WIRTSCHAFT UND FINANZMÄRKTE AU S B LI C K 2 0 1 7 CHANCEN UND RISIKEN IN ZEITEN DES WANDELS WIRTSCHAFT UND FINANZMÄRKTE AU S B LI C K 2 0 1 7 CHANCEN UND RISIKEN IN ZEITEN DES WANDELS Autoren: Till Budelmann, Telefon +41 44 284-2073, [email protected] Dr. Florian Hense, Telefon +44 20 3207-7859, [email protected] Wolf-Fabian Hungerland, Telefon +49 40 350 60-8165, [email protected] Cornelia Koller, Telefon +49 40 350 60-198, [email protected] Wolfgang Pflüger, Telefon +49 40 350 60-416, [email protected] Dr. Jörn Quitzau, Telefon +49 40 350 60-113, [email protected] Dr. Holger Schmieding, Telefon +44 20 3207-7889, [email protected] Dirk Trochelmann, Telefon +49 40 350 60-8342, [email protected] Abgeschlossen am 19. Dezember 2016 Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des § 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche oder finanzielle Beratung. Die gemachten Angaben wurden nicht durch eine außenstehende Partei, insbesondere eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, geprüft. Alle Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen, die wir für vertrauenswürdig halten. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit sämtlicher Angaben übernehmen wir dennoch keine Gewähr. Wir weisen ausdrücklich auf den angegebenen Bearbeitungsstand hin. Angaben können sich durch Zeitablauf und/oder infolge gesetzlicher, politischer, wirtschaftlicher oder anderer Änderungen als nicht mehr zutreffend erweisen. Wir übernehmen keine Verpflichtung, auf solche Änderungen hinzuweisen und/oder eine aktualisierte Präsentation zu erstellen. Für den Eintritt der in der Präsentation enthaltenen Prognosen oder sonstigen Aussagen über Renditen, Kursgewinne oder sonstige Vermögenszuwächse übernehmen wir keine Haftung. Wir weisen darauf hin, dass frühere Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung sind. Zur Erklärung verwandter Fachbegriffe steht Ihnen auf www.berenberg.de/glossar ein Onlineglossar zur Verfügung. Die gewerbliche Nutzung in Form eines Nachdrucks, der – auch teilweisen – Vervielfältigung sowie der Weitergabe der Studie ist ohne unsere ausdrückliche schriftliche Genehmigung nicht gestattet. Stand: Dezember 2016. INHALT Teil 1 Ausblick in Kürze 1 Teil 2 Unruhige Zeiten 2 I. Aufwärts trotz zunehmender Risiken 2 II. Blick zurück auf ein Jahr der Überraschungen 2 III. Wirtschaftsprognosen im Überblick 4 IV. Ein Blick auf die Risiken 7 V. 8 Märkte: Erst die Party … Teil 3 Das Risiko des Jahres: Der Aufstieg der Populisten Teil 4 Ausgewählte Regionen I. USA: Aufschwung kann Fahrt aufnehmen 9 12 12 II. Westeuropa: Trotz politischer Risiken weiter aufwärts 14 1. Eurozone: Brexit-Entscheidung gut umschifft 14 2. Großbritannien: Harter oder weicher Brexit? 18 3. Schweiz: Die Flucht in den Franken 20 III. Japan: Weiter in der Wachstumsfalle 21 IV. Große Schwellenländer: Strukturreformen bleiben unabdingbar 23 V. 1. China: Konjunkturspritzen statt neuer Reformen 23 2. Indien: Neue Mehrwertsteuer oder „Cash-Chaos“ – was wiegt schwerer? 25 3. Brasilien: Auf zu neuen Ufern? 26 Osteuropa: Ade liberale Wirtschaftspolitik 27 1. Russland: Wie geschmiert aus der Rezession? 27 2. Türkei: Vor dem Abgrund 28 3. Polen: Nicht immun gegen politisches Risiko 29 Teil 5 Kapital-, Devisen- und Rohstoffmärkte I. Aktien: Positiver Ausblick für das Jahr 2017 II. Anleihen: Rückkehr der Inflation 30 34 1. „Endlich“ wieder etwas Inflation 34 2. Divergierende Geldpolitik 35 3. Zinsen: Sanfter Renditeanstieg 36 III. Währungen: Der US-Dollar gibt den Ton an 38 1. US-Dollar: Trump entfacht Zinsphantasie 38 2. Schweizer Franken: Same procedure as every year 40 3. Britisches Pfund: Unbekanntes Gelände 40 4. Japanischer Yen: Immer für eine Überraschung gut 41 IV. Rohstoffe: Zyklische Erholung verliert 2017 an Schwung 42 1. Öl: Ohne OPEC-Disziplin keine Preisstabilität 42 2. Gold: Finanzinvestoren entscheiden über den weiteren Trend 44 3. Industriemetalle: Verhaltene Aussichten nach teilweise extremen Preissprüngen 45 Teil 6 Kapitalmarktstrategie I. 30 Aktien: Weiterhin attraktive Anlageklasse 46 46 II. Anleihen: Geringe Rendite bei hohen Kursrisiken 48 III. Alternative Investments: Hohes Diversifikationspotenzial 50 IV. Liquidität: Taktische Manövriermasse 51 V. 52 Kapitalmarktprognosen TEIL 1 AUSBLICK IN KÜRZE Nicht zu heiß, nicht zu kalt. Seit mehr als sieben Jahren erlebt die westliche Welt einen Aufschwung ohne Überschwang. Bisher zeigen sich keine größeren Übertreibungen, die dereinst in einer neuen Rezession bereinigt werden müssten. So kann die Wirtschaft unspektakulär und spannungsarm wachsen. Bisher ein Aufschwung ohne Überschwang Mit Donald Trump droht uns jetzt die Rückkehr zum normalen Auf und Ab der Konjunktur. Offenbar wird der US-Kongress ihm ein umfangreiches Fiskalprogramm genehmigen. Für die nächsten zwei bis drei Jahre können wir uns auf einen kraftvolleren Aufschwung in den USA einstellen, der langsam in einen echten Boom übergehen wird. Auf Kosten künftiger Steuerzahler lädt Trump zur Party ein. Aber jetzt lädt Trump zur Party ein Ausgehend von den USA zeichnet sich für die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren insgesamt eine etwas lebhaftere Konjunktur ab. Über bessere Ausfuhrchancen bekommen auch wir in Europa ein wenig davon ab. Für die Eurozone erwarten wir ein stetiges und breit abgestütztes Wachstum. Ein Stimulus für die Konjunktur Leider hat die Sache einen Haken. Die USA brauchen Trumps künstlichen Fiskalstimulus nicht. Im Überschwang werden sich Spannungen aufbauen, die sich auch in Fehlinvestitionen, übermäßiger Kreditaufnahme und einer steigenden Inflation zeigen werden. Damit birgt der künstlich angeheizte Aufschwung bereits den Keim einer späteren Bereinigungskrise in sich. Wenn es dann so weit ist, werden wir uns dem auch in Europa nicht ganz entziehen können. Aber das hat vermutlich noch einige Jahre Zeit. Leider hat die Sache einen Haken … In China schwächt sich der Wachstumstrend langsam ab. Noch verfügt das Land allerdings über genügend Möglichkeiten, eine harte Landung zu vermeiden. Für andere Schwellenländer in Asien und Lateinamerika ist der Ausblick dagegen durchwachsen. Einige werden ihre Ausfuhren in die USA deutlich steigern können. Andere leiden jedoch mehr darunter, dass der starke Dollar es ihnen erschwert, ihre Dollar-Schulden zu bedienen. In einige Ländern kommen politische Probleme dazu. Durchwachsener Ausblick für Schwellenländer Der Aufschwung bringt viele Chancen mit sich. Leider drohen uns 2017 auch außergewöhnliche Risiken, die sich aus dem Aufstieg populistischer Strömungen auf beiden Seiten des Atlantiks ergeben. Ein Handelskrieg zwischen den USA und China könnte die Welthandelsordnung erschüttern. In Europa hat die Gefahr zugenommen, dass Gegner des Euro in Italien oder sogar Frankreich an die Macht kommen könnten. Auch wenn dies unwahrscheinlich bleibt, können wir es nicht ganz ausschließen. Große Chancen, außergewöhnliche Risiken Erst die Party – bis zum Kater hat es noch Zeit. Der Finanzmarkt freut sich zu Recht auf einen US-getriebenen Stimulus. Sofern die politischen Großrisiken nicht eintreten, überwiegen die Chancen auf höhere Kurse an den Aktienmärkten. An den Anleihemärkten können die Renditen ihre Talsohle verlassen. Drei Zinsschritte der US-Fed in 2017 und ein geringeres Volumen der Anleihekäufe der EZB werden voraussichtlich dazu beitragen. Allerdings müssen wir die politischen Risiken im Auge behalten. Erst kommt die Party 1 TEIL 2 UNRUHIGE ZEITEN (Dr. Holger Schmieding) I. Aufwärts trotz zunehmender Risiken Wirtschaftliche Chancen, politische Risiken Nach einem Jahr voller Überraschungen müssen wir uns auch für 2017 auf viele Unwägbarkeiten einstellen. Im Dezember 2015 hatten wir unserem Ausblick auf 2016 den Titel „Wirtschaftliche Chancen, politische Risiken“ gegeben. Tatsächlich hat sich die Konjunktur gerade in Deutschland und Europa erfreulich robust entwickelt. Der Aufschwung ohne Überschwang hält an, gestützt vor allem durch den privaten Verbrauch. Eine Serie politischer Unfälle Allerdings haben sich mit dem britischen Votum für einen Ausstieg aus der Europäischen Union („Brexit“), dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA und dem Rücktritt des reformorientierten Premierministers Renzi in Italien einige der großen politischen Risiken ereignet, die wir vor einem Jahr lediglich als Risiken beschrieben hatten. Bei allen Unterschieden künden diese Ereignisse von einem weiteren Aufsteigen populistischer Strömungen, die sich gegen die offene Gesellschaft und die liberal geprägte Welthandelsordnung wenden, denen wir Wohlstand und Frieden verdanken. Wirtschaft und Finanzmärkte haben diese Risiken bisher gut überstanden. Das zeigt, dass die wirtschaftlichen Wachstumskräfte heute robuster sind als vor einigen Jahren. Das Jahr der Wahlen in Europa Erst in den kommenden Jahren werden wir langsam herausfinden, was der Brexit, der Wahlsieg Trumps und die politischen Risiken innerhalb der Eurozone wirklich bedeuten. Mit Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland kommen 2017 zusätzliche politische Themen dazu, die auch die Finanzmärkte berühren können. In Italien sind vorgezogene Neuwahlen möglich, bei denen radikale Populisten mit der Forderung nach einem Referendum über einen Austritt aus dem Euro antreten würden. Völlig ausschließen können wir die Extremszenarien nicht Mehr noch als im Jahr 2016 steht unser Ausblick für 2017 im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Chancen, die sich eher vielversprechender präsentieren als vor einem Jahr, und politischen Risiken, die bisher ebenfalls eher größer als kleiner werden. Wir glauben nicht, dass uns globale Handelskriege drohen oder der Euro auseinanderbrechen könnte. Aber völlig ausschließen können wir es nicht. Wir werden uns 2017 vermutlich noch eingehender als bisher mit diesen Risiken befassen müssen. II. Blick zurück auf ein Jahr der Überraschungen USA: weniger Schwung in 2016 als erwartet 2 Bevor wir die Aussichten für 2017 näher erläutern, lohnt sich ein Blick zurück. Mit einem Plus von 2,2 % ist der Zuwachs der Wirtschaftsleistung der Welt in 2016 leicht hinter unserer Prognose aus dem Dezember 2015 von 2,5 % zurückgeblieben. Wie Tabelle 1 zeigt, hat vor allem die US-Konjunktur etwas enttäuscht. Die nach der großen Finanzkrise von 2008/2009 vorsichtig gewordenen privaten Verbraucher haben dort Ende 2015 und Anfang 2016 einen erheblichen Teil des Kaufkraftgewinns niedriger Ölpreise gespart, statt das Geld gleich wieder auszugeben. Gleichzeitig hat der Ölpreisverfall einen kräftigen Rückgang der Investitionen im Energiesektor ausgelöst, ohne dass Unternehmen in anderen Bereichen der US-Wirtschaft ihre Investitionen hochgefahren hätten. Erst im zweiten Halbjahr hat die US-Konjunktur wieder richtig Tritt gefasst. Entsprechend hat die US-Notenbank lange gezögert, bis sie im Dezember 2016 schließlich ihre Zinsen um 0,25 Prozentpunkte angehoben hat. Auch die ausgeprägte Wirtschaftskrise im benachbarten Lateinamerika trug Anfang 2016 zur kurzzeitigen Delle in der US-Konjunktur bei. Gerade in Brasilien ist die Wirtschaftsleistung zunächst stärker eingebrochen als erwartet. Allerdings hat sich die Lage dort im Jahresverlauf ebenfalls stabilisiert. Krise in Lateinamerika läuft aus Tab. 1: Wachstumsprognosen im Check – was hat sich geändert? Prognose für 2016 Prognose für 2017 Dez. 2015 Aktuell Dez. 2015 Aktuell Welt 2,5 2,2 2,8 2,6 USA 2,6 1,6 2,6 2,4 China 6,5 6,7 6,1 6,4 Japan 0,8 0,9 1,1 0,9 Indien 7,5 7,0 7,1 7,5 Lateinamerika 0,5 -1,3 2,0 1,9 Europa 1,4 1,5 1,9 1,6 Eurozone 1,6 1,6 1,8 1,5 Deutschland 1,7 1,8 1,8 1,7 Frankreich 1,3 1,2 1,3 1,2 Italien 1,0 0,9 1,2 0,8 Spanien 2,9 3,2 2,6 2,6 Portugal 1,3 1,2 1,6 1,3 Großbritannien 2,4 2,1 2,5 1,5 Schweiz 1,2 1,5 2,0 1,6 Schweden 2,6 3,1 2,5 2,4 -1,4 -0,5 1,0 1,6 1,9 2,5 1,8 Anderes Westeuropa Osteuropa Russland Türkei 2,1 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: alte Prognosen aus „Wirtschaft und Finanzmärkte: Wirtschaftliche Chancen, politische Risiken; Jahresausblick 2016“, Berenberg, 4. Dezember 2015. In Europa haben sowohl Deutschland als auch die Eurozone im zu Ende gehenden Jahr unsere Erwartungen voll erfüllt. Während Italien und Frankreich knapp hinter der Vorgabe zurückblieben, konnte Spanien trotz einer langen Regierungskrise sogar erneut ein Wachstum von mehr als 3 % erreichen. Die Eurozone hat unsere Erwartungen voll erfüllt 3 Großbritannien verliert etwas an Schwung Großbritannien ist zwar nach dem Brexit-Referendum nicht in eine unmittelbare Krise gefallen. Allerdings hat das Land auch wegen der anhaltenden Unsicherheit über seinen Status in Europa etwas an Dynamik verloren. Dagegen haben zwei andere Länder, die nicht dem Euro angehören, Schweden und die Schweiz, von der robusten Binnennachfrage daheim und bei ihren europäischen Handelspartnern profitieren können. Sie konnten ihre Wirtschaftsleistung stärker steigen, als wir es vor einem Jahr vermutet hatten. Keine harte Landung in China Nachdem Anfang 2016 mal wieder das Gerücht die Runde machte, Chinas Konjunktur stünde eine Bruchlandung bevor, hat Peking wie üblich gehandelt. Es hat seine kurzzeitige Nachfrageschwäche durch ein staatliches Kredit- und Ausgabenprogramm ausgeglichen. Anders als entwickelte Länder mit geschützten Eigentumsrechten kann China seine Investitionen auch kurzfristig nach Gutdünken hochfahren. So hat das offiziell ausgewiesene Wachstum mit 6,7 % unsere Vorhersage sogar leicht übertroffen. III. Wirtschaftsprognosen im Überblick Der Aufschwung bisher: nicht zu heiß, nicht zu kalt Nicht zu heiß, nicht zu kalt. Seit mehr als sieben Jahren erlebt die westliche Welt einen Aufschwung ohne Überschwang. Unterbrochen nur durch die Eurokrise 2011-2012, als die Europäische Zentralbank sich erst spät auf ihre Pflicht besann, eine ausufernde Finanzmarktpanik zu beenden, wächst die Wirtschaftsleistung auf beiden Seiten des Atlantiks seit Mitte 2009 in einem angemessenen Tempo. Es reicht aus für einen stetigen Anstieg der Beschäftigung. In den USA ebenso wie in Europa tragen mittlerweile vor allem der private Verbrauch und der Wohnungsbau die Konjunktur. Haushalte und Unternehmen halten sich noch zurück Geprägt durch den Schock der großen Finanzkrise von 2008/2009 halten Unternehmen sich seitdem bei Investitionen zurück. Auch Haushalte neigen dazu, mehr zu sparen und weniger Kredite aufzunehmen. Selbst der Lohndruck bleibt bisher verhalten, sogar in Ländern wie den USA, Großbritannien und Deutschland, in denen Vollbeschäftigung herrscht. Viele Beobachter klagen, die Konjunktur bleibe zu kraftlos. Doch genau dies hat einen entscheidenden Vorteil: Es zeigen sich in der westlichen Welt keine größeren Übertreibungen, die dereinst in einer neuen Rezession bereinigt werden müssten. So kann die Wirtschaft unspektakulär und spannungsarm wachsen. Mit Trump droht die Rückkehr zu Boom und Krise Aber nichts dauert ewig. Mit Donald Trump droht uns jetzt die Rückkehr zur ganz normalen Konjunktur. Auf und ab, erst der Boom, dann die Krise. Die Signale der letzten Wochen aus Washington legen den Schluss nahe, dass der republikanisch geprägte Kongress dem neuen US-Präsidenten ein umfangreiches Konjunkturprogramm genehmigen wird. Mehr Investitionen für die Infrastruktur, mehr Geld für einige Sozialleistungen, niedrigere Steuern für manche Bürger und Unternehmen. Für das Jahr 2018 könnte der Stimulus durchaus einen Umfang von etwa 1 % der US-Wirtschaftsleistung erreichen. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass wir für die Weltwirtschaft insgesamt einen spürbaren Anstieg des Wirtschaftswachstums von 2,2 % im Jahr 2016 auf 2,6 % im neuen Jahr und sogar 2,7 % in 2018 prognostizieren. 4 USA: Erst die Party, dann der Kater Für die nächsten zwei bis drei Jahre können wir uns auf einen gewissen Boom in den USA einstellen. Auf Kosten künftiger Steuerzahler lädt Trump zur Party ein. Wir rechnen deshalb damit, dass sich das Wachstumstempo in den USA von relativ mageren 1,6 % in 2016 auf 2,4 % im neuen Jahr und auf 2,9 % in 2018 beschleunigt. Da die anziehende Inflation den Zuwachs der real verfügbaren Einkommen begrenzen wird, dürfte dabei der Zuwachs des privaten Verbrauchs die 2,6 % des Jahres 2016 nur wenig überschreiten. Stattdessen wird das Wachstum vor allem von einer regeren Investitionstätigkeit sowie von zusätzlichen Staatsausgaben getragen. Trump lädt ein zur Party – auf Kosten der Zukunft Der Finanzmarkt freut sich auf diese Trumpenomics. Die US-Konjunktur wird an Fahrt gewinnen. Und über bessere Ausfuhrchancen bekommen auch wir in Europa ein wenig davon ab. Leider hat die Sache einen Haken. Die USA brauchen diesen künstlichen Stimulus nicht. Ein Umschichten im Staatshaushalt hin zu mehr Investitionen, ein wettbewerbsfreundlicheres Steuersystem und der Abbau einiger überzogener Regulierungen machen immer Sinn. Das wäre Angebotspolitik. Aber nach mehr als sieben Jahren Aufschwung und bei Vollbeschäftigung brauchen die USA keinen kräftigen Nachfrageimpuls, wie Trump ihn plant. Der Lohndruck zieht bereits jetzt langsam an. Auch ohne Öleffekte strebt die Inflation nach oben. Leider hat die Sache einen Haken … Im Überschwang werden sich Spannungen aufbauen, die sich auch in Fehlinvestitionen, übermäßiger Kreditaufnahme und einer steigenden Inflation zeigen werden. Damit birgt der künstlich angeheizte Aufschwung bereits den Keim einer späteren Bereinigungskrise in sich. Nach der Party kommt der Kater. Wenn es dann so weit ist, werden wir uns dem auch in Europa nicht ganz entziehen können. Im Überschwang werden sich Spannungen aufbauen Eurozone: Solides Wachstum Für die Eurozone erwarten wir für die beiden kommenden Jahre ein solides Wachstum, das ähnlich wie im Jahr 2016 etwa dem langfristigen Trend von rund 1,5 % entspricht. Dabei werden die Staatsausgaben und Investitionen etwas schneller zulegen als zuvor, während der private Verbrauch ein wenig an Schwung verliert. Denn der Rückenwind des außerordentlich niedrigen Ölpreises, der dem Verbrauch vor einem Jahr Schwung verliehen hatte, hat nachgelassen. Der Zuwachs der Einfuhr wird etwa dem Anstieg der Ausfuhr entsprechen, sodass kein großer Impuls vom Außenbeitrag ausgehen wird. Bei künstlich angefachter Binnennachfrage in den USA und einem Wechselkurs des Euro, der weit unter seinem langfristig fairen Wert von 1,25 US-Dollar pro Euro notiert, kann die Ausfuhr aber auch stärker zulegen. Sofern keine der politischen Großrisiken eintreten, gäbe es damit beim Wirtschaftswachstum in 2017 und 2018 Spielraum nach oben. Spielraum nach oben beim Wachstum der Eurozone Schwellenländer: Durchwachsener Ausblick In China schwächt sich der Wachstumstrend langsam ab. Ein Land, das bereits einen Teil seines Aufholpotenzials ausgenutzt hat, muss sich mehr anstrengen, um weiter rasch zulegen zu können. Zudem nehmen die inneren Spannungen in China zu. Auch wenn damit das Risiko einer Bereinigungskrise langsam etwas akuter wird, dürfte China angesichts der hohen Sparquote seiner privaten Haushalte von über 40 % der verfügbaren Einkommen vorerst noch genügend Kapital einsetzen können, um seine Kon- Schwellenländer: Wem nützt und wem schadet der starke Dollar? 5 junktur weitgehend auf Kurs zu halten. In Indien zeichnet sich nach einem Rückschlag im Herbst 2016 durch eine äußerst ungeschickt umgesetzte Währungsreform für 2017 wieder ein solides Wachstum ab. Hausgemachte politische Probleme belasten einige Schwellenländer Andere Schwellenländer in Asien und Lateinamerika stehen im Spannungsfeld zweier verschiedener Folgen der Trumpenomics in den USA. Zum einen eröffnen der starke US-Dollar und die künstlich angeheizte Binnennachfrage in den USA ihnen neue Chancen, ihre Ausfuhr in die USA zu steigern. Zum anderen fällt es den Staaten und Unternehmen, die Schulden in Dollar aufgenommen haben, bei höheren Zinsen und einem teuren US-Dollar deutlich schwerer, ihren Schuldendienst zu leisten. Gerade für Länder, die wenig in die USA ausführen, aber hohe Dollar-Schulden angehäuft haben, kann 2017 damit ungemütlich werden. Dazu kommen hausgemachte politische Probleme in einigen Ländern wie der Türkei. Je nach der Situation der einzelnen Länder und Unternehmen bringt 2017 damit sowohl erhebliche Chancen als auch große Risiken für Schwellenländer. Tab. 2: Wirtschaftsprognosen im Überblick BIP-Zuwachs Gewicht 2016 2017 2018 Welt 100,0 2,2 2,6 2,7 USA 22,5 1,6 2,4 China 13,4 6,7 6,4 Japan 6,0 0,9 Indien 2,7 7,0 Lateinamerika 7,5 Europa Eurozone Inflation Arbeitslosigkeit Staatshaushalt 2016 2017 2018 2016 2017 2018 2016 2017 2018 2,9 1,2 2,2 2,4 4,9 4,7 4,5 -3,0 -3,2 -3,6 5,9 2,0 2,3 2,3 4,1 4,3 4,3 -3,0 -3,0 -3,0 0,9 1,1 -0,2 0,4 0,5 3,1 2,9 2,9 -6,3 -5,0 -4,0 7,5 7,8 4,5 4,5 4,7 -6,5 -4,0 -3,6 -1,3 1,9 2,7 28,3 20,8 9,3 -6,9 -6,2 -5,5 29,8 1,5 1,6 1,8 17,3 1,6 1,5 1,5 0,2 1,3 1,6 -1,9 -1,7 -1,5 Deutschland 5,0 1,8 1,7 1,6 0,3 1,4 Frankreich 3,7 1,2 1,2 1,3 0,3 1,2 Italien 2,8 0,9 0,8 1,1 0,0 Spanien 1,8 3,2 2,6 2,4 -0,4 Portugal 0,3 1,2 1,3 1,3 Großbritannien 3,8 2,1 1,5 Schweiz 0,9 1,5 1,6 Schweden 0,7 3,1 Russland 2,4 Türkei 1,0 10,1 9,6 9,3 1,7 4,2 4,4 4,5 0,6 0,3 0,1 1,5 10,3 9,5 9,0 -3,3 -3,1 -2,9 0,8 1,1 11,6 11,3 10,9 -2,6 -2,5 -2,3 1,2 1,6 19,7 18,0 16,3 -4,1 -3,4 -2,8 0,7 1,4 1,5 11,2 10,3 9,7 -2,9 -2,6 -2,4 1,5 0,6 2,5 2,4 4,9 5,1 5,3 -3,7 -3,2 -2,7 1,7 -0,4 0,3 0,6 3,4 3,4 3,3 -0,2 -0,1 0,4 2,4 2,1 1,0 1,6 1,8 6,9 6,7 6,5 -0,5 -0,5 0,4 -0,5 1,6 2,5 7,0 4,6 4,9 6,0 6,2 6,3 -3,9 -2,9 -1,9 1,9 1,8 2,8 8,0 8,7 8,8 11,0 11,3 11,2 -2,1 2,5 2,3 Anderes Westeuropa Osteuropa Staatshaushalt in % des BIP, Rest: Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Die US-Daten zum Staatshaushalt sind nicht direkt mit den europäischen Angaben zu vergleichen. Würde man für die USA die gleiche Maastricht-Methode anwenden, die in Europa üblich ist, ergäbe sich für 2016 ein Defizit von 4,6 % statt 3 %. Quelle: Berenberg. 6 IV. Ein Blick auf die Risiken Neben den außerordentlichen Chancen, die sich aus einem schnelleren Wachstumstempo ergeben, können uns 2017 auch außergewöhnliche Risiken drohen. Dabei müssen wir zwischen den rein wirtschaftlichen und den politischen Risiken unterscheiden, die dann allerdings erhebliche Folgen für Wirtschaft und Finanzmärkte haben könnten. Außerordentliche Chancen, außergewöhnliche Risiken Wirtschaftliche Risiken: China, Kreditmärkte, Inflation Wirtschaftlich müssen wir vor allem darauf achten, ob drei potenzielle Gefahren, die uns langfristig drohen, schon früher als erwartet eintreten könnten. Drei Gefahren Erstens wird China auf Dauer seine Probleme nicht Jahr für Jahr unter Einsatz immer neuer Kredite in die Zukunft verschieben können. Entweder findet es einen Weg, seinen Schuldenüberhang und seine Überkapazitäten in Teilen der Industrie langsam abzubauen. Oder dem Land steht dereinst eine große Bereinigungskrise bevor. Ein unerwarteter Anstieg der Inflation oder eine ausufernde Kapitalflucht könnten es dem Land unmöglich machen, seine Binnennachfrage durch immer neue Kredite zu stützen. Sollte China wider Erwarten bereits 2017 statt vielleicht in 2020 oder 2021 an die Grenzen seiner jetzigen Politik stoßen, würde das auch den westlichen Ländern einen herben Schlag versetzen. Neben einem Rückgang der Ausfuhren nach China dürfte sich eine chinesische Krise auch über Finanzmarktturbulenzen und ein eingetrübtes Geschäftsklima auf Europa, Japan und die USA sowie auf viele Schwellenländer übertragen. China wird sich dereinst seinen Problemen stellen müssen Zweitens werden zwar viele Anleger nach einer langen Phase immer neuer Zinstiefs einen Anstieg der Anleiherenditen begrüßen. Wir halten es ebenfalls für wenig wahrscheinlich, dass etwas höhere Finanzierungskosten die Investitionsneigung der Unternehmen in der westlichen Welt spürbar dämpfen oder sogar eine scharfe Korrektur an Immobilienmärkten auslösen könnten. Aber als mögliches Risiko müssen wir dies schon beobachten, zumal da Renditen auf dem Weg nach oben ja durchaus auch zeitweilig mal über das fundamental gerechtfertigte Niveau hinausschießen könnten. Ein Anstieg der Renditen kann auch Probleme nach sich ziehen Drittens könnte die Inflation stärker und schneller anziehen als gedacht. Ausgehend von einem US-Nachfrageimpuls rechnen wir mit einer lebhafteren Konjunktur, die ab 2018 in den USA allmählich in einen Boom übergeht. Dabei wird die Inflation langsam wieder auf Raten ansteigen, die Zentralbanken für sinnvoll halten oder zu tolerieren bereit sind. Sollte aber die US-Inflation weit über 3,5 % hinaus steigen, könnte die USNotenbank gezwungen sein, mit ihrer Zinspolitik die Konjunktur bewusst zu dämpfen, statt den Aufschwung durch ein vorsichtiges Normalisieren der Zinsen auf Kurs zu halten. Bei unerwartet starkem Inflationsdruck könnte die Party, die wir für die kommenden Jahre erwarten, vorzeitig enden. Auch der Kater käme dann früher als gedacht. Kann die Inflation stärker anziehen als erwartet? Politische Risiken: Handelskriege, Euro in Gefahr? Während wir diesen wirtschaftlichen Risiken für 2017 keine große Wahrscheinlichkeit beimessen, machen wir uns mehr Gedanken über die politischen Risiken. Auf die Gefahren, die der Aufstieg populistischer Strömungen hervorgerufen hat, gehen wir im folgenden Kapitel näher ein. Von unmittelbarer Bedeutung wäre ein denkbarer Handelskrieg zwischen den USA und China. Würde dies Nachahmer finden und das Vertrauen Wie geht Trump mit China um? 7 in die Welthandelsordnung untergraben, könnte dies das Wirtschaftsklima gerade in weltmarktorientierten Ländern wie Deutschland erheblich belasten. Allerdings ist China so sehr von der Ausfuhr in die USA abhängig, wie der US-Finanzminister China als Käufer seiner Anleihen braucht, dass beide Seiten eigentlich kein Interesse an einem echten Handelskrieg haben dürften. Zu mehr als ein paar Scharmützeln von der Art, dass Präsident Trump einige Strafzölle verhängt und China im Gegenzug einige Flugzeuge bei Airbus statt bei Boeing bestellt, wird es hoffentlich nicht kommen. Euro-Gegner an der Schwelle zur Macht? In Europa ist die Gefahr gestiegen, dass die Euro-Gegner in Frankreich oder Italien an die Macht kommen könnten. Zwar zeichnet sich nach allen Umfragen nicht ab, dass die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, in den Pariser Élysée-Palast einziehen und zudem eine Mehrheit im Parlament erreichen könnte. Auch in Italien dürften selbst bei vorgezogenen Neuwahlen die Gegner des Euros keine handlungsfähige Mehrheit bekommen. Aber ganz ausschließen lassen sich diese Extremrisiken leider nicht. V. Märkte: Erst die Party … Märkte streben nach oben – trotz mancher Risiken Die Aktienmärkte haben 2016 eine Serie außergewöhnlicher politischer Risiken ohne große Blessuren überstanden. Seit dem Wahlsieg Trumps freuen sie sich stattdessen auf den erwarteten Konjunkturstimulus in den USA. Natürlich besteht die Gefahr, dass die Vorfreude sich als überzogen herausstellt. Allerdings halten wir es für wahrscheinlicher, dass sich die Aufwärtsbewegung an den Aktienmärkten auf beiden Seiten des Atlantiks mit den üblichen Schwankungen vorerst fortsetzen wird. Eine bessere Weltkonjunktur stützt die Stimmung. Für echte Inflationssorgen ist es wohl noch zu früh, gerade da die Währungshüter nach Jahren besonders niedriger Inflationsraten bereit sein werden, ein gewisses Überschießen der Inflation über die von den meisten Zentralbanken angestrebte Marke von 2 % hinzunehmen, in den USA und Großbritannien mehr noch als in der Eurozone. Ist es diesmal wirklich die Zinswende? Seit Jahren haben Volkswirte wie wir regelmäßig Prognosen für die Anleiherenditen abgegeben, die sich anschließend als zu hoch gegriffen erwiesen haben. Deshalb ist die weit verbreitete Prognose, dass die Renditen im Jahr 2017 jetzt wirklich spürbar nach oben klettern werden, mit Vorsicht zu genießen. Allerdings sprechen diesmal besonders gute Argumente dafür. Mit dem Fiskalstimulus in den USA und der im Aufschwung zunehmenden Investitionsbereitschaft der Unternehmen nehmen das Angebot an Staatsanleihen und die Nachfrage nach Krediten zu. Beides treibt den Realzins nach oben. Zusätzlich dürfte eine etwas höhere Inflationsrate auch die Inflationserwartungen prägen, die sich in den langfristigen Anleiherenditen ausdrückt. Zusammen mit vermutlich drei Zinsschritten der US-Fed von jeweils 0,25 Prozentpunkten und einem verringerten Umfang der Anleihekäufe der EZB sehen wir deshalb gute Gründe für die Annahme, dass im Jahr 2017 die Anleiherenditen tatsächlich insgesamt etwas nach oben streben werden. Natürlich gilt, dass 2017 auch ganz anders kommen könnte, wenn einige der oben beschriebenen politischen Risiken tatsächlich eintreten sollten. 8 TEIL 3 DAS RISIKO DES JAHRES: DER AUFSTIEG DER POPULISTEN (Dr. Holger Schmieding) Wir leben in spannenden Zeiten. Die Globalisierung und ein rascher technologischer Wandel verändern die Welt. Allerdings sind die Fortschrittsgewinne ungleichmäßig verteilt. Die größten Nutznießer sind die Abermillionen Menschen in einstmals nahezu geschlossenen und rückständigen Ländern, denen in den vergangenen 20 Jahren der Aufstieg aus Hunger und extremer Armut gelungen ist. Zu den Gewinnern zählen auch die Menschen in den wirtschaftlich führenden Ländern, die Innovationen vorantreiben oder zumindest in der Lage sind, sich an die neue globale Arbeitsteilung anzupassen. Als Verlierer sehen sich dagegen viele Menschen in der westlichen Welt, denen die Möglichkeit oder die Fähigkeit fehlt, sich entsprechend umzustellen. Ihre Probleme werden noch durch übermäßige Regulierungen und durch Sozial- und Bildungssysteme verschärft, die Flexibilität eher behindern denn fördern. Leben in spannenden Zeiten Wie in früheren Jahrhunderten lösen rascher Wandel und ein Zustrom neuer Einwanderer eine politische Gegenreaktion aus. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kosten der Lehman-Rezession den politischen Handlungsspielraum der Länder massiv beschränkt haben. Der Anstieg der staatlichen Schuldenquoten seit 2007 um 41 Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung in den USA, um 46 Punkte in Großbritannien und um 26 Punkte in der Eurozone hat den Ländern kaum eine Möglichkeit gelassen, die echten oder vermeintlichen Verlierer des Wandels zu unterstützen. Zudem haben die Finanzkrise und die Sondermaßnahmen, mit denen die Konjunktur vor einer noch tieferen Abwärtsspirale bewahrt werden musste, die ohnehin verbreitete Abneigung gegen das „Establishment“ weiter genährt. Rascher Wandel löst eine politische Gegenreaktion aus Die Populisten vom linken und rechten Rand des politischen Spektrums erfreuen sich deshalb großen Zulaufs. Ohne echte Argumente, aber mit vielen flotten Sprüchen nutzen sie auch die sozialen Medien, in denen sich Gruppen Gleichgesinnter oftmals gegenseitig in ihren Vorurteilen bestätigen. Die Globalisierungsgegner von links und rechts unterscheiden sich durchaus. Aber in einem Punkt sind sie sich einig: Sie lehnen die offene Gesellschaft und den weitgehend freien Handel ab, auf denen sowohl unser Wohlstand als auch die Aufholchancen der Schwellenländer beruhen. Die Gegner der offenen Gesellschaft formieren sich Der Vormarsch der Populisten stellt das größte Risiko für unseren ansonsten verhalten positiven Ausblick auf Wirtschaft und Finanzmärkte dar. In den folgenden Abschnitten erläutern wir, weshalb wir glauben, dass die Populisten sich letztlich nicht durchsetzen werden. Aber die Risiken sind alles andere als trivial. Vormarsch der Populisten bedroht unseren Wohlstand Es geht nicht um Europa Populisten haben auf beiden Seiten des Atlantiks Hochkonjunktur, in den USA (Donald Trump, Bernie Sanders) ebenso wie in Europa (Marine Le Pen, Beppe Grillo, Jeremy Corbyn). Es gibt sie innerhalb der Eurozone (Geert Wilders, die FPÖ) ebenso wie außerhalb (Schweden Demokraten). In den USA wettern viele Rechtsradikale gegen Populisten erstarken auf beiden Seiten des Atlantiks 9 das vermeintlich abgehobene Establishment in Washington, D.C. In Europa richtet sich die gleiche Wut gegen einen imaginären europäischen „Superstaat“, der von Brüssel oder Frankfurt gelenkt werde. Es geht nicht um vermeintliche Defizite der EU Dass sich der Rechts- und Linkspopulismus in den USA ebenso ausgebreitet hat wie in Europa, zeigt auch, dass es nicht um echte oder vermeintliche Defizite der Europäischen Union oder des Euro geht. Entsprechend könnte keine magische „Reform“ europäischer Institutionen den Populisten das Wasser abgraben. Reformen wären nützlich, in den USA ebenso wie in der EU. Aber keine EU-Reform könnte den Populisten den Wind aus den Segeln nehmen. In Europa können Populisten weit mehr Schaden anrichten als in den USA Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den USA und Europa. Diesseits des Atlantiks können Populisten weit mehr Schaden anrichten als jenseits des großen Teichs. Als Zweckbündnisse souveräner Staaten sind die EU und die Eurozone zerbrechlicher als der gefestigte Nationalstaat USA. Auch ein Präsident Trump würde im Weißen Haus residieren. Sollte er eine Serie von Handelskriegen anzetteln, bliebe den USA immer noch ihr eigener großer Binnenmarkt. Aber sollten die Populisten wesentliche Wahlen in Europa gewinnen, könnten sie Europas gemeinsamen Markt zerstören, auf dem unser Wohlstand beruht. Populismus tut weh Bisher haben unsere Politiker die großen Fehler vermieden 10 Nach dem Ausbruch der Megarezession im Herbst 2008 haben unsere verantwortlichen Politiker zum Glück die zwei Riesenfehler vermieden, die einst aus der Krise von 1929/1930 eine lang anhaltende Depression gemacht hatten. Statt einen Einbruch der Geldmenge zuzulassen, haben sie die Geldpolitik energisch gelockert, auch wenn die Europäische Zentralbank bis zum Sommer 2012 gezögert hatte, bevor auch sie sich mit letzter Konsequenz gegen die Turbulenzen stemmte. Zudem haben unsere Staatenlenker keinerlei echten Protektionismus zugelassen. Dennoch hat der Aufstieg der Populisten bereits einige nennenswerte Schäden angerichtet. • Im rauen Meinungsklima der letzten Jahre ist der politische Spielraum für wachstumsfördernde Reformen in weiten Teilen der westlichen Welt enger geworden. • Das Risiko, dass wirtschaftlich inkompetente Populisten an die Macht kommen oder zumindest die Politik ihrer Länder maßgeblich beeinflussen können, zählt zu den Gründen, warum die Investitionsneigung nahezu überall in der westlichen Welt in den letzten Jahren verhalten geblieben ist. In vielen Ländern mag dies bisher noch keine große Rolle spielen. In einigen Ländern wie Italien scheint das politische Risiko jedoch zunehmend das Wirtschaftsklima zu belasten. • Im kleinen Griechenland hat der Aufstieg der linksradikalen Syriza-Bewegung den Aufschwung des Jahres 2014 abgewürgt. Anstatt dass sich Griechenland ebenso wie Spanien endlich von der schweren Anpassungskrise erholen konnte, haben die Populisten ihr Land 2015 in die Rezession zurückgestoßen. • Mit ähnlich unhaltbaren Versprechen wie denen der Athener Linksradikalen von Anfang 2015 haben die britischen Populisten im Juni 2016 das Referendum über den Austritt ihres Landes aus der EU gewonnen. Die westliche Welt ist weit von der Finsternis der 1930er-Jahre entfernt, in der überbordender politischer und wirtschaftlicher Nationalismus große Teile der Welt ins Unglück gestürzt hatte. Aber im Brexit-Votum und einigen Wahlkampfsprüchen des neuen US-Präsidenten ist doch ein gewisses Echo dieser düsteren Zeit zu vernehmen. Ein Echo der 1930er-Jahre? Warum der Populismus sich letztlich nicht durchsetzen wird Kein Trend dauert ewig. Ein einfaches Verlängern der jüngsten Entwicklung in die Zukunft ergibt selten brauchbare Prognosen über den Tag hinaus. Fünf wesentliche Gründe sprechen dafür, dass der Aufstieg gefährlicher Populisten vermutlich enden wird, bevor diese noch mehr Schaden anrichten können, als es ohnehin der Fall ist. 1) In den meisten westlichen Ländern steigen die Beschäftigungsquoten. Bei vermehrter Nachfrage nach Arbeitskräften können die durchschnittlichen Reallöhne in den kommenden Jahren etwas anziehen. Auch wenn es einige Jahre dauern wird, bis viele Bürger dies wahrnehmen, dürfte das die Debatte über die ungleiche Verteilung der Globalisierungsgewinne im Zeitablauf etwas entschärfen. 2) Die harte Sparpolitik gehört in vielen Ländern der Vergangenheit an. Stattdessen zeigen sich einige Erfolge. Deutschland hat bereits einen Überschuss im Staatshaushalt, einige andere Länder wie Spanien und Italien haben durch Reformen die Weichen richtig gestellt. Viele Länder werden in den kommenden Jahren die Gewinne aus der rückläufigen Arbeitslosigkeit nutzen können, um die Globalisierungsverlierer besser zu unterstützen als bisher. 3) Europa ist langsam, aber es reagiert. Nach dem ungebremsten Flüchtlingszustrom vom Herbst des vergangenen Jahres, zu dem Deutschland durch zeitweilig allzu offene Grenzen mit beigetragen hat, funktioniert das Asylrecht in der EU mittlerweile wieder leidlich. Da Migranten, die in Griechenland oder Italien ankommen, nicht mehr einfach gen Norden durchgewunken werden, hat die Zuwanderung wieder einen Umfang erreicht, der verkraftbar ist. Dieses Reizthema könnte in den kommenden Jahren damit etwas an Sprengkraft verlieren. 4) Selbst Populisten können lernen. Sogar der ein oder andere Schreihals wird durch einen Realitätsschock zur Vernunft gebracht. Die „Wahren Finnen“ haben sich gemäßigt, seit sie Juniorpartner in der Regierung in Helsinki sind. Selbst Griechenlands linksradikale Syriza-Partei hat bereits einige Schritte hin zur sozialdemokratischen Vernunft unternommen. 5) Populisten können nicht liefern. Dass Syriza in Athen das Land zunächst an den Rand des Zusammenbruches gebracht hatte, bevor Premierminister Tsipras seinem katastrophalen ersten Finanzminister Varoufakis Mitte 2015 endlich das Handwerk gelegt hatte, hat den Linkspopulisten in anderen Ländern Europa nicht gerade Auftrieb gegeben. Auch der Kontrast zwischen den pompösen Versprechen der BrexitWortführer und ihrer Unfähigkeit, anschließend auch nur irgendeinen Plan vorzulegen, wie der britische Austritt aus dem größten Binnenmarkt der Welt denn vonstatten gehen könne, hat den Anti-EU Populisten andernorts eher geschadet. Kein Trend dauert ewig Letztlich werden die Populisten daran scheitern, dass sie zwar Sprüche klopfen, aber keine Lösungen anbieten können. Im Laufe der Zeit wird dies immer sichtbarer werden. Darauf beruht unsere Zuversicht, dass trotz aller drohenden Gefahren die Populisten sich auf Dauer doch nicht durchsetzen werden. Populisten können keine Lösungen anbieten 11 TEIL 4 AUSGEWÄHLTE REGIONEN I. USA: Aufschwung kann Fahrt aufnehmen (Dr. Florian Hense) Die Belebung der US-Wirtschaft ist unter den Erwartungen geblieben Nicht nur um die Jahreswende 2015/2016, sondern auch in den Jahren davor blieb die US-Konjunktur oft unter den Erwartungen. Während sich der private Verbrauch und der Immobilienmarkt solide entwickelten, konnten Unternehmensinvestitionen und Exporte wenig Impulse geben. Die Arbeitslosenquote halbierte sich seit der Finanzkrise, mit allerdings nur geringen Auswirkungen auf den Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung, welcher weit unter dem Vorkrisenniveau liegt. Größere Lohnsprünge waren auch lange ausgeblieben. Gleichzeitig ließ der positive Effekt der Niedrigzinspolitik der Fed auf die Wirtschaft nach. Trump plant radikal neuen Kurs bei Steuern und Regulierung Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten leitet eine Trendwende ein. Zu der verhaltenen Dynamik der US-Wirtschaft und für viele Amerikaner unzureichenden Verbesserung ihrer Lebensumstände seit der Finanzkrise bot Trump mit seinem Wahlprogramm eine Alternative: Sie reicht von geringeren Steuern auf Einkommen und einer Reform der Unternehmenssteuer über weniger beziehungsweise unternehmensfreundlichere Regulierungen bis hin zu Investitionen in die Infrastruktur und nationale Sicherheit. Diese Alternative ist nun das Programm für die nächsten vier Jahre. Breiter Konsens für Infrastrukturausbau Über Staatseinnahmen und -ausgaben entscheidet der US-Kongress, in dem Trump auch unter Republikanern nicht nur Freunde hat. Einige darunter werden versuchen, die mit Trumps Programm verbundene zusätzliche Schuldenaufnahme einzugrenzen. Momentan herrscht in den USA allerdings über die Parteigrenzen hinweg weitgehend Konsens, dass mehr Geld für die marode Infrastruktur ausgegeben werden muss und Sozialleistungen für Veteranen steigen sollen. Der kreditfinanzierte Stimulus wird deswegen kommen und das staatliche Haushaltsdefizit in den kommenden Jahren um bis zu einem Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung erhöhen. Unternehmensinvestitionen sollten aus dem Dornröschenschlaf erwachen Mit den Staatsausgaben wird sich auch die US-Konjunktur in den kommenden Jahren beleben. Nach 1,6 % in 2016 rechnen wir mit einem Anstieg der Wachstumsrate auf 2,4 % in 2017 und 2,9 % in 2018 – vor der Wahl Trumps zum US-Präsidenten waren wir für diese Jahre von 2,2 % beziehungsweise 2,0 % ausgegangen. Als wichtiger Treiber für die Wirtschaft werden sich auch Unternehmensinvestitionen herausstellen. Die geplante Reform der Unternehmenssteuer (geringere Sätze bei breiterer Bemessungsgrundlage und einer vereinfachten Besteuerung), die Deregulierung einiger Wirtschaftsbereiche sowie eine lebhaftere Konjunktur werden viele Unternehmen dazu veranlassen, ihre Aktivitäten auszubauen. Nach einem leichten Rückgang in 2016 könnten die Investitionen in 2017 und 2018 um 3,6 % beziehungsweise 6,3 % jährlich steigen. Von Exporten sind angesichts einer vermutlich anhaltenden Stärke des US-Dollars weiterhin keine Impulse zu erwarten – im Gegenteil: Das Defizit in der Leistungsbilanz wird sich weiter verstärken. 12 Auf den privaten Verbrauch als – jetzt nicht mehr alleinige – Stütze der Wirtschaft wird nach wie vor Verlass sein. Der Konsum steigt und fällt in der Regel mit dem real verfügbaren Einkommen. Dieses sollte von anziehenden Lohnsteigerungen sowie voraussichtlichen Steuersenkungen profitieren. Die Arbeitslosenquote ist bereits unter 5 % gesunken. Ob sie weiter fallen wird, hängt auch davon ab, inwieweit sich bislang nicht in der Erwerbsstatistik erfasste US-Amerikaner künftig als erwerbssuchend melden. Die Belebung der Wirtschaft und Trumps Pläne, die Einkommenssteuer für Durchschnittsverdiener zu reduzieren, könnte viele zu diesem Schritt motivieren. Positiv auf den privaten Verbrauch wirkt sich auch die robuste Entwicklung des Immobilienmarktes aus. Baubeginne privater Häuser haben sich seit dem Tief in 2009 verdoppelt und die gestiegenen Immobilienpreise fördern die Ausgabenbereitschaft der Verbraucher. Privater Verbrauch sendet weiterhin positive Impulse Das höhere Wachstumstempo wird sich auch verstärkt in anziehenden Preisen niederschlagen. Die Zeit immer weiter sinkender Inflationsraten ist vorbei (Abbildung 1). Da der Lohndruck in den USA seit einem Jahr leicht zunimmt, wird sich die Kernrate der Inflation ohne schwankungsanfällige Energie- und Nahrungsmittel von derzeit 2,2 % langsam Richtung 3 % bewegen. Angesichts dieser Entwicklung wird die Fed nach dem Anheben der Zinsen um 25 Basispunkte im Dezember 2016 vermutlich 2017 drei weitere Schritte folgen lassen. Die Fed wird die Geldpolitik also straffen, aber auf homöopathische Weise. Selbst nach drei weiteren Zinsschritten bis Ende 2017 würde der Zins real negativ bleiben. Fed wird auf zunehmende Inflation reagieren Abb. 1: USA – Inflation 6 6 Inflation Kerninflation 4 4 2 2 0 0 -2 Jan 98 Jan 00 Jan 02 Jan 04 Jan 06 Jan 08 Jan 10 Jan 12 Jan 14 Jan 16 -2 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Kerninflation entspricht der Inflation ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise. Quelle: Bureau of Labor Statistics. Die große Unbekannte für Trumps Präsidentschaft, und damit das größte Risiko, besteht darin, ob er tatsächlich seine protektionistischen Wahlkampfsprüche umsetzen und Handelskriege mit China und Mexiko anzetteln wird. Dies würde zwar weitaus mehr zu Lasten der ausfuhrabhängigen Länder Europas und Asiens gehen. Aber auch die US-Wirtschaft würde unter den Folgen für Handelsströme, Geschäftsklima und Verbraucherpreise leiden. Risiko Handelspolitik: Macht Trump Ernst mit seinen Plänen? 13 II. Westeuropa: Trotz politischer Risiken weiter aufwärts (Cornelia Koller) 1. Eurozone: Brexit-Entscheidung gut umschifft Trotz Brexit: stabiles Expansionstempo Die Konjunktur der Eurozone hat im dritten Quartal 2016 ungeachtet der Unsicherheit nach dem Brexit-Votum keinen Schwung verloren. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs wie bereits im zweiten Quartal erneut um knapp 0,35 % gegenüber dem Vorquartal. Verantwortlich für das stabile Wachstum war vor allem die konjunkturelle Belebung in Frankreich und Italien, während das stark exportorientierte Deutschland kurzzeitig etwas an Dynamik einbüßte. Wirtschaft bleibt 2017 auf Wachstumskurs Auch für Ende 2016 und den Start ins neue Jahr mehren sich die Zeichen, dass das Brexit-Referendum und andere politische Ereignisse nur kurz für Unsicherheit gesorgt haben. Das Industrievertrauen stabilisiert sich und das Verbrauchervertrauen hat sich zuletzt spürbar aufgehellt (Abbildung 2). Sogar die Einkaufsmanagerindizes sind kräftig gestiegen. Deshalb erwarten wir, dass die Eurozone trotz der Unsicherheit nach dem Scheitern des italienischen Referendums und dem Regierungswechsel in den USA bis Ende 2016 ihr Wachstumstempo halten und 2017 sogar etwas stärker zulegen wird. Abb. 2: Eurozone – Stimmungsindikatoren 10 10 0 0 -10 -10 -20 -20 -30 -30 Verbrauchervertrauen Industrievertrauen -40 Jan 99 Jan 01 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 Jan 15 -40 In Punkten. Quelle: Europäische Kommission. EZB sorgt weiter für kräftigen Rückenwind, Binnennachfrage bleibt treibende Kraft 14 Unser verhaltener Optimismus stützt sich unverändert auf die extrem expansive Geldpolitik der EZB, die Banken, Unternehmen und Verbraucher großzügig mit Liquidität zu historisch niedrigen Zinsen versorgt und der Konjunktur damit kräftigen Rückenwind verschafft. Wir erwarten unverändert, dass die Binnennachfrage – vor allem der private Konsum bei weiter langsam abnehmender Arbeitslosigkeit – wesentliche Konjunkturstütze sein wird. Darüber hinaus sollten die günstigen Finanzierungskosten dazu beitragen, die Investitionstätigkeit der Unternehmen anzuregen. Zudem bleibt die Finanzpolitik leicht expansiv ausgerichtet. Auch der schwache Euro und die im längerfristigen Vergleich noch immer relativ niedrigen Ölpreise wirken weiter stimulierend, obwohl der Rückenwind nicht mehr so stark wie im Vorjahr bläst. Dafür haben sich die Exportaussichten nach Abklingen der Schwellenlandkrise aufgehellt. Wir erwarten, dass die Eurozone im Jahr 2017 um 1,5 % wachsen wird. Risiken für unseren Ausblick sehen wir unverändert weniger auf der wirtschaftlichen denn auf der politischen Seite. Hierzu zählt neben dem gescheiterten Verfassungsreferendum in Italien vor allem der Aufstieg populistischer Parteien, insbesondere in Frankreich. Die Eurozone wird 2017 um 1,5 % wachsen 1.1. Deutschland: Mit neuem Schwung ins Jahr 2017 Deutschland wird wichtiger Konjunkturmotor für den gesamten Euroraum bleiben, auch wenn das Brexit-Votum und die dadurch entstandene Unsicherheit zuletzt zu Bremsspuren geführt hatten. So ist das BIP im dritten Quartal 2016 lediglich um 0,2 % gegenüber dem Vorquartal und damit nur noch halb so stark wie in den Monaten April bis Juni gestiegen. Ein Blick auf die Frühindikatoren zeigt, dass die deutsche Wirtschaft nach dieser Wachstumsdelle bereits zum Jahresende 2016 offenbar neuen Schwung aufgenommen hat, der sich im nächsten Jahr fortsetzen sollte. Deutschland: Brexit-Votum sorgt nur vorübergehend für Unsicherheit Abzuwarten bleibt, wie weit der Regierungswechsel in den USA die Stimmung und Investitionsentscheidungen vor allem der exportorientierten Unternehmen beeinflussen wird. So sind die USA vor Frankreich und Großbritannien der wichtigste Absatzmarkt für deutsche Produkte (Exportanteil: 9,5 %). Das umfangreiche Konjunkturprogramm Trumps kann auch zu zusätzlichen Aufträgen für die Exportwirtschaft führen. Zumindest vorerst scheint die deutsche Wirtschaft von der Trump-Wahl relativ unbeeindruckt. Vor allem der ifo-Geschäftsklimaindex hat bisher auf die politischen Unwägbarkeiten reagiert. Er hat im November – nach einem dreimaligen Anstieg in Folge – den Vormonatsstand verteidigt (Abbildung 3). Auch die zuletzt kräftig gestiegenen Auftragseingänge in der Industrie signalisieren, dass die deutsche Wirtschaft auf Wachstumskurs bleibt. Stimmungsindikatoren signalisieren Fortsetzung des Wachstumskurses Abb. 3: Deutschland – BIP-Wachstum und ifo-Geschäftsklimaindex 120 8 115 6 110 4 105 2 100 0 95 -2 90 85 80 Mrz 00 -4 ifo-Geschäftsklimaindex BIP (rechte Skala) -6 -8 Mrz 02 Mrz 04 Mrz 06 Mrz 08 Mrz 10 Mrz 12 Mrz 14 Mrz 16 BIP: Veränderung gegenüber Vorjahr in %; ifo-Index in Punkten. Quellen: Deutsches Bundesamt für Statistik, ifo Institut. Treibende Kraft wird auch im nächsten Jahr der Konsum bleiben, der durch die weiter zunehmende Beschäftigung, steigende Löhne und die noch immer geringe Inflation sowie das extrem niedrige Zinsniveau gestützt wird. So haben sich das GfK-Konsumklima und die Anschaffungsneigung weiter als sehr robust erwiesen und sind im November bei besseren Konjunkturerwartungen leicht gestiegen. Die Arbeitslosigkeit dürfte trotz des anhaltenden Beschäftigungsaufbaus allerdings leicht zunehmen, da die Robuste Binnennachfrage federt externe Belastungen ab 15 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge zunehmend auf den Arbeitsmarkt drängen werden und die Integration langwierig sein wird. Wachstumsimpulse wird weiterhin die Baukonjunktur, insbesondere der Wohnungsbau, liefern. Nachdem sich die Unsicherheit über die Entwicklung rund um den Brexit vorerst gelegt hat, sollten auch die Unternehmen wieder zuversichtlicher werden und in Maschinen und neue Anlagen investieren. So wirken die enorm günstigen Finanzierungsbedingungen stimulierend, zudem ist der Sockel an zurückgestellten Investitionen hoch. Darüber hinaus wird die Fiskalpolitik expansiv bleiben. Nicht zuletzt sollte die nach Abklingen der Schwellenlandkrise im nächsten Jahr wieder lebhaftere Weltkonjunktur mehr deutsche Exporte nach sich ziehen. Deutschland dürfte 2017 um 1,7 % wachsen Wir erwarten daher, dass die deutsche Wirtschaft ungeachtet der bestehenden politischen Risiken dank ihrer robusten Binnennachfrage weiter auf einem soliden Wachstumskurs bleiben und 2017 um 1,7 % wachsen wird. Längerfristig birgt die künftige Wirtschafts- und Außenpolitik Präsident Trumps allerdings Risiken für das exportorientierte Deutschland. So könnte ein Handelskrieg zwischen den USA und China die Welthandelsordnung erschüttern. Sollte es zudem zu einer Welle protektionistischer Maßnahmen der USA – und anderer Länder – kommen, würde dies die Wachstumschancen Deutschlands einschränken. 1.2. Italien: Was kommt nach Renzi? Italien durch Renzis Reformpolitik zurück auf dem Wachstumspfad Nachdem Ministerpräsident Renzi die lange überfällige Arbeitsmarktreform 2015 in Angriff genommen hatte, war Italien auf den Wachstumspfad zurückgekehrt. Auch hat das Land zuletzt positiv mit einem Wachstum von 0,3 % im dritten Quartal 2016 überrascht. Im Schlussquartal dürfte sich die Unsicherheit vor dem Referendum Anfang Dezember aber wieder wachstumsbremsend ausgewirkt haben. Nach Scheitern des Referendums neue Phase der politischen Instabilität Nachdem das Verfassungsreferendum gescheitert und Renzi zurückgetreten ist, hat Italien die Chance auf weitere Reformen offenbar vorerst verspielt. Entscheidend wird nun sein, ob der neue Premierminister Gentiloni bis zu den regulären Parlamentswahlen 2018 den Kurs Renzis weiter verfolgen kann. Oder kommt es bereits 2017 zu vorgezogenen Neuwahlen mit dem Risiko der Rücknahme einiger Reformen und des Erstarkens der Euro-kritischen Fünf-Sterne-Bewegung oder der rechtspopulistischen Lega Nord? Selbst wenn ein Austritt Italiens aus der EU beziehungsweise dem Euro derzeit noch wenig wahrscheinlich ist, könnte eine längere Phase der politischen Instabilität zu neuer Unruhe an den Finanzmärkten, einer Verschärfung der Bankenkrise und einem Rückfall in die Rezession führen. Italien dürfte 2017 um 0,8 % wachsen Damit bleibt es für Italien vorerst bei unterdurchschnittlichem Wachstum: Aktuell erwarten wir, dass das BIP 2017 um 0,8 % zunehmen kann, wobei die Abwärtsrisiken überwiegen. Risiken liegen neben der politischen Unsicherheit vor allem in der fragilen Lage des italienischen Bankensektors mit seiner hohen Last an notleidenden Krediten. 16 1.3. Frankreich: Reformnachzügler mit neuer Wachstumschance Das zweitgrößte Land der Eurozone bleibt Reform- und Wachstumsnachzügler. Allerdings hat die Wirtschaft zuletzt wieder an Schwung gewonnen und wies nach dem Rückgang im zweiten Quartal 2016 im Herbst wieder einen Zuwachs auf (0,2 %). Nach wie vor stehen der aufgeblähte Staatssektor und der überregulierte Arbeitsmarkt einem breiter angelegten Aufschwung im Weg. Aufgrund der unzureichenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit dürfte der Außenhandel die Wirtschaft auch im nächsten Jahr bremsen. Treibende Kraft bleibt damit auch im Jahr 2017 die Binnennachfrage mit anziehendem privatem und öffentlichem Konsum sowie sich etwas erholenden Bauinvestitionen. Wir erwarten daher für 2017 ein BIP-Wachstum von 1,2 %. Frankreich bleibt Reformund Wachstumsnachzügler und wird 2017 wohl lediglich um 1,2 % wachsen Hoffnungen für ein Anschieben neuer Arbeitsmarktreformen und einer verbesserten internationalen Wettbewerbsposition liegen für 2017 nun in einer konservativen MitteRechts-Regierung unter Fillon. So will der Präsidentschaftskandidat der Konservativen die Wochenarbeitszeit von 35 auf 39 Stunden erhöhen, das Arbeitslosengeld kürzen und das Rentenalter von 62 auf 65 Jahre anheben. Ferner sollen Sozialabgaben und Steuern für die Unternehmen sinken und der Beamtenapparat drastisch verkleinert werden. Das bislang größte politische Risiko für die Eurozone – ein Wahlsieg der Rechtspopulisten unter Le Pen – ist aus unserer Sicht durch Fillon zudem wieder geringer geworden. Chancen, aber auch Risiken liegen in den Präsidentschaftswahlen 1.4. Spanien: Dem Aushängeschild für Reformen geht die Puste etwas aus Wachstumsstar unter den großen Euroländern bleibt Spanien. Das anfängliche Sparprogramm der Regierung, die Reformen am Arbeitsmarkt sowie die Lohnzurückhaltung haben sich ausgezahlt und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes deutlich verbessert. Allerdings zeichnet sich inzwischen ab, dass der Wachstumshöhepunkt überschritten ist und das überdurchschnittlich hohe Wachstum künftig etwas moderater ausfallen dürfte. So betrug der BIP-Zuwachs im dritten Quartal 2016 „nur noch“ 0,7 % nach jeweils 0,8 % in den beiden Vorquartalen. Die größte Herausforderung für Spanien bleibt, weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Zwar hat sich die Arbeitslosenquote seit 2013 um etwa acht Prozentpunkte verringert (aktuell: 19 %). Gleichwohl bleibt die Erwerbslosigkeit, vor allem unter den jungen Menschen, immer noch erschreckend hoch (aktuell: 43,6 %). Spanien bleibt Wachstumstreiber, der Höhepunkt ist aber überschritten Wir erwarten, dass das viertgrößte Land der Eurozone 2017 um 2,6 % nach jeweils 3,2 % in den beiden Vorjahren wachsen wird. Auch in Spanien liegt das Risiko für den weiteren Ausblick auf der politischen Seite. Es ist keineswegs gewährleistet, dass die neu gebildete Minderheitsregierung unter Rajoy, der neue Arbeitsmarktreformen anstoßen beziehungsweise die bestehenden verbessern will, eine volle Amtsperiode halten wird. Anders als in Italien würde eine mögliche Neuwahl aber kein Risiko eines Austritts aus dem Euro bedeuten. Spanien könnte 2017 um 2,6 % wachsen 17 2. Großbritannien: Harter oder weicher Brexit? BIP-Wachstum verändert sich trotz Referendums kaum Trotz des Brexit-Votums bleibt die britische Wirtschaft auf Wachstumskurs. Im dritten Quartal 2016 legte das Bruttoinlandsprodukt um 0,5 % zu, nachdem es im Frühjahr um 0,7 % gestiegen war. Auf Jahresbasis wuchs die britische Wirtschaft um 2,3 % (zweites Quartal: 2,1 %). Anstieg von Konsum, Bruttoanlageinvestitionen und Nettoexport bremsen negative Erwartungen Kontinuierlich steigender Konsum und mehr Ausfuhren sorgten für das WirtschaftsPlus. Der private Konsum wuchs im dritten Quartal um 0,7 %. Aufgrund eines starken Arbeitsmarktes, höherer Immobilienpreise und verbesserter Kreditbedingungen stiegen die Haushaltsausgaben weiter, anstatt wegen der erhöhten Unsicherheit, ausgelöst durch das Brexit-Votum, aufgeschoben zu werden. Darüber hinaus nahmen die Bruttoanlageinvestitionen zum zweiten Mal in Folge zu, nachdem diese im vierten Quartal 2015 und im ersten Quartal 2016 abgenommen hatten. Sowohl Unternehmen als auch private Haushalte reagieren somit weniger negativ auf das Votum als erwartet. Zusätzlich trug der positive Außenbeitrag 0,7 Prozentpunkte zum BIP bei, da die Exporte im dritten Quartal anstiegen und die Importe zurückgingen. Das Wachstum der Exporte war in Verbindung mit dem schwachen Pfund Sterling zu erwarten. Der Rückgang der Einfuhren übertraf aber alle Befürchtungen, denn die englischen Haushalte sind stark von ausländischen Produkten abhängig. Allerdings sind diese Zahlen sehr volatil. Der positive Außenbeitrag gleicht den negativen des zweiten Quartals aus. Stimmung in der Industrie erholt sich Nachdem der Markit-Einkaufsmanagerindex sowohl für die Industrie als auch für Dienstleistungen im Juli unmittelbar nach dem Brexit-Votum unter der 50-Punkte-Linie lag, war zum Ende des Jahres wieder ein Anstieg über dieser Linie zu verzeichnen (Abbildung 4). Dies deutet auf anhaltendes Wachstum hin. Abb. 4: Großbritannien – Einkaufsmanagerindex 65 65 60 60 55 55 50 50 Industrie Dienstleistungen 45 Dez 13 45 Jun 14 In Punkten. Quelle: Markit. 18 Dez 14 Jun 15 Dez 15 Jun 16 Die unerwartet positiven Wirtschaftsdaten seit dem Referendum sagen jedoch nichts über Großbritanniens wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nach dem Austritt aus der EU aus. Schließlich befindet sich das Land noch in der EU. Mittelfristig wird die BrexitUnsicherheit die Wachstumsprognosen stärker beeinflussen und der verursachte Angebotsschock das Trendwachstum verringern. Ein harter Brexit wird die Unternehmen nervöser werden lassen und dadurch Investitionsentscheidungen verzögern. Zusätzlich wird der Konsum nachlassen, da die Reallöhne wegen steigender Inflation (2017: 2,5 %) sinken werden. Wir rechnen zudem mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote um je 0,2 Prozentpunkte in den Jahren 2017 und 2018. Die schwache Währung wird weiterhin die Exporte fördern und die Importnachfrage schwächen. Deshalb ist mit kontinuierlichem, aber moderatem Wachstum von 1,5 % in 2017 und 2018 zu rechnen. Letztendlich jedoch hängt das Ausmaß des Angebotsschocks des EU-Austritts vom Ergebnis der Verhandlungen über die künftigen Handels- und Investmentbedingungen sowie von den Einwanderungsregelungen zwischen Großbritannien und der EU ab. Wir erwarten für 2017 ein BIP-Wachstum von 1,5 % Großbritanniens Richtungsentscheidung wird also für die Zukunft eine große Rolle spielen – vor allem in puncto Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Handelspolitik. Die zwei möglichen Szenarien: der weiche oder der harte Brexit. Einerseits könnten die Kosten des Brexits relativ gering ausfallen, falls wachstumsorientierte Reformen beschlossen werden. Dann könnte das langfristige Trendwachstum höher als 1,8 % ausfallen. Falls die Regierung aber strikt gegen Einwanderung vorgeht, sich für den harten Brexit entscheidet und auf höhere Staatsausgaben, zunehmende Marktregulierungen in der Industrie und im Arbeitsmarkt sowie höhere Mindestlöhne setzt, könnte das langfristige Trendwachstum unter 1,8 % fallen. Noch ist alles möglich. Grundsätzlich aber gilt: Obwohl ein Austritt aus der EU schlecht für das langfristige Wachstum Großbritanniens ist, ist es nicht das Ende der Welt. Falls es aber zu einem harten Brexit kommt, werden wir unsere Prognosen wahrscheinlich senken müssen. Wachsende Brexit-Unsicherheit: harter oder weicher Brexit? Bank of England Gouverneur Carney schlug eine zweijährige Übergangsphase nach den Austrittsverhandlungen vor. Dadurch hätte Großbritannien vollen Zugang zum EUBinnenmarkt bis 2021. Unserer Meinung nach würde eine solche Übergangsphase ein besseres Ergebnis für Großbritannien herbeiführen als ein vollständiger Brexit bis 2019. Dies gilt unter der Bedingung, dass die Möglichkeit besteht, während der Übergangsphase Handelsabkommen mit Drittländern zu verhandeln. So würde die Regierung den langfristigen wirtschaftlichen Schaden für Großbritannien einschränken. Allerdings könnte dieses Vorgehen die bereits hohe politische Spannung im Land anheizen, da die britische Regierung weiter den von der EU bestimmten Regulierungen folgen müsste – zum Beispiel hinsichtlich der Personenfreizügigkeit oder Budgetbeiträgen. BrexitBefürworter würden ein solches Abkommen als Versuch werten, den Brexit zu verlangsamen oder gar aufzuhalten. Eine mögliche Übergangslösung 19 3. Schweiz: Die Flucht in den Franken Franken weiterhin zu stark Der Franken steht weiter unter immensem Aufwertungsdruck und belastet das Wirtschaftswachstum. Nachdem sich der BIP-Zuwachs im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal auf 0,6 % verdoppelte, enttäuschte das dritte Quartal mit einem Wachstum von null. Gründe hierfür waren unter anderem fehlende Impulse vom Konsum und rückläufige Ausfuhren. Positiver Ausblick für die Konjunktur Besser sehen die konjunkturellen Frühindikatoren aus. Der Frühindikator der Konjunkturforschungsstelle (KOF) fiel im November zwar um 1,7 auf 102,2 Punkte, bewegt sich aber mit diesem Wert leicht über seinem langfristigen Mittelwert und signalisiert somit noch immer Wachstumsraten nahe dem langfristigen Durchschnitt (Abbildung 5). Noch positiver sieht die Entwicklung des Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe aus, der mit 56,6 Punkten seinen höchsten Wert seit Februar 2014 erreicht hat. Das deutet darauf hin, dass das verarbeitende Gewerbe mit dem konstant hohen Franken mittlerweile relativ gut zurechtkommt. Abb. 5: Schweiz – BIP-Wachstum und KOF-Frühindikator 125 8 105 4 85 0 KOF-Frühindikator BIP (rechte Skala) 65 Jan 05 -4 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 Jan 15 BIP: Veränderung gegenüber Vorjahr in %; KOF-Konjunkturbarometer in Punkten. Quellen: Staatssekretariat, KOF. Außenhandel stottert, Handelsbilanz aber weiter positiv Zum ersten Mal seit Februar dieses Jahres sanken die Schweizer Exporte im Oktober (–1,1 %). Insbesondere für hochpreisige Warengruppen wie Uhren und Juwelierwaren sowie Maschinen ging die Nachfrage zurück. Die steigende Nachfrage nach chemischpharmazeutischen Produkten dämpfte die Exportschwäche, da sie dem allgemeinen Abwärtstrend trotzte und um 7 % zulegte. Insgesamt ergibt sich aber noch immer eine positive Handelsbilanz, was für den Oktober einen Überschuss von 2,7 Mrd. Franken bedeutet. Für das Jahr 2017 erwarten wir ein Wachstum von 1,6 %. Deflation nimmt ab Positiv ist, dass die Deflation allmählich abnimmt. Aktuell liegt die Inflationsrate bei –0,3 %. Wir erwarten, dass der Preisauftrieb im Jahresdurchschnitt 2017 0,3 % betragen und damit erstmals seit 2011 wieder positiv sein wird. Keine Veränderung in der Zinspolitik Die SNB dürfte ihr Zielband für den Dreimonats-Libor zwischen –1,25 % und –0,25 % beibehalten und den Zins auf Sichteinlagen gegebenenfalls weiter verringern. Zudem wird die SNB am Devisenmarkt aktiv bleiben, wenn es der Wechselkurs verlangt. 20 III. Japan: Weiter in der Wachstumsfalle (Wolfgang Pflüger) Auch nach gut vier Jahren „Abenomics“ bleiben die wirtschaftspolitischen Erfolge des Ministerpräsidenten Abe sehr überschaubar. Er war angetreten, das Land aus seiner Deflationsspirale zu befreien und neue, nachhaltige Wachstumskräfte freizusetzen. Die Notenbank hatte sich ein Inflationsziel von 2 %, erreichbar bis Ende 2014, gesetzt. Sie legte ein Programm zum Ankauf von Anleihen auf und ergänzte es später um Aktienkäufe, um schließlich seit Anfang 2016 Negativzinsen auf Bankeinlagen einzuführen. Doch abgesehen von wenigen Monaten nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer im April 2014 konnten sich die Verbraucherpreise zu keinem Zeitpunkt überzeugend von der Nulllinie absetzen. Der November 2016 markierte den achten Monat in Folge mit abermals fallenden Preisen (Abbildung 6). Bank of Japan verfehlt Inflationsziel Abb. 6: Japan – Einzelhandel und Inflation 4 3 12 Inflation Einzelhandelsumsätze (rechte Skala) 9 2 6 1 3 0 0 -1 -3 -2 -6 -3 -9 -4 Jan 00 -12 Jan 02 Jan 04 Jan 06 Jan 08 Jan 10 Jan 12 Jan 14 Jan 16 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quellen: Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie, Japan; Ministerium für innere Angelegenheiten und Kommunikation. Eine nachdenklich stimmende Nebenwirkung der jahrelangen Wertpapierankäufe besteht darin, dass die Notenbank mittlerweile circa 40 % aller umlaufenden Staatsanleihen erworben hat und auch bei 90 % der im Nikkei 225 Index enthaltenen Unternehmen zu den jeweils zehn größten Aktionären zählt. Behält sie ihr Ankaufstempo bei, wäre sie Ende 2017 in 55 Konzernen der größte Anteilshalter. Wie das die Wirtschaft beleben oder zu mehr Inflation führen soll, bleibt das Geheimnis der Notenbank. Kritiker bezeichnen es als Verstaatlichung durch die Hintertür. Verstaatlichung durch die Hintertür? Auch das Ziel, das Wachstum nachhaltig zu beschleunigen, hat Japan verfehlt. Während der vergangenen acht Jahre ist die japanische Wirtschaft viermal geschrumpft. Das nominale BIP lag Mitte 2016 mit circa 5 100 Mrd. Yen noch immer knapp unter dem Niveau von Anfang 2008 (5 132 Mrd. Yen). Das historische Hoch stammt sogar aus dem Jahr 1997 (5 245 Mrd. Yen). Unter Ausklammerung von Preisveränderungen wuchs die Wirtschaft während Abes Regierungszeit jahresdurchschnittlich um etwa 0,6 %. Ein ähnliches Ergebnis wird sich auch für 2016 einstellen. Denn einem unveränderten Jahresauftakt folgten zwei Quartale, in denen das BIP um 0,1 beziehungsweise Wachstum bleibt schwach 21 0,5 Prozentpunkte anstieg (Abbildung 7). Das ist angesichts rekordniedriger Zinsen, einer immer expansiveren Notenbankpolitik und diverser vorangegangener Konjunkturprogramme der Regierung dürftig. Abb. 7: Japan – BIP-Wachstum 12 12 6 6 0 0 -6 -6 -12 -12 -18 Mrz 05 -18 Mrz 07 Mrz 09 Mrz 11 Mrz 13 Mrz 15 Veränderung gegenüber Vorjahr in %. Quelle: Wirtschafts- und Sozialforschungsinstitut Japan. Verkrustete Strukturen behindern Investitionen Im Gegensatz zu den erfolgreichen Reformen Indiens und sogar Brasiliens sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen in Japan noch immer überwiegend verkrustet. Landwirtschaft, Energieerzeugung und viele Dienstleistungssektoren bleiben abgeschottet. Am Arbeitsmarkt gibt es noch immer duale Tarifsysteme für gleiche Arbeit. Entlassungen regulär Beschäftigter sind kaum möglich. Bei Neueinstellungen weichen die Unternehmen daher auf den Niedriglohnsektor oder Teilzeitarbeiter aus. Die Folge ist, dass die Reallöhne stagnieren und die Binnennachfrage nicht in Schwung kommt. Das Verbrauchervertrauen bleibt schwach. Ab März 2016 sind die privaten Konsumausgaben Monat für Monat gefallen. Zum Jahreswechsel war nicht erkennbar, woher eine Wende zum Besseren in 2017 kommen sollte. Denn angesichts der vorherrschenden Situation investieren die Betriebe kaum in ihren eigenen Binnenmarkt. Hinderlich sind zudem relativ hohe effektive Unternehmenssteuersätze. Sie liegen bei 32,1 % und sollen nun bis 2018 – ein „Reformfeuerwerk“ Abes – auf 29,7 % abgesenkt werden. Yen-Aufwertung gefährdet Exporte Da erscheint es konsequent, dass der Fokus unverändert auf der Ausfuhr liegt. Aber auch hier läuft es nicht mehr rund. Die auf eine Yen-Abwertung zielende massive Geldmengenausweitung der Notenbank verliert an Wirkung. Trotz der Trump-Rallye des US-Dollars hat sich der Yen gegenüber der US-Devise 2016 um 5,6 % aufgewertet. Im Vergleich zum schwachen Chinesischen Yuan war der Zugewinn sogar noch deutlich höher. Darunter leiden die Ausfuhren. Der gesamtwirtschaftliche Wachstumsbeitrag schmolz. Noch ein Konjunkturprogramm Wenn wir für 2017 dennoch eine leichte Wachstumsbelebung unterstellen, so liegt das fast ausschließlich an einem weiteren Konjunkturprogramm. Mit umgerechnet etwa 32 Mrd. US-Dollar sollen Infrastrukturprojekte umgesetzt werden. Dies entspricht ungefähr 0,4 % des BIP. Insgesamt könnte die Wirtschaftsleistung um 0,9 % zulegen. 22 IV. Große Schwellenländer: Strukturreformen bleiben unabdingbar (Wolfgang Pflüger) 1. China: Konjunkturspritzen statt neuer Reformen Der erste Fünfjahresplan der seit 2012 amtierenden politischen Führung läuft Ende 2017 aus. Ministerpräsident Li hatte durchschnittliche Wachstumsraten von 6,5 % bis 2020 bei einem gleichzeitigen marktwirtschaftlichen Umbau der Wirtschaft versprochen. Staatsunternehmen sollten in ihrem Einfluss zurückgedrängt, Überkapazitäten in der Grundlagenindustrie abgebaut und ein ökologischer Umbau vorangetrieben werden. Vorgesehen war eine Förderung von Dienstleistungen und privatem Konsum sowie eine Liberalisierung der Finanzmärkte. Ministerpräsident Lis Vorgaben Als gegen Ende 2014 die chinesische Wirtschaft auch aufgrund verfallender Rohstoffpreise in Schwierigkeiten geriet, entschloss sich die Regierung jedoch, auf die alten, traditionellen Konjunkturstützungsmaßnahmen zurückzugreifen. Im Laufe des Jahres 2015 und bis in den Sommer 2016 hinein hat sie mehrfach die Zinsen gesenkt, Liquidität angeboten Kreditprogramme aufgelegt, am Devisenmarkt eingegriffen und kreditfinanzierte staatliche Infrastrukturinvestitionen angeschoben. Traditionelle Konjunkturstützung statt Reformen Aus fallenden Immobilienpreisen bei hohen Leerständen wurde so ein neuer Bauboom. Im Herbst 2016 lagen beispielsweise die Wohnraumpreise in Peking um 27,5 % über dem Vorjahr, in Shanghai waren es 31,1 %. In manchen Regionen hatten sich die Landpreise innerhalb von zwölf Monaten verdoppelt. Ein Quadratmeter Land war dort teurer als ein Quadratmeter bebauten Raumes. Eine Blasenbildung bahnte sich an. Nun muss wieder mit Kreditverknappungen und höherem Eigenfinanzierungsanteil abkühlend eingegriffen werden. Das wird sich 2017 zeitlich verzögert als Wachstumsbremse auswirken. Immobilienboom … Aus rückläufigen Investitionsquoten wurde ein neuer Infrastrukturboom. Die Regierung setzt seit Anfang 2016 ein riesiges Ausgabenprogramm um. Verteilt über einen Dreijahreszeitraum sollen mehr als 700 Mrd. US-Dollar in den Ausbau von Schienennetz, Schnellstraßen, See- und Flughäfen gepumpt werden. Als Reflex dessen stiegen die Staatsausgaben mit zweistelligen Jahresraten. Die Neuverschuldung nahm entsprechend zu. Auf zentraler Ebene ist das unproblematisch. Was Rating-Agenturen allerdings bemängeln, ist ein generelles Verschuldungsproblem. Provinzregierungen und der Unternehmenssektor unter Führung der Staatsbetriebe stehen im Vordergrund. Deren Schuldenstand lag zuletzt bereits bei 175 % des BIP. Die Notenbank rechnet mit zunehmenden Insolvenzen. Denn der Abbau von Überkapazitäten in der von Staatsunternehmen dominierten Grundlagenindustrie soll weiter vorangetrieben werden. Das bedeutet Arbeitsplatzverluste im Millionenbereich. ... und Infrastrukturboom stabilisieren das Wachstum, erhöhen aber auch die Verschuldung 23 Wirtschaftspolitischer Zielkonflikt Es herrscht also ein Zielkonflikt zwischen mehr Marktwirtschaft, weniger Wachstum und kurzfristig erhöhtem Staatsinterventionismus. Bislang war dieser Ansatz in dem Sinne erfolgreich, als dass es gelang, die Wirtschaft mit Wachstumsraten – typisch chinesisch planwirtschaftlich – von exakt 6,7 % während der ersten drei Quartale 2016 zu stabilisieren. Dabei hat sich die Qualität des Wachstums allerdings verschlechtert. Der in der Regel weniger produktive Staatsanteil nahm wieder zu. Private Unternehmen investierten so zurückhaltend wie seit 16 Jahren nicht mehr. Vor der zu erwartenden Wiederwahl der amtierenden Führung im Herbst 2017 ist kaum mit einem Richtungswechsel zu rechnen. Den sich abzeichnenden Abkühlungstendenzen im Hausbausektor und beim Autoabsatz – hier laufen steuerliche Kaufanreize aus – stehen die fortwirkenden staatlichen Infrastrukturmaßnahmen gegenüber. Trump droht dem chinesischen Außenhandel Schwerer einzuschätzen ist die Entwicklung des Außenhandels. In den vergangenen zwei Jahren haben chinesische Warenlieferungen in das In- und Ausland abgenommen. Einerseits droht US-Präsident Trump mit Einfuhrzöllen auf Waren aus dem Reich der Mitte und bezeichnet China als Währungsmanipulator. Beides könnte Chinas Exporte abermals beeinträchtigen. Andererseits hat sich der Yuan seit Mitte 2015 gegenüber dem US-Dollar um etwa 8 % abgewertet, was einem Achtjahrestief entsprach. Das könnte die Ausfuhren begünstigen, wird jedoch vielfach zugleich als möglicher Unruheherd für die internationalen Kapitalmärkte betrachtet. Die Notenbank stemmt sich mit Dollar-Verkäufen den beschleunigten Kapitalabflüssen entgegen. Eine Währungspanik wie im Sommer 2015 oder Januar/Februar 2016 soll unbedingt vermieden werden. Allerdings sind so die Währungsreserven seit Anfang 2015 um rund 800 Mrd. USDollar zusammengeschmolzen (Abbildung 8). Abb. 8: China – Devisenreserven 4 000 4 000 3 500 3 500 3 000 3 000 2 500 2 500 2 000 Jan 10 Jan 12 Jan 14 Jan 16 2 000 In Mrd. US-Dollar. Quelle: China Economic Information Network. Auch 2017 keine harte Landung 24 2017 wird sich also wenig ändern. Es bleibt bei trendmäßig rückläufigen Wachstumsraten. Die Regierung bleibt expansiv. Der Reformprozess verzögert sich weiter. Die Notenbank wird hingegen bremsen, um eine Überhitzung des Immobilienmarktes zu verhindern. Dabei muss sie ihre Leitzinsen allerdings nicht anheben, denn die Teuerungsraten dürften abermals unter ihrer Zielvorgabe von 3 % verharren. Ein unkontrolliertes Abdriften der Wirtschaft wird verhindert. Für 2017 rechnen wir mit einem BIPWachstum von 6,4 % nach wohl 6,7 % in 2016. 2. Indien: Neue Mehrwertsteuer oder „Cash-Chaos“ – was wiegt schwerer? Modis Regierung ist es während der ersten zwei Jahre nach ihrer Amtsübernahme tatsächlich gelungen, Indien in die erste Liga der globalen Wachstumskräfte zurückzuführen und dabei den innerasiatischen Konkurrenten China zu überholen. Das Wachstumstempo beschleunigte sich von 6,6 % (Jahr der Amtsübernahme) auf 7,2 % in 2015, um dann sogar 7,9 % (erstes Quartal 2016) zu erreichen. Bis in den Herbst hinein kam es danach aufgrund von Problemen in der Landwirtschaft (nach zwei Dürrejahren in Folge) zu einer leichten Abschwächung. Hauptkonjunkturstützen waren bis dahin der private Konsum und staatliche Infrastrukturausgaben. Den Unternehmen mangelte es offensichtlich wegen des zuvor ausgebliebenen großen Reformwurfs an Investitionsmut. Indien mit neuem Schwung Dann kam im Sommer 2016 die ersehnte Einführung einer landeseinheitlichen Mehrwertsteuer. Sie soll am 1. April 2017 in Kraft treten und den bisherigen Flickenteppich unüberschaubarer Umsatzsteuertarife der 29 Bundesstaaten ersetzen. Voraussichtlich wird es vier Tarifstufen geben, die zwischen 5 und 28 % variieren. Es ist mit Effizienzgewinnen bei Steuererhebung und fiskalischem Aufkommen sowie Produktivitätssteigerungen in der Industrie zu rechnen. Gesamtwirtschaftlich könnte hieraus ein dauerhafter Wachstumsimpuls von bis zu 1 % des BIP resultieren. Die Reaktion war uneingeschränkt positiv. Das Verbrauchervertrauen nahm markant zu, die Stimmung der Unternehmen war so zuversichtlich wie seit Ende 2014 nicht mehr. Vieles deutete auf eine abermalige Wachstumsbeschleunigung in 2017 hin. Meilensteinreform „landeseinheitliche Mehrwertsteuer“ Vielleicht hat dieser Reformerfolg Modi unvorsichtig werden lassen. Um illegale Schwarzgeldbestände, die große Schattenwirtschaft, Korruption und Terrorismusfinanzierung zu treffen, ließ er im November die 500- und 1 000-Rupien-Scheine für ungültig erklären. Davon waren unmittelbar 86 % des Bargeldumlaufs betroffen. Dies hat zu spürbaren Friktionen im Wirtschaftsablauf geführt. Denn etwa 500 Mio. Inder haben kein Konto, 90 % aller Arbeitnehmer erhalten ihren Lohn bar ausgezahlt. In vielen Bereichen (Landwirtschaft, Handwerk, Einzelhandel, Schmuck) herrscht so etwas wie Bargeldzwang. Hier ging für Wochen so gut wie gar nichts mehr. „Cash-Chaos“ gefährdet bisherige Erfolge Die wirtschaftlichen Folgen sind zumindest kurzfristig verheerend und dürften bis in das erste Halbjahr 2017 hineinreichen. Ein Rückfall unter die 7 %-Marke ist wahrscheinlich. Immerhin: Die Konjunkturabkühlung wird zusammen mit den guten Ernteerträgen nach endlich wieder ausreichendem Monsunregen die Verbraucherpreise beruhigen. Die Notenbank kann den Leitzins (aktuell 6,25 %) mit neuem Schwung um weitere 50 bis 75 Basispunkte absenken. Die Schwäche der Landeswährung wird die Exporte beflügeln. Beides stellt ein expansives Gegengewicht dar. Ob sich die von den Unternehmen als dringlich eingestuften Arbeitsmarktreformen und der erleichterte Landerwerb während Modis erster Amtsperiode noch realisieren lassen, hängt wesentlich vom Ausgang der 15 Regionalwahlen in 2017/2018 ab. Den Auftakt macht Uttar Pradesh mit seinen 200 Mio. Bewohnern im Februar 2017. Gewinnt Modis Partei, würde sein Reformfundament gehärtet. Das BIP-Wachstum könnte dann ab 2018 sogar die 8 %-Marke übertreffen. Niederlagen wären hingegen wohl gleichbedeutend mit nur 7 % Zuwachs. Das wäre zu wenig für das Potenzial der indischen Nation. Gute Chancen bei Wahlerfolgen und weiterem Reformeifer 25 3. Brasilien: Auf zu neuen Ufern? Schuldenbremse erhält Verfassungsrang Brasiliens neuer Ministerpräsident Temer, Nachfolger der am 31. August 2016 ihres Amtes enthobenen Präsidentin Rousseff, gilt als gewiefter Taktiker. Ihm ist es schon häufiger gelungen, nicht für möglich gehaltene politische Kompromisse herbeizuführen. So gelang ihm auch jetzt in nur wenigen Monaten ein erster, wichtiger Schritt bei der Umsetzung seiner Reform-Agenda. Es geht um die Sanierung der Staatsfinanzen. Inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seit mehr als 100 Jahren waren diese bei einer jährlichen Neuverschuldung von 10 % des BIP völlig außer Kontrolle geraten. Die staatliche Schuldenquote hat sich innerhalb weniger Jahre auf 80 % des BIP verdoppelt. Die Bonitätseinstufung des Landes wurde von internationalen Kreditagenturen konsequenterweise auf „nicht mehr investmentwürdig“ herabgestuft. Nun soll ein Zusatz in die Landesverfassung aufgenommen werden, der die jährliche Neuverschuldung über einen Zeitraum von 20 Jahren an die Inflationsentwicklung bindet, real also einfriert. Ergänzend hat sich die Regierung vorgenommen, die Beamtengehälter zu begrenzen, Sozialhilfezahlungen zu kürzen, wichtige Staatsbetriebe zu privatisieren und die Ölindustrie für ausländische Investoren zu öffnen. Gelingt die Rentenreform? Als zweites Herzstück gilt die angestrebte Rentenreform. Im Mittelpunkt steht die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Derzeit können Brasilianer mit 55 Jahren bei vollen Rentenanspüchen in den Ruhestand gehen. Deshalb muss der Staat jährlich umgerechnet 157 Mrd. US-Dollar oder 40 % aller Staatsausgaben in das faktisch bankrotte Rentensystem pumpen. Das ist unhaltbar. Der Widerstand gegen Änderungen dürfte allerdings heftig ausfallen. Stimmungsumschwung nicht gefährden! In Ansätzen führte der politische Richtungswechsel bereits zu einem ersten Stimmungsumschwung. Trotz hoher Arbeitslosigkeit und stagnierender Einkommen werden die Konsumenten zuversichtlicher. Sie setzen auf weiter fallende Inflationsraten und sinkende Zinsen. Die schwere Rezession bewirkt genau dies. Die Teuerungsrate fiel auf unter 8 %. Die Zentralbank erwartet für 2017 ein Einschwenken in ihr Zielband von 4 bis 6 %. Dadurch verfügte sie über einen erheblichen Zinssenkungsspielraum. Zuletzt lagen ihre Leitsätze bei wachstumsfeindlichen 13,75 %. Die Unternehmen werden optimistischer Die Unternehmen werden ebenfalls optimistischer. Angekündigte Reformprojekte, stabilisierte Rohstoffpreise und die Abwertung der Landeswährung Real beflügeln vor allem die wichtige Exportindustrie. Die Unternehmen produzieren langsam wieder mehr. Auch das Ausland fasst neues Zutrauen. Sach- und Finanzanlagen erreichten hohe zweistellige US-Dollar-Milliardenbeträge. Das traditionell hohe Leistungsbilanzdefizit schrumpfte in 2016 auf erträgliche 1,3 % des BIP. Aus dem Rezessionstal So könnte die Wirtschaft mit neuem Schwung in das Jahr 2017 gehen und nach drei Dürrejahren um 1,2 % wachsen. Bei anhaltendem Reformeifer ist eine deutliche Beschleunigung auf 2,5 bis 3 % im Folgejahr realistisch. Mit einem Kursanstieg von über 50 % in 2016 hat der brasilianische Aktienmarkt allerdings bereits einiges an Vorschusslorbeeren verteilt. Rentenanlagen könnten dagegen demnächst interessanter werden. 26 V. Osteuropa: Ade liberale Wirtschaftspolitik (Wolf-Fabian Hungerland) 1. Russland: Wie geschmiert aus der Rezession? Die russische Wirtschaft kommt langsam wieder auf die Beine. Für 2016 rechnen wir noch mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um etwa 0,5 %. Doch die Daten verbessern sich stetig. Für 2017 zeichnet sich ein Zuwachs von rund 1,6 % ab. Dahinter steht das nun wieder etwas teurer werdende Öl – der wichtigste Export Russlands. Folglich gewann auch der Rubel seit Jahresbeginn nahezu 17 % gegenüber dem US-Dollar (Abbildung 9). So erklärt sich auch Moskaus Deal mit der OPEC, vorerst weniger Öl zu produzieren: Öl soll knapper und damit wieder teurer werden. Ob diese Strategie aber aufgehen wird, ist unklar. Es ist nicht sicher, ob sich alle an den Deal halten werden. Auch die USA könnten ihre Ölproduktion noch etwas hochfahren. Nun wieder teureres Öl kurbelt Russlands Wirtschaft an Abb. 9: Russland – Ölpreis und Russischer Rubel in US-Dollar 0 US-Dollar in Rubel Ölpreis (Brent, rechte Skala) 150 20 120 40 90 60 60 80 30 100 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Dez 15 0 Dez 16 Wechselkurs invertiert, Ölpreis in US-Dollar je Barrel. Quelle: Bloomberg. Erfreulich entwickeln sich auch die Preise. Über die letzten zwei turbulenten Jahre hat die russische Notenbank gute Arbeit geleistet: War die Inflation noch im März 2015 mit 16,9 % auf einem 15-Jahres-Hoch, steht die Preissteigerungsrate aktuell schon wieder bei 5,8 %. Vor diesem Hintergrund wird die Notenbank den Leitzins von aktuell 10 % wohl bereits zu Beginn des Jahres weiter senken. Die Inflation fällt schneller als erwartet Doch Russland wird nicht zum Land, in dem – neben Öl – Milch und Honig fließen. Innenpolitisch arbeitet der Kreml weiter daran, alles Liberale zu stutzen und einzugrenzen, und zwar nicht nur die Opposition. Die Festnahme von Wirtschaftsminister Uljukajew wegen angeblicher Korruption im November passt in das Muster. So erwarten wir keine wirtschaftspolitischen Reformen, auch wenn es die strukturschwache Wirtschaft dringend nötig hätte. Außenpolitisch sorgen Russlands Engagement in Syrien und der Ukraine weiter für Unsicherheit. Nun könnte zwar US-Präsident Trump freundlichere Töne gegenüber Moskau anschlagen und damit sogar ein Ende der Sanktionen einleiten. Doch die Wahrscheinlichkeit dafür sehen wir immer noch bei nur etwa 45 %. Denn die EU muss mitspielen. Und selbst wenn die Sanktionen 2017 enden, wird es in einigen Sektoren außerhalb der Rohstoffverarbeitung wegen der dann wieder einsetzenden ausländischen Konkurrenz Verwerfungen geben. Aber: Russland wird seine Strukturschwäche nicht los 27 2. Türkei: Vor dem Abgrund Die türkische Wirtschaft steht am Rande einer Rezession Es besteht Rezessionsgefahr in der Türkei. Nach dem Putschversuch im Juli ist die Wirtschaft im dritten Quartal um 1,8 % geschrumpft. Dies war schlechter als die schlimmsten Erwartungen. Auch die nächsten Quartale dürften mager ausfallen. Wir senken unsere Wachstumsprognosen für 2016 auf nun nur noch 1,9 % und für 2017 auf 1,8 %. Dabei ist das Abwärtsrisiko höher denn je, genauso wie die Gefahr von sehr hohen Kapitalabzügen. Präsident Erdogan und seine Regierung müssen schleunigst vertrauensbildende Maßnahmen einleiten – sowohl bei heimischen Unternehmen und Verbrauchern als auch bei ausländischen Investoren und Besuchern. Der Putschversuch im Juli hat Spuren hinterlassen Die makroökonomischen Folgen des Putschversuchs sind überall sichtbar: fernbleibende Touristen, anhaltender Terror, gedämpfte Verbraucherstimmung und zehntausende Entlassungen und Festnahmen, die sich in den Arbeitslosenzahlen spiegeln. Dazu hohe Inflation (wir erwarten 8 % für 2016) sowie wachsender Druck der Regierung auf Banken und Notenbank, mehr Kredite unters Volk zu bringen. Höhere Ölpreise verschärfen die Lage: Energie macht den größten Importposten aus. Dabei importiert das Land chronisch mehr, als es exportiert. Um das zu finanzieren, besorgen sich die türkischen Banken Kapital im Ausland. Das wiederum macht die Türkei anfällig für Stimmungsschwankungen von Investoren und Zinsbewegungen in den USA; der US-Dollar ist die wichtigste Finanzierungswährung der Türkei. Steigen die US-Zinsen, werden TürkeiInvestitionen in US-Dollar schnell unattraktiver. Genau das ist jetzt der Fall. Deshalb ist die Lira auf ein Allzeittief gefallen (Abbildung 10). Abb. 10: US-Dollar in Türkischer Lira 3,7 3,7 3,3 3,3 2,9 2,9 2,5 2,5 2,1 2,1 1,7 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Dez 15 1,7 Dez 16 Quelle: Bloomberg. Die Politik dominiert das volkswirtschaftliche Los der Türkei 28 2017 stehen zwar wichtige politische Entscheidungen an. Kommt das Präsidialsystem? Kommt die Todesstrafe? Werden die EU-Beitrittsverhandlungen abgebrochen? Wird der Krieg gegen kurdische Organisationen im Südosten – und damit die Terroranschläge in den großen Städten des Landes – weitergehen? Vertrauensbildende Maßnahmen sind hier möglich. Aber sie werden die Politik Erdogans wohl kaum dominieren. Wir rechnen mit einem Ja auf viele dieser Fragen. Die ersten drei dürften mittels eines Referendums entschieden werden. Dabei wird Erdogan weiter auf den Nationalstolz seiner Landsleute setzen und die Schuld für die aktuelle Misere bei Verschwörern und im Ausland suchen. Wirtschaftspolitische Reformen und versöhnliche Töne werden nachranging bleiben. Es sieht nicht gut aus für die Türkei. 3. Polen: Nicht immun gegen politisches Risiko Nach zwölf Monaten unter der national-konservativen Regierung steht die Wirtschaft etwas schwächer da. Nach 4,6 % im Jahr 2015 rechnen wir für 2016 mit etwa 2,8 % Wachstum und 2017 mit rund 3 %. Dieses Jahr hatte Warschau weniger EU-Gelder zur Verfügung, die dann in der relativ investitionsschwachen Volkswirtschaft fehlten. Zudem zeigt sich, dass die umgesetzten, fiskalisch expansiven Wahlversprechen wie das drastisch erhöhte Kindergeld weniger bewirkten als erwartet. Nächstes Jahr erwarten wir vor allem wegen wieder mehr EU-Investitionen auch wieder mehr Wachstum. Etwas schwächer als letztes Jahr Derweil machen wir uns zunehmend Sorgen um den polnischen Haushalt, der immer weniger nachhaltig wird. Viele liberale Reformen der Vorgängerregierung, so zum Beispiel das höhere Renteneintrittsalter, wurden oder sollen wieder zurückgedreht werden. Sorge um den polnischen Haushalt So haben schrille politische Töne aus Warschau den Zloty Achterbahn fahren lassen. In Summe verlor er seit Jahresbeginn 2016 etwa 3,5 % gegenüber dem Euro (Abbildung 11). Doch auch globale Faktoren spielten eine Rolle, seien es die BrexitEntscheidung – viele Polen arbeiten in Großbritannien und senden einen Teil ihres Lohns nach Hause –, die Trump-Wahl oder die geldpolitischen Entscheidungen der USFed oder der EZB. Im kommenden Jahr wird sich daran wohl wenig ändern. Die größten Risiken für den Zloty sind weiter politisch – sowohl innenpolitisch als auch extern: hier vor allem die Wahlen in Deutschland und Frankreich. Diese werden richtungsweisend für die zukünftige EU-Politik sein und damit eben auch für Polen und dessen von der EU abhängigen Volkswirtschaft. Wenig spricht für einen stärkeren Zloty im nächsten Jahr. Zloty-Kurs von politischen und externen Faktoren getrieben Abb. 11: Euro in Polnischen Zloty 4,7 4,7 4,5 4,5 4,3 4,3 4,1 4,1 3,9 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Dez 15 3,9 Dez 16 Quelle: Bloomberg. Die wichtigste Konstante der polnischen Wirtschaft ist und bleibt die Notenbank. Unter der neuen Regierung litt die Glaubwürdigkeit – und damit die Effektivität – der Notenbank. Die Märkte fürchteten einen wachsenden Einfluss auf die polnischen Geldhüter. Heute kann man erfreulicherweise sagen, dass die Notenbank dem Druck der Regierung standgehalten hat. Die polnische Inflation entwickelt sich langsam, aber sicher aus der Deflationsphase heraus. Dabei hält die Notenbank den Zins still bei 1,5 %. Daran wird sich auch zumindest in den ersten drei Quartalen 2017 nichts ändern. Die Notenbank als Stabilitätsanker 29 TEIL 5 KAPITAL-, DEVISEN- UND ROHSTOFFMÄRKTE I. Aktien: Positiver Ausblick für das Jahr 2017 (Dirk Trochelmann und Till Budelmann) Europäische Aktien gaben zum Jahresbeginn 2016 deutlich nach, erholten sich aber weitgehend Zum Jahresbeginn 2016 gaben europäische Aktien deutlich nach. Maßgebliche Treiber waren die Sorge um die Konjunktur in China, ein besonders scharfer Rückgang des Ölpreises und Befürchtungen, es könnte zu einer Rezession in den USA kommen. Im Jahresverlauf erholten sich die Notierungen zwar wieder, wiesen aber zeitweise eine sehr hohe Volatilität auf. Vor allem politische Ereignisse wie der Brexit oder die USPräsidentschaftswahl waren hierbei wichtige Wegmarken. Volkswirtschaftliche Stimmungsindikatoren deuten auf anhaltendes Wirtschaftswachstum hin Die volkswirtschaftlichen Stimmungsindikatoren der Europäischen Kommission deuten mehrheitlich auf ein anhaltendes Wirtschaftswachstum im Jahr 2017 hin (Abbildung 12). Bemerkenswert ist die signifikante Stimmungsaufhellung in Großbritannien nach dem Brexit-Votum. Eine gute Entwicklung verzeichneten seitdem auch Deutschland, Frankreich und Spanien. Der Indikator weist für Italien hingegen eine rückläufige Entwicklung auf, verursacht durch die politische Unsicherheit. Für den Euroraum insgesamt zeichnet sich eine positive Entwicklung für die kommenden Monate ab. Abb. 12: Europa – Stimmungsindkatoren 140 140 130 130 120 120 110 110 100 100 90 80 2011 Eurozone Deutschland 2012 2013 2014 Frankreich Großbritannien 2015 Italien Spanien 90 80 2016 Index = 100 zu Beginn. Quelle: EU Kommission, Bloomberg. Rückenwind für Unternehmensergebnisse 30 In Europa erwarten wir auf Ebene der Unternehmen für das Jahr 2017 eine gute Umsatz- und Gewinnentwicklung mit Rückenwind durch die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Unterstützend kommen der schwache Euro und das noch immer sehr niedrige Renditeniveau hinzu. In Summe erwarten wir eine Verbesserung der Unternehmensgewinne von etwa 13 %. Im Zuge der stabilen Konjunkturentwicklung werden vor allem Konjunkturzykliker wie Titel aus den Bereichen Grundstoffe, Erdöl und Gas sowie Technologie gefragt sein. Die Unternehmen der Branchen Verbrauchsgüter und Verbraucherservices werden von der positiven Arbeitsmarktentwicklung durch zusätzliches Nachfragepotenzial profitieren. Hingegen werden Bereiche wie Telekommunikation und Versorger unter einem etwaigen Renditeanstieg leiden. Nachdem der langfristige Aufwärtstrend in Europa nach unten verlassen wurde, befindet sich der Stoxx 600 seit nunmehr fast drei Jahren in einer Seitwärtsphase. Aktuell liegt die Spanne zwischen 315 und 350 Indexpunkten. Erst wenn diese Grenzen nachhaltig verlassen werden, kann der Index einen neuen Trend aufnehmen. Die Wahrscheinlichkeit einer positiven Auflösung dieser Formation scheint zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlicher als die negative Alternative. Steigende Tiefpunkte, an denen der Index gedreht hat, haben das gesamte Jahr über die Charttechnik verbessert. Dennoch zeigt sich das längerfristige Bild für Europa angeschlagen, besonders im Vergleich zu den USA. Daher bedarf es eines neuen positiven Impulses, um den Deckel bei 350 zu heben und den Abwärtstrend aus dem Jahr 2015 zu überwinden. Erst danach könnte auch in Europa wieder über neue Höchststände, bei 400 Indexpunkten und mehr, diskutiert werden. Bei einem erneuten Schwächeanfall stellt der Bereich von 300 bis 315 Indexpunkten eine aus technischer Sicht gute Unterstützung dar. Technik: Europäische Aktien seit fast drei Jahren in Seitwärtsphase Abb. 13: Aktien - Stoxx Europe 600 450 450 400 400 350 350 300 300 250 250 200 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Dez 15 200 Dez 16 In Punkten. Quelle: Bloomberg. Das Investitionsverhalten hat den schwachen Trend in Europa bestätigt. Über das gesamte Jahr waren deutliche Mittelabflüsse zu beobachten. Der Brexit, die Wahl Trumps zum 45. US-Präsidenten und das verlorene Referendum in Italien waren Gründe, weshalb viele Investoren sich zurückhaltend bei Engagements in Europa zeigten. Abnehmende Unsicherheiten und wiederkehrendes Vertrauen könnten im Jahr 2017 aber das Nachholpotenzial von Europa endlich heben. Ansonsten droht ein weiteres verlorenes Jahr, in dem die US-Märkte davonlaufen. 2016: schwaches Sentiment, 2017: abnehmende Unsicherheiten Europäische Aktien bieten derzeit ein interessantes Chance-Risiko-Profil. Einerseits lassen sowohl der makroökonomische Ausblick wie auch die unternehmensbezogene Komponente der Gewinnprognosen eine gute Aktienmarktentwicklung für das Jahr 2017 erwarten. Andererseits erwarten wir eine positive Marktentwicklung auf Basis der Charttechnik und des Sentiments. Die anhaltende Seitwärtsphase wird im Jahr 2017 wahrscheinlich nach oben verlassen werden. Somit kann sich ein neuer Aufwärtstrend etablieren. Fazit: Europäische Aktien bieten aktuell ein interessantes Chance-Risiko-Profil 31 Positives Jahr 2016 für den US-Aktienmarkt Nach einem turbulenten Jahresstart 2016, bedingt durch anhaltende Sorgen um China, konnten wir ein stetiges Kursplus der großen amerikanischen Indizes beobachten, welche ihre Pendants in der entwickelten Welt weitestgehend dominierten. Selbst politische Ereignisse wie der Beschluss zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union oder die Unsicherheit rund um die US-Wahlen konnten den Anstieg des USAktienmarktes nur kurzzeitig stören (Abbildung 14). Abb. 14: USA – Aktienmarktentwicklung 116 108 116 NASDAQ Composite Index Dow Jones Industrial Average S&P 500 Index 108 100 100 92 92 84 Jan 16 Mrz 16 Mai 16 Jul 16 Sep 16 Nov 16 84 Index = 100 per 1. Januar 2016. Quelle: Bloomberg. Trump-Sieg sorgte nur kurz für Unsicherheit Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen wurden für den Fall eines Trump-Sieges und die damit verbunden potenziellen Unsicherheiten massive Einbrüche an den Kapitalmärkten prognostiziert. Die Märkte reagierten jedoch nur sehr kurzzeitig den Erwartungen entsprechend und rückten schnell mögliche positive Aspekte des Wahlprogramms (Trumpenomics) in den Vordergrund. Bei einer guten Zusammenarbeit von Präsident und Kongress könnten sich die geplante Steuerreform und die höheren Investitionen in Infrastruktur positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Im Zuge dessen haben wir unsere US-Wachstumsprognose für die kommenden Jahre angehoben (siehe Seite 13-14). Unternehmensgewinne dürften weiter steigen und könnten eine neue Art von Bullenmarkt einleiten Mit Blick auf die Unternehmensgewinne haben wir eine sehr positive, jedoch durch die Wahlen in den Hintergrund gerückte Berichtsaison im dritten Quartal 2016 gesehen. Für das Jahr 2017 erwarten wir weiter steigende Unternehmensgewinne, welche den fundamentalen Unterbau der langjährigen Aufwärtsbewegung festigen sollten (Abbildung 15). Der bislang größtenteils durch niedrige Zinsen getriebene Bullenmarkt könnte sich in einen Bullenmarkt zweiter Art verwandeln, in welchem die Unternehmensgewinne die Kurse ankurbeln. Der erste Schritt für einen solchen Wandel ist durch das Ende der Gewinnrezession und der positiven Marktreaktion auf einen weiteren Zinsschritt der Fed im Dezember gemacht. 32 Abb. 15: Aktien – quartalsweiser Gewinn je Aktie des S&P 500 36 35,04 36 33,77 33 33 32,34 30,75 30,37 30 30 27,94 27 28,61 28,00 26,94 26,47 26,22 27 25,04 24 24 1Q15 2Q15 3Q15 4Q15 1Q16 2Q16 3Q16 4Q16e 1Q17e 2Q17e 3Q17e 4Q17e In US-Dollar; e = Prognose. Quellen: Bloomberg, Berenberg. Wir bewerten den amerikanischen Aktienmarkt nach wie vor als attraktiv und würden trotz relativ hoher Kurs-Gewinn-Verhältnisse – gerade in Relation zur Bewertung anderer Assetklassen – noch nicht von einer Überbewertung sprechen. Für die nächsten Monate erwarten wir in etwa um den gleichen Faktor steigende Kurse und Gewinne, sodass sich die Bewertung der Aktien kaum verändern sollte. US-Aktienmarkt weiterhin attraktiv Auf Sektorebene konnte man in der zweiten Jahreshälfte den Beginn einer Rotation beobachten, welche durch den Wahlsieg der Republikaner massiv beschleunigt wurde. Relative Gewinner-Sektoren der letzten Jahre (Technologie und Titel mit tendenziell hoher Dividendenrendite) verzeichneten Kursrückgänge, während bestimmte (relative) Nachzügler-Sektoren – zyklische, vor allem Finanz- und Industriewerte – als Gewinner hervorgingen. Diese Sektor-Rotation betrachten wir noch nicht als abgeschlossen und erwarten in den nächsten Monaten eine anhaltende Aufholjagd der über die letzten Jahre zurückgebliebenen Finanz-, Industrie- und Rohstoffaktien. Massive Sektor-Rotation seit der zweiten Jahreshälfte Bei einer technischen Betrachtung konnten Ende des Jahres neue Allzeithochs im S&P 500, Dow Jones Industrial Average und NASDAQ verzeichnet werden. Der seit März 2009 anhaltende Bullenmarkt wurde formal erneut bestätigt. Die Widerstände, die sich im Laufe des Jahres gebildet hatten, konnten durchbrochen werden und stellen aktuell eine gute Unterstützung für weiter steigende Kurse dar. Technische Widerstände überwunden Die positive Entwicklung von US-Aktien ist nach wie vor auch in fehlenden attraktiven Anlagealternativen begründet. Wer im liquiden Bereich Rendite sucht, wird auch in naher Zukunft kaum an den stabilen US-Aktien vorbeikommen. Gleichzeitig hat sich die in der zweiten Jahreshälfte eingetrübte Stimmung der Investoren am amerikanischen Aktienmarkt nach den Präsidentschaftswahlen wieder deutlich gebessert. Kaum Anlagealternativen im liquiden Bereich Die US-Wirtschaft entwickelt sich zufriedenstellend. Der private Verbrauch, der Arbeitsmarkt und der Wohnungsmarkt sind auf einem guten Weg. Als mögliche Dämpfer sehen wir gewisse politische Risiken, einen womöglich zu stark werdenden US-Dollar sowie die Gefahr eines erneut fallenden Ölpreises. Diesem Risiko wirkte die OPEC mit ihrer Produktionsbegrenzung Ende November bereits entgegen. Insgesamt erwarten wir für 2017 eine verhalten positive Entwicklung des amerikanischen Aktienmarktes. Gute Aussichten für eine Fortsetzung des Bullenmarktes 33 II. Anleihen: Rückkehr der Inflation (Cornelia Koller) Rentenmärkte geprägt von Rückkehr der Inflation und divergierender Geldpolitik Zwei Themen bestimmen derzeit die Entwicklung an den Rentenmärkten: die langsame Rückkehr der Inflation und die divergierende Geldpolitik zwischen der amerikanischen Notenbank Fed auf der einen Seite und den beiden großen europäischen Notenbanken Großbritanniens und der Eurozone auf der anderen. 1. „Endlich“ wieder etwas Inflation Deflation war gestern: Die Inflation kehrt zurück War der seit Mitte 2014 kräftige Rückgang der Ölpreise noch bis Jahresanfang 2016 globaler Disinflationstreiber und sorgte für Deflationsängste an den Rentenmärkten, hat sich das Blatt inzwischen gewendet. Der Ölpreis ist mit aktuell über 50 US-Dollar pro Barrel Nordseeöl der Sorte Brent längerfristig gesehen zwar immer noch relativ niedrig, liegt damit aber etwa doppelt so hoch wie zu Jahresanfang. Dies spiegelt sich in der Rückkehr positiver Teuerungsraten wider. Auch an den Märkten wird das Thema Inflation – ablesbar anhand der gestiegenen marktbasierten Inflationserwartungen – zunehmend gespielt. 1.1. Preisanstieg in der Eurozone bleibt gedämpft, … Ölpreise dämpfen nicht länger In der Eurozone war die Inflationsrate noch zu Jahresbeginn 2016 in negatives Terrain zurückgefallen (Januar: –0,6 %), hatte neue Deflationsängste an den Rentenmärkten geschürt und die EZB im März zu einer weiteren Lockerung ihrer Geldpolitik veranlasst. Inzwischen wird die Preisentwicklung aber immer weniger durch die Ölpreise gedämpft. Die Inflationsrate lag im November bei 0,6 % (Abbildung 16) und dürfte in den nächsten Monaten weiter anziehen. Abb. 16: Eurozone – Inflation 5 4 5 Inflation Kerninflation 4 3 3 2 2 1 1 0 0 -1 Jan 99 -1 Jan 01 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 Jan 15 Veränderung gegenüber Vorjahr in %; Kernrate ohne Energie und Nahrungsmittel. Quelle: Eurostat. Die Inflation in der Eurozone dürfte 2017 auf 1,3 % steigen 34 Wir erwarten, dass sich der Preis für das Nordseeöl Brent trotz der jüngst angekündigten Förderkürzung der OPEC auf einem Niveau von 55 bis 60 US-Dollar einpendeln wird. Daher sollte von den Ölpreisen nur eine leicht preissteigernde Wirkung ausgehen. Zudem deckelt die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit eine stärkere Teuerung. Per Saldo erwarten wir daher für 2017 einen Anstieg der Inflationsrate in der Eurozone auf 1,3 % nach 0,2 % in 2016. In Deutschland wird der Verbraucherpreisanstieg (November: 0,8 %) aufgrund des höheren Lohndrucks bei geringer Arbeitslosigkeit mit einer Preissteigerungsrate von 1,4 % (2016: 0,3 %) erneut etwas darüber liegen. 1.2. … stärkerer Preisauftrieb in den USA und Großbritannien In den USA und Großbritannien kehrt die Inflation dagegen deutlicher zurück als in der Eurozone. Während die Teuerung in Großbritannien bereits aktuell unter dem Einfluss des Brexits steht, macht in den USA das Stichwort der Trumpflation die Runde. Was steckt dahinter? Zum einen die angekündigten Infrastrukturprogramme zur Ankurbelung der Konjunktur, die lediglich über eine zusätzliche Kreditaufnahme gestemmt werden können und die ohnehin hohe US-Verschuldung noch weitersteigen lassen. Zum anderen würden protektionistische Schritte wie die angedrohten Strafzölle auf chinesische Einfuhrwaren inflationstreibende Wirkung haben. Zudem könnte die forcierte Ausweisung von illegalen Arbeitskräften zu einem Lohnschub führen. Stärkerer Preisauftrieb in den USA und Großbritannien durch Trumpflation und Brexit Zuletzt lag der Anstieg der Teuerung in den USA bei 1,6 %. Bei stärkerem Wachstum, Vollbeschäftigung und weiter steigenden Löhnen erwarten wir, dass die US-Inflation im nächsten Jahr auf 2,2 % nach 1,3 % im Jahr 2016 anziehen wird. In Großbritannien steigt die Inflation nach dem Brexit-Votum bereits deutlich. Im November kletterten die Verbraucherpreise um 1,2 %. Wir erwarten, dass die massive Abwertung des Pfunds als Folge des Brexits die Importpreise weiter kräftig steigen lässt und die Inflation kurzfristig deutlich anziehen wird. Für 2017 sehen wir daher einen Sprung der Teuerung auf 2,5 % (nach 0,6 % in 2016) voraus. Wir erwarten für 2017 eine US-Inflation von 2,2 % und eine Inflation von 2,5 % in Großbritannien 2. Divergierende Geldpolitik 2.1. EZB gibt weiter Gas Die EZB bleibt bei ihrer extrem expansiven Geldpolitik. Um einem anhaltenden Preisrückgang auf breiter Front (Deflation) vorzubeugen, beschloss die Bank im März 2016 ein dickes Bündel geldpolitischer Maßnahmen: Sie senkte den Leitzins um fünf Basispunkte auf 0,00 % und den Einlagezins um weitere zehn Basispunkte auf –0,40 %. Zudem stockte sie ihr Wertpapierankaufprogramm1 von 60 Mrd. Euro auf 80 Mrd. Euro monatlich bis März 2017 auf, um ihr stabilitätspolitisches Ziel einer Inflation von „unter, aber nahe 2 %“ zu verteidigen. Nachdem die Deflationsgefahren inzwischen abgeklungen sind, ist die zusätzliche Liquiditätsspritze nun aber aus Sicht der EZB nicht länger nötig, sodass die EZB das Volumen ihrer Wertpapierankäufe ab April 2017 wieder auf 60 Mrd. Euro zurückführen will. Gleichzeitig hat sie das Wertpapierankaufprogramm aber um EZB verlängert Wertpapierankaufprogramm mit reduziertem Volumen 1Aktuell werden monatlich 80 Mrd. Euro und ab April 2017 bis Dezember 2017 weitere 60 Mrd. Euro monatlich für den Kauf von Kreditverbriefungen (ABS, Asset-Backed Securities) und gedeckten Schuldverschreibungen (Covered Bonds) sowie öffentlichen Anleihen und Unternehmensanleihen ausgegeben. Die EZB hat inzwischen Vermögenswerte des öffentlichen Sektors in Höhe von 1.211,7 Mrd. Euro und seit Anfang Juni 2016 Vermögenswerte des Unternehmenssektors in Höhe von 48,2 Mrd. Euro erworben. Im Rahmen des dritten Programms zum Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen wurden 203,5 Mrd. Euro angekauft. ABS-Anleihen wurden in Höhe von 22,5 Mrd. Euro erworben (Stand: 2. Dezember 2016). 35 neun Monate bis Dezember 2017 verlängert. Die EZB setzt ihre expansive Geldpolitik fort. Die Banken werden weiter mit reichlich Liquidität versorgt und die Leitzinsen werden voraussichtlich bis mindestens 2018 auf diesem Niveau verharren. 2.2. Fed startet neuen Zinserhöhungszyklus Die Fed wird die Zinsen 2017 voraussichtlich weiter bis auf 1,5 % erhöhen Die Fed hat ihren Leitzins im Dezember mit Blick auf die lebhafte Konjunktur, die gute Entwicklung des Arbeitsmarktes und die anziehende Inflation um 25 Basispunkte auf 0,75 % angehoben. Unseres Erachtens nach hat sie damit einen neuen Zinserhöhungszyklus gestartet. So ist die Arbeitslosenquote zuletzt auf 4,6 % gefallen und die Stundenlöhne sind um 2,5 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Zudem rückt das Inflationsziel der Fed von 2 % immer näher. Der Preisanstieg gemessen am Deflator der persönlichen Verbrauchsausgaben (Oktober: 1,4 %, Kernrate 1,7 %), der von der Fed als Inflationsmaßstab herangezogen wird, liegt zwar weiterhin unterhalb der Zielgröße. Fed-Präsidentin Yellen ist aber zuversichtlich, diesem Ziel mit anziehender Konjunktur und stärker ausgelastetem Arbeitsmarkt immer näher zu kommen. Deshalb erwarten wir, dass die Fed ihren Leitzins im nächsten Jahr noch dreimal um je 0,25 % anheben wird, sodass er Ende 2017 bei 1,5 % liegen wird. 2.3. BoE nach Brexit-Votum im Wait-and-see-Modus BoE senkt Zinsen nach Brexit-Votum auf 0,25 % und bleibt expansiv Die Bank of England hat im Sommer auf das Brexit-Votum mit einer Zinssenkung um 25 Basispunkte auf 0,25 % reagiert und sogar noch einen weiteren Zinsschritt in Aussicht gestellt. Zudem nahm die BoE ihre quantitative Geldpolitik wieder auf und kauft monatlich 10 Mio. Pfund Unternehmensanleihen und 60 Mio. Pfund Staatsanleihen an. Da sich die Verunsicherung nach dem Brexit inzwischen weniger konjunkturbremsend auszuwirken scheint als ursprünglich von den Währungshütern befürchtet, ist BoEGouverneur Carney von einer weiteren Zinssenkung wieder abgerückt und will nun erst einmal die weitere Entwicklung von Konjunktur und Inflation abwarten. So konstatiert der Inflationsbericht der BoE vom November, dass sich die kurzfristigen Konjunkturaussichten inzwischen besser darstellen als noch vor drei Monaten erwartet. Mit Blick auf die massive Pfundabwertung nach der Brexit-Entscheidung sieht die BoE für Ende 2017 und das Folgejahr jeweils eine Inflation von 2,7 % voraus (zuvor: 2 % beziehungsweise 2,4 %; wir erwarten 2,5 % beziehungsweise 2,4 %). Da Carney ein „gewisses Überschießen“ der Inflation tolerieren will, wird die BoE ihre Zinsen bis Ende 2018 voraussichtlich bei 0,25 % belassen. Sollte die Inflation aber wesentlich kräftiger steigen als erwartet, könnte die BoE ihre Geldpolitik allerdings auch bereits früher straffen. 3. Zinsen: Sanfter Renditeanstieg 3.1. 2016: Negativzinsen Rendite zehnjähriger Bundesanleihen Mitte 2016 erstmals negativ 36 Nach der Entscheidung der EZB im März 2016, den Leitzins aufgrund der bestehenden Deflationsgefahren auf 0,00 % und den Einlagezins auf –0,40 % zu senken und ihr Wertpapierankaufprogramm aufzustocken, gingen die Renditen immer weiter zurück. Mitte Juni 2016 notierten zehnjährige Bundesanleihen erstmals im negativen Bereich und fielen nach der Brexit-Entscheidung bis auf –0,2 %. Nachdem die EZB im Spätsommer dann aber zunächst keine Verlängerung ihres Wertpapierankaufprogramms angekündigt hatte, konnten die Zinsen erstmals wieder die Nulllinie überspringen. Bessere Konjunkturdaten, die Rückkehr der Inflation und die absehbare Zinserhöhung der Fed kamen hinzu. Nach der Trump-Wahl verließen die Zinsen auf beiden Seiten des Atlantiks ihr tiefes Tal dann endgültig. Die von Trump angekündigten kreditfinanzierten Infrastrukturinvestitionen ließen Inflationserwartungen und Zinsen vor allem in den USA spürbar steigen. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen stieg bis auf 2,45 %. Auch in der Eurozone zogen die Inflationserwartungen und die Zinsen mit Blick auf die Ölpreise und die anhaltende Aufwärtsbewegung der Konjunktur an. Die Zinsen zehnjähriger Bundesanleihen koppelten sich zeitweise von diesem Trend ab, stiegen nach der angekündigten monatlichen Reduzierung des Anleiheankaufvolumens der EZB Anfang Dezember aber wieder an und kletterten auf rund 0,40 % (Abbildung 17). Seit Ende 2016 Trendwechsel im Zuge von Trumpflation Abb. 17: Deutschland und USA – Renditen zehnjähriger Staatsanleihen 7 7 Deutschland USA 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 0 -1 Jan 99 Jan 01 Jan 03 Jan 05 Jan 07 Jan 09 Jan 11 Jan 13 Jan 15 -1 In %. Quelle: Bloomberg. 3.2. 2017: Moderat aufwärts Die Zinsentwicklung dürfte auch 2017 im Spiegelbild der Inflationsentwicklung und des politischen Geschehens in den USA und Europa stehen. In den USA sehen wir mit Blick auf drei weitere Zinserhöhungen der Fed sowie den Einfluss der Trumpenomics per Jahresende 2017 Renditen von 3,10 % für zehnjährige Staatsanleihen voraus. Da die Präsidentschaft unter Trump aber auch ein hohes Unsicherheitspotenzial birgt, sollte der Renditeanstieg gleichzeitig gedeckelt sein. Gänzlich werden sich die Zinsen diesseits des Atlantiks trotz der divergierenden Geldpolitik nicht von den USA abkoppeln können. Deutsche Staatsanleihen werden aber als sicherer Anlagehafen gerade in politisch unsicheren Zeiten gefragt bleiben. Wir erwarten daher, dass die Zinsen unter Schwankungen nur moderat steigen werden, und sehen für Ende 2017 für zehnjährige Bundesanleihen Renditen um 0,75 % voraus. Eine klare Wende hin zu deutlich höheren Zinsen zeichnet sich damit auch angesichts der weiterhin expansiven Geldpolitik der EZB vorerst nicht ab. Wir erwarten für 2017 auf beiden Seiten des Atlantiks moderat steigende Zinsen 37 III. Währungen: Der US-Dollar gibt den Ton an (Dr. Jörn Quitzau) Brexit und US-Wahl als Hauptereignisse 2016 Das Jahr 2016 war auch für die Devisenmärkte aufregend. Vor allem die zwei alles überragenden Ereignisse – Brexit-Referendum und US-Präsidentschaftswahl – haben deutliche Spuren bei den Wechselkursen hinterlassen. Sehr überraschend fiel die Reaktion des Devisenmarktes auf die Wahl Trumps aus: Bis zum Wahltag galt es vielen Beobachtern als ausgemacht, dass ein Sieg des republikanischen Politikneulings zu erheblichen Kursausschlägen für den Dollar-Wechselkurs führen würde. Doch abgesehen von einem kurzen Abtauchen des US-Dollars in den Stunden unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses war die Richtung für den Dollar klar: aufwärts. 1. US-Dollar: Trump entfacht Zinsphantasie Geht die volatile Seitwärtsbewegung zu Ende? Der US-Dollar hatte zwischen Juni 2014 und März 2015 gegenüber den Währungen der wichtigsten US-Handelspartner einen steilen Aufwärtstrend eingeschlagen. Grund dafür war die Aussicht auf eine deutlich straffere Geldpolitik der amerikanischen Notenbank. Als sich abzeichnete, dass der Zinserhöhungszyklus auf sich warten lässt, ging dem USDollar die Luft aus. Die volatile Seitwärtsbewegung geht nun möglicherweise zu Ende (Abbildung 18). In jedem Fall stieg der handelsgewichtete US-Dollar in den zehn Tagen nach der Wahl um gut 3 %. Lebt der Aufwärtstrend nun also wieder auf? Abb. 18: Handelsgewichteter US-Dollar 100 100 90 90 80 80 70 70 60 Dez 06 60 Dez 08 Dez 10 Dez 12 Dez 14 In Punkten. Quelle: Bloomberg. Inflation als Treiber für die Zinsen Getrieben wird der Wechselkurs durch die Aussicht auf höhere Zinsen in den USA. Beobachter erwarten, dass die Wirtschaftspolitik der Marke Trump zu steigenden Inflationsraten und somit zu höheren Leit- und Kapitalmarktzinsen führen wird (siehe Seite 37). Der daraus resultierende amerikanische Zinsvorteil macht den US-Dollar für Investoren interessant. Im Gegenzug wird Kapital aus anderen Währungsräumen, insbesondere aus Schwellenländern, abgezogen. Die gesamtwirtschaftlichen Aussichten sprechen also für einen weiterhin starken US-Dollar. Rahmenbedingungen sprechen für höhere Leitzinsen Könnten die Erwartungen auf steigende Zinsen in den USA erneut enttäuscht werden? Der erwähnte Aufwärtstrend des Dollars kam 2015 auch deshalb ins Stocken, weil die Notenbank unter anderem aus Angst vor den konjunkturellen Folgen einer zu stark 38 werdenden Währung nur einen Zinsschritt machte und danach auf weitere Zinserhöhungen verzichtete. Kann sich die Geschichte wiederholen? Gänzlich auszuschließen ist dies nicht, aber die Rahmenbedingungen sind diesmal anders: Die Konjunktur ist robust, mit einer Arbeitslosenquote von 4,6 % herrscht Vollbeschäftigung und die Preisentwicklung zeigt klar nach oben. Zudem dürften die negativen Auswirkungen eines starken Dollars durch das in Aussicht stehende Konjunkturprogramm abgefedert werden. Eine Notenbank, die sich selbst ernst nimmt, kann in einer solchen Gemengelage eigentlich nicht untätig bleiben und muss mit weiteren Zinserhöhungen die Geldpolitik normalisieren. Der Anstieg des Dollars könnte prinzipiell auch dadurch gestoppt werden, dass andere Notenbanken dem Vorbild der amerikanischen Fed folgen und ihre Geldpolitik ebenfalls straffen. Für das Währungspaar Euro/US-Dollar ist dies aber unwahrscheinlich. Die EZB hat sich auf ihrer jüngsten Sitzung im Dezember weit aus dem Fenster gelehnt und keinen Spielraum für eine nennenswert straffere Geldpolitik im Jahr 2017 gelassen. Der Euro wird es deshalb schwer haben, vom jetzigen Niveau aus in größerem Umfang zuzulegen. Vielmehr könnten die Marktakteure ihre Idee von der „magischen Anziehungskraft der Parität“ wiederentdecken. Bei Kursen unterhalb von 1,05 US-Dollar je Euro könnte diese Diskussion erneut Fahrt aufnehmen. Die EZB wird der Fed vorerst nicht folgen Fundamental orientierten Volkswirten erschließt sich nicht recht, worin die besondere, magische Anziehungskraft der Parität liegen soll. Aber wenn nur genügend Marktteilnehmer daran glauben, dass der Wechselkurs zwischen Euro und US-Dollar auf 1:1 sinkt, dann kann es in einem Akt sich selbst erfüllender Prophezeiungen tatsächlich zu diesem Austauschverhältnis kommen. Fakt ist aber auch, dass beim letzten Mal, als die vermeintliche Anziehungskraft der Parität diskutiert wurde und deren Überschreiten schon als beschlossene Sache galt, der Markt vorzeitig drehte. Der Euro setzte sich bei einem Wechselkursniveau von 1,05 US-Dollar je Euro gegen eine weitere Abwertung zur Wehr (Abbildung 19). Wir erwarten für das Jahr 2017, dass der Wechselkurs des Euro zum US-Dollar unter größeren Schwankungen zunächst etwas stärker wird, zum Jahresende 2017 aber etwa auf das gegenwärtige Niveau zurückkehrt. Magische Anziehungskraft der Parität? Abb. 19: Euro in US-Dollar 1,4 1,4 1,3 1,3 1,2 1,2 1,1 1,1 1,0 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Dez 15 1,0 Dez 16 Quelle: Bloomberg. 39 2. Schweizer Franken: Same procedure as every year Für 2017 sind keine großen Sprünge zu erwarten Jahr für Jahr das gleiche Bild: Der Schweizer Franken ist sehr teuer und müsste perspektivisch eigentlich an Wert verlieren. Doch weil der Franken als sicherer Anlagehafen in unruhigen Zeiten gesucht wird, sorgen die vielen Krisen und politischen Unwägbarkeiten immer wieder für neue Kapitalflüsse in die Schweiz. Im Ergebnis kommt der Franken nicht von der Stelle. Er schwankte im Jahr 2016 zwischen 1,07 und 1,11 Franken je Euro (Abbildung 20). Wir erwarten auch für das Jahr 2017 keine großen Abweichungen von dieser Bandbreite: Viel höhere Eurokurse sind wegen der weiter sehr expansiven Geldpolitik der EZB unwahrscheinlich. Falls hingegen der Franken noch stärker Richtung Parität aufzuwerten droht, würde die Schweizer Nationalbank (SNB) voraussichtlich stärker am Devisenmarkt intervenieren, um dem entgegenzuwirken. Auch 2016 war die SNB immer wieder am Devisenmarkt aktiv. Zum Jahresende 2017 sehen wir den Wechselkurs bei 1,10 Franken je Euro. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch im Jahresverlauf abnehmende Spannungen in der EU und zum Jahresende eine ernstzunehmende Aussicht auf eine straffere EZB-Politik. Abb. 20: Euro in Schweizer Franken 1,3 1,3 1,2 1,2 1,1 1,1 1,0 1,0 0,9 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Dez 15 0,9 Dez 16 Quelle: Bloomberg. 3. Britisches Pfund: Unbekanntes Gelände Pfund reagiert erwartungsgemäß auf Brexit-Votum Konsumenten, Unternehmen sowie verschiedene Kapitalmarktsegmente haben sich überraschend wenig vom Brexit-Votum beeindrucken lassen (siehe Abschnitt zu Großbritannien). Dagegen erfüllte der Devisenmarkt die negativen Erwartungen: Das Britische Pfund ging unmittelbar in den freien Fall über. Auf handelsgewichteter Basis verlor das Pfund binnen zweier Handelstagen fast 10 % seines Wertes (Abbildung 21). Auch der Euro profitierte von der Pfund-Schwäche: Vor dem Referendum gab es für einen Euro nur rund 0,77 Pfund, am Tag danach bereits 0,83 Pfund je Euro. In den folgenden Wochen und Monaten legte der Euro zum Pfund immer weiter zu, sodass ein Euro kurzzeitig 0,94 Pfund wert war. Wir hatten im schlimmsten Fall damit gerechnet, dass die Gemeinschaftswährung gegenüber dem Pfund bis zum Spitzenwert während der globalen Finanzkrise steigen könnte (rund 0,98 Pfund je Euro am 30. Dezember 2008). Harter oder weicher Brexit? Der Devisenmarkt spiegelte in den vergangenen Monaten die jeweiligen Erwartungen über die Härte der Ausstiegskonditionen wider. Dies dürfte auch künftig einer der Haupttreiber für das Britische Pfund sein. Seit der High Court entschieden hat, dass 40 Premierministerin May das Parlament bei den Brexit-Entscheidungen miteinzubeziehen hat, wurde die Hoffnung auf einen weicheren Brexit genährt. Das Pfund konnte sich stabilisieren und ein ganz kleines Comeback feiern. Für einen Euro gab es Mitte Dezember nur noch rund 0,84 Pfund. Derzeit berät der Supreme Court, ob May das Austrittsgesuch übergeben darf, ohne vorher das britische Parlament zu befragen. Sollte es beim Mitspracherecht für das Parlament bleiben, wären es gute Nachrichten für das Pfund. Das Urteil wird für Mitte Januar erwartet. Abb. 21: Handelsgewichtetes Britisches Pfund 110 110 100 100 90 90 80 80 70 Dez 06 Dez 08 Dez 10 Dez 12 Dez 14 70 In Punkten. Quelle: Bloomberg. Wir sehen in unserem Hauptszenario für das Jahr 2017 eine etwas schwächere britische Währung. Der Euro dürfte wieder Richtung 0,90 Pfund je Euro steigen. Allerdings bewegen wir uns auf weitgehend unbekanntem Gelände, denn es gab ja vorher noch keinen Fall, in dem ein Land die EU verlassen hat. Die Unwägbarkeiten sind in Großbritannien und in Europa sehr hoch. Sollte sich beispielsweise doch ein harter Brexit abzeichnen oder sollten in der EU/Eurozone weitere Risse sichtbar werden, dann könnten die Ausschläge am Devisenmarkt im Jahr 2017 beträchtlich ausfallen. Weiterhin außergewöhnlich große Unwägbarkeiten 4. Japanischer Yen: Immer für eine Überraschung gut Japan hat eine seltsame Währung. Fast alles spricht gegen den Yen: Das magere Wachstum wird mit laxer Geld- und Fiskalpolitik teuer erkauft, Strukturreformen kommen nicht voran, bei den Staatsschulden ist Japan Weltmeister – und doch konnte der Yen seinen Aufwärtstrend auch 2016 lange Zeit fortsetzen. Bis Mitte des Jahres legte der Yen zum US-Dollar in der Spitze um gut 20 % und zum Euro um etwas mehr als 17 % zu. Es folgte eine Seitwärtsbewegung. Erst seit der amerikanischen Präsidentschaftswahl ist der Yen unter Druck geraten. Per saldo bleibt aber noch ein Jahresgewinn. Da sich die japanische Notenbank zum Ziel gesetzt hat, die Langfristzinsen zu kontrollieren und niedrig zu halten, dürfte der Yen gegenüber dem US-Dollar unter Druck bleiben, denn für die USA werden steigende Zinsen erwartet. Da die Zinsen in der Eurozone recht niedrig bleiben dürften, ist für den Wechselkurs Euro/Yen ein klarer Trend dagegen weniger wahrscheinlich. Dennoch: Japan ist zwar auch von der Zinsseite her unattraktiv, gleichwohl sind zwischenzeitliche Kursgewinne nicht ausgeschlossen. Der Yen gilt trotz allem als sicherer Anlagehafen und steigt regelmäßig, sobald es an den Märkten turbulent wird, weil Japaner dann Auslandsgelder repatriieren. Trotz eigener struktureller Probleme profitiert der Yen von internationalen Krisen 41 IV. Rohstoffe: Zyklische Erholung verliert 2017 an Schwung (Wolfgang Pflüger) Erstmals seit fünf Jahren mit positiver Wertentwicklung Erstmals seit 2011 geht der Rohstoffsektor 2016 mit einer positiven Wertentwicklung aus dem Jahr. Sie fällt mit knapp 20 % sogar recht deutlich aus, wie Chart und Tabelle im Nachfolgenden nachzeichnen. Damit wird dennoch erst wieder das Niveau des Herbstes 2014 erreicht. Folglich wird auch kein neuer Hausse-Trend begründet. Nach unserer Einschätzung handelt es sich vielmehr um eine durchaus länger anhaltende Aufwärtskorrektur innerhalb der vorherrschenden Mega-Baisse. Der Spielraum für weitere Preissteigerungen wird enger. Industriemetalle und Öl mit Preissprüngen Hauptstützen der anziehenden Notierungen waren die erholten Ölpreise, denen sich wichtige Industriemetalle nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten anschlossen. Es kam zu Preissprüngen von mehr als 40 % im Jahresvergleich. Ein uneinheitliches Bild vermitteln die Edelmetalle. Bis in den Spätsommer hinein lagen sie an der Spitze. Dann griff auch hier der Trump-Faktor, allerdings mit negativem Vorzeichen. Anziehende Anleiherenditen und der starke Dollar führten zu spürbaren Abgaben. Der Trend kehrte sich um. Tab. 3: Entwicklung des Rohstoffsektors Bloomberg Commodity Index Preise per 19.12.2016 in US-Dollar Jahresveränderung in % 100,06 +14,9 Kupfer 5 561 +18,3 Aluminium 1 717 +13,9 Blei 2 185 +21,3 Nickel 10 850 +25,2 Zink 2 632 +64,5 Zinn 21 300 +46,0 Gold 1 138 +7,2 15,96 +15,2 679,13 +20,6 Silber Palladium Platin Öl (Brent) 916 +2,6 54,92 +47,3 Quelle: Bloomberg. 1. Öl: Ohne OPEC-Disziplin keine Preisstabilität Wichtige OPEC-Beschlüsse 42 Der Verlauf der Rohölnotierungen (hier des Nordseeöls Brent) gestaltete sich 2016 sehr volatil. Der zyklische Tiefpunkt wurde im Februar mit 27 US-Dollar je Fass erreicht – ein unauskömmliches Niveau für die meisten Produzentenländer. In der Folge sondierten die Öl produzierenden und exportierenden Länder (OPEC) Möglichkeiten einer Förderkürzung unter Einbezug anderer Nationen wie Russland. Eine Preiserholung setzte ein, die nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zu Notierungen oberhalb der 50-US-Dollar-Marke führte. Abb. 22: Öl – Preis pro Fass der Sorte Brent 135 135 115 115 95 95 75 75 55 55 35 35 15 Jan 09 15 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Jan 15 Jan 16 In US-Dollar. Quelle: Bloomberg. Ende 2016 gestaltet sich die Marktlage wie folgt: Global werden etwa 96,1 Mio. Fass/Tag (davon 33,8 Mio. Fass/Tag von der OPEC) gefördert. Auf diesem Stand übertrifft das Angebot die Nachfrage um circa 1,8 Mio. Fass/Tag, wobei die Nachfrage im Jahresdurchschnitt auf 94,3 Mio. Fass/Tag geschätzt wird. Für 2017 erwarten die Internationale Energie Agentur und die OPEC einen Anstieg auf 95,4 Mio. Fass/Tag. Ein Marktgleichgewicht wäre also möglich, wenn die OPEC-Beschlüsse tatsächlich umgesetzt werden. Sie sehen eine Kürzung der zuletzt erreichten Tagesproduktion von 33,8 Mio. Fass/Tag auf 32,6 Mio. Fass/Tag vor. Der Löwenanteil entfällt auf SaudiArabien, das sich von etwa 10,5 Mio. Fass/Tag auf 10 Mio. Fass/Tag beschränken will. Der Irak, Kuweit, Katar und die UAE steuern 510 000 Fass/Tag bei. Iran, Nigeria und Libyen bleiben ausgenommen. Im Ergebnis wird die OPEC-Produktion damit dennoch nicht wirklich gekürzt. Im Vorfeld der Verhandlungen hatten alle wichtigen Förderländer ihren Output nämlich massiv ausgeweitet. Das angestrebte Niveau entspricht somit lediglich dem Stand vom Januar 2016. Selbst Russland leistet einen Beitrag. Das Land will während des ersten Halbjahres 2017 schrittweise auf 300 000 Fass/Tag verzichten. Auch das entspräche dem Stand vom Januar 2016. Abbau des Überangebots bei Förderdisziplin möglich Es gibt jedoch gewichtige Faktoren, die das Angleichen von Angebot und Nachfrage gefährden: 1) Mit Nigeria und Libyen bleiben zwei einstmals wichtige OPEC-Staaten von Förderkürzungen ausgenommen. Die bürgerkriegsähnlichen Eskalationen haben dort inzwischen ihren Höhepunkt überschritten. Nach einer Befriedung könnten diese Länder ihre Produktion ohne Weiteres relativ kurzfristig um 1,2 Mio. Fass/Tag ausweiten. 2) Die US-Schieferölproduktion ist 2016 entgegen den ursprünglichen Erwartungen nicht gesunken, sondern hat sogar leicht zugelegt. Die Bohraktivitäten stiegen seit Mai 2016. Denn die Förderkosten konnten seit 2014 in etwa halbiert werden. Bei Weltmarktpreisen von um die 50 US-Dollar je Fass ist die Industrie absolut wettbewerbsfähig und sieht sich selbst in der Lage, ihre Produktion relativ kurzfristig um bis zu 1 Mio. Fass/Tag auszudehnen. 3) Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Kanada, Brasilien und Kasachstan ihre Fördermengen 2017 ausdehnen. Gewichtige Stolpersteine 43 Hohe Preisschwankungen wohl auch in 2017 Es kann daher nicht als gesichert gelten, dass die OPEC-Beschlüsse allein zu einem neuen Marktgleichgewicht führen, zumal es der Organisation in der Vergangenheit häufiger nicht gelang, ihre Zielvorgaben aufgrund innerer Streitigkeiten 1:1 umzusetzen. Die Versorgung der Ölmärkte dürfte starken monatlichen Schwankungen ausgesetzt sein. Wir erwarten daher einen volatilen Preisverlauf, bei dem 60 US-Dollar aus fundamentaler Sicht zu einem wesentlichen Bremsklotz werden dürften. 2. Gold: Finanzinvestoren entscheiden über den weiteren Trend Schwache physische Nachfrage Die physische Goldnachfrage blieb während des gesamten Jahres 2016 enttäuschend schwach. Das gilt vor allem für die beiden Hauptabnehmerländer Indien und China, die normalerweise gut 50 % der Weltnachfrage auf sich vereinen. Aus der Sicht indischer Konsumenten war zunächst der Preis in Rupien (Abwertung gegenüber dem US-Dollar) zu hoch, dann war in Folge des „Cash-Chaos“ kein Geld mehr da. Die Einfuhren sanken um 29 %. Nach China wurden 13 % weniger geliefert. Die im Herbst verschärften Kapitalverkehrskontrollen spielten eine Rolle. Aber auch die Schmuckindustrie fragte global weniger Gold nach. Dennoch kletterten die Goldnotierungen zwischen Januar und August bis auf 1 370 US-Dollar/Unze und damit um mehr als 30 %. Abb. 23: Goldpreis gegenüber globalen Gold-ETF-Beständen 2 100 85 000 1 750 75 000 1 400 65 000 1 050 55 000 700 45 000 350 0 Jan 08 Goldpreis je Unze Gold-ETF-Bestände in Unzen Jan 09 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Jan 15 Jan 16 35 000 25 000 Goldpreis je Unze in US-Dollar; Gold-ETF-Bestände in tausend Unzen. Quelle: Bloomberg. Trump-Wahl bewirkt verändertes Finanzanlegerverhalten 44 Es waren die Finanzanleger, die ihre Engagements in mit physischem Gold unterlegten Produkten erheblich ausdehnten, und zwar um etwa 18 Mio. Unzen auf einen zwischenzeitlichen Spitzenbestand von gut 82 Mio. Unzen. Sie wollten gegen immer weiter um sich greifende Negativzinsen und politische Risiken wie den Brexit und die US-Wahlen gewappnet sein. Die physische Nachfrageschwäche wurde so überkompensiert. Nach der Trump-Wahl kippte der Trend. Trumps wirtschaftspolitische Agenda setzt auf staatliche Konjunkturankurbelung und Steuersenkungen und dürfte sich reinflationierend auswirken. Die Zinserwartungen haben sich nach oben verschoben. Die für die Preisbildung ausschlaggebenden Finanzinvestoren reagierten und bauten ihre ETF-Bestände allein im November um 6 Mio. Unzen ab. Die Goldnotierungen brachen ein, der Aufwärts- wurde zu einem Abwärtstrend. Sicherlich wird Gold mittel- bis langfristig seiner Werterhaltungsfunktion gerade in Abwertungswährungen gerecht werden. Dazu zählt derzeit ja auch der Euro. In Europa stehen 2017 zudem richtungsweisende Wahlen an – ein Unsicherheitsfaktor. Steigende Inflationsraten könnten bei zögerlich reagierenden Zentralbanken zu anhaltend negativen Realzinsen führen. Das sind die Stützen des Goldmarktes. Goldmarktstützen Andererseits ist das Verhalten der Finanzinvestoren schwer prognostizierbar. Setzt sich deren Bestandsabbau fort – wofür zur Jahreswende einiges sprach –, bleibt Gold unter Druck. Daher dürften während der ersten Jahresmonate die Abwärtsrisiken überwiegen. Wir erwarten zunächt eine Schwankungsbreite zwischen 1 000 und 1 200 US-Dollar pro Unze. Im weiteren Jahresverlauf könnte Gold dann wieder Richtung 1 300 US-Dollar pro Unze zulegen. Zunächst überwiegen Abwärtsrisiken 3. Industriemetalle: Verhaltene Aussichten nach teilweise extremen Preissprüngen Mit teilweise extremen Preissprüngen haben viele Industriemetalle ihre mehrjährigen Abwärtstrends beendet. So explodierten die Zinknotierungen seit dem Januartief 2016 um mehr als 90 %. Es verblieb eine Jahresperformance von knapp 70 % (Tabelle 3, Seite 43). Aufgrund von Minenschließungen in 2015 wechselte der Markt von einem Angebotsüberhang in ein Defizit. Daran wird sich 2017 wenig ändern. Eine ähnliche Entwicklung nur mit geringeren Preisausschlägen nahm der Zinn- und Nickelabsatz. Abwärtstrends beendet Moderater entwickelten sich die Kupferpreise. 2016 nahm die Minenproduktion trotz des chinesischen Baubooms wohl ein letztes Mal schneller als die Nachfrage zu. Nun erwartet die International Copper Study Group ein annäherndes Gleichgewicht. Unsicherheitsfaktoren für die weitere Preisbildung sind in der vermutlich leicht rückläufigen Nachfrage aus dem Reich der Mitte – der Immobiliensektor dürfte sich abkühlen – und in dem tendenziell festeren US-Dollar zu sehen. Eine Dollaraufwertung belastet den gesamten Rohstoffsektor grundsätzlich. Zu beachten ist auch der immer stärker werdende Einfluss der Terminbörse in Shanghai. Hier kam es 2016 wiederholt zu spekulativen Exzessen, die die dortige Börsenaufsicht einschreiten ließen. Fundamental hat sich das Bild also durchaus verbessert. Möglicherweise haben die Preissprünge des Jahres 2016 aber auch schon viel davon vorweggenommen. Kupfer nähert sich Marktgleichgewicht Abb. 24: China – Kupferpreis und Einkaufsmanagerindex 10 000 57 Kupferpreis Einkaufsmanagerindex (rechte Skala) 8 000 54 6 000 51 4 000 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Jan 15 Jan 16 48 Kupferpreis in US-Dollar pro Tonne. Einkaufsmanagerindex in Punkten. Quellen: Bloomberg, China Federation of Logistics and Purchasing. 45 TEIL 6 KAPITALMARKTSTRATEGIE (Dirk Trochelmann) I. Aktien: Weiterhin attraktive Anlageklasse Aktien weiterhin attraktiv Aktien sind unter strategischen Aspekten weiterhin sehr bedeutsam für ein diversifiziertes Portfolio. Hervorzuheben sind zunächst die grundlegenden Eigenschaften. Zum einen partizipieren Aktien am volkswirtschaftlichen Wachstum und bieten einen gewissen Inflationsschutz. Zum anderen bieten Aktienanlagen grundsätzlich eine relativ gute Liquidität und auch über Dividenden laufende Ausschüttungen. Der einzige Wermutstropfen dieser Anlageklasse ist die vergleichsweise hohe Volatilität. Wirtschaftswachstum unterstützt Der vom Wirtschaftswachstum ausgehende Rückenwind wirkt sich umsatz- und meist auch gewinnsteigernd für die Aktiengesellschaften aus. Aktuell erwarten wir ein Wirtschaftswachstum in den entwickelten Volkswirtschaften im Rahmen des Wachstumspotenzials. Das Bruttoinlandsprodukt wird in den USA voraussichtlich um 2,4 % im Jahr 2017 zulegen und in Europa um 1,6 %. In den Schwellenländern sind Wachstumsraten von etwa 4,7 % möglich – regional jedoch mit starken Unterschieden. So werden zum Beispiel China mit 6,4 % und Indien mit etwa 7,5 % im Jahr 2017 deutlich stärker wachsen als die meisten anderen Schwellenländer. Moderate Inflation vorteilhaft Historisch haben Aktien bei leicht positiven bis moderaten Inflationsraten eine gute Wertentwicklung erzielt. Inflationsseitig liegt ein positives Umfeld für Aktien vor. So steigt die Inflation in den USA voraussichtlich im Jahr 2017 auf 2,2 % an. In ähnlichem Ausmaß wird auch in der Eurozone die Inflation auf dann 1,3 % zunehmen. Schwellenländer werden trotz eines marginalen Rückgangs insgesamt mit 8,4 % ein höheres Inflationsniveau behalten als die führenden Industrienationen. In China und Indien wird die Inflation mit 2,3 % respektive 4,5 % relativ stabil bleiben. Deutlich rückläufiger wird die Preissteigerung jedoch in lateinamerikanischen Ländern ausfallen. Gutes makroökonomisches Umfeld Das makroökonomische Umfeld bietet im Jahr 2017 grundsätzlich positive Voraussetzungen für die globalen Aktienmärkte. Obwohl die Rhetorik der führenden Notenbanken im Jahresverlauf 2016 etwas schärfer wurde, ist weiterhin von einem datenabhängigen Entscheidungspfad auszugehen. Dies bedeutet, dass ein Abwürgen des Konjunkturmotors durch übereilte oder übermäßige Zinserhöhungen beziehungsweise Rücknahme der quantitativen Lockerungsmaßnahmen sehr unwahrscheinlich ist. Langfristig attraktive Erträge Nicht nur der Ausblick auf das Jahr 2017 lässt attraktive Erträge aus Aktienanlagen erwarten. Auch auf Basis unserer langfristigen Ertragsprognosen erwarten wir in den kommenden Jahren attraktive Wertsteigerungspotenziale bei Aktienanlagen. Unternehmensgewinne werden im Jahr 2017 ansteigen Das Wirtschaftswachstum wird steigende Unternehmensgewinne fördern. Analysten schätzen Gewinnwachstumsraten von gut 11 % für amerikanische und 13 % für europäische Aktien. Für Gewinne von Schwellenländeraktien wird hingegen ein Plus von 46 12 % prognostiziert. Die erwarteten Gewinnwachstumsraten treten jedoch häufig nicht ein. Zum Jahreswechsel springen die erwarteten Gewinne je Aktie meist nach oben (Abbildung 25), was die positive Erwartungshaltung der Marktteilnehmer reflektiert. Im Jahresverlauf steigen diese manchmal, wie beim S&P 500 in einigen Jahren, in der Regel waren die jeweiligen Schätzungen vom Jahresanfang aber zu optimistisch. Abb. 25: Aktien – Gewinne je Aktie im laufenden Kalenderjahr 125 125 105 105 85 85 S&P 500 Stoxx Europe 600 MSCI Emerging Markets 65 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Dez 15 65 Dez 16 Index = 100 per 2. Dezember 2011. Quelle: Bloomberg. Europäische Aktien verfügen über ein relativ hohes positives Überraschungspotenzial. In den vergangenen fünf Jahren konnten die anfänglichen Gewinnerwartungen stets nicht gehalten werden. Sofern die prognostizierten Gewinne je Aktie im Jahr 2017 jedoch in etwa erreicht werden, sind deutliche Kurssteigerungen denkbar, da der Markt eher eine erneute Enttäuschung erwartet. Wie eine solche Entwicklung vonstatten gehen kann, zeigen die Schwellenländer. Die Gewinnentwicklung von Schwellenländeraktien enttäuschte mehrfach, im Jahr 2016 jedoch nicht mehr so dramatisch wie in den beiden Jahren zuvor. In der Folge erzielten Schwellenländeraktien im Jahr 2016 die beste Performance. Europäische Aktien mit positivem Überraschungspotenzial Gemessen am Kurs-Buchwert-Verhältnis sind US-Aktien im Vergleich zu Aktien aus Europa und den Schwellenländern relativ hoch bewertet (Abbildung 26). Geprägt ist der Bewertungsanstieg bei US-Aktien maßgeblich von Aktienrückkaufprogrammen. US-Aktien relativ hoch bewertet Abb. 26: Aktien – Kurs-Buchwert-Verhältnis 3,2 2,8 3,2 S&P 500 Stoxx Europe 600 MSCI Emerging Markets 2,8 2,4 2,4 2,0 2,0 1,6 1,6 1,2 Dez 11 Dez 12 Dez 13 Dez 14 Dez 15 1,2 Dez 16 Quelle: Bloomberg. 47 Sehr attraktive Dividendenrendite in Europa Europäische Aktien weisen derzeit die attraktivsten Dividendenrenditen auf, mit deutlichem Abstand folgen die anderen Märkte (Abbildung 27). Die prognostizierte Dividendenrendite europäischer Aktien beläuft sich auf 3,9 % für das Jahr 2017. Gerade im Kontext zu den momentan sehr niedrigen Renditen am europäischen Rentenmarkt erscheinen dividendenstarke Aktien umso attraktiver. Abb. 27: Aktien – prognostizierte Dividendenrendite 5,0 S&P 500 Stoxx Europe 600 MSCI Emerging Markets 4,5 5,0 4,5 4,0 4,0 3,5 3,5 3,0 3,0 2,5 2,5 2,0 Dez 11 Jun 12 Dez 12 Jun 13 Dez 13 Jun 14 Dez 14 Jun 15 Dez 15 Jun 16 2,0 Dez 16 In %. Quelle: Bloomberg. Fazit: Aktien übergewichten, Europa bevorzugen Aktien sollten im Jahr 2017 generell übergewichtet werden. Einerseits wegen der positiven makro- und mikroökonomischen Aussichten, andererseits auch im Vergleich zu Anleihen. Innerhalb der Anlageklasse Aktien bevorzugen wir europäische Titel, da diese vergleichsweise günstig bewertet sind und eine hohe Dividendenrendite bieten. II. Anleihen: Geringe Rendite bei hohen Kursrisiken Anleihen wenig attraktiv Anleihen sind momentan wegen ihres asymmetrischen Chance-Risiko-Profils wenig attraktiv. Aus strategischen Erwägungen sind Anleihen dennoch ein wichtiger Grundbaustein eines ausgewogenen Portfolios. Volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen nachteilig für Anleihen Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind für die Anlageklasse Anleihen ein wesentlicher Belastungsfaktor. Das Wirtschaftswachstum wird stabil bleiben und die Inflation ansteigen. Als Anhaltspunkt, ob eine zehnjährige Staatsanleiherendite angemessen ist, können das reale Wirtschaftswachstum sowie die Inflation addiert werden. Liegt die Summe über der aktuellen Rendite von zehnjährigen Staatsanleihen, ist deren Rendite zu gering und vice versa. Angesichts des erwarteten Wirtschaftswachstums von 1,5 % sowie einer erwarteten Inflation von 1,3 % in der Eurozone für das Jahr 2017 erscheint die derzeitige Rendite zehnjähriger Bundesanleihen von rund 0,3 % als zu niedrig. Demnach könnte die Rendite ökonomisch begründbar um etwa 2,5 Prozentpunkte ansteigen. Allerdings bleibt in dem Modell die aktuell vorliegende strukturelle Nachfrage unberücksichtigt. Hierzu zählen neben dem Status deutscher Bundesanleihen als sicherer Hafen in unsicheren Zeiten auch die Anleihekaufprogramme diverser Notenbanken und teilweise negative Einlagezinsen. Aus regulatorischen Gründen müssen beaufsichtigte Kapitalsammelstellen zudem viele Staatsanleihen in ihren Portfolios vor- 48 halten. Die Notenbanken werden irgendwann aus der ultraexpansiven Geldpolitik aussteigen. Dies führt dann zu einem Rückgang der Nachfrage nach Staatsanleihen. Makroökonomisch und strukturell begründet werden auf Dauer deshalb auch die Renditen von Anleihen höchster Bonität steigen. Derzeit stehen am Rentenmarkt geringe Renditen relativ großen Kursänderungsrisiken gegenüber. Es liegt also eine Asymmetrie zwischen Chance und Risiko vor. Ein Beispiel: Eine neu emittierte deutsche Staatsanleihe mit zehnjähriger Laufzeit würde heute bei einem marktgerechten Zinskupon von 0,3 % über eine modifizierte Duration von 9,8 verfügen. Eine gleich lang laufende Anleihe würde bei einem marktgerechten Zinskupon von 4 % eine modifizierte Duration von 7,8 aufweisen. Die modifizierte Duration als Maßeinheit für die Zinssensitivität einer Anleihe drückt aus, in welchem Maß sich der Kurswert einer Anleihe verändert, wenn sich die Marktrendite um einen Prozentpunkt verändert. Bei einer Änderung der Marktrendite um einen Prozentpunkt würde sich eine Anleihe mit modifizierter Duration von 10 im Kurswert um 10 % verändern. Dies gilt natürlich für beide Richtungen, sowohl Kursgewinne als auch Kursverluste sind möglich, je nachdem, ob die Marktrendite fällt oder steigt. Asymmetrie am Rentenmarkt Aus den derzeitigen volkswirtschaftlichen und geldpolitischen Rahmenbedingungen ergibt sich das Risiko eines mittelfristig steigenden Renditeniveaus, somit also Wertverlustrisiken für Anleihen. Die Essenz aus dem bisherigen Argumentationsstrang ist für Absolute-Return-Anleger, die Duration möglichst gering zu halten, und für Benchmark-Anleger, eine relativ zur Benchmark niedrigere Kapitalbindungsdauer zu wählen. Fazit: Duration niedrig halten Das Anlagedreieck beschreibt die Ziele einer Kapitalanlage, bestehend aus Rentabilität, Sicherheit und Liquidität. Das stärkere Erreichen eines Kriteriums bedingt normalerweise einen geringeren Erreichungsgrad mindestens eines anderen Kriteriums. Wegen des Renditerückgangs in den letzten Jahren war in der jüngeren Vergangenheit das Eingehen immer größerer Risiken – weniger Sicherheit – notwendig, um die Rentabilität eines Portfolios weitgehend konstant zu halten. Anlagestrategisch kann dies durch eine Erhöhung des Laufzeitrisikos – längere Kapitalbindungsdauer –, durch eine Erhöhung des Kreditrisikos oder durch eine Mischung aus beiden Varianten erreicht werden. Anlagedreieck: Rentabilität, Sicherheit und Liquidität In Anbetracht des erwarteten Renditeanstiegs erscheint eine längere Kapitalbindungsdauer nicht sinnvoll. Alternativ können mehr Kreditrisiken akzeptiert werden, was im Hinblick auf eine positive konjunkturelle Entwicklung vertretbar erscheint. Langfristiger orientierte Anleger können auch hinsichtlich der Liquidität Abstriche machen und somit das Ertragspotenzial der Vermögensanlage stärken. Dabei muss jedoch nicht notwendigerweise gleichzeitig auch eine längere Kapitalbindungsdauer akzeptiert werden. Laufzeitrisiken meiden, Kreditrisiken nur maßvoll einsetzen und alternativ gezielte Liquiditätsrisiken abwägen 49 Abb. 28: Anleihen – Renditen ausgewählter Indizes 10 8 10 Kerneuropa (D, FR, FIN, BEL) Europäische Peripherie (IT, ES, POR, IRL, GR) 8 6 6 4 4 2 2 0 0 -2 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 -2 In %. Quelle: Bloomberg. Staatsanleihen der Euro-Peripherie gegenüber denen der Kernländer bevorzugen Im Bereich der europäischen Staatsanleihen bevorzugen wir Länder der Euro-Peripherie gegenüber den Kernländern der Eurozone. Einerseits könnten sich die Risikoaufschläge zu Kerneuropa im Zuge der besseren konjunkturellen Entwicklung verringern, was zu Kursgewinnen führen würde. Andererseits bieten Staatsanleihen der Euro-Peripherie bei überschaubaren zusätzlichen Risiken vergleichsweise höhere laufende Renditen. Darüber hinaus weisen die Zinsstrukturkurven in der Peripherie eine deutlich ausgeprägtere Steilheit auf. Dies bedeutet, dass der Investor im Vergleich zu Anlagen in deutschen Bundesanleihen für jede Einheit Kapitalbindungsdauer mehr Zinsertrag erhält. Attraktive Kreditrisiken steigern die Portfoliorendite und diversifizieren Neben Durationsrisiken stellen attraktive Kreditrisiken einen wichtigen Portfoliobestandteil dar. Diese optimieren im Portfoliokontext die Gesamtrendite und liefern gleichzeitig vorteilhafte Diversifikationseffekte. Ein gutes Chance-Risiko-Verhältnis bieten europäische Hochzinsanleihen mit einer relativ kurzen Restlaufzeit und attraktiven Zinsvorsprüngen gegenüber Unternehmensanleihen. Weiterhin sind Hartwährungsanleihen der Emerging Markets mit kurzer Kapitalbindungsdauer sowie Anleihen von hochrentierlichen Frontier Markets längerfristig vielversprechende Investmentempfehlungen. Schließlich runden Mortgage-Backed Securities mit flexibler Durationssteuerung, die vom US-Zinszyklus und vom stabilen konjunkturellen Umfeld in den USA profitieren, die Portfoliobeimischung von Kreditrisiken ab. Da wir grundsätzlich steigende Inflationsraten und -erwartungen prognostizieren, empfehlen wir weiterhin eine Portfolioposition, die von steigenden Inflationserwartungen profitiert, jedoch keine Durationsrisiken eingeht. III. Alternative Investments: Hohes Diversifikationspotenzial Rohstoffe differenziert betrachten 50 Rohstoffe haben in den letzten Jahren turbulente Zeiten erlebt. Nachdem der Superzyklus, ausgelöst durch das enorme Wachstum der Emerging Marktes, abgeflaut ist, haben die Rohstoffmärkte an Attraktivität verloren. Das anhaltende Überschussangebot, unter anderem durch neue Technik wie Fracking in den USA, hat die Angebots-und Nachfragesituation bei Öl nachhaltig verändert. Die Rohstoffsektoren (Edelmetalle, Industriemetalle und Energierohstoffe) sind mittlerweile voneinander getrennt zu be- trachten. Je nach Marktphase können die Subbereiche jedoch einen Mehrwert – Rendite oder Risikoreduzierung – mit sich bringen. Derzeit bevorzugen wir Edelmetalle. Zur Diversifikation eines ausgewogenen Portfolios eignen sich Edelmetalle hervorragend, da sie mit ihrer neutralen Korrelation zu Aktien und Renten die Gesamtvolatilität reduzieren. Entgegen der weit verbreiteten Einschätzung bieten Edelmetalle – Gold im Speziellen – jedoch keinen eindeutigen Inflationsschutz. Es gab in der Vergangenheit stets Phasen am Kapitalmarkt, in denen die Wertentwicklung von Gold mit der Inflationsentwicklung nicht übereinstimmte. Bei genauer Untersuchung der Korrelation beider Faktoren ergibt sich in einem 50-jährigen Betrachtungszeitraum kein statistisch signifikanter Zusammenhang. Gold bietet keinen eindeutigen Inflationsschutz Gold bietet jedoch Schutz vor systemischen Risiken, zum Beispiel Krisen im Währungssystem oder infolge von militärischen Konflikten. Auch zeigte sich Gold sehr robust bei hohen Volatilitäten des Aktienmarktes in jüngerer Vergangenheit. In Summe bieten Edelmetalle einen vielseitigen Nutzen im Portfolio. Grundsätzlich empfehlen wir daher, Edelmetalle aus strategischen Überlegungen im Portfolio zu berücksichtigen. Gold bietet Schutz vor systemischen Risiken und zeigt sich robust bei hoher Aktienmarktvolatilität Im Bereich der liquiden Alternative-Investments-Strategien zielen wir darauf ab, attraktive Renditen bei gleichzeitig neutraler bis geringer Korrelation mit der Wertentwicklung von Aktien oder Anleihen zu erwirtschaften. Gerade vor dem Hintergrund des erwarteten Renditeanstiegs sollten diese Strategien im Portfoliokontext künftig einen höheren Stellenwert einnehmen. Sonstige alternative Investments mit geringer Korrelation zum Rentenmarkt vorteilhaft IV. Liquidität: Taktische Manövriermasse Unter Korrelations- und Portfoliostabilitätsaspekten bleibt Liquidität als Anlageklasse ein stets wichtiger Baustein. Aus portfoliotheoretischer Sicht ist Liquidität aufgrund der stabilen neutralen Korrelation gegenüber den gängigen Anlageklassen eine gute Möglichkeit, das Portfolio über schwierige Kapitalmarktphasen hinweg zu stabilisieren. Des Weiteren ist Liquidität als taktische Manövriermasse derzeit eine kostengünstige Option, bei Marktschwäche opportunistisch und antizyklisch Investments vorzunehmen. Liquidität liefert stabile neutrale Korrelationen sowie eine kostengünstige Option, in Marktschwäche opportunistisch zu investieren Aufgrund des mittelfristigen Aufwertungspotenzials empfehlen wir, Liquidität auch in US-Dollar anzulegen. Erstens sollte der US-Dollar von einer wachsenden Zinsdifferenz profitieren, wenn die US-Zinsen weiter erhöht werden, während sie in Europa auf niedrigen Niveaus verharren sollten. Zweitens sprechen die Dynamiken hinsichtlich des Wirtschaftswachstums und der erwarteten Inflationsentwicklung für eine Anlage von Liquidität in den US-Dollar. US-Dollar-Anlagen auch aus Euro-Anleger-Sicht sinnvoll 51 V. Kapitalmarktprognosen Zinsen (in %) Aktuell Prognose Ende 2017 USA 10 Jahre 2,54 3,10 Europa* 10 Jahre 0,25 0,75 Großbritannien 10 Jahre 1,40 1,80 USA EUR/USD 1,04 1,04 Europa EUR/CHF 1,07 1,10 Großbritannien EUR/GBP 0,84 0,88 Währungen Aktien USA S&P 500 Europa DAX 2 263 2 320 11 427 11 800 EURO STOXX 50 3 258 3 400 FTSE 100 7 017 7 500 Rohstoffe (in US-Dollar) Öl (Brent) 54,92 60 Gold 1 138 1 300 * Bundesanleihen. Quellen: Bloomberg, Berenberg. 52