Krankheit, Siechtum und Tod Leiden und Heilung im Mittelalter von Andreas Cueni, Anthropologe, Kriens Krankheiten, Gebrechen und Unfälle sind seit jeher Begleiter des menschlichen Lebens. In früheren Zeiten waren sie oft mit jahrelangen Beschwerden verbunden und führten nicht selten als Folge des damaligen Stands der medizinischen Kenntnisse zu dauerndem Siechtum oder sogar zum Tod. Die Wissenschaft von den Krankheiten und Unfällen früherer Epochen wird mit dem Namen Paläopathologie bezeichnet. Da schriftliche Quellen aus den entsprechenden Zeitabschnitten meist fehlen, kann die Untersuchung fast ausschliesslich an den Skeletten aus archäologischen Ausgrabungen vorgenommen werden. An den Gebeinen lassen sich Wirbelsäulen- und Gelenkschäden, Knochenbrüche, schwerwiegende Verletzungen, Geschwulste und Entzündungen sowie Erkrankungen der Zähne und des Zahnbetts nachweisen. Vereinzelt lassen sich auch Anzeichen einer medizinischen Versorgung erkennen. Aber auch Folgen von Ernährungsstörungen oder Vitaminmängeln können zuweilen festgestellt werden. Auch wenn nur ein kleiner Teil - ca. 3 bis 5 % - aller Krankheiten an den Knochen sichtbare Spuren hinterlassen, so gehört die Paläopathologie heute doch zu den wichtigsten Arbeitsgebieten der Archäoanthropologie. Ihre Hilfe bei der Erforschung der Lebensbedingungen früherer Bevölkerungen ist von ausserordentlich hoher Bedeutung. Abb. 1 Lendenwirbel mit Zacken- und übergreifender Spangenbildung; Wirbelsäulenversteifung (Blockwirbel) als Folge einer Spondylarthrose. Abb. 2 Wirbelsäulenabschnitt mit charakteristischen Merkmalen einer Spondylitis (Morbus Bechterew). u den regelmässig festgestellten Erkrankungen gehören die Schädigungen der Wirbelsäulen und der Gelenke. An den Wirbelsäulen sind in erster Linie die alters- und belastungsbedingten Verschleisserscheinungen von Interesse. Im Besonderen ist dies die Spondylose, eine Folge der Bandscheibendegeneration, die zu Knochenveränderungen an den Wirbelkörpern führt. Die Spondylose äussert sich in der Bildung von Randwülsten- und Zacken, die in fortgeschrittenem Stadium häufig als knöcherne Spangen auf benachbarte Wirbelkörper übergreifen und so zur Versteifung ganzer Wirbelsäulenabschnitte durch Blockbildungen führen (Abb. 1). Daneben bestehen häufig Veränderungen der kleinen Gelenke der Wirbelbogen, die ebenfalls zu Versteifungen und damit zur Beeinträchtigung der Beweglichkeit führen können (Spondylarthrose). Spondylose und Spondylarthrose gehören im weitesten Sinne zu den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Sie können als Ausdruck einer langandauernden und ein normales Ausmass übersteigenden physischen Beanspruchung oder als Spätfolge von Verletzungen angesehen werden. Daneben können beide Erkrankungen auch als rein degenerative Prozesse im Sinne von Altersveränderungen aufgefasst werden und treten vor allem bei Individuen jenseits des 40. Altersjahrs auf. Die Mehrheit der mittelalterlichen Menschen, die dieses Alter erreicht oder gar überschritten hatten, litt an Rückenbeschwerden. 63 Abb. 4 Oberschenkelkopf mit kragenförmiger Knochenneubildung bei Abb. 5 Kniegelenk mit starkem, durch Arthrose verursachtem Abschliff Hüftgelenksarthrose (Coxarthrose). (Gonarthrose). Für die Spondylose- oder Spondylarthroseerkrankung jüngerer Individuen kann hingegen eher die physische Beanspruchung verantwortlich gemacht werden. In der Mehrzahl der Fälle kann jedoch von einer Verbindung beider Ursachen ausgegangen werden. Wesentlich seltener als die Spondylosen sind die nur schwer davon abgrenzbaren entzündlich-rheumatischen Prozesse (Spondylitis), die ebenfalls bereits in früherem Alter auftreten können (Abb 2). Gelenken, der durch ein Missverhältnis zwischen Beanspruchung und Belastbarkeit des Gelenks zustande kommt (Abb. 4 und 5). Die Bildung von Blockwirbeln kann auch mit Stoffwechselerkrankungen zusammenhängen. Ein gehäuftes Auftreten dieses Erscheinungsbilds kann bei der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) und bei Gicht beobachtet werden. Abb. 3 Verminderung der Knochensubstanz und Durchlöcherung (Porosierung) der Deckplatten von Wirbelkörpern bei Osteoporose. Häufig können an den Wirbelkörpern siebartige Durchlöcherungen der Deckplatten beobachtet werden, die sich auf osteoporotische Prozesse zurückführen lassen, sowie Einbrüche in den Deckplatten der Wirbelkörper die eine Folge von Bandscheibenvorfällen darstellen (Abb. 3). Neben den Erkrankungen der Wirbelsäule spielen die degenerativen Veränderungen an den Gelenken der Langknochen, die Arthrosen, eine wesentliche Rolle. Sie beruhen auf einem Verschleiss der Knorpelschicht in den 64 Die Gesamtheit der beobachteten Befunde zeigt, dass rheumatische Beschwerden einen grossen Teil der mittelalterlichen Bevölkerungen befallen haben und durch anhaltende Schmerzen und durch Einschränkungen in der Beweglichkeit das Leben erheblich beeinträchtig hat. Eine gewisse Linderung brachten Heilpflanzen wie Arnikaextrakte oder Brennesseltee. Zu den immer wieder feststellbaren pathologischen Erscheinungen an den Skeletten gehören Verletzungen oder Knochenbrüche. Sofern sie sauber verbunden, eingerichtet und ruhig gestellt wurden, sind sie oft ohne grössere Probleme verheilt. Im Falle von Verschiebungen der Bruchstellen konnten Frakturen jedoch zu teilweise erheblichen Verkürzungen der entsprechenden Gliedmassen führen. Oft traten nach Verletzungen eitrige Entzündungen des Knochenmarks auf, die meist zu einem jahrelangen Siechtum führten. Da Wundinfektionen im Mittelalter kaum beherrschbar waren, wurden offene Brüche oftmals von Infektionen befallen, die mangels geeigneter Massnahmen häufig zu Blutvergiftungen und letztlich zum Tode führten. Neben dem Schienen, Bandagieren und Ruhigstellen von gebrochenen Gliedern verwendete man bei der Behandlung von Knochenbrüchen in der mittelalterlichen Volksmedizin mit Vorliebe Beinwell, eine Pflanze deren heilende Wirkung bereits in der Antike bekannt war. Aus der Wurzel und dem Kraut bereitete Auszüge wurden als äusserliches Wundheilmittel bei eiternden Wunden, Verstauchungen, Knochenbrüchen und -entzündungen verwendet. Auch die Bereitung von Salben aus der Wurzel war üblich. Daneben dienten Extrakte und Salben von Beinwell bei der Behandlung von Gelenkschmerzen, Hautschäden, Knochenbrüchen, Muskelschmerzen, Prellungen, Quetschungen, Schmerzen bei Verletzungen, Schwellungen, Schädigungen des Bewegungsapparates, Verstauchungen oder Rheuma. Abb. 6 Vorbacken- und Backzahn mit fortgeschrittener Zerstörung durch Abb. 7 Völlig zahnloser Unterkiefer einer ca. 65-75 Jahre alten Frau. Karies. Zu den bereits in früheren Zeiten allgemein verbreiteten Krankheiten gehören die Erkrankungen der Zähne und des Zahnhalteapparates wie Karies und Parodontose. Trotz der weitgehend fehlenden Mundhygiene verharrte die Karieshäufigkeit im Mittelalter und bis ins 17./18. Jahrhundert hinein auf einem verhältnismässig niedrigen Stand von etwa 12 bis 18 %. Dies hängt zum einen mit der damaligen zuckerarmen Ernährung, zum anderen mit der Zusammensetzung und Zubereitung der Alltagskost zusammen. Der von den Steinmühlen stammende Abrieb im Getreideanteil der Nahrung sowie die im Getreideschrot enthaltenen Spelzen wirkten als Putzkörper für die Kauflächen. Dabei wurden diese von Nahrungsresten gereinigt, gleichzeitig jedoch auch stark abgeschliffen und dadurch oberflächliche Kariesherde beseitigt. Dabei konnte der Abschliff jedoch so weit gehen, dass die Markhöhle des Zahns eröffnet wurde. Als Folge stellten sich schmerzhafte Nerventzündungen oder sogar eitrige Wurzelabszesse ein, die den Betroffenen langanhaltende Beschwerden bereiteten. Auch durch fortgeschrittene Karies konnte die Pulpahöhle eröffnet werden, so dass Bakterien ins Zahninnere, in die Wurzel, in das Gewebe des Zahnhalteapparates und sogar in die weitere Blutbahn gelangen konnten. Die so entstandenen Abszesse dürften in vielen Fällen zu Blutvergiftungen geführt haben und müssen durchaus als mögliche Todesursachen in Betracht gezogen werden. Ein weiterer Grund für die niedrige Karieshäufigkeit im Mittelalter liegt aber auch in der kurzen Lebenserwartung der damaligen Menschen, die für die Frauen ca. 40 bis 45 Jahre und für die Männer etwa sieben bis acht Jahre mehr betrug. Die am Häufigsten beobachtete Form ist die Kontakt- oder Approximalkaries, welche sich an der Berührungsfläche benachbarter Zähne ausbildet, gefolgt von der Zahnhalskaries. Fissurenkaries (Karies auf der Kaufläche) ist wegen der rasch fortschreitenden Abnutzung der Zahnkronen wesentlich seltener (Abb. 6). Auch Erkrankungen des knöchernen Zahnhalteapparates waren im Mittelalter häufig, wobei die nichtentzündliche Form der Parodontose, eine Rückbildung der Alveolarränder, und die entzündliche Form, die Parodontitis oft nicht von einander zu unterscheiden sind. Nahezu alle über dreissigjährigen Individuen sind in unterschiedlichem Ausmasse davon betroffen, wobei die Ausprägung mit zunehmendem Alter zunimmt. Zahnbetterkrankungen bewirken in der Regel einen vorzeitigen Zahnausfall. Ältere Menschen besassen oft nur noch zahnlose Kiefer, was die Nahrungsaufnahme erheblich erschwerte (Abb. 7). Bei Kindern trat Karies zwar eher selten auf, ist jedoch in einzelnen Fällen ebenfalls anzutreffen. Zahnbehandlungen waren im Mittelalter noch unbekannt. Wohl versuchte man durch Kauen oder Auflegen von Kräutern oder durch Pflanzentinkturen wie etwa Kamillenextrakte gegen Entzündungen des Zahnfleischs die Beschwerden zu lindern. Zahnschmerzen milderte man in neuerer Zeit durch das Kauen von Gewürznelken zu. Die einzige Möglichkeit, sich der Schmerzen endgültig zu entledigen, bestand jedoch im Ziehen der kranken Zähne. Dies war Aufgabe von Handwerkern, meist von Badern. Aufgrund ihrer Tätigkeit nannte sie auch «Zahnbrecher» oder «Zahnreisser». Nicht selten lassen sich an den Knochen Merkmale ablesen, die als Stressanzeiger gedeutet werden. Solche Indikatoren lassen Phasen von Mangelernährung oder überstandenen Krankheiten erkennen. Als Beispiele seien die sogenannten transversalen Schmelzhypoplasien erwähnt. Dabei handelt es sich um horizontal verlaufenden Rillen im Zahnschmelz, die während der Bildungszeit der jeweiligen Zähne entstanden sind. Diese Schmelzdefekte sind Anzeichen von Stressphasen im Kindesalter. Mehrere Rillen weisen auf unterschiedliche Krankheitsphasen hin. Punktförmig ausgebildete Löcher im Augenhöhlendach werden als Cribra orbitalia bezeichnet. Auslöser für diese Deformierung sind Anämien, Parasitenbefall und Entzündungen im Kindesalter. Rachitis ist eine Erkrankung des frühen Kindesalters. Durch verminderte Einlagerung von Kalzium und Phosphor kommt es zu einer Mineralisationsstörung und damit zur Verbiegung der Knochen, im Besonderen der unteren Extremitäten. Ursache ist ein Vitamin-D-Mangel. Er kann durch Mangelernährung, durch mangelnde UVStrahlung, seltener durch eine infektiöse Erkrankung auftreten. 65 Die anthropologische Untersuchung des Skeletts zeigte, dass am rechten Unterschenkel der Fuss etwa 8 cm oberhalb des Sprunggelenks abgenommen worden war. Schien- und Wadenbein sind mit einem schneidenden Werkzeug oder möglicherweise einer Knochensäge auf gleicher Höhe quer durchtrennt worden. Die Abtrennflächen sind durch neugebildete Knochensubstanz kappenartig verschlossen und zwischen den Schäften von Schien- und Wadenbein ist eine knöcherne Verbindung entstanden (Abb. 8). Abb. 8 Amputationsstumpf des rechten Unterschenkels mit Verschluss der Schnittstelle durch Knochenneubildung und Merkmalen einer Osteomyelitis (Mann, 28-34-jährig). Bei schweren Verletzungen oder Erkrankungen versuchte man bereits im Mittelalter das Leiden mit Hilfe operativer Verfahren zu beheben. So wurden beispielsweise schon damals bei Verletzungen am Schädel infolge von Unfällen und Kampfhandlungen oder bei epileptischen Anfällen sogenannte Trepanationen, also operative Verfahren zur Schädelöffnung durchgeführt. Ebenso werden therapeutische Massnahmen bei Schmerzzuständen im Kopf als Ursache für Trepanationen angenommen. Dabei handelte es sich um Eingriffe am Knochen ohne Eröffnung der Hirnhäute. Die Wunde wurde versorgt, die Splitter entfernt. Zwar verbot das Christentum im frühen Mittelalter Trepanationen an lebenden Menschen und so gab es nur sehr wenige und zudem meist geheimgehaltene Schädeloperationen. Erst im 13. Jahrhundert wurde wieder öfter trepaniert. Eine Vielzahl von Trepanationen wurde dann im 16. Jahrhundert vorgenommen. Bei Verletzungen oder Erkrankungen von Gliedmassen wurde gelegentlich der befallene Körperteil operativ entfernt der Amputation. Im frühmittelalterlichen Reihengräberfeld von Aesch-Zielacher LU wurden die Überreste eines jüngeren Mannes ausgegraben, der im Alter zwischen 28 und 34 Jahren verstorben war. Die archäologische Auswertung des Grabinventars weist den Toten mit grösster Wahrscheinlichkeit als Angehörigen einer gesellschaftlichen Oberschicht aus. 66 Oberhalb der Amputationsstelle sind Tibia und Fibula auf einer Länge von etwa 4.5 Zentimetern deutlich aufgetrieben. Die Knochenoberflächen zeigen unregelmässige Veränderungen von baumrindenartiger Struktur und sind mit Eiteröffnungen durchsetzt. Verdickung und Oberflächenveränderungen der Knochen sowie Fistelgänge belegen eine schwere traumatische Osteomyelitis, eine eitrignekrotisierende Entzündung des Knochenmarks. Die Ursache für die Entfernung des Fusses kann nicht mehr festgestellt werden. Als mögliche Gründe kommen Unfälle mit offenen Trümmerverletzungen und nachfolgender Infektion in Frage, wie sie als Arbeitsunfälle oder Kriegsverletzungen auftreten können. Daneben müssen auch arterielle Verschlusskrankheiten wie Mutterkornvergiftung (St. Antonius-Feuer) oder Fussgangrän mit Nekrose und Abstossung von Gliedmassen infolge von Diabetes als mögliche Ursachen für eine Amputation in Betracht gezogen werden. Andere Ursachen, die zum Verlust von Gliedmassen führen können, sind Verbrennungen oder Erfrierungen. Bei der vorliegenden Knochenmarkentzündung handelt es sich wahrscheinlich um die Folge einer direkten Keimeinschleppung, die durch eine schwere Wunde über dem Knochen erfolgte. Ob die Infektion die unmittelbare Folge einer Verletzung darstellt oder ob sie durch mangelnde Sterilität bei der Amputation verursacht wurde, kann jedoch nicht mehr mit Sicherheit entschieden werden. Die Eiterabsonderung aus dem entzündeten und geschwollenen Unterschenkelstumpf hat dem Mann zweifellos quälende Schmerzen verursacht. Über die Möglichkeiten der Schmerzbekämpfung im Frühmittelalter ist nur wenig bekannt. In begrenztem Ausmass schmerzlindernde pflanzliche Präparate standen jedoch sicherlich zur Verfügung. Als besonders wirksames Mittel scheint das Bilsenkraut gegolten zu haben, eine Heil- pflanze, deren schmerzlindernde Wirkung nachgewiesen ist und die wiederholt in frühmittelalterlichen Gräbern gefunden wurde. Die Infektion konnte nach dem damaligen Stand der medizinischen Versorgung nicht beherrscht werden. Das dauernde Eindringen von krankheitserregenden Bakterien und ihren Giften aus dem Krankheitsherd in den Blutkreislauf hat wahrscheinlich zum Tod des Mannes durch eine Blutvergiftung geführt. Da der Patient die Amputation um einige Zeit – unter Umständen um Monate, vermutlich jedoch nicht länger als 1-2 Jahre – überlebt hat, stellt sich die Frage nach einer möglichen prothetischen Versorgung. gungen und möglicherweise auch auf die Zugehörigkeit zu bestimmten Sozialschichten zu. Darüber hinaus liefert die anthropologische Untersuchung der Gebeine aus archäologischem Zusammenhang wichtige Daten zum Bevölkerungsaufbau und zu den Sterbestrukturen sowie zum körperlichen Erscheinungsbild der damaligen Menschen. Angesichts der Fülle an Informationen die aus den Gebeinen gewonnen werden kann, müssen die Skelette als eigentliche Bioarchive angesehen werden. Bei einer Amputation quer durch die Röhrenknochen des Unterschenkels ist der Beinstumpf nicht belastbar. Eine Prothesenversorgung ist in diesem Falle nur möglich, wenn sich der Patient mit rechtwinklig gebeugtem Knie auf die Gehhilfe abstützen kann. Das Stelzbein wird dabei mit Riemen oder Bändern am Unterschenkel befestigt. Diese Art der Versorgung ist seit der Antike bekannt und wurde bis in die Neuzeit hinein angewendet. In manchen Fällen führten Unfälle oder Kriegsverletzungen zum sofortigen Tod. In der Kapelle St. Margrethen in Nottwil wurden die Gebeine eines 52- bis 57-jährigen Mannes gefunden, der durch eine schwere Kopfverletzung den Tod erlitten hatte. Die bevorzugte Lage innerhalb der Kapelle und die archäologische Datierung des Grabs ins ausgehende 14. Jahrhundert gestatteten die Identifizierung des Toten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um ein Mitglied der Stifterfamilie, der Herren von Rinach, von denen nachweislich fünf in der Schlacht von Sempach den Tod gefunden haben. Die Untersuchung der historischen Quellen gestattete die Annahme, dass es sich beim Verstorbenen am ehesten um Ulrich V. von Rinach gehandelt haben dürfte. Die Verletzung befindet sich im linken Scheitelbein, unmittelbar über der Schläfenbeinschuppe und zeigt einen annährend halbkreisförmigen Umriss mit einem Radius von etwa acht Zentimetern. wobei das ausgesprengte Knochenstück im Schädelinneren lag. Die Verwundung ist durch stumpfe Gewalt beigebracht und führte zum augenblicklichen Tod des Mannes (Abb. 9). Abb. 9 Schädel mit tödlicher Hiebverletzung durch stumpfe Gewalt (wahrscheinl. Schlacht bei Sempach). Bildnachweis: Alle Aufnahmen Kantonsarchäologie Luzern, Libellenrain 15, 6002 Luzern. Neben der Beschreibung von Einzelschicksalen stellt die Häufigkeit des Auftretens von pathologischen Veränderungen ein wesentliches Kennzeichen einer Bevölkerung dar und lässt aufgrund von Vergleichen mit anderen Populationen Rückschlüsse auf die körperlichen Aktivitäten, die Lebensweise, die herrschenden Umweltbedin67