Die Dosis macht die Wirkung

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Die Dosis macht die Wirkung
- jedoch nicht immer!
„Sola dosis facit venenum“, diese spät-mittelalterliche Erkenntnis des großen Paracelsus
hat noch heute Gültigkeit. In der Sprache der Pharmakologie wird sie unter dem Terminus
der „Therapeutischen Breite“ eines Arzneistoffes auch quantifiziert. Auch in der Diktion
der Physiologie macht die dosisabhängige Abstufung Sinn, wie die periodisch adaptierten „Tolerable Upper Intake Levels for Vitamins and Minerals“ des Scientific Committee
on Food (SCF) der Europäischen Gesundheitsbehörde zeigen. Gerade bei pharmakologisch aktiven Substanzen ist die Einhaltung des therapeutischen Dosisbereichs ein zwingendes Gebot. Bei physiologisch aktiven Mikronährstoffen aber verkommt diese Denke
zum überalterten Paradoxon, wie der nachfolgende Beitrag zeigt.
Eisen-Substitution
bis an die Schmerzgrenze
Therapeutische Breite
Pharmakologische Maximen
Physiologische Grundsätze
Klasse statt Masse
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pharmatime 11/2016
Die Zeiten, als anämische Mädchen frisches Kälberblut trinken mussten, um ihre
„Bleichsucht“ zu kurieren, sind vorbei. Eisenmangel ist aber auch in den heutigen
Industriestaaten keine Seltenheit. Das therapeutische Angebot ist mittlerweile zeitgemäßer, wenn auch nicht auf dem letzten
Stand. Die gängigen, in Europa registrierten Eisenpräparate enthalten 30 bis
160mg Eisen als Tagesdosis. Zufuhrmengen, die – Eisensupplemente sollen ja auf
nüchternen Magen eingenommen werden
– bis an die Grenze der Verträglichkeit,
sprich Schmerzgrenze, gehen. Labordiagnostische Grundlage einer Eisensubstitution ist ein umfassendes „Rotes Blutbild“,
Wissenschaft
unabhängig • meinungsbildend • kritisch
Ernährungsmedizin
kritisch betrachtet
Mag.pharm. Norbert Fuchs
Norbert Fuchs, Jahrgang 1955, studierte in Graz
Pharmazie. Seit 1990 beschäftigt sich der Autor
vorwiegend mit angewandter Biochemie und ernährungsmedizinischer Forschung. Norbert
Fuchs ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Nährstoff-Akademie Salzburg, Autor zahlreicher Fachpublikationen und Fachbücher sowie
Referent ernährungsmedizinischer Themen.
ein Laborbefund, der nicht nur den Eisengehalt bestimmt, sondern auch das Speichereisen (Ferritin), Transporteisen (Transferrin), Hämoglobin, MCV, MCH, MCHC,
RDW, Hämatokrit, Folsäure, B12 und bei
Bedarf weitere Parameter der Erythrozytenbildung. Die meisten dieser Laborwerte aber geben zwar Auskunft über die Folgen, nicht aber über die Ursachen des gestörten Eisenstoffwechsels. Ein Blick auf
die Biochemie und Physiologie der Hämatopoese würde rasch zeigen, dass Eisen,
Folsäure und B12 alleine nicht ausreichen,
das Nahrungseisen optimal zur Hämbildung zu nutzen. Aneurin, Riboflavin, Niacin, Pantothensäure, Pyridoxin, Biotin,
Kupfer und Ascorbinsäure sind, jeder Mikronährstoff für sich, ebenso essenziell für
die Blutbildung wie Eisen. Eine komplexe
Supplementierung mit all diesen physiologischen Cofaktoren der Hämatopoese
würde geringere Eisendosierungen benötigen, die Magenverträglichkeit verbessern und die therapeutische Effizienz dennoch steigern.
Drei B-Vitamine
gegen Polyneuritis
Auch auf neurologischer Ebene ähnelt das
Angebot an registrierten MikronährstoffPräparaten jenem der pharmakologischen
Eisen-Versorgung. Die klassische Trias
„B1-B6-B12“ in den diversen Originaloder Generika-Präparaten enthält den 7080fachen Tagesbedarf der drei Vitamine
und kann vom Arzt noch einmal auf die
dreifache Tagesdosis erhöht werden. Einfacher (pharmakologischer) Hintergedanke dieser Dosierungsempfehlung: Wenn
schon der 70-fache Tagesbedarf keine
Wissenschaft
unabhängig • meinungsbildend • kritisch
Wirkung zeigt, so kann man es aufgrund
der hohen therapeutischen Breite und Verträglichkeit ja mit der 210/240-fachen Tagesdosierung versuchen. Auch im Falle
der Polyneuropathien wäre ein Blick in die
Lehrbücher der Biochemie und Physiologie angebracht: Riboflavin lindert Neuropathien, Pantothensäure verbessert Parästhesien und das Burning Feet-Syndrom,
Folsäure regeneriert das Nervengewebe
und Alpha-Liponsäure schützt die Nervensubstanz. Worauf also begründet sich die
hochdosierte Kombination der drei Einzelkämpfer aus der Familie der B-Vitamine
zur Behandlung neurologischer Systemerkrankungen? Wohl nur auf einer starren
Haltung einer pharmakologischen Nomenklatura, die darauf beharrt, pharmakologische Denkmuster dogmatisch über
physiologische Naturgesetze zu stülpen.
„Masse statt Klasse“ drängt sich da als
Leitspruch der Verzweiflung auf.
Ein Mineralstoff für
starke Knochen
Ein weiteres Beispiel für den pharmakologisch-linearen Denkansatz in der Behandlung ernährungsbedingter Beschwerden
ist die Osteoporose-Therapie mit Calcium-Monopräparaten, bestenfalls kombiniert mit Vitamin D. Abgesehen davon,
dass unsere anorganische Knochenmatrix
neben Calcium auch etwa 50 Prozent der
Magnesium, Carbonat- und BicarbonatKörperbestände speichert, enthält sie
auch beträchtliche Mengen an Mangan,
Vitamin K, Kupfer, Zink, Fluor, ja selbst Ultraspurenelemente wie Strontium. Diese
Mikronährstoffe werden in unseren Knochen und Knorpeln nicht als passive Ele-
mente gespeichert, sondern erfüllen aktive Rollen im Rahmen der Osteogenese.
Dazu kommt, dass unser Calcium-Tagesbedarf mit steigendem Proteinkonsum
ebenfalls ansteigt, da Proteine zu ihrer
Metabolisierung basische Mineralstoffe
benötigen, die sie aus den Knochen mobilisieren und vermehrt ausscheiden. Basische Ernährung (Kartoffeln, Gemüse, Salate), kombiniert mit einer komplexen (basischen) Mikronährstoff-Substitution würde
unseren täglichen Calcium-Bedarf drastisch senken und den physiologischen Bedürfnissen unser Knochen definitiv mehr
entsprechen als eine hochdosierte Calcium-Vitamin D-Zufuhr.
„Therapeutische Breite“
physiologisch definiert
Aus pharmakologischer Sicht gibt die therapeutische Breite Auskunft über die Anwendungssicherheit eines Pharmakons.
Sie beschreibt die Dosierungsbreite zwischen jener Dosis, die therapeutisch nützt
und jener Dosis, die den Körper schädigt
– also ganz im Sinne von Paracelsus. Aus
physiologischer Perspektive aber bekommt der Begriff „Breite“ eine andere
Dimension. Mikronährstoffe wirken niemals als Einzelsubstanzen, sondern immer
nur im Umfeld ihrer physiologischen Mitstreiter. Je komplexer, je „breiter“ nutriologische Kombinationen im Sinne ihrer
biochemischen Komplexität angelegt
sind, umso besser die Verträglichkeit und
umso höher das therapeutische Potenzial.
Dieses simple und logische Resumé würde
den Klassenkampf der Vitamin-Befürworter und –Gegner nachhaltig entspannen würde. «
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