K U LT U R K U LT U R Die umfangreiche Sammlung aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien zu Gast in Mannheim: Seltene und einzigartige Stücke sind hier zu sehen und entführen den Besucher in eine Welt vor 500 Jahren. K KAISER MAXIMILIAN I. DER LETZTE RITTER UND DAS HÖFISCHE TURNIER Die Reiss-Engelhorn-Museen entführen in die mythische Welt der Blütezeit der Ritter 072 TOP aiser Maximilian I. (1459-1519) war einer der populärsten Herrscher aus dem Hause Habsburg und regierte an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit. Seine besondere Leidenschaft galt dem Turnier, das zu seiner Zeit nicht mehr der Kriegsvorbereitung diente, sondern fester Bestandteil des höfischen Lebens war. Turniere waren rauschende und kostspielige Feste, die oft mehrere Tage dauerten. Maximilian selbst war einer der erfolgreichsten Turnierkämpfer aller Zeiten. Er bestritt zahlreiche Wettkämpfe und präsentierte sich gern als strahlender Ritter. Noch im 19. Jahrhundert galt er als Sinnbild der ritterlichen Tugenden und ging als „der letzte Ritter“ in die Geschichte ein. Maximilian erhielt in seiner Jugend eine breite Bildung, bei der er neben Latein, Italienisch oder Slowenisch auch wichtige Fertigkeiten einer ritterlich-höfischen Kultur erlernte. Zu diesen Fertigkeiten gehörten neben dem Umgang mit Turnier- und Kriegswaffen auch der Tanz und die Jagd. Die Heirat Maximilians mit Maria von Burgund war das bedeu- tendste Ereignis in seiner Jugend, denn die burgundische Kultur prägte Maximilian fortan. Er war ein Meister der Selbstinszenierung: Gemälde, Skulpturen und Graphiken, dienten zuallererst der politischen und dynastischen Eigenwerbung. Maximilian versuchte durch eine breit angelegte Bündnispolitik seine finanzielle Schwäche zu kompensieren, die seine Krönung zum Kaiser in Rom vereitelte. Er nahm aber mit Billigung von Papst Julius II. 1508 im Dom zu Trient den Titel eines „Erwählten Römischen Kaisers“ an. Maximilians Ehrgeiz endete nicht bei der Kaiserwürde – 1511 wollte er auch die päpstliche Würde annehmen, um so die höchsten Ämter auf sich zu vereinigen. Maximilians Leben wurde durch zahllose Kriege bestimmt. Schon kurz nach seiner Heirat mit Maria von Burgund wurde er im Konflikt um das burgundische Erbe in einen Krieg verwickelt. Seinen ersten großen Erfolg hatte er 1479 in der Schlacht bei Guinegate, in der er die französische Armee besiegte. In dem Bürgerkrieg, der nach dem Tod seiner Gemahlin in den Niederlanden TOP 073 K U LT U R K U LT U R Eine Originalrüstung von Maximilian I. empfängt den Besucher am Eingang zur Ritterwelt in den REM. Übergroße Darstellung einer Ritter-Zeltstadt. ausbrach, schuf Maximilian aus deutschen Söldnern die neue Truppe der Landsknechte. Er setzte diese bei der Rückeroberung von Niederösterreich und Wien ein und unternahm mit den Söldnern einen Vorstoß nach Westungarn und Ofen. Maximilian war militärisch begabt. Mehrmals scheiterten seine Feldzüge aber an akutem Geldmangel. Dank seiner Erfahrungen im niederländischen Krieg entwickelte Maximilian großes Interesse an der modernen Artillerie. Tirol bot mit seinen Kupferbergwerken ein ideales Umfeld für den Kanonenguss. Die schweren Geschütze bewährten sich besonders im bayerischpfälzischen Erbstreit bei der Eroberung der Festung Kufstein. Kurz nach der Jahrhundertwende stellte Maximilian nach burgundischfranzösischem Vorbild Kürisser auf. Diese schweren Reiter wurden aus dem Adel rekrutiert. Häufig aber fehlte Maximilian für dauerhafte Erfolge der lange Atem. Und waren die militärischen Siege nicht schnell erreichbar, fehlte meist das Geld. Als gegen Ende des 15 Jahrhunderts die Feuerwaffen und eine moderne Kriegsführung eine Ritterrüstung und den Kampfstil eines Ritters ad absurdum führten, entwickelte sich die höfische Sportart „Tjosten“. Die Rüstungen wurde zu Hightech-Sportausrüstungen und waren zu dieser Zeit auf den Zweikampf auf den Turnierfeld und nicht auf dem Schlachtfeld angepasst. Es ging zwar nicht mehr um Leben und Tod, daher bekamen die Lanzen auch Sollbruchstellen, damit Verletzungen nicht tödlich enden sollten, aber dennoch gab es natürlich immer wieder schwere Un- und Todesfälle. Turniere entwickelten sich zu einem wichtigen Teil des höfischen Festes. Sie dienten nicht nur der sportlichen Übung und der Belustigung, sondern hatten für Maximilian eine staatstragende und herrschaftslegitimierende Funktion. Große politische Ereignisse wurden mit Turnieren gefeiert. Mit ihnen strich er seine eigene Bedeutung hervor. In der sichtbaren Realisierung der alten 074 TOP Rittertugenden drückte sich das hohe Ideal des Turniers aus. Maximilian und die anderen adeligen Teilnehmer beschworen in ihm die große Vergangenheit der eigenen Familien herauf. Harmloser als die reale Schlacht, waren Turniere aber doch ein sehr gefährlicher Sport. Das höfische Fest war für den Kaiser aber auch ein äußerst kostspieliges Ereignis. Mit ihm konnte er ein Zeichen der Grosszügigkeit und des Reichtums setzen, auch wenn er das Geld dafür von den Fuggern oder anderen Geldgebern leihen musste. Möglicherweise sollte so die Erinnerung an den bescheidenen Hof seines Vaters Friedrich III. verblassen. Die Turniere verstärkten das Zusammengehörigkeitsgefühl der verschiedenen Adeligen. Dies war für die habsburgischen Herrscher besonders wichtig, regierten sie doch ein sehr heterogenes Reich mit weit verstreuten Gebieten. Ein höfisches Ritterturnier folgte unter Maximilian einer strengen Abfolge verschiedener Kampfarten: Beim „Stechen“ versuchten die Gegner sich mit stumpfen Lanzen aus dem Sattel zu heben. Für diesen elitären Turniersport wurde im späten 15. Jahrhundert das Stechzeug entwickelt. Diese Spezialausrüstung wog ca. 40-45 kg und Szenen beim Fußkampf- Darstellungen aus dem Turnierbuch Freydal. ein mächtiger gewölbter Schild. Die rechte Seite schützte der war damit etwa doppelt so schwer wie ein Feldharnisch. Beim Brechschild, der über die Rennlanze gesteckt war. Stechzeug zur Zeit Maximilians war der Stechhelm am BrustFür die spektakuläre Sonderform des maximilianischen Turniers, und Rückenharnisch festgeschraubt, damit sich der Turnierer dem Geschifttartschenrennen, wurden Bruststücke mit einem kombei einem gegnerischen Stoß nicht das Genick brach. Um den plizierten Federmechanismus konstruiert. Traf die gegnerische Lanze Kopf des Reiters vor dem Anprall des gegnerischen Speers ins Zentrum des vorgesetzten Schildes, wurden dieser sowie lose, zu schützen, war dieser von einer Helmhaube umschlossen. blecherne Dreiecke über den Reiter hinweg in die Luft katapultiert. Dem Rüsthaken als vordere Auflage für die schwere Lanze Der „Fußkampf“, der sein Vorbild im ernsten Duell hatte, war entsprach beim Stechzeug ein langer Rasthaken als rückwärneben dem Kampf zu Pferd ein weiterer rittertiges Widerlager für das Lanzenende. Mithilfe licher Wettstreit. Kurz vor 1500 wurde dieser der Haken blieb die Lanze im Gleichgewicht. Zweikampf mit Spieß, Streitaxt, Schwert oder Dolch Man zielte gleichsam mit dem ganzen Körper ausgetragen, doch konnte nahezu jede Art von auf den Gegner. An der Brust wurde zusätzHandwaffen verwendet werden. Oft trugen die lich ein hölzerner, lederüberzogener Schild Kämpfer einen kleinen Schild, den sie meist gegenmontiert. Auch die wertvollen und gut einander schleuderten, bevor sie sich angriffen. In dressierten Pferde schützte man sorgfältig. den Herausforderungen konnte die Zahl der Hiebe Um ein Scheuen zu vermeiden, trugen sie begrenzt sein oder ausdrücklich vermerkt werden, Rossstirnen ohne Augenlöcher und meist dass der Kampf fortzusetzen sei, bis einer der beiauch Schellenkränze. Das Pferd war so all den Turnierer zu Boden ging. Hohes Stehvermögen seiner Sinne beraubt und folgte nur den und große Beweglichkeit waren nötig, um den Befehlen des Reiters, der das Tier in möglichst gegnerischen Hieben auszuweichen. gerader Linie auf den Gegner zubewegte. Ähnlich dem heutigen Boxkampf fand dieser Das „Rennen“ wurde zu Pferd durchZweikampf in einem „Ring“, einem abgegrenzgeführt und war wegen der Verwendung ten Feld statt. Auch für diese Sportart hatte von spitzen Lanzen deutlich gefährlicher als sich ab 1450 eine Spezialrüstung entwickelt, der das „Stechen“. Da im Rennen der eigene Porträt Maximilian I. Kunsthistorisches Museum, Wien; Kempfküriss. Er zeichnete sich vor allem durch ein Mut bewiesen werden konnte, zog es vor Gemäldegalerie nach Bernhard Faltenvisier des schweren Helms aus, das das ganze allem junge, aufstrebende Adelige an. Mit der Strigel, nach 1507 Gesicht verdeckte. Vorteile waren eine bessere Förderung dieser Turniervariante versuchte Sicht und leichteres Atmen dank der zahlreichen Löcher im Visier. Maximilian besonders diese Gruppe an sich zu binden. Der auffällige, weite Tonnenrock aus eisernen Reifen schützte die Um 1485-1490 kam für diese Turnierart das Rennzeug Leibesmitte und die Oberschenkel, wodurch auch das Beinzeug auf, eine spezielle Ausrüstung in Anlehnung an den spätgotiunter diesem Rock der größeren Beweglichkeit wegen leichter schen Halbharnisch. Zu diesem gehörte der Rennhut, ein verwurde. Die noch erhaltenen Stücke des frühen 16. Jahrhunderts stärkter Helm in Form einer Schaller, und ein am Brustharnisch sind durchweg Arbeiten Mailänder Plattner. befestigter steifer Bart, der Hals- und Kinnpartie schützte. Zum Abschluss des Turnieres gab es die festlichen „Mummereyen“, Den Rennhut ergänzte ein an der Brust angeschraubtes die prunkvollen Maskenbälle. Einen guten Überblick über diese Magenblech mit knielangen Schößen. Das Rückenstück hatte kostümierten Tanzveranstaltungen aus der Zeit Maximilians bieein angenietetes, trapezförmiges Schwänzel, das den Reiter tet sein reich illustriertes Turnierbuch „Freydal“. In ihm schildert beim Sturz vor Verletzungen der Wirbelsäule schützen sollte. Maximilian seine ritterliche Minnefahrt und erinnert damit in stiLinke Schulter, Arm und Brust verdeckte die Renntartsche, TOP 075 K U LT U R Großartige lebensechte Szenendarstellungen lassen die Atmosphäre bei einem Ritterturnier zu Zeiten Maximilians erahnen. lisierter Form an seine Werbung um Maria von Burgund. An 64 Turnierhöfen geht er nicht nur bei 192 Kämpfen als Sieger hervor, sondern er tanzt auch auf 64 Maskenbällen, bis ihn endlich seine von ihm heiß geliebte erste Frau, Maria von Burgund, erhört. Vor den „Mummereyen“ gab es vielgängige Gastmähler. Nach einem strengen Protokoll wurden die Gäste an die reich dekorierten Tische gesetzt, wobei die Dekoration im Tischzentrum auf das allegorische Thema des Festes anspielen konnte. Die Ausstellung in den REM vereint rund 150 hochkarätige Leihgaben aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien: kostbare Waffen und Rüstungen, prachtvolle Gemälde, Textilien, Medaillen sowie kunstvoll illustrierte Handschriften. Mitmachstationen, aufwändige Inszenierungen und Filme runden das Erlebnis für große und kleine Besucher ab. Besondere Höhepunkte sind die Originalrüstungen und Waffen, mit denen Kaiser Maximilian selbst vor mehr als fünfhundert Jahren seinen Gegnern entgegentrat, und der „Freydal“, eines der kostbarsten Turnierbücher der Welt. Die Ausstellung zeigt zahlreiche Einzelseiten dieses wertvollen Bildbandes, der durch seine lebendigen, detailreichen und farbenfrohen Illustrationen von höchster Qualität besticht und noch nie in diesem Umfang gezeigt wurde. Viele Blätter sind jetzt in Mannheim sogar erstmals öffentlich zu sehen. Auf jeder Seite ist Maximilian abgebildet – hoch zu Ross, die Lanze im Anschlag, beim Schwertkampf oder als Fackelträger beim Maskenball. Normalerweise schlummern diese Kleinode in einem Spezialdepot in Wien. In der Sonderausstellung, die Kaiser Maximilian I., seine Politik und die Vernetzung der Habsburger in Europa vorstellt, steht der höfische Turniersport unter Maximilian im Vordergrund. Der Herrscher verband an seinem Hof verschiedene Turniertraditionen und nutzte ganz bewusst technische Neuerungen und Innovationen seiner Zeit aus, um die Rüstungen zu verbessern und das Turnier für die Zuschauer noch spektakulärer zu machen. Der Besucher erfährt, welche Ausbildung ein Ritter durchlaufen musste, sieht wie Reiter und Pferd für die Wettkämpfe vorbereitet wurden und lernt den Ablauf eines Turniers kennen. Mit der Ausstellung „Kaiser Maximilian I. – Der letzte Ritter und das höfische Turnier“ setzen die Reiss-Engelhorn-Museen 076 TOP Turnierbuch Freydal; Kunsthistorisches Museum, Wien, Kunstkammer Süddeutsch, Mannheim und das Kunsthistorische Museum Wien ihre langjährige Zusammenarbeit fort. Die Präsentation wurde von den Experten der Hofjagd- und Rüstkammer in Wien speziell für die Reiss-Engelhorn-Museen konzipiert und so ist sie ausschließlich in Mannheim zu sehen. Die Schirmherrschaft über die Ausstellung hat mit Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit Karl von Habsburg-Lothringen das Oberhaupt des Hauses Habsburg übernommen. Ein umfangreiches Begleitprogramm mit Führungen, Vorträgen, einer speziellen Familienrallye sowie zahlreichen Aktionen für Kinder rundet das Angebot ab. Fotos und Text: Thomas Henne, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim Die Ausstellung ist noch bis zum 9. Nov. in den REM zu sehen. Öffnungszeiten: Di – So: 11.00 – 18.00 Uhr, an allen Feiertagen: 11.00 – 18.00 Uhr, Mo geschlossen