Roswitha Heinrich-Weltzien, Julia Hentschel, Jan Kühnisch ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Indizes Dentin, Dentinogenesis imperfecta, Dentindysplasie, Phänotyp, Gene, Mutationen Zusammenfassung Genetisch bedingte Dentindefekte werden in drei Typen der Dentinogenesis imperfecta und zwei Typen der Dentindysplasie klassifiziert. Die autosomal-dominant vererbten Defekte treten isoliert oder mit syndromalen Erkrankungen auf. Als Ursache lassen sich vor allem Mutationen im Dentin-Sialophosphoprotein-Gen auf dem Chromosom 4q21 nennen. Es sind beide Dentitionen oder das Milchgebiss allein betroffen. Die Diagnose erfolgt anhand der Familienanamnese und einer detaillierten klinischen Untersuchung. Mit der Identifikation krankheitsverursachender Mutationen wird die genetische Diagnostik zukünftig an Bedeutung gewinnen. Phänotypisch imponieren opaleszierende perlmutt- bis bernsteinfarbene oder graublaue Zähne mit knollenartigen Zahnkronen und häufig obliterierten Pulpen. Der normal harte Schmelz splittert bei Kaubelastung rasch vom minder mineralisierten Dentin ab, so dass ausgeprägte Kronenattritionen die Folge sind. Das Therapiespektrum schließt die Sicherung der vertikalen Dimension und die Verbesserung der Ästhetik ein. Ziel ist eine langfristig ausgerichtete, funktionell und ästhetisch zufriedenstellende Rehabilitation in einem engmaschigen, präventiv orientierten Recall vom Kindes- bis ins Erwachsenenalter. Im Einzelfall muss die Entscheidung zwischen präventiver nicht invasiver oder minimalinvasiver Therapie mit adhäsiver Restauration, temporärer bis definitiver Kronenversorgung oder der Zahnextraktion getroffen werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einem Kieferorthopäden ist angezeigt. Einleitung Das Dentin ist das Produkt von spezialisierten, enddifferenzierten Zellen ektomesenchymalen Ursprungs, den Odontoblasten. Es bildet den Hauptanteil des Zahnes und gibt ihm seine Gestalt. Das Dentin umschließt die Pulpa und wird koronal vom Schmelz und radikulär vom Zement bedeckt. Voll entwickeltes Dentin besteht zu 70 % aus Mineral (anorganisches Hydroxylapatit), zu 20 % aus organischer Matrix und zu 10 % aus Wasser9. Kollagen Typ I stellt mit 90 % den Hauptbestandteil der organischen Matrixproteine des Dentins, des Knochens und der Haut dar29. Es formt die Gitterstruktur für die Kalzium- und Phosphatablagerung zur Bildung des Quintessenz 2016;67(1):9–23 9 Roswitha Heinrich-Weltzien Prof. Dr. med. dent. Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde Universitätsklinikum Jena Bachstraße 4 07743 Jena E-Mail: [email protected] Julia Hentschel Dr. rer. nat. Institut für Humangenetik Universitätsklinikum Leipzig AöR Jan Kühnisch Priv.-Doz. Dr. med. dent. Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Apatits, während die nicht kollagenen Proteine die Initiation und das Wachstum der Kristallite kontrollieren3. Das Dentin-Sialophosphoprotein (DSPP) ist Haupt­ bestandteil der nicht kollagenen Proteine. DSPP wird durch Proteasen rasch in das Dentin-Sialoprotein (DSP), das Dentin-Glycoprotein (DGP) und das DentinPhosphoprotein (DPP) gespalten9. Sie spielen eine wichtige regulatorische Rolle in der Dentinogenese7. Genetisch bedingte Dentinbildungsstörungen Bei der Dentinogenesis imperfecta (DI) und der Dentindysplasie (DD) handelt es sich um klinisch und ätiologisch heterogene genetisch bedingte Erkrankungen. Sie sind durch qualitative Störungen der Dentinentwicklung bei einer unveränderten Schmelzstruktur charakterisiert3,4,13,15. Die DI (Abb. 1a bis c und 2a bis c) wird autosomal-dominant vererbt und kann isoliert oder in Kombination mit verschiedenen syndromalen Erkrankungen wie der Osteogenesis imperfecta (OI) auftreten3,4,13. Mutationen in dem DSPP-Gen auf Chromosom 4q21 sind Ursache für die nicht syndromalen Dentinbildungsstörungen16. Sie manifestieren sich u. a. in einer Reduktion des DSPP-Levels und/oder einer unzulänglichen Dentinmineralisation. Demgegenüber kann die Akkumulation von DSPP in den Odontoblasten zu einer Zellschädigung führen, die wiederum die Proteinbildung und/oder das Transportsystem während der Dentinmatrixbildung beeinflusst20. Weiterhin wird vermutet, dass ein anormaler DSP-Level mit einer Pulpa­obliteration assoziiert ist18. Für Mutationen im DSPP-Gen sind bislang keine Genotyp-Phänotyp-Korrelationen beschrieben. Histologisch können auch bei klinisch unauffälligen Zähnen Veränderungen beobachtet werden. Die periphere dünne Schicht des Manteldentins weist in der Regel eine normale Struktur auf, während das übrige Dentin dysplastisch verändert ist. Es zeigt sich ein irregulärer Verlauf der Dentintubuli, die in ihrer Anzahl deutlich reduziert sind (Abb. 3a bis c). Weiterhin können größere Gefäßeinschlüsse in dem mindermineralisierten Dentin als „Riesentubuli“ imponieren. Abb. 1a bis c Gebisssituation einer 35-jährigen Patientin mit DI-II Abb. 1a und b Die Oberkiefer- und Unterkieferübersicht zeigt ein mit Kronen versorgtes bleibendes Gebiss; Zahn 25 wurde aufgrund von endodontischen Komplikationen extrahiert Abb. 1c In der Panoramaschichtauf- nahme der Patientin ist die vollständige Obliteration aller Pulpakammern erkennbar; in Regio 36 wurde ein Implantat inseriert 10 Quintessenz 2016;67(1):9–23 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Abb. 2a bis c 4-jähriger Sohn der Patientin aus Abbildung 1 Abb. 2a Porträtaufnahme des Patienten Abb. 2b Frontalansicht des Milchgebisses mit bernsteinartigen bräunlichen Verfärbungen der Milchzähne. An den Seitenzähnen, die bislang keine Attri­tio­ nen aufweisen, ist noch eine schmutzig graue Schmelzschicht zu erkennen Abb. 2c In der Panoramaschichtaufnahme des Patienten ist bereits die vollständige Obliteration der Pulpen sichtbar. An den Milchmolaren kann eine normal dicke Schmelzschicht vom Dentin abgrenzt werden Abb. 3a bis c Rasterelektronische Aufnahmen eines ersten Milchmolaren eines Patienten mit DI, welcher aufgrund einer vorliegenden apikalen Parodontitis mit Fistelbildung extrahiert wurde 2 mm Abb. 3a Aufsicht auf die Okklusal­ fläche der bis zur Schmelz-ZementGrenze attritierten klinischen Krone (17-fache Vergrößerung) 300 µm Abb. 3b und c Die attritierte Okklusalfläche nach Konditionierung mit 37%iger Phosphorsäure (100- und 500-fache Vergrößerung). Die Dentintubuli sind bis auf wenige Ausnahmen vollständig obliteriert Eine DI Typ I kann als orale Manifestation der OI auftreten, die ebenfalls einem autosomal-dominanten Erbgang folgt. Ursächlich sind Mutationen im COL1A1und COL1A2-Gen1,4,13. Durch Mutationen in diesen Genen kommt es zur Störung der Kollagensynthese und in der Folge u. a. zu Skelettdysmorphien, KleinQuintessenz 2016;67(1):9–23 60 µm wuchs und teilweise sehr starken Einschränkungen der Mobilität. Eine klare Genotyp-Phänotyp-Korrelation gibt es nicht6. Ben Amor et al.6 beschreiben, dass sogenannte Missense-Mutationen im COL1A1-Gen mit einem schwereren Verlauf assoziiert sind als solche Austausche im COL1A2-Gen. Es gibt bislang keine 11 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Genotyp-Phänotyp-Korrelationen, die sich speziell auf die orale Form der OI beziehen25. Die Tabelle 1 zeigt Mutationen in einer Reihe weiterer Gene, welche zur Somatik einer DI, DD oder Zahn­ aplasie führen können. Weiterhin sind alle bislang beschriebenen Arten von Veränderungen in den Haupt­­ genen DSPP, COL1A1 und COL1A2 in der Tabelle aufgeführt. Sie beinhaltet neben dem Gennamen in Kurz- und Langform die Referenznummer des Gens in der Datenbank „Online Mendelian Inheritance in Man“ (OMIM)22 (*), den dazu beschriebenen Phänotyp (#), die chromosomale Lokalisation und die in der „Human Gene Mutation Database“ (HGMD)12 beschriebenen Mu­ tationsarten. Eine klare Genotyp-Phänotyp-Korrelation besteht jedoch nicht. Dennoch ist eine molekulargenetische Diagnosesicherung für die Abschätzung der Wiederholungswahrscheinlichkeit bei einem weiteren Kinderwunsch klinisch relevant und darüber hinaus von wissenschaftlichem Interesse. Tab. 1 Genmutationen, die mit einer DI, einer DD und einer Zahnagenesie assoziiert sind Gen Klarname OMIM* OMIM# Chromo­ somale Lokalisation Erb­ gang Phänotyp DSPP Dentin-Sialophospho­ protein 125485 125420/125490/ 125500 4q22.1 AD DD Typ II sowie DI Typ II und III COL1A1 Collagen, type I, alpha-1 120150 166200/166220/ 610968 17q21.33 AD OI/DI Typ I 772 COL1A2 Collagen, type I, alpha-2 120160 166220/259420 7q21.3 AD OI/DI Typ I 400 COL2A1 Collagen, type II, alpha-1 120140 184260 12q13.11 AD GoldblattSyndrom 423 SMARCAL1 SWI/SNF-related, matrix-associated, actin-dependent regulator of chromatin, subfamily A-like protein 1 606622 242900 2q35 AR Immunoosseous dysplasia, Schimke type 67 PAX9 Paired box gene 9 167416 604625 14q13.3 AD nicht syndromale Zahnagenesie 43 MSX1 Muscle segment homeobox 1 142983 106600 4p16.2 AD nicht syndromale Zahnagenesie 44 AXIN2 Axis inhibitor 2 604025 608615 17q24.1 AD nicht syndromale Zahnagenesie 12 EDA Ectodysplasin A 300451 313500 Xq13.1 XLD nicht syndromale Zahnagenesie 269 WNT10A Wingless-type MMTV integration site family, member 10A 606268 150400 2q35 AD nicht syndromale Zahnagenesie 66 SERPINH1 Serpin peptidase inhibitor, clade H, member 1 600943 613848 11q13.5 AR OI 12 Mutationen gesamt 42 4 Quintessenz 2016;67(1):9–23 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Tab. 2 Klinische und röntgenologische Charakteristika der DI- und DD-Hauptgruppen nach Shields27,28 Dentinstrukturstörung Klinisches Erscheinungsbild Dentinogenesis Typ I (DI-I) OMIM 166240 • Dentaler Phänotyp der Osteogenesis imperfecta (OI) • Zähne beider Dentitionen sind betroffen und weisen eine bernsteinfarbene bis graublaue Transluzenz sowie ausgeprägte Attritionen auf • Kontinuierliche Pulpaobliteration setzt vor oder kurz nach dem Zahndurchbruch ein • Zahnwurzeln sind verkürzt • Variable Expressivität selbst innerhalb desselben Individuums – vollständige Pulpaobliteration bis hin zu normalem Dentin Dentinogenesis Typ II (DI-II) OMIM 125490 • Klinische und röntgenologische dentale Merkmale sind ähnlich wie bei der DI-I, wobei die Penetranz nahezu vollständig ist; eine OI ist diagnostisch ausgeschlossen • Expressivität ist eher einheitlich in einer Familie • Normale Zähne werden nicht beobachtet Dentinogenesis Typ III (DI-III) • Erstmals in Brandywine im südlichen Maryland und Washington DC in einer dreirassigen OMIM 125500 Inzestpopulation aus Kaukasiern, indianischen und afrikanischen Amerikanern beobachtet • Zähne sind in Form und Farbe variabler als bei der DI-I und DI-II • Multiple Pulpafreilegungen der Milchzähne • Röntgenographisch verifizierte variable Merkmale: Pulpaobliteration, normale Pulpakonfiguration, Muschelzähne („shell teeth“) • Früher Zahnverlust Dentindysplasie Typ I (DD-I) OMIM 125400 • Klinische Kronen der Milch- und bleibenden Zähne haben in den meisten Fällen eine normale Form, Größe und Farbe • Röntgenologisch imponieren kurze Wurzeln mit konischer apikaler Konstriktion, präeruptive Pulpaobliterationen der bleibenden Zähne in Form einer sichelförmigen Restpulpa parallel zur Schmelz-Zement-Grenze, vollständige Pulpaobliteration der Milchzähne • Zahlreiche apikale Aufhellungen an kariesfreien Zähnen • Früher Zahnverlust Epidemiologie Daten zum Vorkommen der DI sind sehr begrenzt. Für die nicht syndromale DI wird in kaukasischen Popula­ tionen eine Prävalenz von 1:6.000 bis 1:8.000 angegeben13,30. Sie ist damit die häufigste autosomal-dominant vererbte Erkrankung24. Die Prävalenz der DD fällt mit 1:100.000 deutlich geringer aus4. Für Deutschland liegen im Schrifttum keine Angaben vor. Klassifikation genetisch bedingter Dentinbildungsstörungen Die bekannteste und auch am meisten gebrauchte Klassifikation hereditärer Dentinbildungsstörungen wurde von Shields inauguriert27,28. Sie unterscheidet zwischen drei Typen der DI und zwei Typen der DD (vgl. Tab. 1). Das Quintessenz 2016;67(1):9–23 Klassifikationssystem wird zunehmend als veraltet betrachtet, da es keine eindeutige Kategorisierung des klinischen und röntgenographischen Erscheinungsbildes der Erkrankung erlaubt und unterschiedliche molekulargenetische Ätiologien unberücksichtigt lässt4,13. So können DD-II, DI-II und DI-III möglicherweise unterschiedliche Schweregrade ein und derselben Erkrankung darstellen5. Obwohl die Shields-Klassifikation einige Mängel aufweist, liegt aufgrund begrenzter umfassender molekulargenetischer Informationen bislang keine neue Klassifikation vor. Der Kliniker hat die Möglichkeit, sich in der ebenfalls auf der Shields-Klassifikation basierenden Datenbank OMIM über die klinische und genetische Heterogenität der DI und der DD zu informieren22. Bei der DI-I handelt es sich um den syndromalen dentalen Phänotyp einer OI mit der Datenbanknummer OMIM 166240 (Tab. 2). Die DD-II ist unter der Er13 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Abb. 4a bis f Gebiss­situation eines 5-jährigen Jungen mit DI-II, der 2 Jahre nach der Erstkonsultation aufgrund von Zahnschmerzen erneut vorgestellt wurde Abb. 4a Die Frontalansicht lässt eine apikale Parodontitis mit osteolytischer Wurzelexposition an Zahn 51 und Fistelbildung an Zahn 61 erkennen. Die Kronen der Unterkieferfront sind bis auf das Gingivaniveau reduziert Abb. 4c Die Unterkieferzähne sind wie die oberen stark attritiert, wobei die Zähne 71, 81 und 82 nur noch aus Wurzelresten bestehen. Zahn 74 weist eine vestibuläre Fistel auf Abb. 4b Die Oberkieferübersicht zeigt den dislozierten Zahn 51 und ausgedehnte koronale Attritionen. Das exponierte Dentin ist dunkel verfärbt. Zahn 54 wurde bereits extrahiert Abb. 4d Panoramaschichtaufnahme des Patienten im Alter von 3 Jahren; sämtliche Milchzähne weisen bereits ein vollständig obliteriertes Pulpakavum auf, sind aber alle noch in situ. Die Unschärfe des Bildes ist der bedingten Kooperation des Patienten geschuldet Abb. 4e Frontalansicht der Zähne des Patienten im Alter von 8 Jahren nach Zahnreinigung. Die bleibenden Zähne sind in Farbe und Form unverändert. An Zahn 21 wurde eine unkomplizierte Schmelz-Dentin-Fraktur mit einer Kompositrestauration versorgt Abb. 4f Panoramaschichtaufnahme des Patienten im Alter von 11 Jahren. Die Pulpakaven der Zähne weisen bereits eine deutliche Einengung auf, wobei die radikulären Bereiche schon vollständig obliteriert sind 14 Quintessenz 2016;67(1):9–23 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie krankungsnummer OMIM 125490, die DI-III unter OMIM 125500, die DD-I unter OMIM 125400 und die DD-II unter OMIM 125420 registriert. Trotz der genannten Unzulänglichkeiten der Shields-Klassifikation beziehen wir uns in der vorliegenden Übersicht auf diese, da sie im klinischen Alltag am häufigsten verwendet wird14. Klinisches Erscheinungsbild genetisch bedingter Dentinbildungsstörungen Klinisch ist die DI durch bläulich bis bräunlich opaleszierende Zähne charakterisiert. Die Milchzähne sind gewöhnlich stärker betroffen als die bleibenden Zähne (Abb. 4a bis f). Obwohl der Schmelz gesund ist, platzt er oft unter der Kaubelastung von dem darunterliegenden strukturgestörten Dentin ab. Daraus kann das Bild einer Pseudo-Amelogenesis imperfecta resultieren3. Das exponierte Dentin unterliegt einer raschen Attrition, so dass die klinischen Kronen, vor allem im Milchgebiss, bis auf Gingivaniveau verkürzt sein können (Abb. 4a bis f). Hierdurch kommt es zu einer ausgeprägten Bisssenkung mit Verlust der vertikalen Dimension des Untergesichtes. Ab dem Zahndurchbruch vollzieht sich eine langsame, aber stetige Einengung der radikulären wie auch der koronalen Pulpa bis hin zu ihrer vollständigen Obliteration (Abb. 2c, 3c, 4d und f). Röntgenologisch imponieren darüber hinaus verkürzte und dünnere Wurzeln sowie ein knollenartiges Erscheinungsbild der Zahnkrone aufgrund der zervikalen Wurzeleinziehung. Periapikale Infektionen mit und ohne Fistelbildung sind ein häufiges Bild der attritierten, aber kariesfreien Zähne (Abb. 5). Obwohl die Anzahl von Dentintubuli in Zähnen mit einer DI infolge der Obliterationsprozesse deutlich reduziert ist (vgl. Abb. 3a bis c), kann es durch verbliebene und oral exponierte Tubuli zur bakteriellen Invasion und Nekrose des restlichen Pulpagewebes kommen. Der DI-Phänotyp imponiert als variables Merkmal neben der OI auch bei weiteren Syndromen, von denen das Ehlers-Danlos-Syndrom, das Goldblatt-Syndrom und die Schimke-immunoossäre Dysplasie am meisten im Schrifttum beschrieben werden4,13. CharakteristiQuintessenz 2016;67(1):9–23 Abb. 5 Untere Milch- molaren mit mittleren okklusalen Attritionen der Zähne 84 und 85. Die chronisch apikalen Prozesse mit Fistel­bil­ dungen dürften durch eine bakterielle Infektion via exponierte Dentintubuli verursacht sein sche klinische und genetische Merkmale sind in der Tabelle 3 zusammengestellt. Bei der DD-I hat die klinische Krone der Milch- und bleibenden Zähne eine normale Form, Größe und Farbe. Erkannt wird die Dentinbildungsstörung in den meisten Fällen erst röntgenologisch anhand der verkürzten Wurzeln mit konischer apikaler Konstriktion und möglichen Pulpaobliterationen, die mit apikalen Aufhellungen an kariesfreien Zähnen assoziiert sein können2,4,13. Die DD-II, auch koronale Dysplasie genannt28, ist vorrangig eine Erkrankung der Milchzähne (Abb. 6a bis d). Diese weisen eine bernsteinartige bis graublaue Farbe und Transluzenz sowie ausgeprägte Attritionen auf. Die bleibenden Zähne sind in Farbe und Form unverändert, können aber röntgenologisch ein distelförmiges Pulpakavum und Dentikel aufweisen. Diagnostische Untersuchungen Anamnese Anamnestisch muss zunächst abgeklärt werden, ob der vorliegende Befund tatsächlich genetisch bedingt ist oder erworben wurde4. Anhand der Familienanamnese gilt es zu ermitteln, ob weiteren Familienmitglieder von der Erkrankung betroffen sind. Ist dies der Fall, kann eine Stammbaumskizze erstellt werden. Wenn sich der Patient erst mit einer Dentinbildungsstörung im bleibenden Gebiss in der Praxis vorstellt, sollte der Zahnarzt erfragen, ob das Milchgebiss von 15 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Abb. 6a bis d Frühes Wechselgebiss eines 7-jährigen Jungen mit einer genetisch nicht abgeklärten DI-II oder DD-II. Der Patient wurde vom Kieferorthopäden mit der Bitte um restaurative Behandlung der Milchzähne überwiesen Abb. 6a In der Frontalansicht sind bis auf das Gingivaniveau attritierte, bernsteinartig bräunlich verfärbte obere Milchfrontzähne zu sehen Abb. 6b Die Oberkieferübersicht zeigt die unterschiedlich ausgeprägte Attrition der klinischen Kronen der Milchzähne. An den zweiten Milchmolaren ist nur der okklusale Schmelz abgeplatzt, wohingegen die koronale Zirkumferenz noch erhalten ist Abb. 6c Die Unterkieferübersicht lässt eine starke Attrition der Milch­ eckzähne und ersten Milchmolaren erkennen. Die zweiten Milchmolaren wurden bereits extrahiert Abb. 6d In der Panoramaschichtaufnahme des Patienten sind die vollständig obliterierten Milchzahnpulpen erkennbar. Der Stand der Zahnentwicklung ist altersgerecht. Die Pulpakonfiguration der ersten Molaren zeigt keine Veränderungen ähnlichen Veränderungen betroffen war. Details wie die Farbe der Milchzähne, dentale Abnutzungserscheinungen, Abzessbildungen, eine erhöhte Zahnbeweglichkeit und ein früher Milchzahnverlust tragen zur Klärung der Frage bei, ob der Patient an einer DI oder einer DD leidet. In der allgemeinmedizinischen Anamnese des Pa­ tienten ist es ratsam, sich nach möglichen syndromalen Erkrankungen zu erkundigen (vgl. Tab. 3). Da die DI-I das am häufigsten auftretende dentale Zeichen einer OI ist, sollte der Patient nach Knochenfrakturen, einer Gelenkhypermobilität und Hörbeeinträchtigungen gefragt werden, sofern noch keine OI diagnostiziert wurde. Im Verdachtsfall ist der Patient zur weiterführenden 16 klinischen Diagnostik an einen Kinderarzt oder Internisten zu überweisen. Klinische Untersuchung Extraorale Merkmale wie Kleinwuchs und blaue Skleren sind charakteristische Erkennungszeichen einer OI. Intraoral muss in beiden Dentitionen die Zahnfarbe er­ fasst werden, welche zwischen normal, bernsteinartig, gräulich oder rötlich bis bläulich transluzent variieren kann. Weiterhin empfiehlt es sich, Attritionen, Abszessund Fistelbildungen, eine erhöhte Zahnbeweglichkeit sowie einen möglichen frühen Zahnverlust zu dokumentieren. Wenn bereits eine Dentinexposition eingeQuintessenz 2016;67(1):9–23 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Tab. 3 Klinische und genetische Charakteristika syndromaler Erkrankungen mit einer Dentinogenesis imperfecta (DI) und einer Dentindysplasie (DD)2,4,13 Erkrankung Klinische und genetische Charakteristika Osteogenesis imperfecta (OI) • Umgangssprachlich als „Glasknochenkrankheit“ bekannt • Generalisierte Skeletterkrankung mit autosomal-dominantem und autosomal-rezessivem Erbgang • Mutationen in den Genen COL1A1 (17q21.33) und COL1A2 (7q21.3), die für zwei Ketten des Typ-I-Kollagens kodieren, treten beim dominanten Erbgang auf • Klassifizierung in verschiedene Subtypen basiert auf klinischen Merkmalen, röntgenologischen Kriterien und dem Vorliegen einer DI2 • Störung der Kollagensynthese bedingt Störungen im Aufbau des harten und weichen Bindegewebes • Klinisch imponieren eine hohe Knochenbrüchigkeit ohne Traumabezug, skelettale Deformationen, Hyperextensivität der Gelenke und Kleinwuchs • Prävalenz der DI im Milchgebiss wird mit 28 bis 80 % angegeben17,21 und variiert zwischen den OI-Subtypen • Zähne sind gräulich bis bräunlich verfärbt und weisen Attritionszeichen auf2 • Angle-Klasse-III-Anomalien, frontal und seitlich offener Biss treten gewöhnlich auf17 Ehlers-DanlosSyndrom (EDS) • Heterogene Gruppe von generalisierten Bindegewebsstörungen mit sehr variablen Phänotypen • Differenzierung in sechs Haupttypen, die durch molekularen Defekt der Kollagentypen I, III und V, Tenascin-X und zwei kollagenmodifizierende Enzyme verursacht werden19,27 • Autosomal-dominanter oder autosomal-rezessiver Erbgang • Klinische Hauptmerkmale: Hypermobilität der Gelenke, Gewebefragilität, Hautdehnbarkeit28 • Einige EDS-Formen zeigen dentale Zeichen einer DD-I oder DI-II13 GoldblattSyndrom • Seltenes Syndrom (OMIM 184260), bei dem eine spondylometaphyseale Dysplasie mit einer Gelenkschlaffheit und DI oder DD-II kombiniert ist2,13 • Die Milchzähne zeigen typische Zeichen einer DI mit unterschiedlicher Expressivität, die bleibenden Zähne sind normal • Ursächlich wird eine Punktmutation im Kollagengen COL2A1 vermutet2 Schimkeimmunoossäre Dysplasie (SIOD) • Autosomal-rezessive Erkrankung mit spondyloepiphysärer Dysplasie, renaler Dysfunktion und Lymphopenie mit defekter Immunabwehr13 • Charakteristische Merkmale einer DI mit grau-gelblicher Verfärbung der Zähne, knollenartigen Zahnkronen und oblitierten Pulpen • Ursächlich werden Mutationen im SMARCAL1-Gen vermutet, die ein chromatinmodellierendes Protein kodieren2,13 treten ist, kann das Dentin aufgrund seiner Sklerosierung glasig hart erscheinen. In diesen Fällen klagen die Patienten über Hypersensitivitäten. Röntgenologische Untersuchung Die Röntgenbilder sollten eine normale Röntgendichte von Schmelz und Dentin aufzeigen, wobei der Schmelz attritionsbedingt bereits fehlen kann. Bei einer vorliegenden zervikalen Konstriktion erscheinen die Zahnkronen unter Umständen knollenartig verdickt. Die Konfiguration der koronalen und radikulären Pulpa kann zwischen normal und partiell bis total obliteriert variieren. Dentikel sind ebenfalls öfter diagnostizierQuintessenz 2016;67(1):9–23 bar. Die Zahnwurzeln können verkürzt, aber auch von normaler Länge sein. Bei den sogenannten Muschelzähnen („shell teeth“) handelt es sich um wurzellose Zähne, die klinisch eine erhöhte Zahnbeweglichkeit aufweisen4. Weiterhin werden häufig periapikale Radioluzenzen an kariesfreien Zähnen beobachtet. Differenzialdiagnostik Differenzialdiagnostisch müssen die DI und die DD von Erkrankungen abgegrenzt werden, die ähnliche klinische und röntgenologische Befunde aufzeigen. Die Dentinexposition bei Dentinbildungsstörungen ist differenzialdiagnostisch von der Amelogenesis imper17 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie fecta mit einer Hypokalzifikation des Zahnschmelzes (Typ III) abzugrenzen11. Der Zahnschmelz hat zwar eine normale Dicke, wird aber aufgrund seiner Minder­ mineralisation sehr schnell abradiert und attritiert, so dass es zur Dentinfreilegung kommt. Im Gegensatz zur DI sind die Zähne mit einer Amelogenesis imperfecta jedoch hypersensibel11. Die Röntgenopazität des Schmelzes ist niedriger als die des Dentins, aber partielle oder vollständige Obliterationen des Pulpakavums und der Wurzelkanäle treten nicht auf11. Die Farbveränderungen der Zähne bei einer DI sind gegen intrinsische Verfärbungen abzugrenzen, wie sie nach einer Tetrazyklinmedikation im Kindesalter an Milch- und bleibenden Zähnen auftreten4,11,14,15. Weiterhin gilt es, durch neonatale hämolytische Anämien verursachte prä- oder neonatale Schmelzverfärbungen auszuschließen. Am häufigsten können diese bei einer Rhesusinkompatibilität beobachtet werden (Abb. 7). Andere Ursachen, die mit einer erhöhten Zahn­be­ weglichkeit und einem frühen Zahnverlust wie bei der DI-III und der DD-I einhergehen, sind die Hypophosphatasie und verschiedene immunologische Erkrankungen wie die Histiozytose X, die zystische Neu­tropenie und das Papillon-Lefèvre-Syndrom4. Auf­ grund der vorliegenden Immundefekte besteht bei diesen Krankheitsbildern eine gesteigerte Disposition für einen parodontalen Abbau. Bei der Hypophosphat­ asie ist die erhöhte Zahnbeweglichkeit jedoch auf eine ausgeprägte Zementhypoplasie oder -aplasie zurückzuführen4. Röntgenographische Befunde der DI-III und der DD-I wie verkürzte Wurzeln mit offenen Apizes, atypisch gebildetes Dentin mit Pulpaobliterationen unterschied­ licher Ausprägung sowie infektiös bedingte apikale Parodontitiden sind vom Krankheitsbild einer regionalen Odontodysplasie abzugrenzen4. Die Ätiologie dieser Erkrankung, von der die Milch- und bleibenden Zähne betroffen sein können, ist bislang unbekannt8 (Abb. 8a bis c). Ähnliche klinisch-röntgenographische Befunde wie bei der DI und der DD treten bei der Vitamin-D-abhängigen und Vitamin-D-resistenten Rachitis auf4. Für die autosomal-rezessiv vererbte Vitamin-D-abhängige Rachitis (OMIM 264700 und 600081) sind gelbe bis braune Zahnverfärbungen, eine chronische Parodontalerkrankung und kurze Wurzeln charakteristisch15,31. Bei der Vitamin-D-resistenten Rachitis (mit X-chromosomal dominantem Erbgang) zeigen sich früh attritionsbedingte Dentinfreilegungen, die vielfach mit Abszessbildungen ohne kariöse Defekte der Zähne verbunden sind10. Wie bereits oben erwähnt ist die DI-I ein variables Merkmal bei unterschiedlichen syndromalen Erkrankungen (vgl. Tab. 3). Genetische Beratung Da die DI und die DD autosomal-dominant vererbt werden, besteht eine 50%ige Chance, dass ein Kind an der Dentinbildungsstörung erkrankt, wenn ein Elternteil von der Erkrankung betroffen ist4. In der Regel wird die Diagnose anhand des klinischen und röntge­nogra­phi­ schen Erscheinungsbildes gestellt. Sollte dies jedoch nicht eindeutig möglich sein, ist eine molekulargenetische Untersuchung zur genauen Diagnos­tik indiziert4. Abb. 7 Grün-bräunliche Verfärbung der Milchzähne eines 3-jährigen Jungen bei einer Rhesus-Inkompatibilität von Mutter und Kind. Im pränatal gebildeten Dentin kam es durch Bilirubineinlagerungen zu der intrinsischen Verfärbung, während das postnatal gebildete Dentin nach dem Blutaustausch keinerlei Verfärbungen aufweist 18 Quintessenz 2016;67(1):9–23 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Abb. 8a bis c 4-jähriger Patient mit einer regionalen Odontodysplasie im rechten oberen Kieferquadranten Abb. 8a In der Panoramaschichtaufnahme ist die gestörte Entwicklung der Milch- und bleibenden Zähne deutlich erkennbar. Die Zähne 53, 54 und 55 weisen verkürzte Wurzeln und deutlich verkalkte Pulpen auf. Aufgrund von Fistel- und Abzessbildungen mussten diese Milchzähne extrahiert werden Abb. 8b Das Schliffpräparat des Milcheckzahnes (53) zeigt multiple unstrukturierte Mineralisationen im Bereich des Pulpakavums bei einer dünnen regulär gebildeten Dentinschicht Zahnärztliche Behandlung von Patienten mit DI und DD Der zahnärztliche Behandlungsansatz bei Patienten mit einer DI ist im Wesentlichen von der Schwere des klinischen Befundes abhängig (Tab. 4). Eine optimale Betreuung dieser Patienten sollte primär auf die Vorbeugung von ausgeprägten Attritionen ausgerichtet sein. Um negative funktionelle und soziale Konsequenzen durch eine ästhetische Beeinträchtigung der Patienten zu vermeiden, sind eine frühzeitige Erfassung und eine präventive Intervention erforderlich1,24. Die Patienten müssen nach der Diagnose einer DI im Milchgebiss in ein engmaschiges präventiv orientierQuintessenz 2016;67(1):9–23 Abb. 8c Das Schliffpräparat des zweit­ en Milchmolaren (55) reflektiert den röntgenologischen Befund. Die Wurzeln sind stark verkürzt, und das Pulpakavum ist ebenfalls durch unstrukturierte Dentinablagerungen eingeengt tes Recall aufgenommen werden. Eltern sind anzuhalten, die Mundhygiene ihrer Kinder zu kontrollieren und die Zähne mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta nachzuputzen. Weiterhin sollten sie den Konsum von Süßigkeiten und zuckerhaltigen Getränken bei ihren Kindern auf ein Minimum beschränken. Eine regelmäßige professionelle Applikation von hochkonzentrierten Fluoridpräparaten, bevorzugt von Fluoridlacken, sollte altersentsprechend erfolgen1. Mit einer frühzeitigen restaurativen Stabilisierung der Dentition kann einer raschen Attrition und einem ausgeprägten Verlust der vertikalen Dimension wirksam vorgebeugt werden. Die adhäsive Restauration mit Kompositen ist die Versorgung der Wahl von Frontzäh19 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Tab. 4 Behandlungsmaßnahmen bei Dentinbildungs­ störungen (DI und DD) im Kindes- und Jugendalter (modifiziert nach der Empfehlung der AAPD)1 Im Milchgebiss Im bleibenden Gebiss Engmaschiges präventives Recall: • Mundhygieneinstruktionen • Ernährungsberatung • lokale Fluoridapplikation Engmaschiges präventives Recall: • Mundhygieneinstruktionen • Ernährungsberatung • lokale Fluoridapplikation • Konservierende Versorgung der Milchfrontzähne mit Kompositrestaurationen • Versorgung der Milch­ molaren mit konfektionierten Stahlkronen • Kompositrestaurationen oder Veneerversorgung der Frontzähne • Minimalinvasive Präparations- und Adhäsivtechnik zur Sicherung der Zahnhartsubstanz bis zur definitiven prothetischen Versorgung im Erwachsenenalter Extraktion von fistelnden Zähnen bzw. Abszessen mit nachfolgender Lücken­ kontrolle • Endodontische Behandlung häufig aufgrund der Pulpaobliteration nicht möglich bzw. fraglich • Zusammenarbeit mit einem Endodontologen empfehlenswert • Indikation von CoverDenture-Prothesen bei stark attritierten Zähnen zur Sicherung der Kaufunktion, der Form des Kieferkamms und des ästhetischen Erscheinungsbildes des Kindes • Regelmäßige Adaptation der Prothesen an das Kieferwachstum notwendig Herausnehmbarer Zahn­ ersatz bei frühzeitigem Zahnverlust Interdisziplinäre Betreuung mit einem Kieferorthopäden bei vorliegenden Kiefer­ anomalien Interdisziplinäre Betreuung mit einem Kieferorthopäden bei vorliegender AngleKlasse-III-Anomalie, seitlichem Kreuzbiss und frontal offenem Biss In Abhängigkeit vom Behandlungsumfang und vom Alter des Kindes ist eine Sanierung unter Lokalanästhesie oder in Allgemeinanästhesie abzuwägen Implantatversorgung nach Wachstumsabschluss im Alter von etwa 18 Jahren mit Knochenaugmentation bei Kieferatrophie 20 nen im Milch- und bleibenden Gebiss (Abb. 9a bis f und 10a bis c). Bei ausgedehnten Attritionen sind zum Erhalt der Bisshöhe konfektionierte Stahlkronen im Milchgebiss und laborgefertigte Kronen im bleibenden Gebiss indiziert1,4,24. Darüber hinaus können bleibende Frontzähne mit Veneers unter Nutzung der minimal­ invasiven Präparations- und Adhäsivtechnik therapiert werden1. Die Ästhetik der Jugendlichen lässt sich durch die Maskierung der Zahnverfärbungen deutlich verbes­ sern. Notwendige endodontische Behandlungen der ju­gendlichen bleibenden Zähne gestalten sich aufgrund von Pulpaeinengungen vielfach schwierig oder sind gar unmöglich, so dass diese Patienten zu einem erfahrenen Endodontologen überwiesen werden sollten1,4. Die Versorgung mit Cover-Denture-Prothesen kann bei stark attritierten Zähnen zur Sicherung der Kaufunktion, der Form des Kieferkamms und des ästhetischen Erscheinungsbildes des Kindes in Erwägung gezogen werden1,4,24. Dabei ist eine regelmäßige Adaptation der Prothesen an das Kieferwachstum erforderlich4. In diesen Fällen muss der Patient zu einer sorgfältigen Prothesen- und Zahnreinigung sowie zur Einhaltung des präventiven Recalls angehalten werden, um dem erhöhten Kariesrisiko wirksam zu begegnen24. In Abhängigkeit von der Schwere des Befundes und dem Alter der betroffenen Kinder können die erforderlichen Maßnahmen in einem ambulanten Behandlungssetting oder in Allgemeinanästhesie vorgenommen werden. Je jünger die Kinder sind, umso eher ist eine Sanierung in Narkose nötig. Bei Patienten mit einer DI-I und vorliegender AngleKlasse-III-Anomalie, einem seitlichen Kreuzbiss und einem frontal offenen Biss ist die Zusammenarbeit mit einem Kieferorthopäden angezeigt. Letztlich wird eine bestmögliche zahnärztliche Betreuung der kind­ lichen und jugendlichen Patienten mit Dentin­ bil­ dungsstö­rungen ihre psychische Entwicklung positiv unter­ stützen. Bis zur definitiven prothetischen Ver­ sorgung inklusive Implantatbehandlung im Erwach­ senenalter ist ein guter Rapport zwischen dem Pa­ tienten und dem zahnärztlichen Behandlungsteam entscheidend. Quintessenz 2016;67(1):9–23 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Abb. 9a bis f Milchgebiss eines 4-jährigen Patienten mit einer genetisch nicht abgeklärten DI-II oder DD-II vor und nach restaurativer Versorgung in Allgemeinanästhesie Abb. 9a Die Milchfrontzähne weisen eine rötlich-bräunliche Verfärbung auf, wobei die oberen Frontzähne bereits stärker attritiert sind Abb. 9b Die unterschiedliche Aus­prä­gung der Attrition an den Oberkieferzähnen entspricht der Reihenfolge des Zahndurchbruchs. Die zweiten Milchmolaren zeigen als zuletzt durchgebrochene Zähne keine Attrition, während an den ersten Milchmolaren erste okklusale Dentinexpositionen erkennbar sind Abb. 9d Frontalansicht des Gebisses nach Restauration der Zähne 52 bis 62 mit Kompositaufbauten und Versorgung der ersten Milchmolaren mit konfektionierten Stahlkronen Quintessenz 2016;67(1):9–23 Abb. 9c Die Milchzähne des Unterkiefers weisen ähnliche Befunde wie die des Oberkiefers auf Abb. 9e und f Rechtes und linkes Seitenzahngebiet mit Versorgung der Zähne 54 und 84 sowie 64 und 74 mit konfektionierten Stahlkronen und Erzielung einer Bisshebung von ca. 2 mm 21 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Abb. 10a bis c Gebisssituation des 7-jährigen Patienten aus Abbildung 6 nach Restauration der Milchzähne in ambulanter Behandlung Abb. 10a Frontalansicht mit adhäsiven Kronenaufbauten der Milcheckzähne Abb. 10b Oberkieferübersicht nach adhäsiver Versorgung der Milcheck­zähne, der ersten Milchmolaren und des Zahnes 65; Zahn 55 wurde mit einer konfektionierten Stahlkrone therapiert Abb. 10c Unterkieferübersicht nach adhäsiver Versorgung der ersten Milchmolaren. Die Lückensicherung der Zähne 75 und 85 erfolgt im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung mit einem funktionskieferorthopädischen Gerät Fazit den klinischen Diagnostik von genetisch bedingten Dentinbildungsstörungen eine molekulargenetische Diagnosesicherung für die Abschätzung der Wieder­ holungswahrscheinlichkeit bei einem weiteren Kinderwunsch klinisch relevant und darüber hinaus von wissenschaftlichem Interesse sein. Im Gegensatz zu der genetisch bedingten Schmelzbildungsstörung der Amelogenesis imperfecta fehlen bei einer DI oder DD klare Genotyp-Phänotyp-Korrelationen. Dennoch kann neben der im Vordergrund stehen- 22 Quintessenz 2016;67(1):9–23 ZAHNERHALTUNG Dentinogenesis imperfecta – Ätiologie, Diagnostik und Therapie Literatur 1. American Academy of Pediatric Dentistry (AAPD). Guideline on dental management of heritable dental developmental anomalies. Internet: www.aapd.org/media/ Policies_Guidelines/G_OHCHeritable.pdf. Abruf: 28.11.2015. 2. 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