Humanes T-Zell-Leukämievirus Typ 1 (HTLV

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Dies ist die letzte Ausgabe des Retrovirus
Bulletins aus dem Virologischen Institut in
Erlangen.
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Die Redaktion
14 JA H R E R E T R O V I R U S B U L L E T I N
– EINE BILANZ
KLINIK UND FORSCHUNG
• Humanes T-Zell-Leukämievirus Typ 1
(HTLV-1) – Infektion, Pathogenese
und Therapie
Andrea Kreß, Erlangen
• Endogene Retroviren und Schizophrenie
Olivia Diem, Christine Leib-Mösch,
München
KONGRESSHINWEISE 2013
• Das RetroVirusBulletin aus Erlangen
– eine Bilanz
Klaus Korn, Erlangen
14 JA H R E
4
2012
VIROLOGISCHES INSTITUT · KLINISCHE UND MOLEKULARE VIROLOGIE
UNIVERSITÄTSKLINIKUM ERLANGEN
RETROVIRUS BULLETIN – EINE BILANZ
KLINIK UND FORSCHUNG
Humanes T-Zell-Leukämievirus Typ 1 (HTLV-1)
– Infektion, Pathogenese und Therapie
Ein Virus – verschiedene Mechanismen
der Zell-Zell-Transmission
Das HumaneT-Zell-LeukämievirusTyp1(HTLV-1)
wurde 1980 als das erste humanpathogene
Retrovirus identifiziert, das im Menschen Krebs
auslöst. Weltweit sind ca. 10 bis 20 Millionen
Menschen mit HTLV-1 infiziert,wobei die meisten Infektionen in Japan, der Karibik, in Südamerika, in Teilen von Afrika sowie im Nahen
Osten auftreten. In Westeuropa beschränken
sich die Infektionen meist auf sehr wenige
Menschen, die aus Endemiegebieten stammen
(Matsuoka, Retrovirology 2005; Verdonck et al.,
Lancet 2007). HTLV-1 infiziert in vivo hauptsächlich CD4+ T-Zellen. Im Gegensatz zu HIV
ist die zellfreie Infektion mit HTLV-1 sehr ineffizient. Die Übertragung von HTLV-1 erfordert
Zell-Zell-Kontakte, weswegen HTLV-1 hauptsächlich über die Muttermilch, durch sexuelle
Kontakte sowie durch Blut übertragen werden
kann. Bislang sind drei verschiedene Mechanismen der Virustransmission von T-Zelle zu
T-Zelle bekannt (Nejmeddine und Bangham,
Viruses 2010):
1 HTLV-1 wird über eine virus-induzierte
virologische Synapse an Zell-Zell-Kontakten übertragen. Dabei kommt es zu einer
Polarisierung des Zytoskeletts der infizierten Zelle hin zur uninfizierten Zelle und
Virionen werden über einen synaptischen
Spalt übertragen.
2 HTLV-1 kann auch über einen »viralen
Biofilm« übertragen werden. Dabei liegen
die Virionen auf der Zelloberfläche eingebettet in Komponenten der extrazellulären Matrix vor.
3 Zudem induziert das virale akzessorische
Protein p8 Ausstülpungen in infizierten
Zellen (zelluläre Protrusionen), über welche dann Virionen auf uninfizierte T-Zellen übertragen werden.
Allen Wegen der Transmission ist gemein, dass
die Übertragung zellassoziiert erfolgt und die
Virionen abgeschirmt von anderen Komponenten des Immunsystems übertragen werden. Nach Infektion der Zielzelle integriert
HTLV-1 in das Wirtsgenom und persistiert le-
Abb. 1: Das Onkoprotein Tax-1 interagiert mit zahlreichen Proteinen der Wirtszelle. Neben Stimulation
der Virusreplikation beeinflusst Tax-1 auch durch Protein-Protein-Interaktionen die Wirtszelltranskription und führt zu verändertem Wachstumsverhalten der Zellen.
benslang als Provirus. Für die Initialphase der
Transmission können auch dendritische Zellen
wichtig sein, die in vitro sehr effizient das Virus auf T-Zellen übertragen können und auch
in vivo das Virus tragen (Nejmeddine und
Bangham, Viruses 2010).
Ein Onkoprotein – zahlreiche Möglichkeiten der Wirtszellmodulation
HTLV-1 kodiert neben typischen retroviralen
Strukturproteinen und kleinen akzessorischen
Proteinen für ein Onkogen, den Transaktivator Tax-1. Zudem konnte in den vergangenen
Jahren gezeigt werden, dass HTLV-1 in antisense das sogenannte HBZ (HTLV-1 basic leucine zipper) codiert, dem auch proliferationsfördernde Eigenschaften zugeschrieben werden.
Tax-1 erfüllt die Kriterien eines klassischen
Onkogens:
1 Tax-1 transformiert Fibroblasten von
Nagetieren.
2 Die transgene Expression von Tax-1
in Mäusen ruft Tumore hervor.
3 Tax-1 stimuliert T-Zellen zu permanentem Wachstum.
Dabei agiert Tax-1 als zweischneidiges
Schwert, da es neben der Stimulation der viralen Transkription auch massiv Einfluss auf
die Wirtszelle nimmt (Abb. 1). Durch Interaktionen mit zellulären Proteinen vermittelt
Tax-1 seine Wirkung. Tax-1 aktiviert zelluläre
Signalwege wie z.B. den CREB (cAMP response
element binding )-Signalweg und den SRF (serum response factor )-Signalweg. Zudem führt
Tax-1 zu konstitutiver Aktivierung des klassischen und des alternativen NF-κB (nuclear
factor of kappa B )-Signalwegs. Tax-1 induziert
anti-apoptotische Proteine, die den programmierten Zelltod verhindern und stimuliert den
Zellzyklus und somit die Zellproliferation. Neben der Repression des Tumorsuppressors p53
interferiert Tax-1 auch mit DNA-ReparaturEnzymen und führt dadurch zu genetischer
Instabilität. Insgesamt fördert Tax-1 so die
oligoklonale Expansion HTLV-1-infizierter TZellen und stellt auch die Vermehrung des
Provirus durch mitotische Expansion der infizierten Zellen sicher. Durch die gestörte Regulation von Signalwegen und zellulären Kontrollmechanismen können sich Mutationen
anreichern, die die Entstehung der Adulten TZell-Leukämie/Lymphom (ATLL) begünstigen.
Dabei kommt Tax-1 vor allem bei den initialen Schritten der T-Zell-Transformation eine
entscheidende Bedeutung zu. Nach Ausbruch
der Erkrankungen spielt Tax-1 eher eine untergeordnete Rolle, da im Patienten die virale
Genexpression eher gering ist und Tax-1 auch
Angriffspunkt für zytotoxische T-Zellen ist.
Abb. 2: Typische »flower cell« mit gelapptem Kern
aus dem peripheren Blut eines Patienten mit
akuter ATLL (entnommen aus Matsuoka Retrovirology 2005 2:27 doi:10.1186/1742-4690-2-27).
krankung von CD4+ T-Zellen, der ATLL. Phänotypisch handelt es sich bei den Leukämiezellen um CD3+ CD4+ CD25+ T-Lymphozyten,
die HTLV-1 Provirus enthalten. Charakteristisch
sind vergrößerte, abnormale Lymphozyten mit
gelapptem Kern, die sogenannten flower cells
(Abb. 2). Klinische Zeichen der ATLL sind eine
generalisierte Schwellung der Lymphknoten
(Lymphadenopathie), eine Vergrößerung von
Leber und Milz (Hepatosplenomegalie), Hautläsionen, erhöhte Kalzium-Spiegel (Hyperkalzämie) und Knochenlyse, Pneumonien sowie opportunistische Infektionen. Die ATLL
wird anhand der klinischen Symptomatik in
verschiedene Subtypen eingeteilt, die akute,
die lymphomatöse, die schwelende und die
chronische ATLL (Tabelle). Die akute Form der
ATLL, die auch die häufigste und aggressivste
Form darstellt, ist sehr schwer therapierbar
und hat eine mittlere Überlebenszeit von
sechs Monaten. Zudem hat die ATLL auf Grund
von erhöhter intrinsischer Chemoresistenz
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Symptomatische Therapie,
aber keine Heilung bei HAM/TSP
Trotz zahlreicher therapeutischer Herangehensweisen lässt sich bislang weder ATLL noch
HAM/TSP heilen. Die Therapie der HAM/TSP
mit antiretroviralen Medikamenten ist nicht
effektiv und den meisten Patienten werden
Corticosteroide oder Interferon-α verabreicht.
Zudem wird symptomatisch therapiert sowie
Physiotherapie angewandt (Martin et al., PLoS
Negl Trop Dis 2012). Neuere in vitro -Studien
zielten darauf ab, durch Histon-Deacetylase-
Tabelle: Verschiedene Subtypen der ATLL und deren klinische Eigenschaften.
ATLL-Typ
Anteil
klinische Eigenschaften
Lymphadenopathie
hohe Anzahl von zirkulierenden Leukämiezellen
• Viszera (Eingeweide) oder weiche Hirnhäute
involviert
• opportunistische Infektionen
• Hyperkalzämie, Knochenlyse
Überlebenszeit
•
•
Akut
60 %
Lymphadenopathie
Hautläsionen
• abnormale Lymphozyten <1 %
• Hyperkalzämie (weniger häufig als bei Akut-Typ)
6 Monate
•
Lymphomatös 20 %
Ein Virus – verschiedene Krankheitsbilder
Nach Infektion mit HTLV-1 bleiben die meisten Patienten lebenslang symptomfrei, allerdings entwickeln ca. 10 % der Infizierten
schwerwiegende Erkrankungen, meist erst
nach jahrzehntelanger Latenzzeit. In ca. 3 bis
5 % der Infizierten kommt es zum Ausbruch
einer aggressiven, lymphoproliferativen Er-
und schwerer Immunsuppression insgesamt
eine schlechte Prognose (Bazarbachi et al.,
Blood 2011).
Weitere 3 % der HTLV-1-Infizierten leiden
an einer chronisch entzündlichen, neurodegenerativen Erkrankung des Rückenmarks, der
HTLV-1-assoziierten Myelopathie /tropischen
spastischen Paraparese (HAM/TSP). Bei HAM/
TSP-Patienten dringen infizierte Lymphozyten
in das ZNS ein. Man geht davon aus, dass es
durch die Immunantwort des Patienten zu einem »Kollateralschaden« kommt, d.h. die Freisetzung von Zytokinen verursacht Entzündungen, die dann zu axonalen Schädigungen und
einer Demyelinisierung des Rückenmarks im
Bereich der Brustwirbel führen. Aus den chronisch entzündlichen Prozessen resultieren
Symptome wie eine langsam fortschreitende,
chronische spastische Paraparese, urogenitale
und sensorische Störungen, Schmerzen im
Lendenbereich sowie Hyperreflexie. Neben
ATLL und HAM/TSP können auch in seltenen
Fällen Entzündungen des Auges (Uveitis), der
Gelenke (Arthritis), der Muskeln (Myositis), der
Lunge (Alveolitis) und der Haut (Dermatitis)
mit HTLV-1-Infektionen einhergehen. In den
Tropen können außerdem Koinfektionen mit
dem Fadenwurm Strongyloidis stercoralis auftreten und schwere Erkrankungen bei HTLV-1Infizierten hervorrufen (Verdonck et al., Lancet 2007).
•
gelegentlich sind Haut, Leber und Lunge involviert
Lymphozytose (lymphocyte count >4000/ mm3)
• abnormale Lymphozyten >10 %
• keine Hyperkalzämie
6 Monate
bis 2 Jahre
•
Chronisch
15 %
•
abnormale Lymphozyten <5 %
keine Lymphadenopathie, Viszeromegalie
• Hautläsionen fallweise
• Hyperkalzämie
2 Jahre
•
Schwelend
(Smoldering)
5%
•
5 Jahre
2
Inhibitoren wie Valproinsäure (Valproate) die
virale Genexpression in den infizierten Zellen
zu steigern. Als Folge konnten in vitro die virus-infizierten Zellen von Tax-spezifischen zytotoxischen T-Zellen erkannt und lysiert werden, was zu einem Abfall der Viruslast führte.
In einer klinischen Studie mit 19 HAM/TSPPatienten kam es trotz gefahrloser Therapie
nicht zu signifikanten Veränderungen der
proviralen Last nach Gabe von Valproinsäure
in vivo (Olindo et al., Blood 2011). Da vermutet wird, dass aktivierte T-Zellen und freigesetzte Zytokine für die Gewebeschäden bei
HAM/TSP verantwortlich sind, wurde in einer
weiteren klinischen Studie mit 7 HAM/TSP-Patienten Cyclosporin A, ein Inhibitor der T-ZellAktivierung, getestet. Dabei konnte gezeigt
werden, dass der Einsatz von Cyclosporin A sicher ist und teilweise auch klinische Vorteile
lieferte, so dass nun weitere Studien mit einer
größeren Patientengruppe durchgeführt werden (Martin et al., PLoS Negl Trop Dis 2012).
Bei der Entwicklung von Therapieplänen für
HAM/TSP-Patienten ist es ratsam, mit Experten Kontakt aufzunehmen. Im St. Mary’s Hospital in London wurde z.B. eine HTLV-1 Klinik
eingerichtet, in welcher regelmäßig Patienten
therapiert werden: http://www.htlv1.eu/
Kombinationstherapie als Schlüssel
zum Erfolg bei der ATLL-Therapie?
Die ATLL hat aufgrund hoher Chemoresistenz
eine sehr schlechte Prognose. Die Therapie der
ATLL variiert je nach Subtyp und regelmäßig
werden neue Therapieempfehlungen von Expertenkommissionen publiziert (Tsukasaki et
al., J Clin Oncol 2009; Bazarbachi et al., Blood
2011). Bei akuter oder lymphomatöser ATLL
wird meist eine Chemotherapie (VCAP-AMPVECP, CHOP) angewandt. Eine weitere effektive Behandlungsform, die die Überlebensraten von ATLL-Patienten steigern kann, ist
die allogene Stammzelltransplantation. Dabei
hängt der Erfolg der Behandlung allerdings
vom Alter des Empfängers, dem Geschlecht,
dem Krankheitsstatus vor der Transplantation
sowie der Beziehung zwischen Empfänger und
Donor ab (Ishida et al., Blood 2012). Als Alternativen laufen auch verschiedene Studien,
welche darauf abzielen, selektiv maligne Zellen anzugreifen. Dabei werden monoklonale
Antikörper gegen Oberflächenproteine eingesetzt, die vor allem auf HTLV-1-infizierten TZellen gebildet werden und zum Teil durch das
Tax-1-Protein induziert werden (Kress et al.,
Viruses 2011). In klinischen Studien wurden
bereits monoklonale Antikörper gegen IL2RA
(CD25), CD2, CD52 und CCR4 getestet.
Bei chronischer und schwelender ATLL sowie bei einigen Fällen der akuten ATLL konnte in Metaanalysen gezeigt werden, dass die
Kombination von antiretroviraler Therapie (Zidovudin / AZT) und Interferon-α standardisiert
als first line -Therapie eingesetzt werden sollte. Diese Therapie mit anschließender Chemotherapie lieferte eine wesentlich bessere Prognose und gesteigerte Lebenserwartung als der
ausschließliche Einsatz von Chemotherapeutika (Bazarbachi et al., Blood 2011). Als Alter-
3
nativen zu antiretroviraler Therapie und Chemotherapie wurden bereits auch einige in
vitro -Studien durchgeführt, die darauf abzielten, Tax-1 und dessen anti-apoptotisches
Potential zu unterdrücken (Taylor und Nicot,
Apoptosis 2008). Als besonders vielversprechender Ansatzpunkt gilt dabei die Kombinationstherapie aus Arsentrioxid und Interferon-α, die sowohl in vitro zu gesteigerter
Induktion von Apoptose und Zellzyklus-Arrest
in ATLL-Zellen führte, als auch in vivo (Phase
II) zu vollständiger Remission (1 Patient) bzw.
partieller Remission (3 Patienten) bei Patienten mit hartnäckiger ATLL und Rezidiven
(n = 7). Aktuell laufen vielversprechende klinische Studien, die die Kombination von Arsentrioxid, Interferon-α und AZT evaluieren (Bazarbachi et al., Blood 2011).
Literaturhinweise
Was die Zukunft bringt …
Matsuoka M. Human T-cell leukemia virus type I
(HTLV-I) infection and the onset of adult T-cell leukemia (ATL). Retrovirology 2005; 2: 27.
Insgesamt ist es bislang trotz intensiver Anstrengungen nicht gelungen, ATLL oder HAM/
TSP zu heilen. Zudem ist weitgehend unklar,
warum nur ein geringer Prozentsatz der
HTLV-1-Infizierten eine ATLL oder HAM/TSP
entwickeln. Weitere Analysen und klinische
Studien sind daher notwendig, um bestehende Therapien zu optimieren und um neue,
effizientere therapeutische Ziele zu identifizieren.
Bazarbachi A, Suarez F, Fields P, et al. How I
treat adult T-cell leukemia/lymphoma. Blood 2011;
118: 1736-45.
Ishida T, Hishizawa M, Kato K, et al. Allogeneic
hematopoietic stem cell transplantation for adult
T-cell leukemia-lymphoma with special emphasis
on preconditioning regimen: a nationwide retrospective study. Blood 2012; 120: 1734-41.
Kress A K, Grassmann R und Fleckenstein B. Cell
Surface Markers in HTLV-1 Pathogenesis. Viruses
2011; 3: 1439-59.
Martin F, Castro H, Gabriel C, et al. Ciclosporin
A proof of concept study in patients with active,
progressive HTLV-1 associated myelopathy/tropical
spastic paraparesis. PLoS Negl Trop Dis 2012; 6:
e1675.
Nejmeddine M und Bangham C R M. The HTLV-1
Virological Synapse. Viruses 2010; 2: 1427-47.
Olindo S, Belrose G, Gillet N, et al. Safety of
long-term treatment of HAM/TSP patients with
valproic acid. Blood 2011; 118: 6306-09.
Taylor J M und Nicot C. HTLV-1 and apoptosis:
role in cellular transformation and recent advances in therapeutic approaches. Apoptosis 2008; 13:
733-47.
Tsukasaki K, Hermine O, Bazarbachi A, et al.
Definition, prognostic factors, treatment, and response criteria of adult T-cell leukemia-lymphoma:
a proposal from an international consensus meeting. J Clin Oncol 2009; 27: 453-59.
Verdonck K, Gonzalez E, Van D S, et al. Human
T-lymphotropic virus 1: recent knowledge about
an ancient infection. Lancet Infect Dis 2007; 7:
266-81.
Dr. rer. nat. Andrea K. Kreß
Virologisches Institut – Klinische und
Molekulare Virologie, Universitätsklinikum
Erlangen
[email protected]
Link
http://www.htlv1.eu/
KONGRESSHINWEIS
12. – 15. Juni 2013
6. Deutsch-Österreichischer
AIDS-Kongress – DÖAK 2013
Innsbruck
http://www.doeak.com
www.virologie.uni-erlangen.de
KLINIK UND FORSCHUNG
Endogene Retroviren und Schizophrenie
Schizophrenie – eine multifaktorielle
psychische Erkrankung
Schizophrenie ist eine komplexe psychische
Störung mit einer vielfältigen Symptomatik,
die weltweit rund 1 % der Bevölkerung betrifft. Die Krankheit tritt meistens im Alter
zwischen 18 und 30 Jahren auf. Die Krankheitsursachen sind bis heute nicht eindeutig
geklärt. Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien sowie epidemiologische Studien sprechen dafür, dass der Ätiopathogenese sowohl
eine deutliche genetische Komponente als
auch Umweltfaktoren zugrunde liegen (Yolken
und Torrey, Clinical Neuroscience Research
2006). Anhand von genomweiten Assoziationsstudien wurden bislang mehr als 200 Gene
mit Schizophrenie in Verbindung gebracht:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/omim
Umwelteinflüsse wie zum Beispiel Infektionen der Mutter während der Schwangerschaft, perinatale Infektionen, Geburt im
Frühjahr oder Winter, das Aufwachsen mit
Geschwistern oder in der Stadt scheinen die
Erkrankung zu begünstigen (Yolken und Torrey, Molecular Psychiatry 2008). Als infektiöse Auslöser stehen unter anderen Toxoplasma gondii, Cytomegalieviren, Herpes simplex
Viren und Masernviren unter Verdacht. Darü-
ber hinaus weisen mehrere Studien auf eine
Beteiligung endogener Retroviren (ERVs) hin
(Christensen et al., J Neuroimmune Pharmacol
2010).
Humane endogene Retroviren (HERVs)
Endogene Retroviren und verwandte Sequenzen umfassen etwa 8 bis 9 % des menschlichen Genoms. Das ist sehr viel, wenn man bedenkt, dass Gensequenzen höchstens 2 % der
DNA ausmachen. Humane endogene Retroviren (HERVs) sind Relikte der Infektionen von
Keimbahnzellen mit exogenen Retroviren, die
im Laufe der Evolution der Säugetiere und
während der Entstehung der Primaten erfolgten (Abb. 1). Nach Integration als Proviren in
die DNA der Keimbahn konnten sich ERVs
durch Neuinfektion und Retrotransposition
weiter vermehren und wurden an die Nachkommen vererbt. Die ältesten HERVs (HERV-L)
können bis zu 70 Millionen Jahre zurückverfolgt werden, die jüngsten HERVs (HERV-K)
sind in der menschlichen Bevölkerung polymorph und waren zumindest vor 150.000
Jahren noch vermehrungsfähig (Jha et al.,
PLoS One 2011). Inzwischen sind alle bekannten HERVs durch Mutationen replikationsdefekt und ihre Expression wird durch epigenetische Mechanismen weitgehend unterdrückt.
Man findet jedoch in allen menschlichen
Zellen eine basale HERV-Aktivität mit einem
gewebetypischen HERV-Transkriptionsmuster
(Seifarth et al., J Virol 2005). Infektiöse, replikationskompetente HERV s sind bislang nicht
bekannt; allerdings konnte in vitro durch Einführung weniger Mutationen ein infektiöses
HERV-K(HML-2)-Virus wiederhergestellt werden (Dewannieux et al., Genome Research
2006).
Reaktivierung von HERVs durch Umwelteinflüsse
Verschiedene Umweltfaktoren, die zu Mutationen führen oder die Epigenetik der Zelle
beeinflussen, können die HERV-Aktivität erhöhen oder stillgelegte HERV-Sequenzen reaktivieren (Abb. 2). Dazu zählen radioaktive
oder UV-Strahlung (Hohenadl et al., J Invest
Dermatol 1999) und mutagene Chemikalien,
aber auch Medikamente, die das Methylierungsmuster der DNA oder die Chromatinumgebung verändern. Beispielsweise erhöht
5-Azacytidin die HERV-Transkription durch
Demethylierung der Promotorsequenz in den
HERV-LTRs (long terminal repeats ) (Lavie et al.,
J Virol 2005), während Valproinsäure das
Chromatin durch Hemmung der Histon-Deacetylasen in einen aktiven Zustand überführt.
Abb. 1: Integration und Amplifikation endogener Retroviren im Primatengenom.
Platyrrhini
Catarrhini
Hominoidea
0
1
5
2
3
HERV-K(HML-2)
HERV-K (HML-2)
10
15
4
ERV9, HERV-H, HERV-K (HML-2)
5
25
ERV9, HERV-H, HERV-K(HML-2, HML-4, HML-10)
30
7
8
9
HERV-S, HERV-T, HERV-IP, HERV-W, HERV-Z, HERV-ERI,
HERV-K(HML-1, HML-2, HML-3, HML-4, HML-6, HML-7,
HML-8, HML-9, HML-10)
35
40
10
HERV-I, ERV9, HERV-H, ERV-FRD, HERV-Fb, HERV-K(HML-5), HERV-L
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Zeit (Mio. Jahre)
DNA Differenz (%)
6
20
45
4
Zytokine und Hormone beeinflussen die
HERV-Expression ebenfalls. Infektionen mit
Viren und anderen Erregern können zu einer
vermehrten HERV-Expression führen, vermutlich über die Aktivierung zellulärer Transkriptionsfaktoren, die mit den HERV-Promotoren
interagieren. Neben HIV, verschiedenen Herpesviren und Influenzaviren (Garrison et al.,
PLoS Pathog 2007; Nellacker et al., Retrovirology 2006; Sutkowski et al., Immunity 2001)
können auch Prionen und Toxoplasma gondii
die Expression endogener Retroviren stimulieren (Frank et al., J Infect Dis 2006). Aktivierte
HERVs können schließlich ihrerseits durch regulative Sequenzen in den LTRs die Expression von zellulären Genen, zum Beispiel von
Onkogenen, anschalten oder potentiell pathogene Proteine synthetisieren, die wie das RecProtein von HERV-K(HML-2) mit Transkriptionsfaktoren interagieren können oder wie
das Env-Protein von HERV-W fusogen wirken,
oder immunsuppressive Eigenschaften besitzen (Abb. 3). HERVs werden daher mit verschiedenen Tumoren, Autoimmunerkrankungen und neurologischen Störungen assoziiert
(Romanish et al., Semin Cancer Biol 2010;
Christensen et al., J Neuroimmune Pharmacol
2010).
HERVs in neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen
Eine Beteiligung von HERVs wird im wesentlichen für zwei Erkrankungen des zentralen
Nervensystems diskutiert: Multiple Sklerose
und Schizophrenie. In beiden Fällen stützt sich
die Hypothese auf den Nachweis endogener
retroviraler Transkripte und/oder Proteine in
Liquor cerebrospinalis und Gehirngewebe. In
einigen Fällen wurden auch Retrovirus-ähnliche Partikel beobachtet. Mit multipler Sklerose wird hauptsächlich die HERV-W-Gruppe
assoziiert, die etwa 40 Proviren und mehr als
1.000 solitäre LTRs umfasst. HERV-W-GagProteine konnten akkumuliert in demyelinisierten entzündlichen Herden im Gehirngewebe von Patienten nachgewiesen werden
(Perron et al., J Neurovirology 2005). Aber wie
bei der Schizophrenie stehen auch genetische
Disposition und Infektionen mit exogenen Viren unter Verdacht. Da es sich bei multipler
Sklerose um eine Autoimmunerkrankung handelt, könnten unterschiedliche virale Proteine
z.B. durch molekulare Mimikry (Viren müssen,
um sich vermehren zu können, zelluläre Proteine und Funktionen imitieren) Auslöser der
Attacken des Immunsystems auf die Myelinscheiden der Nervenzellfortsätze sein.
Noch weitaus komplexer als multiple Sklerose stellen sich neuropsychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie oder bipolare
Störungen dar. Kausale Zusammenhänge sind
hier kaum fassbar. Da zwischen dem auslösenden Ereignis und den ersten Symptomen der
Erkrankung Jahrzehnte vergangen sein können, kann das auslösende Agens zum Zeitpunkt der Diagnose möglicherweise gar nicht
mehr gefunden werden. Auch hier weisen
mehrere Studien auf eine Rolle von HERV-WSequenzen hin (Karlsson et al., PNAS 2001);
5
Strahlung
· UV
· γ-Strahlung
Infektionen
· Herpesviren
· Influenza
· HIV
· Toxoplasma gondii
· Prionen
gag
LTR
Epigenetisch
wirksame Chemikalien
· 5-Azacytidin
· Valproinsäure
pol
Mitogene
· Phorbolester
· Phytohämagglutinin
· Concanavalin A
env
LTR
Steroidhormone
· Glucocorticoide
· Östrogene
· Progesteron
· Dexamethason
Zytokine
· IL-1 (α, β)
· TNF-α
· IFN-α
Abb. 2: Aktivierung endogener Retroviren durch Umweltfaktoren.
Env
Gag
HERV-Aktivierung
durch endogene und
exogene Faktoren
Infektiöse
Partikel?
Expression viraler
Strukturproteine
Retrotransposition?
Reintegration?
Mutagenese?
Transkription
LTR
gag
pol
env
LTR
Aktivierung
zellulärer Gene
Expression regulatorischer
Proteine (Rec, Np9)
Abb. 3: Pathogenes Potential humaner endogener Retroviren (HERVs).
daneben wurden auch andere HERV-Gruppen,
wie z.B. ERV 9-Sequenzen identifiziert (Huang
et al., Schizophrenia Res 2006). Interessanterweise wurde auch eine erhöhte Aktivität von
HERV-K(HML-2), der jüngsten und aktivsten
HERV-Gruppe, im Gehirngewebe von Schizophreniepatienten nachgewiesen (Frank et al.,
J Virol 2005). Mit Hilfe eines Retrovirus-spezifischen Microarrays wurde in dieser Studie
das Expressionsprofil von 50 HERV-Subgruppen in post mortem -Gehirnproben von Patienten mit Schizophrenie und bipolaren
Störungen sowie einer gesunden Kontrollgruppe analysiert. Auffallend ist, dass HERVK(HML-2) in beiden Patientengruppen signifikant überrepräsentiert war.
Bei all diesen Untersuchungen stellt sich jedoch die Frage, inwieweit eine erhöhte HERVExpression kausal mit der Erkrankung zu tun
hat oder ob es sich eher um eine Folge oder
Begleiterscheinung handelt. Dazu kommt,
dass auch die Medikation eine Rolle spielen
könnte, da Patienten mit psychischen Störungen mit Neuroleptika und/oder Antidepressiva behandelt werden, die unter Umständen
die Genexpression beeinflussen können. So ist
bekannt, dass Valproinsäure, ein Antiepileptikum, das auch zur Therapie von bipolaren
Störungen und Schizophrenie eingesetzt wird,
als Histon-Deacetylasehemmer wirkt und verschiedene Gene aktivieren kann (Sharma et al.,
Schizophrenia Research 2006). Um den Effekt
www.virologie.uni-erlangen.de
auf HERVs zu untersuchen, wurden daher
HERV-Expressionsprofile von humanen Gehirnzelllinien nach Behandlung mit Valproinsäure, Haloperidol, Risperidon und Clozapin
mit dem gleichen Retrovirus-spezifischen
Microarray erstellt (Diem et al., PLoS One
2012). Die Behandlung mit Valproinsäure
führte dosisabhängig zu einer erhöhten Transkription mehrerer HERV-Gruppen, während
die anderen Medikamente die HERV-Aktivität
nicht signifikant beeinflussten. Die quantitative Analyse der Transkription relevanter
HERV-Gruppen wie HERV-W, ERV9 und HERVK(HML-2) in Gehirnproben von Patienten unter Berücksichtigung der Medikation ergab,
dass die Transkription von HERV-W und ERV9
im Wesentlichen mit der Einnahme von Valproinsäure korreliert, die von HERV-K(HML-2)
dagegen in einigen Patienten unabhängig von
einer Therapie mit Valproinsäure erhöht ist.
Dies bestätigt die Vermutung, dass zumindest
die HERV-K(HML-2)-Expression in manchen
Fällen mit der Erkrankung assoziiert sein
könnte.
Zusammenfassung
Schizophrenie ist eine multifaktorielle neuropsychiatrische Erkrankung. Neben der genetischen Disposition können verschiedene Umweltfaktoren wie z.B. Infektionen während
der Schwangerschaft und Kindheit eine Rolle
spielen. Auch für eine Beteiligung endogener
Retroviren (HERVs) gibt es zahlreiche Hinweise. Ein besseres Verständnis, wie HERVs in die
Ätiopathogenese oder den Verlauf der Erkrankung involviert sein könnten und welche Umwelteinflüsse für ihre Aktivierung verantwortlich sind, könnte in der Zukunft zu neuen
Methoden bei Diagnose, Therapie, vielleicht
auch bei der Prävention dieser schwerwiegenden psychischen Erkrankung führen.
Literaturhinweise
Christensen T. HERVs in neuropathogenesis. J
Neuroimmune Pharmacol 2010; 5: 326-35.
Dewannieux M, Harper F, Richaud A, et al. Identification of an infectious progenitor for the multiple-copy HERV-K human endogenous retroelements. Genome Res 2006; 16: 1548-56.
Diem O, Schäffner M, Seifarth W, et al. Influence of antipsychotic drugs on human endogenous
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KONGRESSHINWEIS
Prof. Dr. rer. nat. Christine Leib-Mösch
Dr. rer. nat. Olivia Diem
Institut für Virologie
Helmholtz Zentrum München
III. Medizinische Klinik Hämatologie und
Onkologie, Universitätsmedizin Mannheim
6. – 9. März 2013
23. Jahrestreffen der Gesellschaft
für Virologie e.V. (GfV) und
der Deutschen Vereinigung zur
Bekämpfung der Viruskrankheiten
e.V. (DVV)
Christian-Albrechts-Universität, Kiel
http://www.virology-meeting.de
[email protected]
www.virologie.uni-erlangen.de
6
B
Das RetroVirusBulletin aus Erlangen – eine Bilanz
Im Rahmen der ersten Berufung Nationaler Referenzzentren durch das Robert-KochInstitut wurde das Institut für Klinische und
Molekulare Virologie der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen 1996 zum Nationalen
Referenzzentrum für Retroviren ernannt. Als
Arbeitsschwerpunkt stand zunächst die Verbesserung und Erweiterung des Testspektrums
im Vordergrund, um den Aufgaben eines Nationalen Referenzzentrums bei der Abklärung
diagnostischer Problemfälle gerecht werden
zu können. Daneben zeigte sich sehr schnell,
dass auch die Beratungstätigkeit großen Anteil an den Aktivitäten des NRZ einnahm.
Diese zu unterstützen wurde 1998 das RetroVirusBulletin ins Leben gerufen. Viermal im
Jahr sollten auf acht, gelegentlich auf zwölf
Druckseiten interessante Beiträge zum Thema
HIV, aber auch über andere Retroviren präsentiert werden. Von Anfang an wurden die
Ausgaben im Druck und elektronisch erstellt.
Zielgruppe waren in erster Linie die in der Betreuung HIV-infizierter Patienten und in der
Diagnostik Tätigen. Besonderer Wert wurde
immer darauf gelegt, dass die Beiträge auch
für medizinische Laien verständlich sein sollten. Mit einer gedruckten Auflage von 2.000
Exemplaren sowie über Email-Verteiler und
Abrufe von der Homepage des Instituts wurde ein breiter Kreis Interessierter erreicht, der
von auf die Betreuung HIV-Infizierter spezialisierten Schwerpunktpraxen, Mitarbeitern
in diagnostischen Laboratorien, im öffentlichen Gesundheitsdienst oder in AIDS-Beratungsstellen bis hin zu Betroffenen reichte.
Im Lauf von 14 Jahren sind insgesamt 56
Ausgaben des RetroVirusBulletins mit über
180 Beiträgen entstanden. Betrachtet man das
Themenspektrum, so zeigt sich, dass Therapie
und Prophylaxe der HIV-Infektion sowie der
opportunistischen Infektionen den breitesten
Raum einnehmen, gefolgt von Artikeln, die
sich mit HIV-Diagnostik befassen. Diese stand
auch im Fokus der ersten Ausgabe Ende 1998.
Dort befasste sich Dr. Ilona Hauber mit der Viruslast-Bestimmung, die damals noch eine
recht neue, erst seit wenigen Jahren verfügbare Methode war, aber doch schon Einzug in
die Routinediagnostik gehalten hatte. Im zweiten Beitrag berichteten Dr. Barbara Schmidt
und Dr. Hauke Walter über ihre ersten Erfahrungen mit der Resistenztestung für Proteaseinhibitoren – damals noch komplettes Neuland. Es dauerte einige Jahre, bis die ersten
kommerziellen Testkits verfügbar wurden und
noch länger, bis es gelang, die Resistenztestung für Reverse Transkriptase- und Proteaseinhibitoren auch als reguläre Kassenleistung
zu verankern. Ein ähnlicher, wenn auch nicht
ganz so bedeutender Schritt, der der schon
2008 erfolgten Zulassung von Medikamenten
aus anderen Substanzklassen Rechnung trägt,
7
steht nun seit 1. Januar 2013 an (s.S. 8): Auch
die genotypische Resistenztestung für Integraseinhibitoren und Fusionsinhibitoren sowie
die genotypische HIV-Korezeptor-Tropismustestung werden jetzt unter bestimmten Voraussetzungen als reguläre Kassenleistungen
ohne Einzelantrag abrechenbar.
Die ersten sechs Ausgaben des RetroVirusBulletins bis Mitte 2000 wurden überwiegend
mit Beiträgen von Autoren aus dem eigenen
Institut bestritten. Schon damals wurden viele Themen angesprochen, die auch heute noch
aktuell sind. Von der klinischen Seite her waren dies beispielsweise die Möglichkeiten zur
Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung
von HIV oder Diagnostik und Therapie bei HIVinfizierten Kindern. Gleiches gilt für die Artikel über das Nef-Protein als wichtiger Pathogenesefaktor der Immundefizienzviren von PD
Dr. Frank Kirchhoff und zur »Verbreitung der
Immundefizienzviren bei nicht-humanen Primaten und deren Rolle als Ursprung der
menschlichen Immundefizienzviren« von Dr.
Sabine Lang. Ebenfalls schon 2000 wurde in
einem Artikel von Dr. Barbara Schmidt das
Thema »Integraseinhibitoren – ein neuer Ansatz in der HIV-Therapie« behandelt, acht
Jahre bevor das erste Medikament aus dieser
Substanzklasse seine Zulassung für die Behandlung der HIV-Infektion erhielt.
Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad des
RetroVirusBulletins konnten zahlreiche Autoren außerhalb des NRZ gewonnen werden,
was auch zur Verbreiterung der Themenpalette beitrug. So erschienen in Ausg. 3/2000 zwei
Beiträge, die sich nicht mit der HIV-Infektion
selbst, sondern mit der Therapie und Prophylaxe opportunistischer Infektionen befassten,
die als AIDS-definierende Erkrankungen auftreten können. Andere Beiträge zu opportunistischen Erkrankungen und Koinfektionen bei
HIV behandelten die Themen »Kaposi-Sarkom
und HHV-8-Infektion« (PD Dr. Frank Neipel, 1/
2000), die durch humane Papillomviren ausgelösten analen intraepithelialen Neoplasien und
das Analkarzinom bei HIV-Infizierten (Prof.
Alexander Kreuter und PD Dr. Ulrike Wieland),
die Tuberkulose (PD Dr. E. Richter, 3/ 2008) sowie in mehreren Beiträgen die HCV-Koinfektion (Prof. Jürgen Rockstroh, 4/2001, Dr. Ulrich
Marcus,3/2005, PD Dr.Matthias Ocker, 4/2007).
Eine Reihe der Beiträge, besonders von Autoren aus dem Robert-Koch-Institut, widmeten
sich der Epidemiologie der HIV-Infektion. Dr.
Claudia Kücherer stellte in Ausg. 3/2001 die
HIV-Serokonverter-Studie des Robert-KochInstituts vor, die sich vor allem – aber nicht
ausschließlich – mit der Prävalenz von resistenten Viren bei neu infizierten, noch unbehandelten Patienten beschäftigt. Die auf
Nordrhein-Westfalen fokussierte RESINA-Studie, die sich mit der Häufigkeit von Resisten-
zen bei unbehandelten Patienten vor Therapiebeginn beschäftigt, wurde in Ausg. 4/2005
von Dr. Mark Oette und Kollegen vorgestellt.
Daten aus der Clin-Surv-Kohorte, die die Verlaufsbeobachtung bei überwiegend behandelten HIV-Infizierten zum Ziel hat, präsentierte
Dr. Barbara Bartmeyer in Ausg. 3/2009, und
den Verlauf der HIV-Epidemie in Deutschland
stellte Dr. Ulrich Marcus in Ausg. 1/2012 vor.
Auch »politische« und gesundheitsökonomische Themen aus dem Bereich HIV/AIDS kamen immer wieder zur Sprache. In einem Beitrag von Dr. Monika Gröne und Prof. Bernhard
Fleckenstein in Ausg. 4/2000 wurden die Probleme der HIV/AIDS-Forschungsförderung in
Deutschland anhand eines Vergleichs mit der
Situation in anderen Ländern dargestellt. In
der gleichen Ausgabe befasste sich ein Beitrag
von Armin Götzenich, Nikola Hanhoff und Dr.
Heribert Knechten mit der Situation der ambulanten Betreuung HIV-infizierter Patienten.
Ein weiteres kontroverses Thema, der »off-label use« (Medikamenteneinsatz außerhalb ihrer offiziellen Indikationen), wurde in Ausg. 3/
2003 in drei Beiträgen von Autoren mit unterschiedlichem Hintergrund (klinische Praxis,
Arzneimittelhersteller, Krankenversicherung)
und besonderem Fokus auf die HIV-Infektion
dargestellt. Zwei weitere Beiträge in den Ausg.
4/2007 (Sarah Mostardt et al: »HIV-Behandlung – die gesundheitsökonomische Perspektive«) und 2/2009 (Prof. Matthias Stoll: »HIV,
HAART, G-DRG und Morbi-RSA – die wirtschaftlichen Aussichten im Umfeld des Retrovirus«) hatten die gesundheitsökonomischen
Rahmenbedingungen für die Betreuung und
Behandlung von HIV-infizierten Patienten in
Deutschland zum Thema. Auch die besonderen Probleme, die sich bei der Betreuung von
Migranten mit HIV-Infektion ergeben, wurden
in Ausg. 1/2003 von Dr. Lothar Schneider anhand seiner Erfahrungen aus der eigenen HIVSchwerpunktpraxis geschildert. Trotz Schwierigkeiten durch Sprachbarrieren und kulturelle
Unterschiede sind aber die Behandlungsergebnisse bei Migranten keineswegs schlechter
als bei anderen Patienten.
Dass der Blick des RetroVirusBulletins nicht
nur auf Deutschland fokussiert ist, zeigen verschiedene Beiträge, die sich mit der Situation
im Hinblick auf Epidemiologie, Prävention und
Therapiemöglichkeiten in anderen Ländern beschäftigen. Den Anfang machte hier der Bericht von Prof. Bernhard Fleckenstein und Dr.
Hauke Walter über eine Reise nach Malawi in
Ausg. 1/2005. Es folgte in Ausg.3/2007 ein Beitrag von Dipl. Psych. Robert Fischer zur »BORDERNET-Sentinel-Surveillance«. Dieses von der
EU geförderte Projekt untersucht die Verbreitung von und Risikofaktoren für HIV und andere sexuell übertragene Erkrankungen in verschiedenen Grenzregionen entlang der alten
www.virologie.uni-erlangen.de
und neuen östlichen Grenzen der Europäischen Union. In Ausg. 1/2010 berichtete Dieter Wenderlein unter dem Titel »AIDS-Therapie in Afrika – Aktuelle Herausforderungen und
Ergebnisse« über das DREAM-Programm der
Gemeinschaft Sant’ Egidio. Das Programm verfolgt in zehn afrikanischen Ländern einen
ganzheitlichen Ansatz mit medizinischen, sozialen und wissensvermittelnden Maßnahmen,
um einerseits für HIV-Infizierte eine medizinische Behandlung mit hohem Qualitätsstandard zu gewährleisten und andererseits auch
Prävention durch Interventionen zur Verhinderung der Mutter-Kind-Transmission und Gesundheitsaufklärung zu betreiben. In Ausg. 1/
2011 stellten Dr. Claudia Wallrauch und Dr.
Tom Heller anhand eigener Erfahrungen im
Rahmen eines Entwicklungsprojekts in Kwazulu-Natal »HIV und TB – zwei Gesichter einer
Epidemie im südlichen Afrika« vor. Die Konzentration von zwei Dritteln aller HIV-Infektionen und fast einem Drittel aller Neuerkrankungen an Tuberkulose weltweit in dieser
Region führt zu gewaltigen medizinischen
Problemen, da jede der beiden Erkrankungen
den Verlauf der anderen ungünstig beeinflusst.
Einen interessanten Einblick in ein uns weitgehend unbekanntes Thema gab schließlich in
Ausg. 2/2011 Mahmoud Ayad: Sein Beitrag
»Die Tabuisierung von HIV/AIDS im Iran – ein
Mythos?« stellte zum einen dar, dass die Ausbreitung von HIV im Iran eng mit der großen
Drogenproblematik im Land verknüpft ist, zeigte andererseits aber auch, dass es durchaus
ein wachsendes Problembewusstsein und Fortschritte in Behandlung und Prävention gibt.
Ein großer Teil der Beiträge des RetroVirusBulletins war also – ebenso wie der überwiegende Teil unserer Labortätigkeiten als NRZ –
auf die humanen Immundefizienzviren fokussiert. Dass es daneben auch noch andere
menschliche Retroviren gibt, ist jedoch nicht
vergessen worden und spiegelte sich auch immer in den Beiträgen wider. So waren die humanen T-Zell-Leukämieviren (HTLV) mehrfach
ein Thema, und in dieser letzten Erlanger Ausgabe fasst Dr. Andrea Kreß noch einmal den
aktuellen Kenntnisstand zur Pathogenese und
Therapie der HTLV-1-Infektion und ihrer Erkrankungsbilder zusammen. Auch die humanen endogenen Retroviren (HERV), die im Gegensatz zu den exogenen Retroviren HIV und
HTLV im Erbgut von uns allen vorhanden sind
und für die eine ganze Reihe von Krankheitsassoziationen diskutiert werden, waren bereits
Thema (»Humane endogene Retroviren–genetischer Müll oder Krankheitserreger?«, Ausg. 3/
2010). In dieser letzten Ausgabe des RetroVirusBulletins präsentieren nun Prof. Christine
Leib-Mösch und Dr. Olivia Diem aktuelle Forschungsergebnisse, die sich mit einem möglichen Zusammenhang humaner endogener
Retroviren und Schizophrenie befassen.
Ab 2013 werden die Kolleg(inn)en aus dem
Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt, die zum 1. Oktober
2012 die Funktion des Nationalen Referenzzentrums für Retroviren übernommen haben,
ebenfalls ein »Retrovirologisches Bulletin« herausgeben und damit das RetroVirusBulletin
aus Erlangen ablösen. Wir wünschen ihnen
dafür viel Erfolg und würden uns freuen, wenn
ein möglichst großer Teil unserer Leser auch
das neue Bulletin positiv aufnimmt.
IMPRESSUM
Herausgeber: Virologisches Institut
Klinische und Molekulare Virologie
Universitätsklinikum Erlangen
Schlossgarten 4 · D-91 054 Erlangen
Tel.: 09 131 / 85 - 2 - 40 10
Fax: 09 131 / 85 - 2 - 21 01
E-mail: [email protected]
http://www.virologie.uni-erlangen.de
Redaktion: Dr. Angela Nagel (V.i.S.d.P.)
Tel.: 09 131 / 852 57 90
E-mail: [email protected]
Manuskriptbearbeitung:
Dr. Angela Nagel / Dr. Klaus Korn
Grafische Gestaltung:
http://www.grafikstudio-hoffmann.de
Druck: Druckhaus Haspel, Erlangen
WIR DANKEN FOLGENDEN FIRMEN
FÜR IHRE FREUNDLICHE UNTERSTÜTZUNG:
Dr. med. Klaus Korn
Institut für Klinische und Molekulare
Virologie, Universitätsklinikum Erlangen
[email protected]
NEU ab 1. Januar 2013:
Abrechnung von Untersuchungen zur • genotypischen Bestimmung des Korezeptor-Tropismus von HIV-1 und zur
• genotypischen Resistenztestung für Integraseinhibitoren und Fusionsinhibitoren mit Überweisungsschein möglich.
Mit Beschluss vom 6. November 2012 haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband für die Aufnahme
der Laborparameter »Tropismusbestimmung« sowie »Resistenzanalyse des Integrase-Gens und des gp41-Gens« in den Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenkassen mit Wirkung zum 1. Januar 2013 entschieden. Es werden dafür zwei neue Leistungspositionen in den EBM aufgenommen. Genauer Wortlaut in Heft 47/2012 des Deutschen Ärzteblatts vom 23. November 2012 oder unter:
http://www.aerzteblatt.de/archiv/132878/Beschluss-der-Arbeitsgemeinschaft-Aerzte-Ersatzkassen-anstelle-der-260-Sitzung-%28schriftlicheBeschlussfassung%29-vom-6-November-2012
Damit entfällt unter den nachfolgend genannten Voraussetzungen das aufwändige und langwierige Verfahren
der Einzelanträge auf Kostenerstattung an die Krankenkassen.
• Die Korezeptor-Tropismusbestimmung sollte vor einer geplanten Therapie mit einem CCR-5-Korezeptor-Antagonisten (Maraviroc) und bei
Versagen einer Maraviroc-haltigen Kombinationstherapie durchgeführt werden und ist auch in beiden Fällen abrechenbar.
• Im Gegensatz dazu kann die Resistenzanalyse des Integrase-Gens nur bei Therapieversagen unter entsprechender Therapie (Integraseinhibitoren Raltegravir, Elvitegravir, Dolutegravir) abgerechnet werden.
• Analog ist die genotypische Analyse des gp41-Gens nur nach Therapieversagen mit einem Fusionsinhibitor (Enfuvirtide) abrechenbar.
Für alle drei Parameter gilt, dass sie höchstens zweimal pro Krankheitsfall (d.h. innerhalb von 12 Monaten) erstattungsfähig sind. Darüber
hinausgehende Untersuchungen sind nur mit ausführlicher medizinischer Begründung abrechnungsfähig. Für die Beurteilung, wann ein
Therapieversagen vorliegt, sind die aktuellen Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion (AWMFRegister Nr. 055/001) maßgeblich.
www.virologie.uni-erlangen.de
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