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Der britische Brigadegeneral (später Generalmajor) Sir Digby Inglis
Shuttleworth (1876-1948, Bildmitte) führte 1919 die 39 Infantry Brigade
im Kaukasus. Während des Ersten Weltkrieges – hier eine undatierte
Aufnahme der Ölfelder von Baku – kämpften russische, britische, türkische und deutsche Truppen auf dem Kaukasus um Raum und Rohstoffe. Nach dem militärischen Niedergang des Russischen Reiches, den
der Waffenstillstand vom November 1917 und der Friedensvertrag von
Brest-Litowsk im März 1918 besiegelten, traten nationale, beispielsweise
georgische Formationen an die Seite der kriegsteilnehmenden europäischen Großmächte, während sich die Bolschewiki anschickten, die Region ihrer militärischen Kontrolle zu unterwerfen.
Die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL) und der Admiralstab sahen
im Ersten Weltkrieg den Kaukasus als Region von geostrategischer Bedeutung, deren Kontrolle das Deutsche Reich vom drückenden Rohstoffmangel befreien könnte. Die militärischen Möglichkeiten der verbündeten
Mittelmächte Deutschland und Osmanisches Reich reichten indes nicht
aus, um die ehrgeizigen militärischen Ziele zu erreichen.
Der Kaukasus im Fokus der deutschen
militärischen Planungen während des
Ersten Weltkrieges
»Als ich auf den Schienensträngen stand, die über Tiflis nach
Baku führten, da wollten die Gedanken weiter über das Kaspische Meer, durch die Baumwollfelder Turkestans zu den Olympischen Bergen und wenn, wie ich hoffen muss, der Krieg noch
lange dauert, so soll doch noch an die Tore Indiens gepocht werden.« Mit diesen Worten brachte 1918 der Generalstabschef der
osmanischen Armee und spätere Chef der Heeresleitung der
Reichswehr, Generaloberst Hans von Seeckt, die vorherrschende
Stimmung in der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL) auf
den Punkt.
Vor dem Ersten Weltkrieg spielte der Kaukasus in den deutschen strategischen Plänen keine Rolle. Mit Kriegsbeginn rückte
die asiatische Grenzregion durch das deutsch-türkische Bündnis
jedoch kurzzeitig ins Blickfeld des Deutschen Reiches. Nach der
fehlgeschlagenen türkischen Offensive im Kaukasus 1914 und
der Abwehr der russischen Gegenoffensiven 1916 ließ das deutsche Interesse an der Kaukasusregion wieder nach. Das durch
den Russischen Bürgerkrieg verursachte politische und militärische Machtvakuum im Süden Russlands wirkte aus geostrategischen sowie wirtscha�lichen Gründen wie ein Magnet auf die
Kriegsparteien. Mit dem Zusammenbruch des russischen Reiches 1917 und dem Vormarsch der Mi�elmächte in der Ukraine
und auf der Krim sowie der verstärkten Präsenz deutscher Marineeinheiten auf dem Schwarzen Meer zog der Kaukasus daher
erneut die Aufmerksamkeit der OHL auf sich. Der Generalquartiermeister der OHL, General Erich Ludendorff, bewertete Anfang 1918 – einen Sieg an der Westfront vor Augen – die geostrategische Lage der Kaukasusregion neu. Im Kampf gegen das
britische Weltreich galt der Kaukasus für ihn nun als ein Glied
in der Ke�e des Orientweges, gleichsam die Landbrücke zwischen den beiden großen Meeren auf dem Weg nach Indien über
Afghanistan. Ohne die Kontrolle dieses strategisch bedeutenden
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I. Historische Entwicklungen
Raumes war eine nach Asien ausgerichtete deutsche Expansion
nach seiner Ansicht nicht möglich.
Damit griff Ludendorff Ideen auf, die auch schon Napoleon
im Kampf gegen England erwogen ha�e. Während in den Jahren
zuvor mehrere deutsche Expeditionen im Au�rag des Auswärtigen Amtes und der OHL zur Destabilisierung des britischen Empire nach Afghanistan und Persien gesandt worden waren, stand
man im Auswärtigen Amt und in der Seekriegsleitung diesen
Plänen eher reserviert gegenüber. In den Augen des Admiralstabes nahm das Schwarze Meer und die anschließende Kaukasusregion im Rahmen der Gesamtkriegführung der Marine sowieso
nur den Rang eines Nebenkriegsschauplatzes ein. Daher machte
sich die Seekriegsleitung dafür stark, den Raum eher mithilfe
einer klugen Bündnispolitik zu beherrschen.
Türkischer Vormarsch
Trotz des im Dezember 1917 abgeschlossenen Waffenstillstandes
zwischen den Mi�elmächten und Russland erfolgte um die Jahreswende 1917/1918 ein erneutes Ausgreifen des Osmanischen
Reiches in den Kaukasus mit dem Ziel, Kars und Batumi zu
annektieren. Die Eroberung dieser Gebiete galt für die Türken
einerseits als Entschädigung für die vorangegangenen Niederlagen, andererseits als strategisches Sprungbre� zum Kaspischen
Meer, den angrenzenden turkstämmigen Regionen sowie Persiens. Von Anfang an stand die deutsche Seite dem türkischen Vorgehen skeptisch gegenüber, da die im Kaukasus vorgehenden
osmanischen Verbände für den geplanten Angriff auf Bagdad
und zur Verteidigung Palästinas fehlten. Um die Beziehungen
zum türkischen Verbündeten nicht übermäßig zu belasten, tolerierten das Auswärtige Amt und die OHL jedoch das Vorgehen
der Hohen Pforte.
Als die Türken im Rahmen ihres Vormarsches die im Friedensvertrag von Brest-Litowsk (März 1918) festgelegten Grenzen zu Russland überschri�en, intervenierte Berlin und es kam
zu wachsenden Spannungen zwischen den Verbündeten, da die
dauerha�e Festsetzung der Osmanen im Kaukasus nicht im Interesse des Kaiserreichs lag. Parallel zu dieser Entwicklung spitzte
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Der Kaukasus im Ersten Weltkrieg
sich im Laufe des Jahres 1918
Hohe Pforte
die Rohstofflage der Mi�elmächte insbesondere bei ManDer Begriff »Hohe Pforte (auch
gan- und Kupfererz als auch bei
Pforte, türk. Bâb-i-âli) bezeichÖl dramatisch zu, und britische
nete von 1718 bis 1922 die RegieVerbände rückten aus Persien
rung des Osmanischen Reiches.
gegen das Kaspische Meer vor.
Ursprünglich war damit ein dem
Vor diesem Hintergrund entHof des Sultans nahe gelegenes
schloss sich die OHL, obwohl
Gebäude mit den Hauptregiean der Westfront die Entschei(bc)
rungsämtern gemeint.
dung des Krieges bevorstand,
zur Wahrung der deutschen Interessen Truppen in die rohsto�altige Kaukasusregion zu entsenden, um die reichhaltigen Öl- und Erzlager unter deutsche
Kontrolle zu bringen.
Deutsche Truppen im Kaukasus
Im Au�rag des Auswärtigen Amtes und der OHL wurde im Juni
1918 eine deutsche Delegation unter Führung von Generalmajor
Friedrich Freiherr Kreß von Kressenstein nach Tiflis in Georgien
entsandt. Sie sollte durch die Kontrolle des Verkehrswesens die
wirtscha�liche Ausbeutung und Durchdringung Transkaukasiens sicher stellen. Weitere Aufgaben der Mission Kreß waren,
Ordnung und Sicherheit im Kaukasus zu gewährleisten, die Türken an der unrechtgemäßen Aneignung kaukasischer Gebiete
zu hindern sowie die reichen Vorräte (Öl, Mangan, Kupfer) für
die Kriegführung der Mi�elmächte nutzbar zu machen. Im Juni
1918 verlegte die OHL das bayrische Reserve-Jäger-Bataillon 1
und das preußische Sturmbataillon 10 über See von Sewastopol
nach Poti und von dort per Bahn nach Tiflis. Diese Verbände
dienten auch als Lehrtruppe für den Au�au georgischer Streitkrä�e. Die Aufstellung einer aus Georgiern bzw. deutschen Kolonisten bestehenden Armee gelang jedoch nur unzureichend,
da die Beeinträchtigung durch Krankheiten und Desertionen die
Kamp�ra� der wenigen Einheiten erheblich schwächte. Trotz
dieser Lage bekämp�en die georgischen Krä�e gemeinsam mit
den beiden deutschen Bataillonen erfolgreich nach Südgeorgien
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I. Historische Entwicklungen
picture-allicance/akg-immages
eingedrungene Tatarenformationen. Kreß erkannte schnell, dass
ein wirksames Au�reten gegenüber der Türkei – die im Süden
Georgiens einige Bezirke besetzt hielt – und der Regierung der
Bolschewiki in Russland nur durch eine starke deutsche Militärpräsenz zu erreichen war und forderte erhebliche Truppenverstärkungen. Ungeachtet der angespannten militärischen Lage
auf dem Hauptkriegsschauplatz in Frankreich entschloss sich
die OHL, weitere Verbände in eine ihrer Ansicht nach geostrategisch wichtige Region zu entsenden. Durch die Ende Juli und im
August erfolgten Truppenverstärkungen erhöhte sich die Zahl
der im Kaukasus stationierten deutschen Soldaten auf mehr als
5000. Gleichzeitig mit der Entsendung neuer Kontingente baute
Deutschland durch mehrere Verträge mit Georgien seine politische und wirtscha�liche Präsenz im Kaukasus aus und bereitete
ein Militärbündnis vor.
Georgien erklärte am 26. Mai 1918 unter dem Schutz deutscher und später
englischer Truppen seine Unabhängigkeit. Das Foto (vermutlich 1918) zeigt ein
Verhör tatarischer Kommandeure durch deutsche Offiziere mit Dolmetschern.
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Der Kaukasus im Ersten Weltkrieg
Kampf ums Öl
Zwischenzeitlich war das Zentrum der russischen Ölförderung,
die am Kaspischen Meer gelegene und von den Bolschewiki beherrschte Stadt Baku, durch eine erfolglose türkische Offensive
in den Fokus der sich auseinander entwickelnden Interessen der
Kriegsparteien gerückt. Das türkische Vorgehen verschär�e die
deutsch-türkischen Spannungen weiter, da sowohl die OHL als
auch der Admiralstab die Erdölbeschaffung aus Baku als überlebensnotwendig für Deutschland ansahen. Als dann auch noch
Mi�e August britische Truppen in Baku einmarschierten, eskalierte die Lage. Deutschland und die neue russische Regierung
schlossen ohne Beteiligung der Türkei einen Ergänzungsvertrag
zum Brester Friedensvertrag, in dem Deutschland gegen wirtscha�liche Zusagen die Herrscha� der Bolschewiki über Baku
akzeptierte und sich im Gegenzug verpflichtete, weitere türkische Angriffe auf die Stadt zu unterbinden. Die Türken fühlten
sich jedoch von ihrem Bündnispartner hintergangen und an den
Vertrag nicht gebunden. Zwischenzeitlich ha�en die mi�lerweile
auf fast 19 000 Mann angewachsenen deutschen Truppenverbände im Kaukasus ebenfalls den Befehl zum Vorgehen auf Baku erhalten. Die Türken kamen den Deutschen aber zuvor und eroberten nach he�igen Kämpfen Mi�e September die Stadt. Es kam zu
furchtbaren Massakern durch marodierende Truppen. Auf Baku
vorgehende deutsche und türkische Verbände lieferten sich im
Zuge des Vormarsches vereinzelte Schusswechsel. Trotz solcher
Zwischenfälle konnte der Bruch des deutsch-türkischen Bündnisses jedoch verhindert werden. Beide Partner wollten letztlich
dessen endgültiges Scheitern nicht riskieren.
Deutsche Kriegsflaggen im Kaukasus
Mit welcher Realitätsferne die OHL und der Admiralstab die
Lage im Kaukasus beurteilten, zeigen die Planungen und Vorbereitungen, mit der sie die Gewinnung der Seeherrscha� auf dem
Kaspischen Meer vorantrieben. Ungeachtet der Tatsache, dass
an der Westfront die deutschen Offensiven gescheitert waren
und alliierte Angriffe die deutschen Truppen seit August zum
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picture-alliance/akg-images
I. Historische Entwicklungen
Baku. Gemälde von Herbert Ruland (1960).
Rückzug zwangen, sollte die deutsche Kriegsflagge in der Region wehen. Obwohl die Seekriegsleitung das Kaspische Meer
als Nebenkriegsschauplatz ansah, war sie sich dessen strategischer Bedeutung durchaus bewusst. Sie stellte Ende September
ein ca. 100 Mann starkes Marine-Detachement zur Erringung
der Seeherrscha� auf dem Binnenmeer zusammen. Ende September stand die Truppe in Sewastopol zur Abfahrt nach Poti
bereit. Parallel dazu prü�en OHL und Marine, ob der Transport
eines zerlegten, 100 Tonnen schweren U-Bootes an einen Ausrüstungsplatz im Kaspischen Meer möglich wäre. Mi�e Oktober
meldete Kreß, dass die Montage von U-Booten durchführbar sei,
jedoch war die Meldung zu diesem Zeitpunkt schon überholt,
da der Zusammenbruch der Balkanfront die OHL zwang, die
Kaukasus-Expedition abzubrechen. Ende Oktober wurden alle
deutschen Truppen bis auf die Schutzwache der Mission Kreß
aus dem Kaukasus zurückgezogen.
Ausblick
Die strategischen Absichten der Expedition – einen Brückenkopf
für eine Operation gegen Indien zu errichten – sowie die wirtscha�liche Ausbeutung des Kaukasusraumes ha�en sich als unerreichbar herausgestellt. OHL, Admiralstab und Auswärtiges
Amt ha�en die Lage vor Ort völlig falsch eingeschätzt. In ihren
Planungen ha�en sie weder die katastrophalen Verkehrsverbin52
Der Kaukasus im Ersten Weltkrieg
dungen zu Land und zur See noch die bündnispolitischen Probleme berücksichtigt. Auch wirtscha�lich ha�e das Ausgreifen
in den Kaukasus mehr Nachteile als Vorteile gebracht, mussten
doch die Deutschen die Georgier sogar mit Nahrungsmi�ellieferungen unterstützen.
Die geostrategischen Phantasien der OHL griff trotz deren
offensichtlichen Scheiterns mehr als 20 Jahre später die Wehrmacht erneut auf. So stießen 1942 wiederum deutsche Truppen
im Kaukasus vor, um die an Baku grenzenden Ölfelder zu erobern. Diese Offensive scheiterte ebenso wie das deutsche Vorgehen 1918. Propagandistisch in Szene gesetzt, hissten im August
1942 deutsche Hochgebirgsjäger der 1. Gebirgsdivision auf dem
Elbrus die Reichskriegsflagge. Die alpinistische Meisterleistung
konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kaukasus aus
deutscher Sicht letztlich ein Nebenkriegsschauplatz blieb – im
Zweiten Weltkrieg und teils auch bereits vor 1918, jedoch mit katastrophalen Auswirkungen für die einheimische Bevölkerung.
Ariane Aust und Gerhard P. Groß
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