Kürzlich erlebte Durcheinandertal im Theater St.Gallen seine Uraufführung. Durcheinandertal ist Friedrich Dürrenmatts letzter Roman, erschienen 1989, ein Jahr vor seinem Tod. Wie die Geschichte selbst, ein regelrechtes Chaos der Irritation, ist auch die Inszenierung des Theaters St.Gallen: laut, wild und durcheinander. "Denn selig ist der, der da arm ist." Moses Melkers (Diana Dengler) Theorie des Reichtums, welche wohl eher eine Theorie der Armut ist, leitet die Geschichte und stellt die Kurgäste des Durcheinandertals mit ihren riesigen Reichtümern in die Schranken ihrer eigenen Existenz. Der einen Misere folgt die nächste, wobei die Vergewaltigung der minderjährigen Tochter Elsi (Marcus Schäfer) des Gemeindepräsidenten Pretánder (Birgit Bücker) nur der Anfang allen Übels ist. Mord, Existenzverlust und Selbstverleumdung treiben die Kurgäste und Einheimischen schliesslich in den Wahnsinn. Elsi schaut zu, wie Kurhaus und Durcheinandertal den Flammen zum Opfer fallen. Vollgespickt mit Bibelzitaten enden Roman und Theaterfassung mit: „Das Kind hüpfte vor Freude in ihrem Bauch.“ Unerwartet trifft Moses Melker (Diana Dengler, Mitte) im Kurhaus auf die beiden Gangster Big Jimmy (Jessica Cuna, links) und Marihuana-Joe (Christian Hettkamp). Foto: Sebastian Hoppe Kritik an der heutigen Gesellschaft Die Inszenierung von Martin Pfaff, der auch für die Theaterfassung verantwortlich zeichnet, strotzt vor Verzerrungen, Überspitzungen und Übertreibungen. Doch zeigt sie auch einen wahren Kern. Pfaff weiss, wie die Geschichte in die heutige Zeit übertragen werden muss. Beschreibt doch das Durcheinandertal auf der Bühne die Problematik des Zusammenlebens, der Wichtigkeit des Geldes und der Politik in der westlichen Welt. So erntet Schauspieler Oliver Losehand in der Rolle der Witwe Hungerbühler ordentlichen Applaus, nachdem er nahe einer Herzbarracke beschreibt, was es bedeutet, in der heutigen Welt zu leben: ein einziges System des Tolerant-Seins. Das Durcheinander (unserer Welt?) zeigt sich in den verschiedenen Bühnenszenen. Einmal wird gesungen, ein andermal fliegen Schauspieler durch die Lüfte oder werden übergross durch eine Videokamera an das Kurhaus – ein überdimensionaler Origami-Hund von Bühnenbilderin Claudia Rohner – projiziert. Diese Geschichte zeigt die unsäglichen Möglichkeiten in der heutigen Zeit. Es gibt kein Pardon auf Verlust der Identität. Hauptmotiv Gegensatz und Irritation Das Sanktgaller Durcheinandertal steckt voller Gegensätze. Ein weiteres Mal lässt das Theater St.Gallen Männer in Frauen- und Frauen in Männerrollen schlüpfen. Nichts Neues. Eigentlich schon zu viel gesehen. Doch wenn nicht in diesem Stück mit dieser Art von Irritation und Provokation gespielt werden kann, dann wohl in keinem. Auch die Monologe der Erzähler sind ein Hin und Her zwischen Witz und Ernst, Vergangenheit und Gegenwart, Hochdeutsch und Mundart oder Wahrheit und Illusion. Zusätzlich unterstreichen die Kostüme (Marion Steiner) die gespaltenen Persönlichkeiten, zumal sie entweder zu übertrieben oder zu schlicht entworfen sind. Um in all diesem Durcheinander noch Ordnung zu finden, muss man sein Gehirn ordentlich auf Trab halten. 31.01.2017 – Eva Ammann, ehemals Kanti am Burggraben Totalchaos im Durcheinandertal: Mörder werden zu Einheimischen und Einheimische zu Verrückten. Foto: Sebastian Hoppe