. Im Ergebnis wird die OPEC-Produktion damit dennoch
nicht wirklich gekürzt. Im Vorfeld der Verhandlungen hatten alle wichtigen Förderländer ihren Output nämlich massiv ausgeweitet. Das angestrebte Niveau entspricht
somit lediglich dem Stand vom Januar 2016. Selbst Russland leistet einen Beitrag. Das
Land will während des ersten Halbjahres 2017 schrittweise auf 300 000 Fass/Tag verzichten. Auch das entspräche dem Stand vom Januar 2016.
Abbau des Überangebots
bei Förderdisziplin möglich
Es gibt jedoch gewichtige Faktoren, die das Angleichen von Angebot und Nachfrage
gefährden:
1) Mit Nigeria und Libyen bleiben zwei einstmals wichtige OPEC-Staaten von Förderkürzungen ausgenommen. Die bürgerkriegsähnlichen Eskalationen haben dort inzwischen ihren Höhepunkt überschritten. Nach einer Befriedung könnten diese
Länder ihre Produktion ohne Weiteres relativ kurzfristig um 1,2 Mio. Fass/Tag
ausweiten.
2) Die US-Schieferölproduktion ist 2016 entgegen den ursprünglichen Erwartungen
nicht gesunken, sondern hat sogar leicht zugelegt. Die Bohraktivitäten stiegen seit
Mai 2016. Denn die Förderkosten konnten seit 2014 in etwa halbiert werden. Bei
Weltmarktpreisen von um die 50 US-Dollar je Fass ist die Industrie absolut wettbewerbsfähig und sieht sich selbst in der Lage, ihre Produktion relativ kurzfristig
um bis zu 1 Mio. Fass/Tag auszudehnen.
3) Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Kanada, Brasilien und Kasachstan ihre Fördermengen 2017 ausdehnen.
Gewichtige Stolpersteine
43
Hohe Preisschwankungen
wohl auch in 2017
Es kann daher nicht als gesichert gelten, dass die OPEC-Beschlüsse allein zu einem
neuen Marktgleichgewicht führen, zumal es der Organisation in der Vergangenheit
häufiger nicht gelang, ihre Zielvorgaben aufgrund innerer Streitigkeiten 1:1 umzusetzen.
Die Versorgung der Ölmärkte dürfte starken monatlichen Schwankungen ausgesetzt
sein. Wir erwarten daher einen volatilen Preisverlauf, bei dem 60 US-Dollar aus fundamentaler Sicht zu einem wesentlichen Bremsklotz werden dürften.
2. Gold: Finanzinvestoren entscheiden über den weiteren Trend
Schwache physische
Nachfrage
Die physische Goldnachfrage blieb während des gesamten Jahres 2016 enttäuschend
schwach. Das gilt vor allem für die beiden Hauptabnehmerländer Indien und China, die
normalerweise gut 50 % der Weltnachfrage auf sich vereinen. Aus der Sicht indischer
Konsumenten war zunächst der Preis in Rupien (Abwertung gegenüber dem US-Dollar)
zu hoch, dann war in Folge des „Cash-Chaos“ kein Geld mehr da. Die Einfuhren sanken um 29 %. Nach China wurden 13 % weniger geliefert. Die im Herbst verschärften
Kapitalverkehrskontrollen spielten eine Rolle. Aber auch die Schmuckindustrie fragte
global weniger Gold nach. Dennoch kletterten die Goldnotierungen zwischen Januar
und August bis auf 1 370 US-Dollar/Unze und damit um mehr als 30 %.
Abb. 23: Goldpreis gegenüber globalen Gold-ETF-Beständen
2 100
85 000
1 750
75 000
1 400
65 000
1 050
55 000
700
45 000
350
0
Jan 08
Goldpreis je Unze
Gold-ETF-Bestände in Unzen
Jan 09
Jan 10
Jan 11
Jan 12
Jan 13
Jan 14
Jan 15
Jan 16
35 000
25 000
Goldpreis je Unze in US-Dollar; Gold-ETF-Bestände in tausend Unzen. Quelle: Bloomberg.
Trump-Wahl
bewirkt verändertes
Finanzanlegerverhalten
44
Es waren die Finanzanleger, die ihre Engagements in mit physischem Gold unterlegten
Produkten erheblich ausdehnten, und zwar um etwa 18 Mio. Unzen auf einen zwischenzeitlichen Spitzenbestand von gut 82 Mio. Unzen. Sie wollten gegen immer weiter um
sich greifende Negativzinsen und politische Risiken wie den Brexit und die US-Wahlen
gewappnet sein. Die physische Nachfrageschwäche wurde so überkompensiert. Nach
der Trump-Wahl kippte der Trend. Trumps wirtschaftspolitische Agenda setzt auf staatliche Konjunkturankurbelung und Steuersenkungen und dürfte sich reinflationierend
auswirken. Die Zinserwartungen haben sich nach oben verschoben. Die für die Preisbildung ausschlaggebenden Finanzinvestoren reagierten und bauten ihre ETF-Bestände
allein im November um 6 Mio. Unzen ab. Die Goldnotierungen brachen ein, der Aufwärts- wurde zu einem Abwärtstrend.
Sicherlich wird Gold mittel- bis langfristig seiner Werterhaltungsfunktion gerade in
Abwertungswährungen gerecht werden. Dazu zählt derzeit ja auch der Euro. In Europa
stehen 2017 zudem richtungsweisende Wahlen an – ein Unsicherheitsfaktor. Steigende
Inflationsraten könnten bei zögerlich reagierenden Zentralbanken zu anhaltend negativen Realzinsen führen. Das sind die Stützen des Goldmarktes.
Goldmarktstützen
Andererseits ist das Verhalten der Finanzinvestoren schwer prognostizierbar. Setzt sich
deren Bestandsabbau fort – wofür zur Jahreswende einiges sprach –, bleibt Gold unter
Druck. Daher dürften während der ersten Jahresmonate die Abwärtsrisiken überwiegen.
Wir erwarten zunächt eine Schwankungsbreite zwischen 1 000 und 1 200 US-Dollar pro
Unze. Im weiteren Jahresverlauf könnte Gold dann wieder Richtung 1 300 US-Dollar
pro Unze zulegen.
Zunächst überwiegen
Abwärtsrisiken
3. Industriemetalle: Verhaltene Aussichten nach teilweise extremen Preissprüngen
Mit teilweise extremen Preissprüngen haben viele Industriemetalle ihre mehrjährigen
Abwärtstrends beendet. So explodierten die Zinknotierungen seit dem Januartief 2016
um mehr als 90 %. Es verblieb eine Jahresperformance von knapp 70 % (Tabelle 3,
Seite 43). Aufgrund von Minenschließungen in 2015 wechselte der Markt von einem
Angebotsüberhang in ein Defizit. Daran wird sich 2017 wenig ändern. Eine ähnliche
Entwicklung nur mit geringeren Preisausschlägen nahm der Zinn- und Nickelabsatz.
Abwärtstrends beendet
Moderater entwickelten sich die Kupferpreise. 2016 nahm die Minenproduktion trotz des
chinesischen Baubooms wohl ein letztes Mal schneller als die Nachfrage zu. Nun erwartet
die International Copper Study Group ein annäherndes Gleichgewicht. Unsicherheitsfaktoren für die weitere Preisbildung sind in der vermutlich leicht rückläufigen Nachfrage
aus dem Reich der Mitte – der Immobiliensektor dürfte sich abkühlen – und in dem tendenziell festeren US-Dollar zu sehen. Eine Dollaraufwertung belastet den gesamten Rohstoffsektor grundsätzlich. Zu beachten ist auch der immer stärker werdende Einfluss der
Terminbörse in Shanghai. Hier kam es 2016 wiederholt zu spekulativen Exzessen, die die
dortige Börsenaufsicht einschreiten ließen. Fundamental hat sich das Bild also durchaus
verbessert. Möglicherweise haben die Preissprünge des Jahres 2016 aber auch schon viel
davon vorweggenommen.
Kupfer nähert sich
Marktgleichgewicht
Abb. 24: China – Kupferpreis und Einkaufsmanagerindex
10 000
57
Kupferpreis
Einkaufsmanagerindex (rechte Skala)
8 000
54
6 000
51
4 000
Jan 10
Jan 11
Jan 12
Jan 13
Jan 14
Jan 15
Jan 16
48
Kupferpreis in US-Dollar pro Tonne. Einkaufsmanagerindex in Punkten. Quellen: Bloomberg, China Federation of Logistics and Purchasing.
45
TEIL 6
KAPITALMARKTSTRATEGIE
(Dirk Trochelmann)
I. Aktien: Weiterhin attraktive Anlageklasse
Aktien weiterhin attraktiv
Aktien sind unter strategischen Aspekten weiterhin sehr bedeutsam für ein diversifiziertes
Portfolio. Hervorzuheben sind zunächst die grundlegenden Eigenschaften. Zum einen
partizipieren Aktien am volkswirtschaftlichen Wachstum und bieten einen gewissen Inflationsschutz. Zum anderen bieten Aktienanlagen grundsätzlich eine relativ gute Liquidität und auch über Dividenden laufende Ausschüttungen. Der einzige Wermutstropfen
dieser Anlageklasse ist die vergleichsweise hohe Volatilität.
Wirtschaftswachstum
unterstützt
Der vom Wirtschaftswachstum ausgehende Rückenwind wirkt sich umsatz- und meist
auch gewinnsteigernd für die Aktiengesellschaften aus. Aktuell erwarten wir ein Wirtschaftswachstum in den entwickelten Volkswirtschaften im Rahmen des Wachstumspotenzials. Das Bruttoinlandsprodukt wird in den USA voraussichtlich um 2,4 % im
Jahr 2017 zulegen und in Europa um 1,6 %. In den Schwellenländern sind Wachstumsraten von etwa 4,7 % möglich – regional jedoch mit starken Unterschieden. So werden
zum Beispiel China mit 6,4 % und Indien mit etwa 7,5 % im Jahr 2017 deutlich stärker
wachsen als die meisten anderen Schwellenländer.
Moderate Inflation vorteilhaft
Historisch haben Aktien bei leicht positiven bis moderaten Inflationsraten eine gute
Wertentwicklung erzielt. Inflationsseitig liegt ein positives Umfeld für Aktien vor. So
steigt die Inflation in den USA voraussichtlich im Jahr 2017 auf 2,2 % an. In ähnlichem
Ausmaß wird auch in der Eurozone die Inflation auf dann 1,3 % zunehmen. Schwellenländer werden trotz eines marginalen Rückgangs insgesamt mit 8,4 % ein höheres Inflationsniveau behalten als die führenden Industrienationen. In China und Indien wird die
Inflation mit 2,3 % respektive 4,5 % relativ stabil bleiben. Deutlich rückläufiger wird
die Preissteigerung jedoch in lateinamerikanischen Ländern ausfallen.
Gutes makroökonomisches
Umfeld
Das makroökonomische Umfeld bietet im Jahr 2017 grundsätzlich positive Voraussetzungen für die globalen Aktienmärkte. Obwohl die Rhetorik der führenden Notenbanken im Jahresverlauf 2016 etwas schärfer wurde, ist weiterhin von einem datenabhängigen Entscheidungspfad auszugehen. Dies bedeutet, dass ein Abwürgen des
Konjunkturmotors durch übereilte oder übermäßige Zinserhöhungen beziehungsweise
Rücknahme der quantitativen Lockerungsmaßnahmen sehr unwahrscheinlich ist.
Langfristig attraktive
Erträge
Nicht nur der Ausblick auf das Jahr 2017 lässt attraktive Erträge aus Aktienanlagen
erwarten. Auch auf Basis unserer langfristigen Ertragsprognosen erwarten wir in den
kommenden Jahren attraktive Wertsteigerungspotenziale bei Aktienanlagen.
Unternehmensgewinne werden
im Jahr 2017 ansteigen
Das Wirtschaftswachstum wird steigende Unternehmensgewinne fördern. Analysten
schätzen Gewinnwachstumsraten von gut 11 % für amerikanische und 13 % für europäische Aktien. Für Gewinne von Schwellenländeraktien wird hingegen ein Plus von
46
12 % prognostiziert. Die erwarteten Gewinnwachstumsraten treten jedoch häufig nicht
ein. Zum Jahreswechsel springen die erwarteten Gewinne je Aktie meist nach oben
(Abbildung 25), was die positive Erwartungshaltung der Marktteilnehmer reflektiert. Im
Jahresverlauf steigen diese manchmal, wie beim S&P 500 in einigen Jahren, in der Regel
waren die jeweiligen Schätzungen vom Jahresanfang aber zu optimistisch.
Abb. 25: Aktien – Gewinne je Aktie im laufenden Kalenderjahr
125
125
105
105
85
85
S&P 500
Stoxx Europe 600
MSCI Emerging Markets
65
Dez 11
Dez 12
Dez 13
Dez 14
Dez 15
65
Dez 16
Index = 100 per 2. Dezember 2011. Quelle: Bloomberg.
Europäische Aktien verfügen über ein relativ hohes positives Überraschungspotenzial.
In den vergangenen fünf Jahren konnten die anfänglichen Gewinnerwartungen stets nicht
gehalten werden. Sofern die prognostizierten Gewinne je Aktie im Jahr 2017 jedoch in
etwa erreicht werden, sind deutliche Kurssteigerungen denkbar, da der Markt eher eine
erneute Enttäuschung erwartet. Wie eine solche Entwicklung vonstatten gehen kann, zeigen die Schwellenländer. Die Gewinnentwicklung von Schwellenländeraktien enttäuschte
mehrfach, im Jahr 2016 jedoch nicht mehr so dramatisch wie in den beiden Jahren zuvor.
In der Folge erzielten Schwellenländeraktien im Jahr 2016 die beste Performance.
Europäische
Aktien mit positivem
Überraschungspotenzial
Gemessen am Kurs-Buchwert-Verhältnis sind US-Aktien im Vergleich zu Aktien aus
Europa und den Schwellenländern relativ hoch bewertet (Abbildung 26). Geprägt ist
der Bewertungsanstieg bei US-Aktien maßgeblich von Aktienrückkaufprogrammen.
US-Aktien relativ
hoch bewertet
Abb. 26: Aktien – Kurs-Buchwert-Verhältnis
3,2
2,8
3,2
S&P 500
Stoxx Europe 600
MSCI Emerging Markets
2,8
2,4
2,4
2,0
2,0
1,6
1,6
1,2
Dez 11
Dez 12
Dez 13
Dez 14
Dez 15
1,2
Dez 16
Quelle: Bloomberg.
47
Sehr attraktive
Dividendenrendite in Europa
Europäische Aktien weisen derzeit die attraktivsten Dividendenrenditen auf, mit deutlichem Abstand folgen die anderen Märkte (Abbildung 27). Die prognostizierte Dividendenrendite europäischer Aktien beläuft sich auf 3,9 % für das Jahr 2017. Gerade im
Kontext zu den momentan sehr niedrigen Renditen am europäischen Rentenmarkt
erscheinen dividendenstarke Aktien umso attraktiver.
Abb. 27: Aktien – prognostizierte Dividendenrendite
5,0
S&P 500
Stoxx Europe 600
MSCI Emerging Markets
4,5
5,0
4,5
4,0
4,0
3,5
3,5
3,0
3,0
2,5
2,5
2,0
Dez 11
Jun 12
Dez 12
Jun 13
Dez 13
Jun 14
Dez 14
Jun 15
Dez 15
Jun 16
2,0
Dez 16
In %. Quelle: Bloomberg.
Fazit:
Aktien übergewichten,
Europa bevorzugen
Aktien sollten im Jahr 2017 generell übergewichtet werden. Einerseits wegen der positiven makro- und mikroökonomischen Aussichten, andererseits auch im Vergleich zu
Anleihen. Innerhalb der Anlageklasse Aktien bevorzugen wir europäische Titel, da diese
vergleichsweise günstig bewertet sind und eine hohe Dividendenrendite bieten.
II. Anleihen: Geringe Rendite bei hohen Kursrisiken
Anleihen wenig attraktiv
Anleihen sind momentan wegen ihres asymmetrischen Chance-Risiko-Profils wenig
attraktiv. Aus strategischen Erwägungen sind Anleihen dennoch ein wichtiger Grundbaustein eines ausgewogenen Portfolios.
Volkswirtschaftliche
Rahmenbedingungen
nachteilig für Anleihen
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind für die Anlageklasse Anleihen ein
wesentlicher Belastungsfaktor. Das Wirtschaftswachstum wird stabil bleiben und die
Inflation ansteigen. Als Anhaltspunkt, ob eine zehnjährige Staatsanleiherendite angemessen ist, können das reale Wirtschaftswachstum sowie die Inflation addiert werden.
Liegt die Summe über der aktuellen Rendite von zehnjährigen Staatsanleihen, ist deren
Rendite zu gering und vice versa. Angesichts des erwarteten Wirtschaftswachstums von
1,5 % sowie einer erwarteten Inflation von 1,3 % in der Eurozone für das Jahr 2017
erscheint die derzeitige Rendite zehnjähriger Bundesanleihen von rund 0,3 % als zu
niedrig. Demnach könnte die Rendite ökonomisch begründbar um etwa 2,5 Prozentpunkte ansteigen. Allerdings bleibt in dem Modell die aktuell vorliegende strukturelle
Nachfrage unberücksichtigt. Hierzu zählen neben dem Status deutscher Bundesanleihen als sicherer Hafen in unsicheren Zeiten auch die Anleihekaufprogramme diverser
Notenbanken und teilweise negative Einlagezinsen. Aus regulatorischen Gründen müssen
beaufsichtigte Kapitalsammelstellen zudem viele Staatsanleihen in ihren Portfolios vor-
48
halten. Die Notenbanken werden irgendwann aus der ultraexpansiven Geldpolitik aussteigen. Dies führt dann zu einem Rückgang der Nachfrage nach Staatsanleihen. Makroökonomisch und strukturell begründet werden auf Dauer deshalb auch die Renditen
von Anleihen höchster Bonität steigen.
Derzeit stehen am Rentenmarkt geringe Renditen relativ großen Kursänderungsrisiken
gegenüber. Es liegt also eine Asymmetrie zwischen Chance und Risiko vor. Ein Beispiel: Eine neu emittierte deutsche Staatsanleihe mit zehnjähriger Laufzeit würde heute
bei einem marktgerechten Zinskupon von 0,3 % über eine modifizierte Duration von
9,8 verfügen. Eine gleich lang laufende Anleihe würde bei einem marktgerechten Zinskupon von 4 % eine modifizierte Duration von 7,8 aufweisen. Die modifizierte Duration als Maßeinheit für die Zinssensitivität einer Anleihe drückt aus, in welchem Maß
sich der Kurswert einer Anleihe verändert, wenn sich die Marktrendite um einen Prozentpunkt verändert. Bei einer Änderung der Marktrendite um einen Prozentpunkt
würde sich eine Anleihe mit modifizierter Duration von 10 im Kurswert um 10 % verändern. Dies gilt natürlich für beide Richtungen, sowohl Kursgewinne als auch Kursverluste sind möglich, je nachdem, ob die Marktrendite fällt oder steigt.
Asymmetrie am
Rentenmarkt
Aus den derzeitigen volkswirtschaftlichen und geldpolitischen Rahmenbedingungen
ergibt sich das Risiko eines mittelfristig steigenden Renditeniveaus, somit also Wertverlustrisiken für Anleihen. Die Essenz aus dem bisherigen Argumentationsstrang ist
für Absolute-Return-Anleger, die Duration möglichst gering zu halten, und für Benchmark-Anleger, eine relativ zur Benchmark niedrigere Kapitalbindungsdauer zu wählen.
Fazit:
Duration niedrig halten
Das Anlagedreieck beschreibt die Ziele einer Kapitalanlage, bestehend aus Rentabilität,
Sicherheit und Liquidität. Das stärkere Erreichen eines Kriteriums bedingt normalerweise einen geringeren Erreichungsgrad mindestens eines anderen Kriteriums. Wegen
des Renditerückgangs in den letzten Jahren war in der jüngeren Vergangenheit das Eingehen immer größerer Risiken – weniger Sicherheit – notwendig, um die Rentabilität
eines Portfolios weitgehend konstant zu halten. Anlagestrategisch kann dies durch eine
Erhöhung des Laufzeitrisikos – längere Kapitalbindungsdauer –, durch eine Erhöhung
des Kreditrisikos oder durch eine Mischung aus beiden Varianten erreicht werden.
Anlagedreieck:
Rentabilität, Sicherheit
und Liquidität
In Anbetracht des erwarteten Renditeanstiegs erscheint eine längere Kapitalbindungsdauer nicht sinnvoll. Alternativ können mehr Kreditrisiken akzeptiert werden, was im
Hinblick auf eine positive konjunkturelle Entwicklung vertretbar erscheint. Langfristiger
orientierte Anleger können auch hinsichtlich der Liquidität Abstriche machen und somit
das Ertragspotenzial der Vermögensanlage stärken. Dabei muss jedoch nicht notwendigerweise gleichzeitig auch eine längere Kapitalbindungsdauer akzeptiert werden.
Laufzeitrisiken meiden,
Kreditrisiken nur maßvoll
einsetzen und alternativ
gezielte Liquiditätsrisiken
abwägen
49
Abb. 28: Anleihen – Renditen ausgewählter Indizes
10
8
10
Kerneuropa (D, FR, FIN, BEL)
Europäische Peripherie (IT, ES, POR, IRL, GR)
8
6
6
4
4
2
2
0
0
-2
1999
2001
2003
2005
2007
2009
2011
2013
2015
-2
In %. Quelle: Bloomberg.
Staatsanleihen der
Euro-Peripherie gegenüber
denen der Kernländer
bevorzugen
Im Bereich der europäischen Staatsanleihen bevorzugen wir Länder der Euro-Peripherie
gegenüber den Kernländern der Eurozone. Einerseits könnten sich die Risikoaufschläge
zu Kerneuropa im Zuge der besseren konjunkturellen Entwicklung verringern, was zu
Kursgewinnen führen würde. Andererseits bieten Staatsanleihen der Euro-Peripherie bei
überschaubaren zusätzlichen Risiken vergleichsweise höhere laufende Renditen. Darüber
hinaus weisen die Zinsstrukturkurven in der Peripherie eine deutlich ausgeprägtere Steilheit auf. Dies bedeutet, dass der Investor im Vergleich zu Anlagen in deutschen Bundesanleihen für jede Einheit Kapitalbindungsdauer mehr Zinsertrag erhält.
Attraktive Kreditrisiken
steigern die Portfoliorendite
und diversifizieren
Neben Durationsrisiken stellen attraktive Kreditrisiken einen wichtigen Portfoliobestandteil dar. Diese optimieren im Portfoliokontext die Gesamtrendite und liefern
gleichzeitig vorteilhafte Diversifikationseffekte. Ein gutes Chance-Risiko-Verhältnis
bieten europäische Hochzinsanleihen mit einer relativ kurzen Restlaufzeit und attraktiven Zinsvorsprüngen gegenüber Unternehmensanleihen. Weiterhin sind Hartwährungsanleihen der Emerging Markets mit kurzer Kapitalbindungsdauer sowie Anleihen
von hochrentierlichen Frontier Markets längerfristig vielversprechende Investmentempfehlungen. Schließlich runden Mortgage-Backed Securities mit flexibler Durationssteuerung, die vom US-Zinszyklus und vom stabilen konjunkturellen Umfeld in den
USA profitieren, die Portfoliobeimischung von Kreditrisiken ab. Da wir grundsätzlich
steigende Inflationsraten und -erwartungen prognostizieren, empfehlen wir weiterhin
eine Portfolioposition, die von steigenden Inflationserwartungen profitiert, jedoch
keine Durationsrisiken eingeht.
III. Alternative Investments: Hohes Diversifikationspotenzial
Rohstoffe differenziert
betrachten
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Rohstoffe haben in den letzten Jahren turbulente Zeiten erlebt. Nachdem der Superzyklus, ausgelöst durch das enorme Wachstum der Emerging Marktes, abgeflaut ist,
haben die Rohstoffmärkte an Attraktivität verloren. Das anhaltende Überschussangebot,
unter anderem durch neue Technik wie Fracking in den USA, hat die Angebots-und
Nachfragesituation bei Öl nachhaltig verändert. Die Rohstoffsektoren (Edelmetalle,
Industriemetalle und Energierohstoffe) sind mittlerweile voneinander getrennt zu be-
trachten. Je nach Marktphase können die Subbereiche jedoch einen Mehrwert – Rendite
oder Risikoreduzierung – mit sich bringen. Derzeit bevorzugen wir Edelmetalle. Zur
Diversifikation eines ausgewogenen Portfolios eignen sich Edelmetalle hervorragend, da
sie mit ihrer neutralen Korrelation zu Aktien und Renten die Gesamtvolatilität reduzieren.
Entgegen der weit verbreiteten Einschätzung bieten Edelmetalle – Gold im Speziellen –
jedoch keinen eindeutigen Inflationsschutz. Es gab in der Vergangenheit stets Phasen
am Kapitalmarkt, in denen die Wertentwicklung von Gold mit der Inflationsentwicklung nicht übereinstimmte. Bei genauer Untersuchung der Korrelation beider Faktoren
ergibt sich in einem 50-jährigen Betrachtungszeitraum kein statistisch signifikanter Zusammenhang.
Gold bietet keinen
eindeutigen Inflationsschutz
Gold bietet jedoch Schutz vor systemischen Risiken, zum Beispiel Krisen im Währungssystem oder infolge von militärischen Konflikten. Auch zeigte sich Gold sehr
robust bei hohen Volatilitäten des Aktienmarktes in jüngerer Vergangenheit. In Summe
bieten Edelmetalle einen vielseitigen Nutzen im Portfolio. Grundsätzlich empfehlen wir
daher, Edelmetalle aus strategischen Überlegungen im Portfolio zu berücksichtigen.
Gold bietet Schutz vor
systemischen Risiken und
zeigt sich robust bei hoher
Aktienmarktvolatilität
Im Bereich der liquiden Alternative-Investments-Strategien zielen wir darauf ab, attraktive Renditen bei gleichzeitig neutraler bis geringer Korrelation mit der Wertentwicklung von Aktien oder Anleihen zu erwirtschaften. Gerade vor dem Hintergrund des
erwarteten Renditeanstiegs sollten diese Strategien im Portfoliokontext künftig einen
höheren Stellenwert einnehmen.
Sonstige alternative
Investments mit geringer
Korrelation zum
Rentenmarkt vorteilhaft
IV. Liquidität: Taktische Manövriermasse
Unter Korrelations- und Portfoliostabilitätsaspekten bleibt Liquidität als Anlageklasse
ein stets wichtiger Baustein. Aus portfoliotheoretischer Sicht ist Liquidität aufgrund der
stabilen neutralen Korrelation gegenüber den gängigen Anlageklassen eine gute Möglichkeit, das Portfolio über schwierige Kapitalmarktphasen hinweg zu stabilisieren. Des
Weiteren ist Liquidität als taktische Manövriermasse derzeit eine kostengünstige Option,
bei Marktschwäche opportunistisch und antizyklisch Investments vorzunehmen.
Liquidität liefert stabile
neutrale Korrelationen sowie
eine kostengünstige Option,
in Marktschwäche
opportunistisch zu investieren
Aufgrund des mittelfristigen Aufwertungspotenzials empfehlen wir, Liquidität auch in
US-Dollar anzulegen. Erstens sollte der US-Dollar von einer wachsenden Zinsdifferenz
profitieren, wenn die US-Zinsen weiter erhöht werden, während sie in Europa auf niedrigen Niveaus verharren sollten. Zweitens sprechen die Dynamiken hinsichtlich des
Wirtschaftswachstums und der erwarteten Inflationsentwicklung für eine Anlage von
Liquidität in den US-Dollar.
US-Dollar-Anlagen
auch aus Euro-Anleger-Sicht
sinnvoll
51
V. Kapitalmarktprognosen
Zinsen (in %)
Aktuell
Prognose Ende 2017
USA
10 Jahre
2,54
3,10
Europa*
10 Jahre
0,25
0,75
Großbritannien
10 Jahre
1,40
1,80
USA
EUR/USD
1,04
1,04
Europa
EUR/CHF
1,07
1,10
Großbritannien
EUR/GBP
0,84
0,88
Währungen
Aktien
USA
S&P 500
Europa
DAX
2 263
2 320
11 427
11 800
EURO STOXX 50
3 258
3 400
FTSE 100
7 017
7 500
Rohstoffe (in US-Dollar)
Öl (Brent)
54,92
60
Gold
1 138
1 300
* Bundesanleihen. Quellen: Bloomberg, Berenberg.
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