1 Komplexe Funktionen Komplexe Funktionen, also komplexwertige Funktionen f (z) auf den komplexen Zahlen C, treten in der Quantenmechanik häufig auf, denn die gesamte Theorie baut auf den komplexen Zahlen auf. Ihre mathematischen Eigenschaften werden in der Funktionentheorie behandelt. Dort werden viele in der Quantentheorie wichtige Theoreme bewiesen, die teilweise sehr überraschend erscheinen. Es handelt sich dabei meist um Funktionen, die in einem Gebiet analytisch1 sind, was nichts anderes heißt als eindeutig und differenzierbar. Eine analytische Funktion kann man in eine Potenzreihe entwickeln. Oft hat man es auch mit Funktionen zu tun, die in einem Gebiet bis auf endlich viele Pole analytisch sind. In der Regel sind diese Polstellen von erster Ordnung. Wenn die Funktion f (z) eine solche Polstelle bei z0 besitzt, lässt sie sich in der Umgebung von z0 als f (z) = R(z0 ) + g(z) z − z0 (1.1) schreiben, wobei g(z) dort analytisch ist. Die komplexe Konstante R(z0 ) im Zähler bezeichnet man als das Residuum von f (z) an der Stelle z0 . Wichtig für physikalische Anwendungen in der Quantenmechanik sind die Integralsätze. Ihre mathematischen Grundlagen müssen wir nicht unbedingt beherrschen um die Quantenmechanik zu verstehen, aber es ist von Vorteil, sie wenigstens ansatzweise zu kennen. Wir wollen deshalb die wichtigsten Sätze kurz anführen: Der Satz von Cauchy sagt, dass das Integral der analytischen Funktion f (z) über eine geschlossene Kurve C, die sich nicht selbst schneidet, gleich null ist: I f (z) dz = 0 . (1.2) C Dabei ist vorausgesetzt, dass das Gebiet, das von der Randkurve C umschlossen ist, einfach zusammenhängend ist. Dabei heißt ein Gebiet einfach zusammenhängend, wenn man jeden geschlossenen Weg innerhalb des Gebietes durch eine stetige Transformation auf einen Punkt zusammenziehen kann. Unter den gleichen Voraussetzungen gilt die Integralformel von Cauchy: I f (z) dz = 2πif (w) (1.3) C z −w für die Punkte w aus dem Inneren der Randkurve. Die Funktion im Inneren ist also durch ihre Werte auf dem Rand bestimmt. Hat die Funktion im Inneren 1 Statt analytisch sagt man auch regulär oder holomorph. 1 Funktionentheorie 1. Komplexe Funktionen Abbildung 1.1: Auswertung eines Integrals mit dem Residuensatz: Integration über einen Halbkreis in der oberen komplexen Halbebene, der einen Pol bei z = ai umschließt. endlich viele einfache Polstellen und ist sie auf dem Rand C analytisch, dann gilt der Residuensatz I X f (z) dz = 2πi R(zn ) . (1.4) C n Das Integral ist also durch die Residuen an den (endlich vielen!) Polen innerhalb des Integrationskurve gegeben. Wir haben sicher bemerkt, dass der Satz von Cauchy (1.2) ein Spezialfall des Residuensatzes darstellt. Man benutzt den Residuensatz sehr oft, um wie durch Zauberei, also ohne dass man eigentlich ein Integral auswertet, das Resultat einer Integration zu bestimmen. Ein Beispiel dazu findet man in der folgenden Aufgabe: Berechnen Sie die Fourier-Transformierte der Funktion f (x) = 1/(x2 + a2 ) mit a > 0. Lösung: Nach der Definition der Fourier-Transformation müssen wir das Integral Z +∞ −ikx e 1 dx g(k) = √ 2π −∞ x2 + a2 berechnen. Dazu zieht man eine Tabelle der Fourier-Transformationen heran (findet man im Internet, beispielsweise bei Wikipedia) und erhält r π −a|k| g(k) = e . 2a2 Wenn wir das Integral selbst berechnen wollen, dann können wir den Residuensatz für die komplexe Funktion f (z) = e−ikz e−ikz = z 2 + a2 (z + ia)(z − ia) benutzen. Diese Funktion hat einen Pol erster Ordnung bei z = ai in der oberen und einen zweiten bei z = −ai in der unteren komplexen Halbebene mit den Residuen eka e−ka R(ai) = , R(−ai) = . 2ai −2ai 2 Wir betrachten zuerst den Fall k < 0 und integrieren entlang einer geschlossenen Kurve C+ von −r bis +r mit r > a längs der reellen Achse und dann auf dem Halbkreis |z| = r in der oberen Halbebene. Dabei wird nur der Pol bei z0 = ai umschlossen. Dann erhalten wir nach dem Residuensatz (siehe Seite 2) I π e−ikz eka = eka . dz = 2πi 2 2 2ai a C+ z + a Da die Funktion in der oberen Halbebene für einen Kreisradius r, der gegen unendlich strebt, exponentiell gegen null geht, ist dieses Ergebnis gleich dem Integral über die gesamte x-Achse. Für k > 0 können wir analog vorgehen und über einen Halbkreis in der unteren Halbebene integrieren oder auch einfach diesen Fall durch komplexe Konjugation in den Fall k < 0 überführen. Wir erhalten das gleiche Resultat, also Z +∞ −ikx e π dx = e−|ka| . 2 2 a −∞ x + a 3